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Feuer

Feuer und Flamme


Vollständig überarbeitete Neuauflage der
Ausgabe von 1990.
Das wohl umfassendste Buch zur Ge-
schichte der linksradikalen Szene in der Geronimo
BRD nach 1968: Apo, Spontis, K-Sekten,
italienische Autonomia, Anti-AKW-Bewe-
gung, Häuserkampf, Startbahn West,
Hafenstraße, IWF-Kampagne, Golfkrieg,
Antifa, bewaffneter Kampf ...

und
Geronimo

Flamme
ISBN: 3-89408-004-5

Edition ID-Archiv
Edition ID-Archiv

Zur Geschichte der Autonomen


Geronimo
Feuer und Flamme

Edition ID-Archiv
Berlin – Amsterdam
Geronimo
Feuer und Flamme
Zur Geschichte der Autonomen

Edition ID-Archiv
Berlin – Amsterdam
Editorische Notiz: »Feuer und Flamme« erschien erstmals im Mai Inhalt
1990 in der Edition ID-Archiv. Die vorliegende Neuauflage wurde vom
Autor vollständig überarbeitet.

Vorbemerkung zur Neubearbeitung 6


I. Zur Geschichte der Autonomen in der alten
West-BRD – ein Abriß 23
A Taste of Revolution: 1968 23
La sola soluzione – la rivoluzione:
Das Beispiel der italienischen Autonomia 36
Geronimo
Querbeet durch den Linksradikalismus der 70er Jahre 49
Feuer und Flamme
Zur Geschichte der Autonomen – »Wir wollen alles!« – Betriebsprojektgruppen 51
– Die Häuserkämpfe in den 70er Jahren 55
– Die Spontibewegung an den Universitäten 64
– Kurze Geschichte der K-Gruppen und ihres Zerfalls 66
Edition ID-Archiv
– Die Alternativbewegung 70
Postfach 360 205 – Das Zeitschriftenprojekt AUTONOMIE 74
10972 Berlin – Stadtguerilla und andere bewaffnet
ISBN: 3-89408-004-3 kämpfende Gruppen 78
– Deutscher Herbst 1977 82
1. Auflage 1990 – Eine Reise nach TUNIX 85
4. Auflage 1995
The Making of the Autonomist Groups in the 80s 92
– Die Anti-AKW-Bewegung von 1975–81 98
Gestaltung
– Die Hausbesetzerbewegung in West-Berlin 1980–83 116
seb, Hamburg
– Der Kampf gegen die Startbahn-West 122
– In einer deutschen Friedensbewegung werden
Druck die Autonomen isoliert 125
Winddruck, Siegen – Ein paar Skizzen autonomer Bewegung quer durch
die letzten Jahre der West-Republik 140
Buchhandelsauslieferungen – Wird Politik in Klassen- oder Massenbewegungen
BRD: Rotation Vertrieb herumgerührt oder abmoderiert? 142
Schweiz: Pinkus Genossenschaft – Zwischen Haßkappe und Birkenstocksandalen:
Österreich: Herder Auslieferung – Die Autonomen und die Grünen 146
Niederlande: Papieren Tijger

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– Die Bedeutung der Stadtguerillakonzeptionen für die Vorbemerkung zur Neubearbeitung
Autonomen und ihr Verhältnis zu den Antiimps 153
– Die Anti-AKW-Bewegung der 80er Jahre 157
– In Hamburg gibt es eine schöne Hafenstraße 168
– In West-Berlin gibt es ein tolles Kreuzberg 173
– An der Startbahn-West gibt es falsche Schüsse 184
– Anschlagsrelevante Themen 191
– Und gegen den IWF-Weltbank-Kongreß gab es Wieso ist Feuer & Flamme einmal entstanden?
eine politisch sehr richtige Kampagne 192 Der Ausgangspunkt für dieses Buch bestand Ende der 80er
– 1989 199 Jahre darin, eine »kurze Kritik« an einigen innerhalb der
War das etwa alles an der Geschichte der Autonomen? Autonomen herumfliegenden Geschichts- und Organisie-
Ein Kurzgutachten 203 rungsvorstellungen zu üben. Nicht mehr.
II. Anstelle eines Schlußwortes: Ein kurzer, aber
Zu jenem Zeitpunkt war ich sowohl an dem linksradika-
keineswegs sentimentaler Rückblick 207
len Flügel der – inzwischen in dieser Form weitgehend ver-
schwundenen – Anti-AKW-Bewegung als auch an der gegen
III. Eine kommentierte Literatur- und die Tagung von IWF und Weltbank in West-Berlin gerich-
Anekdotenrevue 213 teten Kampagne autonomer Gruppen intensiv beteiligt.
Nach dem vorläufigen Ende dieser Bemühungen erschien
mir das unter dem Stichwort »autonom« zusammengeba-
stelte Theorie- und Praxisverständnis ein wenig windschief,
weshalb ich auch ein nach Möglichkeit radikales Nachden-
ken notwendig fand. So habe ich mir nach dem Ende der
IWF-WB-Kampagne, trotz meiner Erschöpfung, die Zeit
genommen, eine Reihe von Kritiken an den Autonomen
noch einmal genauer und gründlicher durchzulesen. In die-
sem Zusammenhang seien besonders die Texte der l.u.p.u.s-
Gruppe aus Frankfurt vom Frühjahr 1987 und ein Ende
1988 von Hamburger Linksradikalen verfaßtes Papier unter
dem Titel »Ich sag’ wie es ist« genannt. In beiden Texten
werden autonome Bewegungserfahrungen der 80er Jahre
verhandelt. Besonders von dem Inhalt des l.u.p.u.s-Papieres
war ich außerordentlich beeindruckt. Eine Reihe von Passa-
gen darin haben meinen heftigen Widerspruch provoziert:
»Nein, so zynisch und blöd, wie da ›andere Autonome‹ dar-
gestellt werden, bin ich nicht! Damit bin ich überhaupt nicht
einverstanden!« Ich habe vielleicht dieses Papier im Ver-
gleich zu den damals von den VerfasserInnen verfolgten, ja
immer auch aktuell tagespolitisch motivierten, Intentionen

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genau umgekehrt gelesen. Nichtsdestotrotz war es für mich, nehmen: in meiner »Untersuchung« hat sich herausgestellt,
bei allen – mir manchmal zu – selbstkritischen Untertönen daß »früher« nicht »alles besser«, sondern einfach alles nur
an den Paradoxien der realen Vergesellschaftung innerhalb ein wenig »anders« gewesen ist.
von autonomen Zusammenhängen, ein wichtiger Durch- Und weil ich mich damals in besonderer Weise einer
bruch zur Formulierung meiner eigenen Bewegungserfah- »konstruktiv« gemeinten Praxis verpflichtet gefühlt habe,
rungen. Deshalb kann ich auch heute noch dieses Papier sollte natürlich nicht bei einem bloßen, mir damals eher ver-
nicht genug über den grünen Klee loben. dächtig erscheinenden »Kritisieren« stehengeblieben wer-
Das Hamburger Papier besitzt gegenüber dem l.u.p.u.s.- den. Und so habe ich mir in einer Zeit, in der sich nebenbei
Text auch nicht annähernd die gleiche Qualität. Es ist die DDR nach 40 langen Jahren kontinuierlicher National-
durchzogen von einem selbstgerechten orthodox-leninisti- staatsorganisierung einfach im Nix auflöste, dann auch noch
schen Grundverständnis, welchem der Stalinismus konse- gleich einen eigenen »Organisierungsvorschlag« für die von
quent auf dem Fuße gefolgt ist. Ich habe dieses Papier da- mir so geliebten Autonomen ausgedacht. Großzügig, nicht
mals unter der eher unbewußt verfolgten Perspektive eines wahr?
eifrigen Parteiaktivisten einer imaginierten Autonomen-
Partei gelesen. Folgerichtig bestand mein Anliegen mit Mit welcher Methode wurde Feuer und Flamme
»Feuer und Flamme« auch darin, Dinge und Sachen zusam- eigentlich geschrieben?
menhalten zu wollen, die, kritisch betrachtet, überhaupt Ich setzte mich hin, um einmal aufzuschreiben, wie es denn
nicht zusammengehören. Heute würde meine Kritik an die- bei den Sachen, an denen ich irgendwie im irgendwo selber
sem Papier, völlig unbefangen und in jeder Hinsicht skru- beteiligt war, aus meiner Sicht war. Und darüber hinaus
pellos, um vieles schärfer und unversöhnlicher ausfallen, als wollte ich mir auch mal angucken, ob die Geschichte, bei
es in der ersten Fassung von »Feuer und Flamme« gesche- der ich leider aus biographischen Gründen nicht hab’ dabei
hen ist. sein können, tatsächlich um so vieles »besser« war als die be-
Beide Texte wurden von mir daraufhin durchgesehen, wußt miterlebte und manchmal ja auch gemachte eigene
was sie über die Dinge geschrieben haben, an denen auch ich Geschichte in den 80er Jahren.
in der einen oder anderen Weise beteiligt gewesen war. Und Das war der Ausgangspunkt, von dem zu sammeln und
siehe da: mehr als einmal habe ich mich in diesen Darstel- herumzulesen angefangen wurde. Und abgesehen vom Auf-
lungen darüber geärgert, daß ich und meine Freunde dabei schreiben habe ich dann in der Zwischenzeit noch über alles,
immer dümmer wegkamen, als wir es doch tatsächlich wa- was ich schon wußte, mit Freunden und Freundinnen ge-
ren. Hinzu kam, daß die gegebenen Hinweise auf die links- sprochen und diskutiert. Besonders geholfen haben mir da-
radikale Geschichte der 60er und 70er Jahre beinhalteten, bei Gespräche mit meinen Freunden Don Fredo und Felice
daß früher alles irgendwie »besser« als heute gewesen sein dem Grottenolm, die wir bei einer dreiwöchigen Fahrrad-
soll. Ich habe mich dabei spontan gefragt, ob das tatsächlich fahrt quer durch Südschweden geführt haben. Ersterer war
stimmte. »Wenn es denn damals so toll gewesen sein soll, in der zweiten Hälfte der 70er Jahre ein Sponti-Fürst ir-
wieso hast du dann später so wenig davon mitbekommen?« gendwo an einer norddeutschen Uni. Letzterer war ein dem
war meine Reaktion auf derartige Aussagen. Mein Wider- zentralistisch organisierten Kommunistischen Bund (KB)
spruch wurde durch diese Papiere herausgefordert. Nicht aus Hamburg aus den Rudern gelaufenes Basismitglied. Wir
mehr. Und um ein Ergebnis meiner Bemühungen um eine drei haben während dieser Fahrradfahrt im Sommer 1989
kleine Rekonstruktion von autonomer Geschichte insbeson- rund um die Uhr gegen Gott und für die Welt herumge-
dere in den 60er und 70er Jahren der BRD gleich vorwegzu- schwatzt. Dabei haben wir nicht nur über die gerade mal ein

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Jahr zurückliegende IWF-WB-Kampagne der autonomen im Sinne von Freiheit zu begreifen; und zwar der Freiheit,
Gruppen gesprochen, an denen wir alle drei in der ein oder Nachfrage und Widerspruch zur Gesellschaft zu üben, etwas
anderen Art und Weise beteiligt waren. Ich habe einfach die nicht fatalistisch als gottgegeben oder gar unveränderbar
Gelegenheit genutzt, alles das zu fragen, was ich schon im- hinzunehmen, manchmal sogar – und das ist oft das müh-
mer mal über die Geschichte der Linksradikalen wissen samste – auch »Nein« zu sagen. Überhaupt: Besteht nicht
wollte. Und darüber hinaus hab’ ich beide immer mal wieder der Sinn von Politik unter den herrschenden Bedingungen
mit meinen Vorurteilen darüber konfrontiert, jedenfalls allein darin, alle Menschen in die Lage zu versetzen, selber
dann, wenn schon welche da waren. Manchmal haben sie Politik betreiben zu können, um sie genau dadurch in allen
mich für die Ansichten einfach nur ausgelacht, mir dann ihren idiotischen, gar bisweilen barbarischen Formen end-
meinen Unsinn auseinandergepflückt und mich über die lich abzuschaffen?
»wahren Sachverhalte« aufgeklärt. Über andere Vorurteile
von mir haben sie gestaunt, und wir haben kreuz und quer Was sollte man und frau ansonsten noch in der
diskutiert. Und nachdem wir zwischendurch in Stockholm Vorbemerkung erfahren?
zufällig in einer Kolonie von ehemaligen Flüchtlingen noch Feuer & Flamme – und zwar »für diesen Staat« und nicht,
ein paar zynisch gewordene Tupamaros getroffen hatten, wie seit geraumer Zeit, von Nazis und Rassisten mit staatli-
waren irgendwann die drei Wochen vorbei, und wir gingen cher Billigung an Flüchtlingswohnhäuser gelegt – wurde als
wieder auseinander. Unmittelbar danach habe ich dann mein Parole immer wieder in den 80er Jahren von Autonomen auf
bis dato angefertigtes Manuskript in den Mülleimer gewor- Demonstrationen skandiert. Dieser Begriff schien mir auch
fen und sofort begonnen, alles aufzuschreiben, was ich noch im Sinne einer durchaus flüchtig gemeinten Momentauf-
an Entwicklungslinien, Einschätzungen und Thesen aus un- nahme eine gute Charakterisierung der politischen Bewe-
seren gemeinsamen Gesprächen in Erinnerung hatte. Und gung der Autonomen zu sein.
mit dieser Methode: nachdenken, aufschreiben, mit Schlau- Eine Voraussetzung, die mehr oder weniger sichtbar in
eren drüber quatschen, alte, dann als dumm erkannte Sa- die Darstellung einfließt, ist die Biographie des Autors ins-
chen wieder verwerfen und neue hinzufügen, wurde solange besondere innerhalb der linksradikalen Bewegung in Nord-
weitergemacht, bis das ursprünglich einmal als »kurze Kri- deutschland/Hamburg und West-Berlin. Dieser Hinweis ist
tik« gedachte Papier dann als Buch endlich fertig war. Ich deshalb nicht ganz unwichtig, da die Geschichte der Auto-
möchte die von mir bei der Erstellung von Feuer und Flam- nomen in der alten BRD immer sehr stark von lokalen Ge-
me benutzte Methode als Sammel- und Räubermethode gebenheiten beeinflußt worden ist. Und gerade wenn man
kennzeichnen. Vermutlich ist diese Methode gerade in der dann auch selber an diesen oder jenen Stellen eifrig mitge-
kritischen Sozialwissenschaft verpönt, schließlich genügt sie mischt hat, verliert man ziemlich schnell den ohnehin
ganz sicher keinerlei wissenschaftlichen Ansprüchen. In dem schwierigen Überblick über die Entwicklungen der autono-
Bereich der »Wissenschaft« gilt nach wie vor der Grund- men Strukturen in anderen Regionen der BRD (z.B. Rhein-
satz: Die angewandten Methoden des Arbeitens müssen dem Main-Gebiet, Süddeutschland, Ruhrgebiet). Hinsichtlich
jeweilig behandelten Gegenstand angemessen sein. Doch der Biographie des Verfassers ist die nachfolgende Darstel-
was läßt sich gerade bei dem schillernden Gegenstand von lung auch als Geschichte eines unbezahlt und zuweilen sehr
»Politik« genau unter der »Wissenschaft von der Politik« entfremdet Arbeit leistenden autonomen Parteifunktionärs
verstehen? mittendrin in dem Durcheinander zwischen ganz großer,
Ich glaube, daß ich bei der Formulierung von »Feuer dann etwas kleinerer und manchmal ja auch gar keiner Poli-
und Flamme« versucht habe, diese »Wissenschaft« einfach tik zu lesen; ein Individuum, welches sich nebenbei bemerkt

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auch mit Hilfe dieses Textes als Billig-Intellektueller pro- auch den reichen, manchmal sogar auch überschäumenden
biert hat. Genuß, wie z.B. bei der Plünderung von Supermärkten, ver-
Darüber hinaus konnte die nachfolgende Darstellung standen, sprich: »genossen« haben.
natürlich nicht frei von meiner besonderen Sichtweise als Eine kurze Anmerkung zu Geronimo: Mit der Wahl die-
Mann sein. Dabei sind für mich gerade bei den durch die ses Pseudonyms soll keineswegs der Eindruck von Konspira-
feministisch-autonome Frauenbewegung aufgeworfenen tivität erweckt werden. Als ich es vor einem halben Jahr-
Herausforderungen eine Reihe von Widersprüchen explo- zehnt gewählt habe, war es für mich Ausdruck für den Ver-
diert: Wut, Resignation und Hilflosigkeit lagen dabei dicht such, einen pragmatischen Umgang mit der Anmaßung zu
beieinander. Und so bleibt bei dieser Bearbeitung außer dem finden, als einzelner über etwas zu schreiben, von dem ich
Hinweis, daß ich ein diesbezügliches Kapitel aus der alten immer noch finde, daß doch gerade bei diesem Thema alle
Fassung herausgeworfen habe, wenig mehr zu sagen, als daß etwas zu sagen haben und zu sagen haben sollen. Dieser ba-
die im Geschlechterverhältnis angelegten widersprüchlichen nale Gedanke reflektiert dabei zugleich die innerhalb der
Dimensionen in diesem Text deshalb nicht »berücksichtigt« autonomen Bewegung vagabundierende Paradoxie des un-
wurden, weil der Autor schlicht zu ahnungslos war, sie zu gelösten Hierarchie- und Führungsproblems. Schließlich
begreifen. gilt doch nach wie vor: Die Autonomen besitzen keine Co-
Ich bin nach der ersten Fassung darauf aufmerksam ge- mandantes oder, genauer formuliert, sie sollten keine besit-
macht worden, daß es einer Frechheit gleichkommt, eine zen. Jedenfalls nicht in einer befreiten Gesellschaft, in der
Abhandlung zur Geschichte und Gegenwart der Autonomen wir bekanntlich noch nicht leben.
in den 70er und 80er Jahren zu schreiben, ohne dabei den Darüber hinaus bietet die Wahl eines Pseudonyms in der
großen Einfluß der Rock- und Punkmusik sowie des süßen gegenwärtigen Situation einen kleinen Schutz vor organi-
Drogenrausches auf die Szene auch nur einmal erwähnt zu sierten Neofaschisten, den ich aus gesundheitlichen Grün-
haben. Ich bitte mir dieses Versäumnis als manchmal viel- den nicht missen möchte.
leicht etwas trocken wirkenden, bolero-hörenden Bücher- Das in der ersten Fassung in diesem Zusammenhang an-
junkie nachzusehen ... gesprochene Problem der Korruption existiert bekanntlich
Die an diesen oder jenen Stellen verwendete Anrede in dieser Gesellschaft immer noch. Dem Autor ist es aber
»Genosse« besitzt verständlicherweise für Leute aus der mittlerweile mit seinem weitgehend auf Grundlage eines in
links-antiautoritär-undogmatischen Szenerie der ehemali- den sich verflüchtigenden Nischen der Alternativbewegung
gen DDR einen mehr als faden Beigeschmack. Selbst dem um Angepaßtheit bemühten bescheidenen Lebensstil keine
Verfasser gruselt mittlerweile bei der Erkenntnis, daß sich großen Worte mehr wert.
damit auch ein Erich Mielke positiv angesprochen fühlen Dem und der nun hoffentlich immer noch geneigten Le-
könnte. Und der ist jemand, der als stalinistischer Geheim- serin wird nun eine Reise quer durch den bundesdeutschen
dienstbulle in der zweiten Hälfte der 30er Jahren mit Eifer Linksradikalismus in der Zeit von ungefähr 1967 bis nach
mitgeholfen hat, die soziale Revolution im spanischen Bür- 1989 zugemutet. Da und dort wurden in den einzelnen Ka-
gerkrieg zu liquideren. Trotz allem kennzeichnet »Genosse« piteln ein paar neue Literaturhinweise aufgenommen. Nicht
in der Geschichte der alten West-BRD einen Zusammen- nur sie mögen den Leserinnen dazu dienen, den nachfolgen-
hang von tendenziell Verfolgten und Ausgegrenzten, nicht den Text nicht einfach folgsam und stumm, d.h. unkritisch
jedoch eine Führungsclique. Und darüber hinaus fühlt sich in sich aufzunehmen. Vielleicht löst er bei den verehrten Le-
der Verfasser einem Milieu von Genossen und GenossInnen serInnen wenigstens den die Gleichgültigkeit kreuzenden
zugehörig, die mitunter in ihrer wirklichen Lebenspraxis Impuls aus, kopfschüttelnd zu widersprechen ...

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Zur Geschichte der Autonomen 1967–1989 kann die Theorie und Praxis der West-BRD-Autonomen
Die Autonomen, so wie es sie heute in dieser Gesellschaft der 80er Jahre nach der Niederschlagung der italienischen
der 90er Jahre als eine politisch verstandene Formation gibt, Autonomia Ende der 70er Jahre durchaus als eine »zweite
hat es weder in der Wirtschaftswunder-BRD noch in der Welle der Autonomie« betrachtet werden. Begrenzen wir
stalinistischen Ulbricht-DDR der 50er Jahre gegeben. Die den Blick auf die Geschichte der West-BRD, dann erscheint
Autonomen, wie man und frau sie sowohl aus eigener Betei- es plausibel, die Autonomen als eine Art zweite Generation
ligung als auch aus der distanzierten Medienanschauung in der 67/68er Revolte zu verstehen; und zwar einer Generati-
diesem Land kennt und zuweilen ja auch erleidet, existieren on, die noch einmal versucht hat, die von den 68er Protago-
im Grunde genommen erst im Gefolge der 68er Revolte, nisten formulierten politischen und kulturellen Ansprüche
vor allem in Westeuropa. Diese Revolte wurde in der zwei- zu radikalisieren, um sie so gegen deren zunehmend doppel-
ten Hälfte der 60er Jahre sozial hauptsächlich von einer Stu- bödige Moral auszuspielen. Insofern tragen die Autonomen
dentInnenbewegung getragen. Aus dieser sozialen Bewe- in ihrem derzeitigen Erscheinungsbild immer noch den
gung ist in Abgrenzung zur »Alten Linken« eine sogenann- Schatz aller Versäumnisse, Niederlagen, aber auch der An-
te »Neue Linke« entstanden. Diese neue Linke entwickelte sprüche, Paradoxien und Erfolge von über 20 Jahren linksra-
sich aus einer Kritik sowohl an den Stellvertreterformen von dikaler und antiparlamentarischer Politik in der alten West-
Partei und Gewerkschaft als auch an den politischen Kon- BRD mit sich herum.
zeptionen der traditionellen Arbeiterbewegung. Die Ab- Die politischen Ursprünge der Autonomen lassen sich in
grenzung galt der westeuropäischen Sozialdemokratie wie der Folge des Zerfalls der Außerparlamentarischen Opposi-
dem osteuropäischem Bolschewismus, aber auch Elementen tion (APO), bei den »Spontis«, bei den von Italien beein-
eines südeuropäischen Anarchismus. Sowohl gegen die in flußten marxistisch-operaistischen Gruppierungen sowie bei
Westeuropa nach dem zweiten Weltkrieg restaurierten kapi- libertär-anarchistischen Strömungen im Zusammenhang
talistischen Verhältnisse als auch gegen die geschichtsmäch- mit städtischen Subkulturen finden. Im Laufe der politi-
tig gewordenen Vorstellungen der traditionellen Arbeiterbe- schen Auflösung dieser linksradikalen Gruppierungen ab
wegung verstand sich die StudentInnenbewegung in ihrem Mitte der 70er Jahre transformieren sich weite Teile der
Selbstverständnis als antiautoritär. Darüber hinaus zeigt uns Spontibewegung in die beginnende Alternativbewegung.
ein weiter Blick auf jene Zeit, daß es innerhalb der 68er Re- Diese Fluchttendenz aus frustrierend empfundenen her-
volte eine Revolte der Frauen gegen die Männer gab. Aus kömmlichen Formen der politischen Arbeit wird durch den
der Kritik an den »sozialistischen Eminenzen« entstand eine »Deutschen Herbst« 1977 verstärkt.
sich selbst organisierende autonome Frauenbewegung, die Gleichzeitig werden zentrale Motive und Politikmuster
damit begann eine andere Praxis im Verhältnis zwischen All- der linksradikalen Szene (Ablehnung von Kaderorganisatio-
tag, Politik und Subjektivität zu propagieren. Und nicht zu nen, Politik in der ersten Person, Prinzip der direkten Akti-
vergessen sind für diese Zeit die europaweitenAusstrah- on, Basisdemokratie, Entwicklung von »Gegenöffentlich-
lungseffekte einer militant gegen Lohnarbeit und das Kapi- keiten«) in popularisierter Form in den »neuen sozialen Be-
tal kämpfenden Arbeiterklasse in den Automobilfabriken. wegungen« aufgenommen.
Die Autonomen von heute sind nur im Zusammenhang Der spätestens ab Mitte der 70er Jahre einsetzende Auf-
mit einer historischen Kontinuität der neuen Linken in ei- stieg dieser Bewegungen trifft auf einen parallel verlaufen-
nem Westeuropa seit 1967/68 zu begreifen, die auf jeden den Niedergang der ebenfalls aus der 68er Revolte hervor-
Fall bis zum Ende der alten West-BRD Ende des Jahres gegangenen dogmatischen marxistisch-leninistischen K-
1989 reicht. In einer auf Westeuropa gerichteten Sichtweise Gruppen. Die Ablehnung der von diesen verfolgten Politik

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war in der Praxis der Linksradikalen in den 70er Jahren stets bautes Unternehmen. Und das deshalb, weil doch gerade
ein wichtiger Baustein ihres eigenen Selbstverständnisses. jetzt, an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, zu begreifen ist,
»Durch das Entstehen der Spontis und Stadtindianer in daß wir in den Verhältnissen der einen Welt leben, wo wir
der Bundesrepublik Mitte bis Ende der 70er Jahre gelangten mehr denn je aufeinander angewiesen, d.h. auch abhängig
die Autonomie-Diskussionen in die hiesigen Szenerien und voneinander sind. Diese Umstände in dem Begriff der »Au-
Polit-Zirkel. Ein wichtiges Diskussionsorgan und Umset- tonomie« nicht mitzudenken und statt dessen einem unkriti-
zungsmedium für autonome Ideen und Gedanken war dabei schen Kult der Unabhängigkeit zu frönen, enthüllt sich
neben dem Berliner ›Info-BUG‹ (bzw. ›Bug-Info‹) und dem dann ein ums andere Mal in Praxisformen eines ganz unan-
Frankfurter Informations-Dienst (ID) die Zeitschrift ›Auto- genehmen bürgerlich egoistischen Ellbogenindiviualismus.
nomie – Materialien gegen die Fabrikgesellschaft‹. Erst Es sind dies Verkehrs- und Vergesellschaftungsformen, die
dann ab 1980 gab es Ansätze zu einer eigenständigen auto- nicht nur im abstrakten Sinne für das kapitalistische System
nomen Bewegung« (M. Manrique). Mit den »neuen sozialen höchst funktional sind. Zugespitzt ist sogar zu formulieren:
Bewegungen« bildet sich ein sich selbst als autonom-mili- Bestimmte in jeder Hinsicht unkritisch unter dem Label der
tant verstehender linksradikaler Flügel heraus. In diesem sogenannten »Unabhängigkeit« verstandene Verkehrsfor-
Spektrum sind personelle Kontinuitäten aus der 68er Revol- men waren immer wieder ganz konkret von neuem in der
te nur noch schwer greifbar, und es scheint zunächst kaum autonomen Alltagsszenerie der 80er Jahre für viele aktiv Be-
ein historisches Bewußtsein über die Verknüpfung zur 68er teiligte in aller Brutalität zu erleiden.
Revolte zu existieren. Der Zusammenhang der neuen sozia- Vielleicht wäre ja statt dessen über die herausfordernde
len Bewegungen bildet ab der zweiten Hälfte der 70er Jahre Definition von Bodo Schulze nachzudenken, der der Auffas-
den Ausgangspunkt für das Entstehen der reformistischen sung ist: »Autonomie ist ein zerbrechlich Ding – oder viel-
Grünen Partei und für einen linksradikalen Flügel. mehr: Autonomie ist gar kein Ding, sondern eine bestimmte
Verkehrsform von Individuen, die sich zum Zweck der Zer-
Qu’est-ce que l’autonomie? störung jeglicher Herrschaftsverhältnissse assoziieren. Diese
In diesem Geschichtsabriß geht es nur am Rande um den Verkehrsform ist nicht theoriefähig. Theorien lassen sich
schillernden Begriff der »Autonomie«. Vor zweihundert nur über solche Gegenstände ausarbeiten, die an sich selbst
Jahren verbissen sich mit Kant und Hegel immerhin schon Existenz haben – die als solche existieren. Autonomie ist
ein paar nicht unwesentliche Denker der bürgerlichen Auf- kein solcher Gegenstand. Autonomie hat keine Existenz an
klärung in diesen Begriff. Diese Erkenntnis war mir jeden- sich. Sie ist nur insofern, als die Menschen revolutionär tätig
falls Ende der 80er Jahre deshalb noch verschlossen, weil das werden.«
Licht meiner damaligen konkreten Neugier (leider) noch In einem aktuell verstandenen politisch-historischen Zu-
nicht so weit zurückreichte. Zumindestens trägt dieser Ver- griff hat sich ein Abriß über die Geschichte der West-BRD-
weis dem Umstand Rechnung, sich irgendwann einmal Autonomen mit der Position einiger GenossInnen auseinan-
gründlicher mit dem Begriff der »Autonomie« zu beschäfti- derzusetzen, die meinen, er sei ein »italienischer Exportarti-
gen. Er erscheint in einem bornierten Alltagsverständnis in kel«. Dabei habe die »Autonomie« ihren im dortigen Kon-
der jüngsten Gegenwart eher auf die Allerweltsformel »Un- text gewonnenen »proletarischen Charakter« in der BRD/
abhängigkeit« zusammengekürzt worden zu sein. Doch das West-Berlin in einen »typisch deutschen kleinbürgerlichen
ständige Hervorheben einer imaginären »Unabhängigkeit«, individuellen Ausdruck« verändert. Ob das wohl stimmt?
ohne einmal genau zu benennen, wovon, warum und wieso Vielleicht kann uns in diesem Zusammenhang eine Au-
überhaupt, erscheint wenig mehr als ein hohles, auf Sand ge- tonomie-Definition von Johannes Agnoli weiterhelfen, die

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genau im Schnittpunkt zwischen den italienischen und den gerne auf das Ganze verallgemeinern. Das ist eine Methode,
westdeutschen Erfahrungen, Mitte der 70er Jahre, das Licht sich wenigstens nachträglich eine große Bedeutung zuzu-
der Welt erblickte: sprechen. Was jedoch für die einen ein wohliges Gefühl ist,
»Die von mir gemeinte Autonomie ist die Klassenauto- muß noch lange nicht für andere und schon gar nicht in an-
nomie ... Autonomie in der doppelten Form: als Klassenbe- deren Zusammenhängen stimmen. Wer also die Geschichte
wegung, die Bewegung der Arbeitskraft gegen das Kapital, der heutigen West-BRD-Autonomen lediglich auf einen
die Bewegung des Arbeiters als Subjekt der Produktion ge- »italienischen Exportartikel« zusammenkürzt, muß sich zu
gen seine gleichzeitige als Objekt der Verwertung. Aber auch Recht die Frage gefallen lassen, ob diese nicht vielleicht
und zugleich über den Fabrikbereich hinausgehend: als Ten- schon in der gesellschaftlichen Realität der BRD in den 50er
denz oder Bewegung der abhängigen Massen gegen den Ver- und 60er Jahren zu finden waren, auch wenn sich diese Leu-
such des Kapitals, diese abhängigen Massen als Objekte der te selbst nicht so genannt haben mögen. In diesem Zusam-
Umsetzung des Mehrwerts in Profit, als Konsumobjekte zu menhang sei nur an die »Halbstarkenrandale« bei den
betrachten. In beiden Fällen bedeutet Autonomie den Ver- Rockkonzerten in den 50er Jahren, an die sogenannten
such ... der Klasse in ihrem Kampf um die Befreiung sich »Schwabinger Krawalle« in München 1962 und an die Akti-
selbständig von der Kapitalbewegung, von der Zyklenbewe- visten der »Subversiven Aktion« Mitte der 60er Jahre erin-
gung des Kapitals zu machen ... Klassenautonomie bedeutet nert. Diese Verweise zeigen, daß das Gespenst der Autono-
... daß die Klassenbewegung als Emanzipationsbewegung, als mie in diesen Breitengeraden nicht allein italienischen Ur-
Bewußtwerdungsprozeß völlig unabhängig vom ökonomi- sprungs und auch weit älter ist, als der hier vorgenommene
schen Zyklus verläuft ... Während in der BRD in der Fabrik Geschichtsabriß nahelegt. Es scheint den Herrschenden
der Aufstand der Arbeiter gegen die Verwertung immer noch schon länger Kopfzerbrechen und schlaflose Nächte bereitet
sehr zurück ist ... hat in der gesamtgesellschaftlichen Repro- zu haben. In bezug auf eine tatsächliche politische Relevanz
duktion der Aufstand der Gebrauchswertorientierung gegen von Linksradikalen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit
die Tauschwertorientierung eher konkretere Formen ange- der BRD erschien es jedoch sinnvoller, die Geschichte der
nommen ... Autonomie von der Kapitalbewegung kann sich bundesdeutschen Autonomen als Ergebnis von politischen
ausdrücken, wie in der BRD, als Absage an die Tatsache, daß Konflikten und Auseinandersetzungen seit 1967 darzustel-
ein jeder von uns eingespannt ist in den Realisierungsprozeß len.
auf dem Markt und sich dagegen wehrt ... Autonomie bedeu- Eine andere Schwierigkeit in der Beschreibung der Au-
tet ... nicht eine Absage an das Organisationsprinzip, wohl tonomen in den 80er Jahren drückt sich in der wahlweisen
aber eine Absage an irgendeine Organisation, die ein eigenes Verwendung von Begriffen wie »Bewegung der Autono-
Organisationsinteresse entwickelt, das nicht mehr das Klas- men«, »Linksradikale« oder die »politische Kraft der Auto-
seninteresse ist ... Was ich sagen will: Klassenautonomie ist nomen« aus. In der nachfolgenden »Untersuchung« wurde
nicht organisationsfeindlich. Vielmehr sind die traditionel- deshalb auf eine statische Begriffsdefinition gegenüber dem
len Organisationen nicht mehr in der Lage, Klasseninteres- sich bewegenden und schillernden Gegenstand der »Auto-
sen zu vertreten.« (»Langer Marsch«, Februar76.) nomen« verzichtet. Und das auch deshalb, weil sie mit der
Wie auch immer. Gerade bei Geschichtsdiskussionen Gefahr einer sowohl autoritären als auch höchst willkürli-
mit ehemals und noch immer aktiven GenossInnen gilt es zu chen und damit gewalttätigen Verfahrensweise verbunden
bedenken, daß sie hin und wieder ihre eigenen engagierten, wäre.
vielleicht schon Geschichte gewordenen Erfahrungen in Zumindest läßt sich in einer vorsichtigen Beschreibung
diesem oder jenen von ihnen beackerten Schrebergarten sagen, daß sich hinsichtlich der Formen der Begriff des

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»Linksradikalismus« in den 60er und 70er Jahren eindeutig alistisch-anarchistischen Momenten in der linksradikalen
als »links« von den Organisationen der traditionellen Arbei- Szenerie in einem Geschichtsabriß nur schwer als Organisa-
terbewegung bestimmen läßt, ohne dabei mit den traditio- tionsgeschichte chronologisch verfolgen und darstellen las-
nellen Formen und Theorien des Anarchismus völlig zusam- sen. Viele der GenossInnen, die sich in den 70er Jahren an
menzufallen. Der Gehalt des Begriffes »Linksradikalismus« diesen oder jenen Auseinandersetzungen und Kämpfen be-
hat sich in den 80er Jahren insofern verändert, als er zumin- teiligt haben, hatten Besseres zu tun, als sich an die Schreib-
destens in dieser Zeit präziser mit »links« von der Partei der tische zu hocken, um zwischendurch fein säuberlich ihre po-
Grünen beschrieben werden muß. Allerdings existierten in litischen Bemühungen in dickleibigen Papieren zu bilanzie-
den 80er Jahren neben den Autonomen auch noch andere ren. Und wie soll in einer Darstellung der Umstand verall-
Gruppierungen, die sich selbst als »linksradikal« verstanden, gemeinert werden, daß immer wieder an der einen Stelle
sich jedoch bewußt von den Autonomen abgrenzten. GenossInnen aus Frust die politische Arbeit steckten und
Dieser geschichtliche Abriß erhebt keinen Anspruch, ei- dabei aber schon längst von anderen GenossInnen an ande-
ne repräsentative, alles berücksichtigende Geschichte des ren Punkten etwas Neues begonnen wurde? Aber vielleicht
bundesdeutschen Linksradikalismus zu liefern. So fehlt ein hat diese teilweise Desorganisation zugleich eine große Viel-
ursprünglich beabsichtigtes Kapitel über die linksradikale falt von gerade nicht instrumentell-politisch zusammen-
Stadtgeschichte von West-Berlin. Diese Stadt war neben gekürzten Initiativen und Ansätzen ermöglicht, vor denen
Frankfurt das wichtigste Agitations- und Aktionszentrum das Interesse an einer historischen Systematisierung in ei-
der 68er Studentenrevolte. Das drückt sich nicht nur in dem nem Geschichtsabriß zweitrangig bleibt.
reichen Schatz der Szene- und Untergrundzeitschriftenkul- Aus Gründen der Systematik und der Übersichtlichkeit
tur aus – die von »Linkeck«, »883«, »Fizz«, »Info-Bug«, werden in dem Abriß Linien entwickelt, die so unter Um-
»Radikal« bis heute zur »Interim« fortwirkt. Voller Aufre- ständen nie in der gesellschaftlichen Praxis existiert haben.
gung können auch heute noch ein paar entsprechende Pas- Ohnehin ist die Einteilung in die drei Zeitblöcke 68er-Re-
sagen aus P.P. Zahls Buch »Die Glücklichen« gelesen wer- volte, 70er und 80er Jahre eine bloß willkürlich zusammen-
den, in denen er detailliert die Vorbereitungen und den Ab- genagelte Hilfskrücke, um bestimmte Entwicklungslinien
lauf der massenmilitanten »Kampfdemonstration« im Mai besser pointieren zu können. In diesem Zusammenhang ist
1970 gegen den Einmarsch der US-Imperialisten in Kam- nicht eindringlich genug darauf hinzuweisen, daß alle Zu-
bodscha beschreibt. Und da und dort werden auch noch auf sammenhänge 1. »in sich«, 2. »komplex«, 3. »widersprüch-
den heutigen Demos ein paar einschlägige Textpassagen aus lich« sowie selbstverständlich stets auf das engste »zusam-
dem legendären Rauch-Haus-Song der »Scherben« mitge- menhängen«, wie überhaupt alle Abgrenzungen schwierig
sungen. Und dann gibt es noch den Blues, das Thommy zu treffen sind.
Weisbecker Haus, die Agit-Prozesse, den Kampf um die Der Geschichtsabriß in der ersten Fassung von »Feuer
selbstverwalteten Jugendzentren, die Stadtteilarbeit gegen und Flamme« war konzeptionell seitens des Autors unter-
Wohnraumzerstörung und Mietwucher und überhaupt ... gründig auch durch das Bemühen motiviert, viele verschie-
Die linksradikale Szene in den 70er und 80er Jahren ver- dene Gründungsverbrechen mit möglichst genauer Ortsbe-
fügte zu keinem Zeitpunkt über ein gemeinsames übergrei- schreibung zuzüglich einer präzisen Uhrzeit angeben zu
fendes Verständigungsorgan, beispielswiese in Form einer wollen. Aus der zeitlichen Distanz heraus würde ich mittler-
Zeitung oder einer verbindlichen Organisation. Die Dar- weile dazu sagen, daß die kleinbürgerlichen Dispositionen
stellung hat dem Problem Rechnung zu tragen, daß sich be- meines antiautoritären Bewußtseins mich leider dabei man-
stimmte Züge von militant-spontaneistischen und individu- chesmal das Reich der Freiheit als privates Kleineigentum,

20 21
gleichsam orientiert an der Vorstellung vom Besitzrecht der I. Zur Geschichte der Autonomen in der
ersten Landnahme, haben behandeln lassen. Nicht nur Hans
Jürgen Krahl, von dem dieser Gedanke abgeschrieben wur- alten West-BRD – ein Abriß
de, möge mir das nachsehen. Die neu gewonnene Erkennt-
nis motiviert mich jedenfalls zu dem Appell an die/den Lese-
rIn: Rekonstruieren wir auch heute unsere eigene Geschich-
te nicht als Anekdote oder besonders heroisches Ereignis,
sondern als bewegten, in jeder Hinsicht überraschenden
Prozeß, um morgen besser in die gesellschaftlichen Verhält- A Taste of Revolution: 1968
nisse eingreifen zu können.

»Die materiellen Voraussetzungen für die


Machbarkeit unserer Geschichte sind gegeben.
Die Entwicklungen der Produktivkräfte ha-
ben einen Prozeßpunkt erreicht, wo die Ab-
schaffung von Hunger, Krieg und Herrschaft
materiell möglich geworden ist. Alles hängt
vom bewußten Willen der Menschen ab, ihre
schon immer von ihnen gemachte Geschichte
endlich bewußt zu machen, sie zu kontrollie-
ren, sie zu unterwerfen ...«
Rudi Dutschke im Juni 1967

Das Jahr 1968 markiert sowohl für die bundesdeutsche


Nachkriegsgeschichte als auch im internationalen Maßstab
einen wichtigen Einschnitt. Für die BRD zeichnete sich die-
se Zäsur bereits in den Jahren 66/67 durch den ersten massi-
ven ökonomischen Kriseneinbruch in das sogenannte
»Wirtschaftswunder« ab. Auf der parlamentarischen Ebene
kam es zu einer großen Regierungskoalition zwischen SPD
und CDU. Gemeinsam bereiteten beide Parteien eine
»Notstandsverfassung« vor, die im »Krisenfall« alle bürger-
lichen Freiheitsrechte zugunsten einer parlamentarisch
nicht mehr kontrollierten Notstandsregierung suspendieren
sollte. Sowohl in der linksliberalen Öffentlichkeit als auch in
Gewerkschafts- und Studentenkreisen wurde die Tendenz
zu einem »autoritären Staat« gesehen, einer Demokratie
ohne Demokraten und ohne Opposition.

22 23
Auf internationaler Ebene war das ganze Jahr 1968 hang spielt die Vietnam-Solidarität eine zunehmend wichti-
durch bedeutsame politische Entwicklungen und eine Viel- gere Rolle. Insbesondere in West-Berlin sammelte der SDS
zahl von Aktionen der Studentenbewegung in den USA, Ita- zu Beginn der 60er Jahre in einer Reihe von Internationalis-
lien, Frankreich, Spanien, den Niederlanden, Mexico, Japan musaktionen erste praktische Erfahrungen mit einem offen-
u.a. gekennzeichnet. Die im April 1968 einsetzende TET- siven Auftreten in der Öffentlichkeit. Dabei wurden neue
Offensive der vietnamesischen Befreiungsbewegung FNL Demonstrationstechniken entwickelt, die das Ritual der
gegen die Besetzung ihres Landes durch die US-Imperiali- eher als »geordnete Trauermärsche« stattfindenden De-
sten bricht weltweit den Glauben an die unschlagbare politi- monstrationen aus der Adenauer-Zeit durchbrachen und die
sche und militärische Führungskraft der USA als Welt- den Ablauf von Demos zum Kampf- und Erlebnisraum für
macht. Im Frühjahr brachte der »Pariser Mai« mit seinen die TeilnehmerInnen werden ließen. Rudi Dutschke erklär-
Barrikaden und Kämpfen in der Pariser Innenstadt das bür- te, daß es das Ziel von Massenaktionen sein müsse, diese
gerlich-kapitalistische Regierungssystem in Frankreich an zum Zwecke der kollektiven und individuellen Selbstverän-
den Rand des Sturzes. Zu jenem Zeitpunkt weckte der Be- derung in die Illegalität zu überführen. Die Studenten liefer-
ginn des »Prager Frühlings« in der CSSR weltweit bei vie- ten sich mit den darauf nicht eingestellten Bullen erste klei-
len Menschen die Hoffnung auf einen vom Stalinismus be- nere Scharmützel und wurden daraufhin das bevorzugte
freiten »Sozialismus mit menschlichem Antlitz«. Haßobjekt der Springerpresse.
In dieser historischen Phase konnte sich die westdeut- In West-Berlin spitzte sich die Entwicklung zunächst in
sche Studentenrevolte und die Außerparlamentarische Op- den Ereignissen vom 2. Juni 1967 zu: Für diesen Tag war der
position (APO) als Teil einer internationalen revolutionären Besuch des persischen Diktators Schah Reza Pahlevi in der
Bewegung begreifen. Stadt mit einem Empfang beim Senat vorgesehen. Im Rah-
men der vom SDS betriebenen Internationalismusarbeit war
Wie kam es zur Studentenrevolte? es nur mehr als konsequent, gegen die Hofierung dieses
In den 60er Jahren war innerhalb der überwiegend politisch Menschenschlächters durch deutsche Regierungsbehörden
passiven und konservativen Studentenschaft der Sozialisti- zu protestieren. Erstmals in der Geschichte der BRD wurde
sche Deutsche Studentenbund (SDS) aktiv. Er war im Jahre von den Staatsschutzbehörden mit über 10.000 eingesetzten
1961 wegen seiner Weigerung, den Anpassungskurs der Bullen eine Art »Notstandsübung« zum Schutz des Staats-
SPD an die bürgerlichen Herrschaftsverhältnisse mitzuvoll- gastes organisiert. Dabei brachten schon vor dem 2. Juni
ziehen, von der Partei ausgeschlossen worden. In der Folge mehrere polizeiliche Vollsperrungen von Autobahnen auf der
wurde der Verband zu einem Zentrum der durch die SPD- Fahrtroute des Schahs den Verkehr teilweise zum Erliegen.
Politik heimatlos gewordenen linken Intellektuellen in der Am 2. Juni 1967 demonstrierten in West-Berlin relativ
BRD und West-Berlin. friedlich 2.000 Menschen vor der Deutschen Oper. Die
Schwerpunkte der Arbeit des SDS bis Mitte der 60er meisten von ihnen waren Studenten und Schüler, die durch
Jahre waren u.a. die marxistische Theoriebildung, die De- vorherige Informationsveranstaltungen des SDS an der
mokratisierung der Hochschulen sowie die Internationalis- Freien Universität über die Realität der Diktatur mobilisiert
musarbeit. War der Verband Ende der 50er Jahre noch stark worden waren. Sie empfingen den Staatsgast mit »Mörder«-
in der Algeriensolidarität engagiert, so verschob sich dieses Rufen, Rauchkerzen und Eiern. Dafür wurden sie zunächst
Engagement nach der Befreiung Algeriens vom französi- von mit Stahlruten ausgerüsteten Geheimdienstagenten des
schen Kolonialregime immer mehr zu einer Solidaritätsar- Schahs angegriffen, wenig später kam es durch einen bruta-
beit mit anderen Befreiungskämpfen. In diesem Zusammen- len Bulleneinsatz zu einer Auflösung der Demonstration.

