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APuZ

Aus Politik und Zeitgeschichte


12/2007 ´ 19. Mårz 2007

Innere Sicherheit im Wandel


Bernhard Frevel
Sicherheit gewåhren ± Freiheit sichern

Henning van den Brink ´ Andr Kaiser


Kommunale Sicherheitspolitik

Lars Normann
Sicherheitspolitische Reformergebnisse zur Terrorpråvention

Peter Stegmaier ´ Thomas Feltes


Vernetzung als neuer Effektivitåtsmythos fçr innere Sicherheit

Jo Reichertz
Die Medien als selbståndige Akteure

Herbert Schubert ´ Holger Spieckermann ´ Katja Veil


Sicherheit durch pråventive Stadtgestaltung

Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament


Editorial
Das Politikfeld ¹innere Sicherheitª unterliegt seit dem Zerfall
des kommunistischen Herrschaftssystems in Mittel- und Osteu-
ropa einem deutlichen Wandel. Mit dem Wegfall der alten Feind-
bilder entfielen zwar bisherige Bedrohungen, aber die Globa-
lisierung brachte neue Gefahren, auf die es sich einzustellen gilt:
die Internationalisierung des Verbrechens und den weltweit agie-
renden Terrorismus. Die Terroranschlåge vom 11. September
2001 in New York und Washington haben in starkem Maûe
zur Verånderung der staatlichen Sicherheitspolitik beigetragen.
Damit wurden und werden weit reichende Verånderungen nicht
nur der internationalen, sondern auch der nationalen, regionalen
und kommunalen Sicherheitspolitik legitimiert. Die Berichter-
stattung der Medien trågt dazu bei, dass weite Teile der Bevælke-
rung dem stårker werdenden staatlichen Zugriff wenig entgegen-
setzen.

Kritische Beobachterinnen und Beobachter warnen vor einer


Entwicklung des deutschen Rechtsstaates zum Pråventionsstaat
mit der Folge einer Aushæhlung der Bçrgerrechte. Mit der Zu-
nahme staatlicher Kompetenzen und Ansprçche gehe eine spçr-
bare Einschrånkung der Freiheitsrechte der Bçrgerinnen und
Bçrger einher. Datenschçtzer sehen das Gleichgewicht zwischen
Freiheit und Sicherheit gefåhrdet.

Wie viel Sicherheit vertrågt die Freiheit und wie viel Freiheit
die Sicherheit? Diese Frage stellt sich immer wieder neu. Der
Diskurs muss ± gerade unter verånderten åuûeren Rahmenbe-
dingungen ± verantwortungsvoll gefçhrt werden. Sonst ist die
Gefahr groû, dass Sicherheitsmaûnahmen die Freiheit, die sie
doch schçtzen sollen, letztendlich gefåhrden oder gar beseitigen.

Katharina Belwe
Bernhard Frevel groûem Vertrauen Beifall klatschte und sich
beim Nachdenken çber den Zusammenhang

Sicherheit
von Freiheit und Sicherheit wieder stårker
der Gestaltung der Freiheitsrechte zuwenden
wçrde? Es muss wohl nicht so weit gehen,

gewåhren ±
das ¹Angst essen Seele aufª-Prinzip zu fær-
dern, aber ein bisschen Furcht und Sorge darf
schon sein, damit sich die Bçrgerinnen und

Freiheit sichern
Bçrger an den Schutz versprechenden Staat
anlehnen. Die Sicherheitspolitiker werden
nicht mçde zu betonen, die Bedrohungen

Essay seien vielfåltiger, unberechenbarer geworden.


Und der Bundesinnenminister formuliert
neue Sachzwånge: ¹Aus ermittlungstakti-
schen Grçnden ist es unerlåsslich, dass die
Strafverfolgungsbehærden die Mæglichkeit
haben, eine Online-Durchsuchung nach ent-

D as hært sich doch aus dem Mund des


Bundesinnenministers ganz gut an,
wenn er bei der Pråsentation des Zweiten
sprechender richterlicher Anordnung ver-
deckt durchfçhren kænnen.ª Das hohe Ge-
fåhrdungs- und Anschlagspotenzial stellt an
Periodischen Sicherheitsberichts der Bundes- die Sicherheitsbehærden neue und komplexe
regierung im November 2006 feststellt, ¹dass Anforderungen.
die Bundesrepublik
Bernhard Frevel Deutschland ± insbe- Das hært sich nun etwas schizophrener an,
Dr. rer. soc., geb. 1959; Dozent sondere im europå- als es tatsåchlich ist. Denn sicherlich haben
für Sozialwissenschaften an der ischen Vergleich ± zu sich Qualitåt und Quantitåt von Kriminalitåt
Fachhochschule für öffentliche den sichersten Lån- und Terror gewandelt, werden neue Anforde-
Verwaltung NRW, dern gehærtª. Damit rungen deutlich, sind die rechtlichen Kom-
Abt. Münster, Nevinghoff 8 ± 10, schlieût er an das an, petenzen der Strafverfolger und Gefahren-
48147 Münster. was er schon bei der abwehrer den technischen Fåhigkeiten der
bernhard.frevel@fhoev.nrw.de Vorstellung der ¹Poli- Tåter irgendwie anzupassen. Aber die Art
zeilichen Kriminal- und Weise des staatlich gefçhrten Diskurses
statistik 2005ª im Mai desselben Jahres for- låsst gleichwohl stutzen.
muliert hatte: ¹Wir kænnen fçr das Jahr 2005
einen deutlichen Rçckgang der polizeilich re- Polizei und Sicherheitspolitik versuchen
gistrierten Kriminalitåt verzeichnen. Gleich- dem Volk mit der Beschreibung der mal nur
zeitig ist die Aufklårungsquote noch einmal ¹latentenª und dann wieder ¹konkretenª Ge-
leicht angestiegen. Dies zeigt: Deutschland ist fahr und mit einem lauten Bedauern der in der
per se und im internationalen Vergleich eines Strafprozessordnung aufgestellten Begren-
der sichersten Lånder der Welt.ª zungen der polizeilichen Befugnisse zu sugge-
rieren, dass zwar die Sicherheit insgesamt ge-
Glaubt ihm das Volk, wenn er die Erfolge wåhrleistet sei, aber das Damoklesschwert der
der Sicherheitspolitik und der Polizei so lobt? Gefahr an doch schon arg gespanntem Ross-
Augenscheinlich wohl, denn die Kriminali- haar çber den Kæpfen hånge. ¹Gebt uns mehr
tåtssorgen der Bçrgerinnen und Bçrger gehen Befugnisse, da wir sonst nicht mehr fçr eure
zurçck, das Sicherheitsempfinden verbessert Sicherheit garantieren kænnen!ª lautet der
sich. Sowohl bei expliziten Kriminalitåts- staatliche Ruf ± hoffend, dass die verschreck-
furchtstudien als auch bei den Untersuchun- ten Bçrgerinnen und Bçrger der Lebenslçge
gen zu den ¹Øngsten der Deutschenª werden des Obrigkeitsstaates auf den Leim gehen:
seit 1993 stetige Verbesserungen des Sicher- Wer sich nichts zuschulden kommen låsst,
heitsempfindens gemessen. Da lieû sich das braucht doch auch keine Angst vor der Ver-
Volk auch durch den Terror 9/11 in New wanzung der Wohnung, vor der Videoçber-
York nicht groû bange machen. wachung auf dem Rathausplatz, dem Trojaner
im PC, vor der Speicherung seiner DNA und
Aber wo kåmen wir denn hin, wenn sich der verdachtsunabhångigen Personenkontrol-
das Volk zu sicher fçhlte, seiner Polizei in le am Bahnhof zu haben.

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Von solch jahrelangem Beschall mçrbe ge- Henning van den Brink ´
worden, sind inzwischen groûe Teile der Be-
vælkerung bereit, diesem Drången nachzuge-
Andr Kaiser
ben. Andererseits machen sie die Erfahrung,
dass die Sicherheits- und Ordnungslage in
ihrem sozialen Nahraum nicht ganz ihren
Wçnschen entspricht. Es ist wohl nicht eine
Kommunale
richtige Kriminalitåtsfurcht, aber doch mehr
als ein Unwohlsein, das sich beim Anblick
von Graffiti an Håuserwånden, von Gruppen
Sicherheitspolitik
obdachloser und Alkohol trinkender Men-
schen am Marktplatz, von nach dem Disko-
besuch laut streitenden Jugendlichen oder
zwischen Expan-
dumpf pæbelnden Neonazis einstellt. Droht
auch dieses Rosshaar zu reiûen, und enthaup-
tet uns dann das Damoklesschwert?
sion, Delegation
Kann der Staat uns denn schçtzen? Gibt es
hinreichend Polizeikråfte? Wie kænnen wir
und Kooperation
uns der Bedrohung erwehren? ± fragen viele.
Und mit der liberal-konservativen Programm-
aussage ¹Privat vor Staatª im Kopf wird zu-
nehmend die Hilfe bei der Sicherheitswirt-
D ie Gewåhrleistung innerer Sicherheit
steht im Zentrum des politischen
Selbstverståndnisses des modernen Staates.
schaft gesucht ± und zum Teil gefunden.
Es gehært zu dessen
Schwarze Sheriffs in der Fuûgångerzone und
Kerngeschåft, eine Henning van den Brink
im Wohnviertel, geleaste Kaufhausdetektive,
objektiv stabile und geb. 1975; wissenschaftlicher
aufgeschaltete Einbruchsmeldeanlagen oder
subjektiv als stabil Mitarbeiter am Institut für
auch der Bodyguard fçr den Manager sind
wahrgenommene so- Soziologie der Universität
Teile eines expandierenden Marktes, der in-
ziale Ordnung zu ga- Duisburg-Essen, Forsthaus-
zwischen mehr Personen umfasst als die Poli-
rantieren. Die Siche- weg 2, 47048 Duisburg.
zei. Teilweise sind die ¹Securitiesª gar çber
rung des Gemein- henning.vandenbrink@uni-
Private-public-partnerships in die Gewåhrung
wesens gegençber due.de
der æffentlichen Sicherheit eingebunden.
inneren und åuûeren
Bedrohungen als Ziel Andr Kaiser
Beide Tendenzen ± sowohl die Aufrçstung
des Regierens war Dr. phil., geb. 1960; Professor
des Staates als auch die Privatisierung von Si-
von grundlegender für Vergleichende Politikwissen-
cherheit ± sollten uns unter dem Aspekt des
Bedeutung bei der schaft am Forschungsinstitut für
Rechtsstaates nachdenklich machen. Die Bçr-
Herausbildung des Politische Wissenschaft und
ger haben mit dem Verzicht auf die ¹Macht
Nationalstaates. Inne- Europäische Fragen der Univer-
des Stårkerenª und das alte Prinzip der Rache
re Sicherheit spielte sität zu Köln, Postfach 41 10 20,
dem Staat das Gewaltmonopol çbertragen.
als politischer Begriff 50870 Köln.
Hierdurch sollen die individuellen und kol-
auch eine maûgebli- andre.kaiser@uni-koeln.de
lektiven Persænlichkeits- und Freiheitsrechte
che Rolle bei der
gesichert werden. Diese Aufgabe ist eine zen-
Formierung der bçr-
trale Pflicht des Staates. Sicherheit darf weder
gerlichen Gesellschaft und fand bereits Ein-
ein kåufliches ± und damit sozial ungleich
gang in die franzæsische Verfassung von
verteiltes ± Gut sein, noch darf die Betonung
1793. Thomas Hobbes machte die Læsung
der Sicherheit dazu fçhren, das einzuschrån-
des Sicherheitsproblems im ¹Naturzustandª
ken, was gesichert werden soll: die Freiheit.
zum Prçfstein fçr die Frage nach der Herr-
schaftslegitimation. 1 Allein das Versprechen,
eine ¹æffentliche Ordnungª dauerhaft auf-
rechtzuerhalten, verhalf dem Leviathan zu
1 Vgl. Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form

und Gewalt eines bçrgerlichen und kirchlichen Staates


(hrsg. von Iring Fetscher), Neuwied ± Berlin 1966.

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seiner Geburt und sicherte ihm das ¹Mono- ihrer eigenen Logik folgen und nicht den
pol legitimer physischer Gewaltsamkeitª. 2 Vorgaben der staatlichen Direktiven.ª 8 Die
Die sicherheitspolitische Gewåhrleistung in- Steuerungsfåhigkeit im Sinne eines unbe-
dividueller Handlungsfreiheit blieb auch fçr schrånkten Zugriffs des Staates auf die gesell-
die nachfolgenden liberalen Vertragstheoreti- schaftlichen Akteure, Teilsysteme und Pro-
ker von John Locke bis Immanuel Kant ein zesse nimmt ab. 9 Dieser neue politische
zentrales Motiv fçr die Rechtfertigung der Steuerungsmodus macht den Einsatz neuer
Ausçbung staatlichen Zwangs. 3 Die Aus- Anreiz-, Regulierungs- und Interventionsin-
weitung dieser Legitimationsfigur auf den strumente erforderlich.
Bereich der sozialen Sicherheit vollzog sich
erst mit einigem Abstand. 4 Dementsprechend ist die gegenwårtige Si-
tuation gekennzeichnet durch eine Neu- und
Die Ûbertragung von Sicherheitsaufgaben Umverteilung staatlicher Sicherheitsaufgaben.
an halbstaatliche und private Akteure ist Ohne dass sich der Staat aus dem Prozess der
daher ein qualitativ anderer Vorgang als der in Herstellung von Sicherheit und Sicherheitsge-
vielen Politikfeldern der modernen Daseins- fçhl vællig zurçckzieht, çbertrågt er doch zu-
fçrsorge ± etwa der Sozial- und Wirtschafts- nehmend Aufgaben an private Unternehmen,
politik ± zu beobachtende Wandel von einem Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Ver-
hierarchischen Steuerungs- zu einem koopera- bånde und Vereine. Auch die Medien und die
tiven Netzwerkmodus, in dem der Staat sich Bçrgerinnen und Bçrger sind långst nicht
auf Regulierungsaufgaben konzentriert. 5 mehr bloûe ¹Resonanzkærperª eines gesell-
Gleichwohl scheint sich im Politikfeld Innere schaftlichen Sicherheitsdiskurses, sondern
Sicherheit eine åhnliche Entwicklung hin zu aktiv gestaltende Akteure, die ± bewusst und
kooperativen Strukturen anzubahnen, und die unbewusst ± in den Prozess der Sicherheitsge-
Entstaatlichung von Sicherheitsaufgaben wird wåhrleistung eingreifen. 10 Dadurch veråndert
offenbar mit åhnlichen Effektivitåts- und Effi- sich der Kontrollmodus çber und die Verant-
zienzargumenten begrçndet. 6 Politik kann im wortung fçr die Bereitstellung und Erbrin-
Zeichen des Ûbergangs vom Interventions- gung von Sicherheitsleistungen. Sich wechsel-
staat zum kooperativen Staat nicht mehr als seitig beeinflussende Prozesse der De-, Re-
Entscheidung dazu befugter staatlicher Ak- und Neuregulierung vollziehen sich mit un-
teure betrachtet werden, sondern muss aus der terschiedlichen Vorzeichen, in unterschiedli-
Interaktion zahlreicher Beteiligter aus Staat che Richtungen, mit unterschiedlicher
und Gesellschaft heraus rekonstruiert wer- Geschwindigkeit und mit unterschiedlichen
den. 7 ¹Das politische System, zugespitzt: die Auswirkungen auf die einzelnen gesellschaft-
Regierung, ist keineswegs das souveråne lichen Funktionssysteme und das Gesamt-
Steuerungszentrum, das von oben her und auf system.
direkte Weise die Geschicke der Gesellschaft
lenkt. Das politische System wird vielmehr Vieles von dem kann zum gegenwårtigen
von einer Fçlle von Institutionen, Organisa- Zeitpunkt noch nicht eindeutig identifiziert
tionen und Funktionssystemen begrenzt, die und interpretiert werden. Und wo Diagno-
sen schon schwierig zu stellen sind, lassen
2 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss sich Prognosen bekanntlich noch schwieriger
der verstehenden Soziologie, Tçbingen 19805, S. 822.
3 Vgl. Wolfgang Kersting, Der groûe Mensch und das 8 Helmut Kænig, Orientierung Politikwissenschaft.

kleine Gemeinwesen. Der Begriff der Person in der Was sie kann, was sie will, Reinbek 1999, S. 23.
politischen Philosophie, in: Dieter Sturma (Hrsg.), 9 Vgl. Edgar Grande, Vom Nationalstaat zum trans-

Person, Paderborn 2001, S. 401 ±443. nationalen Politikregime ± Staatliche Steuerungsfåhig-


4 Vgl. John Rawls, A Theory of Justice, Cambridge keit im Zeitalter der Globalisierung, in: Ulrich Beck/
1971; ders., Political Liberalism, New York 1993. Christian Lau (Hrsg.), Entgrenzung und Entschei-
5 Siehe den Beitrag von Thomas Feltes und Peter dung, Frankfurt/M. 2004, S. 384±401; David Held,
Stegmaier in diesem Heft. Regulating Globalization? The Reinvention of Politics,
6 Vgl. Hans-Jçrgen Lange (Hrsg.), Staat, Demokratie in: International Sociology, 15 (2000) 2, S. 394 ±408;
und Innere Sicherheit in Deutschland, Opladen 2000. Fritz W. Scharpf/Vivien A. Schmidt (Hrsg.), Welfare
7 Vgl. Fritz W. Scharpf, Interaktionsformen. Akteur- and Work in the Open Economy, Vol. 2, Oxford 2000;
zentrierter Institutionalismus in der Politikforschung, Linda Weiss, The Myth of the Powerless State ± Go-
Opladen 2000; Rçdiger Voigt (Hrsg.), Der kooperative verning the Economy in a Global Era, Cambridge
Staat. Krisenbewåltigung durch Verhandlung?, Baden- 1998.
Baden 1995. 10 Siehe den Beitrag von Jo Reichertz in diesem Heft.

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abgeben. Aus der Vielzahl der unterschiedli- etwas entgegensetzen zu kænnen. 12 Diese
chen Entwicklungen sollen hier diejenigen Diskussion erhielt durch die Terroranschlåge
herausgegriffen und nåher beleuchtet werden, am 11. September 2001 in New York und Wa-
die am ehesten als Vorboten eines sich ab- shington freilich eine vællig neue Dimension.
zeichnenden Paradigmenwechsels betrachtet Die Symbolkraft dieses Terroraktes reichte
werden kænnen. In diesem Beitrag soll es aus, um damit weit reichende Verånderungen
weniger darum gehen, ein Gesamtbild dieser der Sicherheitspolitik zu legitimieren. 13
Verånderungs- und Anpassungsprozesse zu
zeichnen als vielmehr darum, die Vielschich- Die aus rechtsstaatlichen Grçnden gezoge-
tigkeit, Verflochtenheit und Dynamik der mo- nen und institutionell abgesicherten Grenzen
mentan ablaufenden Umwålzungen zu skiz- zwischen Bundes- und Landespolizei, Verfas-
zieren und Verbindungslinien zu ziehen. Es sungsschutz und Geheimdienst werden mit
soll gezeigt werden, dass sich die Prozesse der dem gleichen Argumentationsmuster aufge-
Delegation, Expansion und Kooperation, die weicht, um den inter- und intrainstitutionel-
die aktuelle Sicherheitspolitik maûgeblich len Informations- und Datenaustausch zu
kennzeichnen, sich ihrerseits wiederum inner- verbessern und zu verstetigen. Diese sprich-
halb einer zum Teil diffusen und ambivalenten wærtliche Entgrenzung der Sicherheitskate-
Gemengelage von unterschiedlichen Entwick- gorien fçhrt dazu, dass zwischen nach Kom-
lungen vollziehen. petenzen separierten Staatsaufgaben und Ein-
griffsmaûståben nicht mehr trennscharf
unterschieden wird. In der æffentlichen De-
Expansion: Zwischen Entgrenzung und batte taucht der Begriff der ¹erweiterten Si-
cherheitª, hinter dem sich eine Entgrenzung
Entstrukturierung des militårischen Rollenverståndnisses ver-
steckt, immer håufiger auf. Es wird darçber
Nach dem Fall des Eisernen Vorhanges und
diskutiert, ob das Militår zu Kampfhandlun-
der Berliner Mauer ist das politische Hand-
gen, die nicht mit der Landesverteidigung,
lungsfeld der inneren Sicherheit unzweifelhaft
ihren Pflichten innerhalb des NATO-Bçnd-
in ± teils hektisch-hysterische ± Bewegung ge-
nisses oder der UNO-Mitgliedschaft in Zu-
raten. Denn damit verbunden verschwanden
sammenhang stehen, ebenso eingesetzt wer-
auch alte politische Feindbilder und institutio-
den soll wie zur Unterstçtzung von Polizei-
nelle Selbstverståndnisse. Militår und Ge-
maûnahmen bei Groûereignissen wie der
heimdienste mussten sich nach jahrzehntelang
Fuûball-WM 2006. Dieser normativ und poli-
feststehender Aufgabenbeschreibung plætz-
tisch-psychologisch aufgeladene Begriff steht
lich vællig neu orientieren. Gleichzeitig galt es,
stellvertretend dafçr, dass im Sicherheitsdis-
sich auf neue Bedrohungen einzustellen, die
kurs unterschiedliche Bedrohungspotenziale
mit der politischen und ækonomischen Úff-
wie Terrorismus, Umweltkatastrophen, orga-
nung der Grenzen nach dem Kalten Krieg auf
nisierte Kriminalitåt oder politischer Radika-
den Nationalstaat zukamen und sich parallel
lismus miteinander vermengt und primår mit
zum rasanten Tempo der einsetzenden Glo-
sicherheitspolitischen ± und nicht etwa mit
balisierung ausbreiteten. Wie die westliche
entwicklungs-, umwelt-, wirtschafts- oder so-
Wirtschaft, die sich neue Vertriebswege, Pro-
zialpolitischen ± Forderungen und Ansprç-
duktionsståtten, Absatz- und Kapitalmårkte
chen verknçpft werden.
vorwiegend im osteuropåischen und sçdost-
asiatischen Raum erschloss, globalisierte sich
Wie hilflos der Staat aber tatsåchlich gegen-
auch das Verbrechen. 11
çber diesen neuen, netzwerkartig operieren-
Und so scheinen die einst getrennten Berei-
12 Vgl. Patricia Bauer, Die politische Entgrenzung von
che der inneren und åuûeren Sicherheit mit-
einander zu verschmelzen, um ± so die politi- Innerer und Øuûerer Sicherheit nach dem 11. Septem-
ber 2001, in: Gisbert van Elsbergen (Hrsg.), Wachen,
sche Argumentation ± dem international agie- kontrollieren, patrouillieren ± Kustodialisierung der
renden Terrorismus und Schwarzhandel Inneren Sicherheit, Wiesbaden 2004, S. 49 ±73; Jærg
Callieû (Hrsg.), Die Verflochtenheit von åuûerer und
11 Vgl. Moises Naim, Das Schwarzbuch des globa- innerer Sicherheit, Rehburg ± Loccum 2003.
lisierten Verbrechens. Drogen, Waffen, Menschen- 13 Vgl. Ronald Hitzler/Jo Reichertz (Hrsg.), Irritierte

handel, Geldwåsche, Markenpiraterie, Mçnchen ± Ordnung. Die gesellschaftliche Verarbeitung von


Zçrich 2005. Terror, Konstanz 2003.

