Professional Documents
Culture Documents
Rundgang
zur
Stadtgeschichte
Hagen
19 31 - 19 4 5
Hinweise
und Empfehlungen
Literatur
ALS SIE MICH HOLTEN, - Becker, Jochen / Zabel, Hermann (HG.):
Hagen unterm Hakenkreuz. Hagen 1995
WAR NIEMAND MEHR DA, - Zabel, Hermann (HG.):
Mit Schimpf und Schande aus der Stadt,
DER PROTESTIEREN KONNTE. die ihnen Heimat war. Hagen 1994
- Ross, Carlo: .... aber Steine reden nicht.
Recklinghausen 1987
- Stöcker, Rainer: Tatort Hagen.
NACH MARTIN NIEMÖLLER Essen 1993
Stadthalle
am 1. Mai 1933
2. Wir blicken von der Marktbrücke in
Richtung Rathaus. Das erste Gebäude
rechts (Am Hohen Graben 2) wurde an der
2 Stelle wieder aufgebaut, wo das Wohn-
und Geschäftshaus der jüdischen Familie
Cohn stand. Unten befand sich neben der
Roßschlachterei eine beliebte Gaststätte.
Heinrich Schäfer erinnert sich: „Die Cohns
waren nette Leute. Die alte Frau Cohn hat
uns Kindern - wir waren ja alle arm - ab
und zu ein Pferdewürstchen oder in
3
einem Becher ein bisschen Suppe
zugesteckt.“ Simon Cohn wohnte mit
seiner Familie im ersten Stock. In der
Reichspogromnacht am 9. November 3. Der „Hohe Graben“ führt entlang der
Volme zur Rathausstraße, der früheren Pferdemetzgerei
1938 drangen Nazi-Schläger in das und Gaststätte Cohn,
Gebäude ein und demolierten die Heidenstraße. In Höhe der Häuser Nr. 25
Am Hohen Graben 2
Inneneinrichtung. Simon Cohn erlitt und gegenüber Nr.16 hat der Kölner
schwere Verletzungen, an denen er später Künstler Gunter Demnig Gedenktafeln, so
starb. Fenster und Schaufenster wurden genannte Stolpersteine, aus Messing in
zertrümmert, die Möbel zerschlagen und den Bürgersteig eingelassen. Demnig sagt:
aus der Wohnung geworfen. Möbelteile „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein
lagen auf der Straße oder trieben in der Name vergessen ist.“
Volme. Der Viehwagen wurde auf der In diesem Sinne soll an die jüdischen
Springe mit Benzin übergossen und ging Mitbürger erinnert werden, die hier
in Flammen auf. Heinrich Schäfer, damals wohnten und die man von hier nach
10 Jahre alt, stand mit seiner Mutter auf Polen verschleppte, wo sie ermordet wur-
der Marktbrücke. Er berichtet: „Die Nazis den oder umgekommen sind.
hatten die Oberbetten aufgeschlitzt und
aus dem Fenster geschmissen. Überall flo-
gen die Federn herum. Es sah aus, als ob
es schneien würde. Ich habe das als Kind
gesehen und nie wieder vergessen.“
Nach den Übergriffen flüchtete die
Familie Cohn ins Ausland. Ihr Eigentum
wurde zum Zankapfel von
„Parteigenossen“, die sich persönlich
bereichern wollten.
8 antifaschistischen Widerstandskämpfer.
