You are on page 1of 1

Wie immer mand etwas dagegen hatte.

Die gemeinsame Mahl-


zeit war schon zu einem Ritual geworden.
„Sagt mal, mir scheint es so, als hätten wir das
Theaterstück schon einmal gesehen. Wollen wir
Wie immer entschieden wir uns für den Italiener nicht lieber etwas anderes machen? Ich muss mir
Jedes Jahr am gleichen Tag gehen wir mit der
direkt am Eingang. das nicht unbedingt noch mal ansehen.“
Clique in den nahe gelegenen Freizeitpark.
Keiner nahm die Speisekarte zur Hand, wir „Ja stimmt, ich kann mich auch noch daran
So bekam ich also auch dieses Jahr die Einla-
wussten sowieso schon was jeder bestellten würde. erinnern.“
dung und einige organisatorische Punkte per Mail
So auch dieses Mal. Ich antwortete:
zugeschickt. Es war wie immer derselbe Text. Wir
Nach dem Essen schauten wir uns die Karte und „Na, wollen wir dann gehen, oder es noch ein-
würden um neun Uhr am Bahnhof losfahren, also
das Programm des Parks an. mal anschauen?“
war Treffpunkt, wie immer, Hauptbahnhof um
Nach einigem Hin und Her entschieden wir uns, „Also eigentlich dachten wir, dass wir ja kaum
Viertel vor neun.
zuerst das Theater, das monatlich das Programm etwas gemeinsam machen können. Deshalb sind
Als ich morgens um halb neun am Treffpunkt
wechselte, zu besuchen. wir doch seit dem... ja, deshalb besuchen wir erst
ankam, waren schon einige meiner Freunde da.
„Da können wir nämlich alle zusammen hinge- immer das Theater und gehen dann in den Park
Wir begrüßten uns freudig, da wir uns ja schon
hen.“, war ein Argument, auf das wieder dieses an- zu den Bahnen.“
lange nicht mehr gesehen hatten. Um genau zu
gespannte Schweigen folgte, das ich so sehr verab- „Sonst wird es dir doch langweilig, oder?“
sein: ein Jahr. Jeder ging schon seine eigenen
scheute. Ich fragte, warum es mir denn langweilig sein
Wege, nicht so wie in der Schule, als wir uns oft
Die unglückliche Stille nach dem einen oder an- sollte. Und was mein Kollege denn meinte, mit
verabredet hatten und durch die Stadt zogen.
derem Kommentar, verschwand immer langsamer. ‚seit dem...’.
Schließlich waren wir vollzählig.
Man meinte fast, sie zog sich dahin, wie ein Kau- „Ich meine, seit du nicht mehr mit uns gehen
Wir stiegen in den Zug ein und schon begann
gummi, bis jemand endlich den Mut hatte, sie zu kannst wie früher. Ja, seit deinem...“
die zweistündige Fahrt, die aber niemals langwei-
brechen und den Gedankengang der Gruppe zu stö- ‚Unfall’ wollte er wohl noch sagen, brachte es
lig war. Jeder hatte eine Menge zu erzählen. Der
ren. Und jedes Mal, wurde sie länger. Fast unerträg- aber nicht zustande.
eine wurde befördert, der andere ist arbeitslos ge-
lich. Mir platze bald der Kragen, aber das ließ ich
worden, eine hatte endlich nach langer Suche
Ich glaube, dass alle – ohne Ausnahme – in die- mir nicht anmerken. Kann man denn nicht offen
wieder eine Festanstellung und die vierte war mit
sen Momenten dasselbe denken. Doch keiner möch- darüber reden? Immer nur diese bedrückende
dem Chef unzufrieden. So ging das eine Weile hin
te weiter darauf eingehen. Oder keiner traut sich, Grabesstille, wenn dieses Thema leicht ange-
und her, bis mich jemand fragte:
den Gedanken laut auszusprechen. Ich fühle mich schnitten wird. Muss alles irgendwie voller Rück-
„Und du? Was gibt’s bei dir Neues?“
nie wohl dabei. sicht auf mich geplant sein? Können die Men-
„Ach, so wie immer.“
Als wir uns dem Theater näherten, sahen wir schen um mich herum nicht normal sein? So, wie
Betretenes Schweigen.
schon das Stück, das aufgeführt wurde. Irgendwie früher?
Doch schon nach einigen Augenblicken war
kam es mir bekannt vor. Ja gut, das Märchen Ich weiß es selber, dass ich nicht so bin, wie
das Gespräch wieder in Gange.
‚Schneewittchen und die sieben Zwerge’ wird wohl ich früher einmal war. Aber ich lebe. Zwar mit
Ich lehnte mich zurück und schloss die Augen.
jeder kennen. Aber ich konnte mich noch recht gut Einschränkungen, aber es geht mir gut. Das weiß
Jedes Jahr lief es so, wie immer.
erinnern, dass wir es schon einmal hier gesehen ich zu schätzen, wie kaum ein anderer. Warum
Endlich hielt der Zug an unserer Haltestelle
hatten. müssen aber alle dieses Thema meiden?
und wir stiegen aus. Jetzt mussten wir noch etwa
Da wir ja sonst kaum etwas hatten, das wir zu- Innerlich brodelte es in mir, doch nach außen
eine halbe Stunde laufen, da in diesem Dorf vom
sammen in diesem Freizeitpark unternehmen konn- hin blieb ich wie immer ruhig und fragte:
Bahnhof bis zum Freizeitpark kein Bus pendelte.
ten, ließ ich mir nichts anmerken und folgte den an- „Können wir es nicht so machen wie immer?
Endlich waren wir am Eingang des Freizeit-
deren in den noch fast leeren Saal. Ich hatte das Ge- Ihr geht zur Achterbahn und ich passe in der Zeit
parks. Da es inzwischen schon Mittag war, be-
fühl, dass ich nicht der Einzige war, dem es auffiel, auf eure Taschen auf. So, wie immer!“
schlossen wir, erst mal in einem der Restaurants
dass wir das Stück schon einmal gesehen hatten. Im Rollstuhl.
zu essen. Obwohl jedes Mal jemand fragte, ob wir
Als wir Platz genommen hatten und uns noch ein
zuerst was essen könnten, wussten wir, dass nie-
bisschen über Dies und Jenes unterhielten, fragte
ich in die Runde:

You might also like