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den und flaggenlosen nichtstaatlichen Fein- rung der inneren Sicherheit ist somit Motor
den ist, zeigt die Reaktion der Weltmacht einer ¹Entstrukturierung und Extensivierung
USA, die sich ungeachtet dieser Kenntnisse kriminalistischer Verhaltenskontrolleª. 19
fçr einen Krieg gegen Nationalstaaten ent-
schied. 14 Dieser Krieg ± von Abu Ghraib bis
Guant—namo ± macht auch deutlich, welche
Delegation: Zwischen Kommunalisierung
gewaltige legitimatorische Kraft 9/11 inne- und Kommunitarisierung
wohnt und dass diese Kraft ebenso stark an
den Grundfesten der Werte zu rçtteln ver- Die Verånderungen im Politikfeld Innere Si-
mag, auf denen demokratische Gesellschaften cherheit spåtestens seit 9/11 lassen sich auch
fuûen, wie deren Feinde. Paradoxerweise als ¹Re-Organisationª fassen. 20 Sie ist vor
werden die drastischen Abwehrmaûnahmen allem dadurch gekennzeichnet, dass es zu
gegen die Terrorgefahr nicht nur als Beweis Verschiebungen und Verabschiedungen von
fçr die vermeintliche Bedrohung von auûen staatlicher Verantwortung und Zuståndigkeit
angefçhrt, wie der Schriftsteller Peter Schnei- kommt.
der kritisiert, 15 sondern auch fçr die Gefåhr-
dung der Demokratien im Innern. 16 Ein wesentlicher Bestandteil dieser Re-Or-
ganisation ist die Re-Kommunalisierung der
Bei der Bereitstellung von Sicherheitsleis- Polizeiarbeit. 21 Die Polizei als zentraler Ak-
tungen rçckt ± neben den erwåhnten Kosten- teur im Politikfeld der inneren Sicherheit be-
Nutzen-Ûberlegungen ± auch die Notwen- findet sich in einem tiefgreifenden Wandel.
digkeit einer Erweiterung der staatlichen Das Zielspektrum polizeilicher Tåtigkeit um-
Kontroll- und Ûberwachungsfunktionen fasst nicht mehr nur Strafverfolgung und Ge-
wieder stårker in den Vordergrund. Dabei fahrenabwehr ± als die klassischen Aufgaben-
låsst sich nicht nur eine intensivierte Anwen- felder der Polizei ±, sondern zunehmend auch
dung des traditionellen Instrumentariums des Kriminalpråvention und Sicherheitsgefçhl
Staates konstatieren, sondern auch eine Ex- der Bevælkerung. Die Gewåhrleistung von Si-
tensivierung der Ûberwachung und Kontrolle cherheit wird immer mehr als Dienstleistung
durch ¹Kustodialisierungª. 17 Dieser Begriff und damit einhergehend immer weniger als
fasst die Einfçhrung und Etablierung neuarti- hoheitliche Aufgabe verstanden. Dazu gehæ-
ger Formen der inneren Sicherheit zwischen ren neue, lokal orientierte Service- und Mo-
klassischer Polizeiarbeit und sozialer Kon- derationsfunktionen, die die Polizei çber-
trolle zusammen, die das herkæmmliche, nimmt, um zum Beispiel bei den steigenden
rechtlich verankerte Gefçge des staatlichen Nutzungs- und Kulturkonflikten im æffentli-
Gewaltmonopols aufbrechen und entstruktu- chen Raum deeskalierend eingreifen und ver-
rieren. Die neuen Verbindungen von staat- mitteln zu kænnen. Zeugen dieser Entwick-
lich-æffentlichen, privatwirtschaftlichen und lung sind auch die zahlreichen Pråventions-
kommunitåren Institutionen ergeben eine Al-
lianz aus Sicherheitsherrschaft und Lebens- 19 Vgl. Detlev Frehsee, Entstrukturierung und Ex-

formkontrolle. 18 Sind die einzelnen Verbin- tensivierung kriminalistischer Verhaltenskontrolle, in:


Hubert Rottleuthner (Hrsg.), Armer Rechtsstaat, Ba-
dungen noch konkret erlebbar, ist die Ge-
den-Baden 2000.
samtheit aufgrund der Vielzahl der Konzepte 20 Werner Lehne, Pråventionsråte, Stadtteilforen,
und der Vielfalt der Institutionalisierung Sicherheitspartnerschaften. Die Reorganisation des
kaum fassbar und damit rechtlich und poli- Politikfelds ¹Innere Sicherheitª, in: Trutz von Trotha
tisch weniger angreifbar. Die Kustodialisie- (Hrsg.), Politischer Wandel, Gesellschaft und Krimi-
nalitåtsdiskurse, Baden-Baden 1996, S. 299±319.
21 Vgl. Peter Nitschke, Rekommunalisierung der Po-
14 Vgl. M. Naim (Anm. 11), S. 343. lizei? Chancen und Probleme fçr die postmoderne
15 Vgl. Peter Schneider, Kultur der Angst, in: Die Zeit plurale Gesellschaft, in: Fritz Sack/Michael Voss/Det-
vom 24. 2. 2005, S. 47. lev Frehsee/Albrecht Funk/Herbert Reinke (Hrsg.),
16 Vgl. Michael Ignatieff, Das kleinere Ûbel. Politische Privatisierung staatlicher Kontrolle ± Befunde, Kon-
Moral in einem Zeitalter des Terrors, Berlin 2005. zepte, Tendenzen, Baden-Baden 1995, S. 261 ±274;
17 G. van Elsbergen (Anm. 12). Rafael Behr, Rekommunalisierung von Polizeiarbeit:
18 Vgl. Trutz von Trotha, Ordnungsformen der Ge- Rçckzug oder Dislokation des Gewaltmonopols?
walt oder Aussichten auf das Ende des staatlichen Ge- Skizzen zur reflexiven Praxisflucht der Polizei, in:
waltmonopols, in: Brigitta Nedelmann (Hrsg.), Politi- Rainer Pråtorius (Hrsg.), Wachsam und kooperativ?
sche Institutionen im Wandel, Opladen 1995, S. 129± Der lokale Staat als Sicherheitsproduzent, Baden-Ba-
166. den 2002, S. 90±107.

APuZ 12/2007 7
projekte, die auf Initiative der Polizei hin ent- duktionsmodus ¹Sicherheiten statt Sicher-
standen sind. Die Themen reichen von der heitª durch eine forcierte kommunale Einbin-
Drogenaufklårung çber die Jugendgewalt bis dung immer weiter annåhert. 23 So wie die
zum Stådtebau. All diese neuen Tåtigkeitsfel- Groûstådte sich in ihren finanziellen Gestal-
der haben einen deutlichen lokalen Zuschnitt. tungsmæglichkeiten immer stårker voneinan-
In Anlehnung an neue Dezentralisierungs- der unterscheiden und die intra- und inter-
und Steuerungskonzepte wie New Public kommunale sozioækonomische Polarisierung
Management, die die æffentliche Verwaltung weiter voranschreitet (Dçsseldorf versus
in den vergangenen Jahren erfasst haben, hat Duisburg, Kæln-Chorweiler versus Kæln-Ma-
auch die Polizei in jçngster Zeit wieder ver- rienburg), entwickeln sich ± håufig entlang
stårkt Entscheidungskompetenzen auf die dieser Grenzen ± unterschiedlich sichere Råu-
Kreispolizeibehærden çbertragen. 22 me. 24

Auch die Kommune als Ort der politischen Weiterhin ist auffållig, dass der Diskurs
Entscheidung und des unmittelbaren Umset- çber die Deregulierungsstrategien sowohl mit
zungsbezuges erfåhrt bei der Erledigung von den neoliberalen Diskursen zur individuellen
Sicherheitsaufgaben eine vællig neue Bedeu- Eigenverantwortung der Bçrgerinnen und
tung. Das Bewusstsein, dass die Polizei als al- Bçrger fçr ihren Selbstschutz und zur Entlas-
leiniger Akteur sowohl im Hinblick auf die tung von traditionellen Ansprçchen an den
ihr tatsåchlich zugewiesenen Aufgaben als Staat verbunden wird als auch mit den kom-
auch bezçglich ihrer rechtsstaatlich veranker- munitaristischen Diskursen nach sozialer
ten Handlungschancen çberfordert ist, schuf Gerechtigkeit und gemeinschaftsbezogener
die Voraussetzungen fçr eine (Neu-)Etablie- Verantwortung. Kriminalitåt und die zur Ver-
rung kommunaler Sicherheitspolitik. In den unsicherung der Bçrgerschaft ebenfalls bei-
Groûstådten als den verdichteten Råumen so- tragenden, aber unterhalb der Strafbar-
zialen Wandels wird dieser Vorgang beson- keitsgrenze liegenden Unzivilisiertheiten des
ders sichtbar. Hier ist der sicherheits- und tåglichen Umgangs miteinander im æffentli-
ordnungspolitische Handlungsbedarf konti- chen Raum werden von den Kommunitaris-
nuierlich angestiegen, und es lastet ein græûe- ten auch als Folge von Entsolidarisierung,
rer Problemdruck hinsichtlich der Bekåmp- Werteverfall, Legitimations- und Sinnkrisen
fung und Vorbeugung von Kriminalitåt und gewertet. Die Rçckbesinnung auf die Bedeu-
Kriminalitåtsfurcht auf den Entscheidungs- tung und den Wert der Gemeinschaft ist
trågern als in Mittel- und Kleinstådten. Allein das zentrale Anliegen des Kommunitarismus,
aufgrund des Umfangs der Aufgaben existie- der fçr die Ûberwindung der Krise auf eine
ren zudem viel mehr Anknçpfungspunkte fçr gemeinwohlorientierte Politik und auf
Um- und Neuregulationen. Im Wettbewerb die Selbstheilungskråfte der ¹Communityª
um finanzkråftige Bçrger und Investoren, auf setzt. 25 Forderungen nach mehr bçrgerli-
welche die Kommunen angewiesen sind, ge- chem Engagement und der Stårkung der Zi-
winnt der Standortfaktor der æffentlichen Si- vilgesellschaft gehen einher mit solchen nach
cherheit und Ordnung an Stellenwert. Ausga- Dezentralisierung staatlicher Aufgaben, um
ben fçr die æffentliche Sicherheit und Ord- die Anonymitåt des administrativ-bçrokrati-
nung werden als notwendige Investitionen schen Systems zu brechen und lokale Ge-
fçr die Attraktivitåtssteigerung und Image- meinschaften und direkte Demokratie zu fær-
pflege der Stadt verstanden. Die kommunale
Sicherheitspolitik wird Teil einer postmoder-
23 Rainer Pråtorius, Lokaler Staat und æffentliche Si-
nen Standortpolitik.
cherheit, in: ders. (Hrsg.), Wachsam und kooperativ?
Der lokale Staat als Sicherheitsproduzent, Baden-Ba-
Somit ist unschwer zu erkennen, dass die den 2002, S. 7±21 (13).
Herstellung von Sicherheit in zunehmendem 24 Siehe den Beitrag von Herbert Schubert, Holger

Maûe lokal kontextabhångig wird. Das bedeu- Spieckermann und Katja Veil in diesem Heft.
tet, dass sich die polizeiliche Arbeit dem Pro- 25 Vgl. Amitai Etzioni, Die Entdeckung des Gemein-

wesens. Ansprçche, Verantwortlichkeiten und das


Programm des Kommunitarismus, Stuttgart 1995;
22 Vgl. Hans-Jçrgen Lange/Jean-Claude Schenck Hartmut Rosa, Integration, Konflikt und Entfremdung
(Hrsg.), Polizei im kooperativen Staat. Verwaltungsre- ± Die Perspektive des Kommunitarismus, in: Hans-
form und Neue Steuerung in der Sicherheits- Joachim Giegel (Hrsg.), Konflikt in modernen Gesell-
verwaltung, Wiesbaden 2004. schaften, Frankfurt/M. 1998, S. 202 ±244.

8 APuZ 12/2007
dern. Kommunitaristische Ideen bekommen bemçht, die Koordination der Maûnahmen
bei der ¹Rçckeroberung der Allmendeª 26 und die Verflechtung der Akteure gezielt vor-
wieder Aufwind und schlagen sich in zahlrei- anzutreiben, und wandelt sich so zu einer
chen Konzepten kommunaler Sicherheit nie- aktiv vermittelnden Instanz zwischen Staat
der. und Bçrger. Damit steht auch die Vorstellung
von traditionellen Ressortgrenzen innerhalb
Kooperation: Zwischen Verflechtung der Verwaltung und vom klassischen Rollen-
verhåltnis Bçrger-Staat zunehmend zur Dis-
und Vereinnahmung position.
Ûber die Appelle an die Selbst- und Mitver- Fçr den Bereich der kommunalen Sicher-
antwortung der Bçrgerinnen und Bçrger hin- heit ist das amerikanische Konzept des ¹com-
aus werden diese vermehrt als Co-Produzen- munity policingª Vorbild fçr diesen Wandel.
ten bei der staatlichen Erbringung von Sicher- Um der steigenden Kriminalitåt und Krimi-
heit herangezogen. Die eher konservativ nalitåtsfurcht effizient und pråventiv begeg-
geprågte bayrische ¹Sicherheitswachtª und nen zu kænnen, ist ± so der Kern von ¹com-
die eher kommunitaristisch geprågte bran- munity policingª ± eine zielgerichtete Co-
denburgische ¹Sicherheitspartnerschaftª sind Produktion von Sicherheit durch gezielte Ko-
zwei Modelle, die ± wie schon am Namen operation der Polizei mit der Bçrgerschaft,
deutlich wird ± unterschiedliche Formen der aber auch mit der Kommunalverwaltung not-
Bçrgereinbindung realisieren. Wåhrend dem wendig. Neben den Sicherheitspartnerschaf-
Sicherheitswåchter, der als ¹Hilfspolizistª ten haben sich zwischen Polizei und
weisungsgebunden ist, lediglich ein institutio- Ordnungsamt ± allein in Nordrhein-Westfa-
nell-eingekapselter Handlungsrahmen zur len inzwischen rund 1 000 ± ¹Ordnungspart-
Verfçgung steht, kann der Sicherheitspartner, nerschaftenª gebildet, die sich gegenseitig
der ohne Anbindung an die Polizei und das çber Vorfålle informieren, ihre Maûnahmen
Legalitåtsprinzip autonom agieren kann, in- abstimmen und gemeinsame Aktionen planen
termediår-vielgestaltig aktiv werden. 27 und durchfçhren.
In Deutschland spielt die Beteiligung der Auch diese Entwicklung ist Teil der Re-
Bçrgerinnen und Bçrger an der Sicherheits- Organisation des Politikfeldes Innere Sicher-
bereitstellung jedoch eine eher untergeord- heit. Vor dem Hintergrund der schrecklichen
nete Rolle. Dafçr rçckt die Kooperation der Erfahrungen des Dritten Reiches, wo Gesta-
einzelnen Akteure immer stårker ins Blick- po, Polizei, SS, SA und Wehrmacht eine ver-
feld. Sie ist kein Nebenprodukt, sondern viel- heerende Symbiose eingingen, nahmen die
fach intendierte Folge von Delegationsmaû- Alliierten im Zuge des Wiederaufbaus von
nahmen, die damit die durch die Entregulie- Deutschland eine ¹Gewaltenteilung in der Si-
rung aufgerissene Lçcke wieder schlieût. So cherheitsverwaltungª vor. 28 Ebenso wie sie
sind im Laufe der vergangenen Jahre zahlrei- polizeiliche und nachrichtendienstliche Si-
che Kooperationsmodelle in die Praxis umge- cherheitsaufgaben trennten, entzogen sie den
setzt worden ± von Bundesland zu Bundes- Stådten die Zuståndigkeit fçr polizeiliche An-
land, von Kommune zu Kommune mit sehr gelegenheiten ± wåhrend die Ordnungsbehær-
unterschiedlichem Konzept und Erfolg. Das den weiterhin in kommunaler Hand blieben ±
Kooperationsprinzip ist inzwischen zur und verlagerten sie auf die Ebene der Bundes-
neuen Leitlinie kommunalen Verwaltungs- lånder. Die damalige Trennung von Polizei-
handelns avanciert. Die Stadtverwaltung ist und Ordnungsbehærden fçhrte dazu, dass
26 Uwe Volkmann, Die Rçckeroberung der Allmende,
ihre Zusammenarbeit fortan nicht mehr
in: Neue Zeitschrift fçr Verwaltungsrecht, 19 (2000) 4, eine intrabehærdliche Kooperation, sondern
S. 361 ±368. Amtshilfe çber Behærdengrenzen hinweg
27 Vgl. Jens Wurtzbacher, Sicherheit durch Gemein- darstellte. Zur effizienteren Problembearbei-
schaft? Bçrgerschaftliches Engagement fçr æffentliche tung und -bewåltigung sind diese Ressort-
Sicherheit. Opladen 2004; Ronald Hitzler, Der in die grenzen durchlåssig geworden, was von Poli-
Polizeiarbeit eingebundene Bçrger. Zur symbolischen
Politik mit der bayerischen Sicherheitswacht, in: Jo
Reichertz/Norbert Schræer (Hrsg.), Qualitåten poli- 28 Christoph Gusy/Gerhard Nitz, Vom Legitima-

zeilichen Handelns. Studien zu einer verstehenden tionswandel staatlicher Sicherheitsfunktionen, in:


Polizeiforschung, Opladen 1996, S. 30 ±47. Hans-Jçrgen Lange (Anm. 6) S. 335 ±354, hier S. 347.

APuZ 12/2007 9
tik, Verwaltung und Wissenschaft nicht nur kurs ist deshalb auch besonders anfållig fçr
positiv, sondern durchaus kritisch gesehen politische Vereinnahmungen, weil er sowohl
wird. durch Anlehnung als auch durch Abgrenzung
zu medial wirksamen ¹law and orderª-Per-
Eine Schlçsselrolle innerhalb der kommu- spektiven erfolgreich genutzt und bestimmt
nalen Sicherheitspolitik nehmen kommunale werden kann, wie der Wahlerfolg der Schill-
Pråventionsgremien ein, in denen die Akteure Partei in Hamburg vor Augen fçhrte. 32
ihre Maûnahmen abstimmen und bçndeln, in
denen ¹kurze Dienstwegeª gefunden und ge- Fazit: Fortschreitende Hybridisierung
nutzt werden, in denen aber auch alte kon-
kurrierende Arrangements und institutionelle staatlicher und privater Sicherheitspolitik
Ressentiments fortbestehen und sich neue
Asymmetrien in den Kooperationsbeziehun- Innere Sicherheit kann somit durchaus als
gen und bei der Problemdefinition und -læ- eine im stetigen Wachsen und Wandel befind-
sung einstellen kænnen. 29 Trotzdem ziehen liche Hybride angesehen werden. Bei der
die Akteure aus diesem Netzwerk persænli- Produktion und Gewåhrleistung von Sicher-
cher Bekanntschaften innerhalb eines Kreises heit wirken in den vergangenen Jahren immer
von Einfluss- und Entscheidungstrågern in mehr Akteure mit. Die Grenze zwischen æf-
der kommunalen Behærden- und Verbånde- fentlichen und privaten, staatlichen und ge-
struktur soziales Kapital, das sie als Ressour- sellschaftlichen Tåtigkeitsfeldern wird durch-
ce im Alltagsgeschåft des Verwaltens einset- låssiger. Prozesse von De- und Neuregu-
zen kænnen. lierung sind ebenso zu beobachten wie
Steuerungsversuche von oben nach unten
Diese ¹innerbçrokratischen Konsultations- neben solchen in umgekehrter Richtung. Das
gremienª, die die institutionalisierte Ord- Produkt des teils kollektiven, teils separaten
nungsidee der kommunalen Kriminalprå- Zusammenwirkens von privater und staat-
vention repråsentieren, sind ± wie auch die licher Seite stellt immer mehr das dar, was
meisten anderen genannten pråventiven zuvor als Kernaufgabe des hoheitlichen Staa-
Institutionen ± mit politischer Symbolik auf- tes betrachtet wurde.
geladen. 30 Die politischen Akteure wollen
mit der Einrichtung und Etablierung von Es ist allerdings fraglich, ob durch das Zu-
kommunalen Pråventionsgremien håufig sammenfçgen der hier nur kursorisch aufge-
ihren Handlungswillen, ihre Handlungsfåhig- zåhlten Doppel- und Mehrfachlæsungen fçr
keit und ihre Handlungskompetenz signali- die gleiche Funktion (nåmlich Sicherheit) tat-
sieren, etwas gegen die Kriminalitåt, vor såchlich mehr erwçnschte als unerwçnschte
allem aber gegen die Kriminalitåtsfurcht der Innovationen hervorgebracht werden. Frag-
Bevælkerung zu tun. 31 Ebenso håufig werden lich ist auch, wie die verstårkte und neuartige
diese pråventiven Einrichtungen, die in der Pråsenz des Nationalstaates trotz seiner of-
Mehrzahl eine starke Selektivitåt und Exklu- fensichtlich abnehmenden Steuerungsfåhig-
sivitåt hinsichtlich ihrer personellen Zusam- keit zu interpretieren ist. Ist er nur noch ein
mensetzung und inhaltlichen Themenauswahl Akteur unter vielen, ist er immer noch der
aufweisen, als Foren der kommunalpoliti- zentrale Akteur oder vielleicht eine Art
schen Artikulation missbraucht und verein- ¹Dompteurª eines Netzwerks von Akteuren?
nahmt. Der Kriminalitåts- und der daran ge- Oder spiegelt sich darin bereits der ¹Trend
koppelte Pråventions- und Interventionsdis- von der staatlichen Gesellschaftsstabilisierung
zur staatlich garantierten gesellschaftlichen
29 Vgl. Henning van den Brink, Kommunale Krimi-
Selbststabilisierungª 33 wider?
nalpråvention. Mehr Sicherheit in der Stadt? Eine qua-
litative Studie çber kommunale Pråventionsgremien, Eine Beantwortung solcher Fragen ist der-
Frankfurt/M. 2005; Stefan Hornbostel, Die Konstruk- zeit schwierig und allenfalls vorlåufig. Die
tion von Unsicherheitslagen durch kommunale Prå-
ventionsråte, in: Ronald Hitzler/Helge Peters (Hrsg.), 32 Vgl. Frank Berner/Axel Groenemeyer, ¹. . . denn sie

Inszenierung: Innere Sicherheit. Daten und Diskurse, wissen nicht, was sie tunª ± Die Institutionalisierung
Opladen 1998, S. 93 ±111. kommunaler Kriminalpråvention im Kriminalpråven-
30 Vgl. S. Hornbostel (Anm. 29), S. 109; R. Hitzler tiven Rat, in: Soziale Probleme, 11 (2001) 1/2, S. 83±
(Anm. 27), S. 30. 115, hier: S. 107.
31 Vgl. W. Lehne (Anm. 20), S. 308. 33 C. Gusy/G. Nitz (Anm. 28), S. 351.

10 APuZ 12/2007
vielen Verånderungen hinsichtlich der Kom- Lars Normann
munizierung, der Institutionalisierung und
der Legitimierung von innerer Sicherheit
haben dazu gefçhrt, dass die Struktur und Neueste sicher-
heitspolitische
Kultur der Sicherheitsherstellung und -ge-
wåhrleistung neue Formen und Farben ange-
nommen haben. Noch schimmern und schil-

Reformergebnisse
lern diese Formen und Farben sehr unter-
schiedlich und ambivalent, und es sind viele
Unschårfen der Entwicklungsrichtung zu fin-
den. 34

So zeichnet sich etwa im Bereich des Ju-


zur Terror-
gend- und Erwachsenenstrafrechts eine Di-
vergenz zwischen einerseits zunehmender
formeller Kriminalisierung und Strafverschår-
pråvention
fung und andererseits informeller Entkrimi-
nalisierung ab. Bisherige informelle Bezie-
hungen zwischen den Akteuren im Hand-
lungsfeld der inneren Sicherheit werden an
S eit der Epochenzåsur 1989 und dem
damit verbundenen Ende der bipolaren
Welt manifestierten sich zahlreiche Sicher-
einer Stelle institutionalisiert, an anderer Stel- heitslçcken durch einen globalen islamistisch
le entformalisieren sich die Arbeits- und Ko- motivierten Terror. Auf
operationsbeziehungen. Delegationsprozesse diese neuen Herausfor-
kænnen zunåchst einen Verlust von staatlicher derungen war die west- Lars Normann
Kontrolle bedeuten, aber auch neue Koopera- liche Sicherheitspolitik M.A., geb. 1972; Politikwissen-
tionserfordernisse auslæsen, die wiederum der nicht vorbereitet gewe- schaftler, Doktorand
Sicherheitspolitik neue Expansionsmæglich- sen. Dass die mit mo- und Publizist, Schleidener
keiten eræffnen. Die beiden Entwicklungs- dernsten Mitteln asym- Straûe 19, 53121 Bonn.
strånge ± ¹mehr Staatª auf der einen, ¹weni- metrisch kåmpfenden Lars.Normann@web.de.
ger Staatª auf der anderen Seite ± bilden keine jungen Antimodernis-
Gegenpole, sondern ergånzen und verdichten ten auch den europåischen Westen nachhaltig
sich vielmehr zu einer ¹oligopolistisch-prå- gefåhrden, zeigte zuletzt eine aktuelle Statis-
ventiven Sicherheitsordnungª. 35 Oftmals las- tik des Bundeskriminalamtes (BKA), die auf
sen sich bestimmte Entwicklungen gar nicht der BKA-Herbsttagung 2006 bekanntgege-
eindeutig als Expansion, Delegation oder Ko- ben wurde. Danach mussten bis zu diesem
operation identifizieren. Ob nun Kooperati- Zeitpunkt 220 Ermittlungsverfahren mit
on durch Delegation oder Expansion durch einem islamistisch-terroristischen Hinter-
Kooperation ± Kustodialisierung scheint der- grund eingeleitet werden. Die totalitåre Ge-
zeit der Begriff zu sein, mit dem man die ak- fåhrdungslage entwickelte sich somit von
tuelle Umbruchsituation im Politikfeld der einer vormals vom ehemaligen Bundesinnen-
inneren Sicherheit am ehesten adåquat um- minister Otto Schily lediglich als ¹abstraktª
schreiben kænnte. Gerade weil aber ± wie ein- eingestuften zu einer sehr konkreten Gefahr
gangs festgestellt ± die Gewåhrleistung von nun auch fçr die Bundesrepublik Deutsch-
Sicherheit und Freiheit das Kerngeschåft land und das europåische Ausland. Diese
staatlichen Handelns ausmacht, mçssen diese Einschåtzung wird im Ûbrigen durch die bis-
Prozesse mit besonderer Intensitåt und lang bekannt gewordenen Anschlagsversuche
Wachsamkeit verfolgt werden. auf nationale Verkehrseinrichtungen unter-
strichen.

