Professional Documents
Culture Documents
~81 besetzten Studenten und Autonome die Gebäude am Hafen / Es war der Anfang einer
ie Hafenstraße zuog.
H fenstraße im Spät-
herbst1987.5000 Poli-
zisten stehen zum
Sturm auf die besetzten
Häuser bereit. Am 19. No-
dass auf diesem Weg endlich
ein Konflikt gelöst werden
konnte, der Hamburg jahre-
lang vergiftet hat", jubelt
Bürgermeister Klaus von
vember um 14 Uhr läuft das DohnanyL Fast allein, ohne
allerletzte Ultimatum aus. Unterstützung des Senats,
Hamburg steht kurz vor seiner Partei und des Koali-
einem Straßenkampf, wie es tionspartners FDP, hat er auf
ihn noch nicht gegeben hat. eine Karte gesetzt - und ge-
Die Fronten sind verhärtet, wonnen.
die Nerven von Politik, Po- Doch die heiße Phase soll-
lizei, Bewohnern und Bür- te sich noch weitere Jahre
gern zum Zerreißen ge- hinziehen. Im Februar 1988
spannt. "Ich kann nicht aus- fliegen erstmals wieder Mo-
schließen, dass damals ge- lotow-Cocktalls, Barrikaden
schossen worden wäre", sagt brennen - trotz Vertrags-
Michael Herrmann. damals abschlusses zwischen Re-
als Vermittler zwischen den gierung und Bewohnern. Es
Fronten aktiv. folgt ein jahrelanger Klein-
Vor den Häusern spiegelt Doch am Morgen des 18. No- krieg. Ob politische Parolen
sich die Gewalt der vergan- vember 1987 - das Wünder. an den Häuserwänden oder
genen Tage wider. Auto- Schwarz gekleidete Men- eine angebliche Nähe zu
wracks, Holzbohlen, umge- schen machen sich im Mor- RAF-Terroristen - die Ha-
stürzte Container und Eisen- gennebel ans Werk und bau- fenstraße steht weiter im
gerüste zieren die Straße. en - wie gefordert - qie Bar- Brennpunkt. Bürgermeister
rikaden ab. Am Tag darauf Henning Voscherau, der im-
werden auch die Verbarrika- mer wieder mit Räumung
dierungen der Häuser ent- droht, löst Klaus von Dohna-
fernt. Bereits knapp zwei nyi als Bürgermeister ab.
Stunden nach Ablauf des Erst Mitte der neunziger Jah-
eingehaltenen Ultimatums re sollte Ruhe einkehren.
tritt der Senat zu einer Son- Mehr als zehn Jahre nach der
dersitzung zusammen. Um ersten, stillen Besetzung.
17.38 Uhr klingelt in der Ha- ERIK TROMPlER
fenstraße das Telefon: Sozi-
alsenator Jan Ehlers ist dran
und übermittelt die frohe
Botschaft: Der Senat hat
dem zugesicherten Pacht-
Hamburger Morgenpost Dienstag, 12. September 2006 HAMBURG 13
DER SAGA-JURIST
Ein Ereignis ragt vollkommen verändert. Die Polizei
DER POLIZIST fOr mich persön- gab zu, die Snuation völlig falsch
IIcII aus allen an- eingeschätzt zu haben. Bürgermeis-
Noch heute erinnere Bemhard-Nocht-Stra8e_ Dort wur- deren beraus. ter Voscherau schrieb mir einen
ich mich an einen den wir plötzlich von einer etwa zehn- Schon oft war ich Brief, in dem er sein Entsetzen über
Nachtdienst, in dem köpfigen Personengruppe aus den als Jurist der SAGA die Tat zum Ausdruck brachte
ich das erste Mal auf Häusern umringt. Was dann passier- mit zahlreichen fortan bekam ich zwei Per-
Menschen getroffen te, habe ich nie wieder erleben Polizeikräften zu Räumungen in der sonenschützer an die Seite ge-
bin, die mir so feind- müssen. Mehrere Bewohner der Häu- Hafenstraße. Doch das S.chlimmste stent, die mich ständig begleiteten.