Hinter dem Gebäude in Höhe der Wache
Prentzelstraße befand sich das Polizei-
gefängnis. Hier waren Hunderte von
Hitlergegnern und Widerstandskämpfern
eingesperrt, bevor sie in andere
9. Durch die Marienstraße zurück gelan-
gen wir zum Rathaus. Vom alten Gebäude
ist heute nur noch der Turm erhalten. Auf
9 ihm wurde das Hakenkreuz angebracht,
nachdem man Heinrich Vetter im April
1933 zum Oberbürgermeister gewählt
hatte. Der Wahlausgang allerdings stand
schon vorher fest. Die kommunistischen
Abgeordneten konnten nicht abstimmen,
weil sie verhaftet waren oder sich auf der
Flucht befanden. Die Vertreter der übrigen
Parteien wurden gleich zu Beginn
eingeschüchtert, als der Stadtverord-
netenvorsitzende Römer (NSDAP) erklärte:
„Eine angemessene Kritik können wir hin-
nehmen und vertragen; aber im übrigen berüchtigter Nazi -Treffpunkt, von dem
arbeite ich nicht nur mit den Strafen der aus „verdächtig“ erscheinende Personen
Rathaus mit Hakenkreuz
Geschäftsordnung. Sobald ich die Ruhe terrorisiert wurden. Im Mai 1931
des Hauses gestört sehe, werde ich die mir ereignete sich hier ein besonders schwerer
geeignet erscheinenden Mittel ergreifen.“ Zwischenfall. Mit Stöcken, Messern und
Bald darauf begann die Säuberung der Schlagringen bewaffnete Faschisten über-
Stadtverwaltung von allen als unzuverläs- fielen mehrere sozialdemokratische
sig eingestuften Mitarbeitern. Überzeugte Reichsbanner-Mitglieder und fügten
NSDAP-Parteigenossen, die so genannten ihnen schwere Verletzungen zu. In einer
alten Kämpfer, traten an ihre Stelle. Erklärung des Reichsbanners hieß es:
Vor dem Rathaus steht das Denkmal von „Wenn solche Methoden im politischen
Stadtverordnetensitzung
am 6. April 1933
Fritz Steinhoff, vor 1933 SPD-Stadtrat, Kampf Norm werden, dann ist es vorbei
der immer wieder vor dem Aufstieg der mit Kultur, Recht, Zivilisation und
NSDAP gewarnt hatte. Noch im Februar Menschenwürde. Dann wird auch die
1933 erklärte er auf einer rauhe Gewalt, gepaart mit den niedrigsten
Parteiversammlung in Hagen, dass alles Instinkten, wie fanatischer Haß, Saat und
getan werden müsse, um den Faschismus Dünger werden für Chaos und Untergang
zu schlagen. Die Stärkung aller des Deutschen Reiches.“ - Worte, die
Arbeiterorganisationen müsse höchste
Pflicht sein. Steinhoff wurde mehrfach
voraussagten, was dann bittere
Wirklichkeit wurde.
10
verhaftet und im August 1938 zu drei
Jahren Zuchthaus verurteilt, weil er sich
1934 an der Verteilung des „Vorwärts“
und anderer verbotener Schriften beteiligt
hatte. Nach seiner Entlassung arbeitete er
in Iserlohn. Später wurde er erneut
verhaftet und ins Konzentrationslager
Sachsenhausen transportiert. 1945
befreiten ihn amerikanische Truppen
auf dem Evakuierungsmarsch durch
Mecklenburg. Als Oberbürgermeister und
NRW-Ministerpräsident setzte Fritz
Steinhoff nach dem Krieg seine politische 10. Vom Rathaus gehen wir am Mataré-
Tätigkeit fort. Brunnen vorbei zur Sparkasse, deren Bergisch-Märkische Zeitung
Drehen wir dem Rathaus den Rücken zu, Hauptstelle sich auch damals schon hier vom 26.1.1936
dann schauen wir links auf die befand. Dahinter (früher Körnerstraße 24)
Rathausstraße, an deren Ecke sich die stand bis zur ihrer Zerstörung im Krieg die
Gaststätte Walter befand, vor 1933 ein Villa Loewenstein, benannt nach der
Dann gab es eine laute Explosion.
Der Bunker war getroffen. Unser Raum
lag im 3. Stock am Ende eines Gangs.
Aus Angst hatten wir bereits den Raum
verlassen. Am Ende des Gangs war ein
riesiges Loch. Feuerschein und Qualm
drangen in den Bunker. Neben meiner
Schwester lag ein Toter. Unter den
Menschen brach Panik aus. ´Der Bunker
brennt! Der Bunker brennt!` Von der
Decke tropfte Blut. Heraus konnten wir
nicht. Die Treppe war stark beschädigt.
Erst gegen 6.00 morgens konnten wir den
Bunker verlassen. Auf der beschädigten
Sparkasse an der Ecke jüdischen Kaufmannsfamilie, die in der Treppe lagen noch Tote. Auf dem Bunker-
Körner-/Badstr. Elberfelder Str. 1 - 5 ein bekanntes vorplatz waren die Toten aufgereiht.“
Dahinter verdeckt Kaufhaus für Damen- und Werner Faeskorn entstammt einer
die Villa Loewenstein Herrenbekleidung besaß. Als das kommunistischen Familie. Seit Vater Fritz
Unternehmen 1936 „arisiert“ und von befand sich seit 1933 fast ununter-
der Firma Lampe übernommen wurde, brochen in Haft, zuletzt im Konzen-
emigrierte Julius Loewenstein mit seiner trationslager Mauthausen. Die Familie
Familie in die USA. Sein Haus wurde nach hatte doppelt zu leiden: als Opfer des
der Reichspogromnacht beschlagnahmt. Terrors gegen Andersdenkende und als
Später war darin die Gestapo-Außenstelle Opfer des von den Nazis begonnenen
Hagen untergebracht. Weltkrieges.