Wie die neuesten Beschlçsse zur Gewalt-


pråvention zeigen, wirkt diese Gefahr nach
34 Vgl. Anja Mensching, Ist Vorbeugen besser als hei-
Meinung des Gesetzgebers auch weiterhin
len?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), (2005) fort. Besonders seit dem Anschlag am 11.
46, S. 17±23; H. van den Brink (Anm. 29), S. 45 ff.
35 T. von Trotha (Anm. 18), S. 154.
Mårz 2004 in Madrid und dem vereitelten An-
schlag im August 2006 auf Passagierflugzeuge
in London, welche fçr die gesamteuropåische

APuZ 12/2007 11
Sicherheitsarchitektur eine Zåsur darstellten, geblichen Entschlçsse verdienen es, unter si-
wurde ein umfassender und beschleunigter si- cherheitspolitischen Gesichtspunkten genau-
cherheitspolitischer Reformprozess eingelei- er beleuchtet zu werden. Kritisch untersucht
tet. Die Versåumnisse einer kohårenten Ein- werden soll in diesem Aufsatz zudem, ob die
wanderungs- und Integrationspolitik werden erweiterten Reformen dem schwerpunktmå-
in diesem Zusammenhang aber nach wie vor ûig diskutierten Trennungsgebot entgegenste-
wenig diskutiert, obwohl sich diese gegenwår- hen, und wie der Datenschutzbeauftragte als
tig als ein massives Zugangsproblem fçr die unabhångige Kontrollinstanz zukçnftig in
Sicherheitsbehærden etwa zu Moscheege- diese Konzeptionen eingebunden ist.
meinden oder so genannten ¹Kulturvereinenª
erweisen. Seitens der Verfassungsschutzbe-
hærden wird nun versucht, diese Zugangsbar- Die ¹Anti-Terror-Dateiª
rieren durch Aufrufe an die muslimische Be-
vælkerung zur Mitarbeit aufzuheben. Aus der Das Terrorismusbekåmpfungsgesetz und die
¹integralistischen muslimischen Parallelge- so genannte ¹Anti-Terror-Dateiª stellen bis-
sellschaftª ergehen nåmlich ± nach Bundes- lang die letzten Reformansåtze innerhalb der
verfassungsschutzpråsident Heinz Fromm ± deutschen Sicherheitsarchitektur dar. Seit den
so gut wie keine Hinweise auf terrorverdåch- Empfehlungen der Innen- und Justizminister
tige Personen oder Netzwerke. 1 Anstatt sich aller EU-Mitglieder im Jahre 1997 ist eine
zunåchst dieser Problemlagen anzunehmen, EU-weite Harmonisierung aller sicherheits-
werden in den Reformdiskussionen der poli- politischen Belange automatisch mitzuden-
tischen Feuilletons Befçrchtungen geåuûert, ken, da sich die Gefåhrdungsråume in diesem
die neuen sicherheitspolitischen Maûnahmen Fall multilateral erstrecken, insbesondere vor
wçrden zunehmend die allgemeinen Men- dem Hintergrund einer instabilen palåstinen-
schen- und Bçrgerrechte einschrånken. sischen Regierung, der fortgesetzten Ausein-
Damit wird aber von den ursåchlichen Fragen andersetzungen zwischen Israel und der His-
abgelenkt: nåmlich der zu analysierenden bollah, der Unruhen in Afghanistan, einer
beunruhigenden Ausgangslage, dass weder lockeren Organisationsstruktur von Al-Quai-
quantitative noch qualitative Daten zu der da und eventueller Gefåhrdungspotenziale
heterogenen muslimischen Bevælkerung in aus den eigenen muslimischen Bevælkerungs-
Deutschland vorhanden sind, so dass es teilen. Das aktuelle nationale Terrorismusbe-
schwierig bis unmæglich ist, eine gelenkte kåmpfungsergånzungsgesetz (TBEG) passt
Ansprache fçr pråventive Maûnahmen durch hierzu die bereits ab 2001 beschlossenen Si-
Kontakt zu implementieren. cherheitspakete an. Im Klartext bedeutet dies,
dass besonders die Kompetenzen der Ge-
Tatsåchlich wurden als Reaktionen auf die heimdienste erweitert und diese dann nach
Anschlåge seit dem 11. September 2001 eine ihrer ¹Evaluierungª fçr weitere fçnf Jahre
ganze Reihe von unterschiedlichen Instru- verlångert wurden.
menten in den so genannten ¹Anti-Terror-
Paketenª I und II (¹Otto-Katalogeª) zeitlich Im Ûbrigen fand anstelle der 2001 be-
befristet von der damaligen rot-grçnen Bun- schlossenen umfassenden und vor allem un-
desregierung verabschiedet. Diese zielen in abhångigen Evaluierung lediglich eine ver-
ihrer Gesamtheit maûgeblich darauf, eine kçrzte hausinterne Bewertung durch das
bessere Koordination, Kooperation und Bundesinnenministerium statt. Diese vorerst
einen verbesserten Informationsfluss unter letzte Stufe der Erweiterung låsst nach Ablauf
den 38 Sicherheitsbehærden zu erreichen und einer erneuten Fçnfjahresfrist auf eine wis-
die gewonnenen Informationen hiernach senschaftliche Ûberprçfung hoffen, denn die
auch multilateral, etwa dem Schengener In- Regelungen laufen zunåchst einmal unweiger-
formationssystem (SIS), zur Verfçgung zu lich aus. Weiterhin wurde das dritte Sicher-
stellen. heitspaket an die Kontrollmechanismen der
G-10-Kontrolle angeschlossen, so dass vier
Die beiden noch Ende 2006 vom Gesetzge- Mitglieder des Parlamentarischen Kontroll-
ber endgçltig auf den Weg gebrachten maû- gremiums (PKG) monatlich einen Bericht
an das Bundesinnenministerium senden mçs-
1 Dirk Hautkapp, Verfassungsschutz bittet Muslime sen, und zwar vor Vollzug der einzelnen
um Mithilfe, in: NRZ vom 28. 11. 2006, S. 2. Maûnahmen. Diese enthalten Stellungnah-

12 APuZ 12/2007
men çber Zulåssigkeit und Notwendigkeit nungsformen zu speichern und bei Bedarf in
jeder angeordneten Beschrånkungsmaûnahme einem abgestuften Prozess umfassend abruf-
des Art. 10 Abs. 1 GG. Bedeutende Eingriffe bar zu halten. Eine ursprçnglich geplante
in den Datenschutz wurden durch die Ertei- Zweckbindung der ¹Anti-Terror-Dateiª, die
lung von Auskunftsrechten besonders dem einen konkreten internationalen terroristi-
Bundesnachrichtendienst ermæglicht, denn schen Tathorizont voraussetzt, ist in diesen
im Inland durfte bislang lediglich der Verfas- Beschlçssen nicht mehr ersichtlich. Nach
sungsschutz Daten folgender Sektoren analy- dem Verhåltnismåûigkeitsprinzip mçsste die
sieren und weitergeben: Banken, Luftverkehr, mit einer erweiterten nachrichtendienstlichen
Kommunikation, Post, Vereine und Auslån- Arbeitsweise verbundene Grundrechtseinbu-
derbehærden. Bezçglich der Migrationsent- ûe aber durch einen Zugewinn an innerer Si-
wicklung wurde das Auslånderzentralregister cherheit ausgeglichen werden. Letzteres ist
beim Bundesverwaltungsamt zu einem um- jedoch nicht festzustellen, da nach den Er-
fassenden Informationssystem ausgebaut und kenntnissen des Verfassungsschutzes zurzeit
mit dem administrativen Verfassungsschutz weder von einem Rechts- noch von einem
vernetzt. Weiterhin wurde ein ¹Gemeinsames Linksterrorismus eine institutionalisierte Ter-
Analyse- und Strategiezentrum illegale Mi- rorgefahr ausgeht. Aus einem ehemals zweck-
grationª (GASiM) eingerichtet, in dem Poli- gebundenen Antiterrorinstrument mit Aus-
zei und Geheimdienste Informationen aus- nahmecharakter ist somit eine Regelbefugnis
tauschen. des Alltags geworden.

Die gemeinsame ¹Anti-Terror-Dateiª, wel-


che nach einem Beschluss der Innenminister- Trennungsgebot von Verfassungsschutz
konferenz vom 4. September 2006 in der heu- und Polizeibehærden
tigen Form als Kompromiss zwischen einer
Volltext- und Indexdatei beschlossen und vier Wie bereits angedeutet, liegt ein Schwerpunkt
Monate spåter von Bundestag und Bundesrat der derzeitigen Debatte çber den Selbstschutz
verabschiedet wurde, stellt demgegençber ein des Staates auf dem Trennungsgebot von Ver-
echtes Reformnovum dar. Sie soll das veralte- fassungsschutz und Polizeibehærden in Ver-
te ¹Nachrichtendienstliche Informationssys- bindung mit dem Recht zur vorverlagerten
temª (NADIS) ersetzen, welches als Daten- Ermittlungsmæglichkeit in Verdachtsfållen.
verbundsystem in Form einer reinen ¹Index- Folgt man einer engen Auslegung des Tren-
dateiª lediglich einige Grunddaten beinhaltete nungsgebotes, låsst sich in der Tat ein Span-
und vom Verfassungsschutz sowie den Abtei- nungsfeld zwischen administrativem Verfas-
lungen des BKA genutzt wurde. Damit wird sungsschutz und den Polizeibehærden analy-
diese ¹Dateiª die wesentlichste inhaltliche sieren, welches sich aber nicht auf eine
Ønderung in der Sicherheitsarchitektur seit informationelle Zusammenarbeit bezieht. Zur
der organisatorischen Implementierung des besseren Orientierung scheint ein kurzer ge-
¹Gemeinsamen Terrorismus Analyse Zen- schichtlicher Ûberblick zur Genese des Tren-
trumsª (GTAZ) in Berlin darstellen. Die neue nungsgebotes angebracht.
Speichermæglichkeit lediglich eine ¹Dateiª zu
nennen, wird aber ihrem Umfang und ihrer Die Mæglichkeit eines Missbrauchs durch
Bedeutung innerhalb der zukçnftigen Sicher- eine Ûbermacht der Nachrichtendienste soll,
heitsarchitektur nicht gerecht. Man sollte in so die Meinung zum Zeitpunkt der Grçn-
diesem Zusammenhang besser von einer um- dung der Bundesrepublik, durch eine weitest-
fassenden Datenbank sprechen. Denn war bei gehende Dezentralisierung der Sicherheitsbe-
den am Reformprozess beteiligten Akteuren hærden ausgeschlossen werden, so wie wir sie
vormals noch von einer hinsichtlich ihres bislang in einem fæderalen Aufbau der Exe-
Ausmaûes beschrånkten ¹Islamistendateiª die kutiven mit ihren jeweils unterschiedlichen
Rede, welche ebenfalls als ¹Indexdateiª auf- Aufgaben kennen. Eine spezielle, im Ver-
gebaut werden sollte, ist eine solche ¹Dateiª gleich zum europåischen Ausland einzigarti-
der Sicherheitsbehærden nun deutlich um ge, rechtliche Ausgestaltung der deutschen
weitere Dimensionen ergånzt worden. Ge- Nachrichtendienste zeigt sich im so genann-
plant ist, åhnlich den Erweiterungen im ten Trennungsgebot. Insbesondere der Wir-
TBEG, die Erfassung aller in Deutschland kungskreis des administrativen Verfassungs-
zu analysierenden extremistischen Erschei- schutzes soll hier seine Grenzen finden. Als

APuZ 12/2007 13
Grundlage dieser ausdrçcklichen Trennung gesetze aufgenommen haben ± wie etwa
wird gern ein Polizeibrief der alliierten Mili- NRW ±, unterliegen diese Verfassungsschutz-
tårgouverneure vom 14. April 1949 bemçht: behærden nach dem BVerfSchG nicht dem
¹Der Bundesregierung wird es ebenfalls ge- Trennungsgebot. In einzelnen Bundeslåndern
stattet, eine Stelle zur Sammlung und Vorbe- erhalten die Verfassungsschutz- und Polizei-
reitung von Auskçnften çber umstçrzleri- behærden somit theoretisch die Befugnis, sich
sche, gegen die Bundesregierung gerichtete organisatorisch miteinander zu verbinden;
Tåtigkeiten einzurichten. Diese Stelle soll dem Geheimdienst kænnte sogar das Recht
keine Polizeibefugnisse haben.ª 2 Daher wer- eingeråumt werden, selbst zu ermitteln bzw.
den dem Verfassungsschutz polizeiliche Be- Zwangsmittel anzuwenden.
fugnisse im Bundesverfassungsschutzgesetz
(BVerfSchG) ausdrçcklich verwehrt. Nach Diese Ûberlappung der Befugnisse er-
§ 8 Abs. 3 und § 2 Abs. 1, 3. Satz BVerfSchG scheint aber auch aus ermittlungspraktischen
sind erstens dem Bundesamt fçr Verfassungs- Grçnden wenig geeignet. Schon bisher zeigte
schutz (BfV) polizeiliche Befugnisse versagt, sich in gemeinsam bearbeiteten Fållen ein
zweitens stehen ihm Weisungsbefugnisse ge- Kompetenzgerangel zwischen den beteiligten
gençber anderen, vor allem polizeilichen Behærden, welches zu einem eher unglçckli-
Dienststellen nicht zu und drittens ist es un- chen Vorgehen und damit zu Ermittlungsver-
tersagt, das BfV einer polizeilichen Dienst- zægerungen beispielsweise im Fall des ¹Hass-
stelle anzugliedern. predigersª Metin Kaplan und seiner Gruppie-
rung ¹Kalifatstaatª im Jahr 2002 fçhrten.
Diese expliziten Einschrånkungen der ver- Grundsåtzlich ist eine mægliche Zusammenar-
fassungsschçtzerischen Tåtigkeit sind eine beit zwischen den Behærden auch aus allge-
Konsequenz aus den historischen Erfahrun- meinen ermittlungspraktischen Grçnden
gen des ¹Dritten Reichesª. Die ¹Gestapoª nicht immer reibungslos durchzufçhren, denn
vereinte in sich Exekutiv- und Ûberwa- die Behærden behindern sich in bestimmten
chungsfunktionen, wodurch sie willkçrlich Fållen aufgrund unterschiedlicher Zielverfol-
und ohne jede Beschrånkung im Namen des gung gegenseitig in ihrer Arbeit. So ist be-
diktatorischen Regimes tåtig werden konnte. kannt, dass der Verfassungsschutz zum Teil
Vergleichbare Kompetenzen hatte das Minis- deshalb der Polizei keine Mitteilungen çber
terium fçr Staatssicherheit (MfS), der Ge- mægliche Straftaten macht, weil er durch
heimdienst der DDR. Nach dem historischen deren sofortige Strafverfolgungsmaûnahmen
Grundprinzip war das Trennungsgebot vor die Mæglichkeit gefåhrdet sieht, an weitere In-
den Terroranschlågen långst zu einem wichti- formationen zu gelangen. Eine Kooperation
gen gewohnheitsrechtlichen Element des wird auûerdem durch den gesetzlichen Quel-
Selbstverståndnisses unserer rechtsstaatlichen lenschutz und die oftmals fragwçrdige Quel-
Ordnung geworden, obwohl eine explizite lenqualitåt erschwert. Zudem entstehen nicht
Vorschrift gemåû dem Polizeibrief weder im selten Irritationen beim ¹Sich berçhrenª von
Deutschlandvertrag von 1955 noch im Eini- V-Leuten von Verfassungsschutz und Polizei-
gungsvertrag von 1990 (bundes-)verfassungs- behærden im Einsatz. Diese Missstånde fçhr-
rechtlich normiert worden ist. Entgegen håu- ten unter anderem zu der Einrichtung des Ge-
fig vertretenen Auffassungen besitzt das meinsamen Terrorismus Analyse Zentrums
Trennungsgebot somit keinen ausdrçcklichen (GTAZ) in Berlin, welches seine Hauptaufga-
Verfassungsrang, zudem stellt es auch keinen be darin sieht, den Informationsfluss zwischen
Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips dar. Es gilt den Behærden zweckgebunden zum Thema
derzeit kraft schlichten Parlamentsrechts und totalitårer Islamismus zu koordinieren.
unterliegt damit der Disposition des Bundes-
tages. Eine weitere Einschrånkung erfåhrt das Das Trennungsgebot ist also nicht als Ver-
Trennungsgebot in den meisten Bundeslån- bot jeglicher Zusammenarbeit zwischen un-
dern, denn soweit die Lånder das Gebot nicht terschiedlichen Behærden zu verstehen, es
in ihre jeweiligen Landesverfassungsschutz- zwingt jedoch zu Regelungen çber die Aus-
gestaltung der Kooperation. Diese bezieht
2 Zit. bei: Herrmann von Mangoldt/Friedrich Klein/
sich nach heutiger Gesetzeslage auf die orga-
Christian Pestalozzo, Bonner Grundgesetz, Kommen- nisations- und kompetenzrechtliche Behær-
tar zu Art. 73 Nr. 10 GG, Mçnchen 1996, Rdnr. 584, denausgestaltung. Folgendermaûen låsst sich
S. 429. das praktisch angewandte Gebot auf einen

14 APuZ 12/2007
Nenner bringen: Wer (fast) alles weiû, soll sondern durch Reformansåtze der Polizeibe-
nicht alles dçrfen; und wer (fast) alles darf, hærden bereits seit den 1980er Jahren.
soll nicht alles wissen. Fraglich bleibt aber, ob
eine gånzlich einheitliche Behærdenstruktur Eine erste Vermischung von Kompetenzen
nicht dem Grundsatz des Trennungsgebotes durch die Polizeibehærden deutete sich zu-
widerspricht. Befçrchtungen, das GTAZ nåchst in den Bereichen der Bekåmpfung von
kænnte eine solche ¹Mammutbehærdeª dar- organisierter Kriminalitåt und Rechtsextre-
stellen, sind jedoch nicht begrçndet. Auch mismus an. Bis zum Volkszåhlungsurteil vom
wenn eine råumliche Trennung aufgrund zu- 15. Dezember 1983 war die Aufgabentren-
nehmenden Handlungsdruckes in einzelnen nung weitestgehend klar. Dieses Urteil stellte
Fållen aufgehoben wird, liegt erstens eine jedoch eine Zåsur fçr die pråventiven Ermitt-
Konzentration auf ein bestimmtes Gefåhr- lungsmæglichkeiten der Polizei dar. Pikanter-
dungsfeld und zweitens eine Kooperation le- weise unterliegen die deutlich intensiveren
diglich einzelner Vertreter der einzelnen Be- Eingriffsmæglichkeiten der Polizei in der Vor-
hærden vor. feldermittlung nicht wie die des Verfassungs-
schutzes erheblichen Kontrollmechanismen,
Grundsåtzlich ist der administrative Ver- sondern lediglich einem Behærdenleiter- oder
fassungsschutz bei Anhaltspunkten fçr eine Richtervorbehalt. Die mit den ¹Vorbeu-
eventuelle bestehende Bedrohung nach wie gungsmethodenª einhergehende Heimlich-
vor pråventiv tåtig (Opportunitåtsprinzip). keit widerspricht zudem tendenziell dem
Im Gegensatz hierzu wirken konkrete Poli- Gebot der Offenheit und Erkennbarkeit poli-
zeieinsåtze stets gefahrenbezogen und punk- zeilichen Handelns. An dieser Stelle sind also
tuell am Tatort (Legalitåtsprinzip). Nach dem Aushæhlungen des Trennungsgebotes nicht
Grundsatz des Trennungsgebotes sammelt von Seiten des Inlandsgeheimdienstes Verfas-
und wertet der Verfassungsschutz Informa- sungsschutz, sondern vielmehr von Seiten
tionen lediglich aus und leitet die analysierten einer politisch gewollten Kompetenzerweite-
Lagebilder dann an die zuståndigen Ermitt- rung der Polizei zu analysieren. Hier scheint
lungsbehærden wie Polizei und Staatsanwalt- sich ± auch durch die aktuelleren Entwick-
schaften weiter. Die Arbeit des Verfassungs- lungen und europåischen Homogenisierun-
schutzes beginnt folglich weit im Vorfeld von gen ± ein Kulturwandel im praktischen Be-
Straftaten, wåhrend die polizeilichen Aufga- hærdenalltag abzuzeichnen, welcher nicht zu
ben zwar erst spåter einsetzen, dann aber den in diesem Beitrag aufgezeigten ermitt-
einen Schritt weiter gehen. Im Gegensatz lungsbehindernden Elementen durch Kon-
zum Verfassungsschutz, der darauf ausgerich- kurrenzverhåltnisse fçhren darf. Ein generel-
tet ist, Informationen zu sammeln, hat die ler Bestandsschutz muss fçr beide Behærden
Polizei zugleich die Aufgabe, festgestellte auch weiterhin gelten.
Gefahren selbst abzuwehren oder durch an-
derweitig zuståndige Behærden bereinigen zu Das sich hier abzeichnende Dilemma ist
lassen. Ein wichtiges Unterscheidungskriteri- in einem zeitlich und themenbezogen be-
um ist dabei, dass die Arbeit der Polizei, an- schrånkten Wissens- und Informationstrans-
ders als die des Verfassungsschutzes, grund- fer zwischen den bereits eingerichteten
såtzlich fçr die Bçrgerinnen und Bçrger çber- Schnittstellen der Behærden zu sehen. Dieser
wiegend transparent bleibt. Wie bereits Transfer als pråventive Antwort auf die neuen
dargestellt, mangelte es in der Vergangenheit Herausforderungen ± welche auch hervorge-
besonders in der Auseinandersetzung mit der rufen wurden durch eine progressiv erwei-
neuen Gefåhrdungslage oftmals aufgrund terte Entsendung deutscher Streitkråfte ±
eines ¹Kompetenzwirrwarrsª an einem stellt eine nachholende Reform zur Steige-
schnellen Informationsfluss. rung der Effizienz und Effektivitåt der veral-
teten Sicherheitsstruktur dar. Sie ist durch
Mit dieser Unterscheidung von Aufgaben eine praktische Konkordanz ins Verhåltnis zu
sind die Kompetenzen und Grenzen der ver- setzen, wobei sowohl der behærdlichen Tren-
fassungsschçtzerischen Tåtigkeit klar umris- nung als auch einer sinnvollen und geforder-
sen. Gefahren fçr die Trennung entstanden bis ten Zusammenarbeit Rechnung zu tragen sein
zu den Diskussionen der neuen Sicherheits- wird. Wie bereits angedeutet, scheint der
pakete auch nicht originår durch eine Kom- Fahrschein ¹islamistischer Terrorª genutzt
petenzerweiterung des Verfassungsschutzes, worden zu sein, um den legitimen Wunsch

APuZ 12/2007 15
nach einer ¹Sonderdatei Islamismusª in die dungs- und Vorschlagsrecht zur Verbesserung
problematisch zu bewertende Forderung des Datenschutzes, zur Bereinigung, Berichti-
nach einer universellen und zentralen Ermitt- gung oder Læschung von Datenbestånden.
lungsdatenbank im abgestuften Volltextfor- Ûberprçfungen von mæglichen Eingriffen
mat zu transformieren. Allgemein wird es kænnen sowohl auf Eingaben von Bçrgern
auch in Zukunft gewisse Dopplungen von zurçckgehen als auch auf Initiative der Da-
Ermittlungsergebnissen zumindest auf natio- tenschutzbeauftragten selber stattfinden.
nalstaatlicher Ebene geben. Sie entstehen
aufgrund des rechtsstaatlich sinnvollen Tren- Ein Vorteil der Datenschutzbeauftragten
nungsgebotes zur Behærden- und Kompe- ist, dass ihre Arbeit unabhångig von den çbri-
tenzstruktur in Bezug auf die Ermittlungsbe- gen Behærden durchgefçhrt wird. Im Gegen-
fugnis und nicht auf den fallbezogenen, zeit- satz zur parlamentarischen Kontrolle, welche
lich begrenzten Informationsaustausch. Diese nach Proporz der Bundestagsfraktionen be-
beschriebene Trennung wird auch weiterhin setzt wird, lassen sich Datenschutzbeauf-
eingefordert werden mçssen. tragte nicht so leicht von einzelnen Sicher-
heitsbehærden beeindrucken. Sie haben be-
reits in der Vergangenheit in den offiziellen
Institutionalisierter Datenschutz Berichten oder auch durch Indiskretionen
eine Reihe von zumindest rechtlich fragwçr-
Es kænnte viel von der vorherrschenden Re- digen Dateien aufgedeckt, die dann nicht wei-
formskepsis genommen werden, wçrde die ter fortgefçhrt worden sind. Aber auch ihre
Politik nicht nur auf Effizienzsteigerung und Kontrollmæglichkeiten finden ihre Grenzen
Offenlegung von einzelnen Ermittlungserfol- in der Geheimnispflicht der Ømter. Nach der
gen, sondern auch auf eine çberfållige Reform Rechtsprechung genieût der Geheimnis-
der mannigfachen Kontrollmechanismen schutz eindeutig Vorrang vor dem Informati-
(PKG, G10-Kommission, Auskunftsrecht, onsrecht der Bçrgerinnen und Bçrger und
Kontrolle durch Gerichte, Datenschutz) set- den Kontrollrechten der Datenschutzbeauf-
zen. Die Rolle des institutionalisierten Daten- tragten. Alle zwei Jahre erscheint der bereits
schutzes als einer wirklich unabhångigen Kon- erwåhnte Tåtigkeitsbericht, der die Kontroll-
trollinstanz wird bereits seit zehn Jahren ± im tåtigkeit der Datenschutzbeauftragten der
Ûbrigen auch auf EU-Ebene ± vernachlåssigt. Úffentlichkeit zugånglich macht. In Inter-
views und Stellungnahmen begleitete der
Die Tåtigkeit des Beauftragten fçr den Da- amtliche Datenschutz die neuesten sicher-
tenschutz von Bund und Låndern ist zur ver- heitspolitischen Reformen mit einer dezidiert
waltungsinternen Kontrolle zu rechnen, kritischen Haltung. Mit drastischen Worten
womit er auf derselben Ebene wie die be- warnte zuletzt auf einer Expertenanhærung
hærdlichen Dienst- und Fachaufsichten ein- zu den nun beschlossenen Maûnahmen der
zuordnen ist. Hierbei weckt die Kenntnis der Bundesbeauftragte Peter Schaar vor einer
unterschiedlichen Behærden çber eine Viel- ¹Ûberwachungsgesellschaftª. 3
zahl von Informationen ± auch aus dem si-
cherheitsrelevanten Bereich ± das besondere
Interesse der Datenschçtzer. Dass die Anti- Reformbemçhungen
terrormaûnahmen maûgeblich im Geheimen
ablaufen, wurde bereits problematisiert. Der Inhalt der Reformbemçhungen låsst
Somit bildet dieses Vorgehen auch einen ge- sich folgendermaûen zusammenfassen: 4 Zum
setzlich abgesicherten Eingriff gegen das einen verlångerte das TBGE die bestehenden
Recht auf informationale Selbstbestimmung, Antiterrorgesetze, die erweiterte Befugnisse
welches aus dem Grundgesetz auch in Bezug fçr alle Geheimdienste unter einer Absenkung
auf persænliche Daten abgeleitet wird. Die juristischer Hçrden bei Eingriffen in den Da-
Aufgabe der Datenschutzbeauftragten be- tenverkehr beinhalten, fçr weitere fçnf Jahre ±
steht darin, zu prçfen, ob die Bearbeitung der ohne zuvor eine vorgesehene unabhångige
Daten etwa durch den Verfassungsschutz in- 3 Peter Carstens, Ein hinnehmbares Instrument.
nerhalb der gesetzlichen Vorgaben erfolgt. Fachleute bewerten die vorgesehene Antiterrordatei
Zudem sind die Datenschutzbeauftragten vor gleichwohl recht kritisch, Frankfurter Allgemeine
dem Erlass einer Datenanordnung anzuhæ- Zeitung vom 8. 11. 2006, S. 12.
ren. Weiterhin obliegt ihnen ein Beanstan- 4 Vgl. BT-Drucksachen 16/3642, 16/3292, 16/2921.