selig und böswillig ser sind mit erhobenen Knüppeln und passierte mir im Frühjahr 1989. Als Ein herber Einschnitt in meinem le-
begegneten, dass ich Zaunlatten auf uns zugestürmt und ha- Geschäftsführer der neu ge- ben. Erst dann wurde mir die Bri-
Angst hatte. So groBe Angst wie da- ben uns geschlagen. Sie wollten uns gründeten Hafenrand GmbH sanz dieser Funktion in aller Deut-
nach nie mehr als Polizeibeamter. erheblich verletzen. vielleicht sogar meldete ich mich zu einer Besichti- lichkeit bewusst. Noch heute fragt
Gegen Mitternacht erhielten wir einen mehr. Ich habe in dieser Nacht erst- gung der Häuser an. Mit meinem mein Arzt, warum meine Nase so
Einsatz für eine Streifenwagenbesat- mals mit meinem Gummiknüppel Kollegen Eberhard Gilde und einem krumm sei. Das sind die Folgen von
zung. Jemand hatte ein Fahrzeug mit zugeschlagen, um mich zu verteidi- Elektroinstallateur machten wir uns damals. Die Nase war von den
einer eingeschlagenen Scheibe gemel-
det. Vorsichtshalber hatte die.Einsatz-
zentrale einen zweiten Streifenwagen
gen. So oft und kräftig, dass ich danach
entkräftet war. Für mich war das ein
einschneidendes Erlebnis.
..... ...
Früher Schutzpolizist, jetzt
auf den Weg. Zunächst lief alles
glatt. Urplötzlich stürmten aus
einem Hauseingang etwa fünf
Schlägen angebrochen.
Wallgang Dirksen (53)
entsandt. Der Einsatzort lag in der Ralf Kunz (44) Pressesprecher. Ralf Kunz maskierte Männer heraus. Die wa-
ren mit Knüppeln bewaffnet und
hatten nur ein Ziel: mich. Sie
DER VERMITTlER prügelten auf mich ein . Ich war auf
diesen Angriff weder vorbereitet
Natürlich erinnere Angst vor einer Räumung hatten die GAl, flogen quasi mit weißer Fahne noch trainiert. Nach wenigen
ich mich an die Zeit Bewohner Poller aus Stahlbeton auf per Hubschrauber nach Sylt. Beim schmerzhaften Sekunden war alles
damals. Politna- den Gehwegen errichtet. Bürger- Bürgermeister gabs Kuchen und Kaf- vorbei.Meine Kollegen suchten den
sen, besonders de- meister von Dohnanyi war auf~ fee. DOhnanyi erfuhr beim Gespräch Blick zu einem Fahrzeug mit Zivil:
nen weiter oben, Sylt im Urlaub_ Wir sprachen mit auch, dass viele der an ihn heran- poliZisten auf der gegenüberliegen-
fehlte es wie heute der Patriotischen Gesellschaft, um getragenen Nachrichten über das den Straßenseite. Die kamen dann
an Besonnenheit, den Irrsinn zu stoppen und Dohnanyi "Chaos~ überzogen waren. So er- voller Schreck rüber, weil sie sahen,
um soziale Konflikte mit Vernunft zu zu besuchen. Erich BralHl-Egidius klärten wir ihm, dass man als dass ich stark am Kopf blutete. Sie
lösen. Stattdessen verließen sie von den Patrioten, der Fotograf Gün- nonnaler Mensch die Balduin- wollten einfach nur weg vom-Tatort
sich lieber auf die Schlagkraft ter Zint und ich, damals noch in der treppe hinab- oder hinaufgehen und fuhren m~h deshalb direkt ins Stets umringten Presse und Po-
der Polizei. Hausbesetzungen konnte, ohne dass von oben Hafenkrankenhaus. Von da an hatte lizei den luristen Walfgang Dirk-
waren damals die Antwort auf Pech und Schwefel herab- sich meine persönliche Situation sen beim Betreten der Häuser
die Zerstörung gewachsener kämen.lch bot ihm an, mit mei-
Viertel durch Spekulanten und nem Peugeot da vorbeizufah-
Abriss. Wir hatten damals das ren, damit er sich einen eigenen
wKomitee zur Verteidigung der Eindruck machen könne.