11
13
15
10
14
9
16
25
3 4 2
6
7 1
20
➜
12. Die Volmebrücke führt uns zur und auf den Zugangsstraßen formierten
Altenhagener Straße. Nach nur wenigen sich nach dem Blutbad in der Mittelstraße
Schritten sehen wir rechts die leicht unzählige Menschen zum Trauerzug in
ansteigende Gasse „Zur Stiege“. Im Hause Richtung Rembergfriedhof. Am 30. Januar
12 Nr. 5 wohnte bis zu seinem Abtransport
1942 ein jüdischer Junge, der später
1933, dem Tag der Ernennung Hitlers zum
Reichskanzler, und noch am 12. Februar
Schriftsteller wurde und unter dem protestierten hier Tausende gegen die
Namen „Carlo Ross“ seine Erlebnisse drohende Diktatur. Heute ist der Platz
schilderte. Sein Buch „ ... aber Steine bebaut.
reden nicht“ ist ein Abbild der alltäglichen
Wirklichkeit in einem Viertel armer Leute
während der NS-Zeit. Auf engstem Raum
wohnen hier zusammen: Nichtjuden und
Juden, Nazis, Hitlergegner, Mitläufer und
solche, die vielleicht anders gehandelt
hätten, wenn die Angst nicht gewesen
wäre. Hautnah wird beschrieben, wie die
Demütigung immer mehr zunimmt. David,
so der Name des Jungen, muss die Schule
verlassen und den Judenstern tragen. Er
muss seinen geliebten Papagei abgeben,
weil man Juden das Halten von
Haustieren verbietet. Informationen zu
einer Führung, die sich auf die Spuren von
Carlo Ross begibt, bekommt man unter Antifaschistische
der Telefonnummer 349200 Demonstration
(Jugendring/Evangelische Jugend). auf dem Neumarkt,
Dezember 1930
13. Aus der Republikstraße wurde im 14. Wir passieren die Bahnhofstraße und
Frühjahr 1933 die Neumarktstraße. Die kommen zur Elberfelder Straße. Rechts
braunen Machthaber benannten sie um, erreichen wir nach wenigen Metern das
weil sie an die Weimarer Republik erin- Haus Nr. 68. Hier wohnte Johann Wißner,
nerte. An sie schloss sich im unteren
Bereich in Richtung Innenstadt der
Mitglied einer kommunistischen
Widerstandsgruppe. Wißner war aus poli-
14
13 Republikplatz (Neumarkt) an, auf dem die
politischen Versammlungen und
tischen Gründen schon früh bei der Firma
Wippermann entlassen worden. Nach
Kundgebungen stattfanden. Er war 1933 diente seine Wohnung als geheimer
Schau- und Ausgangsplatz zahlreicher Treffpunkt und Verteilerstelle für illegale
antifaschistischer Demonstrationen. Hier Schriften. Im Herbst 1934 nahm die
Gestapo Wißner und acht weitere die Zerschlagung der Freien
Personen fest. Trotz unmenschlicher Gewerkschaften. An diesem Tag besetzte
Vernehmungsmethoden gab Wißner keine die SA das Gewerkschaftshaus auch in
Namen an. Er behauptete, die Schriften Hagen. Der Sekretär und SPD-
nicht weitergegeben, sondern nach dem Stadtverordnete Heinrich Sänger wurde
Lesen verbrannt zu haben. Wißner wurde festgenommen und abgeführt. Später
zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus wurde auch Walter Freitag, bis dahin
verurteilt, danach aber nicht entlassen, Bezirksleiter des Metallarbeiterverbandes,
sondern als Gefahr für „den Bestand und verhaftet. Bis 1935 durchlitt er ver-
die Sicherheit des Volkes“ ins KZ- schiedene Konzentrationslager. Nach
Buchenwald transportiert. Nach seiner seiner Entlassung stand er unter
Entlassung im April 1939 hielt er den Polizeiaufsicht. Im ehemaligen
Kontakt zu Gesinnungsfreunden aufrecht. Gewerkschaftsgebäude, umfunktioniert
Im Februar 1945 wurde er verraten, nach zum „Haus der Deutschen Arbeit“, war
Dortmund gebracht und in den dann die Deutsche Arbeitsfront unterge-
Ostertagen wenige Stunden vor dem bracht.