16 APuZ 12/2007
und grçndliche Evaluierung durchzufçhren. fåhrdungssituation, die nach der eingangs er-
Weiterhin wurde eine zentrale Datenbank im- låuterten BKA-Studie fçr den internationalen
plementiert, welche dem Trennungsgebot Terrorismus håufig vorliegt, soll der unmittel-
zwar nicht entgegensteht, da Letzteres sich bare Zugriff auf alle Daten gewåhrt werden.
nicht auf den Informationsaustausch bezieht, Durch eine nachrangige Bedeutung des Reli-
wohl aber unter Gesichtspunkten des Daten- gionskriteriums und durch die Aufnahme po-
schutzes eine unangemessene, nichtzweckge- tenziell unbeteiligter Dritter ist eine zeitlich
bundene Vorratsdatenspeicherung aller Si- beschrånkte Falbezogenheit der beschlosse-
cherheitsbehærden darstellt. Den Behærden nen Konzeption auf den internationalen Ter-
stehen damit Daten in einem abgestuften Sys- rorismus auch weiterhin nicht ersichtlich.
tem als Quasi-Volltextdatei zur Verfçgung.
Angehångt wurde die Mæglichkeit einer Ein-
richtung weiterer, nicht spezifisch zweckge-
Schlussbemerkungen
bundener und in ihrer Anzahl nicht begrenz-
Aus Grçnden des Datenschutzes und in Aner-
ter gemeinsamer ¹Projektdateienª. Nach Be-
kennung einer konkreten Gefåhrdungslage,
fçrchtungen des amtlichen Datenschutzes
der mit hæchstmæglicher Effizienz und Effek-
besteht durch diese Maûnahmen auch weiter-
tivitåt begegnet werden muss, wåre daher nur
hin die Gefahr, dass unbescholtene Bçrger
eine zeitlich befristete Datei zu implementie-
zum ¹Risikofaktorª erklårt werden: In der
ren, welche einen ausschlieûlichen Bezug zum
Quasi-Volltextdatei kænnten ± im Gegensatz
internationalen Terrorismus hat. Darin sollten
zu einer von Datenschçtzern geforderten klar
lediglich Namen, Religionszugehærigkeit, Ge-
definierten und fallbezogen begrenzten ge-
burtsdatum, Adresse und Nationalitåt erfasst
meinsamen ¹Indexdateiª ± Informationen aus
werden, jedoch nicht die vollståndigen Er-
ungesicherten Hinweisen enthalten sein. Die
mittlungsdaten, subjektive Einschåtzungen
Gefahr einer Stigmatisierung von Kontakt-
und Lageanalysen. Weiterhin ist jeder Daten-
und Begleitpersonen wåre zudem durch die
satz mit einer Information darçber zu verse-
Aufnahme in eine solche Datenbank ± auch
hen, von welcher Behærde die Daten stammen,
nach den gesetzlichen Ergånzungen ± nicht
um gegebenenfalls, unter Berçcksichtigung
auszuschlieûen.
des Quellenschutzes, Informationen nachfas-
sen zu kænnen. Anschlieûend kann diese spe-
Es stellt sich also letztendlich die
zielle Projektdatei auf nationalstaatlicher und
Frage nach der Verhåltnismåûigkeit. Bundes-
europåischer Ebene vernetzt werden.
und Landeskriminalåmter (BKA und LKA),
die Verfassungsschutzåmter (BfV und LfV), Diese Sonderdatei wçrde weit çber das
Militårischer Abschirmdienst (MAD), Bun- hinausgehen, was bisher als gemeinsame In-
desnachrichtendienst (BND) und Zollkrimi- formationsgrundlage existiert, und so zu
nalamt (ZKA) bçndeln zukçnftig in einem einem beschleunigten Informationsfluss fçh-
abgestuften Verfahren zunåchst ± im Ver- ren, ohne die Gefahr von verfassungs- und
gleich zum NADIS ± erweiterte Grunddaten: datenschutzrechtlichen Problemen in sich zu
Namen, Falschnamen, alle Anschriften, Ge- bergen oder sogar in ermittlungspraktischen
schlecht, Geburtsdatum, -ort, -staat, aktuelle Konsequenzen wie dem thematisierten Kom-
und frçhere Staatsangehærigkeiten, Merk- petenzwirrwarr oder Quellenschutzproble-
male, Sprachen, Lichtbilder, Fallgruppen und men zu gipfeln. Sollte sich in Zukunft eine
Påsse. Bei ¹tatsåchlichen Anhaltspunktenª andere nachhaltige Gefåhrdungslage einstel-
werden dann mit Angabe der jeweiligen Be- len, welche in ihrem Ausmaû vergleichbar
hærde die uneingeschrånkten Daten abrufbar mit dem internationalen Terrorismus wåre,
gehalten: Herkunft, alle Kommunikations- kænnte bedarfsabhångig und flexibel çber die
mæglichkeiten/ -anschlçsse, Konten, Reisebe- Einrichtung von weiteren projektgebundenen
wegungen, Arbeitsstelle, Bildung, Familien- und befristeten Dateien nachgedacht werden.
stand, Religionszugehærigkeit, Schlieûfåcher, Um die analysierten Zugangsbarrieren inner-
Fahrzeuge, Einschåtzungen und Bewertun- halb einer kohårenten Sicherheitsarchitektur
gen der jeweiligen Behærde (Freitextfeld) bis zu beseitigen, sollte eine grçndliche Beschåf-
hin zu arglosen Kontakt- und Begleitperso- tigung mit den Themenfeldern Integration
nen und Mitgliedschaften in Vereinigungen, und Einwanderung kein Desiderat bleiben.
Gruppierungen, Stiftungen oder Unterneh-
men. Im Eilverfahren einer konkreten Ge-

APuZ 12/2007 17
Peter Stegmaier ´ Thomas Feltes kann, also immer weniger unter Gemein-
wohlaspekten. Das gilt çberall dort, wo pri-

,Vernetzung` als vate Sicherheitsdienste engagiert werden und


der Staat spart. Kooperationen zwischen

neuer Effektivitåts-
dem Staat und privaten Konzernen werden
forciert. 1 Das kriminalpråventive Interesse
verlagert sich von der tat- und tåterbezoge-

mythos fçr die nen Reaktion hin zur mæglichst risikoarmen


Gestaltung von Alltag. Das Strafrecht wird
zunehmend zum Mittel gegen allgemeine ge-

,innere Sicherheit` sellschaftliche Verunsicherung und das ,sub-


jektive Sicherheitsgefçhl` gewinnt dabei wei-
ter an Legitimationskraft fçr ¹law and
orderª-Kampagnen.

O b Terror in Madrid oder London, Kof-


ferbomben in deutschen Bahnhæfen
und Zçgen, Fuûball-WM oder letztlich
In diesem Szenario kommen auf die Institu-
tionen sozialer Kontrolle neue Aufgaben und
¹9/11ª ± alle sich bietenden symboltråchtigen Probleme zu. Sie mçssen mit herkæmmlichen
Anlåsse werden ergriffen, um das Feld der Mitteln neuartige Probleme unter verånder-
Sicherheit neu zu ordnen und diese Verån- ten Bedingungen bearbeiten und deswegen ihr
derungen zu legitimieren. Gegenwårtig fin- Instrumentarium modifizieren. Umgekehrt
det ein Perspektiven- sind gerade eingefçhrte Mittel oftmals nur be-
wechsel in der Krimi- dingt geeignet, Schwachstellen zu beseitigen,
Peter Stegmaier mçssen die Mittel doch erst entwickelt (oder
nal- und Innenpolitik
Dr. phil., geb. 1969; Soziologe, aus anderen Bereichen çbertragen), auspro-
statt, der mit einer
Mitarbeiter am Center for biert und verbessert werden. Auch sind neue
Umorganisation der
Society and Genomics Bereiche des Wissens und Handelns zu er-
Institutionen, die fçr
an der Radboud Universiteit schlieûen, insbesondere durch die Verknçp-
die Herstellung und
Nijmegen, Postbus 9010, fung von bislang eher separiert arbeitenden
Erhaltung ¹innerer
NL 6500 GL Nijmegen. Einrichtungen, durch den Umgang mit neuar-
Sicherheitª zuståndig
stegmaier@society-genomics.nl tigen Ermittlungsdaten sowie durch neue
sind, einhergeht. Der
bisherige Kontroll- Kommunikations- und Organisationsformen.
Thomas Feltes Damit einher geht die Verheiûung, durch die
mythos der national-
Dr. iur., M.A., geb. 1951; Profes- ¹Vernetzung der Sicherheitsakteureª lieûen
staatszentrierten Mo-
sor für Kriminologie, Kriminal- sich Effizienz und Effektivitåt weiter steigern
derne ist zerbrochen.
politik und Polizeiwissenschaft und soziale Prozesse ungeachtet verschårften
Der einzelne Staat
an der Ruhr-Universität Wandels auch weiterhin im Prinzip steuern.
kommt immer schnel-
Bochum, Juristische Fakultät, Kann diese Politik der ¹vernetzten inneren Si-
ler an die Grenzen
Universitätsstraûe 150, cherheitª gelingen, oder wird viel Aufhebens
seiner Regierungs-
44801 Bochum. um etwas gemacht, das auch nicht das alleinige
und Regulierungs-
Thomas.Feltes@rub.de Heil bringen wird?
mæglichkeiten. Nach
groûtechnischen sind
es nun terroristische Risiken und Gefahren, Zu fragen ist erstens: Wie arrangieren sich
welche die Handlungsfåhigkeit von Staaten all die ¹Sicherheitsagenturenª untereinander
herausfordern. und mit den sich wandelnden gesellschaftli-
chen und politischen Rahmenbedingungen?
Die globalisiert organisierte Kriminalitåt Was kann zweitens Sicherheit in Zeiten der
stellt die globalisiert organisierte Wirtschaft Unsicherheit eigentlich sein? Kann drittens
und die einzelnen Staaten hinsichtlich der das paradoxe Versprechen eingelæst werden,
Effektivitåt ihrer supranationalen Koopera- unter den Bedingungen wachsender Unsicher-
tionen auf den Prçfstand. ¹Innere Sicher- heit und zunehmend begrenzter Gestaltbar-
heitª als rein innere und rein staatliche An-
gelegenheit wird zunehmend undenkbar. 1 Vgl. Thomas Feltes, Akteure der inneren Sicherheit,
Vielmehr wird Sicherheit vermehrt primår in: Stefan Jakowatz/Hans-Jçrgen Lange/Peter Ohly/Jo
dort hergestellt, wo einflussreich danach ver- Reichertz (Hrsg.), Auf der Suche nach neuer Sicher-
langt wird bzw. wo fçr sie gezahlt werden heit, Wiesbaden 2007.

18 APuZ 12/2007
keit çberhaupt Sicherheit und Ordnung zu In der besonderen Art von Ticketverkauf
gewåhrleisten, und zwar speziell mit einem und -kontrolle, Datenerfassung und -çber-
sicherheitspolitischen Netzwerkansatz? prçfung wurden sicherheitspraktische mit
wirtschaftlichen Interessen verknçpft, in
Transinstitutionales Polizieren: enger ¹Sicherheitskooperation mit dem Ver-
anstalter und Ausrichterª, 7 wobei sich in der
Vernetzung auf allen Ebenen Umsetzung beispielsweise der Kontrolle der
VIP-Tickets durchaus eine Kluft zwischen
Auf der politischen Agenda steht das Ziel, Theorie und Praxis auftat.
die Sicherheitsbehærden enger miteinander
zu verknçpfen, als dies formal und praktisch Was bedeutet es, Sicherheit netzwerkfær-
bislang vorgesehen war. 2 Ein Leitspruch des mig zu organisieren? Das ¹Netzwerkª steht
ehemaligen Innenministers Otto Schily lau- nicht mehr nur fçr elektronische Datennetze,
tete: ¹Wir mçssen die Netzwerke des Terrors sondern fçr tiefer und breiter angelegte Ko-
mit unseren eigenen Netzwerken bekåmp- operationen von Sicherheitsinstitutionen, die
fen.ª 3 Unter dem derzeitigen Bundesinnen- zumindest ansatzweise netzwerkfærmig orga-
minister Wolfgang Schåuble wird diese Stra- nisiert sind (wie etwa das ¹Nationale Infor-
tegie fortgesetzt, wenngleich er den Begriff mations- und Kooperationszentrumª NICC
des ¹Netzwerksª weniger oft als Schily im zur FIFA Fuûball-Weltmeisterschaft 2006,
Munde zu fçhren scheint. Ein Beispiel ist die ¹Colpoferª zur Kooperation von Bahnpoli-
Fuûballweltmeisterschaft 2006: Anlåsslich zei, Eisenbahngesellschaften und privaten Si-
dieses Groûereignisses war eine breit ange- cherheitsdiensten oder die seit 1976 bestehen-
legte Kooperation zu beobachten, auch mit de europåische TREVI-Kooperation in der
¹auslåndischen Partnerpolizeienª. 4 Auffållig Terrorismusbekåmpfung bzw. die sog. ¹Si-
war, dass das Organisationsmuster hierbei cherheitspartnerschaftenª auf lokaler Ebene).
nicht nur auf die kommunale Kooperations- Die Informationstechnik spielt dabei eine
ebene beschrånkt war, wie man es aus der wichtige Rolle. Die Vernetzung erschæpft
¹kommunalen Kriminalpråventionª kennt. sich aber nicht in Dateien und Datennetzen
Vielmehr wurde çber mehrere Ebenen hin- (wie etwa die ¹zentrale Anti-Terror-Dateiª,
weg agiert: Innenministerien und -senatsver- INPOL, SIS II). Organisation ist ein sozialer
waltungen der Lånder und des Bundes, Lån- Prozess, in dem Strukturen konstruiert wer-
derpolizeien, die zwælf Spielortbehærden, die den. Akteure mçssen ihr Verhalten åndern,
Zentrale Informationsstelle Sporteinsåtze Wissen kommt in andere Bezçge, wenn ande-
ZIS, das BKA, die Bundespolizei sowie die re Organisationsstrukturen aufgebaut werden
Justiz und auch private Sicherheitsdienste sollen, Abhångigkeiten werden geschaffen
kooperierten in bis zu diesem Zeitpunkt un- und genutzt.
bekannten Ausmaû. 5 Pråventive und repres-
sive Maûnahmen wurden eng miteinander Sollen die Strukturen der Kooperation und
verknçpft, etwa auf den æffentlichen Plåtzen Konkurrenz zwischen den einzelnen Behær-
und beim ¹Public Viewingª. 6 den und anderen Akteuren fortentwickelt
2 Vgl. BKA, Neue Allianzen gegen Kriminalitåt und
werden, dann kommt es darauf an, welche
Gewalt, Mçnchen 2006; BKA, Netzwerke des Terrors Akteure mit staatlich legitimierter Gewalt-
± Netzwerke gegen den Terror, Mçnchen 2005. lizenz einbezogen werden. Gert-Joachim
3 Otto Schily, Netzwerke des Terrors ± Netzwerke Glaeûner definiert Institutionen der ¹inneren
gegen den Terror, in: BKA (Anm. 2) 2005, S. 7; vgl. Sicherheitª konventionell als ¹Einrichtungen,
auch ders., Die Bildung von Allianzen gegen Krimi- die legitimiert sind, æffentliche Gewalt im
nalitåt und Gewalt als nationale und internationale si-
Rahmen der Verfassung und anderer rechtli-
cherheitspolitische Herausforderung, in: BKA
(Anm. 2) 2006, S. 7 ff.
4 Wolfgang Schåuble/Eckart Lohse/Markus Wehner, Crowd Management ± Security during Major Events`,
Party ist auch in Ordnung, in: Frankfurter Allgemeine Deutsche Polizeihochschule Mçnster, November 2006;
Sonntagszeitung vom 25. 6. 2006, S. 4. Stephanie Bach, Kooperation zwischen staatlichen und
5 Vgl. Thomas Feltes, Zusammenarbeit zwischen pri- privaten Sicherheitsunternehmen bei der WM 2006
vaten Sicherheitsdienstleistern und Polizei bei der (Bochum, Dissertation, in Vorb.).
FIFA WM 2006 (in Vorbereitung). 7 BMI, Nationales Sicherheitskonzept zur WM 2006.
6 Otto Adang/Martina Schreiber, Crowd dynamics, Sonderkonferenz der Innenminister und -senatoren
policing and hooliganism at FIFA World Cup 2006. des Bundes und der Lånder (IMK), Stuttgart, 25. Mai
Paper presented at the Cepol Course ,Public Order and 2005 ± Zusammenfassung, S. 3.

APuZ 12/2007 19
cher Regelungen exekutiv auszuçben, wenn bedingt durch Anweisungen von oben ån-
nætig auch durch die Anwendung von dern. Wandel muss wachsen und gedeihen in
Zwangsmittelnª. 8 Fasst man den Begriff der alltåglichen Praxis aller Beteiligten. Wenn
der ¹Gewaltª weiter, so dass auch Formen von ¹Netzwerkª die Rede ist, sind gerade die
¹struktureller Gewaltª berçcksichtigt werden Beziehungen zwischen Akteuren bezeichnet,
kænnen, dann sind Institutionen wie etwa die die durch eine spezifische Form der koordi-
Innenausschçsse der Parlamente oder eher in- nierten Interaktion gekennzeichnet sind.
formelle Gremien wie ¹Polizeichefrundenª
oder der AK II der Innenministerkonferenz Fçr die soziale Koordination in Netzwer-
mit in Betracht zu ziehen. ken werden die auf Wechselseitigkeit beru-
henden Faktoren Kooperation und Vertrauen
Spannt man auch den Horizont der ¹Legi- als konstitutiv erachtet, daneben die verteilte
timierungª weiter, mçssen auch private ± Verfçgung çber Machtmittel (wie Ressour-
nicht unmittelbar demokratisch-staatlich legi- cen, Kompetenz zur Definition von Proble-
timierte ± Sicherheitsakteure im Netzwerk men und Læsungen, Leitungsfunktion). Zu-
der ¹inneren Sicherheitª in den Blick genom- gleich verfçgen die Akteure çber Autonomie
men werden, so dass die tatsåchliche, nicht und Freiwilligkeit, und es gibt zumeist Ver-
nur die normativ-pråskriptive Realitåt des mittlungsinstanzen. 11
Politikfeldes ¹innere Sicherheitª greifbar Im Bereich der kommunalen Kriminalprå-
wird: Danach kooperieren die in jedem Ge- vention und bei den Sicherheitspartnerschaf-
meinwesen vorzufindenden Sicherheitsbehær- ten besteht eine besondere Kooperations-
den intensiv miteinander, werden von dazu dichte; damit einher geht eine Verånderung
legitimierten Institutionen politisch geleitet der Arbeitsweisen der Beteiligten ± allen
und kontrolliert, von politischen Gruppen zu voran der Polizei ±, vielerorts schon seit ge-
beeinflussen versucht und stehen sowohl mit raumer Zeit, wenn auch noch nicht çberall. 12
den politischen Institutionen als auch den Parallel dazu wird die Politik der Verknçp-
Einflussgruppen in prinzipiell kompromiss- fung von hæher gelagerten und grenzçber-
bereiten Beziehungen. 9 schreitenden Behærden entwickelt. Nach der
kommunalen geht es nunmehr um die regio-
Zu den Besonderheiten der Vernetzung nale, nationale und transnationale Zusam-
der Sicherheitsbehærden gehært die spezifi- menarbeit. Man kænnte dies eine Politik zur
sche (Arbeits-)Logik der Netzwerkkoopera- Etablierung ¹transinstitutionaler Kriminal-
tion, nach der auf mehreren Ebenen polyar- pråventionª nennen. Es ist jedoch zu kurz ge-
chisch und polyzentrisch kooperiert wird mit griffen, nur die Pråvention anzusprechen.
Hilfe der Mischung dezentraler und zentraler, Pråvention gibt es ± ebenso wie Repression ±
vertikaler und horizontaler, regionaler, natio- nie in Reinform, immer ist auch die andere
naler und transnationaler Organisation, wåh- Dimension und sind damit die Akteure in
rend im Rahmen von traditionellen Struktu- verschiedenen Rollen einbezogen. Die Aus-
ren viel stårker hierarchisch und national weitung der (horizontal und vertikal) institu-
oder gar lokal gearbeitet wird. tionençbergreifenden Ansåtze zur Pråvention
und Repression kann man daher als trans-
Die Umstellung der Sicherheitsinstanzen institutionales Polizieren bezeichnen.
auf die Netzwerkarbeit (etwa im ¹Gemeinsa-
men Terrorismusabwehrzentrumª in Berlin, ¹Polizierenª steht dabei als Dachbegriff fçr
aber auch in so genannten ¹Hilfenetzwer- das gesamte staatliche, private, von Verbån-
kenª, wie sie etwa im Bereich innerfamiliå- den und Bçrgerinitiativen getragene Handeln,
rer Gewalt bereits bestehen) ist nicht leicht das auf die Erreichung und Erhaltung von
zu bewåltigen. 10 Organisationskulturen kann
man nicht ¹per Knopfdruckª und auch nur
11 Vgl. Friedhelm Hellmer/Christian Friese/Heike
8 Gert-Joachim Glaeûner, Sicherheit in Freiheit, Op- Kollros/Wolfgang Krumbein, Mythos Netzwerke,
laden 2003, S. 154. Berlin 1999, S. 59± 66; Jærg Sydow/Arnold Windeler/
9 Vgl. Hans-Jçrgen Lange, Innere Sicherheit als Michael Krebs/Achim Loose/Bennet van Well, Orga-
Netzwerk, in: ders. (Hrsg.), Demokratie und Innere nisation von Netzwerken, Opladen 1995, S. 13 ff.
Sicherheit in Deutschland, Opladen 2000, S. 237 ff. 12 Vgl. Peter Kolbe, Staatlichkeit im Wandel am Bei-
10 Vgl. Peter Waldmann, Islamischer Terrorismus, in: spiel der Kriminalpråvention, in: Aus Politik und
BKA (Anm. 2) 2005, S. 42. Zeitgeschichte (APuZ), (2005) 46, S. 9 ff.