Hafenstraße" gegründet und Schließlich konnten wir ihn da-
erfahren, dass Innen- und Bau- von überzeugen. seine Sena-
senator Tabula rasa machen toren anzurufen und den Sturm
wollten. Wir nannten das die Tretten der GAL in der legendären Volxkü- auf die Häuser abzublasen.
Poller-Krise des Senats. Aus che: Vorne links sitzt Michael Herrmann Michael Herrmann 60)
HAMBURG Mittwoch,ll September 2006 Hamburger Morgenpost
Dohnanyi tritt 1988 zurück / Krawalle bis Mitte der 90er Jahre / Heute
ut kann man Klaus te sein Amt rur eine friedli- Doch Dohnanyi musste Einen Zusanunenhang mit
M von Dohnanyi
(SPD) wahrlich
nicht absprechen.
Ohne Unterstützung des Se-
nats, seiner Partei und des
che Lösung im brodelnden
Hafenstraßen-Konflikt.
Kurz vor Ablauf des Ulti-
matums geschah das Wun-
der. Die Bewohner bauten
sich spätestens im Februar
1988 - als erneut Molotow-
Cocktails flogen und Barri-
kaden brannten - harscher
Kritik stellen. "Die Welt"
den Ereignissen stritt er spä-
ter vehement ab. "Ich woll-
te sowieso zurücktreten", zi-
tiert ihn der "Stern",
Bis Mitte der 90er Jahre
Koalitionspartners FDP hat- die umstrittenen Barrikaden fragte bissig: "Dohnanyis kam es immer wieder zu ge-
te der Bürgermeister im No- ab. Der befürchtete Sturm ,Traumfabrik' in Trüm- waltsamen Konflikten. Oft
vember 1987 alles auf eine von 5000 Polizisten blieb da- mern?" Wenige Monate spä- stand die Räumung der Häu-
Karte gesetzt. Er verpfande- durch aus. ter warf er das Handtuch. ser kurz bevor. Doch nicht
zuletzt die zunehmende
Sympathie der Hamburger
Bevölkerung fiir die Bewoh-
ner hinderte den Senat von
Dohnanyi-Nachfolger Hen-
ning Voscherau (SPD) am
Kahlschlag. Das Bild der prü-
gelnden Chaoten in den Häu-
sern verblasste zusehends.
Als die Bürgerschaft 1995
die Privatisierung der Häu-
ser beschloss, fand der jah-
relange Konflikt am Hafen-
rand ein jähes Ende.
Heute sind die meisten
))Morgenpost lügt«
MOPO-Reporter Thomas Hirschbiegel
über den Häuserkampf am Hafen
Der Typ in der grünen Bom· feuert mit einer ZwiUe, hat-
berjacke mit der Hasskappe te mich getroffen. Meine di-
auf dem Kopf war nur Se- cke Lederjacke verhinderte
kundenbruchteile am Fens- Schlimmeres. Die Springer-
ter des Hafenstraßen-Hau- Presse, aber auch wir MO-
ses an der Bernhard-Nocht- PO-Leute waren fiir die Ha-
Straße zu sehen. Im nächs- fenstraßler ein rotes Tuch.
ten Moment spürte ich einen .Morgenpost lügt" stand
Schlag an der linken Schul- Ende der 80er Jahre in roter
ter - eine Stahlmutter, abge- Farbe auf einem Bauwagen
vor den Häusern. Der Vor-
wurf der Bewohner war: "Ihr
schreibt doch nur, was die
amtlichen Stellen über uns
behaupten, und lasst uns
nicht zu Wort kommen."
Doch wenn man mal den
"Pressesprecher" der Be-
wohner erreichte, wartete
der meist erst mal ein "Ple-
num" in den Häusern ab. Ta-
ge später gabs dann eine wir-
re Erklärungüber ..BuUenter-
ror" und "Politik der Herr-
sehenden". Einfacher ist es
bis heute kaum geworden.