24 25
Dabei wurde der Student Benno Ohnesorg hinterrücks von Insbesondere die Erfahrungen mit der Springerpresse
einem Bullen mit einem Kopfschuß ermordet. Der Senat führten innerhalb des SDS zu ersten Überlegungen von Ge-
verhängte danach aufgrund gezielter Falschmeldungen – an- genaktionen und mündeten zunächst in Vorbereitungen für
geblich sollte ein Polizist von Demonstranten getötet wor- eine Kampagne gegen den Pressekonzern, die unter der
den sein – ein vollständiges Demonstrationsverbot über die Forderung »Enteignet Springer« zu Beginn des Jahres 1968
ganze Stadt. Die von staatlichen Stellen und der Springer- in Angriff genommen werden sollte.
presse betriebene Hetze und Pogromstimmung gegen die
oppositionellen Studenten steigerte sich in einem bislang Studentenrevolte und APO
nicht gekannten Ausmaß. Bis zum Sommer 1967 war die Studentenbewegung haupt-
In einer enormen Anstrengung gelang es den Studenten sächlich auf die Ereignisse in West-Berlin beschränkt. Eine
jedoch, durch eigene Recherchen und die Einsetzung eines breite Ausweitung der Aktionen auf das Bundesgebiet setzte
»Ermittlungsausschusses« den genauen Sachverhalt des erst im Laufe des Jahres 1968 ein: In diesem Jahr erfuhr die
Bulleneinsatzes und der Ermordung von Benno Ohnesorg Studentenbewegung in einem kurzen Zeitabschnitt sowohl
aufzuklären. Es bildeten sich räteartige Strukturen, die für ihre politischen Höhepunkte, bei denen sie sich zur APO
einige Tage mit massenhaften Aufklärungsaktionen in der ausweitete, als auch ihren Niedergang und Zerfall.
Stadt eine Gegenöffentlichkeit zu den staatlichen Ausgren- Im Februar fand im Audimax der TU Berlin der interna-
zungs- und Repressionsstrategien herstellen konnten. Eine tionale Vietnam-Kongreß mit mehreren tausend Teilneh-
Woche nach der Ermordung Benno Ohnesorgs stellte Rudi merInnen statt. Er faßte jahrelange Bemühungen des SDS
Dutschke auf einer Veranstaltung in Hannover zu diesem in der Internationalismus- und Solidaritätsarbeit zu Vietnam
Moment von spontaner Selbstorganisierung fest: zusammen. Diese Arbeit bestand in einer kontinuierlichen
Gegeninformation zu der von bundesdeutschen Medien ver-
»Und es zeigte sich bei uns in West-Berlin, daß die Phase der
breiteten Propaganda über die Realität des Befreiungskamp-
direkten Auseinandersetzung mit der etablierten Ordnung auch
fes des vietnamesischen Volkes gegen die US-Imperialisten.
die festen Organisationen der Studentenschaft ... unterläuft. Daß
Auf dem Vietnamkongreß verknüpfte sich diese Solidaritäts-
allein die praktische, kritische Entfaltung der bewußtesten Teile
arbeit mit dem Anspruch, sich als Teil einer weltweiten revo-
der Studentenschaft durch entstehende Aktionszentren eine politi-
lutionären Bewegung zu begreifen, die den antiimperialisti-
sche Kontinuität der Auseinandersetzung unter größter Beteili-
schen Befreiungskampf der »Dritten Welt« mit einem
gung der Studentenschaft ermöglicht, was unter SDS-Flagge un-
Kampf um Sozialismus in der Metropole verband. Am 17.2.
möglich ist, ... darum Aktionszentren zur Kontinuität der politi-
wird in einer gemeinsam verfaßten Schlußresolution festge-
schen Arbeit an der Universität, wir sind jetzt schon über eine
stellt: »Die Opposition steht vor dem Übergang vom Pro-
Woche tätig, das ist der längste Zeitraum wirklich massenhafter,
test zum politischen Widerstand ...« Als konkreter Schritt
politischer Kontinuität, die wir je in West-Berlin gehabt haben,
wurde u.a. eine Kampagne zur materiellen Unterstützung
wir haben die Hoffnung, daß diese räteartigen Gebilde an allen
des Vietcong vorgeschlagen, die zugleich mit einer Kampa-
westdeutschen Universitäten in den nächsten Tagen gegründet
gne zur Wehrkraftzersetzung innerhalb der US-Armee ver-
werden, denn die rationale Bewältigung der Konfliktsituation in
knüpft werden sollte. Als längerfristige Perspektive wurde
der Gesellschaft impliziert konstitutiv die Aktion, wird doch Auf-
die Parole »Zerschlagt die NATO« proklamiert.
klärung ohne Aktion nur schnell zum Konsum, wie Aktion ohne
Im Anschluß an den Kongreß fand eine internationalisti-
rationale Bewältigung der Problematik in Irrationalität um-
sche Demonstration von weit über 10.000 TeilnehmerInnen
schlägt.«
durch West-Berlin statt. Erstmals nach der Teilung waren

26 27
die Straßen der West-Stadt wieder von einem Meer roter und physischem Widerstand ist bei den Protesten gegen den An-
Fahnen eingenommen. Viele DemonstrantInnen liefen fest schlag auf Rudi Dutschke in den Osterfeiertagen erstmals massen-
eingehakt in Ketten, womit eine Demonstrationstechnik haft ... überschritten worden.«
übernommen wurde, die unter anderem von der linksradika- Durch die Teilnahme von vielen Schülern und jugendli-
len französischen Gruppierung »Gauche Proletarienne« chen Arbeitern an den Springer-Aktionen gelang es der Stu-
praktiziert worden war. dentenbewegung erstmals, ihre politische Resonanz in ande-
Am 11. April kam es zu einem Mordanschlag auf Rudi re Bereiche der Gesellschaft auszuweiten. Das drückte sich
Dutschke, der zuvor durch die monatelange Berichterstat- auch in den Veranstaltungen und Demonstrationen am 1.
tung der Springerpresse systematisch vorbereitet worden Mai 1968 aus: In der ganzen BRD veranstalteten Gruppen
war. Über die Osterfeiertage fanden in der BRD und West- der APO neben den offiziellen Mai-Kundgebungen des
Berlin bei Blockaden der Springer-Produktionsstätten die DGB eigenständige Kundgebungen. In West-Berlin wurden
heftigsten Straßenschlachten seit Bestehen der Bundesrepu- 40.000 Menschen für die APO-Manifestation mobilisiert.
blik statt. In West-Berlin wurden von 2.000 Demonstran- Allerdings brach diese politische Ausweitung, die mit einer
tInnen bei dem Versuch, das Springerhochhaus zu stürmen, Orientierung der APO auf die Arbeiterklasse und Gewerk-
die Fahrzeughalle sowie mehrere Auslieferungsfahrzeuge in schaften verknüpft war, beim Kampf gegen die Verabschie-
Brand gesteckt. An den Demonstrationen, Blockaden und dung der Notstandsgesetze in sich zusammen. Zwar gelang
Straßenschlachten im Bundesgebiet beteiligten sich 60.000 es am 11. Mai noch einmal, mit dem aus Gewerkschaftlern,
Menschen. Die eingesetzten 21.000 Polizisten verhafteten Publizisten, Studentenvertretern und einzelnen SPD-Mit-
über 1.000 DemonstrantInnen. Peter Brückner schreibt gliedern zusammengesetzten Kuratorium »Notstand und
über die Bedeutung dieser Aktionen: Demokratie« 60.000 Menschen zu einem Sternmarsch nach
»Das ›Springer‹-Frühjahr markiert ... symbolisch einen Wen- Bonn zu mobilisieren; die danach von Studenten an die
depunkt für anti-imperialistische und antikapitalistische Bewegun- Adresse des DGB erhobene Forderung nach einer Ausru-
gen an Hochschule und Universität. Wenn die Massenpresse ihre fung des Generalstreiks wurde jedoch nicht aufgenommen.
gesellschaftliche Funktion, Massenloyalitäten herzustellen und zu Es kam lediglich in ein paar Regionen zu Warnstreiks.
sichern, nicht mehr erfüllen kann, wenn sie ... bestehende Verhält- Trotz einer enormen Agitation der Studentenbewegung
nisse nicht vor dem Entstehen revoltierender Kritik bewahrt, son- vor Betrieben, die durch die gleichzeitig stattfindenden Er-
dern ihrerseits vorm Zugriff der Revolte polizeilich geschützt wer- eignisse in Frankreich noch verstärkt wurde, stellte sich zwi-
den muß, wie nach dem Attentat auf Rudi Dutschke, erreicht die schen ihr und der Arbeiterklasse kein nennenswerter Kon-
Auseinandersetzung mit dem Establishment eine neue Qualität.« takt her. Der revolutionäre Impuls der westdeutschen APO
konnte sich im Unterschied zu Frankreich oder Italien an
Das Ausmaß der in den Massenaktionen sichtbar gewor- keinerlei revolutionären Organisationskernen der Arbeiter-
denen Beteiligung vieler Menschen eröffnet innerhalb der bewegung orientieren. Die Mobilisierungsschwierigkeiten
Bewegung eine Diskussion über das Verhältnis von Protest innerhalb der bundesdeutschen Arbeiterklasse führten in
und Widerstand. In der Mai-Ausgabe der Konkret schrieb den Folgejahren zu den verschiedensten strategischen Ori-
Ulrike Meinhof: entierungen von Gruppen der Neuen Linken.
»Protest ist, wenn ich sage, das und das paßt mir nicht. Wi-
Die Politik des SDS
derstand ist, wenn ich dafür sorge, daß das, was mir nicht paßt,
nicht länger geschieht .... Die Grenze zwischen verbalem Protest Die wichtigste Organisation innerhalb der Studentenbewe-
gung war der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS).

28 29
Er eröffnete als Organisation von radikalen Intellektuellen Die in der Öffentlichkeit bekanntesten Sprecher dieser
die Möglichkeit zur Diskussion marxistischer Theorie in ei- Richtung im SDS waren Rudi Dutschke (SDS Berlin) und
ner Zeit weitgehender gesellschaftspolitischer Stagnation. Hans-Jürgen Krahl (SDS Frankfurt). Rudi Dutschkes Auf-
Von 1965–69 verliefen die Auseinandersetzungen innerhalb fassungen waren stark von den Ideen der »Situationistischen
des SDS zwischen den Agitations- und Aktionszentren Internationale« beeinflußt worden. Mitte der 60er Jahre trat
Frankfurt/Berlin gegenüber den SDS-»Provinzen« Ham- er als Mitglied der »Subversiven Aktion« in den SDS ein.
burg, Kiel, Köln, Marburg, Heidelberg, Tübingen und Krahls Positionen waren wesentlich von den Auseinander-
München. Politisch zentral war zunächst noch der Konflikt setzungen mit den am Frankfurter Institut für Sozialfor-
zwischen den »Traditionalisten« und den »Antiautoritä- schung lehrenden professoralen Vertretern der Kritischen
ren«. Theorie Horkheimer und Adorno geprägt.
Unter dem Begriff der »Traditionalisten« lassen sich alle Ein besonders populärer Ausdruck des antiautoritären
diejenigen Bestrebungen fassen, die auf den orthodox-kom- Denkens und Handelns drückte sich in den Aktionen und
munistischen Flügel der Arbeiterbewegung orientiert wa- Happenings der »Kommune 1« aus. Sie praktizierte in der
ren. Als im September 1968 die DKP gegründet wurde, gin- Öffentlichkeit provokante Formen ihres Zusammenlebens,
gen die SDS-Gruppen Marburg und Köln fast geschlossen bezeichnete FU-Professoren als »Fachidioten«, plante ein
in dieser Organisation auf. Attentat mit Pudding auf den US-Vizepräsidenten, machte
Die Fraktion der »Antiautoritären« lehnte sich demge- Farbeieraktionen, verteilte Flugblätter mit der Aufforde-
genüber theoretisch stark an Arbeiten der Kritischen Theo- rung, Warenhäuser niederzubrennen und inszenierte »Moa-
rie, des Linkskommunismus sowie an einer Reaktualisierung biter Seifenopern«, die die Justizbehörde der Lächerlichkeit
von Momenten der anarchistischen Kritik am Marxismus preisgaben. Die Politik der »Kommune 1« war ein perma-
an. Doch nicht nur der Bezug zu den in der deutschen Ar- nenter Aufruf zum Handeln, nicht nur als ein Mittel zum
beiterbewegung vergessenen und verdrängten Theorie- Kampf gegen den Staat und die Gesellschaft, sondern auch
ansätzen machte die Qualität des »Antiautoritarismus« aus: zur Selbstveränderung. Ihre aufrüttelnden und provokanten
gleichzeitig mit der Aufnahme neuer Theorieansätze be- Aktions- und Happeningstrategien führten schließlich im
gründete er ein neues Theorie-Praxis-Verhältnis. Die Theo- Mai 1967 zum Ausschluß aus dem West-Berliner SDS. In
riebildung war wesentlich von den unmittelbaren Auseinan- der Begründung wurden ihr von der Fraktion der West-Ber-
dersetzungen auf Kongressen und Teach-Ins und über die liner Variante der »Traditionalisten« »voll frostiger Kälte
im Kontext von konkreten Aktionen zu fällenden Entschei- von Objektivität und Politik – voluntaristische Praktiken,
dungen bestimmt. Theorien wurden dabei weniger als dog- Realitätsflucht, falsche Unmittelbarkeit« vorgeworfen
matische Lehrgebäude referiert, sondern mehr als Stein- (Mosler).
brüche benutzt, die im Hinblick auf die konkrete Situation Auf der politischen Ebene konnten sich allerdings die an-
improvisiert und in einer politischen Praxis aufgehoben tiautoritären Organisationsvorstellungen von Dutschke und
wurden. In dieser Form der Theorieanwendung ging es dar- Krahl auf der 22. Delegiertenkonferenz des SDS im Septem-
um, eine Spannung zwischen der unmittelbaren Realität der ber 1967 in Frankfurt gegen die Vorstellungen der »Tradi-
konkreten Aktion zu den verallgemeinerbaren Dimensionen tionalisten« durchsetzen. In ihrem Referat stellen sie fest:
ihrer politischen Reichweite herzustellen. Die Theoriever-
»Wir wissen sehr genau, daß es viele Genossinnen und Genos-
satzstücke der »Antiautoritären« wurden so in einem be-
sen im Verband gibt, die nicht mehr bereit sind, abstrakten Sozia-
stimmten historischen Moment zu einer vorwärtstreibenden
lismus, der nichts mit der eigenen Lebenstätigkeit zu tun hat, als
Provokation gegen die bestehenden Verhältnisse.

30 31
politische Haltung zu akzeptieren ... Das Sich-Verweigern in den den Zentren der APO, Frankfurt und West-Berlin, wurde
eigenen Institutionenmilieus erfordert Guerilla-Mentalität, sollen insbesondere von der zweiten Reihe des SDS-Apparates auf
nicht Integration und Zynismus die nächste Station sein.« die Organisationsfrage gedrängt. In den Beiträgen aus den
SDS-Gruppen West-Berlin und Heidelberg waren im Keim
Das antiautoritäre Denken, das auf das »Hier und Jetzt«
schon die späteren maoistisch orientierten ML-Parteien
insistiert und sich auf die »Große Verweigerung« von Mar-
KPD/AO (Kommunistische Partei Deutschlands Aufbauor-
cuse bezieht, dominierte die nach dem September 1967 fol-
ganisation) und der KBW (Kommunistischer Bund West-
genden Aktionen der Studentenbewegung und der APO.
deutschlands) erkennbar. Zwar wurden diese Konzeptionen
Daraus ließen sich jedoch nur schwer Organisierungsvor-
von vielen »Antiautoritären« heftig kritisiert – »Der SDS
stellungen ableiten. Die Unschärfen des antiautoritären
definiert sich nicht aus der Geschichte der kommunistischen
Denkens liegen in den Ursprüngen der Studentenrevolte
Arbeiterparteien!« (Krahl) –, der Zerfallsprozeß der Organi-
selbst begründet. Gerade das Fehlen von politischen Ein-
sation konnte jedoch auch von ihnen nicht aufgehalten wer-
deutigkeiten machte eine der zentralen Erfahrungen dieser
den. Die ML-Konzeptionen gewannen unter dem Eindruck
Zeit aus. Übrig blieb ein schwer fixierbarer, in jener Zeit un-
der streikenden Arbeiter im September 1969 für viele stu-
geheuer mobilisierender Emanzipationsgedanke, der die
dentische Aktivisten eine große Anziehungskraft. Sie schie-
Leute auf die Straßen und Barrikaden trieb.
nen am erfolgversprechendsten zu sein, um eine sozialisti-
In den Aktionen gegen Springer, zum 1. Mai 1968 und
sche Transformation der BRD zu erreichen. In West-Berlin
im Kampf gegen die Verabschiedung der Notstandsgesetze
zerfiel die Bewegung in rasender Geschwindigkeit. Bereits
wurden die Grenzen der Mobilisierungsfähigkeit der APO
Mitte 1968 wurden von der APO in den verschiedensten Be-
sichtbar. Dabei zersetzten diese Massenaktionen die organi-
reichen (Uni, Schulen, Stadtteile und Fabriken) Basiskomi-
satorische Basis des SDS. Der Verband war nicht mehr in
tees als Versuch gegründet, ein militantes Bündnis zwischen
der Lage, in diesen Prozessen eine eigenständige Orientie-
der Studentenbewegung und der Arbeiterklasse herzustel-
rung und Strategie zu formulieren.
len. Dieser Versuch scheiterte jedoch in der Anti-Notstands-
Als Anfang November gegen den Rechtsanwalt Mahler
kampagne. Zwar konnten sich ein paar Basisgruppen im
wegen seiner Beteiligung an der Springer-Blockade ein Eh-
Produktionsbereich mit einer relativ verbindlichen Arbeit
rengerichtsverfahren vor dem West-Berliner Landgericht
konsolidieren, die meisten studentischen Aktivisten schreck-
eingeleitet werde, bereitete die APO eine militante Straßen-
ten jedoch vor einer »mühseligen Kleinarbeit« in den Be-
schlacht vor. Die militärische Niederlage der Polizei in der
trieben zurück. Diese Krise bewirkte schließlich eine Ent-
»Schlacht am Tegeler Weg« war für viele der 1.000 Demon-
fremdung zwischen betrieblich orientierten und Basisgrup-
strationsteilnehmerInnen eine späte Rache für die in den
pen an der Universität, die im Ergebnis auch zu den ver-
Jahren zuvor von den Bullen erlittenen Demütigungen. Die
schiedenen Fraktionierungen und Kaderansätzen der APO
militante Auseinandersetzung mit der Staatsmacht konnte
führten. Ein fraktionsübergreifender Versuch zur Verständi-
allerdings die offene Frage nach Perspektiven nicht klären.
gung mit Hilfe einer Konferenz gegen Ende des Jahres 1969
Der Zerfall des SDS mißlang.
Nachdem die traditionalistische Richtung des SDS in die
Auf der im November 1968 stattfindenden Delegiertenkon-
neugegründete DKP aufgegangen war, kam es innerhalb des
ferenz des SDS in Hannover ließ die zunehmende ideologi-
noch verbleibenden antiautoritären Lagers zu verschiedenen
sche Verfestigung der einzelnen Fraktionen innerhalb des
Fraktionierungen. Ein Teil gründete mit maoistisch-stalini-
»antiautoritären« Lagers keine Verständigung mehr zu. In
stischen Theoremen angereicherte autoritär-dogmatische

32 33
Parteiorganisationen. Demgegenüber verstand sich der an- Der Studentenrevolte gelang es erstmals in der Geschichte
dere Teil des antiautoritären Lagers als »undogmatisch« und der BRD, die zuvor in zwei Nachkriegsjahrzehnten ent-
verzichtete dabei auf zentralistische Organisationsformen. wickelte Staatsräson des Antikommunismus zu durchbre-
Quer zu diesen Fraktionierungsprozessen verlief die Abspal- chen. Mit den Mitteln der direkten Aktion und der damit
tung und eigenständige Organisierung eines Teils der SDS- verkoppelten Aufklärung über gesellschaftliche Zwangsver-
Frauen, die damit den Grundstein für das Entstehen der au- hältnisse durchbrach sie die bis dahin geltenden gesellschaft-
tonomen Frauenbewegung legten. lichen Spielregeln der spätkapitalistischen BRD. Darin
brach erstmals wieder der Antagonismus von Klassen auf,
Die militanten Basisströmungen der zuvor mit der »Wirtschaftswunderideologie« verdeckt
Neben den konkurrierenden SDS-Fraktionen waren immer werden konnte.
auch die militanten Basisströmungen an der Revolte – Die Revolte entwickelte einen neuen Begriff von einer
hauptsächlich auf der Straße – beteiligt. Sie setzten sich aus kompromißlosen politischen Moral. Sie lehnte sich gegen
unorganisierten StudentInnen, Lehrlingen, SchülerInnen die Elterngeneration, die vorgab, bloß bewußtlos tätiges
und JungarbeiterInnen zusammen. Opfer der Geschichte zu sein, und Auschwitz zu verantwor-
ten hatte, auf. Sie nahm für sich in Anspruch, als handelndes
»Diese Basisströmungen hatten viele Namen und operierten
Subjekt bewußt – dabei den eigenen Alltag verändernd – in
an vielen Orten: umherschweifende Haschrebellen in West-Berlin,
die Geschichte einzugreifen. In der Öffentlichkeit wurden
Black-Panther-Komitees im Raum Frankfurt, Weiße Rose und
politische und soziale Kontinuitäten vom Faschismus zur
Deserteurgruppen im Raum Hamburg und Hannover, Sozialisti-
BRD thematisiert.
sches Patientenkollektiv in Heidelberg. Genauso vielfältig waren
Die 68er Revolte formulierte für die gesellschaftliche
ihre Aktionen: Transporte und Papierbeschaffung für desertierte
Wirklichkeit der BRD und West-Berlin neuartige Fragen
GIs und Bundeswehrsoldaten, Sprengstoffanschläge auf Einrich-
und Ansprüche. Sie war die »Artikulation eines kulturellen
tungen und Depots der Besatzungsmächte, Aktionen gegen Erzie-
Unbehagens, das Aufdecken von kollektiven Verdrängungs-
hungsheime und Knäste, Angriffe auf die psychiatrischen Kran-
prozessen, das Einklagen einer politischen Moral, die Kritik
kenhäuser, Zerstörung von Rüstungsproduktion für die portugiesi-
an einer repressiven Sexualerziehung, an den Normen einer
sche Kolonialmacht, Ausräumen von Generalkonsulaten terrori-
Konsum- und Leistungsgesellschaft« (Kraushaar).
stischer Regimes, Klauen und Veröffentlichen von Geheimdoku-
Auf ihrem Höhepunkt im Frühjahr/Sommer 1968 weite-
menten, Lahmlegen des Fahndungsapparates der Polizei, Geldbe-
te sich die Revolte von der Uni in andere Teile der Gesell-
schaffung für Alternativprojekte« (K.H. Roth).
schaft aus und verknüpfte sich dort mit subversiven und sy-
Die Basisströmungen drückten innerhalb der APO die stemsprengenden Verhaltensweisen von Arbeiterjugendli-
vorhandene Subversionsmentalität aus. Mit der Revolte war chen. In diesen Momenten gelang es der von antiimperiali-
auch der »Fleiß« und die »deutsche Arbeitsmoral« angegrif- stischen, antikapitalistischen und kulturrevolutionären Ele-
fen worden, und viele GenossInnen schmissen mit ihrem menten bestimmten Bewegung wieder, eine radikal opposi-
Job zugleich auch die lebenslange Perspektive, sich immer tionelle Politik gegen die in der BRD und West-Berlin herr-
unterordnen zu müssen. Die mehr oder weniger offen pro- schenden Verhältnisse herzustellen.
pagierte und praktizierte Leistungsverweigerung war ein
untrennbarer Bestandteil der 68er-Bewegung.
Welche Bedeutung hatte ’68?

34 35
La sola soluzione – la rivoluzione: getragen. Diese Klassenbewegung war bereits zu Beginn der
Das Beispiel der italienischen Autonomia 60er Jahre von einigen Gewerkschaftlern und linken Intel-
lektuellen im Umkreis der Kommunistischen Partei Italiens
(PCI) und der Sozialistischen Partei (PSI) in einer Reihe von
Analysen theoretisch vorweggenommen worden. Zu nennen
Der Begriff der »Autonomie« wie er uns heute in der Politik sind in diesem Zusammenhang inbesondere die Arbeiten
einer autonomen Bewegung in der BRD gegenübertritt, ist und Schriften der Theoretiker Raniero Panzieri, Mario
zweifellos durch die Praxis der Studenten-, Arbeiter- und Ju- Tronti, Roberto Alquati und Toni Negri, die zunächst in der
gendrevolten im Italien der 60er und 70er Jahre beeinflußt. Zeit von 1961 bis 1964 in der Zeitschrift »Quaderni Rossi«
Die »Autonomia« erhielt ihre Bedeutung in einer von den und nach einer Spaltung nachfolgend in der bis 1967 existie-
traditionellen Arbeiterorganisationen unabhängigen, sub- renden Theorieschrift »Classe operaia« publizierten.
versiv-militanten Praxis der dortigen Betriebs- und Stadt- Nach dem Scheitern von Erneuerungsbestrebungen in-
teilkämpfe ab Ende der 60er Jahre. Dabei fielen in diesem nerhalb der beiden traditionellen Organisationen der italie-
Zeitraum Teile und Ausläufer der Studentenrevolte mit mili- nischen Arbeiterklasse in der zweiten Hälfte der 50er Jahre
tanten Arbeiterkämpfen vorwiegend in Norditalien zusam- verlegten diese Intellektuellen den Schwerpunkt ihrer Ar-
men. Die sichtbar gewordene Verknüpfung der politischen beit auf die außerinstitutionelle Ebene, um von dort aus ihre
Tätigkeit von studentischen Gruppen mit weiten Teilen ei- Kritik an den offiziellen Apparaten der Arbeiterbewegung
ner antikapitalistisch revoltierenden Arbeiterklasse übte in fortzusetzen. Ende 1959 ging Panzieri von der Parteizentra-
der Folgezeit für einige linksradikale westdeutsche APO- le des PSI in Rom nach Turin, »um dort die Arbeiterklasse
Gruppen eine große Faszination aus, die die italienische in der Fabrik wiederzufinden« (Rieland). Die 1962 sich ta-
Entwicklung intensiv verfolgten und diskutierten. gelang hinziehenden militanten Auseinandersetzungen von
tausenden von FIAT-Arbeitern in Turin auf der Piazza Sta-
Was passierte in Italien in den 60er Jahren? tuto konnte die Gruppe um Panzieri als Bestätigung für ihre
Die Arbeiter- und Studentenrevolten trafen in Italien in den zuvor getroffenen theoretischen Annahmen eines Arbeiter-
Jahren 1968/69 auf ganz andere gesellschaftliche Bedingun- kampfes ohne die reformistische Vermittlung durch die Or-
gen als in der BRD. Italien lag mit seiner Wirtschaftsstruk- ganisationen der Arbeiterbewegung nehmen: Die Straßen-
tur als ökonomisch schwächstes Glied der EG quasi an der schlachten anläßlich der Unterzeichnung eines Tarifvertra-
europäischen Peripherie. Der Staat nahm in der internatio- ges fanden ohne Unterstützung der Industriegewerkschaf-
nalen Arbeitsteilung einen untergeordneten Rang ein. Dar- ten statt, die sich zudem noch entschieden davon distanzier-
über hinaus war das Land strukturell in zwei Teile gespalten: ten. In den Kämpfen tauchte ein neuer Arbeitertyp auf, der
Der an modernste kapitalistische Produktions- und Arbeits- nicht mehr die Merkmale des alten Facharbeiters aufwies.
organisationen orientierten ökonomischen Entwicklung in Als vor kurzem aus dem Süden eingewanderter Fließbandar-
Norditalien standen in Süditalien Verhältnisse mit zum Teil beiter ohne Qualifikation gehörten diese Demonstranten
feudalistischen Eigentumsstrukturen in der Landwirtschaft zur »Generation mit gestreiften T-Shirts«. Die Auseinan-
gegenüber. dersetzungen auf der Turiner Piazza Statuto drückten erst-
Die Klassenkämpfe wurden gemeinsam von Gruppen mals auf politischer Ebene die Neuzusammensetzungspro-
aus der Studentenrevolte und vorwiegend ungelernten zesse der Arbeiterklasse in den norditalienischen Großfabri-
Fließbandarbeitern aus den norditalienischen Großfabriken ken aus.

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Vom Marxismus zum Operaismus der kapitalistischen Entwicklung nicht kontrollierbar sei.
Die bereits zu Anfang der 60er Jahre sich andeutende Ent- Daraus folgt, daß der Kapitalismus nur durch den bewußten
wicklung führte in den theoretischen Diskussionen zu einer Akt des tätigen Handelns der Arbeiterklasse überwunden
vollständig neuen Aufarbeitung und Kritik der innerhalb der werden kann.
italienischen kommunistischen Bewegung vorherrschenden »Die operaistische Interpretation Marxscher Schriften setzt
Marxorthodoxie. Mit Hilfe einer Neulektüre des »Kapitals« sich von der bis dahin vorherrschenden Interpretation des Marxis-
und der »Grundrisse« von Marx wurde den traditionellen mus als ›realistische‹ Auffassung der Geschichte bzw. als Philoso-
Organisationen der Arbeiterbewegung (PCI, PSI und Ge- phie ab und rückt die ›Kritik der politischen Ökonomie‹ in den
werkschaften) das Recht strittig gemacht, sich selbst als zen- Vordergrund. Ansätze, die sich auf die Entfremdungsproblemati-
trales Subjekt politischer Auseinandersetzungen zu begrei- ken in den philosophisch-ökonomischen Manuskripten beziehen –
fen. Nicht die Vermittlungsorgane der Arbeiterbewegung wie z.B. die Frankfurter Schule –, werden im allgemeinen als
wurden als bestimmend in den politischen Kämpfen angese- ›bürgerlich existentialistisches Denken‹ (Tronti) und als ›my-
hen, sondern die Arbeiter in den Fabriken und im Stadtteil, stisch-magische Weltkonzeptionen‹ (Colletti), die die Relevanz des
und zwar an den Orten des alltäglichen Klassenkampfes. Arbeiterantagonismus nicht zu erfassen vermögen, kritisiert. Das
Diese Theorieansätze wurden zugleich mit Untersuchungen Verdienst des ›Frankfurtismus‹ sei es allerdings, die Wichtigkeit
der konkreten Zusammensetzung der Arbeiterklasse in eini- des subjektiven Faktors herausgearbeitet zu haben ... In der Beto-
gen italienischen Großfabriken, so z.B. bei FIAT in Turin, nung der kämpferischen Subjektivität nicht des Individuums, son-
verbunden. Dieser Zweig der theoretischen marxistischen dern der ›Klasse‹ liegt der Schlüssel zum Verständnis des ›operais-
Diskussion wird später der »Operaismus« genannt, der zu mo‹. Seine Revolutionsvorstellungen basieren auf der ›Insubordi-
jener Zeit die radikalste Kritik von »links« an der herkömm- nation der Arbeiter‹, d.h. auf dem Widerspruch zwischen Kapital
lichen Aufnahme der marxistischen Theorie in den Konzep- und Arbeit: Konzeptionen, die sich auf den technologischen Fort-
ten der traditionellen Arbeiterorganisationen darstellt. Der schritt als wichtigste Voraussetzung für die (allmähliche) Ent-
Operaismus arbeitete in seinen Analysen die Gewaltförmig- wicklung zum Sozialismus gründen, werden als ›objektivistische
keit der alltäglichen kapitalistischen Maschinerie in der Fa- Ideologien‹ (Panzieri) abgetan« (Bierbrauer).
brik und im Stadtteil heraus. Dabei ging es diesem Theorie-
ansatz nicht mehr um die von den traditionellen Arbeiteror- In ihren theoretischen Arbeiten stützten sich die Operai-
ganisationen propagierte Teilhabe an der kapitalistischen sten nicht mehr auf den qualifizierten Facharbeiter, sondern
Entwicklung. Die vollständige Negation des Bestehenden auf den dequalifizierten und am Fließband ausgepreßten
wurde als unverzichtbares Primat angesehen, um schließlich Massenarbeiter (operaio massa). Daraus formulierten sie die
zu einer sozialistischen Transformation der Gesellschaft zu Forderung nach einer Arbeiterkontrolle über den kapitalisti-
gelangen. In diesem Kontext schlugen die Operaisten eine schen Arbeitsprozeß in der Fabrik als ein politisches Instru-
»strategische Umkehr« in der Marxrezeption vor: Wurde ment zur Herbeiführung eines revolutionären Durchbru-
die Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaften bislang ches. Der Theorieansatz des Operaismus verknüpfte sich in
in der Beziehung zwischen Kapital und Klasse als von den der Revolte 68/69 massenhaft mit den unmittelbaren Erfah-
Kapitalbewegungen bestimmt betrachtet, so gehen sie davon rungen der Fließbandarbeiter in den Großfabriken. Die
aus, daß die Kapitalbewegungen durch die Bewegungen der Klassenkampfaktionen führten auch aufgrund der besonde-
Klasse bestimmt sind. Eine revolutionäre Strategie könne ren sozialen Ausgangsbedingungen in Italien (Nord-Süd-
sich daher nur noch auf den »subjektiven Faktor« der Arbei- Konflikt, Tradition des militanten und bewaffneten Wider-
terklasse stützen, da die Arbeitskraft als einziges Element in standes gegen den Faschismus, eine starke KP) zu historisch

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bisher nicht gekannten Formen des Kampfes in der Fabrik Problem der Führung dieser Massenaktionen stellte, das
und im Stadtteil. Die Situation der Fließbandarbeiter war ge- durch die Politik der autonomen Arbeiterkerne nicht beant-
rade in den Automobilfabriken bei FIAT (dem »Herz des ita- wortet werden konnte. Diesen offenen Raum nutzten die
lienischen Kapitalismus«) dadurch gekennzeichnet, als klei- traditionellen Organisationen der Arbeiterbewegung für ih-
nes Anhängsel einer gigantischen Maschinerie der Massen- re Politik. Im Jahre 1970 mobilisierte die KPI unter der Pa-
produktion dazu gezwungen zu sein, bis zur psycho-sozialen role: »Vom Kampf in den Betrieben zum Kampf für die Re-
Erschöpfung in millionenfacher Wiederholung ständig die formen«. Zwar gab es auch weiterhin in den norditalieni-
gleichen primitiven Tätigkeiten auszuführen. Dabei verlor schen Fabriken harte Auseinandersetzungen, die militanten
die Arbeit jeden Sinn als produktive Tätigkeit, und so richte- Arbeiterkämpfe hatten jedoch ihren politischen Höhepunkt
te sich der ganze aufgestaute Haß der Arbeiter nicht nur al- überschritten. Mit der von der herrschenden Klasse gesteu-
lein gegen die Verfügungsgewalt der Kapitalisten über die erten »Strategie der Spannung« wurde mit Hilfe von Ge-
Produktionsmittel, sondern gleich direkt gegen die Organi- heimdienstaktionen, die der autonomen Linken in die Schu-
sation der Arbeit. Zeitweise verloren die traditionellen Ar- he geschoben wurden, im Land ein reaktionäres Klima er-
beiterorganisationen jegliche Kontrolle über die revoltieren- zeugt: So wurde Ende des Jahres ’69 inmitten des Zentrums
den Fließbandarbeiter, die sich während ihrer Fabrikkämpfe von Mailand in einer Bank eine Bombe gezündet, durch die
autonom in überall gegründeten Basiskomitees organisierten 16 Menschen starben. Diese Strategie diente dazu, die viel-
und Delegierte mit einem imperativen Mandat in die Arbei- fältigen politischen und sozialen Widersprüche von Teilen
tervollversammlungen entsendeten. Ihre Aktionen zeichne- der italienischen Gesellschaft, wie z.B. die Arbeitslosen Sü-
ten sich durch eine große Flexibilität, Unberechenbarkeit ditaliens, die Kleinbauern, das Landproletariat sowie die
und Militanz aus: Es fanden wilde Streiks statt, die zusam- städtischen Mittelschichten, gegen die revolutionäre Bewe-
men mit einem enormen Ausmaß an gezielten Sabotageak- gung von 68/69 auszuspielen.
tionen weite Teile der Produktion lahmlegen konnten. Zu- Trotz des »Roll backs« der Reaktion konnte die autono-
dem waren die Kämpfe von einem wachsenden Absentismus me Arbeiterbewegung noch Teile der Produktionsabläufe in
(Krankfeiern) in den Fabriken begleitet. Die Fabrikkämpfe den Großfabriken kontrollieren. Dagegen richtete sich sei-
weiteten sich schließlich bis zum Herbst 1969 in einem un- tens der Kapitalisten in den Folgejahren eine gezielte Strate-
geahnten Ausmaß im Verlauf von Tarifauseinandersetzungen gie der Dezentralisierung der Fabrikproduktion, die die po-
aus, auf deren Höhepunkt es zu einem landesweiten Gene- litischen und gewerkschaftlichen Organisationen der auto-
ralstreik mit einer am 25. September 1969 mit 600.000 Me- nomen Arbeiterbewegung unterlief.
tallarbeitern durchgeführten Demonstration in Turin kam. Im Jahre 1973 löste sich mit »Potere Operaio« die größ-
te der linksradikalen Gruppierungen der militanten Arbei-
Von der Niederlage des ›Operaio massa‹ terkämpfe aus den 60er Jahren auf, da sie mit ihren bislang
zum ›Operaio sociale‹ praktizierten Organisations- und Aktionsformen gegen die
Die autonome Arbeiterbewegung konnte in Italien jedoch in neue Strategie des Kapitals innerhalb der Fabrik keine wirk-
der Folge durch eine veränderte Politik der Gewerkschaften same Antwort mehr entwickeln konnte. Bei FIAT wurde
wieder in die herkömmlichen Formen der Gewerkschaftsar- spätestens Mitte der 70er Jahre mit einer massiven Um-
beit integriert werden. Viele Basiskomitees wurden als unte- strukturierungswelle begonnen, gegen die sich aber inner-
re Ebene in die Gewerkschaftsstrukturen übernommen. Das halb der Fabrik kein Widerstand entfaltete, da die vorberei-
ist u.a. darauf zurückzuführen, daß sich mit der Ausweitung tende Umstrukturierung außerhalb der Produktion statt-
der Bewegung im »Heißen Herbst 1969« zugleich auch das fand. FIAT begann mit der beschleunigten Entwicklung von

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Industrierobotern, die mit einer Auslagerung sowie Diversi- als auch auf die Revolte der Frauen und die Bewegung der
fizierung der Produktion verbunden wurde. Durch diese Jugendlichen.
Maßnahmen wurden die autonomen Arbeiter genau an der
Stelle entmachtet, wo sie jahrelang stark waren – an ihrer Entstehung und Zerfall der 77er Autonomia-Bewegung
Arbeitsstelle. Im Jahre 1977 entwickelte sich eine zweite massenhafte Be-
Der Prozeß der Dezentralisierung und Automation der wegung der Autonomia. Sie bezog sich jedoch in ihren Sub-
Großindustrieproduktion führte einerseits zu einer drasti- jekten nicht mehr auf die Fabrikarbeiter, sondern auf das
schen Verringerung von Arbeitsplätzen im formellen Sektor, marginale Proletariat von Studenten, jugendlichen Arbeits-
andererseits zu einer enormen Ausweitung der Produktion losen, prekär Beschäftigten und alten politischen Kernen der
in Kleinstfabriken und Heimarbeitsstätten. Diese Tendenz Autonomia aus den 60er Jahren. Im Unterschied zur »alten«
wurde von operaistischen Theoretikern wie z.B. Negri unter autonomen Klassenbewegung, die auf einen Bruch zwischen
den Begriff »Fabrica diffusa« gefaßt. Er versucht eine öko- der Basis der traditionellen Arbeiterorganisationen zu deren
nomische Entwicklung im Italien der 70er Jahre zu be- Führung abzielte, war diese Bewegung zugleich strikt antiin-
schreiben, die einhergeht mit einer starken Ausweitung ei- stitutionell und antikommunistisch gegen die Politik der
nes »marginalen Proletariats«. Dieses fiel in seiner ökono- PCI gerichtet. Die neue Bewegung drückte sich im Jahre
mischen und politischen Bedeutung besonders in Italien ins 1977 in einer ungeheuren Intensität von kreativen und mili-
Gewicht: Ende der 70er Jahre wurde das marginale Proleta- tanten Formen des Protests und Widerstands gegen den
riat auf ca. neun Millionen Menschen geschätzt. Darunter Staat aus. Zentren der Revolte waren die Universitäten und
sind hauptsächlich Jugendliche, Alte und Kranke zu verste- die norditalienischen Großstädte. Die Bewegung bestand im
hen, die durch die Dezentralisierung der Großindustriepro- wesentlichen aus zwei Strömungen: Ein Zweig war die »Au-
duktion aus stabilen Beschäftigungsverhältnissen gedrängt tonomia creativa«, sozusagen die Spontis, die gegen die her-
wurden und entweder ständig ungesichert beschäftigt oder kömmlichen Formen der Machtkämpfe mit dem Staat wa-
arbeitslos und damit auf staatliche Unterstützung angewie- ren und konventionelle Organisationsstrukturen sowie kon-
sen waren. Hinzu kommen noch zehntausende von Studen- tinuierliche politische Arbeit ablehnten und den Straßen-
ten und Akademikern, die nach dem Bildungsboom in den kampf mehr als Happening denn als politische Aktion be-
60er Jahren auf einen Arbeitsmarkt stießen, der in den ent- griffen. Daneben existierten auch weiterhin die Gruppen
sprechenden Sektoren – z.B. in der staatlichen Bürokratie – der »Autonomia operaia«, die versuchten, die verschiedenen
schon lange an seine Grenzen gestoßen und für die Univer- Teile der Bewegung zu organisieren, um die spontane Re-
sitätsabsolventen geschlossen war. volte zu einem kontinuierlichen Angriff auf das kapitalisti-
Jener Flügel der operaistischen Theorie, der weiterhin sche System umzuwandeln.
auf eine revolutionäre Organisierung jenseits aller bestehen- Innerhalb der »Autonomia creativa« fanden sich vor al-
den Organisationen drängte, verschob seinen Ansatz vom lem zwei wesentliche Ausdrucksformen: die »Circoli del
»Operaio massa« – des Massenarbeiters als bestimmende so- proletario giovanile« und die »Indiani Metropolitani«. Er-
ziale Figur der Klassenkämpfe in den 60er Jahren – hin zur stere entwickelten sich seit 1975 als spontane und lockere
sozialen Figur des »Operaio sociale«, dem gesellschaftlichen Organisation von Jugendlichen in den am meisten von der
Arbeiter. In diesem theoretischen Ansatz wird der Kampf ökonomischen Marginalisierung betroffenen Vororten der
von der Fabrik (aus der Produktion) in die Gesellschaft aus- Großstädte. Sie propagierten die Politik der unmittelbaren
geweitet. Damit reagiert der Ansatz des »Operaio sociale« Wiederaneignung des eigenen Lebens (Politica di riappro-
sowohl auf die Zerstreuung der Produktion in den Regionen priazone), die im scharfen Widerspruch zu der von der PCI

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damals unterstützten Austeritätspolitik, des Programms der die Träger der alternativen Werte (Ökologie, alternative
moralischen Strenge und des ökonomischen Verzichts, Ernährung, sexuelle Befreiung), die jegliche instrumentelle
stand. Dagegen setzten die »Circoli« ihre eigene Praxis, die Vernunft ablehnten und u.a. das befreiende Potential des
u.a. darin bestand, massenhaft in Supermärkten »proleta- Haschischkonsums propagierten. Aus dem »Manifest der
risch« einzukaufen, d.h. zu plündern, Jugendzentren als kol- ›Indiani Metropolitani‹« von Rom:
lektiven Treffpunkt zu besetzen, die Zerstörung der eigenen
»10, 100, 1.000 Hände haben sich überall geballt, um das
sozialen Strukturen durch Heroinkonsum zu bekämpfen, in-
Kriegsbeil zu erheben! Die Zeit der Sonne und der tausend Farben
dem man Heroindealer überfiel und verprügelte, sich den
ist angebrochen ... Es ist die Zeit, daß das Volk der Menschen in
kostenlosen Eintritt zu Musikkonzerten zu verschaffen, so-
die grünen Täler hinabsteigt, um sich die Welt zurückzuholen, die
wie umsonst die öffentlichen Verkehrsmittel und Kinos zu
ihm gehört. Die Truppen der Bleichgesichter mit ihren blauen
benutzen. Über das Selbstverständnis der »Circoli« nachfol-
Jacken haben all das zerstört, was einst Leben war, sie haben mit
gend ein Zitat aus dem »Communiqué 1« zur Stürmung des
Stahl und Beton den Atem der Natur erstickt. Sie haben eine
Umbria Jazz Festivals im Sommer 1975:
Wüste des Todes geschaffen und haben sie ›Fortschritt‹ genannt.
»Die Waffe der Musik kann die Musik der Waffen nicht er- Aber das Volk der Menschen hat zurückgefunden zu sich selbst,
setzen. Umbria Jazz. Die Musik als Spektakel ist der Versuch, je- zu seiner Kraft, seiner Freude und zu seinem Willen zu siegen,
des Moment der Kollektivierung auf Frei/Zeit zu reduzieren. und lauter denn je schreit es mit Freude und Verzweiflung, mit
Zwischen den Organisatoren des Konzerts und den Massen der Liebe und Haß: Krieg!!!« (»Lotta Continua«, 1.3.1977).
proletarischen Jugendlichen gibt es einen objektiven Widerspruch;
Die »Autonomia creativa« fand zu jener Zeit ihren
das ist nicht einfach eine Frage der Leitung, es geht nicht nur dar-
reichhaltigen Ausdruck in hunderten von alternativen Pres-
um, wer an der Musik verdient. Das Problem ist nicht, selbstver-
seorganen und über 50 linksradikalen Radiostationen, von
waltete Konzerte zu machen. Das Problem ist, daß uns das Kon-
denen »Radio Alice« in Bologna das bekannteste wurde. Es
zert die Musik als Spektakel vorsetzt, wie uns die ritualisierten
gab eine Vielfalt von Wandmalereien, Straßentheatern und
Demos und Kundgebungen die Politik als Spektakel vorsetzen.
Massenfestivals. Zentraler politischer Inhalt dieser Strö-
Wir müssen uns in jedem Fall auf Zuschauer, auf Publikum redu-
mung ist die Politik der Freiräume, in denen die alltäglichen
zieren.
Bedürfnisse politisiert und in kollektiven und selbstbe-
In diesen Momenten der Konzentration dagegen können Span-
stimmten Formen ausgelebt werden. Insbesondere die Figur
nungen explodieren, die die Bedürfnisse und Potenzen des jugend-
des »Stadtindianers« wird 1977 in der bundesdeutschen
lichen Proletariats repräsentieren« (A/traverso, Juni ’75).
Spontiszene begeistert aufgenommen.
Aus den Reihen dieser Autonomiaströmung wird im De- Demgegenüber versucht der andere Hauptstrang der
zember 1976 auch der Sturm von mehreren tausend proleta- 77er-Bewegung, die »Autonomia operaia organizzata«, we-
rischen Jugendlichen auf die Mailänder Scala organisiert, niger die Flucht aus dem System als vielmehr dessen bedin-
der mit einer Plünderung von Luxusgeschäften in der In- gungslose Zerstörung zu praktizieren. Sie setzte sich aus ei-
nenstadt endet. ner Vielzahl von locker koordinierten Komitees, Zirkeln
Die »Indiani Metropolitani« wirkten hauptsächlich im und Kollektiven zusammen, in denen auch die Reste der ver-
Umkreis der Universitätsstädte und drückten in ihren Ge- schiedenen 69er-Basiskomitees aus den italienischen Fabri-
sten ihre Verbundenheit mit »Naturvölkern« als radikale ken mitarbeiteten, so z.B. auch viele Mitglieder von »Potere
Negation der großstädtischen und kapitalistischen Lebens- operaio«, die sich im Jahre 1973 in die Bewegung außerhalb
weise aus. In der Autonomiarevolte ’77 waren sie vor allem der Fabriken aufgelöst hatten.