20 APuZ 12/2007
¹innerer Sicherheitª zielt: ein Ringen der be- Auf allen Ebenen des Polizierens bestehen
teiligten Akteure um die Rechtfertigung, Ver- sowohl per Gesetz institutionalisierte als
ankerung und Durchsetzung solcher Hand- auch çber langjåhrige Praxis gefestigte Kultu-
lungsstrategien innerhalb einer bestimmten ren der Eigenståndigkeit bis hin zur Konkur-
Gruppe oder bestimmter Netzwerke, welche renz ± man denke an Lånderpolizeien unter-
geeignet sind, die soziale Ordnung zu kon- einander, an das Verhåltnis von Landes- zu
trollieren. Zum Polizieren gehæren Repressi- Bundesbehærden oder zwischen verschiede-
on wie Pråvention, das æffentliche Warnen nen nationalen Behærden oder auch an die
und Aufklåren, das Erstellen von Ratgebern konkurrierenden Kompetenzansprçche ver-
ebenso wie das Herausgeben von Kriminal- schiedener Behærden beim Thema ¹Organi-
statistiken, die Ausbildung in Kampfsport- sierte Kriminalitåtª (BKA vs. BND). ¹Weiche
arten wie der Besitz von Waffen, das Be- Kooperationsstrukturenª sind im derzeitigen
obachten von æffentlichen Plåtzen mit verwaltungsrechtlichen und politisch-ad-
Videokameras wie die Ausstrahlung von ministrativen Kontext der Bundesrepublik
Fernsehsendungen, die auf Ordnung und Si- aber nur im Schatten ¹harter Strukturenª
cherheit zielen. Dazu zåhlen auch alle Maû- denkbar. 17 Das gilt insbesondere fçr die Ar-
nahmen zur Erschwerung von Geldwåsche, beit der staatlichen Sicherheitsagenturen. Sie
das systematische Scannen des World Wide fuûen auf einem hierarchischen Denkmodell
Web nach strafbaren Inhalten und der Bau staatlicher und behærdlicher Organisation
von Panic-Rooms, die unterschiedlichen Be- und Bçrokratie.
wegungen zur Aufwertung der Innenstådte
durch die Beseitigung von Mçll sowie die
Ausgrenzung von Bettlern, Drogenabhångi-
gen und Prostituierten, die Beratungen von Krise von Sicherheit und Wissen
Drogenkonsumenten in den ¹Locationsª, die
Bçrgerbeteiligung bei Betreuungsaufgaben, Hinter dem Trend zur Netzwerkorganisation
die bewachende Nachbarschaftshilfe und steht die Annahme, dass die herkæmmlich
etwa die geschçtzten Wohngebiete fçr Øltere strukturierte Sicherheitsbçrokratie keine
und Wohlhabende, 13 alle wissenschaftlichen adåquate und effektive Antwort mehr auf die
Debatten çber die ¹innere Sicherheitª, das netzwerkartigen Organisationsstrukturen
plætzliche Erstarken des Broken-Window- von Vereinigungen und Zusammenschlçssen
Ansatzes, 14 die Ûbernahme des Zero-Tole- des globalisierten Verbrechens in Form des
rance-Konzepts durch eine Reihe von bun- internationalen Terrorismus, der Organisier-
desdeutschen Stådten 15 und die gesellschafts- ten Kriminalitåt (z. B. ¹Netzwerke professio-
politischen Auseinandersetzungen çber einen nell-organisierter Tåterª, ¹Netzwerke orga-
steigenden Bedarf an verhaltensorientieren- nisierter Wirtschaftskriminalitåtª 18) oder ±
den Traditionen und Werten. 16 wenn auch weniger dramatisch ± etwa auch
der Hooligan-Szene sein kann. Dabei gåbe es
durchaus auch Ansåtze, den Ursachen des in-
13 Vgl. Jan Wehrheim, Kontrolle durch Abgrenzung, ternationalen Terrorismus auf lokaler Ebene
in: Kriminologisches Journal 32 (2000) 2, S. 108 ±128; nachzugehen. 19
ders., Die çberwachte Stadt, Opladen 2002.
14 Vgl. James Q. Wilson/George L. Kelling, Polizei
Im ¹age of uncertaintyª (John Kenneth
und Nachbarschaftssicherung, in: Kriminologisches
Galbraith) und in der ¹Weltrisikogesell-
Journal, 27 (1996) 2, S. 121±137.
15 Vgl. Gunter Dreher/Thomas Feltes (Hrsg.), Das schaftª (Ulrich Beck) entgrenzt sich zuneh-
Modell New York: Kriminalpråvention durch ,Zero mend auch das Feld der ¹inneren Sicher-
Tolerance`, Holzkirchen 1997; Thomas Feltes, Null
Toleranz in Deutschland, in: Hans-Jçrgen Lange 17 Wolfgang Knapp/Klaus R. Kunzmann/Peter
(Hrsg.), Kriminalpolitik, Wiesbaden 2007. Schmitt, Die Region RheinRuhr, Dortmund 2001,
16 Diese Definition (nicht gleichbedeutend mit dem S. 34.
,policing`-Begriff) stammt aus dem Konzeptpapier 18 Vgl. 2. Periodischer Sicherheitsbericht (Kurz-

zum Antrag auf Færderung einer Forschergruppe fassung), Bundesministerium des Innern, Berlin 2006,
¹Polizieren ± Ûber den Wandel bei der Erreichung und S. 69.
Erhaltung von ,innerer Sicherheit`ª vom September 19 Vgl. Thomas Feltes, Kommunale Kriminalpråven-

2005, verfasst vom Autorenkollektiv Thomas Feltes, Jo tion gegen weltweiten Terrorismus?, in: Thomas Fel-
Reichertz, Peter Stegmaier, Andr Kaiser, Henning van tes/Christian Pfeiffer, Kriminalpolitik und ihre wis-
den Brink, Cay Folkers, Jçrg Weiûgerber, Martin senschaftlichen Grundlagen, Heidelberg 2006, S. 825±
Morlok und Julian Krçper. 839.

APuZ 12/2007 21
heitª. 20 Es gibt keine klar kalkulierbaren ist die Innen- und Sicherheitspolitik nicht
Margen von Verdacht, Pråvention, Interventi- ausgenommen. So wies August Hanning als
on, Repression, Risiko und Gefahr mehr. Die Pråsident des Bundesnachrichtendienstes da-
Wissensgrundlagen auf diesem Feld unterlie- rauf hin, dass die ¹aktuellen und perspektivi-
gen vielfåltigen Definitions-, Entdeckungs- schen Bedrohungspotentiale [. . .] durch eine
und Aushandlungsprozessen. 21 Was als Wis- enorm gestiegene Komplexitåt und Vielfaltª
sen und als Nichtwissen ± beispielsweise fçr gekennzeichnet seien, die er nur fçr bewåltig-
Lagebeschreibungen, Entscheidungen und bar hålt, wenn mit ¹integrierten und interdis-
Problemlæsungen ± gilt, ist ebenso umstritten ziplinårenª Arbeitsweisen ¹die neuen Infor-
und umkåmpft wie die damit verbundenen mationsbedçrfnisseª befriedigt wçrden und
politischen und praktischen Konsequenzen die nationale wie auch die internationale
sowie zuvor schon die Ursachen. Anschlåge, Kooperation verbessert werde. Erforderlich
die niemand vorausahnte, von Gruppen oder sei ein ¹globales sicherheitspolitisches Den-
Einzelpersonen (wie den ¹Kofferbombernª), kenª. 22
die zuvor niemand kannte, sind nicht als Risi-
ko (das man berechnen, zu dem man sich ent- Es ist also festzustellen, dass Problem und
scheiden kann), sondern als Gefahr aufzufas- Herangehensweise, oder anders ausgedrçckt:
sen (die man eben nicht kalkulieren kann). die Organisation des Wissens und die Orga-
nisation der Sicherheitsakteure zusammen-
In dieser Lage zerbræckelt der Kontrollmy- hången. In klassischen Kategorien ± wie staat-
thos der (national-)staatszentrierten Moderne lich vs. privat, innere vs. åuûere Sicherheit,
auch fçr die ¹innere Sicherheitª. Zugleich Organisierte Kriminalitåt vs. Terror, politi-
werden mit ¹neuen Steuerungsmodellenª sche Steuerung vs. begrenzt oder gar nicht
auch jene Institutionen umgebaut, die Sicher- steuerbare Ereignishaftigkeit, politisches vs.
heit garantieren sollen ± mit dem Versprechen sportliches Groûereignis usf. ± nicht (mehr)
immer græûerer Effizienz und Effektivitåt greifbare Phånomene erfordern sowohl ande-
unter Annahme einer zumindest begrenzten re Wissensstrategien als auch andere Strate-
Steuerungsfåhigkeit sozialer Prozesse. Der gien der Organisation des Handelns. Das sind
alltågliche Widerspruch zwischen Nichtwis- die zwei Seiten der Komplexitåt von Sicher-
sen und Unvorhersehbarkeiten einerseits heitsaufgaben.
sowie Steuerungsanspruch und Organisati-
onsbedarf andererseits ist eklatant. Das be- Die Wissensgrundlagen im Feld der ¹inne-
deutet dennoch keine Handlungsunfåhigkeit ren Sicherheitª unterliegen vielfåltigen Defi-
des Staates, denn er verfçgt çber nicht uner- nitions- und Aushandlungsprozessen. Was als
hebliche institutionelle Anpassungsreserven, Wissen und als Nichtwissen ± etwa fçr poli-
die Chance der Nutzung neuer Steuerungsin- zeiliche Lagebeschreibungen, Entscheidun-
strumente und die Mæglichkeit zur Ausnut- gen und Problemlæsungen ± gilt, ist ebenso
zung von Kooperationszwången. umstritten und umkåmpft wie die damit ein-
hergehenden politischen und praktischen
Mit dieser Diagnose ist zugleich festzustel- Konsequenzen sowie zuvor schon die Ursa-
len, dass sich sowohl Informationen çber die chen. 23
immer komplexer werdenden gesellschaftli-
chen Verhåltnisse immer schwieriger gewin- Es åndern sich nicht nur die Bedingungen
nen lassen als auch die Mæglichkeiten ab- und Ausdrucksformen, wie das begriffliche
nehmen, sicheres Wissen zur Verfçgung zu Konstrukt ¹Sicherheitª mit Sinn und Praxis
haben. Damit nehmen unklare, nicht oder gefçllt wird, sondern auch die Arbeitsteilun-
schwer zu entscheidende Situationen zu ± so- gen, Wahrnehmungskategorien und Metho-
wohl im Bereich der Wissenschaft als auch in
dem der Politik. Von dieser Krise des Wissens 22 August Hanning, Neue Herausforderungen fçr den

Bundesnachrichtendienst ± Beitrag zur Konferenz


20 John Kenneth Galbraith, The Age of Uncertainty, ¹Nachrichtendienste und Sicherheitsbehærden im
Boston 1977; Ulrich Beck, Risikogesellschaft, Frank- Zeitalter der Globalisierungª der Friedrich-Ebert-Stif-
furt/M. 1986; ders., Weltrisikogesellschaft, in: Inter- tung, 21. ± 22. Mai 2001.
nationale Politik, (1995) 8, S. 13±20. 23 Vgl. u. a. Klaus P. Japp, Zur Beobachtung von
21 Vgl. die Beitråge in Ronald Hitzler/Helge Peters Nichtwissen, in: Soziale Systeme, 2 (1997), S. 289 ±312;
(Hrsg.), Inszenierung: Innere Sicherheit, Opladen Peter Wehling, Jenseits des Wissens?, in: Zeitschrift fçr
1998. Soziologie, 30 (2001) 6, S. 465±484.

22 APuZ 12/2007
den der Herstellung und Erhaltung von Si- duzierte Absicherung ja umgekehrt gewin-
cherheit. Drei inhaltliche Dimensionen sind nen) flexibel mit anderen kooperieren und
zu beachten: erstens das elementare Bedçrfnis sich dabei fortwåhrend selbst verwandeln.
nach Selbstgewissheit und Sicherheit bezçg-
lich kçnftigen fremden Verhaltens; zweitens Potenziale und Grenzen von
der Anspruch auf die soziale Verfçgbarkeit
von ausreichend vielen und hinlånglich zu- Netzwerken der Sicherheit
friedenstellenden Verhaltensweisen; drittens
das Vertrauen in den Sinn und Zweck der ge- Die Organisation der Inneren Sicherheit in
sellschaftlichen Verfahren zur Lizenzierung, der Netzwerkperspektive zu betrachten, fin-
Kontrolle und Stabilisierung dieser Verfah- det in der jçngeren Organisations-, Policy-
rensmuster. 24 Die weitere Entwicklung wird und Technikforschung Vergleichsfolien, ins-
zeigen, auf welche Weise die verschiedenen besondere dort, wo es um so genannte
Sicherheitsinstitutionen diese Dimensionen in ¹Unternehmungsnetzwerkeª und ¹Innova-
ihren Kooperationen umsetzen, ergånzen tionsnetzwerkeª geht. Im Wirtschaftsleben
oder verkçrzen. entwickelte Organisationsformen (¹Neues
Steuerungsmodellª, ¹Outsourcingª u. v. a.)
Wolfgang Bonû empfiehlt bereits seit lån- werden regelmåûig als Reformwege fçr die
gerem einen Perspektivenwechsel sowohl fçr æffentliche Verwaltung propagiert und imple-
die Sicherheitsforschung als auch fçr die Si- mentiert.
cherheitspolitik: Nachdem die Konzepte ad-
ditiver und absolut-rationaler Sicherheit nicht Die Netzwerkbildung gilt in der Wirtschaft
mehr tragbar seien, kænne man nicht mehr als probate Strategie, Engpåsse und Mangel
davon ausgehen, dass die Ideale absoluter Ra- an Ressourcen einzelner Organisationen zu
tionalitåt und vollståndiger Sicherheit aus çberwinden, indem der Zugang zu externem
zeitlichen, finanziellen oder sonstigen Grçn- Wissen ermæglicht werde. 26 Neue Hand-
den noch nicht realisiert worden seien, son- lungsfelder kænnten so erschlossen und Græ-
dern man mçsse nach der Maxime arbeiten, ûen- wie Spezialisierungsvorteile fçr den Ge-
dass sie grundsåtzlich nicht realisierbar sind. samtverbund realisiert werden. Die prinzi-
Wichtig sei es zu untersuchen, wie (Erwar- pielle Unsicherheit von komplexen und auf
tungs-)Sicherheit jenseits absoluter Rationali- eine begrenzt prognostizierbare Zukunft ge-
tåts- und Informationsideale tatsåchlich pro- richteten Prozessen werde fçr die beteiligten
duziert wird und insbesondere, welche Ab- ¹Partnerª reduzierbar und kalkulierbar. Fle-
kçrzungsstrategien und sonstige Verfahren xibilitåt und Offenheit in Kooperation und
jenseits dieser absoluten Ideale dabei zum Kommunikation mçssten dabei gewåhrleistet
Tragen kommen. 25 sein ± eine schwierige Herausforderung fçr
bçrokratische Organisationen, seien es Wirt-
Sicherheit in Zeiten der Krise von Sicher- schaftskonzerne oder Behærden.
heit und sicherem Wissen stellt sich dar als
eine Aufgabe, die individuell-kreativer und Solche Netzwerke kænnen definiert wer-
zugleich breiter denn je verteilt gelæst werden den als eine Koordinationsform von spezifi-
muss, und als eine Aufgabe, bei der man es schen Aktivitåten, die formal selbståndige,
aushalten muss, keine absolut verlåsslichen praktisch indes mehr oder weniger abhångige
Garantien mit auf den Weg nehmen zu kæn- Institutionen und Organisationen durch
nen. Paradox an der Situation ist, dass sich so- komplexe und wechselseitige, eher kooperati-
wohl Institutionen als auch einzelne Gesell- ve denn kompetitive und relativ stabile Bezie-
schaftsmitglieder stårker auf sich selbst ver- hungen relativ dauerhaft miteinander verbin-
lassen mçssen. Zugleich mçssen sie aus ihrer det. 27 Sie dienen erstens als das organisatori-
Autonomie heraus (welche sie durch die re- sche Mittel fçr einen Rationalisierungszugriff
auf die gesamte Handlungskette und damit
24 Vgl. Udo Zelinka, Sicherheit ± ein Grundbedçrfnis fçr die Nutzung neuer Potenziale zur
des Menschen?, in: Ekkehard Lippert/Andreas Prç- Kostenminimierung und Leistungssteigerung,
fert/Gçnther Wachtler (Hrsg.), Sicherheit in der un-
sicheren Gesellschaft, Opladen 1997, S. 43 ff. 26 Vgl. Hartmut Hirsch-Kreinsen, Wirtschafts- und
25 Vgl. Wolfgang Bonû, Die gesellschaftliche Kon- Industriesoziologie, Weinheim ± Mçnchen 2005, S. 202.
struktion von Sicherheit, in: E. Lippert u. a. (Anm. 24), 27 Vgl. Jærg Sydow, Strategische Netzwerke, Wiesba-

S. 21 ff. den 1992, S. 82.

APuZ 12/2007 23
zweitens zur Bewåltigung immer schnelleren oder um andere Formen von Verbindungen
und unçberschaubareren Wandels und der handelt ± inwieweit diese in der Industrie und
Verkçrzung von Innovationszeiten; drittens Úkonomie zu beobachtenden Vernetzungs-
zielt die Netzwerkbildung auf die Auswei- tendenzen und -formen auch auf bzw. fçr die
tung der Aktivitåten der beteiligten Ak- ¹innere Sicherheitª çbertrag- und feststellbar
teure. 28 sind. Netzwerkbildungen und vernetztes
Handeln in Wirtschaft und Staat mçssen erst
Trotz des allgemeinen ¹Netzwerk-Hypesª noch grundståndig verglichen werden, denn
kann man feststellen, dass in der Wirtschaft Rahmenbedingungen und Begleiterscheinun-
nicht grundsåtzlich eine positive Netzwerk- gen, Handlungsweisen und institutionelle
orientierung herrscht. Bei weitem nicht çber- Strukturen sind jeweils unterschiedlich ge-
all besteht zwischen Firmen oder zwischen wachsen. Es wåre spannend, Klarheit zu dar-
Abteilungen eine netzwerkfærmige Koopera- çber bekommen, ob die Rede von ¹Vernet-
tion. Die Bedeutung und Funktionalitåt von zungª nicht sozusagen ¹unter der Handª
nicht-kooperativen Handlungsformen wird Netzwerkstrukturen nur suggeriert, wo sie
nicht selten hæher eingeschåtzt. Zumindest empirisch gar nicht gegeben oder nicht hand-
kann man allerorts hæchst unterschiedliche lungsfåhig sind.
und in ihren Kontexten auch funktionale
Mischformen von Organisation und Steue- Ein klarer Bedarf zeichnet sich hiermit fçr
rung finden. Kooperationen kænnen gemischt sozialwissenschaftliche Forschung çber Insti-
strategisch, partnerschaftlich, marktorientiert, tutionen, Handeln und Wissen im Bereich der
regional, policyorientiert, innovations- oder ¹inneren Sicherheitª ab. Es wird in Zukunft
diffusionsorientiert, umfassend oder projekt- darum gehen, die Netzwerk-Rhetorik in der
orientiert sein. Vor allem, wenn es sich um il- Sicherheitspolitik als Selbstbeschreibungsfor-
legale, teil-legale oder sich im Graubereich mel zu analysieren und zu prçfen, welche tat-
abspielende Aktivitåten handelt (beispiels- såchlichen Struktureffekte und alltåglichen
weise die VW-Hartz-Affåre, die Siemens- Praxisformen auftreten.
Korruptions- und die Preisabsprachen-Affå-
re), werden eher kleinråumige, informelle
und intern abhångig gemachte ¹Netzwerkeª Fazit und Ausblick
geknçpft.
Die Idee des ¹Netzwerksª und des ¹Netzesª
Hinzu kommt oft eine instrumentelle wird landlåufig sowohl mit produktiver In-
Komponente, wonach ein Netzwerkansatz novation (in der Úkonomie) als auch mit Si-
gar keinen Selbstzweck darstellt, sondern zur cherheit (im Sozialstaatsdenken und bei der
Erreichung etwa eines Restrukturierungsziels Gefahrenabwehr) assoziiert. Diese Vorstel-
vorçbergehend eingesetzt wird, um bestehen- lung muss um eine ¹negativeª Dimension er-
de Strukturen aufzubrechen, dann aber wie- gånzt werden: der des bedrohlichen, krimi-
der anders zu stabilisieren. Auch kænnen die nellen, terroristischen Netzwerks. Daneben
Motive und Erfolgskriterien der Akteure er- kænnte sich die ganz anders gelagerte Vorstel-
heblich divergieren, die gewachsenen Kultu- lung, lediglich Individuen seien dem neolibe-
ren und Technologien der beteiligten Akteure ralen Trend zur De-Sozialisierung ± heraus
inkompatibel sein, wechselseitiges Vertrauen aus der Geborgenheit vorsorgestaatlicher Ab-
kann mitunter zu langsam wachsen. Die sicherung ± ausgesetzt, als Illusion erweisen.
Spannung zwischen Autonomie und Abhån-
gigkeit im Netzwerk ist zu bewåltigen. 29 Auch Institutionen kann das Schicksal ereil-
en, dass zusehends ihre Potenziale als aktive
Dabei ist freilich noch zu çberprçfen, in- Agenten des eigenen Schicksals betont werden
wieweit es sich im Sicherheitsbereich von Fall und quasi unternehmerische Eigeninitiative
zu Fall çberhaupt um Netzwerkstrukturen und marktorientierte Kooperationsbereit-
schaft erwartet wird. Damit werden die Sicher-
heitsinstitutionen, aber auch die Inhaber de-
28 Vgl. H. Hirsch-Kreinsen (Anm. 26), S. 98 f.
29 Vgl. F. Hellmer u. a. (Anm. 11), S. 245 ff., mit Bei-
ren politischer Steuerung umzugehen haben.
spielen aus Regionalnetzwerken; J. Sydow u. a. Nicht immer ist klar, ob die Konsequenzen der
(Anm. 11), S. 447 ff., mit dem Beispiel der Ver- relativen Freisetzung und Vernetzung von
sicherungsnetzwerke. Institutionen gånzlich intendiert sind.

24 APuZ 12/2007
Mit dem Begriff des transinstitutionalen Jo Reichertz
Polizierens haben wir den Trend zur insti-
tutionençbergreifenden, Pråvention wie Re-
pression, Exekutive wie Legislative, Staat wie
Wirtschaft bis hin zur Zivilgesellschaft um-
Die Medien als
fassenden, relativ dauerhaft koordinierten
Kooperation bezeichnet, deren Ziel es ist, selbståndige
Akteure
¹Sicherheitª zu erreichen und zu erhalten.

Je nachdem, wie die Kooperation angelegt


ist und wirkt, kann das Ziel womæglich nicht
mehr ¹innere Sicherheitª im herkæmmlichen
Sinne heiûen, sondern andere Maûståbe betref-
fen. Dabei kann es um die Beeinflussung des
¹Sicherheitsgefçhlsª einzelner gesellschaftli-
cher Gruppen ebenso gehen wie um Ab- D ie Verfasser sozialwissenschaftlicher
Zeitdiagnosen sind sich im Wesentli-
chen ± unabhångig davon, ob sie unter dem
schreckung durch immensen Sicherheitsauf-
wand (wie bei der Fuûballweltmeisterschaft) Label Risiko-, Wissens- oder Kommunikati-
oder um die Verschiebung des Verhåltnisses onsgesellschaft oder anderen firmieren ± da-
von bçrgerlichen Freiheiten und ¹innerer Si- rçber einig, dass die deutsche Gesellschaft
cherheitª, durch Polizei, Militår und Geheim- (und nicht nur diese) (a) durch einen massi-
dienste (wie durch das so genannte ¹Terro- ven und umfassenden, alle gesellschaftlichen
rismusbekåmpfungsergånzungsgesetzª). Den Bereiche beeinflussenden Globalisierungs-
Maûstab veråndern kann indes auch heiûen, schub, (b) durch eine
mit der neuen Gefahrenangst so umzugehen, tief greifende Heraus- Jo Reichertz
dass der Sicherheitsanspruch an den Staat re- læsung des Einzelnen Dr. phil. , geb. 1949; Professor
duziert wird. 30 aus angestammten an der Universität Duisburg-
Gruppen bei gleichzei- Essen, Campus Essen,
Sowohl ækonomische als auch gesell- tiger Angewiesenheit FB Geisteswissenschaften,
schaftsdiagnostische Argumente werden an- auf neue gesellschaftli- 45117 Essen.
gefçhrt, um die netzwerkfærmige Re-Organi- che Institutionen, (c) jo.reichertz@t-online.de
sation der ¹Sicherheitª zu legitimieren: Effi- durch weiter anwach-
zienz und Effektivitåt, Risikogesellschaft und sende und noch be-
Entgrenzung. Vernetzung bedeutet, Struktu- deutsamer werdende Interkulturalitåt und
ren und Handeln auf besondere Weise zu ver- (d) durch die zentrale Rolle von Wissen und
knçpfen: aufeinander abzustimmen. Wie Kommunikation bei der Bearbeitung und Be-
nicht anders zu erwarten, ist das Feld der ¹in- wåltigung der aus den Besonderheiten moder-
neren Sicherheitª im strengen Sinne bislang ner Gesellschaften resultierenden Integrati-
nur ansatzweise vernetzt. Ob das Netzwerk onsprobleme gekennzeichnet ist. 1
die Organisationsform der Zukunft schlecht-
hin werden wird, ist vællig offen. Fçr solche Gesellschaften ist der Kampf
der Perspektiven konstitutiv: Unterschiedli-
che und oft heftig miteinander konfligierende
Sitten, Normen und Interessen mçssen
immer wieder neu aufeinander abgestimmt
und in ein ,Gleichgewicht` gebracht werden.
Bei diesem Prozess spielen mediale Kommu-
nikation und die Medien auch deshalb eine
wichtigere Rolle, weil immer mehr, immer
æfter und immer begrçndeter Geltungsan-
sprçche und Legitimationen ausgehandelt
werden mçssen.
30 Vgl. Wolfgang Sofsky/Sonja Zekri, ¹Wir kehren
1 Vgl. Ulrich Beck/Edgar Grande, Das kosmopoliti-
zurçck in historisch normale, gefåhrliche Zeitenª, in:
Sçddeutsche Zeitung vom 24. 8. 2006, S. 11. sche Europa, Frankfurt/M. 2004; Anthony Giddens,
Der Dritte Weg, Frankfurt/M. 1999; Richard Sennett,
Der flexible Mensch, Berlin 2000.