Einrücken der Amerikaner im
Rombergpark ermordet.
Besetzung eines
Gewerkschaftshauses
am 1. Mai 1933,
hier in Berlin
19. Scharnhorststraße 8. Im Haus, das bis 20. Die von Waltraud von Schwartzenberg
zu seiner Zerstörung hier stand, wohnte und Elfriede Franz gedruckten Schriften
Waltraud von Schwartzenberg mit ihrer gelangten zum Teil in die Franklinstraße
24
der Stadt standen, holte die Gestapo 12
Gefangene aus dem Polizei- und dem
war ein junges Mädchen im Alter von 18
Jahren, als der erste große Luftangriff am 25
Gerichtsgefängnis, darunter 1. Oktober 1943 auf Hagen erfolgte.
Widerstandskämpfer, sowjetische Dieser Tag sollte ihr zum Verhängnis wer-
Zwangsarbeiter und einen 20 Jahre alten den. Ilse Mitze befand sich im Haus, als
Hagener Soldaten, den man wegen uner- das Gebäude von Brandbomben getroffen
laubter Entfernung von der Truppe zu wurde. Sie beteiligte sich an den
fünf Jahren Zuchthaus verurteilt hatte. Löscharbeiten und half Nachbarn dabei,
SS- Hauptsturmführer Schmidt, der Kleidungs- und Wäschestücke zu bergen
Hagener Gestapoleiter, teilte ihnen mit, und in den Keller zu schaffen. Später
dass sie zum Tode verurteilt seien und wurde sie angezeigt, weil sie einige der
erschossen würden. Die Gefangenen wur- von ihr geretteten Wäschestücke entwen-
den auf einem Lastwagen zu einem det hatte. Die junge Frau geriet in die
Bombentrichter am Donnerkuhler Weg Mühlen des Terrorapparates. Für das
gefahren und mussten sich im Halbkreis Dortmunder Sondergericht stand von
mit dem Gesicht nach innen aufstellen. vornherein fest, dass sie sterben musste.
Dann erging der Befehl, sie einzeln per Nach §1 der so genannten
Genickschuss hinzurichten. Eines der Volksschädlingsverordnung wurde sie zum
Opfer aber war noch nicht tot und bat: Tode verurteilt. Das Urteil löste
„Lasst mich leben!“ Ein Gestapo- Fassungslosigkeit selbst unter überzeugten
Angehöriger feuerte daraufhin noch eine Nazis aus. Am 12. Mai 1944 wurde Ilse
Salve in den Trichter. Nach der Exekution Mitze im Alter von 19 Jahren im
gab es jede Menge Schnaps für die Dortmunder Untersuchungsgefängnis in
Beteiligten. Der Mord an der Donnerkuhle Gegenwart des zuständigen
war nicht das einzige Verbrechen dieser Staatsanwaltes von dem Metzgergesellen
Art. Im Mai 1945 wurden mehr als 50 und Scharfrichter Hans Mühl und zwei
weitere Leichen aufgefunden, die man in seiner Gehilfen mit dem Fallbeil
Bombentrichtern verscharrt hatte. enthauptet. Das Regime wollte angesichts
zunehmender Bombenangriffe und wach-
sender Verunsicherung Stärke demonstri-
eren. Ilse Mitzes Tod war Mittel zum
Zweck. Er sollte zur politischen
Abschreckung dienen.
Augustastr. 11,
Aufnahme 2006
Orte außerhalb des Stadtkerns
17
Richtung Delstern
➜
22 23 24
Kontakte
Rahel-Varnhagen-Kolleg
Rainer Stöcker
Eugen-Richter-Straße 77 - 79
58089 Hagen
Telefon 0 23 31/ 2 89 50
Telefax 0 23 31/ 3 23 46
eMail rainer_stoecker@hotmail.com
19
18 Jugendring Hagen
c/o Evangelische Jugend
Frank Fischer
Rathausstraße 31
58095 Hagen
Telefon 0 23 31/ 3 49 20 21
Telefax 0 23 31/ 3 49 20 20
eMail frank-fischer@jugendring-hagen.de
HAGEN GEGEN
RECHTSEXTREMISMUS
UND GEWALT
R A H E L
VA R N H A G E N
K O L L E G