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Im Frühjahr 1977 explodierte die neue Bewegung in ei- schen Kommunalverwaltung, schon den ganzen Winter zu
nem ungeahnten Ausmaß: Ausgelöst durch die Abschaffung Hausbesetzungen, Plünderungen von Restaurants, Besetzun-
einiger Feiertage sowie durch ein geplantes Gesetz zur Uni- gen von Kinos usw. gekommen war, eskalierte die Situation
versitätsreform, begannen Studenten in Palermo, Catania am 11. März. Während eines Bulleneinsatzes auf dem Uni-
und Neapel mit Universitätsbesetzungen. Die Bewegung campus wurde ein Autonomer erschossen. Daraufhin kam es
breitete sich schnell über ganz Italien aus. Nach einem be- zu tagelangen schweren Straßenschlachten, in deren Verlauf
waffneten faschistischen Überfall auf eine Vollversammlung eine Waffenhandlung geplündert wurde. Es gelang den Stu-
der Universität in Rom am 1. Februar kam es am Tag danach dentInnen in der verwinkelten Altstadt Bolognas mit Barri-
zu einer Demonstration von tausenden von Studenten, die kaden drei Tage lang ein bullenfreies Gebiet zu halten, bevor
von den Bullen mit Pistolen und Maschinengewehren ange- das Gelände mit Militäreinheiten geräumt werden konnte.
griffen wurde. Erstmals machten dabei auch Demonstranten Am 12. März kam es in Rom zu einer Demonstration
von der Schußwaffe Gebrauch. Bei den folgenden militanten von über 50.000 Menschen gegen die Verurteilung eines
Autonomendemonstrationen kam es in Italien immer häufi- Anarchisten. Diese Demonstration eskalierte in eine der
ger zur Anwendung von Schußwaffen seitens der Demon- größten Straßenschlachten, die die italienische Hauptstadt
stranten; die »P 38« wurde zu einem Erkennungsmerkmal jemals erlebt hatte. Dabei praktizierten Gruppen aus dem
der Bewegung. Nach der Demonstration in Rom wurde die Strang der »Autonomia operaia organizzata« das von ihnen
Universität von den Studenten besetzt. Dort kam es auch am zuvor propagierte »neue Niveau der Auseinandersetzung«,
17. Februar zu einem Ereignis, das symbolisch den Bruch die bewaffnete Aktion. Während der Demonstration wur-
zwischen der organisierten Arbeiterklasse und der 77er-Be- den zwei Waffengeschäfte geplündert, unzählige Geschäfte,
wegung der italienischen Autonomia demonstrierte: Bei Cafés und Hotels verwüstet, hunderte von Autos und viele
dem Versuch des Vorsitzenden der kommunistischen Ge- Busse umgestürzt und verbrannt. Büros und Zeitungen der
werkschaft, Lama, in der Universität eine Rede zu den Pro- regierenden Christdemokratischen Partei (DC) wurden mit
blemen der Studenten zu halten, wird dieser von vier- bis Benzinbomben angegriffen. Der Ablauf dieser Demonstrati-
fünftausend StudentInnen und Jugendlichen empfangen, die on markierte jedoch einen Wendepunkt in der weiteren
sein Ebenbild als große Puppe schwenken und ihn mit Entwicklung der italienischen Autonomia. Viele Demon-
Spottversen überhäufen. Zwischen dem herbeigekarrten ge- strationsteilnehmerInnen fühlten sich durch die Dimension
werkschaftlich-kommunistischen Ordnungsdienst und den der Militanz überrumpelt und funktionalisiert, dies umso
StudentInnen kam es dabei während der Rede Lamas zu mehr, als der Großteil von ihnen dem militärischen Auftre-
Schlägereien, als dieser an die Adresse der Studenten die ten der Polizei und deren Racheaktionen nach Ende der De-
klassischen Angriffe der »Wohlfahrtsideologie« und des monstration relativ unvorbereitet und hilflos gegenüber-
»Parasitismus auf Kosten der produktiven Arbeit« richtete, stand.
die angesichts der realen sozialen Situation der Studenten Die Entwicklung spitzte sich schließlich am 14. Mai bei
von diesen als glatter Hohn empfunden wurden. Den auto- einer Demonstration in Mailand zu. Gruppen von mit Knar-
nomen Studenten gelang es im Laufe einer Massenprügelei, ren bewaffneten Jugendlichen griffen die Bullen an und tö-
den »superbonzo« Lama vom Universitätsgelände zu ver- teten einen. Die Ereignisse führen zu einer verschärften Iso-
treiben, was von ihnen als »la Piazza Statuto dell’operaio so- lation der organisierten »Autonomia operaia« innerhalb der
ciale« gefeiert wurde. italienischen Linken. Mit einer zunehmenden Entsolidari-
In der Folgezeit überstürzten sich die Ereignisse. Nach- sierung und einer massiven staatlichen Repression ging zu-
dem es in Bologna, in der Musterstadt einer kommunisti- gleich ein Zerfall des kreativen Strangs der Autonomia ein-

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her, der sich, durch staatliche Zugeständnisse begünstigt, in Querbeet durch den Linksradikalismus
die Drogensubkultur der Großstädte, auf das Land oder in der 70er Jahre
die Radikale Partei (in etwa vergleichbar mit den Grünen)
zurückzog. Unter maßgeblicher Mithilfe der PCI, die in
ihren Zeitungen die Namen von »Rädelsführern« der Auto-
nomia abdruckte, wurden bis zum Sommer 1977 über 300 Die Jahre 1969–73 in der BRD waren die Zeit der »Reform-
Autonome vom italienischen Staat in den Knast gesteckt, euphorie« und des »Friedenskanzlers« Willy Brandt, der ei-
»Radio Alice« in Bologna wurde verboten und dessen Sen- ne neue Ostpolitik einleitete. Die JUSOS erlebten in dieser
deeinrichtungen beschlagnahmt. Die staatliche Repression Phase einen Boom mit 100.000 neuen Mitgliedern. Politisch
richtete sich gezielt gegen die Strukturen der Bewegung, wie verfolgten sie im Umgang mit innen- und sozialpolitischen
z.B. Buchläden, Verlage, Zeitungsredaktionen usw. Vorwand Konflikten die sogenannte »Doppelstrategie«, um Basis-
aller Maßnahmen war die Konstruktion einer »subversiven und Selbsthilfeaktionen von autonomen Initiativen für die
Vereinigung«, die ein Komplott gegen den italienischen eigene Politik zu vereinnahmen.
Staat vorbereitet haben sollte. Im Zerfallsprozeß der Studentenrevolte waren die unor-
Weite Teile der Aktivisten aus dem Umfeld der »Auto- ganisierten Antiautoritären jenseits von JUSOS, der DKP
nomia operaia« versuchten, den Zerfall der Bewegung durch und der ML-Gruppierungen die vierte Hauptströmung. In-
eine Steigerung der klandestinen Massengewalt (»Guerilla haltliche Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedensten
diffusa«) aufzuhalten und sahen nur noch in der militäri- antiautoritären Gruppierungen zu Beginn der 70er Jahre be-
schen Konfrontation mit dem Staatsapparat die Möglichkeit standen darin, keine wie auch immer geartete »Avantgarde-
zur Entfaltung eines revolutionären Prozesses. »Ganze Voll- rolle« oder »Führung des Proletariats« auszuüben. Ihre po-
versammlungen gehen in den Untergrund.« Diese Linie litische Praxis zielte auf eine »Politisierung« des eigenen
konnte jedoch die schwindende soziale Verankerung der po- Alltags ab. Sofern die antiautoritären Gruppierungen nicht
litischen Bewegungen nicht mehr ersetzen. Am 7. April an der Uni verblieben, arbeiteten sie in einer Vielzahl von
1979 kam es schließlich zu hunderten von Verhaftungen Kinderläden, Selbsthilfegruppen, selbstverwalteten Jugend-
(darunter auch Negri) gegen die »Autonomia operaia«. Von zentren, Stadtteilgruppen oder in der Randgruppenarbeit.
den 4.000 politischen Gefangenen des Jahres 1981 in Italien Die militanten Basisströmungen fanden in der Zeit von
gehörten weit über 1.000 dieser Gruppierung an. Die Ereig- 1969–72 ihren prägnantesten Ausdruck in der West-Berliner
nisse vom 7. April 1979 wurden so zu einer strategischen Zeitung »883«. Sie war das Sprachrohr der militanten Sub-
Niederlage der italienischen »Autonomia operaia«, von der kultur in der Stadt, der Bluesszene. Deren Aktivitäten reich-
sie sich in den 80er Jahren nicht wieder erholt hat. ten von Anschlägen auf Banken, Wohnungsbauorganisatio-
Dessen ungeachtet spielte und spielt die Rezeption des nen bis hin zu Demonstrationen vor Erziehungsheimen und
operaistischen Theorieansatzes für die bundesdeutsche au- »Smoke ins«.
tonome Linke in ihrem eigenen Selbstverständnis eine In ihrem Inhalt grenzte sich »883« zunehmend von der
große Rolle. Bis zum Ende der 70er Jahre wurden so gut wie in West-Berlin dominanten ML-Organisation KPD-AO (A-
alle wichtigen Schriften aus dieser marxistischen Strömung Null im Jargon der Linksradikalen) ab. Als praktische, anti-
ins Deutsche übersetzt. Die Schwierigkeiten der Vermitt- autoritäre und militante Alternative zu den dogmatischen
lung dieses Ansatzes in eine politische Praxis von linksradi- Parteikonzepten gingen dann später eine Reihe von bei
kalen Gruppierungen in der BRD werden in den nachfol- »883« tätigen GenossInnen in den Untergrund, so z.B. Ge-
genden Kapiteln immer wieder von neuem gestreift.

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org von Rauch, Tommie Weisbecker, Holger Meins, Werner en die Gunst der Stunde dafür benutzten, entschlossen wie-
Sauber, Peter Paul Zahl. Der Lebensweg der genannten Ge- der zurück in Richtung Staat zu marschieren, versackten an-
nossen läßt sich aber kaum auf die Entwicklung des gesam- dere wahlweise in der (vorläufigen) Ohnmacht, der politi-
ten antiautoritären Lagers zu Beginn der 70er Jahre verall- schen Isolation oder in dem Aufbau des alternativen Ghet-
gemeinern. tos. Aber dieser »Bruch«, den die Ereignisse im Herbst ’77
Um 1970 entstanden die Kürzel »Sponti« und »Anar- für die linksradikale Bewegung zweifellos darstellen, wäre
cho«, die zumeist eher informelle Gruppen, insbesondere kein dialektischer, wenn nicht genau durch ihn hindurch
Stadtteilgruppen bezeichneten. Viele der nichtorganisierten weiterwirkende Tendenzen der Kontinuität wirksam würden
GenossInnen sympathisierten z.B. in West-Berlin mit der So markiert dann das TUNIX-Treffen sowohl das letzte
»Proletarischen Linken/Parteiinitiative« (PL/PI). Für eine große Sponti-Feuerwerk in der BRD der 70er Jahre als auch
kurze Zeit in den Jahren ’71/’72 verband sie eine leninisti- das Festhalten an dem kulturell-politischen Impuls, gegen
sche Propaganda mit einer spontaneistisch orientierten mili- die Verhältnisse nicht einfach klein beizugeben.
tanten Linie des Betriebsinterventionismus. Und so finden sich spätestens fünf Jahre nach dem dun-
Aus den sich selbst als undogmatisch verstehenden Zir- klen Loch des »Deutschen Herbstes« und dem TUNIX-
keln in der Universität spalteten sich eine Reihe von Grup- Feuerwerk zu Beginn der 80er Jahre die noch übriggebliebe-
pen ab, die im Jahre 1973 in den Bezirken Kreuzberg und nen Aktivisten der 68er Zeit in den verschiedensten Projek-
Wedding Stadtteilarbeit betrieben. Aus diesem Zusammen- ten der sich im Aufwind befindlichen autonomen Basisbewe-
hang wurde im Februar 1974 das »Info Berliner Undogma- gungen, der RAF, der TAZ und der Grünen Partei in neuen
tischer Gruppen« (INFO-BUG) gegründet, das bis zum En- Konstellation.
de der 70er Jahre das wichtigste Sponti-Organ in West-Ber-
lin blieb. »Wir wollen alles!« – Betriebsprojektgruppen
Die nachfolgenden Kapitel sind als Beschreibung unter- Eine Richtung des linksradikalen spontaneistischen Lagers
schiedlicher Konzeptionen der radikalen Linken in den 70er orientierte sich zu Beginn der 70er Jahre an den italieni-
Jahren zu verstehen, politisch, praktisch, sozial und theore- schen Klassenkämpfen. Die Gründung der bundesdeutschen
tisch verändernd auf die gesellschaftliche Realität der West- operaistischen Gruppen »fiel in das Spannungsfeld zwischen
BRD einzuwirken. In je eigener Weise haben die nachfol- Auflösung der APO und Konstituierung der K-Gruppen«
gend dargestellten Ansätze mit ihren jeweiligen Theorien, (Bierbrauer). Dabei war ihre Hinwendung zu den Theorien
konkreten Praxen und Wirkungen Einfluß auf die Entwick- des Operaismus so etwas wie ein Befreiungserlebnis von den
lung sowohl des antiautoritären Lagers in den 70ern als auch dogmatischen Versionen der Marxismusrezeption. Der
zum Teil auf die Vorstellungen der Autonomen in den 80er Operaismus wurde deshalb als Theorie aufgegriffen, da in
Jahren genommen. Die Fernwirkungen dieser Ansätze gel- ihm die Arbeiterklasse nicht als Opfer, sondern als Subjekt
ten sogar in besonderer Weise, selbst wenn sie den zu Be- ihrer gegenwärtigen Geschichte begriffen wurde.
ginn der 80er Jahre neu beginnenden jungen Aktivistinnen Es bildeten sich an verschiedenen Orten der BRD soge-
nicht selbst-bewußt gewesen sein können. nannte »Betriebsprojektgruppen«, die unter Namen wie
Der deutsche Herbst 1977 stellte mit allen seinen Impli- z.B. »Arbeiterkampf« in Köln, »Revolutionärer Kampf« in
kationen so etwas wie einen relativen Scheitelpunkt der Frankfurt, »Arbeitersache« in München, »Proletarische
linksradikalen 68er Bewegung dar. Alle Spektren dieser Be- Front« in Hamburg und Bremen begannen, die Möglichkeit
wegung mußten sich zu diesem Ereignis noch einmal verhal- der praktischen und politischen Intervention in Betrieben
ten: Und während diese oder jene Grüppchen und Individu- und Stadtteilen zu diskutieren und teilweise zu praktizieren.

50 51
Im Gegensatz jedoch zu den Auffassungen der ML-Grup- spontaneistischen ›Lotta Continua‹, die PF-HH mehr an der leni-
pierungen, die sich in ihrer Betriebsarbeit an einem undiffe- nistischen Organisation ›Potere operaio‹.«
renzierten Proletariatsbegriff orientierten, existierte bei die-
Zwar gelang es, mit der Linie des Betriebsinterventionis-
sen Gruppen ein größeres Problembewußtsein über die
mus innerhalb der Arbeiterklasse einige punktuelle Mobili-
Transformation der Studentenrevolte in eine betriebliche
sierungserfolge zu erreichen. So organisierte im Oktober
Klassenkampfpraxis. Angelehnt an die Methoden des italie-
1971 der »Revolutionäre Kampf« einen Sturm von Arbeits-
nischen Operaismus sollte die Betriebspraxis zunächst zur
migranten in Rüsselsheim auf die Opel-Betriebsversamm-
Sammlung von Erfahrungen dienen, da sich die Organisati-
lung. Allerdings erlangten diese Ansätze nicht die erhoffte
onsform, Strategie und Taktik der betrieblichen Klas-
Ausweitung und schnelle Resonanz. Abgesehen von den
senkämpfe ihrer Auffassung nach nicht von vorhandenen
praktischen Schwierigkeiten der politischen Arbeit (Über-
Konzepten ableiten ließen. Die politische Intervention in ei-
wachung und Repression durch den Werksschutz, Entlas-
nen Betrieb wurde als eine Art »Untersuchungsaufgabe«
sungen usw.) konnten die kulturellen Barrieren zu den
verstanden, bei der das praktische Eingreifen mit einem Er-
»Massenarbeitern« nur punktuell aufgelöst werden.
kennen des tatsächlichen Bewußtseins der ArbeiterInnen
Wie bereits der Begriff »Betriebsintervention« selbst an-
verknüpft werden sollte.
deutet, kam in der BRD nach den 69er Septemberstreiks im
In der Zeit von Februar 1973 bis Ende Sommer 1975 ga-
Gegensatz zu Italien der Impuls zu den Klassenkämpfen in
ben die Gruppen eine gemeinsame Zeitung unter dem Titel
der Fabrik nicht von innen, sondern von studentischen
»Wir wollen alles« (WWA) heraus. Der diese Zeitung tra-
Gruppen. Dabei verlagerten viele Mitglieder der linksradi-
gende Konsens wird von der »Arbeitersache« München im
kalen Betriebsprojektgruppen ihren antiautoritären Aktio-
Januar 1973 wie folgt charakterisiert: »Arbeiterautonomie,
nismus auf die Fabrik. Vermittelnde Instanz zwischen der
Primat der Praxis und der Betriebsarbeit, radikale Gewerk-
Kultur der antiautoritären Revolte und der »proletarischen
schaftskritik, Einbeziehung der Ausländer in den nationalen
Arbeiterklassenkultur« im Kontext der angestrebten Kämp-
Klassenkampf, praktische Bezugnahme auf den proletari-
fe konnte damit jedoch nur die Form der Aktion sein, die
schen Lebenszusammenhang.«
Militanz und nicht die Handlungsziele selbst. Dabei kamen
In ihrer Untersuchung konstatiert jedoch Bierbrauer:
in der Betriebsarbeit der linksradikalen Gruppen auch die
»Bei näherem Hinsehen erwiesen sich aber die Gemeinsam- Probleme mit den im Vergleich zu Italien unterschiedlichen
keiten der an dem Zeitungsprojekt beteiligten Gruppen als eher gesellschaftspolitischen Bedingungen für Arbeiterkämpfe in
diffus, sie erschöpften sich fast vollständig in einer auch noch wi- der BRD zum Ausdruck:
dersprüchlichen Nähe zum italienischen Operaismus. Die Mün-
»Zu stark ist der Interessensgegensatz zwischen Massenarbei-
chener ›Arbeitersache‹ versuchte mehr oder weniger glücklich, in
tern und den für sie bzw. statt ihrer agierenden Organisationen ...
Betriebskämpfe zu intervenieren ... und die Belegschaft – dabei
Zu oft sind die Massenarbeiter von der Politik und ihren Organi-
vor allem italienische Arbeitsmigranten – zu organisieren, ver-
sationen verkauft worden, als daß der Avantgardismus der Intel-
wandte aber auf die theoretische Fundierung ihrer politischen
lektuellen sie von ihren Sitzen reißen könnte ... Es scheint, als sei
Praxis weniger Mühe. Der RK, der als Ableger der Frankfurter
der Begriff der ›Arbeiterautonomie‹ hinsichtlich der Massenhaf-
Sponti-Szene betrachtet werden kann, und die PF Hamburg be-
tigkeit und Radikalität ihres Auftretens den Verhältnissen des Ar-
zogen sich zwar beide auf Trontis operaistischen Klassiker ›Arbei-
beiterkampfes in der BRD aufgesetzt. Damit wird nicht ihre Exi-
ter und Kapital‹, unterschieden sich aber beträchtlich hinsichtlich
stenz bestritten; es ist jedoch ein weiter Weg von passiven zu akti-
ihrer politischen Bezugsgruppe: der RK orientierte sich an der
ven Formen des Kampfes, und das Fehlen jeder Identifikation mit

52 53
der Arbeit bedeutet noch lange nicht die Identifikation mit exter- Front« Hamburg folgte dieser Entwicklung im Frühjahr des
ner Radikalität ... Der ›Revolutionäre Kampf‹ hat dies selbstkri- Jahres 1973.
tisch erkannt: Er konstatiert: Die Fehleinschätzung des Radikalis-
mus und der Autonomie der Arbeiterklasse resultiert aus der ›ita- Die Häuserkämpfe in den 70er Jahren
lienischen Illusion‹. Bereits 1970 organisierten Aktivisten aus dem antiauto-
Die Entwicklung des Kapitalismus in der BRD ist jedoch ritären Flügel der Studentenbewegung erste demonstrative
grundsätzlich anders verlaufen als in Italien; dort basierte der ka- Hausbesetzungen u.a. in München, Köln, Frankfurt, Göt-
pitalistische Aufschwung in den 60er Jahren ›auf einer Ausbeu- tingen und Hamburg.
tung des scheinbar unbegrenzten Arbeitskräftereservoirs, auf ei- Für die linksradikalen Betriebsprojektgruppen aus dem
ner Intensivierung der Arbeit und auf Niedriglöhnen, auf der WWA-Zusammenhang bot sich das Mittel der Hausbeset-
Proletarisierung von Millionen von Landarbeitern, Kleinbauern zungen aus mehreren Gründen als Kampfform an: Einer-
und Kleinbürgern nach dem Krieg ...‹, d.h. vorwiegend auf der seits ließ sich damit der »proletarische Lebenszusammen-
Produktion absoluten Mehrwerts, während in der BRD die Pro- hang« mit einer politischen Praxis thematisieren, anderer-
duktion relativen Mehrwerts immer eine wesentliche Rolle gespielt seits konnten damit die Mobilisierungsschwierigkeiten aus
hatte und zudem die extensive Akkumulationsstrategie des Kapi- den Betriebskämpfen zunächst überwunden werden.
tals Ende der 50er Jahre beendet war« (Kukuck). Ausgehend von der Annahme, daß immer größere Berei-
che der Gesellschaft der Kontrolle des Kapitals unterstellt
In diesem Zusammenhang bliebt auch die 73er Kampf-
werden – dabei illustrierte der damals von den WWA-Grup-
und Streikbewegung des »Massenarbeitertypus«, mit ihrem
pen benutzte Begriff der »Wohnfabrik« die Ausdehnung des
Höhepunkt Ende August beim FORD-Streik in Köln, vor-
Kapitalkommandos auf die Gesellschaft – werden Wohnhei-
wiegend auf ausländische Arbeitsmigranten beschränkt. Es
magitationen, Mietstreikbewegungen und Häuserkämpfe zu
gelang dieser Streikbewegung nicht, rassistische Spaltungsli-
Kristallisationspunkten des antikapitalistischen Kampfes in
nien zwischen den ausländischen und deutschen Arbeitern
der Reproduktionssphäre:
zu durchbrechen, was einer der Gründe ihres Scheiterns
war. Zwar fand gerade der FORD-Streik mit seinen vorher »Häuser besetzen bedeutet, den kapitalistischen Plan in den
in der BRD nicht gekannten, dem DGB-SPD-Gewerk- Vierteln zu zerstören. Bedeutet, keine Miete zu zahlen, bedeutet,
schaftsapparat feindlich gesonnenen autonomen Organisati- die kapitalistische Schuhkartonstruktur aufzuheben. Bedeutet,
onsformen und Inhalten bei Linksradikalen eine begeisterte Kommunen und Zentren zu bilden, bedeutet, das gesellschaftliche
Aufnahme. Allerdings erfüllten sich die darein gesetzten Leben des Stadtteils zu reorganisieren, bedeutet, die Ohnmacht zu
Hoffnungen auf eine Ausweitung der gewerkschaftsunab- überwinden. Im Besetzen der Häuser und in Mietstreiks liegt der
hängigen Massenarbeiterkämpfe in der Fabrik in den Folge- Angelpunkt für den Kampf gegen das Kapital außerhalb der Fa-
jahren nicht mehr. Der FORD-Streik fiel schließlich in eine briken« (Proletarische Front in WWA Nr. 4, Mai 1973).
Situation, in der die Betriebsintervention in der Politik der
Die WWA-Gruppen gingen davon aus, der kapitalisti-
Betriebsprojektgruppen ohnehin kaum noch eine Rolle
schen Aufteilung des Lebens in Arbeit und Freizeit im Häu-
spielte. Während die »Proletarische Front« in Hamburg
serkampf das Bedürfnis der proletarischen Massen nach Kol-
keinerlei praktische Betriebsintervention durchführte, grün-
lektivität gegenüberstellen zu können. Dabei wollten sie mit
dete der RK Frankfurt spätestens ab Ende 1970 Stadtteil-
der Form der Häuserkämpfe in zugespitzter Weise eine Ein-
und Lehrlingsgruppen und bezog sich auf das Terrain der zu
heit zwischen den Interessen von Studenten und Arbeitern
dieser Zeit beginnenden Häuserkämpfe. Die »Proletarische
(Lebenszusammenhänge, Kommunikationsstrukturen) ge-

54 55
gen einen gemeinsamen Gegner herstellen. Dies sollte zu- te die Einquartierung von Arbeitsimmigranten in die Häu-
gleich noch mit der wechselseitigen Erfahrung von Staatsge- ser. Dieser Prozeß beschleunigte die Abwanderung der ein-
walt und Militanz verbunden werden. Diesem anspruchsvol- gesessenen bürgerlichen Westend-BewohnerInnen und er-
len theoretischen Ansatz stand aber die Realität der Häuser- möglichte riesige Profite durch Wuchermieten. Zugleich
kämpfe zu Beginn der 70er Jahre gegenüber. Ihre wesentlich- kam es teilweise zu einer katastrophalen Überbelegung
ste Zuspitzung erhielten diese Kämpfe in den sozialdemokra- ganzer Straßenzüge. Die Situation wurde noch durch speku-
tisch regierten Metropolen Frankfurt und Hamburg. Die lativen Leerstand von Häusern verschärft. Zudem war es für
Hausbesetzungen stießen dort zum Teil in relative politische Leute aus der Studentenszene in Frankfurt so gut wie un-
Freiräume, die der bürgerliche Staat gewähren mußte, da er möglich, große Räume für Wohngemeinschaften zu mieten.
in diesen Städten mit einem reformistischen Anspruch auf- Vor diesem Hintergrund entwickelte sich in den Jahren
trat. So hatte es die Hausbesetzerbewegung in Frankfurt mit Ende 1970 bis Anfang 1974 der Frankfurter Häuserkampf,
einer »linken SPD« zu tun, die ebenfalls den Kampf gegen der in der sozialen Zusammensetzung seiner Träger für die
die Bodenspekulation auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Herrschenden geraume Zeit ein brisantes Gemisch bedeute-
In Frankfurt entwickelte sich so etwas wie eine breite so- te. Die Initiativen des Häuserkampfs wurden von dem sich
ziale Bewegung, während in Hamburg mit der Hausbeset- antiautoritär verstehenden Teil der Studentenbewegung ge-
zung in der Eckhoffstr. 39 eine politische Zuspitzung des tragen, der schon zu SDS-Zeiten in Frankfurt bundesweit
Kampfes stattfand, die zu einer folgenreichen Niederlage eine seiner Hochburgen hatte. Aus dem Zerfall des SDS war
der radikalen Linken in der Stadt wurde. Die Debatten gin- in dieser Stadt eine zahlenmäßig starke Spontifraktion her-
gen zum Teil weit über die unmittelbare Praxis des Aneig- vorgegangen. Sie arbeiteten u.a. mit Immigranten zusam-
nens von leerstehenden Wohnraum hinaus. Sie erhielten für men, die zum Teil vorher bei der linksradikalen »Lotta Con-
die darauffolgenden Jahre eine strategische Qualität für die tinua« mitgearbeitet hatten. Zwischen Frühjahr 1972 und
Diskussionen über eine linksradikale Politik in der Bundes- Frühjahr 1973 verbanden sich die Mietstreiks, die vorwie-
republik. gend von türkischen und italienischen Immigranten getra-
Die Häuserkämpfe der 70er Jahre zeigten auf, daß es gen wurden, mit den Hausbesetzungen der Spontiszene. Al-
auch in dem Reproduktionsbereich möglich war, neue radi- lerdings entstanden in der konkreten Zusammenarbeit Pro-
kale Kampfformen zu entwickeln, die trotz ihres bewußten bleme: Einer mangelnden politischen Autonomie auf der
Durchbrechens von legalistischen Politikformen zu teilweise Seite der Mietstreikenden stand auf Spontiseite eine teilwei-
breiten Solidarisierungen innerhalb der Bevölkerung führ- se »Sozialarbeiter- und Juristenmentalität« gegenüber, die
ten. lediglich dazu führte, sich gegenseitig zu funktionalisieren,
anstatt den Prozeß der Selbstorganisation in den laufenden
Der Frankfurter Häuserkampf Auseinandersetzungen voranzutreiben.
Ende der 60er wurden von den Großbanken in Frankfurt In den Jahren 1971 bis 1974 gelang es der Frankfurter
Konzepte einer Umstrukturierung der Stadt in eine Banken- Spontiszene, mit dem »Revolutionären Kampf« als wichtig-
und Dienstleistungsmetropole entworfen. Die Banken ent- ster Gruppe, durch eine Verbindung der verschiedensten
schlossen sich, in das zur City verkehrsgünstig gelegene We- Aktionen, Besetzungen und Demonstrationen den öffentli-
stend-Viertel zu expandieren. Die Sanierung dieses ehemali- chen Ausdruck und die Dynamik des Häuserkampfes zu be-
gen Quartieres der Frankfurter Bourgeoisie erfolgte in meh- stimmen. Insbesondere in dem Gebrauch der Militanz in
reren Schritten. Mit Hilfe von Spekulanten wurden ganze diesen Kämpfen kommen ihre widersprüchlichen Seiten
Grundstückskomplexe aufgekauft, im zweiten Schritt erfolg- zum Ausdruck: Während der ersten größeren Straßen-

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schlacht Ende September 1971 bei einem gescheiterten Be- Die Debatte wurde dabei stets organisatorisch und politisch
setzungsversuch kam es zu einer Solidarisierung der Bevöl- in die Bewegung zurückvermittelt, was vermutlich einer der
kerung mit den Hausbesetzern. Der Erfolg konnte von der Gründe dafür war, daß eine Kriminalisierung der Militanten
Bewegung in der Folge durch eine steigende Anzahl von zu jenem Zeitpunkt nicht stattfand.
Mietstreiks und Hausbesetzungen genutzt werden. Der Nach der Kettenhofweg-Räumung setzte allerdings auch
Frankfurter SPD-Magistrat konnte so zunächst dazu ge- eine weitgehende defensive Fixierung auf die Verteidigung
zwungen werden, seine ursprüngliche Verfügung, alle be- des »Blocks« (Bockenheimer Landstr./Schumannstr.), auf
setzten Häuser sofort räumen zu lassen, zu revidieren. Fragen der »militärischen Verteidigung« ein, die die Diskus-
Nachdem die Mietstreikbewegung der ausländischen sionen um eine inhaltliche Ausweitung der Bewegung in den
Immigranten im Frühjahr 1973 zum Erliegen kam, konzen- Hintergrund drängte. Zum Teil war das auf die praktische
trierten sich die Diskussionen der Bewegung um die Vertei- Erschöpfung vieler BewegungsaktivistInnen aufgrund der
digung der besetzten Häuser und den militanten Schutz von permanenten Repression zurückzuführen. Auf der anderen
Massendemos. Bei der drohenden Räumung des Kettenhof- Seite schlugen in dieser Zeit bestimmte interne Führungs-
weges im Frühjahr 1973 beschlossen die Spontis, in die poli- strukturen des Revolutionären Kampfes auf den weiteren
tische Offensive zu gehen. Darauf erfolgte ein brutaler und Kurs der Bewegung zurück. Der »Block« wurde schließlich
in der Öffentlichkeit als überhart empfundener Bullenein- von 2.500 Bullen Anfang Februar 1974 in einem Überra-
satz, der in der Frankfurter Innenstadt mehrere Straßen- schungsüberfall geräumt und sofort durch Bagger in Schutt
schlachten auslöste. Aufgrund der breit getragenen Solida- gelegt. Auch die am 23. Februar nachfolgende Putzdemo mit
rität und der Entschlossenheit zur militanten Verteidigung 10.000 Leuten, die zu den heftigsten Straßenschlachten in
des besetzten Hauses im Kettenhofweg konnten mehrere Frankfurt in den 70er Jahren führte, änderte an dem Erfolg
Räumungsversuche der Bullen zunächst abgewehrt werden. des Frankfurter SPD-Magistrates nichts mehr.
In den Auseinandersetzungen drückte sich eine gelungene Nach der Räumung des »Blocks« war die Bewegung in
Verbindung von einer propagandistischen Massenarbeit mit Frankfurt weitgehend am Ende. Die politische Orientie-
einer Massenmilitanz aus, die sich nicht als Selbstzweck von rungslosigkeit nach dem Ende des Häuserkampfes wurde in
den Inhalten des Kampfes ablöste. In der bürgerlichen Pres- einem rückblickenden Interview mit einem Spontigenossen
se las sich das so: wie folgt beschrieben:
»Inmitten der Großstädte entstehen Bürgerkriegsnester ... Es »Da sind einfach die alten Machtstrukturen politisch umge-
ist nicht auszuschließen, daß sich nach dem Frankfurter Beispiel schlagen, und die Leute wußten nicht mehr, was sie machen soll-
inmitten der Großstädte eine Art Nebenregierung bildet, gestern ten. Wenn du Leute teilweise von den politischen Entscheidungs-
Uni-Räte, heute die Häuserräte, morgen vielleicht die ›Räte der strukturen fernhältst, dann brauchst du dich hinterher nicht zu
besetzten Fabriken‹« (Frankfurter Neue Presse, April 1973). wundern, daß, wenn du nichts mehr vorgibst, auch nichts mehr
nachkommt« (aus der »Wildcat« Nr. 40/1986).
Aufgrund der bei der Räumung des Kettenhofweges er-
lebten Bullenbrutalität konzentrierten sich die Überlegun-
gen der Frankfurter Spontis in der Folgezeit auf die Organi- Über Militanzdebatten und andere Rückzüge
sierung eines militanten Schutzes von Massendemos. Es ent- Nach dem Abflauen des Häuserkampfes versuchte die Spon-
stand die sogenannte »Putzgruppe«, die ein Ausdruck einer tibewegung, ihren Zusammenhalt und ihre politische Iden-
zu damaliger Zeit breit geführten Diskussion über die Pro- tität über den Aufbau eines »Gegenmilieus«, punktuelle
bleme der Militanz und der organisierten Gegengewalt war. Kampagnen und militante Aktionen aufrecht zu erhalten.

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(Sommer 1974 Fahrpreiskämpfe gegen den Frankfurter Ver- gleitet. Die Umstrukturierung der Bewohnerschaft wurde
kehrsverbund; September 1975 Angriff auf das Spanische zudem noch durch die vorübergehende Einquartierung von
Generalkonsulat; im Mai 1976 militante Demonstrationen mobilen Studenten mit kurzfristigen Mietverträgen voran-
von 3.000 Leuten zum Tod von Ulrike Meinhof). getrieben. Zum Zeitpunkt der Besetzung standen deshalb
Die Entwicklung wurde zugleich mit einer Effektivie- viele Häuser im Viertel leer oder waren an Studenten ver-
rung der Straßenmilitanz in sogenannten »Kleingruppen« mietet, von denen die Behörden annahmen, daß sie an einer
und teilweise klandestiner Organisierung verbunden. Zwar längerfristigen Nutzung kein Interesse hatten. Den Prakti-
waren diese Kleingruppen zunächst in der Lage, den Bullen ken der Neuen Heimat schlossen sich ebenfalls noch private
auf der Straße besser zu begegnen, allerdings setzte sich da- Spekulanten an. Die gegen die verbliebenen Mieter ange-
mit auch eine beschleunigte Zersplitterung der ehemals wendeten brutalen Methoden führten zunächst zu der
übergreifenden politischen Zusammenhänge durch. Gründung einer Mieterinitiative, die mit Mitteln wie z.B.
Die innerhalb der Frankfurter Spontibewegung prakti- Unterschriftenlisten, Flugblättern und offenen Briefen je-
zierte unmittelbare Verknüpfung von Straßenmilitanz mit doch kaum etwas bewirken konnte. In diese Situation fiel die
einer Vorstellung von Revolution wendete sich an dem Besetzung der Eckhoffstr. 39 am 19. April 1973.
Punkt gegen jede revolutionäre Vorstellung, als Formen von
»Sie war der Versuch einer Fraktion der Hamburger Linken,
Straßenmilitanz unmittelbar nicht mehr praktizierbar waren
der ›Spontis‹, bestimmte politische Vorstellungen, die monatelang
und jeder abstrahierende Begriff von Revolution verloren
in kleinen Gruppen diskutiert worden waren, endlich praktisch
ging.
werden zu lassen. Die Aufrüstung des westdeutschen Polizeiappa-
Der in der Spontibewegung verfolgte politische Ansatz,
rates und die im Zuge der Baader-Meinhof-Kampagne sich ver-
ausgehend von den eigenen Bedürfnissen die politische In-
schärfende Repression gegen die Linke hatten in diesen Gruppen
tervention zu bestimmen, greift zu kurz, wo schwierige ge-
vor allem zu einer intensiven Diskussion der Frage der revolu-
sellschaftliche Bedingungen (wie z.B. »Bewegungstäler«
tionären Gewalt geführt. Der Frankfurter Häuserkampf, der we-
oder zu starke staatliche Repressionen) es notwendig werden
nige Tage zuvor einen Höhepunkt in den Auseinandersetzungen
lassen, von den eigenen Erfahrungen punktuell zu abstrahie-
um das besetzte Haus am Kettenhofweg 51 erreicht hatte, schien
ren, um so nach anderen Möglichkeiten der politischen Ar-
ein Beispiel geliefert zu haben, daß sich eine Mobilisierung von
beit zu suchen. Statt dessen kippte der Subjektivismus nach
größeren Teilen der Bevölkerung durchaus mit radikalen und
dem Ende des Häuserkampfes in die Illusion um, der Ableh-
kompromißlosen Formen des politischen Kampfes verbinden läßt.
nung der kapitalistischen Lohnarbeit die Fiktion einer sinn-
Die Vorbereitung auf eine nach allen Erfahrungen zu erwartende
vollen selbstbestimmten Arbeit im Kapitalismus im Rahmen
Konfrontation mit dem staatlichen Repressionsapparat spielte des-
einer Alternativbewegung entgegensetzen zu können.
halb bei der Vorbereitung der Besetzung und im Auftreten ihrer
Die Hausbesetzung Eckhoffstr. 39 in Hamburg Akteure (Helm, Gesichtstücher, Schlagstöcke) eine große Rolle«
(Grüttner).
Ausgangspunkt der Hausbesetzung in der Eckhoffstraße wa-
ren die Pläne der Neuen Heimat-Tochtergesellschaft Bewo- Zu Beginn der Eckhoffstraßenbesetzung entwickelte sich
bau, große Teile des innenstadtnahen Viertels Hohenfelde in dem Viertel eine Solidarität, die von Möbelspenden bis zu
abzureißen, um dort 19stöckige Wohntürme mit insgesamt Solidaritätstransparenten an anderen Häusern reichten. Die
450 Luxuseigentumswohnungen zu errichten. Die Entwick- Besetzer nahmen zunächst Kontakt mit den MieterInnen
lung zog sich über mehrere Jahre hin und wurde durch eine der umliegenden Häuserblocks auf, organisierten Versamm-
gezielte Vertreibung von alteingesessenen MieterInnen be- lungen, auf denen sie ihre Vorstellungen zusammen mit den

60 61
Anwohnern diskutierten und richteten im Haus ein Stadt- Maschinengewehren bewaffneten MEK-Kommando über-
teilbüro sowie ein Jugendzentrum ein. Das Haus wurde ins- fallen. Über 70 BesetzerInnen wurden festgenommen, ge-
besondere für Jugendliche in dem Stadtteil zu einem ständi- gen 33 von ihnen wurden erstmals in der BRD Haftbefehle
gen Bezugspunkt. unter dem Vorwurf der »Mitgliedschaft oder Unterstützung
Diese Initiativen, die Unterstützung, die die Besetzer in in einer kriminellen Vereinigung« (§ 129) erlassen, der spä-
der Öffentlichkeit fanden, und ihre erklärte Absicht, das ter auch zu einer Reihe von Verurteilungen führte.
Haus militant zu verteidigen, machten es dem Hamburger Die Ereignisse um die Eckhoffstraßenbesetzung wurden
SPD-Senat, der Bewobau und den Bullen zunächst unmög- für die Hamburger Spontilinke zu einem wichtigen Schnitt-
lich, das Haus im Handstreich zu räumen. Sie verlegten sich punkt ihrer weiteren politischen Aktivitäten: mit der polizei-
deshalb zunächst auf eine politische Isolierung der Besetzer lichen Zerschlagung der Besetzung scheiterte zugleich auch
sowie deren Kriminalisierung. Der eine Teil dieses Konzep- die »Proletarische Front« als Organisation. Sie hatte die
tes wurde von der Hamburger Springerpresse besorgt, die Hausbesetzung unterstützt, obwohl sie zuvor auf Grundlage
die Hausbesetzer permanent als »Reisende Radikale«, ihrer eigenen Diskussionen den Häuserkampf nur in Arbei-
»Maskenmänner«, »Politrocker«, »Terroristen« und tervierteln, bei genügender propagandistischer Vorberei-
»Gangster« bezeichnete. Zu dieser Propaganda gehörten tung nach außen, tragen wollte. Diese Bedingungen waren
natürlich auch erfundene Geschichten über vermeintliche jedoch für die Eckhoffstraßenbesetzung nicht gegeben, da
Überfälle der Hausbesetzer auf BewohnerInnen im Viertel. der Stadtteil zuvor bereits weitgehend von seinen Bewoh-
Den anderen Teil des Konzeptes besorgten die Bullen mit nern geräumt worden war. Damit waren die Möglichkeiten,
permanenten Provokationen. Sie zielten durch ständige das Haus zum Ausgangspunkt weiterer Aktivitäten im Stadt-
Übergriffe und die Behinderung aller Besetzeraktivitäten teilkampf in Hohenfelde zu machen, stark begrenzt. Zudem
darauf ab, deren Handlungsspielraum möglichst einzuen- eskalierte für die »Proletarische Front« während der Beset-
gen. Sämtliche Besetzer, Sympathisanten oder Anwohner, zung das »Militanzproblem«, das zu einer Frage der indivi-
die sich in der Eckhoffstraße aufhielten, wurden an der duellen moralischen Bewährung oder des Versagens der ein-
nächsten Straßenecke angehalten, überprüft und zum Teil in zelnen GenossInnen wurde und an dem sich die Gruppe
das Polizeipräsidium geschleppt und erkennungsdienstlich schließlich aufrieb.
behandelt. Die Besetzer versuchten sich gegen diese Schika- Einige EckhoffstraßenbesetzerInnen entschlossen sich
nen durch organisiertes militantes Auftreten zur Wehr zu unter dem Eindruck der Räumung und der gegen sie durch-
setzen und ließen sich dabei auf einen Kleinkrieg mit den geführten staatlichen Repressionsmaßnahmen dazu, in den
Bullen ein, dem sie aber auf Dauer nicht gewachsen waren. Untergrund zu gehen. Zwei von den Genossen (Karl-Heinz
Dabei traten andere politische Aktivitäten in den Hinter- Dellwo und Bernhard Rößner) gehörten im Februar 1975 zu
grund und erlahmten schließlich völlig. Die militärische einem RAF-Kommando, das mit dem Überfall auf die deut-
Konfrontation mit den Bullen begann sich im Laufe der Be- sche Botschaft in Stockholm die Freilassung der Stammhei-
setzung zu verselbständigen. Mit der Verlagerung der Beset- mer RAF-Häftlinge durchzusetzen versuchte. Die Beteili-
zeraktivitäten von der politischen auf die militärische Ebene gung von ehemaligen Hausbesetzern an der Aktion einer be-
verringerte sich zugleich die Solidarität der Bevölkerung, waffnet kämpfenden Gruppe diente in der Folge staatlichen
die durch den ständigen polizeilichen Belagerungszustand in Instanzen dazu, die Kampfform Hausbesetzungen beständig
Auseinandersetzungen mithereingezogen wurde. als eine »Durchgangsstation« für »Terroristen« zu denun-
Am 23. Mai 1973 wurde die Eckhoffstraße in den Mor- zieren. Unter dem Eindruck des »Traumas« der Eckhoff-
genstunden von 600 Bullen abgeriegelt und von einem mit straßenbesetzung verlor die Hamburger Spontilinke für

62 63
mehrere Jahre die Kraft zu größeren politischen Initiativen. Die erklärtermaßen theorie- und wissenschaftsfeindli-
Diese Situation änderte sich erst wieder ab 1976 in dem chen Spontigruppen erlebten ihren politischen Aufstieg an
Kampf gegen das geplante AKW in Brokdorf. den Universitäten Mitte der 70er Jahre. Mit unkonventio-
nellen, witzigen und phantasievollen Aktionen versuchten
Die Spontibewegung an den Universitäten sie, sich gegen den Universitätsbetrieb zur Wehr zu setzen:
Die Situation der Studenten an den Universitäten hatte sich So wurde z.B. im Jahre 1978 auf Vorschlag von Sponti-Stu-
in der ersten Hälfte der 70er Jahre gegenüber den 60er Jah- denten in Münster ein Schwein zum Rektor der Universität
ren stark verändert: Durch technokratische »Bildungsrefor- gewählt. In Ulm ließen sie im gleichen Jahr stellvertretend
men« wurde die Uni zur Massenuniversität; die Anzahl der für sich einen Hund zum akademischen Senat kandidieren.
Studenten in der BRD und West-Berlin von 1960 bis 1979 Auf ihrem Höhepunkt in den Jahren ’77/’78 stellten die
verdreieinhalbfachte sich auf knapp eine Million. Auf der Spontis in einer Reihe von Universitätsstädten die Studen-
politischen Seite war die Situation, insbesondere in einigen tenvertretungen.
»linken Fachbereichen«, durch eine »Wissenschaftsblüte« Die Spontibewegung in den 70er Jahren beinhaltete ein
und die politisch dominierenden maoistischen ML-Organi- reiches, in sich widersprüchliches Ausdruckspotential von
sationen oder links-reformistischen Studentengruppen ge- verschiedenen Protest-, Auflehnungs-, Verweigerungs- und
kennzeichnet. Während die »Parteiaufbauer« die Notwen- Fluchtverhalten gegen bürgerliche Herrschaftsnormen. Auf
digkeit der Unterordnung von »individuellen Bedürfnissen« der politischen Ebene dominierten antiinstitutionelle, basis-
unter die »Erfordernisse des Klassenkampfs« propagierten, demokratische, autonomistische und anarchistische Ele-
setzten viele durch die 68er Revolte in akademische Stellen mente ihre Vorstellungen. Ihr Protest richtete sich gleicher-
gespülte »linke Wissenschaftler« mit enormen Leistungsan- maßen gegen die »Wissenschaftsfabrik Uni« und gegen die
sprüchen alles daran, die »bürgerliche Wissenschaft« zu staatliche Repression.
entlarven. Sie konnten dabei ihre universitäre Praxis in dem Nach den desillusionierenden Erfahrungen mit den
Abfassen von dickleibigen Doktorarbeiten nicht nur mit ih- »Reformunis« verlagerten viele Spontis im letzten Drittel
rer eigenen beruflichen Karriere, sondern auch mit der Illu- der 70er Jahre zunehmend Teile ihrer Praxis in Alternati-
sion eines gleichzeitigen politischen Fortschrittes für die vprojekte, Stadtteil- und Anti-AKW-Gruppen. Die Masse-
Linke verbinden. nuniversitäten wurden dabei – bis heute! – zu einem relati-
ven »Freiraum«, der die Möglichkeit für ein politisches En-
»In dieses Klima ... gerieten während der letzten zwei Drittel
gagement an anderen Stellen bot.
der 70er Jahre Studenten, die da nicht ›mithalten‹ konnten und
Die Spontibewegung wäre jedoch nur unvollständig be-
wollten. Sie konnten es nicht, weil ihnen ... die Motivation, der
schrieben, wenn nicht auch ihre sozialpsychologischen Di-
große Impuls von ’68 fehlte; und sie wollten es nicht, weil ihnen
mensionen genannt würden: In einer abstrakten Beschrei-
der Preis (Arbeitseinsatz, politische Risiken) zu hoch schien im
bung läßt sich das als Versuch eines Aufbaus von harmonie-
Vergleich zu dem vielleicht möglichen, aber immer ungewisser
fähigen Erfahrungszusammenhängen benennen, der in ei-
werdenden Resultat. Hinzu kamen ... die Verschlechterung der
nem untrennbaren Zusammenhang mit einer spekulativen
Berufsaussichten und die ›empirische‹ Widerlegung traditioneller
Suche nach einem unbestimmten Anderen stand. Etwas
und neuerer politischer Hoffnungen, von einer möglichen Zuspit-
konkreter ist darunter zu verstehen, daß mehr als einmal
zung der Klassenkämpfe bis zur ›persönlichen Emanzipation‹, die
Spontigruppen mit ihren teilweise aberwitzig hohen und
als Zielpunkte am Horizont aufblitzten und wieder verblaßten«
nicht selten diffusen Gruppenansprüchen im unpolitischen
(Schütte).
Psycho-Desaster endeten. Oft verband sich in der Bewe-

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gung eine »Betroffenheitsideologie« mit Tendenzen zu ei- Jahre als ML-Organisation führend war. Als letzte größere
ner »neuen Innerlichkeit«, die teilweise zu unpolitischen ML-Organisation wurde schließlich im Jahre 1973 aus einer
und resignativen Rückzügen in Wohngemeinschaften, The- Reihe von zuvor existierenden Diskussionszirkeln der Kom-
rapiegruppen und selbstzerstörerischen Drogenkonsum munistische Bund Westdeutschlands (KBW) gegründet. Er
führte. Die Erfahrungen aus der Zeit machen deutlich, daß spielte in den 70er Jahren zeitweise in Frankfurt, Heidelberg
der in der Spontibewegung auch enthaltene Anspruch einer und Bremen eine größere Rolle, bevor er sich im Jahre 1982
»Befreiung von Politik« oft in ein unpolitisches und privati- auflöste.
stisches Selbstverständnis umschlagen kann. Verbindendes Glied dieser ML-Gruppierungen waren,
neben ihrer Fixierung auf die revolutionäre Rolle des Fa-
Kurze Geschichte der K-Gruppen und ihres Zerfalls brikarbeiterproletariats, ihre auf Mao-Ideologeme gestützte
Bereits in der APO-Zerfallsphase hatte es innerhalb der Be- »antirevisionistische« Einstellung gegenüber der DKP und
wegung gravierende Kontroversen um die von Teilen des der Sowjetunion. Auf der programmatischen Ebene schlug
SDS betriebenen Marxistisch-Leninistischen(ML)-Partei- sich das in einer rigorosen außenpolitischen Orientierung an
gründungskonzepte gegeben. Auf die Frage nach den Per- der Politik der VR China, ergänzend an Albanien, nieder.
spektiven der weiteren politischen Arbeit antwortete ein Teil Diese politische Linie verband sich mit einer mehr oder we-
der antiautoritären Bewegung mit einem Dogmatisierungs- niger großen Distanz zur Sowjetunion bzw. zum »real exi-
prozeß. Dabei entstand auch die Parole »Liquidiert die anti- stierenden Sozialismus«. Die ablehnende Haltung zur SU
autoritäre Phase«, die für einen großen Teil der studenti- steigerte sich bei einigen ML-Gruppen bis zum Vorwurf des
schen Basis die Grundlage für eine sogenannte »proletari- »Sozialimperialismus«. Dies führte dazu, die UdSSR als den
sche Wende« bildete. Auf das eigene unbegriffene »antiau- – im Vergleich zur USA – größeren Hauptfeind einer revo-
toritäre Ausflippen« in der Studentenrevolte erfolgte mit lutionären-sozialistischen Entwicklung anzusehen. Teilweise
dem biographischen Hintergrund einer zumeist mittelstän- kam es in diesem Kontext zu Forderungen wie z.B. der der
dischen Sozialisation die Rückkehr in die überschaubare KPD-ML nach einem, gegen die »sozialimperialistische
»kleinbürgerliche Struktur« einer ML-Kaderpartei. Dies UdSSR«, wiedervereinigten »sozialistischen deutschen Va-
war zumeist mit einer irrationalen Unterwürfigkeit und dem terland«.
Verzicht auf eigenes Denken verbunden. Die vormals pro- Viel verheerender als alle programmatischen Verwirrun-
klamierte »revolutionäre Identität« des Individuums wurde gen der ML-Gruppen auf dem Sektor der Außenpolitik wa-
auf eine Organisation verlagert, die sich zur jeweils »führen- ren jedoch ein schematisiertes Theorie-Praxis-Verständnis
den Partei des Proletariats« ernannte. und ihre organisatorischen Binnenstrukturen: Ihr autoritä-
Aus den diversen Parteigründungskonzepten bildeten res und dogmatisches Theorieverständnis auf proklamierter
sich vier größere K-Gruppen-Zusammenhänge heraus. Da- Grundlage der Theorien des Marxismus-Leninismus strich
bei setzte sich in einigen Städten und Regionen jeweils eine den universellen Horizont dieser Theorien mit Hilfe von
ML-Organisation durch. dürren politökonomischen Lehrsätzen zu einem kleinkarier-
In West-Berlin dominierte die KPD-Aufbauorganisation ten vulgärmarxistischen Schrebergartensystem zusammen.
(KPD-AO), die sich im März 1980 auflöste. Demgegenüber Die »führende Rolle der Partei des Proletariats« wurde
spielte die von alten KPD-Mitgliedern bereits Ende 1968 zunächst einmal gegenüber den eigenen Mitgliedern durch-
gegründete KPD-ML vorwiegend in Kiel und im Ruhrge- gesetzt. Die vorgeblich an den Prinzipien des Marxismus-
biet eine Rolle, während in Hamburg der 1971 gegründete Leninismus angelehnten Organisationsstrukturen führten
Kommunistische Bund bis zu einer Spaltung Ende der 70er nicht nur zu einer straffen von oben nach unten aufgebauten