APuZ 12/2007 25
Die deutsche Gesellschaft ist aus dieser Sicht eine Ge- renzbedingungen, denen sich auch die æffent-
sellschaft, lich-rechtlichen Sender nicht entziehen
kænnen, quantitativ wie qualitativ in entschei-
± in der das individuelle Leben immer stårker und dender Weise veråndert: Die Vermehrung der
immer håufiger durch die Notwendigkeit kommunika- Medien hat zur Folge, dass (auf der Suche
tiven (Aus-)Handelns gekennzeichnet ist; 2 nach ¹Contentª) immer mehr Bereiche
± in der staatliche, wirtschaftliche und private Organi- immer intensiver beobachtet werden, so dass
sationen personale wie mediale Kommunikation als kaum mehr ein Bereich der Gesellschaft von
ein Steuerungsmittel erster Gçte ansehen und zuneh- ihrer Beobachtung ausgespart bleibt. Die
mend kompetent zur Erreichung ihrer Ziele einset- Konkurrenz der Medien und vor allem: die
zen; 3 persænliche Konkurrenz der in den Medien
Arbeitenden hat die Art der Berichterstattung
± in der die lokale, nationale wie internationale Úf- (Kampf um Aufmerksamkeit) in wesentlichen
fentlichkeit sich im Wesentlichen mit Hilfe der Mas- Punkten veråndert: Es geht vor allem um
senmedien informiert und durch sie auch irritieren Quoten und Auflagenhæhe. Diese qualitati-
bzw. animieren låsst; 4 ven wie quantitativen Verånderungen der Er-
reichung gesellschaftlicher Úffentlichkeit mit
± in der die Medien sich nicht mehr auf die Rolle von Hilfe der Medien, die ich hier mit dem Begriff
Informationsspeichern und Informationstransportern Mediatisierung bezeichnen mæchte, sind von
reduzieren lassen, sondern, vor allem aus ækonomi- den Sozialwissenschaften bislang weder hin-
schen Notwendigkeiten, eigenståndige Interessen arti- reichend erfasst noch hinreichend auf ihre
kulieren und als gesellschaftliche Akteure auftreten 5 Folgen hin untersucht worden.
und
Der Begriff Mediatisierung, der meist sy-
± in der Probleme des Wissens und der Kommunikati-
nonym mit dem Begriff Medialisierung be-
on von Kommunikationstechnologien çbernommen
nutzt wird, ist in der Medienwissenschaft
werden und diese Medien deshalb als Bedingung, Mit-
schon mehrfach zu Recht wegen seiner Miss-
tel und Akteure erfolgreichen Regierens und Wirt-
verståndlichkeit kritisiert worden. Wenn ich
schaftens nicht mehr wegzudenken sind. 6
ihn gleichwohl bewusst weiterhin verwende,
dann deshalb, weil damit ein neues Phånomen
Seit der Úffnung des Rundfunkmarktes fçr
angesprochen werden soll, das çber die Medi-
private Anbieter ist eine tief greifende Verla-
alisierung hinausgeht. Medialisierung besagt
gerung des gesellschaftlichen und politischen
nåmlich nur, dass alles Wichtige und alles,
Geschehens in den æffentlichen Diskurs hi-
was als wichtig gelten will, in den Medien
nein zu verzeichnen: Medien und der damit
auftauchen muss. Mediatisierung meint dar-
verbundene Mediatisierungsprozess stellen
çber hinaus auch den Prozess der Ausrich-
nicht mehr nur die ,Begleitmusik` zum ei-
tung und Gestaltung des Handelns von ge-
gentlichen politischen Geschehen dar, son-
sellschaftlichen Akteuren auf die Medien und
dern sind ein wesentlicher Teil der Politik. 7
deren Berichterstattung hin. All das ist in mo-
dernen Demokratien allgegenwårtig, 8 auch
Die Herstellung von ¹Úffentlichkeitª hat
weil jede Politik an Legitimation gebunden
sich durch die mit der Privatisierung des
ist. Deshalb mçssen alle gesellschaftlichen
Rundfunks einhergehende sprunghafte Ver-
Akteure sich darum bemçhen, den Glauben
mehrung der Medien und die neuen Konkur-
an die Legitimitåt der eigenen Perspektive
und Position zu erzeugen. 9 Dies versuchen
2 Vgl. Hubert Knoblauch, Kommunikationskultur,
politische Akteure zunehmend dadurch zu
Konstanz 1995.
3 Vgl. Manuel Castells, Das Informationszeitalter,
erreichen, dass sie allen ¹Stakeholdersª eine
Bd. 2, Opladen 2002. Visualisierung oder ¹Versinnbildlichungª
4 Vgl. Richard Mçnch, Dialektik der Kommunika- ihrer Politik anbieten, die ihnen die Erzeu-
tionsgesellschaft, Frankfurt/M. 1991. gung dieser Legitimitåt ermæglicht bzw. nahe
5 Vgl. Christiane Eilders/Friedhelm Neidhardt/Bar-

bara Pfetsch, Die Stimme der Medien, Wiesbaden 2004;


Jo Reichertz, Die frohe Botschaft des Fernsehens, 8 Vgl. Hans Mathias Kepplinger, Die Demontage der

Konstanz 2000. Politik in der Informationsgesellschaft, Freiburg 1998.


6 Vgl. Jçrgen Wilke, Massenmedien und Zeit- 9 Vgl. Otfried Jarren/Patrick Dongers, Politische

geschichte, Konstanz 1999. Kommunikation in der Mediengesellschaft. Eine Ein-


7 Vgl. R. Mçnch (Anm. 4), S. 17. fçhrung, 2 Bde., Wiesbaden 2002.

26 APuZ 12/2007
legt. Politik und Politiker ± obwohl schon man scheinbar folgenlose Gesetzestexte auch
immer auf Inszenierung angewiesen und des- ¹symbolische Gesetzeª. Diese sind Teil eines
halb darin ausgewiesen ± mçssen in erheblich symbolischen Rechts, welches seinerseits
gesteigertem Maûe inszeniert werden, wobei Ausdruck einer symbolischen Politik ist. Eine
sich alle beteiligten Akteure immer mehr dar- beliebte Metapher fçr symbolische Politik:
auf ausrichten, Ereignisse zu dramatisieren ¹Es wird politisch viel Wind gemacht und er-
oder allgemeiner: zu theatralisieren. 10 reicht wird nichts.ª

Mediatisierung meint darçber hinaus, dass Der Begriff ¹Mediatisierungª meint hier
Politik in den Medien stattfindet. Die Medien sehr viel mehr und anderes als symbolische Po-
berichten nåmlich nicht nur çber die fçr sie litik: Die Berichterstattung in und durch die
inszenierte Politik und darçber, was in der Medien ist fçr alle gesellschaftlichen Akteure
Politik entschieden wird, sondern sie ermæg- enorm wichtig, nicht nur, weil alle, die wahrge-
lichen und unterstçtzen bzw. erschweren nommen und berçcksichtigt werden wollen, in
oder unterlaufen die politische Entscheidung den Medien vorkommen mçssen, sondern weil
± nicht nur und nicht allein durch einen poli- die Medien Teil der praktischen Politik gewor-
tischen Kommentar, Sondersendungen, Talk- den sind. Deshalb drångt alles und jeder in die
shows und Politikmagazine. Sie stellen viel- Medien ± nicht weil sie gesehen werden wol-
mehr die Arena, in der Politik ± zumindest len, sondern weil sie beteiligt sein wollen. Me-
ein Teil davon ± betrieben wird. Die Medien dien sind deshalb wirksam, und die Darstel-
sind wie selbstverståndlich in politische lungspolitik, so sehr sie auch mit Symbolen ar-
Steuerungsprozesse (Governance) eingebun- beitet, ist keine symbolische Politik, sondern
den, und sie stellen nicht nur die Rennbahn praktische Politik mit Symbolen.
zur Verfçgung, sondern sie sind selbst Akteu-
re in dieser Konkurrenz um die ¹Angemes-
senheitª von Politik. Vor allem deshalb wird Polizieren und
hier bewusst der Begriff der Mediatisierung der Mediatisierungsprozess
verwendet. In den Medien spielt sich also ein
æffentlicher Kampf um die (Be-)Deutung und Diese allgemeinen Bestimmungen zur figura-
Durchsetzung von Politik ab, der çber die tiven Politik gelten noch sehr viel mehr, wenn
rein symbolische Politik hinausgeht und der es darum geht, eine Neuausrichtung gesell-
eine qualitativ neue Form besitzt, die Hans- schaftlicher Herstellung und Verantwortung
Georg Soeffner und Dirk Tånzler figurative ¹innerer Sicherheitª zu erreichen, durchzuset-
Politik genannt haben. 11 zen und zu verankern ± geht es doch hier nicht
um die Fortschreibung eines bereits vorhan-
Mit ¹figurativer Politikª ist ausdrçcklich denen Handlungskonsenses, sondern um die
nicht ¹symbolische Politikª gemeint. 12 Der Verånderung alter Muster und Zuståndigkei-
letztere Begriff geht auf eine Debatte in den ten. Es entsteht ein erhæhter Bedarf an Erklå-
Rechtswissenschaften zurçck, denn seit Jo- rung und Legitimation, was reflexartig zur
seph R. Gusfield 13 und Paul Noll 14 nennt verstårkten Mediennutzung fçhrt. Auch hier
mçssen alle Akteure im Feld des ¹Polizie-
10 Vgl. auch Thomas Meyer, Inszenierte Politik und rensª, so sie denn wirken und ihr Handeln le-
politische Rationalitåt, in: Karl-Rudolf Korte/Werner gitimieren wollen, mit den Medien ,umgehen`
Weidenfeld (Hrsg.), Deutschland Trend Buch, Op- ± das gilt nicht nur fçr die çberregional prå-
laden 2001, S. 547±571. senten Akteure, sondern auch und gerade fçr
11 Hans-Georg Soeffner/Dirk Tånzler, Figurative Po-
die nur regional und/oder lokal pråsenten.
litik. Prolegomena zu einer Kultursoziologie politi-
schen Handelns, in: dies. (Hrsg.), Figurative Politik.
Zur Performanz der Macht in der modernen Gesell- Mit Polizieren (nicht zu verwechseln mit
schaft, Opladen 2002, S. 17±34. policing) ist also das gesamte staatliche, priva-
12 Vgl. Ulrich Sarcinelli, (Hrsg.), Politikvermittlung te, von Verbånden und Bçrgerinitiativen ge-
und Demokratie in der Mediengesellschaft, Bonn 1998. tragene Handeln gemeint, das çberregional,
13 Vgl. Joseph R. Gusfield, Symbolic crusade: Status
regional oder lokal auf die Erreichung und Er-
politics and the American temperance movement, Ur-
bana 1998.
haltung von Sicherheit zielt. Ausdrçcklich
14 Vgl. Paul Noll, Symbolische Gesetzgebung, in: sind damit zwei Prozesse angesprochen: die
Zeitschrift fçr Schweizerisches Recht, (1981) 1, S. 347± jeweils historisch fundierte und in die jeweili-
364. ge Kultur eingebundene Herstellung von ¹in-

APuZ 12/2007 27
nerer Sicherheitª durch bestimmte Institutio- chen und unçbersichtlichen Verståndigungs-
nen und Personen einerseits und die Deutung prozess, mit dem sicherheitspolitische Selbst-
und Akzeptanz der Leistungsfåhigkeit dieser verståndlichkeiten zur Disposition gestellt
Institutionen und Personen durch die Úffent- und durch neue Entwçrfe ersetzt werden.
lichkeit, die Medien und die Bçrger ande-
rerseits. Allerdings kænnen Herstellung und Die am Diskurs Beteiligten sind ganz im
Deutung nur analytisch voneinander getrennt Sinne der ¹Reflexiven Moderneª 16 immer
werden, gibt es im gesellschaftlichen, kommu- wieder von neuem zu einem Ûberdenken und
nikativ vermittelten Prozess doch keine strikte Modifizieren ihrer Positionen gezwungen.
Arbeitsteilung zwischen aktiven Produzenten Dieser Verståndigungsprozess çber die innere
auf der einen und passivem Publikum auf der Sicherheit und die mit ihm einhergehenden
anderen Seite. Denn die in interpersonalen wie machtpolitischen Auseinandersetzungen sind
medialen Diskursen vorgenommene Deutung heute ohne die Beteiligung der Medien nicht
von Sicherheit beeinflusst ihrerseits Wahrneh- mehr denkbar. Politische Akteure mçssen,
mungs- und Verhaltensmuster und kann als wollen sie und ihre Positionen im æffentli-
solche an der ¹Herstellungª von ¹innerer Si- chen Diskurs auftauchen, das Treiben der
cherheitª durchaus beteiligt sein. Úffentlich- Journalisten (teils mit professioneller Hilfe)
keit, Medien und Bçrgerschaft kænnen daher beobachten: So produzieren sie Ereignisse,
nicht nur als ¹Resonanzkærperª, sondern damit çber sie berichtet wird, sie mçssen mit
mçssen ebenfalls als aktiv gestaltende Akteure ihren PR-Beratern oder Spin Doctors 17 Stra-
betrachtet werden. tegien entwickeln, in welchen Medien und in
welchen Sendungen in welchem Outfit çber
Medien (regionale wie çberregionale) und welches Thema etwas gesagt werden sollte.
der Prozess der Mediatisierung spielen also ± Diese Einflussnahme auf die Medien ist aber
da sich alle Beteiligten ihrer bedienen wollen ± nicht ungebrochen mæglich, hat sich doch das
zunehmend eine wichtige und auch qualitativ moderne Mediensystem aufgrund politischer
neue Rolle. Besonders markante, medial gut und ækonomischer Rahmenbedingungen zu-
vermittelbare, weil dramatische Groûereignis- nehmend zu einem eigenståndigen gesell-
se wie die Anschlåge vom 11. September 2001 schaftlichen Subsystem entwickelt, das nach
in New York und Washington oder jene vom eigenen Logiken und Zwången verlåuft. Damit
11. Mårz 2004 in Madrid dienen dazu, Pro- entzieht es sich weitgehend dem unmittelbaren
zesse der Neuorientierung anzustoûen bzw. Zugriff politischer Akteure. Das Mediensys-
bereits laufende zu deuten und zu rechtferti- tem hat sich eigene Spielregeln geschaffen,
gen. So gaben die Terroranschlåge in New gemåû derer Berichterstattung funktioniert.
York in fast allen westlich orientierten Staaten
(fçr alle Akteure) den symbolischen Katalysa- Medien ± so sie denn um sich herum eine
tor ab, mit dem teils weit reichende Verånde- soziale Organisation gebildet haben, und das
rungen der Politik der inneren Sicherheit legi- sind in modernen Gesellschaften all die, die
timiert wurden und immer noch werden. 15 auf massenhaften Verkauf angewiesen sind ±
beobachten nåmlich in der Regel die Welt
An dem aktuell zu beobachtenden Sicher- gemåû eigener Relevanzen, also auch das Wir-
heitsdiskurs, der durch die Entwicklung der ken der politischen Akteure. 18 Sie setzen die
Deregulierung bei gleichzeitiger Neuregulie- Prioritåten dabei auf das, was ihren Kåufern
rung des Polizierens maûgeblich bestimmt ist, wichtig ist, etwa çber das politische Handeln
sind zunåchst die unmittelbar fçr die Gesetz- der unterschiedlichen Akteure nicht mit offi-
gebung verantwortlichen Sicherheitspolitiker ziellen Verlautbarungen informiert zu wer-
beteiligt. An ihm nehmen aber auch die Insti-
tutionen und gesellschaftlichen Gruppen teil, 16 Anthony Giddens, Konsequenzen der Moderne,
die fçr die Gewåhrleistung von innerer Sicher- Frankfurt/M. 1995; ders., Der Dritte Weg. Frankfurt/
heit verantwortlich sind bzw. die sich dafçr M. 1999.
verantwortlich wåhnen. So kommt es zu 17 Vgl. Frank Esser, Spin doctoring, in: For-

einem hochkomplexen, in sich widersprçchli- schungsjournal Neue Soziale Bewegungen, (2000) 3,


S. 17 ±24.
18 Vgl. Thymian Bussemer/Alexander Cammann
15 Vgl. Ronald Hitzler/Jo Reichertz (Hrsg.), Irritierte (Hrsg.), Politische Kommunikation in der Medien-
Ordnung, Konstanz 2003; Uwe Kemmesies, Terroris- gesellschaft, in: Vorgånge. Zeitschrift fçr Bçrgerrechte
mus und Extremismus, Mçnchen 2006. und Gesellschaftspolitik, (2002) 158.

28 APuZ 12/2007
den. Fçr die ¹Hofberichterstattungª sind die ihren direkten (Medien)Konkurrenten und
jeweiligen Regierungs- bzw. Pressesprecher zum anderen von den anderen Akteuren im
zuståndig. Deshalb dçrfen sich (in demokra- Handlungsfeld voneinander unterscheiden,
tischen Gesellschaften) die Medien ± wollen indem sie eine eigene Position liefern oder gar
sie noch Kåufer finden, also çberleben ± nicht Eigenes selbst veranlassen oder tun, liefern
von den politischen Akteuren instrumentali- mæglichen Kåufern einen Nutzen, der ± wenn
sieren lassen. Weil politische Akteure und die er groû genug erscheint ± den Kauf des Medi-
Medien sich bei ihrem Handeln an unter- ums bzw. dessen Nutzung zur Folge hat.
schiedlichen Interessen orientieren und den-
noch immer aufeinander verwiesen sind, wer- Wichtig fçr die eigene ¹Medienidentitåtª
den von beiden ¹Parteienª immer ausgefeilte- sind Auswahlentscheidungen und Pråsentati-
re Praktiken entwickelt, die jeweils andere onselemente, nach denen Ereignisse und An-
Seite fçr die eigenen Zwecke zu nutzen. Die- gebote erfasst, selektiert und dargestellt wer-
ses Bestreben ist dann besonders intensiv, den. Dieser Auswahlprozess unterliegt ver-
wenn Gewichtiges auf dem Spiel steht. Und schiedenen Rahmenbedingungen, die erstens
wenn es um die Sicherheit geht, steht Ge- von auûen (Úkonomie), zweitens durch das
wichtiges auf dem Spiel. journalistische Feld 23 auf das Mediensystem
einwirken und drittens aus der Arbeit der
Der æffentliche Kampf um die ,innere` Si- Journalisten selbst resultieren. Als wichtigste
cherheit findet mittlerweile zu wesentlichen externe Faktoren kænnen hier ækonomische,
Teilen in den Massenmedien statt (ausdiffe- politische und technologische Einflçsse ge-
renzierter Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt, nannt werden, wåhrend die Stellung im jour-
aber vor allem æffentlich-rechtliches und pri- nalistischen Feld, das Selbstverståndnis der
vates Fernsehen, Rundfunk, Internet: Home- einzelnen Journalisten, der vermeintliche
pages/Mails/Chats). Die parlamentarische Nachrichtenwert und die Darstellungszwån-
Debatte, die lange Zeit die Bçhne der æffent- ge der Medien die bedeutendsten internen
lichen Auseinandersetzung war, hat an Be- Faktoren ausmachen. 24
deutung verloren, erlangt jedoch dann wieder Es ist davon auszugehen, dass die Medien
etwas mehr Gewicht, wenn sie in Phoenix innerhalb der politischen Kommunikation im
live çbertragen wird. Deshalb ist jede politi- Allgemeinen und des sicherheitspolitischen
sche Debatte in eine an Personen gebundene Diskurses im Besonderen in konkreter ± teils
¹Úkonomie der Aufmerksamkeitª 19 und die durch persænliche Beziehungen gesicherter ±
damit einhergehenden Inszenierungschancen Wechselbeziehung zu den einzelnen Akteu-
und Inszenierungszwånge von Personen ein- ren stehen und dass dadurch mehr oder weni-
gebunden. 20 ger etablierte Netzwerke existieren bzw. auf-
gebaut werden. Sie sind deshalb ± wie auch
Neu ist, dass die Medien, durchaus in Ver- die am Prozess des Polizierens Beteiligten
folgung ækonomischer Interessen, immer und ihre Agenturen ± wechselseitig sowohl
mehr selbst zu politischen Akteuren wer- Akteure als auch Instrumente im sicherheits-
den. 21 Sie haben und wollen zu allem etwas politischen Diskurs.
Eigenes (zu) sagen ± auch zur inneren Sicher-
heit. 22 Die Medien (Zeitungen wie Fernseh- Und genau auf diesen Sachverhalt richten
sender) entwickeln mittels eigener Deutungen die Akteure im sicherheitspolitischen Diskurs
und Kommentierungen ein eigenes Profil zunehmend ihr Verhalten aus. Sie entwickeln
(Corporate Identity), das sich von der Kon- auf allen Ebenen (çberregional, regional und
kurrenz abgrenzt. Sie werden dadurch unter- lokal) Strategien und Konzepte fçr den Um-
scheidbar. Medien, die sich zum einen von gang mit den Medien und fçr eine medienge-
rechte Pråsentation. Sie richten innerhalb
19 Georg Franck, Úkonomie der Aufmerksamkeit. ihrer Behærden Abteilungen ein, die entspre-
Ein Entwurf, Mçnchen 1998. chende Konzepte ausarbeiten und die rele-
20 Vgl. hierzu Ronald Hitzler/Helge Peters (Hrsg.),
vanten Kontakte herstellen. Dabei nutzen sie
Inszenierung: Innere Sicherheit, Opladen 1998, sowie
H.-G. Soeffner/D. Tånzler (Anm. 11); Andreas Dær-
ner, Politische Kultur und Medienunterhaltung, Kon- 23 Vgl. Pierrre Bourdieu, Ûber das Fernsehen, Frank-

stanz 2000. furt/M. 1998.


21 Vgl. J. Reichertz (Anm. 5). 24 Vgl. auch Achim Baum/Siegfried J. Schmidt
22 Vgl. C. Eilders/F. Neidhardt/B. Pfetsch (Anm. 5). (Hrsg.), Fakten und Fiktionen, Konstanz 2002.