Man bekommt heute vennut-
lieh viel leichter Fotos des
Staatsschutz-Geheimarchivs
als Motive aus den ehemals
besetzten Wohnungen
ke
.,hön war's meist nur von außen. Oie Hafenstraße im Jahre 1988 FOTO: ELLER BROCK@SCHAFFT/BllOERWERK
Ein Sieg, den keiner vergessen darf KOMMENTAR VON ULRIKE WINKELMANN
Kampf lohnt sich. Das ist die Botschaft bespotteten bürgerlichen Hafenstra- Und: Auch Schlechtverdiener haben
der l-Jafenstraße, wie sie sich 25 Jahre ßen-Fans, die die Hafenstraße selbst Anspruch auf attraktive Wohnlagen.
nach der Erstbesetzung der Häuserzei- davor bewahrten, an linksradikalen Ni- Und: Nischenkulturen sind schützens-
le am Hamburger Hafenrand formulie- ckeligkeiten und Neurosen zu ersti- wert. Darum wäre es wiederum nicke-
ren lässt - auch mit etwas Abstand. cken. Wenn auch noch ein Tennisstar lig, den alten und neuen Bewohnern
Dieser Abstand ist dabei unbedingt Boris Becker seine Solidarität offen vorzuwerfen, sie seien bloß im "Schö-
nötig. um a1l die Ungereimtheiten und zeigte, verband sich plötzlich der spezi- ner Wohnen" angekommen, Hafen-
Peinlichkeiten im gigantischen Sym- elle Wertehorizont in St. Pauli-Süd mit panorama inklusive.
boltheater Hafenstraße kurz zu verges- dem des verpönten Mainstreams. Im Es ist auch nicht Schuld der Hafen-
sen: Die Selbstgefalligkeit der Hafen- umkämpften Terrain selbst war eben straße, dass Hamburgs Tourismuswirt-
straßen-Szene, die kein berechtigtes nicht zu jedem Zeitpunkt klar, dass es schaft von den berühmten bemalten
Interesse von irgendwem sonst kannte. um mehr ging als die Feindschaft zum Fassaden profitierte, dass der Kapita-
Da geriet noch der Brief mit der Strom- Hamburger Senat. lismus also noch seine erbittertsten
rechnung zum unverschämten Angriff Gesiegt aber hat die Hafenstraße al- Gegner als Dekor zu nutzen versteht.
des Schweinesystems auf den frisch lein. Ihre Bewohner haben bewiesen, Im Gegenteil: Gerade weil die Besetzer
eroberten Freiraum. Dann der eitle welche gesellschaftliche Gestaltungs- sich weder verdrängen noch missbrau-
Stolz, wenn der Senat nachgab - eben kraft Hausbesetzungen entwickeln chen ließen, sondern begehrtenWohn-
noch Bullenstaat, plötzlich windelwei- können. Bis heute wissen die meisten raum erstanden, haben sie Recht behal-
che Sozialdemokraten. Und so weiter. Hamburger: Stadtplanung bedeutet ten. Hoffentlich wird dieser Sieg nicht
Es waren zum beträchtlichen Teil die Ein- und Ausschluss von Menschen. so bald vergessen.
VOR 25 JAHREN BEGANN DIE BESETZUNG DER HAMBURGER HAFENSTRASSE
• In den Achtziger- und Neunzigerjahren zogen die besetzten Höuser der Hafenstraße in Hamburg
ungezöhlte linke on. Klaus von Dahnanyi, früher Bürgermeister der Stadt, war den Besetzern nicht
nahe - und half ihnen doch, einen Teil ihrer Utopie zu retten. Die Geschichte eines longen Kampfes
Mythos Hafenstraße
Straßenschlachten mit der Polizei waren an der Tagesordnung: Selbst Optimisten hätten keine Wette darauf abschließen wollen, wie lange es die
Hafenstraße in st. Pauli noch geben würde. Von heute an feiern die Bewohnerinnen den 25. Jahrestag. Aus Hausbesetzern sind Hausbesitzer geworden
HARKORTSTRASSE S1, 22765 HAMSURG ASO: 030 - 2590 2590 ANZEIGEN@TAZ -NORD . DE