66 67
hierarchischen Leitungsstruktur, sondern auch zu einer zu- Grohnde-Demonstration im März 1977 seitens der Herr-
nehmend sinnentleerten, kritiklosen Anwendung von Ge- schenden zu einer intensiven Verbotsdiskussion, insbeson-
horsam, Disziplin und einer wahnwitzigen Durchhaltemoral dere gegen den KBW. Dagegen mobilisierten alle K-Grup-
in der politischen Arbeit. Wie selbstverständlich wurden von pen (mit Ausnahme des KB) im Oktober ’77 zu einer Groß-
den einzelnen Mitgliedern anachronistische Leistungsstan- demonstration rund 20.000 Menschen auf den Bonner
dards in der politischen Arbeit verlangt. Die sozialen Bezie- Marktplatz, der von einem Meer von roten Fahnen einge-
hungen und Alltagsstrukturen der Mitglieder wurden bis in nommen wurde ...
die intimsten Bereiche entschieden und geregelt. In diesem Der Zerfall der K-Gruppen setzte Ende der 70er Jahre
Zusammenhang wurden weite Teile des privaten Einkom- ein: Der Rückgriff auf Parteikonzeptionen aus den 20er Jah-
mens an die Organisation abgeführt, »Rote Ehen« geschlos- ren und das Festhalten an einem völlig anachronistischen
sen, die Haare kurzgeschnitten und teilweise 18 Stunden am und rückwärtsgewandten Proletariatsbegriff, der sich an
Tag »revolutionäre Parteipolitik« gemacht. Demgegenüber dem männlichen Fabrikarbeiter orientierte, erwies sich un-
wurden die Politikformen und Muster der damaligen Links- ter den spätkapitalistischen Bedingungen der BRD als eine
radikalen aus der Spontiszene von den ML-Gruppierungen revolutionsstrategische Lachnummer. Zudem ließen sich die
als »elitär« und »kleinbürgerlich« denunziert. mit dem Aufkommen der neuen sozialen Bewegungen (Anti-
Mitte der 70er Jahre stellten die K-Gruppen in einigen AKW-, Ökologie- und Alternativbewegung) und die in der
Großstädten – in einer formalen Betrachtungsweise – die Patriarchatsdebatte neu entstandenen Fragestellungen auf
stärkste außerparlamentarische Kraft der Linken dar. Zeit- Grundlage eines starr angewendeten ML-Theoriesystems
weise waren in diesen Gruppen weit über 10.000 Menschen nicht mehr beantworten. Auch vor diesem Hintergrund wa-
organisiert, der KBW brachte es als größte ML-Organisati- ren viele Mitglieder dieser Organisation nicht mehr dafür zu
on auf über 3.000 Mitglieder, der KB in Hamburg verfügte mobilisieren, sich bis in den Bereich ihrer privaten Sphäre
im Jahr 1978 über 900 Aktivisten. Im Jahr 1977 wurden von hinein totalisierenden Politikmustern zu unterwerfen.
dem KBW-Organ »Kommunistische Volkszeitung« wö- Sofern sich die Kader der ML-Gruppierungen nach dem
chentlich über 30.000 Exemplare verkauft, und auch der Zerfall ihrer Organisationen nicht privatisierten, lösten sie
»Arbeiterkampf« des KB konnte in dieser Zeit mit einer sich in den Gründungsprozeß der Grünen Partei auf. So
wöchentlich vertriebenen Auflage von über 25.000 Exem- trieben z.B. in der West-Berliner AL bis in die späten 80er
plaren mithalten. Jahre ein paar alte KPD-AO-Mitglieder mit ihrer alten For-
Hin und wieder blitzte auch bei den ML-Organisationen derung nach einer »Wiedervereinigung eines von den Su-
ein erstaunliches Maß an Militanz auf: So stürmten Mitglie- permächten befreiten einigen deutschen Vaterlandes« ihr
der der KPD im April des Jahres 1973 im Anschluß an eine Unwesen. Mittlerweile werden eine Reihe von mittleren und
Demonstration gegen den Besuch des südvietnamesischen höheren Funktionärsposten bei den Grünen von ehemaligen
Ministerpräsidenten in Bonn das dortige Rathaus und zer- MLern bekleidet, die dort ihre »revolutionären Jugendsün-
legten die Inneneinrichtung. In den Jahren 1975/76 wurden den«, wie z.B. die Ex-KPD Sympathisantin Antje Vollmer
vom KBW in Heidelberg und Bremen massive Straßen- und der Ex-KBWler Fücks, mit geläuterten Bekenntnissen
bahnblockaden gegen die Erhöhung der Fahrpreise organi- zum »demokratischen Rechtsstaat« abzutragen suchen.
siert. Zu Beginn der bundesweiten Anti-AKW-Bewegung Von der Krise und dem Zerfall der ML-Bewegung wur-
stellten die K-Gruppen große Kontingente hervorragend de auch der Hamburger KB um die Jahreswende 1979/80
ausgerüsteter Genossen, die sich massiv an den praktischen getroffen. Bei dem Versuch zunächst relativ flexibel auf den
Auseinandersetzungen beteiligten. Das führte nach der Parteibildungsprozeß der reformistischen grünen Partei

68 69
Einfluß zu nehmen, spaltete er sich in einen bei den Grünen bauen. Die Bewegung breitete sich dort am stärksten aus, wo
mitarbeitenden und in einen weiterhin sich als kommunisti- zuvor auch intensive, von Linksradikalen getragene Konflik-
sche Organisation begreifenden Flügel. te stattgefunden hatten. West-Berlin und Frankfurt wurden
Ende der 80er Jahre existierten nur noch Reste der ehe- zu Schwerpunkten der bundesdeutschen Alternativbewe-
maligen K-Gruppen in Verbänden wie z.B. BWK, VSP, gung.
MLPD usw. Sie waren jedoch nicht mehr eigenständig zur Viele der alternativen Projekte begriffen sich zu Beginn
Organisierung von größeren Straßenaktionen in der Lage. als eine notwendige Unterstützung der Bewegung im politi-
Dennoch spielten da und dort die alten ML-Ideologien der schen Tageskampf (linke Buchläden, Kneipen, Cafés,
70er Jahre für die autonom-linksradikale Szenerie der 80er Druckereien usw.). Darüber hinaus waren die Projekte mit
Jahre eine nicht immer angenehme Rolle. einer »sozialutopischen« Stoßrichtung verknüpft, in denen
sie eine Art praktisches Beispiel für eine Vorwegnahme so-
Die Alternativbewegung zialistischer Strukturen im Kapitalismus sein sollten. In der
Der Beginn der Alternativbewegung in der BRD und West- Praxis ging es darum, eine gelebte Alternative zu den herr-
Berlin läßt sich im wesentlichen mit zwei Entwicklungslini- schenden kapitalistischen Verkehrsformen darzustellen, was
en in Verbindung bringen: Auf der politischen Seite war die zugleich einen propagandistischen Effekt zeitigen sollte.
Situation Mitte der 70er Jahre von einer Desorientierung Damit ist der Beginn der Alternativbewegung nicht zu tren-
gekennzeichnet, die mit einer Abwendung von einer auf die nen von den autonomistischen Impulsen des Widerstands
Betriebe oder sonstige politische Initiativen zentrierten Po- und der Ablehnung der kapitalistischen Lohnarbeit, die im
litik einherging. Die Alternativbewegung schien einen Aus- Alltag sichtbar demonstriert werden sollte. Und so entstand
weg aus der Schere zwischen staatlicher Repression und In- nach dem Ende des »Wir wollen alles«-Zeitungsprojektes
tegration zu eröffnen. Dabei konnten sich weite Teile der der operaistischen Gruppen im Spätsommer 1975 mit einem
Spontiszene in einem historischen Rückgriff an den bereits fast identischen Titel-Layout das Zeitungsprojekt »Wir
während der APO-Zeit in ihrer antiautoritären Phase for- wollen’s anders« von der Arbeiterselbsthilfe Oberursel.
mulierten Ansprüchen orientieren, die politische Arbeit mit Der weitere Verlauf der Alternativbewegung vollzog sich
individueller und kollektiver Emanzipation zu verbinden. jedoch unter den »objektiven Bedingungen« von ökonomi-
Die objektiven und subjektiven Schwierigkeiten einer sol- schen Krisenprozessen. Das führte – auf der ökonomischen
chen Verbindung und die Erfahrung der enormen Stabilität Basis einer in den Alternativbetrieben vorherrschenden klei-
des bundesdeutschen Herrschaftssystems (vor allem nach nen Warenproduktion und -verteilung – zu einer ganzen
dem Amtsantritt der SPD/FDP-»Reformregierung« im Reihe problematischer und widersprüchlicher Tendenzen.
Jahre 1969) führten jedoch dazu, daß viele der politisierten Auf der ideologischen Ebene wurde z.B. der ursprünglich
StudentInnen sich anderen Formen der politischen Arbeit einmal proklamierte Auszug aus entfremdeten und repressi-
zuwandten. Es begann die Zeit der ML-Gruppen oder der ven normalgesellschaftlichen Strukturen teilweise zu einer
stringent marxistisch-operaistischen Ansätze. individualistisch-selbstgefälligen Selbstmarginalisierung ver-
Als ab 1974 sichtbar wurde, daß ein autoritäres politi- absolutiert. Die Probleme und ideologischen Verirrungen
sches Praxisverständnis in die Isolierung führte, sahen viele lassen sich in einer Beschreibung anhand der Begriffe »Al-
kaum noch eine Möglichkeit für eine organisierte politische ternativökonomie« und »Alternativideologie« darstellen:
Arbeit. Die Alternativbewegung entpolitisierte sich in dem
Daraus entstand so etwas wie eine »Nebenbewegung«, Maße, in dem mit Hilfe einer von ihr produzierten »Alter-
die versuchte, eine praktische Alternativgesellschaft aufzu- nativideologie« die Banalität ihrer ökonomischen Tätigkei-

70 71
ten ideologisiert wurde. Dieser Prozeß konnte zunehmend Diese nachträglich geäußerte Kritik bleibt jedoch in ge-
als verkaufsförderndes Mittel von in unterkapitalisierten Be- wisser Weise »objektivistisch« und der historischen Situati-
trieben hergestellten Produkten eingesetzt werden. Der Be- on Mitte der 70er Jahre aufgesetzt. Zudem ist sie mit Verall-
griff der »Alternativökonomie« wirkte sozusagen als ein gemeinerungen gegenüber einem »Gegenstand« verbun-
Mittel betriebswirtschaftlicher Rationalität, die gezielt im den, der selber in sich widersprüchlich ist: Noch immer exi-
kapitalistischen Markt der Produkte eingesetzt wurde. Mit stieren alternative Projekte, die nach wie vor auf den Prinzi-
einem überteuerten Bioapfel oder einer biodynamisch ver- pien der Autonomie, der Selbstorganisation, der authenti-
kleideten Futtermöhre aus einem Alternativprojekt wurde schen Artikulation von Bedürfnissen und Interessen basie-
die »Gesundheitsideologie« gleich mitbezahlt. Bereits im ren. Sie begreifen sich als Provisorium gegenkultureller Le-
Entstehen der Alternativbewegung war somit eine Tendenz bensformen, die die Basis dafür bilden, sich der kapitalisti-
des Übermächtigwerdens von ökonomischen Sachzwängen schen Leistungsgesellschaft zu verweigern.
über das Bewußtsein der in der Bewegung tätigen Individu-
»Die letzten Dinge eines jeden ernsthaften Sozialrevolu-
en angelegt. Das hat in der weiteren Entwicklung bis zum
tionärs: gemeinschaftliches Eigentum, egalitäre hohe Einkommen
Ende der 80er Jahre seinen Ausdruck in der weitgehenden
bei möglichst wenig notwendiger Arbeit und möglichst viel selbst-
Integration vieler ehemaliger Alternativbetriebe in das kapi-
bestimmter Tätigkeit, Aufhebung des Geschlechterwiderspruchs,
talistische Marktgeschehen gefunden.
Auflösung der Kernfamilie, dezentrale Selbstbestimmung unter
Ökonomischer Krisendruck im Zusammenspiel mit der
Ausschaltung jeder Art von Bürokratie und Staat, alternative
innovativen Integration bestimmter, ursprünglich gegenkul-
Technologie und dadurch Rekonstruktion der natürlichen Um-
tureller Ansätze der Alternativbewegung sorgten dafür, daß
welt, sind sicher nur in Keimform heute vorwegnehmbar. Und
viele ihrer ehemaligen Aktivisten mittlerweile auf den Inter-
dennoch bin ich davon überzeugt, daß die ersten direkten Schritte
essenshorizont eines »alternativen Kleinunternehmers«
darauf so ungeheuer wichtig sind, weil sie einen neuen Anfang
herabgesunken sind. Hinter dem Rücken von vielen Akteu-
darstellen. Einen Anfang zu neuen Hoffnungen, nämlich dazu,
rInnen haben sich in diesem Prozeß der gesellschaftlichen
daß sich die Kluft zwischen den unmittelbar möglichen Ansätzen
Reintegration die kapitalistischen Leistungsnormen und
zu sozialer Selbstverwirklichung und dem gesamtgesellschaftli-
Prinzipien wieder erneuert.
chen Ziel eines Tages doch als überbrückbar erweisen wird« (K.H.
In autonomen Kreisen gehört es zum guten Ton, eine
Roth).
scharfe und grundsätzliche Kritik an den mit der Alternativ-
bewegung verknüpften Illusionen zu üben. Die Entwicklung Gerade diese in einigen Projekten vorhandenen An-
der Alternativbewegung zeige, daß die Kritik an bestimmten sprüche machen es vielen Linksradikalen in den Großstäd-
Lebensformen immer integrierbar sei und verquere Form ten immer noch möglich, sich dort relativ frei und eingebet-
annehme, solange sie sich nicht mit dem Kampf gegen die tet in solidarischen Kommunikationsstrukturen zu bewegen.
Verhältnisse verbinde, die sie produzieren würden. Die Al- So wurden zwar während der West-Berliner Hausbesetzer-
ternativbewegung sei für das Kapital total produktiv gewe- bewegung Anfang der 80er Jahre von Autonomen bestimm-
sen, da sie die ganzen rebellischen Elemente aus den Fabri- te Formen der Alternativbewegung scharf kritisiert, die sie
ken und von der Straße weggeholt und mit dem Aufbau ei- jedoch zugleich zu der eigenen »ökonomischen Basis« des
nes Ghettos beschäftigt habe. Zudem habe sie der Ausbeu- Kampfes erklärten (siehe hierzu auch das Kapitel über die
tung durch das Kapital die ideologisch verschleierte Selbst- Autonomievorstellungen im West-Berliner Häuserkampf).
ausbeutung hinzugefügt (vgl. hierzu: »Wildcat« Nr. 40/ Nach wie vor existieren noch Teile von Alternativprojekten
1986). als Absprungbrett für den politischen Kampf der darin täti-

72 73
gen GenossInnen. Deshalb geht auch jede pauschalisierende litische Bewegung selbst stellte: Regionalismus, Alternativbewe-
Kritik an den Projekten an einer Bewegung vorbei, die oh- gung und Gegenökonomie. Ökologische Fragestellungen und Un-
nehin aufgrund der Systemintegration Ende der 80er Jahre tersuchungen finden sich in den ersten Heften nur begrenzt.
ihre ursprünglich einmal gemeinsamen Konturen verloren Durchgängig ist jedoch die Beschäftigung mit dem Thema Knast,
hat. sei es, daß über politische Prozesse informiert wird oder Gefangene
zu Wort kommen« (Ebbinghaus).
Das Zeitschriftenprojekt AUTONOMIE
Aus Frankfurter Sicht kam diese Zeitschrift in eine Si-
Ab Oktober 1975 erschien die Zeitschrift AUTONOMIE mit
tuation, wo antiautoritäre Organisationsformen von Partei-
dem programmatischen Untertitel »Materialien gegen die
plänen bedroht wurden. Zudem schien die zuvor propagier-
Fabrikgesellschaft«. Das Projekt entstand aus dem Zerfall
te Betriebsarbeit nur dem Reformismus zu dienen, und dar-
der »Wir wollen alles«-Gruppen, deren Zeitung im Som-
über hinaus ließ die aufkommende Anti-AKW-Bewegung
mer des gleichen Jahres ihr Ende gefunden hatte. Die
die proletarische Orientierung fragwürdig werden. Demge-
AUTONOMIE kann als eine Art Theorieorgan der WWA-
genüber hielten die Hamburger in ihren Beiträgen an einer
Gruppen zu einem Zeitpunkt begriffen werden, als diese
marxistisch-operaistischen Orientierung fest.
sich in einer Phase der Neuorientierung befanden.
So fanden sich unter dem Oberbegriff »AUTONOMIE«
Die Zeitschrift existierte mit einem wesentlichen Bruch
zunächst zwei völlig unterschiedliche und dann zunehmend
um die Jahreswende ’78/’79 bis 1985. Bis Ende des Jahres
entgegengesetzte Orientierungen. Dem eher subjektivi-
1978 wurde die Redaktion sowohl von einer Frankfurter als
stisch-ästhetischen Ansatz der »Frankfurter« stand der eher
auch von einer Hamburger Gruppe besorgt. Nach dem
analytisch kompromißlose revolutionäre Ansatz der »Ham-
Bruch wurde sie als »Neue Folge« allein von den Hambur-
burger« gegenüber. Aufgrund dieser Differenzen kam es
gern bis zu ihrer Einstellung 1985 fortgeführt.
nach dem Heft 12 im Dezember 1978 zwischen beiden Re-
Im Gegensatz zur »Neuen Folge«, die stets als themati-
daktionsgruppen zur Spaltung. Dazu schreiben die »Ham-
sche Schwerpunkthefte konzipiert wurde, machte die
burger«:
AUTONOMIE bis 1979 in ihren Beiträgen die schillernden
Facetten dieses Begriffes deutlich. Dabei wurde die starke »Die ›Autonomie‹ entstand einmal in dem Moment, als die
Unterschiedlichkeit der verschiedensten Diskussionsansätze linksradikalen Gruppen, die sich als Versuch der organisierten
deutlich: Fortsetzung und Umwandlung der sozialrevolutionären Bewe-
gung gegen Ende der 60er Jahre verstanden, auseinanderfielen.
»Da finden sich Auseinandersetzungen mit der theoretischen
Die Entdeckung der Vielfalt, die die ›Autonomie‹ von Anfang an
Position des Operaismus ebenso wie die eigenen Betriebserfahrun-
kennzeichnete, war nicht gedacht als Aufgabe des revolutionären
gen. In der AUTONOMIE werden aber auch Brüche mit der eigenen
Impulses. Ausgangspunkt war damals vor etwa drei Jahren die
Vergangenheit deutlich: So beispielsweise die Rezension von Tho-
Einsicht, daß die Gruppen nicht nur an der repressiven Realität
mas Schmid über Glucksmann ›Köchin und Menschenfresser‹ oder
der BRD zerschellt waren, daß sie vielmehr auch keine angemes-
J. Fischers Aufsatz anläßlich der Demonstration zum Tod von
sene, weil beschränkte und ärmliche Antwort auf den umfassenden
Ulrike Meinhof. Neben historischen Analysen wie ›Taylor in Ruß-
Prozeß sozialer Neuzusammensetzung waren. So waren die Dis-
land‹; ›Lebensmittelunruhen in Bremen 1920‹ oder ›Gebär-
kussionen um die Community, den Regionalismus und die Mikro-
streikdebatte vor dem Ersten Weltkrieg‹ wurden Aufsätze zur ak-
physik der Macht und anderes erste tastende Versuche, uns von den
tuellen gesellschaftlichen Realität, Arbeitslosigkeit und Krise pu-
theoretischen und politischen Versteinerungen, die wir ’68 ff erlebt
bliziert. Stärker vertreten sind jedoch die Themen, die sich die po-
und mitgetragen haben, wieder freizuschaufeln und uns an ein

74 75
Verständnis der modernen Klassenrealität und ihrer noch gänzlich Sozialstrukturen der BRD, die revolutionären Entwicklun-
unerforschten Geschichte heranzutasten. gen im Iran, die Interventionen in die Hausbesetzer- und
Später kam es anders, die Vielfalt nahm selbstgenügsame Züge Anti-AKW-Bewegung, Repression, die Aufarbeitung der
an, sie wurde zum gepflegten Pluralismus. Wo eine aktuelle revo- Geschichte der italienischen Autonomia, die Klassenanalyse
lutionäre Perspektive nötig gewesen wäre und die Vielfalt hätte in des Imperialismus in den Metropolen sowie der Versuch der
sie einfließen müssen, bewirkte der selbstgenügsame Umgang mit Begründung eines »neuen Antiimperialismus«.
den einzelnen Bausteinen dieser Vielfalt etwas anderes: es entstand Dabei blieb jedoch ihr Verhältnis zur jeweils aktuellen
eine Ideologie hart an der Grenze der Philosophie der Bewegungs- Politik von Autonomen widersprüchlich. In den Heften
losigkeit – der neuentdeckte Reichtum (der freilich weit ärmer ist wechselt ständig der Versuch von einer nüchternen Bereit-
als er tut) machte den Gegner und auch die Frage der Macht ver- stellung von »Materialien gegen die Fabrikgesellschaft« im
gessen. Die ›Autonomie‹ hatte an diesem Prozeß teil. Ihr Fehler Sinne von Gegeninformationen zu umfassenderen Gesten
war es, daß sie gegenüber dem Prozeß der (sicher nur teils selbst der politischen Intervention. Diese stellten sich entweder im
gewählten) Abschottung der linksradikalen und alternativen sze- nachhinein als grandiose Fehleinschätzungen heraus (so z.B.
ne blind war, daß es sie nur wenig interessierte, daß hier eine sozi- die Schlußfolgerungen aus den Iran-Heften) oder wurden
alrevolutionäre Bewegung ins Ghetto und die Nutzbarmachung von der autonomen Bewegung nicht aufgegriffen.
abgedrängt wird.«
»In der AUTONOMIE kommt es 1981/82 zur Krise. Zuneh-
Die Hamburger Redaktionsgruppe reflektierte mit die- mend stellt sich die Frage nach praktischer Verwendung des an-
sen Bemerkungen den Prozeß der schleichenden Abkehr gehäuften Wissens über Theorieproduktion und Geschichtsrekon-
ehemals linksradikaler GenossInnen von revolutionären struktion hinaus. Eine praktische Möglichkeit wird in der Erar-
Standpunkten unter dem weiten Deckmantel des »Autono- beitung einer sozialrevolutionären Programmatik gesehen, die auf
mie«-Begriffs. Der Vorwurf erwies sich im nachhinein als eine Vereinheitlichung der dezentralen Teilbereichskämpfe abzielt.
nicht unberechtigt: Ehemalige Frankfurter Spontis be- Die Programmatik ... wird unter dem Titel ›Sozialrevolte und
stimmten seit Anfang der 80er Jahre als Exponenten des so- Organisationsfrage‹ Ende 1982 veröffentlicht ... Als wichtigste
genannten realpolitischen Flügels maßgeblich den Kurs der politische Aufgabe wird die ›Homogenisierung der neuen Massen-
Grünen. Der ehemalige AUTONOMIE-Autor Thomas armut‹ bezeichnet, was über den Aufbau dezentraler autonomer
Schmid galt in den 80er Jahren als »Vordenker« der am Netze erfolgen soll ... Zu dieser Zeit sieht die AUTONOMIE ... in
rechten Rand der Grünen Partei angesiedelten sogenannten der ›JobberInnenbewegung‹ das potentielle Subjekt zur ›Homoge-
»öko-libertären« Strömung, die mit Hilfe des gezielten nisierung der Massenarmut‹ gegen Sozialabbau und Zwangsar-
Mißbrauchs des Begriffs »libertär« einen antisozialistischen beit«. Die von dem AUTONOMIE-Kollektiv mit Hilfe von »mate-
Bogen von den Grünen zu F.D.P. und CDU-Modernisie- rialistischer Theorie« in die JobberInnenbewegung hineinge-
rungspolitikern zu schlagen versuchte. pumpten Hoffnungen erfüllten sich jedoch in der Folge nicht.
Während die Frankfurter Redaktion nach diesem Bruch »1985 erscheint die letzte Ausgabe der AUTONOMIE-Neue Folge,
nur noch zwei Hefte (über »Neue Medien« und die »ästhe- die ... nach eigenen Bekunden eine Bilanz der Diskussionen und
tische Faszination am Faschismus«) produzierte und danach Ergebnisse vergangener Jahre vorlegt. Inhalt des Heftes sind ...
aufgab, setzten die Hamburger das Autonomieprojekt bis Aufsätze zu verschiedenen Aspekten von proletarischer Sozialge-
zum Frühjahr 1985 fort. Wesentliche Schwerpunkte ihrer schichte und der ›technisch–ökonomischen Gewaltmechanismen‹
von einem sozialhistorischen Ansatz motivierten Arbeit wa- von Sozialpolitik gegen die Selbstbestimmung der Klasse. Beson-
ren die Thematisierung faschistischer Kontinuitäten in den ders in diesen Aufsätzen lassen sich die theoretischen Positionen der

76 77
Redaktion anhand ihrer Auseinandersetzung mit der Marxschen volution propagiert, muß sich zugleich auch mit dem Pro-
Kritik der politischen Ökonomie und dem sozialhistorischen An- blem der organisierten Massengewalt und des bewaffneten
satz Thompsons festmachen« (Frombeloff). Kampfes auseinandersetzen. Dabei warf diese Form der Po-
litik radikal die Frage nach der persönlichen Integrität und
Insbesondere die von Detlef Hartmannn in einem Auf-
Identität der in diesem Konzept handelnden GenossInnen
satz über das US-amerikanische Hegemonialsystems von
auf. Der Eintritt in eine bewaffnet kämpfende Gruppe schi-
Bretton Woods, begriffen in der Kontinuität der nationalso-
en zunächst die sonst üblichen klammheimlichen individuel-
zialistischen Großraumplanung in den 30er und 40er Jah-
len Hintertürchen des Rückzugs und der Resignation zu
ren, formulierten Thesen zur »Massenarmut« und der »tri-
verschließen.
kontinentalen Subsistenz« spielten in der zwei Jahre später
Die moralische Dimension – die Entscheidung zum be-
von autonomen Gruppen ausgerufenen Kampagne gegen
waffneten Kampf – verkleinerte aber auch den Raum dafür,
den IWF-Weltbank-Kongreß in West-Berlin eine durchaus
die Grundlagen der verfolgten Linien einer bewaffneten re-
wichtige, wenn auch kontrovers besetzte Rolle.
volutionären Politik stets neu zu bestimmen. Dieser Prozeß
Das Ende des AUTONOMIE-Zeitschriftenprojekts im Jah-
wurde zudem durch die staatliche Repression verstärkt. Un-
re 1985 darf nicht über dessen Bedeutung für die Entwick-
abhängig von der tatsächlichen politischen Bedeutung wur-
lung der autonomen Bewegung hinwegtäuschen. In gewisser
de die Linke mit der Existenz der »Stadtguerilla« schon al-
Weise stellte die »AUTONOMIE – Neue Folge« in der perso-
lein dadurch konfrontiert, daß seit Beginn der 70er Jahre ein
nellen Kontinuität einzelner MitarbeiterInnen so etwas wie
riesig aufgeblähter Bullenapparat die Jagd gegen sie und die
eine historische Brücke von der Studentenrevolte bis zur au-
radikale Linke betrieb.
tonomen Szene in den 80er Jahren dar. In einer Zeit des
theorieabgewandten Pragmatismus stellten sie mit ihren Ganz kurze Geschichte und Konzeptionen der bewaffnet
Beiträgen eine Orientierung dar, die Räume weit über die kämpfenden Gruppen in den 70er Jahren
unmittelbare politische Alltagsarbeit der autonomen Grup-
Während sich die RAF anfangs mit ihren Aktionen noch auf
pen öffnen sollte. Insofern hat das Projekt mit dazu beigetra-
die militanten Basisströmungen aus der APO bezog (vgl.
gen, die Autonomen als eine in der Öffentlichkeit politisch
z.B. die Erklärung zur Befreiung Andreas Baaders), vollzog
verstandene Formation in den 80er Jahren zu entwickeln.
sie später einen Richtungswechsel: Aufgrund praktischer Er-
Stadtguerilla und andere bewaffnet kämpfende Gruppen fahrungen entwickelte die RAF die These von der Unver-
einbarkeit von politischer Massenarbeit mit der Tätigkeit ei-
Zwischen den linksradikalen Gruppierungen im Umfeld der
ner Guerilla.
Spontiszene in den 70er Jahren und den Stadtguerillagrup-
Im Kontext der entstehenden K-Gruppierungen vollzog
pen »RAF«, »Bewegung 2. Juni« und »Revolutionäre Zel-
sie einen weiteren politischen Schwenk hin zu an autoritären
len/Rote Zora« existierte immer ein enges, wenn auch nicht
ML-Mustern angelehnten Kaderprinzipien. Mit diesen
widerspruchsfreies Verhältnis.
Kurswechseln isolierte sie sich zunächst von dem antiauto-
Die Gruppen entstanden ab Ende der 60er Jahre in den
ritären Selbstverständnis der meisten Linksradikalen im
Zentren der Revolte als direkte Antwort auf das Abflauen
Sponti-Umfeld, denen der von der RAF zunehmend prokla-
der Massenkämpfe der APO und deren Begrenzung durch
mierte Führungsanspruch widersprach.
staatliche Repressions- und Integrationsmaßnahmen. Die
Mit ihren antiimperialistischen Aktionen im Mai 1972
bewaffneten Gruppen thematisierten mit ihrer politischen
u.a. gegen das Heidelberger Hauptquartier der US-Streit-
Praxis am konsequentesten die »Machtfrage«: Wer die Re-
kräfte anläßlich einer erneuten Bombardierung Nordviet-

78 79
nams durch die US-Luftwaffe, ging es der RAF darum, sich übernehmen, dazu gehören Knast- und Frauengruppen, Kinder-
auf die existierenden ML-Gruppierungen im Kontext des läden und Alternativzeitungen, die Organisatoren von Miet-
gemeinsamen APO-Erbes zu beziehen. Aufgrund der unso- streiks und Abtreibungsfahrten genauso wie die internationalisti-
lidarischen und feigen Verweigerungshaltung eines großen schen Solidaritätskomitees mit den Völkern in Vietnam, Iran,
Teils der APO-Linken verschob die RAF schließlich ihre po- Palästina, Angola, West-Sahara oder sonstwo.
litische Orientierung auf das Terrain des weltweiten antiim- Die bewaffneten Kommandos waren Ausdruck und Ergebnis
perialistischen Befreiungskampfes, in dem sie sich als Arm dieser Bewegung, sie kamen aus ihr, wurden von ihr genährt und
der im Trikont kämpfenden nationalen Befreiungsbewegun- waren von ihr abhängig – auch wenn das heute einige nicht mehr
gen begriff. Die RAF-Gründergeneration wurde im Som- wahrhaben wollen.
mer 1972 fast vollständig inhaftiert. Die gefangenen Genos- Es war der Versuch, den latenten revolutionären Charakter der
sInnen verstanden sich im Knast als gemeinsam handelndes Bewegung in exemplarische Aktionen umzusetzen und so die Ent-
politisches Kollektiv und versuchten, sich gegen die mörde- wicklung voranzutreiben, die partielle Ohnmacht der Bewegung –
rischen Haftbedingungen der Isolationsfolter durchzuset- zum Beispiel gegenüber Knast und Polizei – zu überwinden« (aus
zen. Aus dieser Situation entstand auch die »Zusammenle- einem Interview mit Ronald Fritsch, Gerald Klöpper, Ralf Rein-
gungsforderung«, die dann zum zentralen Inhalt der Mobi- ders, Fritz Teufel 1978).
lisierungen zu den verschiedenen Hungerstreiks in der Öf-
Nachdem von der ausschließlich in West-Berlin operie-
fentlichkeit wurde.
renden »Bewegung 2. Juni« eine Reihe von erfolgreichen
Die ab 1973 neu entstehenden bewaffnet kämpfenden
und populären Aktionen durchgeführt worden waren (so
RAF-Kommandos versuchten in den Jahren 1975–77, durch
z.B. ein Bankraub, bei dem Schokoküsse an die Kunden ver-
mehrere Aktionen ihre GenossInnen aus den Knästen frei-
teilt wurden, die Entführung des CDU-Spitzenpolitikers
zupressen. Diese »Befreit-die-Guerilla-Guerilla«-Orientie-
Lorenz – »Lorenz-Klau« –, mit der Freiheit für ein paar Ge-
rung brach jedoch spätestens nach der gescheiterten »Of-
nossInnen aus dem Gefängnis erzwungen werden konnte),
fensive ’77« mit den Aktionen gegen Buback, Ponto und der
wurde sie in den Jahren 1975/76 durch die Verhaftung von
Schleyer-Entführung in sich zusammen (siehe hierzu auch
mehreren kämpfenden Gruppen stark geschwächt. In der
das Kapitel über den »Deutschen Herbst«).
Folge spalteten sich die zur »Bewegung 2. Juni« zählenden
Im Gegensatz zur RAF verfolgte die Guerillagruppe
Gefangenen in eine zur RAF tendierende antiimperialisti-
»Bewegung 2. Juni«, die sich nach ihrem eigenen Selbstver-
sche und eine zum sozialrevolutionären Widerstand zuge-
ständnis aus dem Jahre 1972 als »Anfang einer Organisation
wandte Richtung.
verschiedener autonomer Gruppen der Stadtguerilla« ver-
Ein im Prinzip ähnliches Konzept einer »Basisguerilla«
stand, eine wesentlich stärker an den in den Metropolen
verfolgten auch die »Revolutionären Zellen« und die Frau-
herrschenden Widersprüchen orientierte Politik:
enguerilla »Rote Zora«. Die »Revolutionären Zellen«
»Bewegung 2. Juni ist ein politischer Begriff. Er bezeichnet schreiben rückblickend auf ihre Gründungsgeschichte und
die alltägliche Konkretisierung des aus der Jugendrevolte der 60er bezugnehmend auf das von ihnen vertretene Konzept ihrer
gewachsenen politischen Widerstands. Das heißt, daß die Bewe- Zeitschrift »Revolutionärer Zorn« vom Januar 1981:
gung 2. Juni von allen jenen verkörpert wird, die versuchten und
»1973, als eine Revolutionäre Zelle erstmals namentlich Ver-
versuchen, dem alltäglichen kapitalistischen Terror Widerstand
antwortung für Aktionen übernahm, hatten wir uns am Aus-
und Alternative entgegenzusetzen. Dazu gehören Hausbesetzer
gangspunkt von Massenbewegungen geglaubt, die die verschieden-
und Jugendliche, die ihre Jugendzentren in Selbstverwaltung
sten Sektoren der Gesellschaft erfassen würden. Anzeichen gab es

80 81
zur Genüge: Die Streikwelle, die auf Fabriken wie Hoesch, Man- nen bisher in der BRD nicht wieder erreichten Grad an or-
nesmann, John Deere, Klöckner usw. überschwappte, signalisierte ganisierter Massenmilitanz erreichte. Auf der anderen Seite
eine für deutsche Verhältnisse neue Qualität in den Kampfzielen betraten zwei Jahre nach der Botschaftsbesetzung 1975 in
und -formen; an den Fabriktoren der Kölner Fordwerke kristalli- Stockholm wieder Kommandos der RAF die Bühne. Im
sierten sich die Umrisse einer sich autonom organisierenden mul- Frühjahr wurde Generalbundesanwalt Buback und im Som-
tinationalen Arbeiterklasse heraus. Gleichzeitig gärte es in den mer der Chef der Dresdner Bank, Ponto, hingerichtet.
Stadtteilen. Die Jugendbewegung hatte mit dem Kampf für Mit der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Schley-
selbstverwaltete Jugendzentren wieder ein verbindendes politisches er, des »Bosses der Bosse«, durch die RAF in Köln begann ab
Motiv gefunden, das bis in die kleinsten Provinzstädte widerhall- dem 5. September der sogenannnte »Deutsche Herbst«. Ziel
te. In den Hausbesetzungen kam der radikale Wille zum Durch- dieser Aktion war es, eine große Anzahl von RAF-Gefange-
bruch, sich tatsächlich das zu nehmen, was wir brauchten. Mit nen aus dem Gefängnis zu befreien. Die Bundesregierung
dem Schwarzfahren, dem Ladenklau, dem Krankfeiern wurden verhängte sofort eine Informationssperre gegenüber der
andere Formen des Widerstandes als eminent politisch entdeckt, Presse. In der Folge kamen die Medien dieser Strategie der
die bis dahin lediglich privaten Charakter hatten. Zur gleichen von oben erwünschten Gleichschaltung bereitwillig nach.
Zeit entwickelte sich in rasantem Tempo mit der Frauenbewegung Zugleich wurden von den staatlichen Instanzen für 44
eine neue gesellschaftliche Kraft, die vor 1975 in der Kampagne Tage, vermittels der Gewalt eines – in der Verfassung nicht
gegen den § 218 ihren Höhepunkt als überregionale Bewegung vorgesehenen, d.h. illegalen – »Großen Krisenstabes« die
erlebte ... Vor diesem Hintergrund entstand ein Konzept des be- Mechanismen der bürgerlichen Demokratie außer Kraft ge-
waffneten Kampfes, in dem die Stärkung der Masseninitiativen setzt. Unter Bruch aller Fristen parlamentarischer Bera-
durch klandestin operierende autonom und dezentral organisierte tungsregularien wird das sogenannte »Kontaktsperregesetz«
Gruppen der erste Schritt eines langwierigen Angriffs auf die in Rekordzeit im Bundestag eingebracht und beschlossen.
Macht sein sollte. Was wir wollen, ist die Gegenmacht in kleinen Es sieht eine vollständige Isolierung der RAF-Gefangenen
Kernen organisieren, die autonom in den verschiedenen gesell- von der Außenwelt vor. Die davon betroffenen Gefangenen
schaftlichen Bereichen arbeiten, kämpfen, intervenieren, schützen, dürfen keine Zeitung, kein Fernsehen, kein Radio und vor
die Teil von der politischen Massenarbeit sind. Wenn wir ganz allem keine Besuche mehr von Angehörigen, Anwälten oder
viele Kerne sind, ist die Stoßrichtung für die Stadtguerilla als sonstigen Personen erhalten. Es stellt quasi eine Art staatli-
Massenperspektive geschaffen« (Revolutionärer Zorn Nr. 1, Mai cher Geiselnahme von Gefängnisinsassen dar. Noch bevor
1975). das Gesetz rechtskräftig geworden war, wurden Anwälte von
Bemerkenswert an der öffentlichen Wahrnehmung der den Gefängnisbehörden am Besuch ihrer Mandanten gehin-
»Revolutionären Zellen«, die erst nach den Erfahrungen dert. Die offensichtliche Illegalität der staatlichen Maßnah-
mit der RAF gegründet wurden, erscheint der Umstand, daß me wird zwar von dem zuständigen Richter bestätigt, dessen
ihre Existenz im öffentlichen Bewußtsein bei weitem nie den daraufhin getroffene Anordnung, dem Rechtsanwalt Zugang
gleichen Stellenwert einnahm wie die in den Jahren 1970–72 zu seinem Mandanten zu verschaffen, wurde aber von den
bis auf den heutigen Tag negativ institutionalisierte RAF. staatlichen Instanzen ignoriert.
Am 24. September organisierte die internationale Anti-
Deutscher Herbst 1977 AKW-Bewegung eine Massendemonstration gegen den Bau
Das Jahr 1977 ist einerseits durch das massive Auftreten ei- des Schnellen Brüters in Kalkar. Diese endete jedoch – weit-
ner militanten Anti-AKW-Bewegung geprägt, die im Früh- gehend im Vorfeld – in einem bis dato nicht gekannten Aus-
jahr bei dem Versuch der Bauplatzbesetzung in Grohnde ei- maß der staatlichen Repression. Die Bullen sperrten eine

82 83
Reihe von Autobahnen vollständig ab, so daß in der ganzen schließlich Schleyer tot in einem Auto in Straßburg aufge-
BRD auf der Nord-Süd-Autobahnachse der Verkehr zum funden.
Erliegen kam. Dabei wurden mindestens 125.000 (!) Perso- Der Verlauf und die Ereignisse des »Deutschen Herb-
nalienüberprüfungen vorgenommen, Polizeihubschrauber stes« wurden für die neue Linke zu einer Zäsur und einem
hielten auf offener Strecke Bundesbahnzüge an, die ebenso Fixpunkt ihrer eigenen Identität. Während ein Teil sich in
wie ganze Buskonvois von mit Maschinengewehren bewaff- unterwürfiger Distanzierung dem Staat als Grenzträger der
neten Bullen durchsucht wurden. Die meisten Demoteil- Macht anzudienen suchte (vgl. hierzu die Erklärung der 177
nehmerInnen kamen entweder gar nicht oder viel zu spät zu Hochschullehrer), verharrte der größere Teil aufgrund der
der geplanten Kundgebung. Die im Verlauf der Anreise zu Ereignisse im sprachlosen Schweigen. Gerade in Folge der
dieser Demo gemachten Erfahrungen führten innerhalb der RAF-Aktionen war die linksradikale Spontiszene mit einem
Bewegung zum sogenannten »Kalkar-Schock« und in der enormen Ausmaß an staatlicher Repression konfrontiert.
Folge zu einer teilweisen Demoralisierung der Anti-AKW- Der bereits nach dem »Mescalero«-Nachruf zur Buback-
Strukturen. Erschießung im Frühjahr lastende Repressionsdruck ver-
Nachdem von dem »Großen Krisenstab« gegenüber den schärfte sich nochmals im Herbst: Ganze Straßenzüge wur-
Entführern Schleyers eine Hinhaltetaktik eingeschlagen den von mit Maschinengewehren ausgerüsteten Bullen ab-
worden war, spitzte sich die Situation nach der Flugzeugent- geriegelt, gegen bekannte Linksradikale wurden mehr als
führung einer Lufthansamaschine aus Mallorca am 13. Ok- einmal von den Bullen mit gezogener Knarre Personalienü-
tober zu: Die Geiselnahme von zufällig in diesem Flugzeug berprüfungen durchgeführt, Treffpunkte der Szene wurden
sitzenden Touristen sollte, aus Sicht eines arabischen Kom- durchwühlt.
mandos, den Druck auf die Bundesregierung zur Freilassung Der »Deutsche Herbst« traf die undogmatischen Links-
der RAF-Häftlinge erhöhen. Im »Großen Krisenstab« wur- radikalen in einer Phase der Umorientierung, weg von den
den die Bemühungen verstärkt, um zu einer militärischen verlorengegangenen Betriebsinterventionen und Häuser-
Lösung des ganzen Problems zu kommen. In diesem Zu- kämpfen hin zu den bis dato erfolgreichen Anti-AKW-Ak-
sammenhang wurden zunehmend »exotische Gedanken- tionen. Dieser politischen Wende wurde aber durch die Er-
spiele« erörtert, in denen z.B. Strauß und der Generalbun- eignisse nach dem »Kalkar-Schock« die Spitze gebrochen.
desanwalt Rebmann offen für die Hinrichtung der RAF-Ge- In dem antiimperialistischen Szenario von Attentaten und
fangenen plädierten. Nachdem diese »Gedankenspiele« Flugzeugentführungen der 77er RAF-Offensive spitzten
auch öffentlich über Fernsehen, u.a. von Golo Mann, propa- sich die bereits 1972 in den Richtungswechseln der RAF an-
giert wurden, kam es schließlich am 17.10. zu einer Beendi- gelegten Spaltungs- und Trennungsprozesse zu den Linksra-
gung der Flugzeugentführung durch ein GSG 9-Komman- dikalen zu. Die während der Schleyer-Entführung unter
do, welches das Flugzeug in Mogadishu stürmte und die dem Druck der staatlichen Repression noch verschärfte
Entführer tötete. Am nächsten Morgen wurden die sich in sprachlose Statisten- und Zuschauerrolle der Spontis wurde
totaler staatlicher Verfügungsgewalt befindlichen RAF-Ge- durch die massive Distanzierung und Entsolidarisierung des
fangenen Andreas Baader, Jan Carl Raspe und Gudrun Ens- linksliberalen und akademischen 68er Milieus vollends zu
lin tot und Irmgard Möller lebensgefährlich verletzt in ihren einem traumatischen Erlebnis für die Linksradikalen.
Zellen aufgefunden. Schon einige Stunden danach verbrei-
teten staatliche Stellen die Version vom Selbstmord der Ge- Eine Reise nach TUNIX
fangenen, wobei die genauen Umstände ihres Todes damals Ende Januar 1978 kam es in West-Berlin zum TUNIX-
wie heute ungeklärt sind. Am Abend des 18. Oktober wurde Treffen. Etwas über drei Monate nach dem »Deutschen

84 85
Herbst« war es von GenossInnen aus dem Sponti-Umfeld wurde. Die dort zunächst ausgedrückte »klammheimliche
mit einer politischen Stoßrichtung gegen das »Modell Freude« über die Hinrichtung Bubacks wird am Schluß mit
Deutschland« vorbereitet worden. Das »Modell Deutsch- der Feststellung relativiert:
land« war spätestens nach den Ereignissen im Herbst ’77
»Unser Zweck, eine Gesellschaft ohne Terror und Gewalt
zum Synonym für eine scharfe Repressionspraxis gegen die
(wenn auch nicht ohne Aggression und Militanz), eine Gesell-
Linke geworden. In diesem Zusammenhang wurde sowohl
schaft ohne Zwangsarbeit (wenn auch nicht ohne Plackerei), eine
die Frage eines »neues Faschismus« diskutiert als auch erste
Gesellschaft ohne Justiz und Anstalten (wenn auch nicht ohne Re-
Vorbereitungen für die Durchführung eines »Russell-Tribu-
geln und Vorschriften oder besser: Empfehlungen), dieser Zweck
nals« über die Situation der Menschenrechte in der BRD
heiligt eben nicht jedes Mittel, sondern nur manches. Unser Weg
getroffen. Die Sponti-Linke veröffentlichte in dieser Situa-
zum Sozialismus (wegen mir: Anarchie) kann nicht mit Leichen
tion einen Aufruf, in dem offensiv der Auszug aus dem »Mo-
gepflastert sein.«
dell Deutschland« propagiert wurde:
Obwohl das Pamphlet eine deutliche Kritik an der RAF
»UNS LANGT’S JETZT HIER! – Der Winter ist uns zu trist, der
beinhaltete, löste es eine massive staatliche Kriminalisie-
Frühling zu verseucht und im Sommer ersticken wir hier. Uns
rungswelle gegen die undogmatische Linke in der ganzen
stinkt schon lange der Mief aus den Amtsstuben, den Reaktoren
BRD aus. Teile der linksradikalen politischen Szene in Göt-
und Fabriken, von den Stadtautobahnen. Die Maulkörbe
tingen wurden mit Hausdurchsuchungen überzogen, im
schmecken uns nicht mehr und auch nicht mehr die plastikver-
Bundesgebiet kam es zu über 100 Ermittlungsverfahren ge-
schnürte Wurst. Das Bier ist uns zu schal und auch die spießige
gen Herausgeber und Zeitungen, die den Aufruf aus Solida-
Moral. Wir woll’n nicht mehr immer dieselbe Arbeit tun, immer
rität gegen die Repression aus der Göttinger AStA-Zeitung
die gleichen Gesichter zieh’n. Sie haben uns genug kommandiert,
nachgedruckt hatten. Nachdem eine Reihe von Professoren
die Gedanken kontrolliert, die Ideen, die Wohnung, die Pässe, die
den »Buback-Nachruf« unter ihrem Namen neu herausge-
Fresse poliert. Wir lassen uns nicht mehr einmachen und kleinma-
geben hatten, wurden sie sofort disziplinarrechtlich belangt.
chen und gleichmachen. – WIR HAUEN ALLE AB! – ... zum Strand
In Niedersachsen wurde von den Herausgebern eine
von Tunix.«
»Treue-Erklärung zum Staat« abverlangt, die Peter Brück-
Die Vorbereitung und der Ablauf des Treffens war Aus- ner verweigerte, weswegen er u.a. von seinem Uni-Job sus-
druck mehrerer Entwicklungslinien der radikalen Sponti- pendiert wurde.
Linken in der BRD, die sich grob mit den Stichworten »Me- Die Repressionen der staatlichen Instanzen dienten da-
scalero-Stadtindianer«, »Krise der Linken« und »Zwei Kul- zu, die politischen Widersprüche innerhalb der Linksradika-
turen« fassen lassen. len einzuebnen, um sie an der »Gewaltfrage« zu polari-
Die Sponti-Linke hatte spätestens ab Mitte der 70er Jah- sieren.
re, nachdem die Mobilisierungswirkung der studentischen In der Reaktion auf diese Repression entstand in einem
K-Gruppen nachgelassen hatte, mit sogenannten »Basis- Zusammenhang von Resignation, anarchistischer Revolte
gruppen« an großer Attraktivität gewonnen und in einer und Fluchtwünschen die Idee des TUNIX-Treffens, das der
Reihe von Unis die Studentenvertretungen gestellt. In die- Sponti-Linken nach dem »deutschen Herbst« zu neuem
sem Umfeld entwickelte sich, auch beeinflußt durch die Er- Selbstbewußtsein verhalf. Das Autorenkollektiv aus der Vor-
eignisse in Italien, eine Art Stadtindianer-Bewegung, deren bereitungsgruppe Quinn der Eskimo, Frankie Lee und Judas
markantester Ausdruck der vom Genossen »Mescalero« aus Priest schreibt dazu:
Göttingen verfaßte »Buback-Nachruf« im Frühjahr 1977