APuZ 12/2007 29
auch eine mittlerweile entstandene medien- lung im Falle des sicherheitspolitischen Dis-
politische Beraterbranche und stellen sie in kurses zu beschreiben. 25 Und: Wie hat sich im
ihre Dienste ± und das alles, um die eigene si- Zuge der Neuregulierung des Polizierens das
cherheitspolitische Position in den Medien Verhåltnis der einzelnen Akteure zu den Me-
æffentlichkeitswirksam zum Tragen zu brin- dien und zur Auûen-/Selbstdarstellung insge-
gen und durchzusetzen. samt gewandelt (z. B. Wandel bei der Ausbil-
dung und Besetzung der Pressesprecher bei
der Polizei, Úffnung der Polizei fçr Auf Strei-
Die Bedeutung der Medien fe-Dokumentationen/-Serien etc.)?
in der Debatte um mehr Sicherheit
Wichtig erscheint mir, sich bei solchen Ana-
Deshalb muss, will man den Diskurs in Zu- lysen auf ,fçhrende` Medien zu konzentrieren,
kunft differenzierter fçhren, aus meiner Sicht also auf die Printmedien und auf das Fernse-
sehr viel mehr Aufmerksamkeit (a) dem Dis- hen. Das Internet wird als eigenståndiges Dis-
kurs in den Medien und (b) den Feldaktivitå- kursmedium gewiss beachtlich an Bedeutung
ten der Medienvertreter geschenkt werden. gewinnen, aber dessen Untersuchung hat
Fçr die Untersuchung des æffentlichen noch Zeit, weil zum einen seine Bedeutung
Kampfes um die ¹richtigeª Politik des Poli- (qualitativ wie quantitativ) noch nicht ins Ge-
zierens sind zwei Untersuchungsbereiche be- wicht fållt und weil zum anderen die einzelnen
deutsam: zum einen die Inhalte der Medien, Formate und Gattungen (Mails, Chats,
zum anderen die Rolle der Medien als eigen- Homepages, Online-Zeitungen, Boards) sich
ståndige Akteure. noch zu stark im Wandel befinden, als dass
sich mittelfristige Aussagen treffen lieûen.
Die Medien und ihre Inhalte: Wenn die Wichtig ist allerdings, dass nicht allein die so
Diskursinhalte und die Diskursakteure im genannten anspruchsvollen Medien und For-
Fokus der Untersuchung stehen sollen, dann mate (also solche, von denen sich Intellektuel-
muss zum einen geklårt werden, wer was wo le oder gar der ¹wohl informierte Bçrgerª an-
zu wem mit welchen Argumenten sagt, zum gesprochen fçhlen) untersucht werden sollten,
anderen aber auch, wie die Akteure miteinan- sondern auch die weniger ,anspruchsvollen`,
der vernetzt sind, sich aneinander orientieren da davon ausgegangen werden kann, dass
und fçreinander/gegeneinander arbeiten. diese Medien und Formate von groûen Teilen
Wichtige Orientierungspunkte fçr die Ana- der Bevælkerung genutzt werden.
lyse sind dabei durchgångig die Dimensionen Parallel dazu sollte der Frage nachgegangen
¹Handlungen ± Strukturenª (Was ist neu, was werden, wie das Zusammenspiel bzw. die
bewåhrt?) und ¹Effizienz ± Legitimationª Konkurrenz der Feldakteure, der politischen,
(Was wirkt wie ± was wird wie legitimiert?). privaten und medialen Akteure organisiert ist
bzw. war, ob und gegebenenfalls wie sie ein-
Grundlegend ist die Klårung der Fragen, ander beobachten und sich in ihren Hand-
welche Diskursinhalte, also welche Argu- lungsstrategien wechselseitig aufeinander be-
mente, Themen und Metaphern im Diskurs ziehen, 26 ob sie im Diskurs Koalitionen ein-
um innere Sicherheit von welchen Akteuren gehen oder alle einzeln agieren.
ins Spiel gebracht und genutzt werden. Hier
sollte es in erster Linie um die Rekonstruktion Hier gilt es, das Handeln auf der ¹Hinter-
der im Gebrauch der Medien kursierenden si- bçhneª auszuleuchten (Feld, Netzwerk,
cherheitspolitischen Diskusinhalte und der Klçngel), das maûgeblich an der Gestaltung
Diskursdynamik gehen: Welche Akteure be- des Sicherheitsdiskurses beteiligt ist. Wie
teiligen sich mit welchen Themen an dem Dis- gehen die verschiedenen Akteure beim Zu-
kurs, welche Positionen tauchen auf und wie griff auf die Medien vor? Wie managen sie die
beziehen sie sich aufeinander? Welche Wech- Themen, die sie fçr relevant halten oder die
selbeziehungen und Diskursentwicklungen ihnen durch externe Ereignisse auferlegt wer-
ergeben sich aus den Bezugnahmen? In welche
Darstellungs- und Inszenierungsformen ist 25 Vgl. auch Bernhard Frevel, Polizei, Politik und
die Diskursdynamik gekleidet, und welchen Medien und der Umgang mit dem bçrgerschaftlichen
Wandlungsformen unterliegt sie? Im Kern Sicherheitsgefçhl, in: Hans-Jçrgen Lange (Hrsg.), Die
mçsste es darum gehen, die Struktur der in Polizei der Gesellschaft, Opladen 2003, S. 321 ±336.
den Medien repråsentierten Diskursentwick- 26 Vgl. P. Bourdieu (Anm. 23).

30 APuZ 12/2007
den? Welche Ressourcen (Geld, PR-Berater, Implizit geschieht dies (in Deutschland) mit der Aus-
Spin Doctors, Presseabteilungen) stehen strahlung von fiktionalen Filmen und Serien (aus Ost
ihnen dabei zur Verfçgung? Welche Interes- und West), in denen der Prozess des Polizierens offen
sen verfolgen die Vertreter der Medien bei oder verdeckt thematisiert wird. Dazu zåhlt der Tatort
der Bearbeitung sicherheitspolitischer The- genauso wie Hinter Gittern, Das Schweigen der Låm-
men? Wie gestalten sie den Umgang mit den mer ebenso wie Auf der Flucht, Wolffs Revier ebenso
Akteuren? Wie unterscheidet sich die PR-Ar- wie Helicops, Groûstadtrevier und Post Mortem. 29
beit der NGOs von jener der Privatunterneh-
men oder Institutionen? Interessant sind dabei weniger so allgemeine Fragen
wie etwa das Bild des Polizisten oder die mæglicher-
Ziel sollte sein, am Fall des Diskurses die weise durch Krimis evozierte Kriminalitåtsfurcht; im
Struktur der Wechselbeziehung zwischen den Vordergrund sollte vielmehr die Klårung der Frage ste-
Akteuren und den Vertretern der Medien hen, wer in der fiktionalen Deutung (also den Krimis)
(also das Netzwerk) zu beschreiben ± und fçr das Polizieren zuståndig ist, welche Mittel von den
zwar in ihrer Bedeutung fçr das Resultat: der Akteuren eingesetzt werden, welche Konflikte zwi-
Sinnstruktur des in den Medien repråsentier- schen den Akteuren auftauchen, welchen Sinn das Zu-
ten sicherheitspolitischen Diskurses. Dabei sammenspiel der Akteure ergibt, was auf Altes zurçck-
sollte durchaus an die Ergebnisse der Nach- greift, was an Neuem eingefçhrt wird und: wie effizi-
richtenwerttheorie, der Gatekeeper- und Re- ent die dargestellten Maûnahmen sind und wie sie
daktionsforschung angeknçpft werden, 27 legitimiert werden.
doch gilt es auch, die relevanten, in der Re- Explizit beteiligen sich die Medien auch mit Eigenpro-
gion und am Ort gewachsenen Mikropoliti- duktionen am Sicherheitsdiskurs. Dies sind im Einzel-
ken im journalistischen Feld und die ækono- nen: (a) halbdokumentarische Sendungen und Serien
mischen Verflechtungen und Zwånge, die çber Institutionen des Polizierens ± so z. B. Gerichts-
immer mehr das Handeln der Medien durch- shows, Polizeisoaps wie Toto und Harry, K 11, Lenûen
dringen und bei der Selektion und Konstruk- und Partner ±, hier auch: Polizeiarbeit im Stile von Big
tion von ¹Nachrichtenª bestimmen, in den Brother; (b) Magazine, in denen die Arbeit der Sicher-
Blick zu nehmen. heitsakteure gedeutet, kommentiert und bewertet wird
± so beispielsweise in Focus TV, Spiegel TV, Extra,
Die Medien als Akteure: Das gesamte Feld Akte X/05, Monitor, Panorama; (c) Formate, in denen
des æffentlichen Kampfes çber die ¹richtigeª çber den Alltag der Arbeit der Polizei, der Sozial- und
Form des Polizierens wird aber erst sichtbar, Jugendåmter oder anderer Institutionen des Polizie-
wenn man die Medien als eigenståndige Ak- rens informiert wird ± so etwa in exklusiv. die reporta-
teure selbst in den Blick nimmt und hier vor ge; (d) Formate, in denen die Medien die Arbeit der
allem das Leitmedium, also das Fernsehen. 28 Polizei aktiv unterstçtzen ± z. B. XY-ungelæst, 30 und
Besonders gut sichtbar wird die aktive Politik (e) Nachrichtensendungen, welche die Bçrgerinnen
der Medien im regionalen und lokalen Be- und Bçrger çber Sicherheitslagen informieren und in
reich. Hier ist zu fragen: Welche Ereignisse Sicherheitsfragen beraten. 31 Alle diese Formate sollen
werden von den lokalen, regionalen und çber- in Ermangelung eines eingefçhrten Begriffs hier erst
regionalen Medien aufgegriffen, ausgearbeitet, einmal unter Ordnungs-TV gefasst werden.
verbreitet und verfolgt, und welche Bedeu-
tung/welche Folgen erlangt/erzeugt die Me- Darçber hinaus soll insbesondere im lokalen Bereich
dienthematisierung auf der regionalen/lokalen erhoben werden, ob sich die Medien oder Medienange-
Ebene? Medien stellen, so die These, nicht nur hærige in kommunalen Sicherheitsinitiativen engagie-
fçr Akteure ein Verbreitungsmittel bereit, ren, sie tragen oder sponsern und çber sie berichten.
sondern ergreifen selbst die Initiative ± auch
im Diskurs çber die richtige Form und die
29 Vgl. Vgl. Reinhold Viehoff, Der Krimi im Fern-
gçltige Legitimierung innerer Sicherheit. Dies
sehen, in: Jochen Vogt (Hrsg.), Medien Morde Mçn-
tun sie implizit und explizit. chen 2005, S. 89 ±110, sowie Ingrid Brçck, Alles klar,
Herr Kommissar?, Bonn 2002; allgemein zum Fern-
sehkrimi siehe J. Vogt (in dieser Anmerkung).
30 Vgl. Ina-Maria Reize, TV/Medienarbeit am Beispiel
27 Vgl. Georg Ruhrmann, Ereignis, Nachrichten und
von Aktenzeichen XY, Mçnchen 2006.
Rezipient, in: Klaus Merten/Siegfried J. Schmidt/Sieg- 31 Vgl. Joachim Kersten, Mediale Polizeibilder, Kon-
fried Weichenberg (Hrsg.), Die Wirklichkeit der Me- stanz ± Villingen 2005.
dien, Opladen 1994, S. 237 ±256.
28 Vgl. C. Eilders/F. Neidhardt/B. Pfetsch (Anm. 5).

APuZ 12/2007 31
Herbert Schubert ´ nehmend zivilgesellschaftlich, also von der
Bçrgerschaft selbst erbracht werden.
Holger Spieckermann ´ Katja Veil
Dies gilt sowohl fçr den Bereich der Si-

Sicherheit durch cherheit als auch fçr jenen der Pråvention. 1


War es bisher allein die Aufgabe staatlicher

pråventive Stadt-
Behærden, durch hoheitliche soziale Kontrol-
le fçr ¹Sicherheitª zu sorgen, so wird diese
Aufgabe vermehrt auf zivile Akteure und

gestaltung ± Sachsysteme çbertragen. Die daraus hervor-


gehenden Sicherheitskonzepte werden in der
Stadtforschung seit einiger Zeit kritisch beob-

Deutschland und achtet. 2 Die Kritik bezieht sich auf den zu-
nehmend privaten Charakter sozialer Kon-

Groûbritannien
trolle, der zur Durchsetzung partikularer
Vorstellungen von Sicherheit und sozialer
Ordnung fçhren kann, weil die Modernisie-
rung nach Kriterien betriebswirtschaftlicher
Rationalitåt erfolgt und das traditionelle

D er Wandel von Steuerungsfunktionen


des Wohlfahrtsstaates, dessen Versor-
gungsarrangements unter Druck geraten sind,
staatliche Kontrollmonopol an Bedeutung
verliert. Bekannte Beispiele dafçr sind private
Sicherheitsdienste in Shopping Malls und
tangiert auch die Bahnhæfen oder auch abgeschlossene Wohn-
Herbert Schubert Herstellung der in- viertel (¹gated communitiesª).
Dr. phil. Dr. rer. hort. habil., neren Sicherheit. Mit
geb. 1951; Professor an der der Rçckfçhrung des Sicherheit vor Kriminalitåt und Delinquenz
Fachhochschule Köln, Staates auf seine stellt eine grundsåtzliche Qualitåt urbanen
Mainzer Str. 5, 50678 Köln. ¹Kernaufgabenª im Zusammenlebens dar und ist einem gesamtge-
herbert.schubert@fh-koeln.de Rahmen der Ûbertra- sellschaftlichen Ziel verpflichtet, das individu-
www.sozial-raum- gung des angelsåchsi- elle Rechte nicht einschrånkt, sondern færdert.
management.de schen ¹New Public Kriminalpråvention wird daher zunehmend
Managementª in den als zivilgesellschaftliches Projekt formuliert,
Holger Spieckermann deutschen Stådten bei dem die Bçrgerschaft mehr Pflichten, aber
M.A., geb. 1964; Geschäftsfüh- und Gemeinden im auch Rechte an der Herstellung innerer Si-
rer des Instituts für Manage- Laufe der 1990er cherheit erhålt. Die zivilgesellschaftliche Re-
ment und Organisation in der Jahre treten Funktio- strukturierung von sozialer Kontrolle basiert
Sozialen Arbeit e.V. Köln (mano), nen des Regulierens auf mentalen Modellen und Praxisansåtzen,
Mainzer Str. 5, 50678 Köln. und der Steuerung die im Folgenden erlåutert werden.
holger.spieckermann@ von Rahmenbedin-
mano-koeln.de gungen in den Vorder-
www.mano-koeln.de grund. Die Rolle des Die Entwicklung der situativen
æffentlichen Trågers Kriminalpråvention
Katja Veil verschiebt sich vom
Dipl.- Ing., geb. 1974; Wissen- versorgenden Organi- Die Grundlagen der stådtebaulich und sozial-
schaftliche Mitarbeiterin sator und Anbieter råumlich ausgerichteten Kriminalpråvention
an der Fachhochschule Köln, zum ermæglichenden wurden vor allem von der so genannten ¹si-
Mainzer Str. 5, 50678 Köln. Koordinator. Staatli- tuativen Kriminalpråventionª (SCP) in den
katja.veil@fh-koeln.de che und kommunale 1990er Jahren geschaffen. 3 Es handelt sich
www.sozial-raum- Agenturen behalten
management.de zwar die Gesamtver- 1 Vgl. David Garland, Culture of Control. Crime and

antwortung fçr und Social Order in Contemporary Society, Oxford ± New


die Steuerungshoheit çber eine angemessene York 2001.
2 Vgl. z. B. Jan Wehrheim, Die çberwachte Stadt.
Versorgung, versuchen aber die Aufgaben Sicherheit, Segregation und Ausgrenzung, Opladen
wieder verstårkt nach den klassischen Maxi- 2002.
men des Subsidiaritåtsprinzips zu organisie- 3 Vgl. Ronald Clarke (Ed.), Situational Crime Pre-

ren. Soziale Leistungen mçssen folglich zu- vention: Successful case studies, New York 1992.

32 APuZ 12/2007
um ein Bçndel von Maûnahmen, das uner- soziale Kontrolle erleichtert. Insbesondere im halbpri-
wçnschtes Handeln zu behindern und die Ri- vaten/halbæffentlichen Bereich benutzen Bewohner
siken der Bestrafung zu erhæhen versucht. Symbole und Zeichen, um Ansprçche des Eigentums
Neben der formellen Ûberwachung ist insbe- oder der Einflussnahme an einen Raum zu stellen (Ge-
sondere das soziale Umfeld fçr die Beeinflus- staltung von Grenzen durch reale Barrieren wie Mau-
sung des Handelns entscheidend, wenn es auf ern, Zåune und Tçren; Markierung des Ûbergangs zum
¹natçrlichemª Weg Kontrolle ausçbt. æffentlichen Raum durch symbolische Barrieren wie of-
fene Tore, Treppen, Bepflanzungen und Bodentextur).
Zur Operationalisierung einer ¹situativen
Strategieª der stådtebaulichen Kriminalprå- Zweitens: Auch die natçrliche Ûberwachung in der
vention wurden drei Handlungsansåtze for- Nachbarschaft låsst sich mit planerischen Mitteln er-
muliert: erstens die Erhæhung des Aufwandes zeugen. An vorderster Stelle steht die Ausrichtung der
bzw. die Erschwerung der physischen Mæg- Fenster auf den æffentlichen Raum der Straûe.
lichkeiten einer kriminellen Handlung, zwei-
tens die Erhæhung des Risikos der Beobach- Drittens: Mit der Imagefærderung durch stådtebauli-
tung als Beeinflussung der Kosten und Risi- che und architektonische Mittel wird das Ziel verfolgt,
ken und drittens die Verminderung des ein negatives Stigma durch åsthetisch ansprechende
mæglichen ¹Ertragsª. Im Blickpunkt des si- und akzeptierte Gebåudeformen und Umfeldgestalten
tuativen Pråventionsverståndnisses steht folg- zu vermeiden. In einem Wohngebiet mit gutem Image
lich nicht der potenzielle Tåter, sondern die wird privates Investment und immaterielles Engage-
Tatgelegenheit. Markus Felson und Ronald ment der Bewohnerschaft stimuliert.
Clarke halten diese Form der Pråvention der
bisherigen Praxis einer sozialen Kriminalprå- Viertens: Die Schaffung von Milieus erfolgt durch eine
vention ethisch fçr çberlegen, weil letztere stådtebauliche Anordnung der Gebåude. Soziale Kon-
auf Vorannahmen çber Verhaltensdispositio- trolle wird durch einheitliche stådtebauliche Rahmen-
nen beruhe und in der Regel bestimmte Be- bedingungen gefærdert (z. B. Haustypen, Hausgræûen,
vælkerungsgruppen diskriminiere. 4 Vorgårten, Baumaterialien, Architekturstil). Bei Mehr-
familienhåusern soll ein Verhåltnis von relativ wenigen
Haushalten je Hauseingang bestehen.
Pråventive Stadtgestaltung
Das CPTED-Modell (Crime Prevention
Einer der ersten, der sich gezielt mit der Through Environmental Design) fçhrte das
råumlichen Gestaltung der Sicherheit im Programm fort, Sicherheit durch die architek-
Stadtquartier beschåftigte, war Oscar New- tonische, freiraumplanerische sowie stådte-
man. 5 Er prågte den Begriff des ¹Defensible bauliche Gestaltung von Siedlungen und
Spaceª (zu verteidigender bzw. verteidigungs- durch die Organisation einer Verbundenheit
fåhiger Raum). Die Proportionen und Di- in der Nachbarschaft zu erzeugen. 7 Durch
mensionen des Stadtquartiers werden an Planung und Gestaltung soll die physische
Sichtbarkeit und Ûberschaubarkeit orientiert. Umwelt so strukturiert werden, dass das
Vier grundsåtzliche Ansatzpunkte werden menschliche Verhalten im Raum durch Zu-
dabei hervorgehoben: 6 gangskontrolle, Ûbersichtlichkeit und Be-
leuchtung beeinflusst und gegenseitige soziale
Erstens: Mit der Territorialitåt wird eine Zonierung Kontrolle informell generiert wird.
(privater, halbprivater, halbæffentlicher, æffentlicher
Raum) angestrebt, die gegençber Fremden Barrieren Das Crime Lifecycle Modell der englischen
schafft und den Bewohnerinnen und Bewohnern die Universitåt von Salford repråsentiert eine ak-
4 Vgl. Markus Felson/Ronald Clarke, The ethics of si-
tuelle Weiterentwicklung, indem die Entste-
tuational crime prevention, in: Graeme Newman/Ro- hung von Kriminalitåt und die Produktion
nald Clarke/Giora Shoham (Eds.), Rational Choice and stådtebaulicher Gestalten integriert betrachtet
Situational Crime Prevention, Aldershot 1997. werden. 8 Das Ziel ist es, den Entwurfs- und
5 Oscar Newman, Crime prevention through town-

planning and architecture, in: Bundeskriminalamt


(Hrsg.), Stådtebau und Kriminalitåt, Wiesbaden 1979, 7 Vgl. Gerda R. Wekerle/Carolyn Whitzman, Safe ci-

S. 103 ±134. ties: guidelines for planning, design, and management,


6 Vgl. Barry Poyner, Design against crime: beyond New York 1995.
defensible space, London 1983; ders./Barry Webb, 8 Vgl. Stephen Town/Caroline Davey/Andrew
Crime free housing, Oxford ± Boston 1989. Wootton, Design against Crime. Secure urban envi-

APuZ 12/2007 33
Gestaltungsprozess in allen Entwicklungssta- Nach dem Leitbild der pråventiven Stadt-
dien auch auf die Relevanz fçr Sicherheit zu gestaltung sollen menschliches Verhalten im
çberprçfen und dabei mæglichst viele gestal- Raum positiv beeinflusst und kritische Ver-
terische Mæglichkeiten zu berçcksichtigen. haltensweisen oder Ereignisse verhindert
Dadurch kçndigt sich der Paradigmenwech- werden. Unter der Bewohnerschaft von
sel an, nicht mehr Leitsåtze der kriminal- Wohnquartieren wird durch stådtebauliche,
pråventiven stådtebaulichen Gestaltung auf architektonische und freiraumarchitektoni-
Plåne anzuwenden, sondern Sicherheits- sche Planungen, die Sichtachsen, Transparenz
aspekte als integralen Bestandteil eines inter- und Blickbeziehungen im æffentlichen und
disziplinåren Planungs- und Gestaltungspro- halbæffentlichen Raum einen hohen Stellen-
zesses aufzufassen. Dies wird auch bei der wert einråumen, die informelle (d. h. ¹natçrli-
Betrachtung der institutionellen Entwicklung cheª) soziale Kontrolle gefærdert. Weitere
der Initiativen zur stådtebaulichen Kriminal- Ziele sind eine moderate Belebung des Wohn-
pråvention deutlich. umfeldes, Vermeidung groûflåchiger Mono-
strukturen der Zwischenstadt, eine kleinteili-
ge Gliederung des Siedlungsraums und eine
Sicherheit und Stadtgestaltung in hohe Aufenthaltsqualitåt durch ansprechende
Gestaltungsmuster. Ûber begleitende Partizi-
Deutschland pationsprozesse wird angestrebt, dass Be-
wohnerinnen und Bewohner sich in nachbar-
Um die Stadtentwicklung unter Sicherheits-
schaftlichen Kontakten engagieren und mehr
gesichtspunkten konstruktiv zu unterstçtzen,
Verantwortung im æffentlichen und halbæf-
wird seit einigen Jahren auch in Deutschland
fentlichen Raum çbernehmen. 10
fçr einen råumlich ausgerichteten Hand-
lungsansatz der stådtebaulichen Kriminalprå- Anders als in den angelsåchsischen Låndern
vention ± als Alternative zu rein technischen ± wie z. B. Groûbritannien und USA ± wurde
Mechanismen des Ûberwachens ± plådiert. 9 das Modell der situativen Pråvention in
§ 1 Abs. 5 Nr. 1 BauGB bietet einen Ansatz- Deutschland nicht eng gefçhrt çbernommen.
punkt dafçr; es heiût dort: ¹Bei der Aufstel- Denn im Kontext der langen Tradition der ¹So-
lung der Bauleitplåne sind insbesondere zu zialpolitikª genieût die soziale Pråvention in
berçcksichtigen 1. die allgemeinen Anforde- Deutschland einen hohen Stellenwert. Der
rungen an gesunde Wohn- und Arbeitsver- Schwerpunkt liegt hier traditionell auf der so-
håltnisse und die Sicherheit der Wohn- und zialen Pråvention, die beispielsweise dem kom-
Arbeitsbevælkerung.ª In der kommunalen munalen sowie wohnungswirtschaftlichen Be-
Planungspraxis wird dieses Gebot fast aus- legungsmanagement und der sozialpådagogi-
schlieûlich auf die Verkehrssicherheit bezo- schen Integration einen hohen Stellenwert
gen. Obwohl das Planungs- und Baurecht fçr einråumt. Der situative und der sozialpolitische
die Schaffung sicherer Siedlungen genutzt Ansatz wurden daher in Deutschland auf meh-
werden kann, werden z. B. Nutzungsfestle- reren Handlungsebenen zum umfassenden
gungen, stådtebauliche Gebote oder die Re- Pråventionsansatz ISIS integriert: 11
gelung stådtebaulicher Entwicklungsmaûnah-
men fçr kriminalpråventive Ziele kaum aus- ISIS-Modell der pråventiven Stadtgestaltung:
geschæpft.
Integrationsmaûnahmen
Im Zentrum ± auf der mikrosozialen Ebene ± stehen
ronments by design. Guidance for the design of resi- sozialpådagogische Pråventionsansåtze zur Integration
dential areas, Salford 2003. und Aktivierung gefåhrdeter Personen und Personen-
9 In Niedersachsen hat das Landeskriminalamt in den

Jahren 2004/2005 in drei Stådten in Zusammenarbeit


gruppen.
mit den ærtlichen Ømtern fçr Stadtplanung Modell-
vorhaben der stådtebaulichen Kriminalpråvention
durchgefçhrt. Vgl. auch Niedersåchsisches Innen-
ministerium (Hrsg.), Sicheres Wohnquartier ± Gute
Nachbarschaft, Kriminalpråvention im Stådtebau und 10 Vgl. Anna Brassard, Integrating the Planning

bei der Wohnungsbewirtschaftung, Hannover 2002; Process and Second-Generation CPTED, in: The
Zentrale Geschåftsstelle Polizeiliche Kriminalpråven- CPTED-Journal, (2003) 2, S. 46±53.
tion der Lånder und des Bundes (Hrsg.), Stådtebau und 11 Vgl. Herbert Schubert (Hrsg.), Sicherheit durch