86 87
»Die Schwäche der Linken war und ist in ihrer Unfähigkeit wurden von den Demonstranten mit Hakenkreuzen und SS-Ru-
begründet, die Tendenzen zur Herrschaftssicherung begreifbar, nen beschmiert ... Zu einem regelrechten Steinhagel kam es dann
faßbar zu machen, deren subtilen Charakter eine subversive Stra- vor dem Amerikahaus in der Hardenbergstraße. Die Polizeibe-
tegie entgegenzusetzen. Unzufriedenheit war ein wesentliches amten hatten den Demonstrationszug durch Schlagstockeinsatz
Moment für den ›Massenerfolg‹ von TUNIX. Aber nicht etwa zeitweise geteilt, nachdem die ersten Steine gegen das Amerika-
nur eine Unzufriedenheit mit den Zuständen und Perspektiven in haus geflogen waren und in dem Zug aufgerufen worden war, zur
der BRD, die zumindestens unter der Oberfläche millionenfach Ecke Kurfürstendamm/Joachimstaler Straße zu laufen. Darauf-
gärt, sondern Unzufriedenheit mit dem, was an Veränderungs- hin warfen Teilnehmer aus dem abgetrennten Zug einen wahren
strategien angeboten wird. Darin war das Bedürfnis, mit glei- Steinhagel, so daß die Polizei zurückweichen mußte und sich der
chermaßen Unzufriedenen zusammenzukommen, begründet. Zug wieder vereinen konnte. Er zog zum Kurfürstendamm ...
Für uns spielte auch die Unzufriedenheit mit unserem eigenen Eine große deutsche Fahne war mit der Aufschrift ›Modell
Verhalten eine große Rolle. Miteinzustimmen in den Chor der Deutschland‹ an einen Lautsprecherwagen der Demonstranten
Distanzierer oder Rücksicht zu nehmen auf das allgemeine Klima gebunden und durch den Straßenschmutz gezogen worden. An der
erschien uns als Verleugnung unserer Identität. So war es wohl Ecke Kurfürstendamm/Joachimstaler Straße wurde die Fahne
auch eine Trotzreaktion im Stil von Jetzt-erst-recht-linksradikal, dann vor den Augen von Polizisten und Passanten in Brand ge-
als wir zur Reise nach TUNIX aufriefen. Unsere Identität ist steckt ... In dem Zug waren von Anarchisten Transparente mit
ausschließlich eine ›linksradikale‹. Wenn wir uns darin verleug- Aufschriften ›Stammheim ist überall‹ mitgetragen worden und
nen, bleibt von uns nur noch Zynisches übrig ... Wegen der Be- ›Weg mit dem Dreck‹ sowie ›Pfui Deibel‹. Zahlreiche Häuser-
fürchtung, unsere Identität würde angeknackst werden, wenn wir wände entlang des Demonstrationszuges wurden mit Farbauf-
uns der Situation Herbst ’77 entziehen würden, wurden wir in- schriften beschmiert, wie ›Laßt die Agit-Drucker frei‹ oder ›An-
itiativ und haben dabei zum Prinzip gemacht, öffentlich und an- archie ist möglich‹. Vor den Gefängnissen forderten die Demon-
greifbar zu dem zu stehen, was wir wollen. Weder von Verfas- stranten in Sprechchören: ›Laßt die Gefangenen frei‹.«
sungsspitzeln noch von politischen??? wollten wir uns einschüch-
Der Ablauf von TUNIX machte ein Netz von Kommu-
tern lassen.«
nikations- und Informationszusammenhängen sichtbar, das
Diese Stimmung drückte sich auch in der zum Abschluß innerhalb eines Monats nach Veröffentlichung des Aufrufes
des Treffens durchgeführten Demonstration aus. Zur Illust- in der Lage war, 15–20.000 Menschen zu einer Teilnahme
ration ein Auszug aus einem Bericht des »Tagesspiegel« vom zu bewegen. TUNIX war der Höhepunkt, das letzte »Feu-
29.1.1978: erwerk« der bundesdeutschen Sponti-Bewegung aus den
70er Jahren. Einerseits gelang es den Spontis, sich vorüber-
»Zum erstenmal seit langem kam es gestern in Berlin wieder
gehend als Kommunikationszusammenhang nach dem
zu einer gewaltsamen Demonstration. Aus dem Zug von etwa
»Deutschen Herbst« zu reorganisieren, andererseits führte
5.000 Teilnehmern an dem dreitägigen ›TUNIX‹-Treffen in der
die auf dem Treffen propagierte Aussteigerwelle aus dem
Technischen Universität, die aus Berlin, Westdeutschland und dem
SPD-»Modell Deutschland« zu einer nachfolgenden Zer-
westeuropäischen Ausland gekommen waren – darunter soge-
setzung und dem Zerfall der Bewegung in eine Gesellschaft
nannte Spontis und Stadtindianer sowie andere nicht-organisierte
der »Zwei Kulturen«.
Linke –, wurde vor dem Frauengefängnis in der Lehrter Straße
Der Begriff »Zwei Kulturen« kam aus den italienischen
zunächst mit Farbeiern gegen Polizeibeamte und später dann vor
Diskussionen und entstand im Zusammenhang mit den
dem Gerichtsgebäude in der Moabiter Turmstraße bereits mit
Konflikten der Autonomiabewegung ’77 gegenüber der
Pflastersteinen geworfen ... Einzelne Einsatzwagen der Polizei

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PCI. In der BRD wurde er vom damaligen Berliner SPD- nannter TUWAT-Kongreß organisiert wurde. Hier wurde
Wissenschaftssenator Glotz propagandistisch mit dem Ziel dann ganz selbstverständlich über die Bedeutung der Theo-
aufgenommen, neue Dialog- und Integrationsstrategien ge- rien aus der italienischen Autonomia für den Häuserkampf
gen die Linksradikalen zu praktizieren. Die perfide Logik in diskutiert. Nicht nur an diesem Beispiel werden Kontinuitä-
der Anwendung des Begriffs durch den Sozialtechnokraten ten sichtbar.
Glotz lag darin, die widerständigen und autonomistischen
Impulse der entstehenden Alternativbewegung im »politi-
schen Diskurs« zu entpolitisieren. Die »Alternativkultur«
sollte für die »Mehrheitskultur« als eine Art gesellschaftli-
ches »Soziallaboratorium« und »Experimentierfeld« die-
nen. Unter sozialdemokratischer Hegemonie sollten dann
die innovativsten und wettbewerbsträchtigsten Impulse aus
der »Alternativkultur« für eine modernisierte bürgerliche
Gesellschaft vereinnahmt werden. Allerdings wurde die
Vorstellung von zwei sich ergänzenden Kulturen auch von
einem Teil der Spontiszene begeistert aufgenommen, da er
quasi von höchster Stelle das eigene Selbstverständnis der
Form nach anerkannte. Darüber wurde zudem die scheinbar
praktikable Illusion verstärkt, sich den kapitalistischen Herr-
schafts- und Ausbeutungsmechanismen der »Mehrheitskul-
tur« durch den Aufbau einer »Gegen- oder Alternativkul-
tur« entziehen zu können.
In den Jahren 1978–80 kommt es zu der bis dato stärk-
sten Gründungswelle von ökonomischen Alternativprojek-
ten. Damit setzte sich die bereits in Frankfurt nach dem Ab-
flauen der Häuserkämpfe abzeichnende Tendenz bundes-
weit verstärkt fort. West-Berlin wurde dabei zur »heimli-
chen Hauptstadt« der Alternativbewegung. Schätzungen aus
dem Jahr 1979 gehen davon aus, daß sich in der Stadt rund
100.000 Menschen – in einem sehr weiten Sinne – der Alter-
nativszene zugehörig fühlten. Die von Linksradikalen disku-
tierte Befürchtung einer reibungslosen, selbstzufriedenen
und genügsamen Integration dieser Bewegung in die herr-
schenden Verhältnisse bestätigte sich zunächst jedoch nicht.
Gerade in West-Berlin wurde die Alternativbewegung zum
Mobilisierungsboden für die in den Jahren 1979/80 entste-
henden Ansätze einer Instandbesetzerbewegung. Um die
Jahreswende ’80/’81 kam es dort zu einer nicht erwarteten
Hausbesetzerbewegung, in deren Zusammenhang ein soge-

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The Making of the Autonomist allem von vielen jüngeren Leuten getragen wurde. Ihre Er-
Groups in the 80s fahrungen waren dabei stark durch eine in dieser Zeit vor-
herrschende »No-Future«-Haltung, die Konfrontation ge-
gen bürgerliche Herrschaftsnormen und die Thematisie-
rung der eigenen Bedürfnisse geprägt. Zentrales Medium
In den Jahren 1980–83 kam es in der BRD und West-Berlin der Verständigung wurden – im Unterschied zu den studen-
zu einem ungeahnten Aufschwung der neuen sozialen Bewe- tischen Teach-ins der 60er und 70er in den Universitäten –
gungen. Diese entstanden teilweise aus dem Umfeld der Al- sogenannte »Vollversammlungen«, die abgeschottet von ei-
ternativbewegung, soweit diese sich noch als ein gegenkul- ner bürgerlichen Öffentlichkeit den Raum für alle Bewegten
tureller Ansatz verstand. Die thematische Eingrenzung ver- öffneten, über ihre politischen Ziele und die dafür notwen-
schiedener Teilbewegungen (Anti-AKW, Häuserkampf, digen Formen zu diskutieren.
Startbahn-West und Frieden) wurde in diesen Jahren in teil- In diesem Abschnitt soll die Geschichte der Autonomen
weise erbittert geführten Auseinandersetzungen mehr als in der ersten Hälfte der 80er Jahre wesentlich im Zusam-
einmal durchbrochen. Der Aufschwung der Bewegungen menhang mit der Entwicklung der neuen sozialen Bewegun-
stand im Zusammenhang mit der Sozialrevolte 1980/81, die gen beschrieben werden. Dieser Begriff skizziert einen An-
mit einer Welle von militanten Auseinandersetzungen mit satz zur Erklärung gesellschaftspolitischer Konflikte seit
der Staatsmacht, ausgehend von Zürich und Amsterdam Mitte der 70er Jahre in den westlich-kapitalistischen Staa-
über Freiburg, Hamburg bis nach West-Berlin, die ganze ten. Gegen Ende der 70er Jahre wurde dieser Begriff von ei-
West-Republik durchlief. Für diese Entwicklung wurde von ner linksliberalen Universitätsszene entwickelt und ebenfalls
bürgerlichen Soziologen und Journalisten der irreführende in die Kontinuität des Erbes der Studentenrevolte gestellt.
Begriff der »Jugendrevolte« eingeführt. Der Begriff unter- Gleichwohl ist er zugleich mit stark mittelschichtsorientier-
schlägt, daß viele bewegte Jugendliche nicht wegen ihrer ten Sichtweisen verbunden worden. Unverkennbar existierte
»Jugend« revoltiert haben, sondern aufgrund ihrer massiven bei der NSB-Forschung von vorneherein eine Tendenz, in
sozialen und politischen Unzufriedenheit. Darüber hinaus der Existenz der grünen Reformpartei eine politisch gelun-
verdeckt dieser Begriff, daß sich der Unmut teilweise mit gene Verwirklichung der Basisbewegungen zu begreifen. Da
den Strukturen älterer linksradikaler Zusammenhänge ver- nimmt es denn auch nicht wunder, daß in den Untersuchun-
band und eine Kontinuität von ein paar Jahren entwickeln gen vor allem der auch in diesen Bewegungen vorhandene
konnte. Ohne diese organisatorischen und politischen Ver- modernistische Impuls herausgearbeitet und im Sinne eines
knüpfungen hätte sich die sogenannte »Jugendrevolte« wohl »allgemeine Wertewandels« positiv bewertet wird.
eher in einem sporadischen Aufflackern einer ziellosen ju- Schließlich sind doch auch Vertreter der Atommafia der
gendlichen Bandenmilitanz ausgedrückt als in Aktionen ge- Anti-AKW-Bewegung ganz dankbar dafür, daß diese hin
gen AKWs, Startbahn-West, Wohnungsleerstand usw. Die und wieder ein für sie – unter kapitalistischen Gesichtspunk-
Sozialrevolte vieler Jugendlicher wurde von älteren Genos- ten – unrentables Projekt verzögert oder verhindert hat.
sInnen mit Verwunderung registriert, weil sie eine derartige Außerdem leben auch AKW-Direktoren ganz gern gesund,
Militanz auf den Straßen nach dem »Deutschen Herbst« kaufen in Müsli-Läden ein und achten auf biodynamische
nicht mehr für möglich gehalten hatten. Vollwertkostnahrung. Und so fügt der »Weltgeist« der
In den jeweiligen Bewegungen bildete sich ein sich selbst NSB-Forschung einstmals unversöhnlich scheinende politi-
als militant verstehender autonomer Flügel heraus, der vor sche Konflikte in einem neuen sozialdemokratischen »Pro-
jekt der Moderne« von Onkel Habermas zusammen. Dabei

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geht es in dem von einem grün-alternativen Dämmerlicht produktionsbereich heraus. Zeitweilig stand sie unter einem
mild ausgeleuchteten Raum nicht mehr um so antiquiert starken Druck von weiten Teilen der Arbeiterbewegung, ins-
scheinende Begriff wie z.B. »Klassenkampf« und »Imperia- besondere aus der Atom- und Kraftwerksindustrie, die für
lismus«: gefragt ist die Entfaltung von »qualitativen Bedürf- die reformistischen DGB-Gewerkschaften den Raum für
nissen«, von »Partizipation«, »Mitbestimmung«, denn massive Pro-AKW-Mobilisierungen ihrer Facharbeiterbasis
schließlich geht es doch um ein gesundes angenehmes Le- öffneten. Demgegenüber ist in der Zusammensetzung der
ben der neu sozial Bewegten. Immerhin ist es schon eine be- Bewegungen festzustellen, daß die TrägerInnen zwar viel-
achtliche intellektuelle Leistung, die militanten Anti-AKW- fach aus den sogenannten »Mittelschichten« kommen, sich
Kämpfe in Brokdorf und Grohnde mit allen ihren antikapi- jedoch als relativ offen für egalitäre Strukturen und zum Teil
talistischen und herrschaftskritischen Ausdrücken auf ein für antikapitalistische Ziele erwiesen haben. Auch wenn die-
»Mitbestimmungsmißverständnis« bei der Planung einer se Offenheit im Rahmen der NSB durchaus von bestimmten
doch allen dienenden rationalen Energieversorgung zu re- Trägergruppen (z.B. Großbauern in der Anti-AKW-Bewe-
duzieren. Sei’s drum. Uns soll’s nicht scheren, wenn diese gung) opportunistisch gehandhabt worden ist – vielen Bür-
Art der akademischen Forschung Autonome lediglich als gern ist es egal, wer für ihr Interesse bei der Verhinderung
»Herausforderung« in Gestalt einer sogenannten »neuen des AKWs in ihrer Gemeinde die Köpfe hinhält –, ist damit
Armut« an die Alternativbewegung begreifen kann und so- allenfalls etwas zu nicht überwindbaren sozialen Begrenzun-
mit glücklicherweise nur wenig versteht. Doch genug pole- gen innerhalb von Bewegungen gesagt, jedoch noch nichts
misiert. über die politische und gesamtgesellschaftliche Bedeutung
Das Konzept der NSB gliedert sich ein in eine gesell- dieser Bewegungen. GenossInnen von der »Roten Hilfe«
schaftliche Wirklichkeit in den westlich-kapitalistischen West-Berlin haben schon im Jahr 1973 die politische Bedeu-
Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg, die unter dem Begriff tung des Klassencharakters von sozialen Bewegungen in
des »Fordismus« gefaßt wird. Der Begriff kennzeichnet eine sehr hellsichtiger Weise diskutiert. Sie schreiben auf eine
Gesellschaftsformation, die basierend auf einem hohen Kritik der K-Gruppen an den Bürgerinitiativen:
Grad banalisierter Massenproduktionen (z.B. Fließbänder in
»Sowohl der rigide Antirevisionismus als auch die ausschließ-
der Automobilherstellung), einen relativ hohen Standard
liche Konzentration auf die Propaganda der Organisation des
von Massenkonsum bei gleichzeitiger staatlich-juristischer
Proletariats produzierten einen Wirklichkeitsverlust innerhalb
Regulierung der Klassenkonflikte durchgesetzt hat. Der ho-
der Linken und führten zu einem politischen Desinteresse gegenü-
he Grad der Verrechtlichung und »Institutionalisierung«
ber den Konflikten im Reproduktionsbereich, die mit den Bürgeri-
des »Klassenkonfliktes« hat auch dazu geführt, daß wesent-
nitiativen aufbrachen. Vielleicht war es nicht nur Desinteresse:
liche Konflikte und Kämpfe gerade in der BRD außerhalb
denn mit der Liquidation der antiautoritären Bewegung wurden
des Produktionsbereiches stattfanden. Und so schließt sich
insbesondere zwei Tendenzen der politischen Praxis gebrochen; un-
der Kreis zum Begriff der »neuen sozialen Bewegungen«,
ter dem Stichwort ›Handwerkelei‹ wurde eine Basisarbeit denun-
der die überraschende Zusammensetzung, Explosivität und
ziert und aufgelöst, deren politische Praxis an den Konflikten im
Bedeutung von Basisbewegungen in einer Zeit kaum öffent-
Stadtteil und im Betrieb orientiert war; unter dem Stichwort
lich entfalteter Klassenkämpfe in der BRD zu erklären ver-
›Spontaneismus‹ wurde die direkte Aktion selber kritisiert.
sucht.
Hauptkritik war, daß beide politische Praxis- und Kampffor-
So bildete sich beispielsweise die Anti-AKW-Bewegung
men ohne organisatorische Bedeutung für die Arbeiterklasse und
– die im nachfolgenden Kapitel über den grünen Klee gelobt
als Ausdrucksformen kleinbürgerlicher Politisierung aufzulösen
wird – mit einer diffusen Klassenzusammensetzung im Re-

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seien. Mit einer derart rigiden Verwendung des Klassenbegriffs sible Aussicht, in einer absehbaren Zeit eine konsumistische
wurde die antiautoritäre Bewegung richtiggehend zerlegt und die Teilhabe am »Wirtschaftswunder« erlangen zu können, wi-
mobilisierten Genossen auf ihre gesellschaftliche Herkunft zurück- derständige – oppositionelle und zum Teil kommunistische –
getrieben. Demgegenüber lag die politische Energie der antiauto- Orientierungen zu zersetzen. Die Fähigkeit des bundesdeut-
ritären Bewegung gerade in dem Niederreißen der Klassengren- schen Kapitalismus, Zusammensetzungsprozesse von Klas-
zen durch die Massenaktionen selber ... Die ... linke Kritik an den senverhältnissen bei Aufrechterhaltung der bürgerlichen
Bürgerinitiativen beschränkt sich hauptsächlich auf die Klassen- Herrschaftsstruktur durchzusetzen, macht die gesellschafts-
zusammensetzung, derzufolge diese als Mittelschichtsinitiativen politische Stabilität dieses System möglich. Dabei schaffen
zu gelten haben ... diese kapitalistischen Entwicklungen zugleich auch verän-
Die Erfahrung zeigt, daß die meisten redegewandten und im derte Bedingungen für neue Widersprüche:
Durchsetzungsvermögen trainierten Angehörigen der Mittel-
»Der prosperierende Fordismus stattete eine wachsende Zahl
schicht sich in solchen Fällen auf Kosten der anderen Beteiligten
von Menschen mit Zeit und Kompetenzen aus, die für ein dauer-
durchsetzen und so die Bürgerinitiative zu einer Mittelschichtsan-
haftes nicht-institutionelles Handeln notwendig sind ... Die Auflö-
gelegenheit machen.
sung von traditionellen kirchlichen oder proletarischen Milieus
Eine derartige Verwendung des Klassenbegriffs zerstört die not-
und die damit verbundenen kulturellen Freisetzungen erweitern
wendigen politischen Erfahrungen. Mit dem Anspruch einer Klas-
darüber hinaus die individuellen Handlungsalternativen«
senanalyse wird lediglich der soziologische Tatbestand reproduziert.
(Hirsch/Roth).
Auch nicht, daß Angehörige verschiedener Klassen sich in Bürgeri-
nitiativen betätigen, ist von Interesse, sondern was eine derartige So ist beispielsweise die Teilnahme vieler StudentInnen
Klassenmischung politisch bedeutet: Wie sich innerhalb der Bürge- und AkademikerInnen, d.h. tendenziell in ihrer sozialen
rinitiativen die Klassenunterschiede entwickeln; ob sie sich gegen- Stellung auf die Mittelschicht hin ausgerichteter Individuen,
seitig abstumpfen; oder unter welchen Bedingungen sie politisch an der linksradikalen und autonomen Bewegung genau die-
produktiv werden. Es wäre in der Tat die Aufgabe einer Klassen- ser nach dem Zweiten Weltkrieg neu strukturierten Klassen-
analyse, zu untersuchen, inwieweit die Klassenunterschiede durch realität geschuldet. Manche sollen’s dabei sogar vom jobben-
den Interessenskampf in Bewegung geraten« (Kursbuch Nr. 31). den revolutionären Taxifahrer bis hin zum reformistischen
Minister gebracht haben ...
Diese Ausführungen machen die widersprüchliche Be-
Gerade im Hinblick auf die schwer fixierbaren Probleme
deutung des oft auch in linksradikalen und autonomen Zu-
eines politischen Ausdrucks im Kontext von abschmelzen-
sammenhängen mißverständlich gebrauchten Begriffs der
den und sich ständig neu bildenden »Mittelschichten« in
»Mittelschichten« deutlich. Gerade in einer zu vereinfach-
den kapitalistischen Zentren haben die »Neuen Sozialen Be-
ten, in denunzierender Absicht gebrauchten Verwendung
wegungen« mit den von ihnen getragenen Konflikten in den
des Begriffes wird zumeist die in den Metropolen existieren-
politischen und sozialen Klassenzusammensetzungen doch
de Klassenrealität unterschlagen. Die Entwicklung des Ka-
eine ganze Menge durcheinandergewirbelt, in Frage ge-
pitalismus in der BRD ist einhergegangen mit einem enor-
stellt, erbittert bekämpft und so die Basis für das Entstehen
men ökonomischen Wachstumsboom, der zu einer gesamt-
der autonomen Gruppen gebildet. Die Autonomen gehen
gesellschaftlich zwar ungerechten, jedoch quantitativ ange-
zwar mit ihrer Theorie und Praxis weit über die inhaltlichen
hobenen Wohlstandsverteilung auch zugunsten weiter Teile
und praktischen Begrenzungen der sozialen Bewegungen
der Unterschichten geführt hat. Dabei vermochte gerade
hinaus, bleiben jedoch beständig auf diese bezogen. So
diese für viele Proletarier in den 50er und 60er Jahren plau-
scheint denn – auch in Ermangelung anderer Begrifflichkei-

96 97
ten! – der Begriff der Neuen Sozialen Bewegungen ange- schen im Februar 1975 ihren Höhepunkt. Die Staatsmacht
messener dazu in der Lage zu sein, die Präsenz der autono- war von dem Ausmaß dieser Bewegung völlig überrascht
men Gruppen in den verschiedenen politischen und sozialen und zog sich schließlich mit ihren Bulleneinheiten aus der
Auseinandersetzungen seit der zweiten Hälfte der 70er Jahre Nähe des Baugeländes zurück. Die Ereignisse veranlaßten
in der BRD zu beschreiben, als Versuche diese als »Klas- den damaligen baden-württhembergischen Ministerpräsi-
senkämpfe« zu begreifen. An solchen Ansätzen hat es zwar denten und Altnazi Filbinger zu der Bemerkung: »Wenn das
zu keinem Zeitpunkt gefehlt – »Häuserkampf ist Klassen- Beispiel Whyl Schule macht, dann ist das ganze Land unre-
kampf!« –, sie blieben jedoch gegenüber der politischen und gierbar!« Die Besetzung des Baugeländes wurde von der Be-
sozialen Bewegung als aggressive Geste zumeist fremd und wegung solange aufrechterhalten, bis ein Verwaltungsge-
künstlich aufgesetzt und wurden in der Regel auch nicht richtsentscheid den Baubeginn definitiv auf unbestimmte
breiter aufgegriffen. Zeit aussetzte und die Landesregierung allen Demonstran-
tInnen eine Amnestie und Straffreiheit zusicherte.
Die Anti-AKW-Bewegung von 1975–81 Bei diesen Anti-AKW-Auseinandersetzungen handelte
Die Anti-AKW-Bewegung in der Bundesrepublik entstand es sich zunächst um eine regional auf das Oberrheingebiet
als Reaktion auf die nach der sogenannten Ölkrise 1973 von begrenzte Bewegung. Sie setzte sich aus konservativen, teil-
Staat und Kapital forcierten Pläne, das bereits in Grundzü- weise reaktionären Naturschützern und den von den geplan-
gen entwickelte Atomprogramm verstärkt auszubauen. Da- ten Umstrukturierungsmaßnahmen besonders betroffenen
bei wurden die AKWs als billige Energiezentralen in ländli- Bauern und Winzern zusammen. Auf dem Höhepunkt des
che Regionen projektiert, in denen von Großkonzernen mit Kampfes wurde die Bewegung allerdings auch von Natur-
stromintensiver Stahl-, Metall- und Chemieindustrie massi- wissenschaftlern aus Freiburg und der dortigen KBW-
ve Großindustrialisierungsprogramme geplant waren. Die Gruppe unterstützt. Auf der politischen Ebene bestimmten
Umstrukturierungsmaßnahmen sollten vor allem in bisher umweltschützerische, konservativ-abwehrende und regiona-
industriell relativ schwach entwickelten Provinzen wie z.B. listische Argumente die Motive der an den Konflikten betei-
der Unterelbe und der Oberrheinregion durchgeführt wer- ligten Menschen. Allerdings kamen in einigen Aktionen be-
den. Gegen die Horrorvision von »neuen Ruhrgebieten« reits antikapitalistische Momente in der Kritik zum Vor-
formierte sich erstmals im »Dreiländereck« – Frankreich, schein, so wurden z.B. die Verfilzung der staatlichen Geneh-
BRD und Schweiz – ein breiterer Protest der Bevölkerung. migungsbehörden mit den Elektrokonzernen öffentlich an-
Nachdem bereits AKW-Bauplanungen in Breisach auf erste gegriffen.
Proteste der Bevölkerung gestoßen waren, weitete sich diese Innerhalb der Bewegung kam es trotz vieler Differenzen
Auseinandersetzung auf die umliegende Grenzregion aus. zu enormen Erfahrungs- und Lernprozessen, die teilweise
Die ökologische Bürgerbewegung im Dreiländereck verhin- zu einer Veränderung alltäglicher Strukturen in den Lebens-
derte dabei mit einer Bauplatzbesetzung ein geplantes Blei- weisen der AktivistInnen führten.
chemiewerk im elsässischen Marckolsheim. Danach folgte Die Konflikte in der Region Kaiserstuhl wurden in der
die Verhinderung des AKWs Whyl und später der Bau des Folge zu einem Signal für einen erfolgreichen und außerin-
AKWs in Kaiseraugst bei Basel, der ebenfalls durch eine stitutionellen Widerstand. Diese Erfahrung übte auf die
Bauplatzbesetzung gestoppt werden konnte. bundesdeutsche radikale Linke, in einer Situation von verlo-
Der Widerstand gegen den Bau des AKWs in Whyl er- rengegangenen Häuserkämpfen und einer sich verschärfen-
reichte mit der Stürmung und der Besetzung des Bauplatzes den staatlichen Repression, eine große Anziehungskraft aus.
im Rahmen einer Massendemonstration von 30.000 Men-

98 99
Von Brokdorf über Grohnde bis nach Kalkar Bauplatz von Bullen und Baukolonnen besetzt. Mit diesem
Ausgangspunkt für die Beteiligung der Linksradikalen an Vorgehen brachen die verantwortlichen Politiker die vorher
der Anti-AKW-Bewegung waren die Auseinandersetzungen gegenüber den lokalen BIs geäußerten Versprechungen, mit
um das AKW in Brokdorf an der Unterelbe. Der Region dem Bau des AKWs erst nach einem Gerichtsentscheid zu
Unterelbe war seitens der Großindustrie und der staatlichen beginnen. In diesem Zusammenhang entstand auch die Pa-
Planungszentralen ab Ende der 60er Jahre eine ähnliche role: »Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur
Entwicklung zugedacht worden wie dem Gebiet am Pflicht!«
Dreiländereck am Oberrhein. Im Zuge dieser Entwicklung Am 30. Oktober kam es zu einer ersten Demonstration
waren im Hamburger Hafengebiet (Waltershof, Altenwer- von 8.000 Menschen, in deren Verlauf es gelang, einen Teil
der), in Brunsbüttel und Stade eine Reihe von Dörfern zer- des Geländes zu besetzen. Nach Einbruch der Dunkelheit
stört und dem Erdboden gleichgemacht worden. Die Dorf- wurden die PlatzbesetzerInnen jedoch in einem brutalen
bewohnerInnen wurden zu diesem Zweck »umgesiedelt«, Bulleneinsatz geräumt. Diese Repression bewirkte im
wie es im Technokratendeutsch heißt, sprich: Es fand eine Herbst ’76 jedoch das genaue Gegenteil der staatlicherseits
Vertreibung von tausenden von Menschen statt, um Platz beabsichtigten Einschüchterung: Die Anti-AKW-Bewegung
für den Aufbau von Chemieindustrieanlagen und Atom- wuchs nach der ersten Brokdorfdemonstration sprunghaft
kraftwerken zu schaffen. Als bekannt wurde, daß im Raum an, in der ganzen BRD entstanden Bürgerinitiativen gegen
Brokdorf-Wewelsfleht ein weiteres AKW gebaut werden das Atomprogramm. In dieser Dynamik wirkten Militanz
sollte, gründete sich dort eine Bürgerinitiative. Die Gruppe und Betroffenheit bei dem Versuch zusammen, die Bauplät-
nannte sich »Bürgerinitiative Unterelbe Umweltschutz« ze zu stürmen und sich gegenüber den Bullen zur Wehr zu
(BUU), und breitete sich rasch in andere Initiativgruppen setzen.
bis nach Hamburg aus. »Dabei wurden die örtlichen Bürge- Bereits nach zwei Wochen kam es am 14. November zur
rinitiativen von jungen Wissenschaftlern aus Unis und zweiten Brokdorfdemonstration, an der 40.000 Menschen
Großforschungseinrichtungen unterstützt, die mit der Pra- teilnahmen. Erstmals wurden bei einer Demonstration in
xis der Kritik an AKWs begannen, das herrschende ver- der BRD Einheiten des Bundesgrenzschutzes auf der juristi-
meintlich ›wertfreie und objektive‹ Technik- und Wissen- schen Grundlage der 1968 verabschiedeten Notstandsgeset-
schaftsverständnis massiv zu erschüttern.« ze eingesetzt. Trotzdem gelang es im Verlauf der Demon-
Als unmittelbare Reaktion auf die Ereignisse in Whyl stration, den zwischenzeitlich festungsartig ausgebauten
begann innerhalb der BUU die Diskussion über die Mög- Bauzaun teilweise zu demontieren. Die Bullen griffen
lichkeit einer Bauplatzbesetzung zur Verhinderung des schließlich die gesamte Demonstration in einem Hub-
AKW-Baubeginns. Sie waren allerdings mit einer Situation schraubereinsatz mit Gasgranaten an und lösten sie dadurch
konfrontiert, in der auch die staatlichen Instanzen ihre Leh- auf.
ren aus Whyl zogen. So wurde auf höchster politischer Ebe- Nach den beiden Demonstrationen im Herbst ’76 berei-
ne über den weiteren Fortgang des Atomprogramms bera- teten die Bürgerinitiativen der BUU eine weitere internatio-
ten und Maßnahmen zur polizeilichen Durchsetzung des nale Großdemonstration gegen den Weiterbau des AKWs
Baubeginns in Brokdorf ergriffen. Auf die Ankündigung der vor. In dieser Situation der um sich greifenden massen-mili-
Bürgerinitiativen, einen AKW-Baubeginn notfalls mit einer tanten Mobilisierung von Hunderttausenden von Menschen
Bauplatzbesetzung zu verhindern, erfolgten denn auch die setzten Staat und Atombetreiber Spaltungs- und Integrati-
ersten staatlichen Einschüchterungsmaßnahmen. Ende Ok- onsstrategien ein. Im Dezember ’76 wurde durch ein Ver-
tober 1976 wurde in einer Nacht- und Nebel-Aktion der waltungsgericht ein vorläufiger Baustopp für das AKW in

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Brokdorf verhängt; in die Bewegung schalteten sich erstmals wie z.B. Zaun-, Werfer- und Putzgruppen, mit großen Men-
massiv auch die schleswig-holsteinische SPD und der ge- gen an technischem Material gebunden. Allerdings began-
samte Organisationsapparat der DKP ein. Der damalige nen bei dieser Demonstration auch die Maßnahmen der
CDU-Ministerpräsident Stoltenberg intervenierte durch staatlichen Repression stärker einschüchternd auf die Bewe-
Geheimgespräche mit BI-Vertretern. Schließlich erreichten gung zu wirken. Im Verlauf der Auseinandersetzungen kam
diese Maßnahmen das Ziel, die Vorbereitungen der Brok- es zu einer Vielzahl von schwerverletzten DemonstrantIn-
dorf III-Demonstration im Februar politisch und organisa- nen, weil die Bullen mehrmals mit Pferden in die Ketten der
torisch an der Frage zu spalten, entweder eine staatlich ge- DemonstrantInnen geritten waren. Ein Teil der Festgenom-
billigte Protestdemonstration weit ab vom politischen An- menen wurde in den Jahren 1978/79 in den sogenannten
griffspunkt durchzuführen oder direkt auf das Baugelände Grohnde-Prozessen zu Gefängnisstrafen verurteilt.
des AKW Brokdorf zu mobilisieren. Während die SPD, un- Die Repression gegen die bundesdeutsche und interna-
terstützt von der DKP, einigen regionalen Bürgerinitiativen tionale Anti-AKW-Bewegung verschärfte sich noch bei der
und dem Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz Demonstration gegen den Schnellen Brüter in
(BBU), zu einer staatlich erlaubten Protestkundgebung in Malville/Frankreich. Diese Manifestation wurde von den
die weit vom AKW-Baugelände abgelegene Provinzstadt It- französischen Bullen zusammengeprügelt, wobei sie einen
zehoe mobilisierten, hielt der andere Teil der Bewegung, der Demonstranten töteten.
sich aus ML-Gruppierungen, Autonomen, Spontis und Mit der September-Demonstration gegen den Schnellen
großen Teilen der Bürgerinitiativen zusammensetzte, daran Brüter in Kalkar fuhr die Anti-AKW-Bewegung schließlich
fest, direkt zum festungsartig abgesicherten Baugelände zu in den »Deutschen Herbst«. Die dabei mit der Repression
demonstrieren. erfahrenen Demütigungen wirkten noch lange als »Kalkar-
Am 19.2.1977 kam es zu zwei Anti-AKW-Demonstra- Schock« nach. Zugleich verflog auch endgültig die Hoff-
tionen, in Itzehoe und in der Wilster Marsch, an denen je- nung, das Atomprogramm mit massenmilitanten Bauplatz-
weils rund 30.000 Menschen teilnahmen. Dem militanten besetzungen kippen zu können. Innerhalb der Anti-AKW-
Teil der Bewegung gelang es trotz einer ungeheuren staatli- Bewegung vertieften sich bereits vorher angelegte politische
chen Medienhetze – bei der u.a. der damalige SPD-Bundes- und soziale Spaltungslinien.
kanzler Schmidt in einer Fernsehansprache die Bevölkerung
vor den »Chaoten« warnte – und eines Demonstrationsver- Die politische und soziale Zusammensetzung der
botes in der Wilster Marsch, eine geschlossene Demonstra- Anti-AKW-Bewegung in den 70er Jahren
tion bis zu einer Polizeiabsperrung durchzuführen, die dort Neben der bereits bei der Vorbereitung der Brokdorf III-
mit einer Kundgebung beendet wurde. Demonstration offenkundigen Spaltung in einen legalisti-
Die durch die Brokdorfereignisse ausgelöste Dynamik schen Teil (SPD, DKP, BBU) und einen militanten Arm der
der Bewegung übersetzte sich Mitte März 1977 in eine De- Bewegung (Teile der BIs, ML-Gruppen, Spontis, Autono-
monstration gegen das AKW Grohnde, an der 20.000 Men- me), spaltete sich der militante Flügel der Hamburger BUU
schen teilnahmen. Im Verlauf der Aktionen wurde von den im Sommer 1977 in ein vom KB beherrschtes Delegierten-
TeilnehmerInnen eine Bullensperre abgeräumt und der Zaun plenum und in ein autonomes BUU-Plenum. Darüber hin-
um das Baugelände an mehreren Stellen niedergerissen. Die aus schaffte sich der »gewaltfreie« Arm der Bewegung ab
Auseinandersetzungen am Baugelände waren geprägt durch Frühjahr 1977 in den Protesten gegen den geplanten WAA-
einen seither nie wieder erreichten Grad an organisierter Standort Gorleben sein eigenes Symbol. Dort fanden sich
Massenmilitanz. Sie war an verbindliche Gruppenstrukturen, EmigrantInnen aus den Städten, Prominente und bürgerli-

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che Kräfte aus der Region in der BI-Lüchow-Dannenberg fenen Fragen und Themenstellungen (ökologische Bedro-
zusammen, die ein strikt ausgrenzerisches gewaltfreies Wi- hungen, mangelnde Ausstattung der sozialen Infrastruktur
derstandskonzept verfolgte. Diese Differenzen wurden noch usw.) für viele Linksradikale entweder »quer« oder als »Ne-
einmal durch die sich im Rahmen der Anti-AKW-Bewegung benwiderspruch« zur Klassenfrage. Die Konflikte im Repro-
bildenden parlamentarisch orientierten »grünen«, »bunten« duktionsbereich und die aus unterschiedlichen Gruppen,
oder »alternativen« Listen, als Vorformen der späteren Par- Klassen und Schichten der Bevölkerung zusammengesetzten
tei der Grünen, verstärkt. Diese Organisationen setzten sich TrägerInnen des Protests widersprachen allen gängigen
aus eher am Rand der BIs tätigen »sozialstaatlich garantier- Vorstellungen der Linken, insbesondere der ML-Bewegung,
ten« Schichten der Mittelklasse, Bauern, akademisch-kul- die auf das Fabrikproletariat als Keim von gesellschaftlicher
turpolitisch aktiven Stadtflüchtlingen in den ländlichen Re- Befreiung orientiert war. So wurde denn auch die Arbeit der
gionen, Lehrern, akademischen Freiberuflern, akademi- Anti-AKW-Bewegung vor Brokdorf vom damals in der
schen Kadern des kommunalpolitischen Verwaltungsappa- Hamburger radikalen Linken dominierenden KB als »klein-
rats (nach: Autonomie NF) zusammen. In den ländlichen bürgerlich« belächelt, diffamiert und zum Teil behindert.
Regionen wurden die Listen zunächst eher von konservativ- Die rasante Entwicklung der Anti-AKW-Bewegung und
reaktionären Kräften getragen, während in den Städten eher ihre spontane Kraft in der Zeit 1976/77 kam daher nicht nur
ehemalige enttäuschte SPD/F.D.P.-AnhängerInnen sowie für den Staat, sondern auch für weite Teile der ML-Bewe-
Mitglieder diverser, sich Ende der 70er Jahre auflösender gung überraschend. Sie war Ausdruck der Hoffnung vieler
ML-Gruppierungen zu finden waren. Menschen, zumindestens Teilerfolge gegen den Staat und
Allerdings stellten die Autonomen in allen Richtungs- die Atombetreiber durchsetzen zu können. In diesem Sinn
kämpfen der Bewegung eine wesentliche Fraktion dar. Sie war sie nicht nur eine Ein-Punkt-Bewegung, sondern zeit-
waren in den AKW-Auseinandersetzungen 1976/77 vor al- weise eine Fundamentalopposition gegen die herrschenden
lem im norddeutschen Raum in einem großen Umfang Trä- Verhältnisse, die wie ein Schmelztiegel für unterschiedliche
gerInnen von militanten Auseinandersetzungen und ent- Vorstellungen von Leben, Gesellschaft und Widerstand
wickelten sich dabei zu einer eigenständigen politischen wirkte. Innerhalb dieser Bewegung knüpften die erstmals
Kraft. Autonome AKW-GegnerInnen arbeiteten bereits seit massenhaft auftretenden autonomen Gruppen mit ihren an-
dem Jahre 1973 gemeinsam mit örtlichen Bürgerinitiativen tiautoritären Vorstellungen und ihrer organisierten Praxis
gegen die AKW-Baupläne in Brokdorf. Dabei benutzten sie der direkten Aktion an die besten Momente der Studenten-
AKW-Erörterungstermine zur Demaskierung von vorgeb- revolte an. Zeitweise konnten sie in den Massenbündnissen
lich wertfrei-objektiven staatlich bezahlten Wissenschaftlern der Anti-AKW-Kämpfe ’76/’77 mit ihren Vorstellungen die
und TÜV-Sachverständigen und deckten deren Komplizen- Richtung der Bewegung stark bestimmen.
schaft mit der staatlichen Genehmigungsbehörde auf.
Durch ihre kontinuierliche Arbeit sorgten sie erstmals in der Die BUU-Hamburg zwischen dem KB und den Autonomen
BRD für eine breitere Präsenz von Linksradikalen in einer Nach dem Aufschwung der Anti-AKW-Bewegung waren
zunächst bürgerlichen Massenbewegung. die meisten Berührungs- und Interventionsversuche der
Die Bürgerinitiativ- und Ökologiebewegung, die bereits ML-Gruppierungen von elitären und funktionalistischen
punktuell am Ende der 60er Jahre in der BRD und West- Führungskonzepten geprägt. Insbesondere der Hamburger
Berlin als »APO des kleinen Mannes« entstanden war, stand KB schaltete sich mit seiner gesamten Organisation massiv
mit ihrer soziologischen Zusammensetzung (viele Angehöri- in die Strukturen der BUU ein. Dabei versuchte er in einer
ge aus »Mittelschichtsberufen«) und den von ihr aufgewor- gezielten Unterwanderungs- und Majorisierungspolitik, die

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Strukturen für seine Ziele zu vereinnahmen. Zu dieser Stra- Machtpolitik (ob etwas richtig oder falsch ist, entscheidet seine De-
tegie gehörte auch die massenhafte Umgründung bisheriger legiertenmehrheit) zu einer offenen Auseinandersetzung und
KB-Gruppen in diverse Anti-AKW-Initiativen (wie z.B. eventuellen Selbstkritik nicht in der Lage und auch nicht bereit
Chemiearbeiter, Lehrlinge, Schüler, Frauen gegen AKWs ist. Die gegenwärtige Arbeitsweise unseres Plenums ist: Informa-
usw.). Darüber gelang es ihm bereits nach kurzer Zeit, auf tionsaustausch, gegenseitige Unterstützung, Koordinierung ge-
dem Delegiertenplenum der BUU die Mehrheit zu stellen, meinsamer Aktionen, Diskussion politischer Grundlagen, Dar-
wobei er sich dann der formalen Hülse eines »BUU-Status« stellung der unterschiedlichen Auffassungen. Die Gruppen arbei-
bediente, um die Ziele seiner Organisation mit »demokra- ten autonom und gleichberechtigt miteinander. Sie stellen im Ple-
tisch gefaßten Mehrheitsentscheidungen« durchzusetzen. num ihre Vorschläge dar und stellen fest, wer sich diesen Vorschlä-
Bereits im Frühjahr 1977 wurden die Diskussionen auf dem gen anschließt« (aus: Meyer).
Delegiertenplenum der BUU durch die Geschäftsordnungs-
In der Folge arbeiteten in Hamburg zwei Plena der
praktiken des KB dominiert, der damit versuchte zu bestim-
BUU. Dabei orientierte sich die KB-BUU mit ihren »Akti-
men, was diskutiert werden sollte. Getreu der vom Leiten-
onseinheiten« an Arbeitsschwerpunkten gegen die Repressi-
den Gremium des KB um die Jahreswende 1976/77 ausge-
on und gegen die aus ihrer Sicht entscheidenden militäri-
gebenen »Weisung«, die »Machenschaften« der politisch
schen Triebkräfte des AKW-Programms (»Griff zur Atom-
kurzsichtigen »Sponti-Clique« innerhalb der BUU mit
bombe«). Diese politische Linie ist nur vor dem Hinter-
»Stumpf und Stiel« auszurotten, beherrschten die von KB-
grund der vom KB gleichzeitig vertretenen »Faschisierungs-
Zeitungen publizistisch lancierten Mißbilligungs-, Verurtei-
these« von Staat und Gesellschaft zu verstehen, die davon
lungs- und Ausschlußanträge des KBs im BUU-Delegier-
ausging, daß alle staatlichen Maßnahmen darauf abzielten, in
tenplenum die Diskussionen.
der BRD wieder faschismusähnliche Zustände herbeizu-
In der dabei vom KB angestrebten »Aktionseinheit« mit
führen. In der Folgezeit verlor die Delegierten-BUU für den
allen »fortschrittlichen Kräften« wurden andere politische
KB im Kontext seiner zunehmenden Orientierung auf die
Strömungen entweder als »opportunistisch« oder »sektiere-
von ihm beherrschte »Bunte Liste« ihre strategische Qua-
risch« denunziert bzw. des »skrupellosen Antikommunis-
lität als »demokratische Massenorganisation«, so daß sie da-
mus« bezichtigt, um sie einerseits aus den BIs zu drängen
nach nur noch eine Randexistenz führte. Demgegenüber or-
und andererseits die entstehende Bewegung auf einen plat-
ganisierten die in der BUU autonom vertretenen Gruppen
ten Antikapitalismus zu verkürzen. Die in der BUU mitar-
im Jahre 1977 den weiteren Widerstand gegen die AKWs
beitenden autonomen Gruppen beschlossen daraufhin im
Brokdorf und Grohnde mit Sommercamps und anderen di-
Sommer 1977, sich eigenständig in einem anderen Plenum
rekten Aktionen.
zu organisieren.
»Wir haben lange Zeit versucht, eine organisatorische Spal- Die Vorstellungen der Autonomen in der Anti-AKW-Bewegung
tung des Hamburger BUU Plenums zu vermeiden. Dies, obwohl Die von den Autonomen verfochtene Kernidee war die Vor-
die Machtpolitik des KB die Polarisierung in den einzelnen BIs stellung vom »praktischen Widerstand« als Möglichkeit für
immer mehr verschärft hat und viele Mitglieder die vom KB be- jeden Menschen, sich selbstbestimmt in den Kampf einzu-
herrschten Gruppen verließen, weil sie keine Möglichkeit sahen, bringen. Entscheidend ist dabei, daß die Bürgerinitiativen
ihre Vorstellungen einzubringen ... nicht nur verbal demonstrieren, sondern ihre Forderungen
Wir kritisieren nicht, daß der KB als politische Organisation selbst durchsetzen und dabei notwendigerweise bürgerliche
Fehler macht, ... sondern daß er durch seine kleinbürgerliche Moralvorstellungen und den legalen Rahmen des bürgerli-

106 107
chen Rechtsstaates durchbrechen müssen. Dabei stellt die wicklung und den Bestand eigener Kommunikationsstrukturen«
Dezentralität der Bewegung einen Schutz vor der staatli- (»Bilanz und Perspektiven ...«).
chen Repression dar, da die BIs als juristisch nicht existente
In den Jahren 1978/79 wurden von den Autonomen die
Organisationsformen nur sehr schwer angreifbar sind. Die
Grohnde-Prozesse in der Anti-AKW-Bewegung breit the-
vertretene Politik konzentriert sich auf die Unmittelbarkeit
matisiert. Unter den Parolen: »Nicht diejenigen, die AKWs
des eigenen selbstverantwortlichen Handelns. Es wird Wert
verhindern, sind kriminell, sondern diejenigen, die AKWs
darauf gelegt, Aktionen vorher öffentlich bekannt zu ma-
bauen und betreiben – Angeklagt: Wir alle!« wurde dem
chen und illegale Aktionen im nachhinein zu begründen,
Staat und den Gerichten das Recht bestritten, über den Wi-
wobei keine personelle Identität sichtbar werden soll. Von
derstand gegen Atomanlagen zu richten.
den Autonomen wird eine Teilnahme an Wahlen abgelehnt,
Die breite Mobilisierung gegen die Grohnde-Prozesse
weil sich die Wirkungslosigkeit der gesetzlich zugelassenen
ist umso erstaunlicher, als sie vor dem Hintergrund der ein-
Mittel bestätigt habe und weil man Menschen nicht über ei-
schüchternden Wirkung des repressiven politischen Klimas
ne falsche Sache – Wahlen – für eine als richtig angesehene
nach dem »Deutschen Herbst ’77« stattfanden. Während
Politik von eigenständigen praktischen Aktionen gewinnen
die radikale Linke unter dem Druck der forcierten Sympa-
könne.
thisantenhetze, Radikalenverfolgung und Entsolidarisie-
Der Hamburger »Arbeitskreis Politische Ökologie«
rungstendenzen stand, gelang es dem autonomen Teil der
schrieb im September ’78 über die organisatorischen
Anti-AKW-Bewegung, ein Netz von Kommunikations-
Grundlagen der Anti-AKW-Bewegung:
strukturen aufrechtzuerhalten, das Grundlage der vielfältig-
»(Es) genügt nicht, eine ›richtige‹ Gesellschaftstheorie zu ha- sten Aktionen gegen die Prozesse wurde.
ben und verbal die Gesetzmäßigkeiten unserer Gesellschaft immer
wieder aufzuzeigen, sondern eigenbestimmte Lebensstrukturen 1978–80: Gewaltfrei mit Bauzäunen Bohrlöcher stopfen?
müssen erfahren werden. Diese Strukturen können zur Zeit Während dieser eher defensiven Phase stellten die Bun-
hauptsächlich nur Widerstandsstrukturen gegen das herrschende deskonferenzen der Anti-AKW-Bewegung auch für die Au-
wirtschaftliche und politische System sein. Erst wenn die Men- tonomen ein relativ offenes, wenn auch nicht konfliktfreies
schen erfahren, daß es möglich ist, ihr eigenes Handeln im Rah- Forum aller Spektren der Bewegung dar. Unter dem Kon-
men dieses Widerstands selbst zu bestimmen, um sich somit vor sens »Wir lassen uns nicht spalten an der Frage der Wider-
der Willkür und Kontrolle derjenigen zu schützen, die z.Z. die standsformen« wurde der Streit über die wirksamsten For-
wirtschaftliche und politische Macht innehaben, werden sie Ver- men des Widerstands gegen Atomanlagen geführt. Regiona-
trauen in ihre eigene Kraft bekommen und Veränderungen für le Aktionsschwerpunkte der Anti-AKW-Bewegung waren
ihre Interessen durchsetzen können. Solche Veränderungen wer- der Landkreis Lüchow-Dannenberg und das AKW Brok-
den nicht geschaffen, indem lediglich die Machtpositionen (z.B. dorf. In den Diskussionen über verschiedene Aktionskon-
auch mit einem sozialistischen und kommunistischen Anspruch) zepte kam es immer wieder zu erbitterten Auseinanderset-
neu besetzt werden, sondern indem die betroffenen Menschen sie zungen, bei denen sowohl Legalisten, Gewaltfreie, BIler,
selbst herbeiführen und unmittelbar selbst bestimmen (Autonomie, MLer und Autonome mit ihren Konzepten um den Einfluß
Gleichberechtigung, direkte Aktion). Dazu ist es notwendig, eige- in der Bewegung rangen. Die Autonomen konnten dabei
ne Kommunikations- und Koordinationsstrukturen aufzubauen, mit ihrer Solidaritätsarbeit zu den Grohnde-Prozessen und
d.h. eine revolutionäre Bewegung ist nicht alleine eine Frage der einer Vielfalt an verschiedenen militanten Aktionen und Sa-
›objektiven Bedingungen‹ ; ... entwickelt wird sie durch die Ent- botageakten eine gewisse offensive Kontinuität der politi-

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schen Arbeit bewahren. Im Sommer 1979 wurde auch das sich jedoch mit diesen Vorstellungen nicht durchsetzen und
erste Mal in der BRD mit einem Bombenanschlag versucht, zogen sich aus dem Dorf zurück.
einen Strommast einer Hochspannungstrasse zum AKW- Anfang Juni wurde die »Republik Freies Wendland« in
Esenshamm umzulegen. einem notstandsähnlichen Einsatz von 10.000 Bullen zer-
Nachdem während der zweiten Ölkrise Ende des Jahres stört. Obwohl sich die 2.000 BesetzerInnen bei der Räu-
1979 in einer Verwaltungsgerichtsentscheidung der Weiter- mung des Dorfes nicht aktiv zur Wehr setzten, wurden sie
bau des AKWs Brokdorf juristisch ermöglicht wurde, kam es trotzdem von den Bullen in einem enormen Ausmaß körper-
in einer relativ kurzen Mobilisierungszeit zu einer heftigen lich gequält, wobei einige von ihnen schwerste Verletzungen
Weihnachtsdemonstration am Baugelände des AKWs. Diese erlitten. Trotzdem feierten die legalistisch-gewaltfreien In-
positive öffentliche Resonanz verstärkte innerhalb des auto- itiatoren der Besetzung den Ablauf der Räumung später als
nomen Teils der Anti-AKW-Bewegung erneut die Diskussi- »großen moralischen Sieg«. Autonome stellten dazu fest:
on, wie der Weiterbau von Brokdorf zu verhindern sei. Da-
»Hier ist es dem Staat nicht nur gelungen, uns mit seinen
bei wurden die Auseinandersetzungen in der Zeit 1980/81
Knüppeln und Maschinenpistolen Gewalt anzutun, sondern auch
sowohl für die Bewegung als auch für die Betreiber und den
die Köpfe, das Denken, Fühlen und Wollen der Menschen zu be-
Staat zu der entscheidenden Frage für die Zukunft des
herrschen« (Anti-AKW-Telegramm).
Atomprogramms.
Für letztere ging es darum, das faktisch 1976/77 erzwun-
gene Moratorium im AKW-Bau zu durchbrechen. Aufgrund Die Brokdorf-Auseinandersetzungen 1980/81
des unerwartet heftigen Widerstands gegen das juristische Kurz nach den Bundestagswahlen im Oktober 1980 kündig-
Signal für den Weiterbau Brokdorfs wurde diese Entschei- te die SPD-geführte Bundesregierung gemeinsam mit der
dung jedoch auf einen Zeitpunkt nach der Bundestagswahl schleswig-holsteinischen CDU-Landesregierung den Wei-
im Oktober 1980 verschoben. terbau des AKWs Brokdorf an. Dagegen führten die Bür-
Die radikalen und autonomen Kräfte der Anti-AKW- gerinitiativen aus dem norddeutschen Raum erneut eine
Bewegung orientierten sich zu Beginn des Jahres 1980 unter Weihnachtsdemonstration mit 8.000 Menschen am Bau-
der Parole »Stecken wir den Bauzaun von Brokdorf in die gelände des AKW durch. Dabei kam es wiederum zu Angrif-
Bohrlöcher von Gorleben!« erneut auf einen praktischen fen auf den Bauzaun, und es gelang, einen Wasserwerfer in
Widerstand in der Wilster Marsch. Demgegenüber stand Brand zu stecken. Der erfolgreiche Verlauf dieser Demon-
die im Frühjahr ’80 organisierte Bohrplatzbesetzung in Gor- stration beschleunigte die Mobilisierung gegen den anste-
leben mit dem Dorf 1004 und der »Republik Freies Wend- henden Weiterbau des AKWs; in Hamburg wurden die
land« ganz im Zeichen der Propagierung einer dogmati- Wohnhäuser von HEW-Direktoren sowie HEW-Büros mit
schen Gewaltfreiheit. Zwischen dem gewaltfreien Flügel der Brandsätzen angegriffen. Von den BIs wurden erste Vorbe-
Bewegung und den Autonomen kam es dann auch zu kon- reitungen zu einer Demonstration zu dem Brokdorf-Son-
troversen Debatten über den politischen Charakter der Be- derparteitag der Hamburger SPD Anfang Februar aufge-
setzung. Während auf der einen Seite die Legalisten und nommen. Dabei kam es innerhalb der Bewegung zu einer
Gewaltfreien für eine mit dem Dorf ausgedrückte friedliche politischen Spaltung: Während DKP und Jusos mit der De-
alternative Idylle plädierten, wollten die Autonomen – auch monstration ihre Verhandlungsposition gegenüber der
unter dem euphorischen Eindruck des Bremer 6. Mai – die SPD-Parteispitze stärken wollten, kam es den Autonomen
Besetzung zum Ausgangspunkt weiterer direkter Aktionen und der Bewegung darauf an, sich als eigenständige und un-
gegen die Atommafia im Landkreis machen. Sie konnten abhängige politische Kraft zu formieren. Nachdem die DKP

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und Jusos sich mit ihren Vorstellungen nicht durchsetzen Trotzdem gelang es der Anti-AKW-Bewegung am 28.2.81
konnten, griffen sie zu dem Mittel der offenen Denunziation mit Hilfe einer hervorragenden Verkehrsorganisation das
einzelner Atomkraftgegner, was jedoch geschlossen von der Demonstrationsverbot mit 100.000 Menschen weitgehend
Bewegung zurückgewiesen werden konnte. Die von den Au- unkontrolliert von Polizeisperren zu durchbrechen. Grund-
tonomen, dem KB und Anti-AKW-BIs vorbereitete De- lage dieses Erfolges waren die konkreten Vorbereitungen
monstration wurde vom Hamburger Senat für den ganzen der autonomen Gruppen, im Falle von polizeilichen Behin-
Bereich der Stadt verboten. Trotzdem kam es am 2.2.81 zu derungen, Kontrollen und Schikanen der anreisenden Kon-
zwei Demonstrationen, bei denen die Jusos 2.000 und die vois in die Städte umzukehren, um dort »wirksame Aktio-
Anti-AKW-Bewegung 10.000 Menschen für ihre Ziele mo- nen« durchzuführen. Aufgrund dieses Konzeptes sahen sich
bilisieren konnten. Entlang der Demoroute wurden die die Bullen dazu veranlaßt, ihre Taktik im wesentlichen dar-
Scheiben von Banken, Luxushotels, Versicherungen und auf zu verlegen, die Demonstration zu verzögern und durch
Sex-Shops eingeworfen, ein Geschäft für Fotoapparate wur- lange Anmarschwege zu erschöpfen, was sie jedoch nicht
de geplündert. Bei dem Versuch, die Demonstration von ei- daran hinderte, ihren gesamten Repressionsapparat einzu-
ner abgelegenen Route in die Innenstadt zu führen, kam es setzen: So wurde erstmals im Bundesgebiet auf einer De-
schließlich zu schweren Auseinandersetzungen mit den Bul- monstration mit Großhubschraubern Jagd auf abziehende
len. Die Demo konnte jedoch geordnet zu Ende gebracht Demonstrantengruppen gemacht; die bundesweit zusam-
werden. In einem Redebeitrag der Hamburger Autonomen mengezogenen, ursprünglich für die »Terrorismusbekämp-
hieß es: fung« ausgebildeten Sondereinsatz-Kommandos (SEK) gin-
gen als polizeiliche Elitetruppe während der Demo auf
»Wir müssen uns auf einen Widerstand vorbereiten, der sich
»Menschenjagd«, wobei sie mehrere Demonstranten
nicht auf die Wochenenden verlegen läßt und der nicht nur an ei-
schwer verletzten. Während der Demo blieben die militan-
ner Stelle stattfindet; der unser ganzes Leben miteinbezieht. Un-
ten Auseinandersetzungen seitens der DemoteilnehmerIn-
sere Kraft wird nicht aus einer technischen Überlegenheit über die
nen eher defensiv. Es galt sich hauptsächlich vor Polizeiü-
Polizeiarmeen und der anderen Staatsschutzapparate oder aus ei-
bergriffen zu schützen. Das Polizeikalkül, die Demonstran-
ner strafferen Organisation entstehen, auch nicht durch besonders
ten durch lange Anmarschwege zu erschöpfen, war in dem
geschicktes Verhandeln und Taktieren mit den Politikern, sondern
Sinne aufgegangen, als daß es während der Demonstration
wird sich aus unseren eigenen Vorstellungen von Legitimität und
zu keinerlei nennenswerten Angriffen auf das Baugelände
berechtigtem Widerstand, der Bereitschaft und Fähigkeit, diese
mehr kam.
Vorstellungen praktisch umzusetzen und aus unseren eigenständi-
Der Bewegung war es mit dem 28.2.81 erstmals nach
gen Kommunikations- und Lebensstrukturen entwickeln ... Wenn
dem »Kalkar-Schock« wieder gelungen, eine geschlossene
das Gesetz sein soll, was unser Leben zerstört, dann haben wir ein
Anti-AKW-Großdemonstration durchzusetzen. Das »ver-
Recht dieses Gesetz zu brechen« (Anti-AKW-Telegramm).
dammt gute Gewissen« derjenigen, die das Demonstrations-
Gegen die von Bürgerinitiativen vorbereitete internatio- verbot 100.000fach durchbrachen, konnte jedoch den zwei
nale Großdemonstration wurde nach der üblichen Presse- Tage später beginnenden Weiterbau des AKWs nicht ver-
hetze (Bild-Zeitung vom 22.2.81: »Brokdorf: Bomben, hindern. Zwar kam es in der Folge zu einer Reihe von geziel-
Brände, Geiselnahme?«) für mehrere Tage ein Demonstrati- ten und mit beträchtlichen Sachschäden verbundenen Sabo-
onsverbot über den gesamten Landkreis Steinburg verhängt, tageaktionen an Bau- und Betreiberfirmen in der Region.
was einer Suspendierung aller grundgesetzlich verbrieften Diese Aktionsformen konnten jedoch den AKW-Weiterbau
bürgerlichen Grundrechte für diesen Raum gleichkam. nicht mehr ernsthaft stören und weiteten sich nicht aus.

112 113
Die Durchsetzung des AKW in Brokdorf – übrigens In der Folge wurden zwei Atomkraftgegner stellvertretend
auch gegen den Protest der gesamten norddeutschen SPD – für die Bewegung inhaftiert. Die Autonomen traten von Be-
war für die Atommafia ein strategischer Sieg, in dessen Fol- ginn an mit öffentlichen Stellungnahmen diesem politischen
ge sie rasch mit dem Bau von weiteren AKWs beginnen Angriff entgegen, was mit dazu beitrug, daß der »Mordvor-
konnte. Es dauerte fast zwei Jahre, bis die Anti-AKW-Bewe- wurf« von den Justizbehörden wieder fallengelassen werden
gung nach dieser Niederlage wieder in der Lage war, zu mußte. In der Solidaritätsarbeit zu den Brokdorf-Prozessen
überregionalen Großdemonstrationen zu mobilisieren. wurde von den Autonomen die Position vertreten, daß mili-
Die Brokdorf-Niederlage führte für die autonomen tanter Widerstand gegen AKWs und Bullenübergriffe legi-
Gruppen im norddeutschen Raum jedoch nicht zu einer tim sei. Dieses offensive Moment in der Prozeßarbeit konn-
Auflösung ihrer politischen Kraft. Dies hängt auch mit einer te zwar zunächst die drastischen Verurteilungen von Markus
veränderten inhaltlichen Bestimmung ihrer Arbeit zusam- und Michael nicht verhindern, das damit beabsichtigte Sig-
men, die sich teilweise auch praktisch realisierte: So hatten nal einer Einschüchterung schlug jedoch in eine breite öf-
sich beispielsweise autonome Anti-AKW-Gruppen an den fentliche Empörung gegen diese Terrorurteile um.
militanten Auseinandersetzungen am 6. Mai in Bremen ge-
gen die dortige Militaristenshow der Bundeswehr beteiligt. Ein kurzes Resümee
Danach wurde von den Autonomen der Anspruch formu- Die Anti-AKW-Bewegung gewann in der BRD und zum
liert, den Widerstand nicht nur auf Atomanlagen zu be- Teil im westeuropäischen Ausland eine gesellschaftliche
schränken, sondern ihn als Teil einer übergreifenden Bewe- Sprengkraft, die zuvor niemand für möglich gehalten hatte:
gung zu begreifen, »z.B. Häuserkampf, Kampf gegen Es gelang ihr zeitweise, die Energiepolitik des drittmächtig-
Kriegsvorbereitungen, ... Kampf gegen Folter in den Ge- sten Staates auf der Erde zu blockieren. Die Anti-AKW-Be-
fängnissen, ... die sich gegen die Vernichtung unserer Le- wegung entwickelte sich in den Jahren 1976/77 zugleich
bensbedingungen – Vernichtung unserer Umwelt wie auch auch gegen das von der SPD unter dem Bundeskanzler
die Entfremdung von Wohnen, Arbeiten und Leben – rich- Schmidt verfolgte »Modell Deutschland«. Dieses setzte po-
tet«. Dabei müsse man sich der Herausforderung stellen, litisch auf ein Bündnis zwischen exportorientierten Welt-
daß die Anti-Atom-Bewegung »immer deutlicher an die marktkapitalen und einer gewerkschaftlich hoch organisier-
Schranken des kapitalistischen Wirtschaftssystems und des- ten Facharbeiterklasse. Die Anti-AKW-Kämpfe der 70er
sen Gewaltapparat« stoße (aus: »Brokdorf 28.2.81 – Berich- Jahre trugen ganz wesentlich mit dazu bei, dieses »Modell«
te – Bilanz und Perspektiven«). in die Krise zu treiben.
Aus diesem Selbstverständis heraus begannen die auto- Es kann sicherlich in einer rückschauenden Betrachtung
nomen Gruppen um die Jahreswende 1981/82 ihre Kräfte die Behauptung gewagt werden, daß die Brokdorf-Ausein-
auf den Kampf gegen die Kriminalisierung von AKW-Geg- andersetzungen in der Zeit ab der zweiten Hälfte der 70er
nern in den Brokdorf-Prozessen zu konzentrieren. Während Jahre zu einer der Wiegen der autonomen Bewegung in der
der Demonstration war es durch das entschlossene Handeln West-BRD geworden sind. Dabei bleibt es das Verdienst der
von AKW-GegnerInnen gelungen, einen SEK-»Menschen- sich damals zu Autonomen entwickelnden Genossen, sich in
jäger« zu entwaffnen und am weiteren Einsatz zu hindern. den Anti-AKW-Kämpfen der 70er Jahre zu einem Zeit-
Gestützt auf ein reißerisches Pressefoto, veranlaßte das punkt als eine politische Fraktion herausgebildet und be-
schleswig-holsteinische Innenministerium eine bundesweite hauptet zu haben, als diese Auseinandersetzungen zugleich
Fahndung wegen »versuchten Mordes«, um die Anti-AKW- zu einer beschleunigten Auflösung der ML-Gruppierungen
Bewegung öffentlich zu denunzieren und einzuschüchtern. und der Gründung der grünen Reformpartei führten.

114 115
Die Hausbesetzerbewegung in West-Berlin 1980–83 Spekulanten. Bei der ersten Demo kam es zu einer Straßen-
Um die Jahreswende 1980/81 boomte quer durch die Repu- schlacht, in deren Verlauf ein Supermarkt geplündert wurde.
blik eine neue Hausbesetzerwelle. Zentrum wurde West- Die bürgerlichen Tageszeitungen sprachen danach von ei-
Berlin, wo zeitweilig über 160 Häuser besetzt werden konn- nem regelrechten »Aufstand« und lancierten Meldungen
ten. Dort fanden die Besetzungen vor dem Hintergrund ei- über einen bevorstehenden Einsatz alliierter Sicherheits-
ner jahrelangen Arbeit der verschiedensten Stadtteil-Initia- kräfte zur »Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung in
tiven und Mieterorganisationen gegen Wohnungsspekulati- der Stadt« (vgl. Berliner Morgenpost, 5.7.81).
on, Leerstand und Kiezkahlschlagpolitik statt. Bereits seit Der Einschüchterung durch die polizeiliche Repression
1979 wurden vereinzelt Häuser von der Bürgerinitiative SO setzte die Bewegung die Fähigkeit entgegen, dezentral in
36 und Mieterorganisationen »instandbesetzt«. Nach dem kleinen Gruppen in der gesamten Stadt zu agieren. Unter
Versuch der Bullen, im Dezember ’80 eine Hausbesetzung dem Motto »Euch die Macht – uns die Nacht!« gelang es
zu verhindern, kam es zur sogenannten »12.12.-Randale«, beispielsweise als Reaktion auf ein drakonisches Gerichtsur-
durch die die Bewegung einen enormen Schub bekam. Erst- teil gegen einen Hausbesetzer, in zwei Nächten die Schlös-
mals beteiligten sich auch viele Nicht-BesetzerInnen an den ser von 40 Bankfilialen zuzukleben und 70 Banken zu ent-
Auseinandersetzungen; die harte Repression gegen die Be- glasen. Der immensen staatlichen Repression konnte die Be-
wegung führte zu einer breiten Solidarisierungswelle in der wegung zu diesem Zeitpunkt immer wieder die Fähigkeit zu
Stadt. Die Bewegung stellte ultimativ die Forderung auf, so- Gegenschlägen in Form von überraschenden Scherbende-
fort alle gefangenen HausbesetzerInnen freizulassen, sonst mos auf dem Kudamm entgegensetzen. Die dabei in Millio-
würden Weihnachten »nicht nur die Weihnachtsbäume nenhöhe angerichteten Schäden veranlaßten dann auch die
brennen«. In einigen besetzten Häusern in Neukölln und Springer-Journaille in der Mauerstadt zu wutschnaubenden
Kreuzberg tauchten zu diesem Zeitpunkt erste Visionen von »Berlin kocht vor Wut« – Titelschlagzeilen.
»autonomen Republiken« auf. Die danach folgende Welle Die Bewegung war aber auch ein fruchtbarer Mobilisie-
von Hausbesetzungen wurde durch den sich bereits abzeich- rungsboden für andere Themen. Nicht zuletzt wegen der
nenden Legitimationszerfall des damaligen SPD/F.D.P.-Se- Betroffenheit über die staatliche Repression nahmen an ei-
nats – aufgrund von Korruption und Bauskandalen – er- ner Demonstration zur Unterstützung des Hungerstreiks
leichtert. Zudem eröffnete sich für die Bewegung durch das der RAF-Gefangenen im März 1981 10.000 Menschen teil.
politisch-juristische Vakuum staatlicher und privater Bau- Der Beginn und der quantitative Boom der BesetzerIn-
planungen in einer Reihe von Altstadtquartieren, insbeson- nenbewegung in West-Berlin war zunächst noch relativ
dere in Kreuzberg und Schöneberg, ein relativer Freiraum »theorielos«, was jedoch nicht bedeutet, daß keine politi-
für ihre Aktionen. schen Vorstellungen existierten. Die Besetzungen wurden
Nach den Ereignissen am 12.12.80 kam es zu einem von Leuten aus der undogmatisch linken Alternativszene ge-
sprunghaften Wachsen der Bewegung, das bis zum Septem- tragen, die zum Teil vorher in Anti-AKW-, Studenten- und
ber ’81 andauerte: Unter der Parole »Legal – illegal – Knastgruppen gearbeitet hatten. Nach den ersten Rück-
scheißegal!« lebten rund 3.000 Menschen in den besetzten schlägen durch staatliche Repression polarisierten sich in-
Häusern, die weite Teile ihres alltäglichen Lebens kollektiv nerhalb der Bewegung zwei Fraktionen an der Frage »Ver-
und selbst organisierten. Spektakuläre Höhepunkte waren handler – Nichtverhandler«. Lange Zeit war das stärkste Ar-
eine Reihe von Massendemos, wie z.B. Ende Juni die »Am- gument der Nichtverhandlerfraktion die staatliche Repressi-
nestiedemo« zum Rathaus Schöneberg oder im Juli die on, die zu einer Welle von Haftbefehlen und zum Teil hohen
»Grunewalddemo« direkt zu den Privatwohnhäusern der Gefängnisstrafen gegen HausbesetzerInnen wegen unter-

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stellten »Landfriedensbrüchen« auf Demonstrationen führ- durch einen kulturrevolutionären Prozeß unser Unbehagen
te. Dagegen wurde die Forderung nach sofortiger Freilas- und unsere destruktive Kraft in eine neue Bedürfnisstruktur
sung aller Gefangenen erhoben, bevor Verhandlungen mit und neue Verhaltensweisen zueinander transformieren.«
staatlichen Stellen geführt werden sollten. Demgegenüber Es gehe darum, »sich der Arbeit weitgehend zu entzie-
setzte die Verhandlerfraktion auf die Sicherung und Legali- hen«, da sie keinen Zusammenhang darstelle, in dem man
sierung des bisher von ihr erreichten Niveaus von »Instand- sich kennengelernt habe. Die Basis des eigenen Kampfes sei
besetzung«. In diesem Zusammenhang tauchten in der die »Subkultur«.
Presse erste Bilder von alternativ instandgesetzten »Schöner Diese auch innerhalb der West-Berliner Autonomen
Wohnen«-Häusern auf, die – gegenüber der bürgerlichen heftig umstrittene Begriffsdefinition zeigt auf, wie weit sie
Medienöffentlichkeit – die Friedfertigkeit und die Kreati- sich von dem ursprünglich vertretenen Autonomieansatz des
vität der HausbesetzerInnenbewegung herausstellen sollten. kollektiven Kampfes gegen die Lohnarbeit als politischen
und ökonomischen Angriff gegen das Kapitalkommando in
Die Autonomievorstellungen im West-Berliner Häuserkampf der Fabrik entfernt hatten. Teile der Hausbesetzerbewegung
Die Linien und Diskussionen innerhalb der Nichtverhand- übersetzten den Autonomiebegriff kurzerhand als individua-
lerfraktion, aus denen die West-Berliner Autonomen her- listischen Rückzug von jeder Form der kapitalistischen
vorgegangen sind, fanden ihren schriftlichen Ausdruck in Lohnarbeit. Abgesehen davon, daß diese Vorstellung unter
der monatlich erscheinenden Zeitschrift »Radikal«. den »objektiven« ökonomischen Bedingungen des Kapita-
So heißt es beispielsweise in der »Radikal«-Ausgabe lismus illusorisch ist, ging im Prinzip damit auch jeder An-
123/83: »Autonomie war ein Begriff, der sozusagen über spruch auf die Vermittlung der eigenen Vorstellungen in die
Nacht unsere Revolte auf einen Nenner brachte. Mitge- Wirklichkeit anderer gesellschaftlicher Bereiche verloren.
bracht aus Italien und in den Autonomiethesen der Szene Diese individualistisch-subjektivistische Wendung der
nahegebracht, repräsentierte er bald alles, was uns gut und »autonomen« Politik wurde nach einem Jahr Häuserkampf
heilig war, oder noch ist. Vorher verstanden wir uns als An- von Autonomen in einem Papier unter dem Titel »Stillstand
archisten, Spontis, Kommunisten oder hatten diffuse, indivi- ist das Ende von Bewegung« in der »Radikal« 1/82 so for-
duelle Vorstellungen von befreitem Leben. Dann wurden muliert:
wir alle zu Autonomen.« »Wir kämpfen für uns und führen keine Stellvertreterkriege.
Allerdings drückte sich in der »Radikal«- Debatte um Wir kämpfen nicht für Ideologie, nicht fürs Proletariat, nicht fürs
den Begriff der »Autonomie« zugleich ein inhaltlicher Volk, sondern für ein selbstbestimmtes Leben.«
Bruch zu den unsichtbaren autonomistischen Vorläufern aus
der Studentenrevolte ’68 aus. In der »Radikal«-Ausgabe Nr. Wie konnte es zu dieser Position kommen? Die Hausbe-
98 vom September ’81ist zu lesen: »Der hilfesuchende Blick setzerbewegung fiel in eine Zeit kaum wahrnehmbarer Klas-
auf Italiens Autonomia konnte unsere Identitätsprobleme senkonflikte. Ohne diesen möglichen Orientierungspunkt
auch nicht lösen.« In dieser Ausgabe der »Radikal« definie- blieb wenig mehr, als die Thematisierung der eigenen Be-
ren Teile der sich autonom verstehenden GenossInnen »Au- dürfnisse im unmittelbaren sozialen Umfeld der Alternativ-
tonomie« als etwas, bei der es darauf ankomme, » hier und bewegung. Diese wurde damit in der Wahrnehmung vieler
jetzt andere Lebensformen zu praktizieren. Die Zukunft der autonomer HausbesetzerInnen tatsächlich zur »Basis« der
bürgerlichen Gesellschaft stellt für uns keine Perspektive eigenen Kämpfe.
dar; eine andere Zukunft – die einer befreiten Gesellschaft – »In der Linken- und Alternativszene haben wir uns seit eini-
wird es nicht geben, wenn wir nicht bereits im Bestehenden gen Jahren Strukturen geschaffen, die es uns ermöglichen, zuneh-

118 119
mend selbstbestimmter zu leben, unseren Alltag kollektiv zu orga- nen sahen sich nach diesem staatlich inszenierten Höhe-
nisieren, von den ökonomischen Geschichten über’s Essen, Knei- punkt vor die Alternative »Räumen – oder Abschluß von
pen(-un)wesen, anderer Kultur etc. ... Wir haben in diesen relati- Mietverträgen«, d.h. Legalisierung, gestellt. Zudem war die
ven Freiräumen Möglichkeiten, ein Zusammenleben in verschie- Bewegung bereits zu diesem Zeitpunkt mit einem enormen
denen Gruppenzusammenhängen auszuprobieren, radikale Erfah- Ausmaß staatlicher Kriminalisierung konfrontiert: Rund
rungen gemeinsam in den Alltag umzusetzen. Außerdem macht’s 5.000 Menschen waren von Ermittlungsverfahren betroffen,
Mut zu zeigen: Leben geht auch anders! (und es lohnt sich).« die staatliche Repression nahm den Charakter einer mas-
senstatistischen Erfassung an.
Allerdings trieben die Debatten im Häuserkampf über
Die alternativen und lebensreformerischen Strömungen
diese »Basis« hinaus, d.h. bestimmte Erscheinungen und
ergriffen mit dem Abschluß von Mietverträgen verstärkt die
Formen der Alternativbewegung wurden zugleich von den
Möglichkeit, sich aus einer Auseinandersetzung abzuseilen,
Autonomen scharf kritisiert:
die sie nie als bewußte Konfrontation mit dem System und
»Wir unterstellen einem großen Teil aus der Alternativszene, dem Staat geführt hatten. Die zunehmend isolierter werden-
daß es ihnen nur darauf ankommt, ihr Leben anders zu organisie- de autonome Nichtverhandlerfraktion kritisierte dieses Ver-
ren, nicht aber gegen das System zu kämpfen. Sie richten sich in halten zwar moralisch, war jedoch nicht mehr dazu in der
ihren Nischen ein und kriegen den Arsch nur hoch, wenn sie di- Lage, die Bewegung auf einen Mietkampf und auf andere
rekt bedroht werden. Unsere Formen von Selbstorganisation soll- Gruppen in der Bevölkerung auszuweiten. Diesem Unter-
ten für uns zum Selbstverständnis und nicht zum politischen Ziel fangen stand zum einen die durch die Häuserkämpfe be-
erklärt werden.« wirkte – ursprünglich nicht vorgesehene – Verlängerung der
Mietpreisbindung als auch der weithin vertretene subjektivi-
Aus dieser Kritik nahmen auch Teile der West-Berliner
stische Ansatz von Teilen der Autonomen im Wege. Zudem
Autonomen eine Positionsbestimmung zur Bedeutung des
muß bezweifelt werden, ob eine derartige intensive politi-
widersprüchlichen Begriffs »Freiraum« vor:
sche Massenarbeit bei der Erschöpfung der tatsächlichen
»Wir kritisieren nicht unsere relativen Freiräume an sich, Kräfte der Bewegung die notwendigen kurzfristigen Mobili-
sondern Freiräume als Ziel. Für uns sind sie Ausgangspunkte in sierungserfolge hätte erbringen können.
unserem Kampf. ›Freiräume‹ erobern, absichern ... das ist klassi- Der konservativ-reaktionäre CDU/F.D.P.-Senat betrieb
scher Reformismus! Das bringt kein System ins Wanken – auch in der Folge mit geschickten Integrations- und Repressions-
das kapitalistische System reagiert sehr flexibel darauf: ›Freiräu- strategien eine gezielte Räumungs- und Umstrukturierungs-
me‹ können integriert, Widerstand kanalisiert werden, Ghettos politik, insbesondere für den Kiez in Schöneberg. Während
ohne Sprengkraft – Spielwiesen.« der Hochzeit der Bewegung im Sommer ’81 war der Win-
terfeldplatz zu einem der Zentren der Besetzerbewegung
Das Ende der Häuserkampfbewegung geworden, von dem immer wieder Aktionen gegen die nur
Bei der Räumung von acht besetzten Häusern am 22. Sep- drei Minuten entfernt liegende City ausgingen. Den plan-
tember 1981 wurde Klaus Jürgen Rattay von den Bullen vor mäßig aus diesem Bezirk geräumten BesetzerInnen wurde
einen Bus getrieben und dabei tödlich verletzt. An diesem vom West-Berliner Senat faktisch ein Schlupfloch in Rich-
Tag erreichte die Besetzerbewegung in West-Berlin durch tung SO 36 gelassen, wo weit zurückhaltender geräumt und
die Unterstützung des gesamten Spektrums der städtischen intensiver legalisiert wurde. Das war mit ein Grund für eine
Linken und der linksliberalen Öffentlichkeit ihre maximale Entwicklung, in der viele Autonome sich in diesen Stadtteil
Ausdehnungs- und Mobilisierungsgrenze. Die BesetzerIn- zurückziehen konnten und die schon im Jahre 1983 einen

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CDU-Bezirkspolitiker davon sprechen ließ, daß Kreuzberg Anfang November 1981 das Hüttendorf überfallartig besetz-
eine »Geisterstadt der Chaoten« sei. ten und zerstörten. Es kam zu Massendemos und teilweise
Allerdings führte der Zerfall der Bewegung – im Som- militanten Auseinandersetzungen im Wald – entlang der
mer des Jahres 1984 wurde das letzte besetzte Haus geräumt entstehenden Startbahnmauer –, in der Frankfurter Innen-
– nicht zu einem Ende der Autonomen. Der Abschluß des stadt, vor dem Flughafen und auf den angrenzenden Auto-
Häuserkampfes machte für sie zugleich auch wieder Räume bahnen. Im gesamten Bundesgebiet liefen in dieser Zeit So-
für andere politische Initiativen, Diskussionen und Kampa- lidaritätsdemonstrationen. In diesen Auseinandersetzungen
gnen frei. veränderte sich auch die Zusammensetzung der Bewegung.
Sie wurde in ihrer Hochphase ergänzt durch die Beteiligung
Der Kampf gegen die Startbahn-West von Automobilarbeitern aus dem Opel-Werk Rüsselsheim,
Die Bewegung gegen die Startbahn-West brachte als regio- der gesamten städtischen Frankfurter Linken und revoltie-
nale Widerstands- und Protestbewegung vor allem im renden Jugendlichen aus der Region. Die Bewegung wurde
Herbst 1981 die ganze Rhein-Main-Region an den Rand der allerdings maßgeblich bestimmt von bürgerlichen, teilweise
Unregierbarkeit. Die Anti-Startbahn-Bewegung hatte sich legalistisch-gewaltfreien Gruppierungen. Diese hatten sich
bereits in den 70er Jahren gegen den geplanten Ausbau des mit ihrer Arbeit auf das Volksbegehren orientiert. Die Posi-
Frankfurter Flughafens in ein noch relativ intaktes Waldge- tion der in dieser Bewegung mitarbeitenden Autonomen be-
biet gegründet. Zu jenem Zeitpunkt setzte sie sich vorwie- stand demgegenüber inhaltlich darin, die imperialistische
gend aus BürgerInnen der betroffenen Umlandgemeinden NATO-Dimension des Startbahn-Projektes zu verdeutli-
(Mörfelden-Walldorf usw.), kommunalen Gemeindevertre- chen und die direkten Widerstandsaktionen voranzutreiben.
terInnen des gesamten Parteienspektrums von CDU bis Nach der Ablehnung des Volksbegehrens durch alle
DKP und ökologisch arbeitenden Gruppen zusammen. Die staatlichen Instanzen (Landesregierung, Staatsgerichtshof)
Bewegung erreichte in dieser Zusammensetzung durch kon- zerfiel die Breite der Bewegung. Die legalistisch-gewaltfrei-
ventionelle Formen der Aufklärung eine enorme Öffentlich- en Teile orientierten sich auf die Gründung und Bildung von
keitswirkung, die Grundlage für erste praktische Protestak- »Grünen Listen« sowie auf ein weiteres hessisches Volksbe-
tionen im Wald wurden. Der Bau eines Hüttendorfes auf der gehren gegen die sich abzeichnende Raketenstationierung.
zur Rodung für die Startbahn vorgesehenen Trasse doku- Die restlichen Teile der Anti-Startbahn-Bewegung, insbe-
mentierte zunächst den Willen zu einer erweiterten demon- sondere die Autonomen, bereiteten statt dessen im Januar
strativen Meinungskundgabe. Es existierte bei vielen Aktivi- 1982 die »Baulos-2«-Massendemonstration vor. Zwar konn-
stInnen die Vorstellung, die Startbahn-West mit friedlichen ten auch bundesweit viele Autonome mobilisiert werden, das
und legalen Mitteln des Protests verhindern zu können. Ob- Demonstrationsziel der erneuten Besetzung des Geländes
wohl von staatlichen Instanzen bereits zu einem sehr frühen wurde jedoch aufgrund der massiven Polizeipräsenz nicht
Zeitpunkt signalisiert worden war, daß sie ein Volksbegehren erreicht.
gegen die Startbahn bei der Durchsetzung des Baus nicht
kümmern würde, wurden hessenweit dafür über 200.000 Die Entwicklung des Startbahn-Widerstands von 1982–84
Unterschriften gesammelt. Im hessischen Landtag durften Obwohl der Bau der Startbahn von den staatlichen Instan-
ausgewählte BI-Vertreter vor gelangweilten Parlamentariern zen bis zum Frühjahr ’82 mit bürgerkriegsähnlichen Bul-
Vorträge über die ökologischen Folgen und vor allem über leneinsätzen gegen den Protest einer ganzen Region durch-
die »ökonomische Unsinnigkeit« des Projektes halten. Die gesetzt worden war, erlahmte der praktische Widerstand
Situation veränderte sich jedoch schlagartig, als die Bullen nicht. Er wurde in den nächsten Jahren hauptsächlich von

122 123
den aktiven Resten der BIs, einigen aktiven BürgerInnen der »Unser weiterer Widerstand wird ein langer Kampf sein, der
Region und autonomen Gruppen aus dem Rhein-Main-Ge- auf die Veränderung des gesamten gesellschaftlichen und politi-
biet getragen. Im Gegensatz zur Entwicklung des regionalen schen Klimas der Grundstrukturen dieses Gesellschaftssystems ge-
Widerstands gegen den Bau des AKW Brokdorf, der kurz richtet werden muß. Die Qualität unseres Widerstandes wird sich
nach der Großdemonstration am 28.2.81 zusammengebro- deshalb nicht an der Durchsetzung unserer Hauptforderungen
chen war, gelang es, nach der Rodung des Startbahnwaldes messen, auch nicht an der Höhe des Sachschadens oder der tatsäch-
einen mehrjährigen kontinuierlichen Protest und Wider- lichen Behinderung des Flugverkehrs, sondern danach, inwieweit
stand am Leben zu erhalten. Es etablierten sich die »Sonn- ... die Vorstellungen von mehr und mehr Menschen anfangen, aus
tagsspaziergänge«, in deren Verlauf es immer wieder zu ihrer Vereinzelung und Entfremdung auszubrechen und (sie) be-
überraschenden Aktionen kam und ständig Streben aus der ginnen, ihr Leben und ihren Widerstand selbst und gemeinsam
Startbahnmauer geknackt werden konnten. mit anderen zu gestalten« (aus: BI-Dokumentation).
In den Jahren 1982–84 wurden, ausgehend von diesem
An der Abschlußdemonstration gegen die Einweihung
Widerstand, die militärische Dimension der Startbahn als
der Startbahn nahmen schließlich rund 10.000 Menschen
NATO-Kriegsprojekt und die ökonomische Bedeutung des
teil, darunter auch viele bundesweit mobilisierte Autonome.
Frankfurter Flughafens für den kapitalistischen Weltmarkt
Auch wenn die Inbetriebnahme der Startbahn eine Nieder-
zusätzlich zu den ökologischen Aspekten thematisiert. Für
lage für die Bewegung war, so setzte doch der gelungene Ab-
die TrägerInnen des Widerstands war es ganz selbstver-
schluß der Aktionswoche das von Teilen der Startbahn-BI
ständlich, daß sie sich auch zu anderen gesellschaftlichen
und der von regionalen autonomen Gruppen getragene
Konfliktbereichen wie z.B. der Friedensbewegung oder den
kontinuierliche Widerstandskonzept durch.
Anti-AKW-Auseinandersetzungen verhielten. So wurde ge-
meinsam mit dem autonom-unabhängigen Flügel der Frie- In einer deutschen Friedensbewegung werden
densbewegung im Frühjahr 1983 der Vorschlag für eine zen- die Autonomen isoliert
trale Herbstaktion der Friedensbewegung gegen die US-
Zeitgleich und teilweise überlagernd zu der Startbahn- und
Air-Base in Form von Massenblockaden entwickelt, der sich
Hausbesetzerbewegung fand in den Jahren 1980–83 ein Zy-
jedoch nicht durchsetzen konnte.
klus der Friedensbewegung statt, die zur größten außerpar-
Aus der kontinuierlichen Arbeit entstand die Idee einer
lamentarischen Massenbewegung in der Geschichte der
Aktionswoche gegen die Inbetriebnahme der Startbahn im
BRD wurde. Sie löste mit ihren Inhalten und ihrem Charak-
April 1984. Dabei intervenierten noch einmal kirchliche, so-
ter innerhalb der autonomen Gruppen kontroverse Diskus-
zialdemokratische und grüne Kräfte massiv in die Bewe-
sionen über den politischen Stellenwert derartiger Bewe-
gung. Für sie diente die Aktionswoche dazu, ihren Protest
gungen für eine Politisierung und Radikalisierung von Men-
gegen dieses Projekt endgültig zu Grabe zu tragen. Demge-
schen gegen die in der BRD herrschenden Verhältnisse aus.
genüber stand das Konzept weiter Teile der Startbahn-BI
Die traditionelle Friedensbewegung der 60er und 70er
und der regionalen autonomen Gruppen, den Widerstand
Jahre war hauptsächlich von pazifistischen, kirchlichen, sozi-
auch weiterhin fortzusetzen. So kam es während der Akti-
aldemokratischen und kommunistischen Kräften besetzt.
onswoche in Frankfurt zu Demonstrationen gegen den
Nach einem Schattendasein im Gefolge der sogenannten
Knast Preungesheim, gegen die Justizbehörden und die
»Entspannungspolitik« erhielt sie durch die geplante Rake-
multinationalen Konzerne, die wesentlich von den autono-
tenstationierung von Erstschlags- und Angriffswaffen der
men Gruppen getragen wurden. In einem Redebeitrag von
NATO Ende der 70er Jahre wieder Auftrieb. Autonome
Frankfurter Autonomen zu diesen Aktionen heißt es:

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Gruppen waren in dieser Zeit noch nicht in den organisato- Bremen im wesentlichen regional vorbereitet ... worden ist, war er
rischen Strukturen der Friedensbewegung präsent. doch bundesweit Anstoß dazu, alle nachfolgenden Rekrutenverei-
Das änderte sich jedoch schlagartig mit der Bundeswehr- digungen anzugreifen und klar zu machen, daß viele Menschen
rekrutenvereidigung am 6. Mai 1980 im Bremer Weserstadi- hier gegen Militarisierung und Krieg praktisch handeln« (»Anti-
on. Die SPD/F.D.P.-Bundesregierung versuchte, ihren Auf- NATO-Demo 11.6. in West-Berlin«).
rüstungskurs propagandistisch durch eine Reihe von öffent-
Die Bedeutung dieser Demonstration bestand darin, daß
lichen Rekrutenvereidigungsshows zu verankern. Gegen
sich die nach dem »Deutschen Herbst« verbliebenen Ansät-
diese militaristischen Jubelfeiern richtete sich am 6. Mai in
ze des Linksradikalismus in Form autonomer Gruppen, mit
Bremen die Demonstration von einem breiten Bündnis der
den Anfängen der weitgehend von Jugendlichen getragenen
politischen Linken. Im Verlauf dieser Demo übernahmen
Sozialrevolte verbanden. Das schlug sich in der Folgezeit in
die Autonomen die Spitze des Zuges und brachten in einer
einer Welle von Störungen gegen weitere Rekrutenvereidi-
stundenlangen Straßenschlacht am Weserstadion die Bullen
gungen (z.B. in Flensburg, Bonn, Hannover) und Hausbe-
in eine enorme Bedrängnis. In einer Broschüre schrieben sie
setzungen nieder.
dazu:
Innerhalb der linksradikalen Szene löste der 6. Mai Dis-
»Zum anderen waren auf dieser Demonstration viele von uns kussionen über den Beginn einer neuen antiimperialisti-
entschlossen, diese NATO-Jubelfeier auch praktisch zu verhin- schen Anti-Kriegs-Bewegung aus. Eine an Bremen anknüp-
dern. Diese Entschlossenheit hat sich einmal daraus entwickelt, fende regionale Orientierung für den Herbst 1980 gegen die
daß viele autonome AKW-Gegner erkannt haben, daß es nicht NATO-Manöver im Raum Hildesheim zeitigte jedoch nicht
nur darum geht, hier gegen AKWs zu kämpfen, sondern daß der die erhoffte Resonanz. Eine mit großem Aufwand vorberei-
Kampf gegen dieses System insgesamt geführt werden muß. Viele tete antiimperialistische Demonstration mobilisierte ledig-
von uns, die aus der Anti-AKW-Bewegung kommen, haben er- lich 2.000 Menschen, die daran entwickelten organisatori-
kannt, daß der Kampf gegen AKWs und der Kampf gegen Atom- schen Strukturen fielen nach diesem Mißerfolg bald wieder
waffen zusammengehören, und haben in ihren Zusammenhängen auseinander. Dagegen kam es in Bremen von Seiten der dor-
(Anti-AKW BIs) die inhaltliche Auseinandersetzung darum ge- tigen Linksradikalen und Autonomen auf Grundlage ver-
führt. Deshalb waren an der Vorbereitung auf die Demo am 6.5. bliebener Strukturen der BBA (Bremer Bürgerinitiativen ge-
viele von uns beteiligt, die ihre Geschichte in der Anti-AKW-Be- gen Atomanlagen) zu einer Gründungswelle von »Krieg
wegung haben, und konnten auch auf die Erfahrungen mit z.B. dem Krieg«-Gruppen. Sie entwickelten eine regionale Ori-
den Demos in Brokdorf zurückgreifen. Zum anderen hat diese entierung gegen die NATO-Munitionstransporte, die in
Entschlossenheit auch damit zu tun, daß es hier in Hamburg im dem nach Frankfurt zweitgrößten US-amerikanischen Mi-
April ’80 gelungen war, eine spontane Demonstration gegen den litärstützpunkt in der BRD, in Bremerhaven/Nordenham,
Überfall der USA auf den Iran zu organisieren, bei der PANAM umgeschlagen werden.
praktisch (mit Steinen und Mollis) angegriffen worden ist. Insge- Im Zeitraum von 1981 bis zum Sommer ’82 kam es zu
samt haben wir in Bremen die Erfahrung gemacht, daß wir nicht drei größeren Aktionen einer von Autonomen getragenen
nur Opfer sind in der Auseinandersetzung mit der Gewalt des Anti-Kriegs-Bewegung. Im September ’81 fand eine De-
Staates, sondern daß wir auch handeln können. Unsere Militanz monstration gegen den Besuch des damaligen US-amerika-
hatte sich als wirksame Waffe im politischen Kampf erwiesen, ob- nischen Außenministers Haig in West-Berlin statt (O-Ton
wohl wir noch weit davon entfernt waren, sie organisiert und poli- Haig: »Es gibt wichtigeres als den Frieden.«), im Frühjahr
tisch bewußt und bestimmt einzusetzen. Obwohl der 6. Mai in 1982 wurde die in Hannover stattfindende Militärelektro-

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nikmesse IDEE gestört, und am 11.6.82 wurde eine eigen- Häuserkampfbewegung geworden und lösten so teilweise den Teil-
ständige Demo gegen den Besuch des US-Präsidenten Rea- bereichscharakter dieser Bewegung auf. Hier stellt sich für uns
gan in West-Berlin durchgeführt. Insbesondere der Ablauf grundsätzlich die Frage, ob es eine radikale Anti-Kriegsbewe-
der Haig-Demo wurde von den daran beteiligten Autono- gung, die eine Perspektive haben soll, geben kann, die nicht in den
men als Erfolg gewertet. sozialen Alltagskämpfen verwurzelt ist« (aus: »Überlegungen
Nach dem Ende einer Demonstration von 60.000 Men- zur Anti-Kriegsbewegung«).
schen versuchten rund 5.000 Linksradikale, ausgehend vom
Diese Überlegungen sind ein Reflex auf die Situation der
Winterfeldplatz, weiter zum Rathaus Schöneberg zu de-
autonomen Gruppen zwischen einer zu diesem Zeitpunkt
monstrieren, um den dortigen Empfang für Haig zu stören.
darniederliegenden Anti-Kriegsbewegung sowie einer boo-
Dabei kam es zu heftigen Auseinandersetzungen mit den
menden Friedensbewegung. Bereits bei den Aktionen gegen
Bullen, bei der diese teilweise die Initiative verloren. Diese
die Waffenelektronikmesse IDEE in Hannover war es im
Ereignisse beherrschten in den darauffolgenden Tagen die
Zusammenhang einer Bündnisdemonstration zur offenen
Berichterstattung der bürgerlichen Presse, wodurch sinnfäl-
Spaltung zwischen den Autonomen und weiten Teilen der
lig der Bruch vom ursprünglich gerade in West-Berlin herr-
Friedensbewegung gekommen. Auch wenn es den autono-
schenden Massenkonsens zwischen der Bevölkerung und
men und antiimperialistischen Gruppen einen Monat später
den USA als »Schutzmacht« und dem »Garanten der Frei-
noch einmal mit 5.000 GenossInnen gelang, gegen den Rea-
heit« demonstriert wurde. In einem Kommentar der WELT
gan-Besuch in West-Berlin zu mobilisieren, so fand die
vom 19.9.1981 heißt es denn auch resignierend zum Me-
»Schlacht am Nollendorfplatz« bereits in bewußter Abgren-
dienbild eines »isolierten Haig«: »Haig fuhr durch leere
zung zu den anderen Teilen der Friedensbewegung statt.
Straßen, durch inner-berlinische Polizeimauern. Der Platz
Diese hatten am Tag zuvor in Bonn mit etwa 500.000 Men-
vor dem Schöneberger Rathaus, der alte Ort des Massen-
schen und in West-Berlin mit 100.000 Menschen gegen den
konsens der Freiheit, glich einer Quarantäne, einem Qua-
Reagan-Besuch protestiert.
drat der Berührungsangst. So entstand in den Medien (und
Zwar konnte vorläufig eine offene Spaltung zwischen
in vielen Köpfen) der Eindruck eines »anderen Berlin«.«
den Autonomen und der Friedensbewegung vermieden wer-
Was machte die Stärke dieser Demonstration aus? Ham-
den, die weitere politische Entwicklung führte jedoch zu ei-
burger GenossInnen schrieben dazu in einem Papier aus
ner immer stärkeren Isolierung der autonomen Gruppen in-
dem Jahre 1983:
nerhalb der Friedensbewegung. Worin sind die Gründe für
»Die Dynamik entwickelte die Anti-Haig-Demo, ... nicht aus diese Entwicklung zu suchen?
den Imperialismusanalysen einzelner Gruppen, sondern aus der Die weitestgehend von Autonomen getragene Anti-
sozialen Bewegung des Häuserkampfes, die das ›Hinterland‹ für Kriegs-Bewegung war mit ihren regional entwickelten In-
die Demos gebildet hatten. Ohne sie wäre alles anders gelaufen. itiativen nicht in der Lage, die an der Frage der NATO-Auf-
Hier spielte ... die Erfahrung, die die einzelnen Leute in ihren all- rüstung entstehende Massenbewegung antimilitaristisch
täglichen Kämpfen mit dem System gemacht hatten, eine wichtige und antiimperialistisch zu orientieren. Darüber hinaus kam
Rolle. Direkte Betroffenheit mobilisiert anders als theoretische es innerhalb der Autonomen und des weiten Spektrums des
Analysen und abstrakte Einsichten über den Charakter des US- unabhängigen Teils der Friedensbewegung auf einem Tref-
Imperialismus. Die Häuserkampfbewegung in Berlin gab der De- fen im Herbst 1982 in Osnabrück über die weitere politische
mo erst die Rückendeckung und Dynamik. Natürlich waren der Strategie zum Bruch, insbesondere an der Frage »Bündnis-
Kampf gegen Imperialismus, NATO und Krieg auch Inhalte der politik mit allen anderen Teilen der Friedensbewegung«.