Kriminalpråvention ± eine Broschçre fçr die planeri- Stadtgestaltung: Stådtebauliche und wohnungswirt-
sche Praxis, Stuttgart 2004. schaftliche Kriminalpråvention, Kæln 2005, S. 59

34 APuZ 12/2007
Sozialmanagement reichende Orientierung im Siedlungsraum
Auf dieser Ebene ist die Belebung der Nachbarschaf- . . .; (e) Zonierung und Grenzlinien zur Mar-
ten wichtig, damit eine natçrliche, d. h. informelle so- kierung sozialer Ansprçche im Raum . . .; (e)
ziale Kontrolle entstehen kann. Wenn beispielsweise Gelegenheiten zur personalisierten Verant-
die Wohnbevælkerung vom Sozialmanagement der wortung fçr Territorien bzw. Teilråume im
Wohnungsgesellschaften aktiviert und beteiligt wird, Wohnumfeld und (f) gute Belichtung des æf-
stabilisieren sich Sicherheit færdernde Kråfte im fentlichen Raums zu Tages- und Nachtzeiten.
Wohnumfeld.
Initiativen zur Implementierung von Maû-
Intermediåre Kooperation nahmen der pråventiven Stadtgestaltung
Auf der korporativen Ebene entwickelt sich aus der gehen in Deutschland vor allem von den Bun-
Zusammenarbeit zwischen Professionellen, Organisa- deslåndern und Kommunen aus. Folglich sind
tionen und Institutionen ein pråventives Milieu im unterschiedliche Ansatzpunkte der Kriminal-
Wohnquartier und im Stadtteil. Exemplarisch sind hier pråvention entwickelt worden. In einem Sach-
kommunale Pråventionsråte, aber auch Netzwerke standsbericht des schleswig-holsteinischen In-
zwischen Polizei, Wohnungswirtschaft und Stadtpla- nenministeriums scheint als ¹roter Fadenª der
nung zu nennen. pråventiven Strategie durch, einerseits eine
Kooperation zwischen Polizei und Stadtpla-
Stådtebauliche Gestaltung nung zu institutionalisieren und andererseits
Diese Ebene bezieht sich auf den gesamten Siedlungs- Bçrgerverantwortung in pråventiven Råten zu
raum. Nach dem situativen Pråventionsansatz kommt aktivieren. Folgende Ergebnisse lassen sich
es hier darauf an, den stådtischen Raum so zu gestal- besonders herausstellen: 13
ten, dass Tatgelegenheiten minimiert und Angst erzeu-
Baden-Wçrttemberg hat im Jahr 2000 eine Checkliste
gende Bereiche planerisch ausgeschlossen werden.
zur stådtebaulichen Kriminalpråvention entwickelt.
Die stådtebauliche und wohnungswirtschaftliche Kri-
Insgesamt ist das ISIS-Modell durch eine
minalpråvention soll durch Leitbilder und zu entwi-
konzentrische Bçndelung der Maûnahmen
ckelnde Verfahren implementiert werden. So wurde
gekennzeichnet. Der Ansatz deckt sich mit
das Themenfeld ¹Kriminalpråventionª in die Aus-
Erkenntnissen, nach denen die Wirksamkeit
schreibungen des Programms ¹Soziale Stadtª inte-
von Kriminalpråvention bei integrierten Pro-
griert. Damit ein Stadtteil Færdergelder aus dem Bund-
grammansåtzen besonders gçnstig ausfållt,
Lånder-Programm ¹Soziale Stadtª beantragen kann,
weil mehrere Maûnahmen und Ebenen kom-
ist auch eine Stellungnahme der ærtlichen Polizeidirek-
plementår ineinander greifen. 12
tion notwendig. Auf der Ebene der Polizeidirektionen
Sicherheitsgefçhle werden auf den Ebenen bzw. Landkreise wurden Ansprechpartner fçr das
vermittelt durch: (a) Bekanntheit und Kon- Thema ¹Stådtebauliche Kriminalpråventionª benannt.
takte der Nutzer im Raum; (b) koordiniertes Es wurde ein Fortbildungskonzept fçr den Bereich
Handeln korporativer Akteure; (c) zeitnahe ¹Stådtebauliche Kriminalpråventionª entwickelt und
Intervention bei Regelverletzungen; (d) Wert in Seminaren mit Polizeibeamten und Vertretern aus
symbolisierendes Material und Image fær- Kommunen und Landkreisen umgesetzt. Im Jahr 2005
dernde Gestaltung; (e) vertrågliche Mengen/ fand ein Fachsymposium mit 120 Architekten, Stadt-
Frequenzen durchlaufender Nutzungen; (f) planern und Vertretern der Polizei statt.
Gewåhrleistung von Ordnung und Sauber-
keit; und (g) Signale der Identifikation und Niedersachsen hat im Jahr 2002 die Handreichung
Verantwortlichkeit. ¹Sicheres Wohnquartier ± gute Nachbarschaftª heraus-
gegeben, 14 die zur Grundlage des Modellvorhabens
Soziale Kontrolle in der stådtischen Um- ¹Sicheres Wohnen ist planbarª geworden ist. Das Lan-
welt wird durch folgende Faktoren begçns- deskriminalamt entwickelte ein praxistaugliches Ver-
tigt: (a) Induzierung von Belebtheit . . .; (b) fahren zur Berçcksichtigung von kriminalpråventiven
Ausgestaltung von Sichtachsen zur Sicherung
von Blickbeziehungen . . .; (c) Transparenz/
Ûbersichtlichkeit der Nahråume . . ., (d) hin- 13 Vgl. Innenministerium des Landes Schleswig-Hol-

stein, Landeskriminalamt, Zentralstelle Polizeiliche


12 Vgl. Dieter Ræssner/Britta Bannenberg/Marc Kriminalpråvention, Sachstandsbericht Kriminal-
Coester, Empirisch gesicherte Erkenntnisse çber kri- pråvention im Stådtebau ¹Soziale und sichere Stadt ±
minalpråventive Wirkungen, Gutachten fçr die Lan- Sozialraum-Managementª, Kiel 2006.
deshauptstadt Dçsseldorf, Marburg ± Dçsseldorf 2001. 14 Niedersåchsisches Innenministerium (Anm. 9).

APuZ 12/2007 35
Aspekten im Stådtebau. Das Vorhaben wurde von In Hamburg wurde 2006 eine Arbeitsgruppe einge-
einer Lenkungsgruppe begleitet, der die zuståndigen richtet, die die systematische Beteiligung der Polizei an
Landesministerien, Wissenschaftler sowie Vertreterin- verkehrs- und stådtebaulicher Pråvention initiieren
nen und Vertreter der Wohnungswirtschaft, der Polizei soll. 2005 hat die Tagung ¹Kriminalpråvention fçr die
und der beteiligten Kommunen angehærten. Die Um- wachsende Stadtª einen Impuls fçr die Kooperation
setzung erfolgte in den Jahren 2004 bis 2006 in ausge- zwischen der Planungsbehærde, der Wohnungswirt-
wåhlten Bau- und Planungsvorhaben von drei nieder- schaft und der Polizei gegeben. 17
såchsischen Stådten. Im 2005 wurde eine ¹Sicherheits-
partnerschaft im Stådtebauª zwischen den beteiligten Diese Beispiele verdeutlichen, dass in vie-
Ministerien, den Polizeibehærden, dem Landespråven- len Bundeslåndern Initiativen zur Institutio-
tionsrat, einschlågigen Berufs- und Fachverbånden des nalisierung der stådtebaulichen Kriminalprå-
Planungsbereiches sowie Forschungs- und Bildungs- vention im Gange sind. Die Thematik wird
einrichtungen unterzeichnet. çber ein Marketing wie die Veranstaltung von
Tagungen und die Verbreitung von Informati-
In Nordrhein-Westfalen hat das Landeskriminalamt onsbroschçren multipliziert. Die Lånder
im Jahr 2000 ein Handbuch ¹Stådtebauliche Kriminal- Baden-Wçrttemberg, Niedersachsen, Nord-
pråventionª fçr die Polizeiinspektionen erarbeitet. In rhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schles-
fçnf Stådten werden Modellvorhaben zur Kooperation wig-Holstein beschåftigen sich seit Jahren in-
von Kommunen, Wohnungsgesellschaften und Polizei tensiv mit dem Thema und haben bereits or-
bei stådtebaulichen Projekten durchgefçhrt. In 46 ganisatorische Strukturen geschaffen, um eine
Kreispolizeibehærden gibt es direkte Ansprechpartner Kultur der stådtebaulichen Kriminalpråventi-
zur Kriminalpråvention. Der Landespråventionsrat hat on langfristig zu etablieren.
eine Reihe von Informationsveranstaltungen und
Workshops 15 durchgefçhrt sowie Leitfåden herausge- Seit Anfang der 1990er Jahre wurden acht
geben. 16 Das Institut fçr Aus- und Fortbildung der Landespråventionsråte und ca. 2000 kommu-
Polizei NRW fçhrt seit Jahren Fortbildungskurse fçr nale Pråventionsgremien in Deutschland ge-
Polizeibeamte durch. grçndet. 18 Die kommunalen Pråventionsråte
leisten die Vernetzungsarbeit zwischen den
In Rheinland-Pfalz wurde der Leitfaden ¹Stådtebau professionellen Akteuren im Stadtteil und
und Kriminalpråventionª flåchendeckend an alle gelten als geeignetes Instrument fçr den Wis-
Kommunen verteilt. Im Jahr 2005 wurde vom Landes- sens- und Informationstransfer zwischen
kriminalamt ein Seminar durchgefçhrt, um die Leitun- Wissenschaft und Praxis auf der lokalen Ebe-
gen von Polizei- und Kriminalinspektionen mit dem ne. 19 Andererseits werden diese Vernetzungs-
Modell der pråventiven Stadtgestaltung vertraut zu potenziale auf der kommunalen Ebene noch
machen und fçr Kooperationen mit der Wohnungs- nicht ausreichend ausgeschæpft. Da Pråven-
wirtschaft und kommunalen Fachbereichen fçr Stadt- tionsråte freiwillige Initiativen repråsentieren
planung vorzubereiten. und demokratisch nicht legitimiert sind, be-
sitzen sie keine Handlungsbefugnisse und
In Schleswig-Holstein gibt es keine landesweiten kænnen die Bçrgerschaft nur begrenzt akti-
Initiativen, aber punktuelle lokale Kooperationen in vieren.
Einzelvorhaben mit unterschiedlichen inhaltlichen
Schwerpunktsetzungen. Zum Thema Stådtebau und 17 Kriminalpråvention fçr die ¹Wachsende Stadtª.
Pråvention wurden 2004 und 2005 zwei Informations- Dokumentation der Fachveranstaltung am 17. 11. 2005
veranstaltungen durchgefçhrt. Weitere Aktivitåten und in der bahrena Hamburg, hrsg. v. Bezirksamt Ham-
Tagungen beziehen sich çberwiegend auf den Bereich burg-Altona, Behærde fçr Stadtentwicklung und Um-
Sicherheitstechnik. welt der Hansestadt Hamburg und Polizei Hamburg
2005.
18 Vgl. Verena Schreiber, Regionalisierung von Un-

sicherheit in der Kommunalen Kriminalpråvention, in:


Georg Glasze/Robert Pçtz/ Manfred Rolfes (Hrsg.),
15 Z. B. Landespråventionsrat Nordrhein-Westfalen Diskurs ± Stadt ± Kriminalitåt. Stådtische (Un-)Si-
(Hrsg.), Sicherheit durch Gestaltung der Stådte, Do- cherheiten aus der Perspektive von Stadtforschung und
kumentation einer Fachtagung mit der Fachhochschule Kritischer Kriminalgeographie, Bielefeld 2005, S. 59±
Kæln, Dçsseldorf 2005. 103, hier S. 66.
16 Z. B. Landespråventionsrat Nordrhein-Westfalen 19 Vgl. Henning van den Brink, Kommunale Krimi-

(Hrsg.), Kommunale Kriminalpråvention, Ein Leit- nalpråvention, Mehr Sicherheit in der Stadt? Eine qua-
faden zur Planung, Durchfçhrung und Evaluation kri- litative Studie çber kommunale Pråventionsgremien,
minalpråventiver Projekte, Dçsseldorf 2004. Frankfurt/M. 2005, S. 101 ff.

36 APuZ 12/2007
Sicherheit und Stadtgestaltung in fçr Planung zuståndigen Ministerium unter-
stçtzt wird. 20
Groûbritannien
Das SCB-Label findet vor allem bei Versi-
Eine gesetzliche Grundlage fçr die Veranke- cherungen Beachtung und bietet indirekte
rung von kriminalpråventiven Aspekten in Anreize, den Marktwert der Immobilie zu er-
der britischen Stadtplanung bietet der Crime hæhen. Durch die polizeiliche Initiative
and Disorder Act von 1998. Durch diesen wurde einerseits ein Schwerpunkt auf Gestal-
sind Gemeinden und Kommunen in Groû- tungsfragen im Rahmen der Kriminalpråven-
britannien dazu verpflichtet, jede Planung tion gelegt, andererseits wurden dabei jedoch
auf kriminalpråventive Aspekte hin zu çber- Elemente der situativen Kriminalpråvention
prçfen. Durch dieses Gesetz wurde Krimi- und der stådtebaulichen Gestaltung nicht auf-
nalpråvention zur verbindlichen Aufgabe der gegriffen, denn der Fokus von SCB konzen-
Kommunen, wobei an dieser Aufgabe alle triert sich weitgehend auf die technischen
relevanten æffentlichen Tråger teilhaben mçs- Aspekte der Sicherung von Gebåuden, etwa
sen. Mit dem Ziel der Ûbertragung der Kri- durch geeignete Tçren, Fenster oder auch
minalpråvention auf andere Akteure als das Alarmanlagen. Diese relativ direkten und effi-
Justizsystem und die Polizei sollte einerseits zienten Mæglichkeiten der Sicherung von Ge-
eine Entlastung dieser Akteure, zum anderen båuden decken jedoch weder das Spektrum
aber auch eine bessere Ausschæpfung der æf- der situativen Kriminalpråvention noch das
fentlichen Ressourcen erfolgen. In welcher der stådtebaulichen Gestaltung ab. Die Stadt-
Form die Gemeinden dabei auf stådtebauli- planung wurde dabei kaum integriert.
che Maûnahmen zurçckgreifen, bleibt jedoch
weitgehend unbestimmt. Die Initiative fçr Seit dem Bericht der Urban Task Force To-
die Sicherung von gebauten Strukturen wards an Urban Renaissance im Jahr 2000
durch Gestaltung wird trotz des Gesetzes und der darauf aufbauenden nationalen Pla-
weiterhin eher von den Polizeibehærden und nungsstrategie ist die Stårkung der Wohn-
nicht von den Planungsbehærden getragen. und Lebensqualitåt in urbanen Bereichen
Dafçr wurden so genannte liaison officers ge- auch zu einem Ziel der britischen Planung er-
schult, welche bei Bauvorhaben beratend klårt worden. 21 Dabei wurde die objektive
tåtig werden. und subjektive ¹Sicherheitª als ein Merkmal
der Attraktivitåt und damit im weiteren Sinne
Zusåtzlich zu diesen Bemçhungen, am auch der sozialen und ækonomischen Nach-
Prozess des Planungsverfahrens beratend haltigkeit erfasst. Dies gab der aus der poli-
mitzuwirken, entwickelte sich aus der poli- zeilichen Kriminalpråvention stammenden
zeilichen Arbeit heraus eine Initiative, das stådtebaulichen Kriminalpråvention neue Im-
Projekt der stådtebaulichen Kriminalpråven- pulse. Die Initiative, Sicherheitsaspekte in die
tion auf einem weiteren Weg zu færdern. Se- Planung aufzunehmen, erhielt dadurch einen
cured by Design (SCB) lautet das entwik- neuen politischen Stellenwert. Damit verån-
kelte Produkt, mit dem das Ziel verfolgt derte sich jedoch auch der Zielfokus; es ging
wird, das Baugewerbe anzuregen, Wohnge- nicht mehr um die Entlastung des Justizsys-
båude und stådtebauliche Strukturen unter tems durch situative Kriminalpråvention,
Berçcksichtung von Sicherheitskriterien zu sondern um die Nutzungsqualitåt und die
planen und zu implementieren. Dabei wer- Wertigkeit der gebauten Strukturen. Unter
den Wohngebåude und andere gebaute gemeinsamer Leitung des Home Office,
Strukturen nach festgelegten Kriterien çber- des britischen Innenministeriums, des Design
prçft, und gegebenenfalls wird ein SCB-Zer- Councils und des Departments of Trade and
tifikat ausgestellt. Die Ziele, die dabei be- Industry wurde die Forschungsinitiative
rçcksichtigt werden sollen, sind die Reduk- Design against Crime (DAC) initiiert. Dabei
tion von Tatgelegenheiten, die Verbesserung
des Sicherheitsempfindens und allgemein die 20 Vgl. ACPO, Secure by Design Principles,
Planung von sicheren und robusten stådte- www.securedbydesign.com/guides, Stand 2004.
21 Vgl. DETR, Our Towns and Cities: The Future ±
baulichen Strukturen. Secured by Design ist
Delivering an Urban Renaissance (The Urban White
ein Label, das Eigentum der Association of Paper), London 2000; DETR, Towards an urban re-
Chief Police Officers (ACPO) ist und so- naissance: final report of the Urban Task Force, Lon-
wohl vom Innenministerium als auch dem don 1999.

APuZ 12/2007 37
wurde das Potenzial von Planung in eine um- relevant sind. Die Entwicklung der stådte-
fassendere Perspektive gestellt und vor allem baulichen Kriminalpråvention weist dabei in
als Gestaltungsprozess aufgegriffen. Das Ziel Richtung zunehmend flexibler Instrumente.
von DAC ist bisher vor allem das Sammeln Diese werden durch einen ståndigen Prozess
von guten Beispielen, die dann zur Erzeu- der wissenschaftlichen Forschung und der
gung von Lernprozessen veræffentlicht wer- Evaluation von Praxisbeispielen weiterent-
den. 22 wickelt.

Design against Crime versteht sich als ein Wåhrend sich in Groûbritannien die ståd-
Forschungsprojekt, das durch die Qualifizie- tebauliche Kriminalpråvention vor allem an
rung von Designern und Architekten Sicher- dem Prinzip der Kriminalpråvention durch
heitsaspekte in die Planung einbringen will. soziale Kontrolle orientiert hat, erfolgt in
Vielversprechend ist, dass dieser Ansatz im Deutschland der Zugang auch çber ein wohl-
Denken und Handeln des Gestaltens veran- fahrtsstaatliches Interventionsverståndnis. In
kert ist, was es ermæglicht, ein verbessertes Deutschland gibt es auf der Bundesebene
interdisziplinåres Verståndnis zu entwickeln keine Initiativen, hier sind die Bundeslånder
und zugleich neue innovative Wege zu gehen. federfçhrend. Die wesentlichen Anstæûe zur
Feste Gestaltungsvorgaben erwiesen sich in Beachtung stådtebaulicher Kriminalpråventi-
den kreativen Disziplinen bisher als wenig on sind aus einzelnen Bundeslåndern gekom-
durchsetzungsfåhig. Das Aufzeigen von men, die Handbçcher und Gestaltungsrichtli-
guten Beispielen und das Offenhalten von nien entwickelt haben sowie Erfahrungen in
Wegen, die zur Læsung fçhren, entsprechen Modellprojekten sammeln. In den meisten
der Idee von Gestaltung besser. DAC ver- Bundeslåndern ist pråventive Stadtgestaltung
sucht in dieser Hinsicht junge Designer jedoch noch kein Qualitåtsstandard des Pla-
durch Wettbewerbe zu ermutigen, kreativ mit nungsprozesses. Im Vergleich zu Groûbritan-
dem Thema ¹Sicherheitª zu arbeiten. Um die nien wird in Deutschland vor allem die
Sensibilitåt fçr dieses Thema zu erhæhen, Verbindung planerischer Maûnahmen und so-
wird weniger Wert auf Gestaltungsregeln ge- zialer Maûnahmen als zukunftsweisend be-
legt, sondern in der Ausbildung von Desi- trachtet. Zur Anwendung eines integrierten
gnern vermittelt, auch Verantwortung fçr die Modells sind Infrastrukturen der Steuerung
soziale Wirkung von Produkten zu çberneh- notwendig, die in Deutschland in Form von
men ± so genanntes ¹socially responsible de- Quartiermanagement teilweise bereits vor-
signª. handen sind.

Ansatzpunkte fçr einen deutschen Weg des


Resçmee Mainstreaming von pråventiver Stadtgestal-
tung bestehen in einer stårkeren Berçcksichti-
Sicherheitsaspekte werden in Groûbritannien gung des Themas ¹Sicherheitª in den Pro-
zu einem ¹Mainstreamª-Aspekt der Planung. grammen der Stadterneuerung (wie dem
Damit werden die zivilgesellschaftlichen Po- Bund-Lånder-Programm ¹Die soziale Stadtª),
tenziale zur Ausçbung sozialer Kontrolle un- in einer entsprechenden Organisationsent-
terstçtzt. Getragen wird diese Entwicklung wicklung der kommunalen Fachbereiche fçr
durch die verpflichtende Verankerung der Stadtplanung und Stadtentwicklung und einer
Kriminalpråvention auf der kommunalen gezielten Kooperation mit der Polizei sowie
Ebene seit dem Crime and Disorder Act. Alle einer strategischen Aufnahme dieser Perspek-
relevanten Akteure werden einbezogen, auch tive in den Kanon der Qualifizierung und
die Planungsbehærden. Kennzeichnend fçr Weiterbildung.
die Entwicklung der stådtebaulichen Krimi-
nalpråvention in Groûbritannien ist eine in-
tensive Zusammenarbeit zwischen polizeili-
chen Behærden und den Organisationen, die
fçr die Steuerung, Planung und Architektur
22 Vgl. Stephen Town/Caroline Davey/Andrew
Wootton, Design against Crime. Secure urban envi-
ronments by design. Guidance for the design of resi-
dential areas, Salford 2003.

38 APuZ 12/2007
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Bodo Gemper
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Eckhard Hein ´ Achim Truger der Herausgeberin dar; sie dienen
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Heinz-J. Bontrup Fçr Unterrichtszwecke dçrfen


Wettbewerb und Markt sind zu wenig Kopien in Klassensatzstårke herge-
stellt werden.
Richard Senti
Die WTO im gesellschaftspolitischen Dilemma ISSN 0479-611 X
Innere Sicherheit im Wandel APuZ 12/2007
Bernhard Frevel
3-4 Sicherheit gewåhren ± Freiheit sichern
Rings um Sicherheitsgefåhrdungen und das staatliche Sicherheitsversprechen
werden sowohl die sicherheitstechnische Aufrçstung des Staates als auch die
Privatisierung der Sicherheit als Læsung pråsentiert. Rechtsstaatlich betrachtet
kænnen hier jedoch Gefåhrdungen des hohen Rechtsguts der Freiheit entstehen.

Henning van den Brink ´ Andr Kaiser


4-11 Kommunale Sicherheitspolitik
Auch bei der Gewåhrleistung innerer Sicherheit wird die Steuerungsfåhigkeit des
Staates von nichtstaatlichen Organisationen ergånzt. Das macht neue Hand-
lungsstrategien erforderlich, bringt neue Kooperationsformen hervor, veråndert
das Institutionengefçge und stellt die Akteure vor neue Herausforderungen.

Lars Normann
11-17 Sicherheitspolitische Reformergebnisse zur Terrorpråvention
Die aktuellen sicherheitspolitischen Reformergebnisse stehen im Spannungsfeld
zwischen Trennungsgebot und Datenschutz. Die Kompetenzen werden immer
weiter ausgedehnt und nicht mehr nur auf internationale Terrorverdåchtige be-
schrånkt. Es stellt sich die Frage nach Eignung und Verhåltnismåûigkeit.

Peter Stegmaier ´ Thomas Feltes


18-25 Vernetzung ± neuer Effektivitåtsmythos fçr die innere Sicherheit
Netzwerke stehen fçr Sicherheit, Innovation, Kommunikation und Kooperation.
Bei der Organisation von ,innerer Sicherheit` geht die Vernetzung neuerdings mit
dem Konzept des ,ebenen- und institutionençbergreifenden Polizierens` einher.
Sicherheitsakteure werden dabei auch dem Wettbewerb ausgesetzt.

Jo Reichertz
25-31 Die Medien als selbståndige Akteure
Staatliche Sicherheitsaufgaben werden zurzeit gesellschaftlich neu verteilt und
legitimiert. Hier wird dargelegt, dass den Medien bei dem aktuellen æffentlichen
,Kampf` um die ,richtige` Politik des Polizierens eine eigenståndige Bedeutung
zukommt.

Herbert Schubert ´ Holger Spieckermann ´ Katja Veil


32-38 Sicherheit durch pråventive Stadtgestaltung
Der Beitrag betrachtet den Ansatz einer situativen Kriminalpråvention durch
Stadtgestaltung im Vergleich zwischen Deutschland und Groûbritannien. In
Deutschland wird der situative Ansatz stårker mit wohlfahrtsstaatlichen Inter-
ventionen kombiniert, exemplarisch repråsentiert durch das ISIS-Modell.

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