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Während die aus diesen Auseinandersetzungen entstehende nen, Häuserkämpfe). So waren z.B. die zur Vorbereitung der
»Bundeskonferenz unabhängiger Friedensgruppen« (BUF) Reagan Demonstration in West-Berlin gebildeten organisa-
danach weiter als Vertreter des »linken Flügels« im zentra- torischen Strukturen kurz nach dem 11.6. völlig in sich zu-
len Bonner Koordinationsgremium der Friedensbewegung sammenfallen, was sich in einer unzureichenden Solida-
mitarbeitete, hielten sich die Autonomen zunächst aus wei- ritäts- und Betreuungsarbeit zu den Gefangenen dieser Ak-
teren Aktivitäten heraus. tionen zeigte. Erst unter großen Mühen konnte ein Min-
Für die Entwicklung 1980–82 bleibt festzuhalten, daß destmaß an Unterstützungsarbeit für die Gefangenen und
der Ansatz einer radikalen Anti-Kriegs-Bewegung in nur gegen die laufenden Prozesse organisiert werden.
kurzer Zeit durch den Einsatz des gesamten Organisations- Diese Entwicklung war mit einer zunehmenden Isolie-
apparates der DKP, der Grünen, Jusos und weiter Teile der rung der Autonomen innerhalb der wachsenden Friedensbe-
pazifistischen und kirchlichen Strömungen an den Rand der wegung verbunden, die die Notwendigkeit einer eigenen
gesellschaftlichen Diskussion gedrängt werden konnte. Die Standortbestimmung und gemeinsamen Strategiebildung
Friedensbewegung bestimmte mit ihren Inhalten und For- erforderte. Der von den Autonomen wahrgenommene
men in der Folge das Bild der Bewegung in der Öffentlich- Stand der eigenen Bewegung wurde wie folgt beschrieben:
keit. Nicht zufällig fanden ihre beiden ersten größeren Mas-
»Die Situation in den verschiedenen Städten stellte sich in den
senmanifestationen im Sommer ’81 auf dem Hamburger
meisten Fällen sehr ähnlich dar: die linke Szene zersplittert,
Kirchentag und im Oktober in Bonn unter maßgeblicher
kaum noch einheitliche Plena und gemeinsame politische Diskus-
Führung kirchlich-links-sozialdemokratischer Kreise statt.
sionen, Gruppen treffen sich zu Aktionen (meistens Demonstra-
In der Folge bauten diese politischen Fraktionen bis zum
tionen) und fallen hinterher wieder auseinander. Wir reagieren
Herbst 1983 über ein zentrales Bonner Koordinationsgre-
auf die Schweinereien des Staates und bewegen uns von einer Ak-
mium ihre Macht und ihren Einfluß gegenüber der Bewe-
tion zur anderen und von einem politischen Schwerpunkt zum an-
gung in einem ungeahnten Ausmaß aus. Dabei entsprach es
deren ... Zusammenhang und Austausch zwischen den verschiede-
dem Selbstverständnis dieser Bewegungs-»Führer« im In-
nen pol. Schwerpunkten ist kaum vorhanden, keine gemeinsame
teresse der Erhaltung eines »inneren Friedens«, gemeinsam
Einschätzung der Situation, keine gemeinsame Strategie, auf de-
mit den Bullen neue Kooperationsformen bei Aktionen aus-
ren Grundlage wir unsere Schwerpunkte und Aktionen bestim-
zuarbeiten, bei denen die Autonomen mit ihren inhaltlichen
men und Kontinuität entwickeln können ...« (Vorbereitungsmate-
Vorstellungen und praktischen Ansätzen immer weiter an
rialien)
den Rand gedrängt werden sollten.
In der Vorbereitungsgruppe wurde der Vorschlag ent-
Organisierungsversuche wickelt, das gemeinsame Selbstverständnis der Autonomen
Um die Jahreswende 1982/83 wurde angesichts der sich im jenseits strategischer Debatten über die Perspektiven einer
Herbst ’83 abzeichnenden Raketenstationierung von Ham- Anti-Kriegs-Bewegung hinaus zu diskutieren. Sie schrieben
burger GenossInnen der Versuch unternommen, zu einer hierzu:
überregionalen Koordinierung der autonomen Gruppen zu
»Das Streben nach Autonomie ist vor allem der Kampf gegen
kommen. Dafür wurden zwei Treffen in Hannover (Februar)
politische und moralische Entfremdung von Leben und Arbeit –
und in Lutter (Juni) organisiert. Insbesondere die Debatten
gegen die Funktionalisierung für Fremdinteressen, gegen die eige-
in Lutter fielen in eine Zeit, wo ein Niedergang des voran-
ne Verinnerlichung der Moral unserer Gegner – der Versuch, sich
gegangenen Bewegungszyklus der Neuen Sozialen Bewe-
das Leben wieder anzueignen ... Dieses Streben kommt zum Aus-
gungen festzustellen war (Anti-AKW, Anti-Kriegs-Aktio-

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druck, wenn Häuser besetzt werden, um menschenwürdig zu der DemonstrantInnen kam es zu über 60 zum Teil schwer
wohnen oder um die hohen Mieten nicht mehr bezahlen zu müs- Verletzten und 138 Festnahmen, die später zu über 50 Ver-
sen, wenn Arbeiter krank feiern, weil sie die Fremdbestimmung urteilungen, angefangen von Bußgeldern, Strafbefehlen, bis
am Arbeitsplatz nicht mehr aushalten, wenn die Arbeitslosen Su- hin zu zweijährigen Gefängnisstrafen, führten. Weite Teile
permärkte plündern .... Wenn sie sich nicht den bloßen Forderun- der Friedensbewegung distanzierten sich bereits im Verlauf
gen der Gewerkschaften nach Arbeitsplätzen anschließen, die ja ihrer Kundgebung von dieser Demonstration.
doch nur Integration in Unterdrückung und Ausbeutung bedeu- Das Debakel von Krefeld verdeutlicht, wie ein Mißerfolg
ten. Überall da, wo Menschen anfangen, die politischen, morali- einer falsch eingesetzten politischen und praktischen Mili-
schen und technischen Herrschaftsstrukturen zu sabotieren, zu tanz dazu führen kann, das staatliche Kalkül von allgemeiner
verändern, ist es ein Schritt zum selbstbestimmten Leben. Unser Einschüchterung und politischer Spaltung zu verstärken.
Streben nach Autonomie muß einhergehen mit der öffentlichen Die danach folgenden Auseinandersetzungen zeigten die au-
politischen Auseinandersetzung mit Andersdenkenden ... und dem tonomen Gruppen in doppelter Weise nicht nur als Opfer
ständigen Bemühen, unsere Ideen zu vermitteln, die hinter unse- der staatlichen Repression, sondern zugleich auch als ein
rem Leben und hinter unseren Aktionen stehen.« eher hilfloses Objekt einer innerhalb der Friedensbewegung
gegen sie aufgeworfenen polarisierenden »Gewaltdebatte«.
Die Debatten auf dem bundesweiten Treffen in Lutter
Im Sommer ’83 wurde die »Gewaltdebatte« zudem noch
(vom 18.7.-24.7.83) waren jedoch wesentlich von den Kon-
durch lancierte Meldungen der Staatsschutzapparate (BKA,
troversen über die aktuelle Situation der Friedensbewegung
Generalbundesanwaltschaft, Verfassungsschutz usw.) und ei-
geprägt. Sie standen stark unter dem unmittelbaren Ein-
ne massive publizistische Beihilfe der liberalen Massenmedi-
druck der Ereignisse anläßlich einer Demonstration von au-
en in einem enormen Ausmaß verschärft. So erschien z.B.
tonomen und antiimperialistischen Gruppen in Krefeld.
die Illustrierte STERN mit einem Titelbild, das die hocher-
Das Krefeld-Debakel hobene Hand eines Steinewerfers mit dem Untertitel: »Ge-
walt – Nein Danke!« zeigte.
Dort fanden anläßlich des Besuches des US-Vizepräsidenten
In diesem Zusammenhang wurde von Hamburger Ge-
Bush zwei Demonstrationen statt. Die Friedensbewegung
nossInnen in einem Beitrag für das Lutter-Treffen selbstkri-
rief zu einer Kundgebung weit ab vom tatsächlichen Ge-
tisch vermerkt:
schehen in einem Fußballstadion gegen die geplante Statio-
nierung von Mittelstreckenraketen auf, an der 25.000 Men- »Die weitergehende Zielsetzung der autonomen Gruppen
schen teilnahmen. Demgegenüber mobilisierten autonome (Abschaffung des kapitalistischen Systems, nicht nur des Atompro-
Gruppen mit starker antiimperialistischer Ausrichtung bun- gramms) hat sich oft in der Frage der Widerstandsformen ver-
desweit zu einer eigenständigen Demonstration, die inhalt- selbständigt und wurde an der Konfrontation mit dem Polizeiap-
lich gegen die NATO-Kriegsführungsdoktrin bestimmt war. parat zugespitzt. Gerade in der letzten Zeit wurde dies zum
Dabei wurde kein Versuch unternommen, in die Vorberei- scheinbaren Verbindungsglied zwischen den unterschiedlichsten
tungen der Massendemonstration der Friedensbewegung Gruppen (Hausbesetzer, Anti-AKW-Gruppen, antiimperialisti-
einzugreifen. Die Demo sollte durch die Krefelder Innen- sche Gruppen usw.) und hat neben dem Unverständnis und dem
stadt direkt zu dem Ort des Empfanges für Bush führen. Mißtrauen vieler anderer Gruppen den Begriff ›autonome Grup-
Schon kurze Zeit nach dem Beginn der Demo, an der rund pen‹ zu einem Begriff gemacht, den der Staat sehr bewußt und sy-
1.000 GenossInnen teilnahmen, wurde sie von SEK-Kom- stematisch gebraucht, um unsere Inhalte auf die Gewaltfrage zu
mandos aufgehalten und vollständig zerschlagen. Auf Seiten reduzieren.«

132 133
In den Diskussionen um die Frage eines Eingreifens in (Soziallohnabbau) zu konzentrieren, wurde nicht weiter auf-
die Friedensbewegung schälten sich im wesentlichen zwei gegriffen. Zwar war es den Autonomen immer wieder ge-
Standpunkte heraus. Von der AUTONOMIE-Redaktion Ham- lungen, sich für eine bestimmte Aktion auch überregional zu
burg wurde eine eher skeptische Beurteilung bezüglich einer organisieren. Die dabei entwickelten Strukturen fielen aber
Beteiligung von Autonomen an den Herbstaktionen der meistens nach dem anvisierten Ereignis rasch wieder ausein-
Friedensbewegung vertreten: ander. Ein Grund dafür lag darin, daß eine Organisierung
über kontinuierlich stattfindende bundesweite Treffen sich
»Bei den jüngsten Ereignissen in Krefeld ist deutlich gewor-
stets von neuem mit der Schwierigkeit konfrontiert sah,
den, wie gering die Chancen dafür sind, daß die Friedensbewe-
letztlich eine Organisierung »von oben« zu bewerkstelligen,
gung in ihrer Vielfalt zu einer gegenseitigen Potenzierung unter-
was einem zentralen Punkt des Selbstverständnisses vieler
schiedlicher Aktionsformen kommen und zu einem wirklichen
Autonomer widersprach. Diese Versuche waren von der
Faktor gegen die Raketenstationierung werden kann.«
Entwicklung begleitet, daß die bundesweiten Treffen oft-
Demgegenüber sprachen sich einige andere autonome mals als Ersatz für fehlende lokale und regionale autonome
Gruppen für eine Beteiligung an den Herbstaktionen der Zusammenhänge verstanden wurden. Das machte es immer
Friedensbewegung aus, die mit ihren im norddeutschen wieder von neuem schwierig, allgemeinverbindliche Ein-
Raum geplanten Blockadeaktionen und deren »Konfrontati- schätzungen und Strategien über bestimmte Ereignisse hin-
onscharakter« als »radikalisierend« eingeschätzt wurden: aus zu entwickeln. Seit dem Jahre 1983 hat es denn auch kei-
nen Versuch einer bundesweit umfassenden Organisierung
»Wichtig erscheint uns, die NATO in ihrer Struktur und
der autonomen Gruppen – mit Ausnahme der IWF-Kampa-
ihren militärischen Einrichtungen an möglichst vielen Punkten
gne – mehr gegeben.
auf den unterschiedlichsten Ebenen zu bekämpfen. Nur dadurch
Die politische Entwicklung ist bis zum »Raketenherbst«
wird ein Bewußtsein über die Komplexität dieses militärischen
dadurch gekennzeichnet, daß es der – weitgehend von zen-
Machtapparates geschaffen, in dem auch der Widerstand gegen
tralistischen Großorganisationen dominierten – Friedensbe-
die Mittelstreckenraketen seine strategische Bedeutung erhält.
wegung mit einer ideologisierten Gewaltfreiheit gelang, je-
Unseren Widerstand gegen die Bombenzüge betrachten wir als ei-
de antiimperialistische und sozialrevolutionäre Dimension
nen Schritt in diese Richtung. Er bietet die Möglichkeit der konti-
des Protestes auszugrenzen. Ihr Minimalkonsens richtete
nuierlichen und konkreten Auseinandersetzung antimilitaristi-
sich lediglich gegen bestimmte Waffensysteme und mit
scher Gruppen ... Ein offensives Verhalten zur Stationierung im
ihren Aktionen versuchte sie, gegenüber den Herrschenden
Herbst wird letztlich ohne eine Grundlage antimilitaristischer
den Wunsch nach der Beibehaltung des »Friedens« oder an-
Arbeit auf regionaler und lokaler Ebene nicht möglich sein, dabei
ders formuliert: des »imperialistischen Normalzustandes«
wird den Bombenzügen auch in diesem Zusammenhang eine
zum Ausdruck zu bringen. Dabei erstarrten die als Protest
wichtige Bedeutung zukommen« (Autonome Gruppen aus Han-
gemeinten Handlungen zu polizeilich vorausberechenbaren
nover in: Vorbereitungsmaterialien).
leeren symbolischen Unterwerfungsgesten an die staatlichen
Die Ergebnisse der Diskussionen in Lutter konnten für Instanzen. Das Konzept führte zu einer faktischen Ausgren-
die Autonomen keine weiteren Organisierungsfortschritte zung der autonomen Gruppen, die mit ihren Vorstellungen
im Hinblick auf den »Raketenherbst« ermöglichen. Der von das Harmoniebedürfnis der Friedensbewegung störten. In
einigen GenossInnen, insbesondere aus Jobber- und Ar- diesem Zusammenhang entwickelte die Friedensbewegung
beitslosengruppen, vertretene Ansatz, sich gemeinsam ge- vorher nicht gekannte Formen der Zusammenarbeit mit den
gen den laufenden Krisenangriff auf dem sozialen Terrain staatlichen Instanzen (Loccumer und Stuttgarter Gespräche

134 135
zwischen den Bullen und »Bewegungsführern«, Standlei- Spielball einer riesigen Polizeiübermacht. Der ganze depri-
tungen zwischen den Bullen und den Demoleitungen), die mierende Ablauf der Bremerhaven-Demonstration war
dem Ziel dienten, die Autonomen nicht nur zu kontrollie- kennzeichnend für die verfahrene Situation in dem Verhält-
ren, sondern wenn nötig auch (offensiv) an die Bullen auszu- nis zwischen den Autonomen und der Friedensbewegung.
liefern. Die ungelöste »Gewaltfrage« hatte bereits im Vorfeld al-
les blockiert, so daß die darüber nicht geführten inhaltlichen
»Heißer Herbst« und kalter Kaffee Auseinandersetzungen im nachhinein nicht mehr aufgeholt
Im Rahmen der Aktionswoche der Friedensbewegung vom werden konnten. So blieb dann ihre Beteiligung an den Ak-
13.-22. Oktober ’83 kam es trotz aller Widersprüche zu ei- tionen der Friedensbewegung quasi »putschistisch« aufge-
ner massiven Beteiligung von Autonomen an den Blockade- setzt, fremd und letztlich isoliert, was der Ablauf der Bre-
aktionen in Bremerhaven/Nordenham und am Springer- merhaven-Aktion sinnfällig demonstrierte. Die seitens vieler
Verlagsgebäude in Hamburg. Grundlage für beide Mobili- Autonomer gehegte Hoffnung, doch eine »Radikalisierung«
sierungen war die kontinuierliche Arbeit der in der Region der Friedensbewegung erreichen zu können, scheiterte. Zu-
Unterweser arbeitenden antimilitaristischen Gruppen, die treffend und voller Sarkasmus wurde dann auch in einem
sich z.B. in Bremen in dem »Komitee gegen die Bombenzü- Auswertungsflugi von West-Berliner Autonomen kommen-
ge« (KGB) zusammengeschlossen hatten, sowie die autono- tiert: »Zwischen Bremen und Bremerhaven liegen 60 Kilo-
men Strukturen in Hamburg. meter und drei Jahre.«
In beiden Aktionen übten jedoch die bürgerlichen und Allerdings bewahrheiteten sich auch nicht ursprünglich
traditionellen Kräfte der Friedensbewegung die politische geäußerte Befürchtungen von eine »Falle Bremerhaven«
Hegemonie aus. Selbst der regional antimilitaristisch gegen oder einer »Abräumaktion italienischen Ausmaßes« im Ra-
die alltägliche NATO-Infrastruktur orientierte Ansatz der ketenherbst. Die völlige politische Isolation der autonomen
KGB-Gruppen konnte in die Bündniskonzeptionen des tra- Gruppen machte derartige staatliche Repression überflüssig.
ditionellen Teils der Friedensbewegung integriert und im Als beispielsweise kurz vor der Massenkundgebung der Frie-
»Raketenherbst« politisch wirkungslos gemacht werden. densbewegung am 22. Oktober in Hamburg eine Solida-
Zwar gelang es den Autonomen auf der Bremerhavener ritätsdemonstration für die Hafenstraße von den Bullen auf-
Großdemonstration – ähnlich wie am 6. Mai ’80 in Bremen gemischt und über 150 GenossInnen festgenommen wur-
–, die Spitze des Demonstrationszuges zu übernehmen, eine den, kam es seitens der Friedensbewegung zu keinerlei Re-
geschickte Demoführungsregie aus den Reihen der Friedens- aktionen. Was hatte die Hafenstraße auch mit ihrer Sehn-
bewegung sorgte jedoch dafür, daß der Autonomenblock ge- sucht nach Frieden zu tun? Sie bekundete mit dem Ablauf
trennt von der Masse der anderen Demonstrationsteilneh- der Aktionswoche ihre Angst vor neuen Atomraketen und
merInnen durch die Straßen der Stadt lief. Dabei stieß der ging anschließend nach Hause, und einen Monat später
praktisch und politisch völlig isolierte Autonomenblock auf wurde ohne nennenswerten Widerstand die Stationierung
einen gemeinsam von Bullen und gewaltfreien Sitzblockiere- vollzogen und durchgesetzt. Im Januar 1984 stellten die Re-
rInnen versperrten Hafeneingang am »Roten Sand«. In der volutionären Zellen/Rote Zora in einem fulminanten Kri-
danach folgenden Phase der Desorientierung zog der auto- tikpapier an dieser Bewegung unter dem Titel: »Krise –
nome Demoblock in einem stundenlangen Fußmarsch völlig Krieg – Friedensbewegung« fest:
erschöpft und zersplittert durch die Stadt und wurde in den
»Die neuen sozialen Bewegungen – das hat die Friedensbewe-
Abendstunden, als er die amerikanischen Kasernen im Ha-
gung auf den Punkt gebracht – verlaufen zunehmend quer zur
fengelände erreichte, in einem abgelegenen Gebiet zum

136 137
Klassenfrage, überlagern soziale Inhalte und entwickeln sich in Auch wenn die Aktionen in Hildesheim und in der Unter-
Teilen nach rechts. Als ausschließlicher Bezugspunkt einer revolu- weserregion keine ausgesprochenen Mißerfolge waren, so
tionären Praxis werden sie fragwürdig. Jenes ›Ab in die Bewe- wurden sie doch aufgrund der fehlenden öffentlichen Reso-
gung‹, das die Frage der Mobilisierung vor ihre Inhalte und Ziele nanz zum Endpunkt der größeren autonomen Aktivitäten
stellt, reicht als Kriterium nicht länger.« auf dem Terrain der Friedensbewegung.

Der Rückzug der Autonomen und der Zerfall der


Friedensbewegung
Trotz der deprimierenden Erfahrungen aus dem »Raketen-
herbst« arbeiteten Autonome noch eine Weile in der Frie-
densbewegung mit. Im Herbst 1984 mobilisierten sie zur
Behinderungen von NATO-Manövern im Raum Hildes-
heim. Im Februar 1985 fand noch einmal im Unterweser-
raum eine Blockade der Bombenzüge statt. Aber auch mit
diesen Aktionen gelang es nicht mehr, eine inhaltliche Radi-
kalisierung einer sich bereits im Abschwung und Zerfall be-
findlichen Bewegung zu erreichen. Die Friedensbewegung
hatte mit ihrer Orientierung auf einen verbalen Protest ge-
gen die Stationierung bestimmter Waffensysteme bereits im
Herbst 1983 ihren Mobilisierungshöhepunkt überschritten.
Sie konnte auch danach nicht mehr aus ihrer Fixierung auf
die von staatlichen Instanzen betriebene »Friedens- und Ab-
rüstungspolitik« ausbrechen. Mit dem Nicht-Eintreten der
von ihr prognostizierten Kriegsgefahr (»Fürchtet euch, der
Atomtod bedroht uns alle!«; »Es ist 5 vor 12!«) und den sich
auf internationaler Ebene abzeichnenden Tendenzen zur
Rüstungskontrolle zerfiel eine wesentliche Legitimationsba-
sis der von ihr propagierten Katastrophenpolitik. Auf der
anderen Seite hatte sich mit der reibungslosen Durchset-
zung der Raketenstationierung die Wirkungslosigkeit ihrer
legalistischen Strategie eines appellativen Massenprotests an
die herrschende Klasse gezeigt. Mit der Wiederholung von
wirkungslosen und ritualisierten Massenaktionen (Oster-
marsch ’84, Volksbefragung) konnte sie nach dem »Raketen-
herbst« ihren Auflösungsprozeß nicht mehr aufhalten. Aus
diesem Grunde trafen die in den Jahren 1984/85 von Auto-
nomen organisierten Aktionen nicht mehr auf das Forum ei-
ner breit untereinander kommunizierenden Bewegung.

138 139
Ein paar Skizzen autonomer Bewegung quer deutlicher als in anderen Teilen der BRD soziale Trennungs-
durch die letzten Jahre der West-Republik prozesse zu weiten Teilen der Alternativbewegung ab.
Die nachfolgenden Skizzen über die politischen und so-
zialen Entwicklungen, die von den Autonomen zum einen
produziert wurden und denen sie zugleich auch immer wie-
Parallel, quer und nachfolgend zu den in jeder Hinsicht de- der unterworfen waren, stellen nur einen Ausschnitt aus
primierenden Erfahrungen mit der deutschen Friedensbe- dem gesamten Universum autonomer Bemühungen in die-
wegung kam es auf der theoretischen Ebene zu verstärkten sem Jahrzehnt vor dem Zusamenfall der Berliner Mauer dar.
Diskussionen über neue Räume sozialrevolutionären Han- Sie wären der Vollständigkeit halber um Kapitel über die re-
delns. Der Rahmen dieser Diskussion wurde in dem bereits gionalen Entwicklungen der Autonomen im Ruhrgebiet, in
erwähnten Kritikpapier der Revolutionären Zellen an der Süddeutschland und vor allem in Freiburg zu ergänzen. Und
Friedensbewegung aus dem Januar 1984 angerissen. Auf der überhaupt: Mit welchem Recht ist es erlaubt, die von Auto-
Seite des eher banal-organisationspraktischen Handgemen- nomen organisierten Kampagnen zum Bleiberecht für alle
ges waren die Autonomen mehr als einmal mit der Grünen Flüchtlinge, die Organisierung der antifaschistischen Arbeit,
Reformpartei, den Antiimps und der Stadtguerilla sowie der die in vielen Städten und Orten gelaufene Aktivitäten gegen
Anti-AKW-Bewegung in teilweise auch tatkräftig ausgetra- Umstrukturierung und Yuppiesierung, die in autonomen
gene Streitereien verstrickt. Von besonderer Bedeutung wa- Zusammenhängen erbittert geführten Vergewaltigungsdis-
ren die politischen und sozialen Entwicklungen der Autono- kussionen, die von Frauen vollzogene Trennung von auto-
men in den drei Zentren Hamburg, West-Berlin und Frank- nomen Männern und ihre eigenständigen Organisierungs-
furt sowie die gegen die Tagung des Internationalen prozesse in dieser Darstellung zu unterschlagen? Leider
Währungsfonds und der Weltbank gerichtete Kampagne. In kann auf diese schmerzlichen Lücken an dieser Stelle nur
dieser Entwicklung spiegelt sich eine untergründige Abwen- eindringlich hingewiesen werden. Gerade eine kompromiß-
dung der Linksradikalen von den Provinzorten der neuen lose Aufarbeitung dieser zum Teil vernünftigerweise ge-
sozialen Bewegungen wieder zurück in die Städte. Nach den scheiterten Versuche und Ansätze wäre für eine Reformulie-
in den Betriebs- und den Häuserkämpfen erlebten Niederla- rung einer neuen befreiend gelebten Politik einer autono-
gen und nach dem »Deutschen Herbst« hatten sich die men Bewegung, die sich tatsächlich auf dem Weg ins 21.
hauptsächlichen und vor allem spektakulären linksradikalen Jahrhundert machen will, so dringend notwendig.
Tätigkeiten ab Mitte der 70er Jahre auf Kämpfe gegen Statt dessen muß sich die nachfolgende Darstellung mit
AKWs und die industrielle Umstrukturierung in den Regio- dem Problem herumschlagen, daß sich die Beschreibungen
nen bezogen. Es war in dieser Zeit immer ein krasser Wi- an den während der 80er Jahre in der bürgerlichen Öffent-
derspruch gewesen, die subversiv-militante Praxis in den lichkeit wahrgenommenen »Highlights« der Autonomen
Anti-AKW-Kämpfen nicht mit einer vergleichbaren Politik ausrichtet. Diese Blickrichtung wird zudem noch durch die
in den Städten verbinden zu können Diese wäre zudem auch entsprechenden staatlichen Repressionsmaßnahmen ver-
polizeilich etwas schwerer angreifbar gewesen. Spätestens stärkt. So stellt sich z.B. die Frage, was über die Entwicklung
mit der Hausbesetzungswelle in West-Berlin waren die des autonomen Widerstandes an der Startbahn-West zu
Linksradikalen jedoch wieder als politische Kraft in das Ter- schreiben gewesen wäre ohne die verhängnisvollen und
rain der Städte zurückgekehrt. Dabei zeichneten sich in den falschen Pistolenschüsse vom November des Jahres 1987?
regionalen städtischen Schwerpunkten der Autonomen Die vom Autor gewählte Darstellungsweise unterschlägt die
vielen alltäglichen und weniger spektakulären Diskussionen

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und Bemühungen vieler Genossinnen, die ohne entspre- zentrierten sich auf die Frage der eigenen sozialen Existenz
chendes Medienspektakel stattgefunden haben. Viele Auto- auf dem Arbeitsmarkt. In Folge der zweiten »Ölpreiskrise«
nome in Hamburg haben in den 80er Jahren auch ganz an- im Winter 1979/80 kam es zu einem sprunghaften Anstei-
dere Probleme diskutiert als permanent die Frage der gen der Arbeitslosenzahlen, die von der herrschenden Klas-
Durchsetzung des Hafens, und auch Kreuzberger Autono- se zunehmend dazu benutzt wurde, Kürzungen in den sozia-
me hatten Besseres zu tun, als beständig auf den nächsten len Bereichen durchzusetzen, in denen viele Autonome zu-
Kiezaufstand zu warten. Trotz dieser offenkundigen Mängel vor ihre materielle Existenz gesichert hatten (Arbeitslosen-
erschien die skizzenhafte Darstellung einiger politischer und geld, Sozialhilfe, BAFöG usw.). Aus der noch in den 70er
sozialer Entwicklungslinien dieses Zeitraums deshalb ge- Jahren relativen Freiheit der flexiblen Jobauswahl wurde un-
rechtfertigt zu sein, weil sie Autonomen in den 80er Jahren ter den Bedingungen einer verschärften Massenarbeitslosig-
Identifikationspunkte für ein gemeinsames Selbstverständ- keit die immer weniger freiwillige Notwendigkeit, Jobs zu
nis eröffneten. Insofern haben sie wesentlich dazu beigetra- immer schlechteren und ungesicherteren Bedingungen an-
gen, die Autonomen zu einer symbolischen Gegeninstituti- nehmen zu müssen. Als Reaktion auf diese Entwicklung
on in der BRD-Gesellschaft werden zu lassen. Die weiterge- gründeten sich allerorten in der BRD und West-Berlin auto-
hende Frage, ob das nun »gut« oder nicht viel eher nome Jobber-, Sozi- und Erwerbslosengruppen, die dabei
»schlecht« war und ist, soll mit dem Hinweis an dieser Stel- zum Teil auf den »operaistischen« Ansatz aus Italien zurück-
le jedoch nicht entschieden werden. Das bleibt seitens des griffen.
Autors einer späteren Darstellung vorbehalten. Im Jahre 1982 konnten diese Gruppen beim ersten bun-
desweiten Erwerbslosenkongreß den Versuch des DGB, die-
Wird Politik in Klassen- oder Massenbewegungen se Bewegung unter seine Führung zu bringen, verhindern.
herumgerührt oder abmoderiert? Aus der Ablehnung einer DGB-Orientierung der Erwerbs-
Die enttäuschenden Erfahrungen mit der Friedensbewe- losenbewegung unter dem Motto »Arbeit für alle« – egal zu
gung im Herbst 1983 führten bei einigen Teilen der Auto- welchen Bedingungen, und egal, was damit produziert wird
nomen zu einer scharfen Kritik an diesem Konzept von so- (z.B. AKWs und Rüstungsteile) – ergab sich jedoch inner-
zialer Bewegung. Gerade nach dem »Raketenherbst« stand halb der autonomen Jobberbewegung kein überregional ver-
deutlicher denn je ein Fragezeichen dahinter, inwieweit die bindender politischer Ansatz.
von Autonomen bislang angestrebte Radikalisierung von so-
»Die VertreterInnen der Klassenpolitik gingen von der Not-
zialen Bewegungen noch eine Folie für eine Revolutionie-
wendigkeit und aktuellen Möglichkeit militanter ArbeiterIn-
rung der gesellschaftlichen Verhältnisse abgeben kann. Ob-
nenkämpfe aus. Notwendigkeit, weil an einer Zentralität der Ar-
wohl die Kritik nicht zu einer gemeinsamen Neuorientie-
beiterInnen, deren produktive Kooperation vom Kapital auch in
rung führte, fand jedoch eine Diskussion darüber statt, wie
Zukunft nicht durch Maschinen ersetzt werden könne (Kritik am
einerseits das erreichte Niveau an praktischer Radikalität
Mythos Vollautomation), für eine revolutionäre Perspektive fest-
und Massenmilitanz gehalten und andererseits eine Auswei-
gehalten wird, und weil sogenannte ›Freiräume‹ in Wirklichkeit
tung der Bewegung über die kulturellen Grenzen der Szene
vom System abhängig und auch tolerierbar seien, solange die
hinweg erreicht werden kann. Vor diesem Hintergrund er-
Mehrwertproduktion läuft; Möglichkeit, weil erstens die Fabrik
fuhr kurzzeitig das existierende Konzept von Jobbergruppen
immer mehr auf die Gesellschaft ausgedehnt werde, immer mehr
eine größere Beachtung. Diese Gruppen waren zu Beginn
Bereiche unmittelbar dem kapitalistischen Kommando unterwor-
der 80er Jahre als Reaktion auf die auch auf Szenestrukturen
fen würden, so daß Kämpfe in einzelnen Sektoren unmittelbar die
durchschlagende ökonomische Krise entstanden und kon-

142 143
Mehrwertproduktion treffen (z.B. Frauenkämpfe, Stadtteile, »autonome Jobberorganisierung« immer wieder von neuem
Knast, Ausbildungssektor etc.), zweitens unter der Oberfläche des von der »Mobilität der Entgarantierten« unterlaufen. Kon-
›sozialen Friedens‹ der Kampf der Klassen gegen die Arbeit nie kret bedeutete das, daß viele Leiharbeiter sich immer noch
zum Erliegen gekommen sei und nur aus seinen reformistischen lieber aus einem beschissenen Jobverhältnis herauskündigen
Fesseln befreit werden müsse. ließen, als sich der mühevollen und zudem noch ungewissen
Daraus ergab sich eine mehr oder weniger radikale Absage an Kleinarbeit einer politischen Organisierung zu unterwerfen.
›Szene-Politik‹ und eine Verankerung militanter Kerne in den Die Konzeption eines autonomen Jobberansatzes schleppte
verschiedenen Sektoren; dies aber nicht als Fortsetzung linker Ka- von Beginn an das ungelöste Problem mit sich herum, daß
derpolitik, um die Massen zum richtigen Bewußtsein zu missio- das Kapital die relative Freiheit der »Jobberautonomie« der
nieren, sondern als Aufhebung der ›Politik in erster Person‹, dort, mobilen Linksradikalen aus den 70er Jahren als Drohung ei-
wo jeder dazu beiträgt, das System zu reproduzieren, kollektiven nes neuen Spaltungsinstruments gegenüber den Kernbeleg-
Widerstand zu organisieren ... schaften instrumentalisieren konnte.
Die Bewegungspolitikerinnen machten geltend, daß angesichts Der Jobberansatz blieb sowohl in den Betrieben als auch
einer integrierten bestenfalls reformistischen und im Weltmaßstab innerhalb der autonomen Szene in einem doppelten Sinne
privilegierten, metropolitanen Klasse von dieser jedenfalls nicht die minoritär: An den in den 80er Jahren stattfindenden zentra-
entscheidende Initiative zu einer Revo (Revolution, d. Verf.) aus- len Lohnarbeit-Kapital-Konflikten (Werftbesetzungen in
gehen könne. Auch sei der ›operaistische‹ Ansatz systemimmanent Norddeutschland, Tarifkonflikte um die Einführung der 35-
und nicht auf die außerhalb der Verwertung Stehenden anwend- Stunden Woche im Frühjahr ’84 und ’87, Mobilisierung ge-
bar, also dort, wo (in der trikontinentalen Subsistenz, bei den me- gen die Einschränkung der Streikfähigkeit der Gewerk-
tropolitanen Leistungsverweigerern) am ehesten noch eine zum schaften Ende ’86, Auseinandersetzungen um die Stillegung
Kapital antagonistische Gesellschaftlichkeit überleben bzw. sich des Stahlwerkes in Rheinhausen ’87/’88) wurde zwar von
entfalten könne« (Autonome Freiburger Studis/Bolschewiki). Autonomen eine genaue und fundierte Kritik vorgenommen
(vgl. z.B. die »Karlsruher Stadtzeitung« Nr. 34/84). Als han-
Die Auseinandersetzungen von Autonomen mit dem Be-
delnde Subjekte waren sie in diesen Konflikten aber nicht
reich der »Arbeit« waren im Prinzip von ähnlichen Schwie-
präsent, und ihre in einigen Betrieben aufgebauten Struktu-
rigkeiten gekennzeichnet, die eine der wesentlichen Erfah-
ren blieben auf eine informelle Ebene beschränkt. Zwar
rungen im Verhältnis der »neuen Linken« zur ArbeiterIn-
konnten im Rahmen von DGB-Demonstrationen zum 1.
nenklasse seit ’68 ausmachte. In der sozialen Zusammenset-
Mai und anderen Anlässen immer wieder von neuem gegen
zung war der Bereich der Lohnarbeit in den 80er Jahren
die reformistische Politik der Gewerkschaftsführung gerich-
weitgehend von einer politisch integrierten, gewerkschaft-
tete oppositionelle Arbeitslosen- und Jobberblöcke organi-
lich hoch organisierten Facharbeiterklasse in sogenannten
siert werden. Die dabei u.a. propagierte gewerkschaftsunab-
»Kernbelegschaften« dominiert. Sie waren auch weiterhin
hängige Organisierung im Bereich der Lohnarbeit wurde
ein außerordentlich schlechter Resonanzboden für die im
von der autonomen Szene jedoch nicht weiter aufgegriffen.
weitesten Sinne »autonome« Vorstellung eines »selbstbe-
Zwar gab es die ganzen 80er Jahre hindurch eine bemer-
stimmten«, d.h. gegen das Kapitalkommando organisierten,
kenswerte Kontinuität kleinerer Aktionen und Initiativen
Lebens. Zwar gab es in dieser Zeit eine Ausweitung von un-
autonomer Gruppen für einen offensiven Umgang mit der
gesicherten und flexibilisierten Leiharbeitsverhältnissen, ihr
Arbeitslosigkeit, die versuchten, das Existenzrecht gegen
Umfang blieb jedoch gemessen an der Gesamtbeschäftigung
den Zwang zur Lohnarbeit zu thematisieren. Trotzdem
gering. Zudem wurde die in diesem Bereich propagierte
blieb das Konzept der Szene in dem Sinne aufgesetzt, als daß

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ihre Strukturen die Möglichkeit beinhalteten, sich dem kon- Bündnis mit anderen »fortschrittlichen Kräften«, die zu je-
ventionellen Erwerbsbereich relativ entziehen zu können. nem Zeitpunkt starken rechten bis reaktionären Kräfte
Konsequent zu Ende gedacht, hätte eine vollständig am Er- (Gruhl/Springmann) aus der Partei zu drängen und ein
werbsbereich orientierte Organisierung bedeutet, daß die links-alternatives Programm durchzusetzen. Das drückt sich
»Szene«-Strukturen hätten aufgegeben werden müssen. in den beschlossenen programmatischen Leitsätzen »Basis-
demokratisch – Gewaltfrei – Sozial – Ökologisch« aus.
Zwischen Haßkappe und Birkenstocksandalen: Während dabei der Begriff der »Gewaltfreiheit« eine klare
Die Autonomen und die Grünen Konzession an die Normen des bürgerlichen Rechtsstaats
Der Entstehungsprozeß der Partei der Grünen ist ganz prä- ist, in dessen Mechanismen man beabsichtigt, an Wahlen
zise auf die politische Gemengelage in der zweiten Hälfte teilzunehmen, signalisiert der Begriff der »Basisdemokra-
der 70er Jahre, irgendwo im weiten außerparlamentarischen tie« eine im Prinzip antistaatliche Orientierung. Imperative
Gestrüpp zwischen der »neuen Linken«, der Anti-AKW- Mandatsstrukturen, wie z.B. die Rotation, sollten »Exper-
Bewegung und dem gleichzeitigen Zerfall der ML-Gruppie- ten- und Berufspolitikertum« verhindern, per Satzung wur-
rungen zu datieren. Die »neue Linke« wurde seit dem Nie- den in Partei und Parlamentsfraktionen Ämterhäufungen
dergang der APO im Sommer 1968 von Zeit zu Zeit immer ausgeschlossen. Für Parlamentarier wurden auf Basis eines
mal wieder von sogenannten »Organisationsdebatten« Facharbeiterlohns egalitäre Einkommen beschlossen. Große
heimgesucht. Als auch die ebenfalls aus der APO entstande- Teile der über Parlamentsposten eingenommenen Kohle
nen ML-Gruppierungen Mitte der 70er Jahre an politischer sollten an einen Fonds abgeführt werden, mit dem Aktivitä-
und sozialer Resonanz zu verlieren begannen, gab es – aus ten der außerparlamentarischen Bewegungen unterstützt
dem Umkreis von zumeist durch die 68er Revolte an die werden sollten.
Universitäten gespülten Intellektuellen – die nächste Orga- In den Jahren 1979–82 hatten die Grünen in einer Reihe
nisationsdebatte. In expliziter Abgrenzung zu »autonomisti- von Landtags- und Kommunalwahlen enorme Erfolge. In
schen Positionen«, die damals u.a. von Johannes Agnoli ver- bestimmten regionalen Protestregionen (Lüchow-Dannen-
treten wurde, wurden unmittelbar vor dem Entstehungspro- berg, Rhein-Main) wurden sie mit teilweise zweistelligen
zeß der GRÜNEN Konzepte einer linkssozialistischen Par- Ergebnissen gewählt. In den Dienstleistungszentren West-
tei diskutiert. Auch wenn diese Diskussionen zunächst nicht Berlin, Frankfurt und Hamburg gelang ihnen der erfolgrei-
den gewünschten Erfolg zeitigten, so tauchten doch nach- che Einzug in die Parlamente. Auf dieser Basis erfolgt
folgend eine Reihe von Namen aus jener Debatte später bei schließlich auch der Einzug in das Bonner Parlament bei der
der Partei der Grünen wieder auf (Rudi Dutschke, Christian Bundestagswahl im Frühjahr 1983. Der endgültige Durch-
Ströbele, Thomas Schmid). Die noch verbliebenen Reste bruch als parlamentarische Partei war in nur kurzer Zeit mit
der zerfallenden ML-Bewegung benötigten ab Ende der einem Boom an Abgeordnetenmandaten in den Kommunal-,
70er Jahre noch eine Reihe von »sozialistischen Konferen- Kreis- und Landesparlamenten sowie dem Bundestag ver-
zen«, die von mehreren tausend Leuten besucht wurden, um bunden. Bei keiner anderen parlamentarischen Partei in der
schlußendlich im Hafen der Grünen Partei landen zu kön- BRD stellte sich das Verhältnis zwischen Mitgliederzahl und
nen. Mandatsverteilung so eng dar wie bei den Grünen. Mitte der
In den ersten programmatischen Auseinandersetzungen 80er Jahre übten z.B. in Hessen rund 80 % der Parteimit-
während der Gründungsparteitage der in den Jahren glieder zugleich auch ein Abgeordnetenmandat aus. Die
1979/80 auf bundesweiter Ebene entstehenden Partei der durch die Wahlerfolge gewonnenen enormen staatlichen
Grünen gelang es den parteierfahrenen ML-Resten im Geldmittel konnten dazu benutzt werden, zunächst die frei-

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willige Fraktion mit einer großen Anzahl von bezahlten Re- nisse steht – die Linie eines Bündnisses mit der SPD um je-
ferenten und wissenschaftlichen Hilfskräften zu einem ef- den Preis verfolgt. Ihre Programmatik weist dabei eine
fektiv arbeitenden Apparat auszubauen. Diese Entwicklung strukturelle Nähe zu den institutionellen Apparaten auf, was
war in der Folge mit einem Bedeutungsverlust der Partei ge- ein wesentlicher Grund für die starke Medienpräsenz dieser
genüber den Fraktionen verbunden, da diese sich nicht im Strömung in den liberalen Meinungskonzernen war. Das
gleichen Umfang einen bürokratischen Apparat zulegen »Realo-Konzept« besaß dabei stets den Vorteil, konsequen-
konnte. ter politischer Ausdruck der sozialen Bewegung innerhalb
Der Verparlamentarisierungsprozeß der zunächst verbal des Grünen Parteiapparats zu sein, der aus Selbsterhaltungs-
als »Anti-Parteien-Partei« oder als »Protestpartei« angetre- interesse an einer Machtbeteiligung in den parlamentarisch-
tenen Grünen war mit einer normalen Korruption der mei- bürgerlichen Strukturen interessiert sein muß. Demgegenü-
sten ihrer MandatsträgerInnen verbunden. Zunächst wurde ber war das aus pädagogisch-leninistischen Versatzstücken
vom Prinzip der Rotation abgewichen, dann wurde, gegenü- zusammengebastelte Konzept der »Ökosozialisten« dieser
ber einer Basisanbindung in Form von Parteitagsbeschlüs- Sozialbewegung aufgesetzt und innerhalb der notwendiger-
sen, von Abgeordneten das »individuelle Gewissen« geltend weise konservativ zu setzenden Form einer parlarmentari-
gemacht. Irgendwann waren dann auch die egalitären Ein- schen Partei auch in sich unstimmig. Viele der an dem
kommen auf Basis eines Facharbeiterlohns nicht mehr aus- Gründungsprozeß der Grünen beteiligten ML-Linken ver-
reichend, das schwere Los eines Parlamentsabgeordneten folgten mit dieser Partei vermutlich die Illusion, damit eine
erträglich zu gestalten. Viele Bundestagsabgeordnete der starke oppositionelle Instanz zur Aufklärung über bürgerli-
Grünen fingen an, große Teile ihres Gehalts von weit über che Herrschaftsverhältnisse aufbauen zu können. In diesem
10.000 DM monatlich auf ihr eigenes Sparkonto, anstatt es, Sinne glaubten sie die innerhalb der Form einer grünen Par-
wie noch in Parteibeschlüssen festgelegt war, an den »Öko- tei ebenfalls vertretenen bürgerlichen und karrieristischen
fonds« abzuführen. Kräfte für ihre »linke Politik« benutzen zu können. Diese
Auf der politischen Ebene durchzog in den Jahren ziemlich schlau sein wollenden Linken ahnten nicht, daß
1983–89 der sogenannte »Fundi-Realo-Konflikt« die De- nicht sie die Grüne Partei benutzten, sondern daß es hinter
batten in der Partei. Der Begriff der Fundamentalisten ist ihrem Rücken genau umgekehrt war. Die noch zu Beginn
dabei ein von den Realos im innerparteilichen Meinungs- der 80er Jahre eher ungefestigte Partei benötigte das Orga-
streit geprägter Kampfbegriff, der Assoziationen an einen nisationswissen der alten ML-Linken zum Zwecke ihres
verbohrten, Argumenten unzugänglichen, eher unberechen- Aufbaues. Als die parlamentarische Existenz der Grünen
baren »islamischen Fundamentalismus« wecken soll. Kon- und damit die Alimentierung aus Staatsgeldern allerspäte-
kret steht er für ein Gemisch aus ehemaligen Mitgliedern stens in der zweiten Hälfte der 80er Jahre nicht mehr ernst-
des KB, die sich selbst als »Ökosozialisten« verstehen, und haft in Frage stand, war dann auch die Zeit für weiterhin ra-
sogenannten »Radikalökologen« vorwiegend aus Hessen. dikal sein wollende alte ML-Linke in machtpolitischer Hin-
Diese Strömung verfolgte entweder die Option, jegliche Zu- sicht endgültig abgelaufen. Der »Fundi-Realo« Konflikt
sammenarbeit mit den »etablierten Volksparteien« abzuleh- entschied sich einfach zugunsten der Realos auf ganzer Linie
nen (z.B. in Frankfurt), oder sie versuchte, die SPD (wie z.B. und wurde damit Teil der Geschichte der untergegangenen
’82 und ’86 in Hamburg) mit einem radikalisierten sozialde- West-BRD. Sofern die in der Entwicklung zu einer norma-
mokratischen Programm vorzuführen. Demgegenüber wur- len Staatsbürgerpartei innerhalb der Grünen überflüssig ge-
de von den sogenannten »Realos« – deren Selbstbezeich- machten Ökosozialisten und Radikalökologen mittlerweile
nung bereits für die fatalistische Anpassung an die Verhält- nicht nur Bier und Schnaps trinken, probieren sie ihr Glück

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– wie noch in den 70er Jahren – wieder in ein paar randstän- zu handgreiflichen Auseinandersetzungen, die den offenen
digen Politiksekten. Auch wenn zwischenzeitlich innerhalb Bruch beider Strömungen dokumentierten. Wenig später
der Grünen Partei wieder so etwas wie ein Zusammenhang traten die Grünen in eine von der SPD geführte Regie-
von »linken Grünen« existiert, so besteht doch dessen we- rungskoalition ein. Über die Leiche von Günter Sare hin-
sentliche Funktion in den 90er Jahren hauptsächlich darin, weg wurde dem Ex-Sponti Joschka Fischer von dem hessi-
das weitgehend tote Parteileben der Grünen für den Rest an schen Ministerpräsidenten Dachlatten-Börner, der verant-
Öffentlichkeit nicht völlig einschlafen zu lassen. Die von wortlich für die Durchsetzung der Startbahn-West war, die
Zeit zu Zeit innerhalb der Grünen Partei immer mal wieder Ernennungsurkunde zum ersten grünen Minister in der
geführten Diskussionen, das weitgehende Ende jeglicher au- BRD ausgehändigt. Damit kam ein politischer Anpassungs-
tonomer Kommunikation und relevanter Auseinanderset- prozeß der Grünen Partei zu einem ersten Endpunkt. Die-
zungen mit Hilfe von sogenannten »Strukturreformen« und ser hatte sich bereits nach der Niederschlagung und dem
einer »Professionalisierung von Politik« wiederzubeleben, Zerfall der Anti-Startbahn-Bewegung um die Jahreswende
sind allenfalls noch ein unbewußter Reflex auf diese Ent- 1981/82 abgezeichnet.
wicklung. Die Existenz und Entwicklung der Grünen ist oh- Diese Regierungsbeteiligung der Grünen markierte eine
ne Zweifel mitverantwortlich für die Mitte der 80er Jahre Zäsur im oppositionellen Spektrum der Linken in der BRD.
eintretende relative Krise der sozialen Bewegungen. Das hat Dabei stehen auf der Seite der Grünen alle diejenigen, die
jedoch gleichzeitig bei den Autonomen die Diskussionen anfangen, sich gemäßigt alternativ in der bürgerlichen Ge-
über Organisierungsformen zu einer eigenständigen politi- sellschaft einzurichten. Die Grünen repräsentieren be-
schen Kraft verstärkt. In einem widersprüchlichen Verhält- stimmte Gruppen aus der Alternativbewegung, vor allem die
nis zwischen Konfrontation und Kooperation kam es in den dort mittlerweile etablierten Selbständigen und Kleinunter-
80er Jahren immer wieder zu einem wechselseitigen Be- nehmer, aber auch diejenigen, die sich von einer institutio-
mühen, sich zu instrumentalisieren. Die Konflikte spitzten nellen Politik, einem zweiten »Marsch durch die Institutio-
sich besonders im Herbst 1985 nach der Ermordung von nen« nochmals Karrieren und Posten erhoffen. Auf der an-
Günter Sare durch einen Wasserwerfer der Frankfurter Bul- deren Seite repräsentieren die Autonomen als politische
len im Verlauf einer von Antifagruppen gegen eine NPD- Richtung diejenigen, die über die ökonomischen Krisenme-
Veranstaltung organisierten Kundgebung zu. In vielen Städ- chanismen aus der sogenannten »Zwei-Drittel-Gesell-
ten des Bundesgebietes kam es daraufhin zu militanten Aus- schaft« ausgegrenzt worden sind und von bestehenden Ver-
einandersetzungen. Während es jedoch in Hamburg und hältnissen wenig bis nichts zu erwarten haben.
West-Berlin, trotz aller inhaltlichen Differenzen, zu großen Die politischen und sozialen Spaltungslinien zwischen
Bündnisdemonstrationen zwischen Grünen und Autonomen den Grünen und den Autonomen tauchen in den folgenden
kam, polarisierten sich in Frankfurt die Fronten zwischen Jahren immer wieder von neuem auf. Von Zeit zu Zeit wer-
Autonomen/Antiimps und den dort führenden realpoliti- den von beiden Seiten die Trennungen forciert: So verfaßten
schen Exponenten der Grünen, Fischer und Cohn-Bendit. beispielsweise nach den Wackersdorf- und Brokdorfausein-
Für letztere ging es darum, nach der von der sozialdemokra- andersetzungen im Juni ’86 prominente grüne Parlamenta-
tischen Polizeiführung zu verantwortenden Ermordung rier einen offenen Brief mit der Aufforderung an die Anti-
Günter Sares, den durch die breiten Protestaktionen dro- AKW-Bewegung, die Autonomen und Militanten aus ihren
henden Legitimationsschwund für das verfolgte Projekt ei- Reihen auszugrenzen. Nach dem Kreuzberger Kiezaufstand
ner Regierungsbeteiligung in Hessen aufzuhalten. Im Ver- am ersten Mai ’87 begannen Autonome, für ihre Vorstellun-
lauf eines »Teach-Ins« kam es zwischen diesen Fraktionen gen ohne Bündnis mit der AL zu mobilisieren.

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Trotzdem existierte in dem Verhältnis zwischen Grünen Die Bedeutung der Stadtguerillakonzeptionen für die
und den Autonomen in den 80er Jahren nirgendwo eine für Autonomen und ihr Verhältnis zu den Antiimps
irgendwen verbindliche »klare politische Linie«. So gab es Zweifelsohne stand den Autonomen aufgrund ihres Selbst-
immer wieder politische Bündnisse, so z.B. im Hamburger verständnisses und der von ihnen teilweise geübten Praxis
Brokdorfkonvoi, der in Kleve von den Bullen zusammenge- einer Kleingruppenmilitanz die Praxis einer sozialrevolu-
schlagen wurde, oder in dem Kampf um den Erhalt der tionären Basisguerilla näher als das Konzept einer antiimpe-
Häuser in der Hafenstraße usw. Zeitweise benötigten die rialistischen Metropolenguerilla.
Grünen die Autonomen in gesellschaftlichen Konflikten als Dabei unterlagen die hauptsächlich von den Revolu-
»militanten Arm«, um ihn als Droh- und Verhandlungspo- tionären Zellen repräsentierten Basisguerillakonzeptionen
tential in eine parlamentarische Politik zu vermitteln. In die- in geringerem Umfange schriftlich geführten Auseinander-
sem Sinne war auch ein vom damaligen CDU-Bundesfi- setzungen als die Theorie und Praxis der RAF. In einer zu
nanzminister Stoltenberg im Zusammenhang mit den Beginn der 80er Jahre von einigen Autonomen geführten
Tschernobyl-Auseinandersetzungen gewählter Begriff, in Diskussion über die von den RZ vertretenen Vorstellungen
dem er die Autonomen als einen »bewaffneten Arm der wurde ein als »bewegungsnäher« begriffenes Konzept einer
Grünen Partei« bezeichnete, in einem kalt funktionalisti- »Guerilla diffusa« formuliert, das mit der Aufforderung an
schen Sinne nicht völlig unzutreffend. die RZ verbunden wurde, ihre »Art von Organisation« zu-
Auf der anderen Seite benötigten die Autonomen die gunsten eines erneuten Eintritts in die autonomen Bewe-
Grünen zu ihrem eigenen Schutz vor der staatlichen Repres- gungen aufzugeben (siehe auch die in den Ausgaben der
sion als Bündnispartner. Diese Wechselbeziehung löste sich »Radikal« von Frühjahr1983 bis Anfang 1984 geführten
jedoch seit 1987 mehr oder weniger auf. Nach den Schüssen Diskussionen).
an der Startbahn-West unterstützte die Grüne Bundestags- Zu Beginn der 80er Jahre intervenierten Revolutionäre
fraktion die gegen die Autonomen eingeleiteten staatlichen Zellen mit verschiedenen Aktionen und Diskussionsbeiträ-
Fahndungs- und Repressionsmaßnahmen, während Autono- gen in die sozialen Bewegungen (Anti-AKW-, Startbahn-
me sich von vorneherein auf eine bündnisunabhängige Anti- und Friedensbewegung). So führten sie über zwei Jahre eine
IWF-Mobilisierung orientierten. intensive Kampagne gegen den Bau der Startbahn-West
Resümierend bleibt zur Entwicklung der Grünen in den durch, bei der Baufirmen angegriffen wurden. Bei dem Ver-
80er Jahren festzuhalten, daß dem »demokratischen Rechts- such, mit Schüssen in die Beine eine »Bestrafungsaktion«
staat« durch den Anpassungsprozeß dieser Partei eine enor- gegen den damaligen Wirtschaftsminister Karry durchzu-
me Integrationsleistung gelungen ist. Die von Autonomen führen, wurde dieser getötet, was eine Revolutionäre Zelle
bereits Ende 1984 getroffene Feststellung: »Wenn es die zu einer Selbstkritik veranlaßte.
Grünen nicht gäbe, hätte der Staat sie erfinden müssen!« hat Ab Mitte der 80er Jahre verstärkte sich in den Zielen und
sich in vollem Umfang bestätigt. Soziale Anpassungs- und den inhaltlichen Begründungen von RZ-Aktionen eine in-
Korruptionsprozesse haben zwischenzeitlich aus der Grü- ternationalistisch-antiimperialistische Grundtendenz: Im
nen Partei einen Apparat zur Transformation und Ver- Zusammenhang mit Streiks von südkoreanischen Frauen
schleierung von bürgerlicher Herrschaftsideologie in die gegen die billig entlohnte und sexistische Ausbeutung in
Gesellschaft hinein werden lassen. Zweigwerken des bundesdeutschen Adler-Konzerns wurde
von der Roten Zora auf Zweigstellen dieser Bekleidungsfir-
ma eine Anschlagsserie durchgeführt. Auch Institutionen
und Personen, die für eine menschenverachtende Flücht-

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lingspolitik verantwortlich waren, wurden Gegenstand von geren Zusammenarbeit zu kommen. Auch wenn es bei der
Aktionen der Revolutionären Zellen. Unterstützung der Forderungen der RAF-Gefangenen in
Seit der zusammengebrochenen »Offensive ’77« griffen ihren Hungerstreiks um die Jahreswende 1984/85 zu ge-
RAF-Kommandos in den Jahren ’79 und ’81 mit Anschlägen meinsamen »Hungerstreikplena« kam, so waren doch die
auf den damaligen NATO-Oberbefehlshaber Haig und auf politischen Gegensätze zu dem Politikverständnis der Auto-
den US-General Kroesen die antiimperialistische Orientie- nomen unüberbrückbar groß. Kurz nach der ergebnislosen
rung aus der Gründungszeit dieser Gruppe wieder auf. Unü- Beendigung des Hungerstreiks, bei dem die RAF die Mobi-
bersehbar wurde der Versuch unternommen, sich wieder lisierung auch aufgrund der Erschießung zweier Rü-
mehr auf in der BRD vorhandene Konflikte, z.B. die zu je- stungsmanager in der BRD und Frankreich als einen »quali-
ner Zeit anwachsenden Friedensbewegung, zu beziehen. tativen Sprung der Guerilla in die westeuropäische Dimen-
Im Mai 1982 wurde erstmals wieder von der RAF, nach sion« bewertet haben wollte, zerfielen dann auch die Plena.
über einem halben Jahrzehnt eine längere programmatische Als ein RAF-Kommando im Sommer ’85 zur Durch-
Schrift unter dem Titel »Guerilla, Widerstand und antiim- führung eines Sprengstoffanschlages auf die US-Air Base auf
perialistische Front in Westeuropa« verfaßt. Der Inhalt des dem Frankfurter Flughafen einen beliebig herausgesuchten
in einem grauenhaften Sprachduktus verfaßten Papiers pro- und untergeordneten GI-Soldaten hinrichtete, wurde diese
klamierte, im Sinne eines affirmativ auf die Politik und Rol- Aktion von weiten Teilen der Autonomen heftig abgelehnt
le der Sowjetunion bezogenen »proletarischen Internationa- und als »konterrevolutionär« verurteilt. Antiimps aus Wies-
lismus«, eine gemeinsame »Front« mit Teilen der radikal in baden hingegen wußten diese Position von Autonomen mit
den Bewegungen kämpfenden Militanten, in der die in der der brillianten Entgegnung, daß es sich dabei um einen
Illegalität lebenden RAF-Kommandos, verstanden als »bankrotten moralisch-bürgerlichen Humanismus« hande-
»Guerilla«, die politische Führung ausüben sollten. le, den es zu überwinden gelte, zu denunzieren. Die Wider-
Dieses Front-Papier übte in den 80er Jahren einen star- sprüche der Autonomen zu der politischen Strategie und der
ken Einfluß auf die Diskussionen der Antiimperialisten, Praxis der RAF sowie den Antiimps spitzten sich schließlich
kurz: Antiimps, aus. Unter Antiimps ist innerhalb der 80er- im Januar 1986 auf einem in Frankfurt mit 1.000 Teilneh-
Jahre-Szene der Linksradikalen ein politische Formation zu merInnen durchgeführten Kongreß unter dem Titel »Anti-
verstehen, die sich in ihrer politischen Praxis wesentlich auf imperialistischer und Antikapitalistischer Widerstand in
die von der RAF verfolgte Politik bezog. Die Antiimps be- Westeuropa« in zum Teil handgreifliche Auseinanderset-
griffen sich, ähnlich wie viele Autonome, als Teil einer revo- zungen zu.
lutionären Bewegung. Von den Antiimps wurde eine intensi- Das gesamte Konzept der RAF wurde von der Frankfur-
ve Öffentlichkeits-, Unterstützungs- und Soliarbeit für die ter l.u.p.u.s.-Gruppe im Herbst 1986 einer gründlichen Kri-
gefangenen RAF-GenossInnen organisiert. Darüber hinaus tik unterzogen. Sie verglich die Ziele und Intentionen der
waren antiimperialistische Gruppierungen immer wieder bei RAF zu Beginn der 70er Jahre mit der Theorie und Praxis
Mobilisierungen von Autonomen präsent, so z.B. in den der RAF in den 80er Jahren und kam zu dem Ergebnis, daß
Vorbereitungen und Aktionen gegen den Reagan-Besuch in das Konzept »Stadtguerilla«, gemessen an den eigenen An-
West-Berlin im Sommer ’82, bei der Krefeld-Demo im sprüchen aus der Gründungszeit, gescheitert sei:
Sommer ’83 oder bei der Durchsetzung der Hafenstraße in
»Es hat sich nicht bewahrheitet, ›daß die Guerilla sich aus-
der zweiten Hälfte der 80er Jahre.
breiten wird, Fuß fassen wird‹ ... Fakt ist doch, daß mehr RAF-
Seit dem Front-Papier gab es bei den Antiimps auch ver-
Mitglieder tot, im Knast oder ins Ausland geflüchtet sind als hier
stärkte Bemühungen, mit autonomen Gruppen zu einer en-

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in der BRD kämpfen. Fakt ist doch, daß die heutige Politik der führen, daß zunehmend auch Autonome mit einer staatlichen
RAF eher von Niederlagen geprägt ist als von ihren Siegen. Fakt Repression konfrontiert wurden, die sie teilweise den glei-
ist doch, daß die Sympathie, die die RAF noch vor 14 Jahren zu- chen mörderischen Haftbedingungen unterwarfen, gegen die
mindestens in kleinen Teilen der Bevölkerung genoß, geschwunden die RAF-Gefangenen schon von Beginn an gekämpft hatten.
ist, anstatt zu wachsen. Fakt ist doch, daß sich die RAF im Aus- Auf der anderen Seite geht diese Annäherung auch auf die in
land sicherer fühlt als im eigenen Land, ein Eingeständnis dafür, solidarischen Aktionszusammenhängen von Autonomen und
daß der Untergrund hier viel zu flach ist, als daß er sie schützen Antiimps in der Hafenstraße ausgelösten Diskussionsprozes-
könnte« (zitiert nach: »Schwarzer Faden«, Nr. 24/1986). se zurück. Trotz allem blieb das Verhältnis der Autonomen
zur RAF in den 80er Jahren in einer widersprüchlichen Art
Die RAF blieb schon damals eine Entgegnung zu dieser
und Weise von einer stark moralisch geprägten Zustimmung
von l.u.p.u.s. formulierten Kritik schuldig, um nicht nur sie
zu der Zusammenlegungsforderung der RAF-Gefangenen
schlußendlich in den 90er Jahren vollständig zu vergessen.
bis hin zu einer entschiedenen Ablehnung des gesamten
Von antiimperialistischen Zusammenhängen wurde ir-
RAF-Guerilla-Konzeptes gekennzeichnet.
gendwann in der Mitte der 80er Jahre, angelehnt an das
Mai-Papier, die Parole: »Front entsteht als kämpfende Be- Die Anti-AKW-Bewegung der 80er Jahre
wegung – Einheit im Kampf um Zusammenlegung« ent-
Die Kritik am Charakter der Friedensbewegung veränderte
wickelt. Diese Parole versuchte, einen inhaltlichen Zusam-
die Stellung der Autonomen in den nachfolgenden sozialen
menhang zwischen einer antiimperialistischen Befreiungs-
Bewegungen. Die daraus gezogene Konsequenz, sich von
politik, den Widerstand in den Metropolen und der Situati-
den Bewegungen weg, hin zu anderen Räumen für ein sozi-
on der antiimperialistischen Gefangenen in den Knästen
alrevolutionäres Handeln zu orientieren, machte zunächst
herzustellen. Bereits in der Zuspitzung von »Bewegung« auf
deutlich, daß der »Bewegungsansatz« nicht mehr der einzi-
die »Front« schimmerte immer auch ein militaristisch redu-
ge war, der verfolgt werden konnte. Trotzdem arbeiteten
ziertes Verständnis von Politik auf. In dem von den Antiimps
auch weiterhin Autonome innerhalb der neuen sozialen Be-
gewählten statischen politischen Koordinatenkreuz, in der
wegungen mit, wenn auch teilweise in dem Bewußtsein des
die Politik der Sowjetunion als Bündnispartner im Kampf
hinsichtlich radikaler Zielsetzungen begrenzten Ansatzes
gegen den Hauptfeind US-Imperialismus angesehen wurde,
dieses gesellschaftlichen Terrains. Daß sich nicht für alle Au-
war dieses Verständnis auch mehr als folgerichtig. In diesem
tonomen ein vollständiger Rückzug aus den NSB realisieren
Kontext war es Antiimps gegenüber Autonomen mehr als
ließ, hängt damit zusammen, daß in der politischen Praxis
einmal problemlos möglich, die mörderischen Haftbedin-
kaum andere Ansätze mit einer massenhaften Orientierung
gung von RAF-Gefangenen im Sinne des von ihnen vertre-
greifbar waren. So sorgte auch ein gewisser Pragmatismus
tenen sowohl militaristischen als auch marxistisch-leninisti-
dafür, in den Bereichen die politische Arbeit weiter zu be-
schen Politikverständnisses zu instrumentalisieren.
treiben, in denen Herr und Frau Autonom sich gut auskann-
Trotz aller politischen Differenzen zwischen Antiimps
te und über funktionsfähige Strukturen verfügte.
und Autonomen über das Grundverständnis, konkrete Stra-
Die Anti-AKW-Bewegung stand nach der großen Brok-
tegien, Taktiken und Ziele »revolutionärer Politik« in den
dorf-Demonstration ’81 weitgehend im Schatten der sich
Metropolen kam es in der zweiten Hälfte der 80er Jahre sei-
entwickelnden Friedensbewegung. Mit der Durchsetzung
tens der Autonomen zu einer größeren Unterstützung für die
des Weiterbaus von Brokdorf war dem Staat und der Atom-
Forderung der Zusammenlegung aller politischen Gefange-
mafia das entscheidende Signal zur Durchbrechung des fast
nen in große Gruppen. Das ist zum einen darauf zurückzu-
fünfjährigen Moratoriums im AKW-Bau gelungen. Kurz da-

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nach wurden in schneller Folge die Baugenehmigungen für 1982 bis ’85 ein gemeinsamer, von vielen autonomen Genos-
vier weitere AKWs erteilt. Der Atomstromanteil an der öf- sInnen aus dem Wendland und einigen Städten (Hamburg,
fentlichen Stromversorgung wurde in den 80er Jahren mehr Hannover, Bremen und West-Berlin) getragener zäher Wi-
als verdoppelt. Die Auseinandersetzungen nach Brokdorf derstand gegen die Inbetriebnahme des atomaren Zwi-
verlagerten sich zurück in die einzelnen Regionen, insbeson- schenlagers. Ziel von Aktionen wurden in größerem Maße
dere nach Gorleben. Erst im Herbst 1982 kam es wieder zu die damit zusammenhängenden Infrastruktureinrichtungen.
überregional getragenen Massenaktionen in Kalkar, Gorle- Es kam zu einer teilweise sehr wirksamen Kombination der
ben und Schacht Konrad bei Salzgitter. In den Vorbereitun- verschiedensten legalen, illegalen, friedlichen, militanten, di-
gen dazu waren stets auch VertreterInnen der Autonomen rekten und verdeckten Widerstandsaktionen gegen Betrei-
präsent. In den Diskussionen zu Kalkar versuchten sie die so- ber, Zulieferfirmen und Versorgungswege der Atommafia.
zialen Dimensionen eines mit Milliarden DM staatlich ge- Insbesondere eine Vielzahl von Sabotageaktionen und
sponsorten Brüterbaus bei gleichzeitigen massiven Sozial- Straßenbarrikaden brachten die Pläne zur Realisierung der
lohnkürzungen zu thematisieren. Demgegenüber richtete Atommüllkippe in Gorleben in große Schwierigkeiten. Die
sich ihr Augenmerk in den Diskussionen zu Schacht Konrad »Wendlandblockade« im April 1984 zeigte nach dem demo-
eher auf die Umstrukturierung der ganzen Region nach ralisierenden »Raketenherbst« erstmals wieder die Möglich-
Maßgabe der Atommafia. In den Vorbereitungen zum »Tanz keit auf, entschlossen und teilweise auch militant im Zusam-
auf dem Vulkan« in Gorleben zentrierten sich die Debatten menhang einer solidarischen Bewegung handeln zu können.
vorwiegend auf die Frage, wie das von der BI Lüchow-Dan- Die Anti-AKW-Bewegung in der Zeit nach der Frie-
nenberg vertretene Konzept einer »friedlichen Belagerung« densbewegung entwickelte sich wieder zu einem Forum für
des um das atomare Zwischenlager gezogenen Erdwalls oh- die unterschiedlichsten radikalen und staatsfeindlichen Strö-
ne Zustimmung der Bullen realisiert werden kann. Es kam mungen der außerparlamentarischen Opposition. Das zeigte
schließlich in allen drei Großaktionen zu mehr oder minder sich auch am Ablauf der Bundeskonferenz im Herbst 1984
heftigen Auseinandersetzungen mit den Bullen, bei dem in Braunschweig. Mit großer Selbstverständlichkeit wurden
Versuch, die Befestigungen der Atomanlagen anzugreifen. Festlegungen des Widerstands auf legalistisch-friedliche
Während jedoch diese Militanz im Rahmen der Demonstra- Protestformen abgelehnt, den kriminalisierten AKW-Geg-
tion von 30.000 Menschen in Kalkar eher isoliert und wenig nerInnen wurde die uneingeschränkte Solidarität der Bewe-
ansteckend zu einem etwas harmlosen Geplänkel wurde, gung versichert. Ohne größere Diskussionen konnte auch
kam es im September ’82 beim »Tanz auf dem Vulkan« in ein Aufruf verabschiedet werden, der zu Aktionen gegen den
Gorleben zu massiveren Auseinandersetzungen. Dabei ge- Weltwirtschaftsgipfel im Frühjahr 1985 in Bonn aufrief.
lang es den Autonomen erstmals in der bis dato fünfjährigen Dort wurden in Zusammenarbeit von Anti-AKW-Genos-
Widerstandsgeschichte dieser Region, die dort von der BI sInnen aus dem radikalen Spektrum und Autonomen ein
vertretene und politisch immer dominierende Position einer Tribunal und schließlich eine Bündnisdemonstration vorbe-
ideologisierten Gewaltfreiheit in einer Großaktion zu durch- reitet, an der 30.000 Menschen, inklusive eines großen auto-
brechen. Auch wenn darum im Anschluß innerhalb der Be- nomen Blocks, gegen die Verantwortlichen für »Hunger,
wegung heftige Auseinandersetzungen geführt wurden, so Ausbeutung und Imperialismus« demonstrierten.
sorgte dieses Ereignis mit dafür, daß sich die in dieser Regi-
on tätigen autonomen Gruppen einen politischen Raum für Der Kampf gegen die WAA in Wackersdorf
ihre Tätigkeiten gegen die Atommafia verschaffen konnten. Nach der WAA-Standortentscheidung der Energieversor-
Und so entwickelte sich in dieser Region in der Zeit von gungskonzerne im Februar ’85 beteiligen sich von Beginn an

158 159
auch autonome GenossInnen am Widerstand, so z.B. das men. Dabei gelang es, den als unzerstörbar geltenden massi-
»süddeutsche Autonomenplenum«. Es hatte sich im Zusam- ven Stahlbetonzaun gleich an mehreren Stellen durch inten-
menhang mit den Aktivitäten gegen den Weltwirtschaftsgip- sive Sägearbeiten zu zerstören. Die Bullen verloren zeitwei-
fel in Bonn gegründet. Danach setzte es seine Arbeit ver- se völlig die Kontrolle und griffen schließlich die gesamte
stärkt mit ersten Diskussionen gegen den geplanten Bau der Demonstration mit Gasgranaten an, die aus Hubschraubern
WAA in Wackersdorf fort. Die Autonomen entwickelten da- abgeworfen wurden. Erstmals sprachen sich auch Teile der
bei als einen zentralen Strang ihrer Argumentation die The- CSU für eine »Denkpause« beim weiteren Bau der WAA
se, daß es dem westdeutschen Imperialismus mit dem Bau aus, und der Bullenchef aus der Oberpfalz wurde entlassen.
der WAA vorrangig darum gehe, den zivil getarnten Griff Die bayerische Landesregierung unter Führung von Strauß
zur Atombombe zu realisieren. In der Praxis zeichneten sie hielt jedoch unbeeindruckt am Weiterbau fest und verhäng-
sich als wichtige TrägerInnen von direkten Widerstandsak- te für die darauffolgenden Monate mit einem Netz staatli-
tionen aus, was sich in Platzbesetzungen und Anschlägen auf cher Repression quasi eine Art Ausnahmezustand über die
am Bau der WAA beteiligte Baufirmen ausdrückte. Alle Ver- gesamte Region.
suche der Bullen und der zu jener Zeit konservativ-reak- Die gegen die WAA arbeitenden autonomen Gruppen
tionären Führung der BI Schwandorf, die Autonomen zu versuchten, der starken staatlichen Einschüchterung prak-
isolieren, schlugen fehl. Spätestens nach der ersten Bau- tisch und politisch mit der Thematisierung der für den Bau
platzbesetzung während des Sommercamps 1985 erhielten der WAA in der Region notwendigen Infrastruktur zu be-
die Autonomen nach einem brutalen Überfall und der Räu- gegnen (Baufirmen, Sklavenhändler). Gemeinsam mit dem
mung durch SEK-Bullenkommandos die breite Solidarität linken Flügel der einheimischen Bürgerinitiativen ging es
der Oberpfälzer Bevölkerung. darum, den praktischen Anti-WAA-Widerstand vom Bau-
Die Autonomen wirkten 1985 durch ihre Beteiligung an zaun weg in die Region zu verlagern. Zudem sollte diese
den Vorbereitungen zu Bauplatzbesetzungen ganz wesent- Umorientierung an eine Thematisierung des sozialen All-
lich daran mit, diese gegen legalistische und bürgerliche tags der in der Oberpfalz lebenden Menschen gekoppelt
Protestvorstellungen durchzusetzen. Die erfolgreichen Ak- werden. Konkret war daran die Vorstellung gebunden, die
tionen um die Jahreswende 1985/86 führten zu einem enor- sozialen Herrschaftsverhältnisse an der Frage polarisieren
men Aufschwung des WAA-Widerstandes in der Oberpfalz. zu können, wer aus welchem Interesse die WAA baut und an
Dieser weitete sich auf große Teile der Bevölkerung aus, die ihr verdient. Diese Orientierung drückte sich schließlich in
sonst alles lähmende »Gewaltfrage« wurde zu diesem Zeit- der Durchführung der Anti-WAA-Aktionstage im Oktober
punkt bedeutungslos. Trotz erster Baufortschritte der WAA ’86 aus. Diese wurden gemeinsam von Autonomen in »Städ-
ebbte der Protest und Widerstand nicht ab. Ähnlich wie an tepartnerschaften« mit Teilen der oberpfälzischen Bürger-
der Startbahn-West wurden Sonntagsspaziergänge organi- initiativen unter dem Motto »Das Land gehört uns!« vorbe-
siert, aus denen heraus es immer wieder zu Aktionen gegen reitet. Ursprünglich sollten die Blockadetage zur Vorberei-
die WAA-Festung kam. Die Wackersdorf-Auseinanderset- tung einer für das Frühjahr ’87 ins Auge gefaßten
zungen spitzten sich schließlich – auch unter dem Eindruck Großblockade der WAA-Baustelle dienen. Statt dessen führ-
des Reaktor-GAUs in Tschernobyl – Pfingsten ’86 zu. Der te der Ablauf der Aktionstage zu einem Ende öffentlicher
Anti-WAA-Widerstand erreichte zu diesem Zeitpunkt sei- autonomer Aktivitäten in der Oberpfalz. Teilweise waren die
nen massenmilitanten Höhepunkt. Fast drei Tage lang ver- autonomen Gruppen dem enormen Ausmaß der monate-
suchten Teile der Bevölkerung gemeinsam mit Autonomen langen andauernden staatlichen Repression, die sich immer
aus dem ganzen Bundesgebiet, die Bauplatzfestung zu stür- gezielter gegen sie zu wenden begann, mit ihren begrenzten

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praktischen Möglichkeiten als »Reisewiderständler« nicht dieses AKWs. Zugleich bündelten sich darin Momente aus
mehr gewachsen. Darüber hinaus konnte die von städtischen der Geschichte des Anti-AKW-Widerstands der 70er Jahre.
Gruppen gegenüber den örtlichen BIs eingeforderte The- Brokdorf war in jener Zeit zum Symbol eines bundesweiten
matisierung der alltäglichen sozialen Herrschaftsverhältnis- Widerstands gegen das Atomprogramm geworden, die dort
se in der Region nur mühsam oder gar nicht umgesetzt wer- geführten Auseinandersetzungen prägten eine ganze Gene-
den. Zwar war von Oberpfälzer AtomkraftgegnerInnen auf ration außerparlamentarischer autonomer Linker. Tscher-
Kundgebungen immer wieder gegen den offenkundigen Zu- nobyl hatte noch einmal die Richtigkeit der gegen den Be-
sammenhang zwischen der gezielten Vernichtung von Ar- trieb von AKWs vorgebrachten Argumente und der ent-
beitsplätzen beim Maxhüttenstahlwerk und der Errichtung wickelten subversiv-militanten Praxis bestätigt. Allerdings
der WAA demonstriert worden. Trotzdem stand für sie die war der Brokdorf-Widerstand der einheimischen Gruppen
Frage ihrer eigenen sozialen Existenz mit dem WAA-Wi- bereits kurz nach dem Baubeginn ’81 mehr oder weniger zu-
derstand unverbunden nebeneinander. Die von den Autono- sammengebrochen, es konnte keine kontinuierliche politi-
men vertretenen politischen Ansätze stellten letztlich zu ho- sche Praxis gegen den Weiterbau organisiert werden. Zwar
he Ansprüche an andere, die sie zudem selber als »Auswärti- wurde im Frühjahr 1984 von einer »Autonomen Revolu-
ge« nicht praktizieren konnten. Der Ansatz verkam schließ- tionären Aktion«, zwei Wochen nach der Inbetriebnahme
lich in den Debatten um eine Großdemonstration im Herbst der Startbahn-West und einen Tag vor der geplanten
’87, insbesondere mit dem KB und Teilen der Anti-AKW- »Wendlandblockade«, mit der Sprengung eines Strom-
Bewegung, immer mehr zu einer propagandistischen Geste, mastes direkt an der Trasse zum AKW ein allerorten freudig
die nicht mehr in eine eigenständige politische Praxis in der aufgenommenes Signal gegen die Resignation gesetzt. Da-
Oberpfalz übersetzt werden konnte. Die Strukturen und rauf folgende Bemühungen seitens autonomer AKW-Geg-
Zusammenhänge der autonomen Gruppen rieben sich nerInnen, doch noch einmal in die fortschreitenden Bauar-
schließlich in diesen Auseinandersetzungen auf, was insge- beiten dieses AKWs massiv einzugreifen, blieben jedoch er-
samt zu einer starken Entpolitisierung sowie einem enor- folglos.
men Geländegewinn von bürgerlichen Protestvorstellungen Die Demonstration am 7.6.86 knüpfte in gewisser Weise
der WAA-Bewegung in Süddeutschland führte. an eine Widerstandsgeschichte an, die zumindestens im Fall
von Brokdorf bereits lange zu Ende schien. Trotz allem war
Die Reaktion nach der Atomreaktorkatastrophe es in den Vorbereitungen zum 7.6. unausgesprochen klar,
in Tschernobyl daß die Autonomen für den Verlauf dieser Demonstration
Nach den Ereignissen in Tschernobyl weitete sich die seit die strategisch wichtigste Rolle spielen würden. Sie zeigten
1981 eher lokal orientierte Anti-AKW-Bewegung wieder sich jedoch in den konkreten Planungen als keine einheitli-
bundesweit aus. Nach den Pfingsttagen in der Oberpfalz che Kraft. Während noch gemeinsam das putschistische
ging dabei auch ein Ruck durch die gesamte Bewegung der Vorgehen von Teilen des Hamburger KB und grünen Öko-
Autonomen. Etwas über einen Monat nach dem Reaktor- sozialisten abgewehrt werden konnte, die den Verlauf der
GAU wurden die dezentralen Anti-AKW-Aktivitäten in Großdemo lediglich auf eine friedliche Massenkundgebung
zwei Großdemonstrationen am 7.6. in Brokdorf und festlegen wollten, kam es zu tiefgreifenden Kontroversen
Wackersdorf zusammengefaßt. Die Entscheidung für eine zwischen den verschiedensten autonomen Gruppen. Den
Großdemonstration gegen das AKW Brokdorf in der Wil- autonomen Gruppen in der Anti-AKW-Bewegung ging es
ster Marsch fiel unter dem Eindruck der – trotz der Reaktor- dabei um die Umsetzung des bereits im Wendland prakti-
katastrophe nach Tschernobyl – drohenden Inbetriebnahme zierten dezentralen Sabotagekonzepts, das anstatt einer aus

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ihrer Sicht perspektivlosen Bauzaunschlacht organisiert KundgebungsteilnehmerInnen von einer aggressiven Bul-
werden sollte. Demgegenüber hatten die besonders in Ham- lenübermacht mit CS-Gas-Salven und Großraumhub-
burg starken autonomen Gruppen kein Interesse an einer schraubern verjagt und auseinandergetrieben wurde, ohne
weitergehenden Mitarbeit innerhalb der Anti-AKW-Bewe- daß es vorher zu nennenswerten Angriffen auf das Baugelän-
gung. Es blieb lediglich die gemeinsame Formel, in einer de gekommen wäre. Die staatlichen Instanzen versuchten
gesellschaftlich zugespitzten Situation die Kämpfe eskalie- der Bewegung gleich am nächsten Tag einen weiteren
ren zu lassen, ohne sich dabei zuvor auf eine gemeinsame Schlag zu versetzen. Mit dem »Hamburger Kessel« wurden
Einschätzung über die gesellschaftliche Situation zu verstän- inmitten der Großstadt für weit über 12 Stunden »chileni-
digen. Unwillkürlich wurde damit die autonome Position sche Verhältnisse« für 800 DemonstrantInnen, die gegen
wieder auf die Frage der Militanz reduziert. den Bullenüberfall vom Vortag demonstrieren wollten, her-
Der von Hamburg aus organisierte Konvoi fuhr mit ei- gestellt. Die Maßnahme wurde vom SPD-Innensenator mit
nem ähnlichen Konzept am 7.6.86 nach Brokdorf los wie dem Verweis auf eine mögliche Beteiligung »von autono-
zur 81er Großdemo. Ziel war es, unkontrolliert so weit wie men Gruppen« gerechtfertigt, die sich jedoch kaum in die-
möglich in die Nähe des Baugeländes zu gelangen. Für den sem Kessel befanden. Der rigorose Bullenübergriff mobili-
Fall von Bullenbehinderungen sollte, falls ein Durchbruch sierte in Hamburg daraufhin eine riesige Öffentlichkeit.
nicht möglich schien, wieder nach Hamburg umgekehrt Drei Tage nach dem Kessel demonstrierten 50.000 Men-
werden, um dort »wirksame Aktionen« durchzuführen. Das schen gegen das Atomprogramm und die staatliche Repres-
Konzept schlug jedoch fehl, da die Bullen gegenüber ’81 sion. Die Autonomen waren allerdings in diesen politischen
ebenfalls dazugelernt hatten. Bei dem Versuch von Genos- Auseinandersetzungen nicht mehr initiativ, sondern sam-
sInnen, aus der Konvoispitze heraus eine harmlos erschei- melten auf dieser Demo massenhaft Kohle für ihre zertrüm-
nende Bullensperre zu durchbrechen, ließen diese alle Fahr- merten Autos.
zeuge weit vor Brokdorf in dem abgelegenen Dorf Kleve in
eine Falle laufen. Geübte SEK-Kommandos rollten in ei- Nach den Ereignissen vom 7.6.86
nem Überraschungsangriff das erste Drittel der Fahrzeug- Der Ablauf der Großdemonstrationen brach dem Schwung
kolonne vollständig auf und zerstörten dabei so gut wie alle der bundesweiten Anti-AKW-Bewegung nach Tschernobyl
vornefahrenden PKWs, mehrere ließen sie ausbrennen. das Genick. Auch wenn es danach zu einem ansehnlichen
Durch eine schlechte Koordination der Spitze zu dem über- »Strommastensterben« in der ganzen Republik kam – 150
großen Rest des Konvois zu Beginn des Bullenangriffs wa- wurden abgesägt –, war es den Herrschenden mit der Ein-
ren rund 10.000 Menschen längere Zeit relativ ahnungslos richtung eines Umweltministeriums in Bonn und dem Ab-
einem Bullenkonzept ausgeliefert, in dem sie nicht Teil der klingen der unmittelbaren Reaktorfolgen gelungen, die Si-
Auseinandersetzungen sein konnten. Auch dadurch entstand tuation wieder in den Griff zu bekommen. Die weiten Mo-
hinterher in weiten Teilen der Öffentlichkeit der Eindruck, bilisierungsmöglichkeiten der Anti-AKW-Bewegung konn-
daß der Hamburger Brokdorf-Konvoi völlig hilflos von ei- ten in einen gesellschaftlich isolierten Bereich zurückge-
ner wildgewordenen Bullenarmada niedergemacht worden drängt werden. Es kam zwar seitens der Anti-AKW-Bewe-
sei, anstatt daß 10.000 Menschen versucht hätten – wie ge- gung bei der Demonstration gegen die Atombetriebe in
plant – gemeinsam zur Demonstration nach Brokdorf Hanau noch einmal zu einem Mobilisierungshöhepunkt und
durchzukommen. Dieses insgesamt demoralisierende Bild auch einem starken autonomen Block; daraus ergab sich je-
wurde auch noch durch die Ereignisse am Baugelände des doch keine weitere Perspektive für eine Bewegung, die sich
AKWs Brokdorf verstärkt, wo die relativ geringe Anzahl von zwar durch Tschernobyl enorm verbreitert hatte, jedoch

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auch politisch diffuser geworden war. Die durch den Reak- nach einer gemeinsamen kontrollierten Krisenbewältigung
tor-GAU bewirkte »Katastrophen- und Angstpolitik« löste mit allen Betroffenen. Dieser Ansatz war jedoch den völlig
nur bedingt grundlegendere Politisierungsprozesse von überforderten Strukturen aus den Resten einer »alten« An-
Menschen aus. So genügte der SPD lediglich ein verbaler ti-AKW-Bewegung mit ihren Vorstellungen von einer
Schwenk in Richtung eines von ihr propagierten »Atomaus- grundsätzlichen Herrschafts- und Kapitalismuskritik fremd.
stiegs«, um bei den kurz nach dem Reaktor-GAU stattfin- Das zeigte sich am Beispiel der KWU-Kampagne, die nach
denden niedersächsischen Landtagswahlen anstelle der Grü- dem 7.6. von städtischen autonomen Anti-AKW-Gruppen
nen massive Stimmengewinne einzufahren. überregional entwickelt worden war. Unter dem Motto:
Die »Betroffenheit« durch Tschernobyl führte in der »Den Widerstand in die Städte tragen« versuchten sie aus
BRD teilweise zu einem Aufleben einer neuen »Kultur« von der sichtbar werdenden Begrenzung der praktischen und
alternativen Strahlenwissenschaftlern und Meßtechnikern politischen Militanz der Bewegung in den offenen Feld-
zur Verwaltung der Katastrophenfolgen. Trotz der Massen- schlachten und der grün-sozialdemokratischen Integration
zusammenkünfte auf Veranstaltungen und Demonstrationen mit einer Orientierung auf Atomproduktionsstätten der Sie-
wurden die Tschernobylfolgen in einer insgesamt individua- mens-Kraftwerkunion auszubrechen. Die Resonanz ihrer
lisierten Bewußtseinslage der Bewegung unter dem Motto: Bemühungen innerhalb der gerade in den städtischen Bal-
»Ich bin vergiftet!« verarbeitet. Statt aus der Erkenntnis, lungsräumen durch Tschernobyl stark gewachsenen Anti-
daß doch alle gleich vergiftet sind, zu folgern, daß dann alle AKW-Bewegung blieb jedoch letztlich auf die linksradikale
auch gemeinsam handeln müßten, wurde das Hauptaugen- autonome Szene beschränkt. Diese Aktivitäten fanden
merk der eigenen Tätigkeit eher auf die Suche nach indivi- schließlich mit einem bundesweiten Aktionstag im Mai 1987
duellen »Tricks« zur Stahlenminimierung verlegt. So kippte zunächst ihr vorläufiges Ende, bevor West-Berliner Anti-
eine individualisierte »Betroffenheit«, die sich scheinbar für AKW-Gruppen während der IWF-WB-Kampagne noch
die Wahl so gut wie aller Mittel im Kampf gegen das mörde- einmal im Stadtteil Siemensstadt ihr Glück gegen diesen
rische Atomprogramm übersetzen ließ, in eine Art von nicht nur wegen Atomsachen üblen Konzern probierten.
»neuer Innerlichkeit« um. Mit Hunderttausenden von DM So konnte denn auch die erfolgreich gegen die Verbots-
wurden Strahlenmeßstellen eingerichtet, mit denen das Be- drohung der bayrischen Landesregierung in einem politi-
ste aus einer insgesamt irreparabel beschissenen Situation schen Bündnis zwischen Autonomen, Antiimps, KB, Grü-
gemacht werden sollte. Hierbei übersetzte sich ein ur- nen und allen Teilen der Anti-AKW-Bewegung durchge-
sprünglich in der Politik der Linken verankertes Prinzip der setzte Bundeskonferenz in Nürnberg Trennungsprozesse
Selbstorganisation in lobbyistisch-privilegierte Politikfor- zwischen der Anti-AKW-Bewegung und Autonomen nicht
men der Nach-Tschernobyl-Bewegung. Schließlich hatte aufhalten. Innerhalb der Städte wurden im Jahr 1987 andere
der Reaktor-GAU nicht nur eindringlich gezeigt, wie Ereignisse und Entwicklungen wichtiger (Kreuzberg, Rea-
schlimm und gefährlich AKWs sind, sondern der nachfol- gan, Hafen, Startbahn-West) als eine Anti-AKW-Bewe-
gende Widerstand in der BRD schien zugleich auch die Aus- gung, die sich wieder regional zersplitterte.
sichtslosigkeit zu bestätigen, sich grundsätzlich und ent- Zusammenfassend läßt sich zur Entwicklung der Anti-
schlossen gegen das Atomprogramm zur Wehr zu setzen. AKW-Bewegung in der Zeit von ’82–’88 feststellen, daß sie,
Was realistisch zu bleiben schien, war z.B. nicht die Forde- mit Ausnahme der Region Wendland, das gesamte AKW-
rung nach der Abschaffung aller Strukturen, in denen AK- Programm kaum nennenswert behindern konnte. Der poli-
Ws gebaut und betrieben werden können (z.B. die Abschaf- tische Druck nach Tschernobyl war gerade einmal so stark,
fung des Staates), sondern die Forderung nach Meßgeräten, die Inbetriebnahme Brokdorfs ein halbes Jahr hinauszuzö-

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gern. Aber ihre Strukturen boten ganz im Unterschied zur die teilweise besetzten Häuser mit befristeten Mietverträgen
Friedensbewegung einen weiten politischen Raum für die bis zum Ende des Jahres 1986.
Aktivitäten von autonomen GenossInnen, insbesondere an In den Jahren 1983–86 wurden die Häuser an der Hafen-
den regionalen Schwerpunkten Gorleben und Wackersdorf. straße zu einem Zentrum von Hamburger autonomen/anti-
Nach den Tschernobyl-Auseinandersetzungen setzte jedoch imperialistischen Gruppierungen und zu einem Kristallisati-
von vielen Autonomen ein stiller Rückzug aus dieser Bewe- onspunkt politischer Mobilisierungen, so z.B. im Herbst ’83
gung ein. Das ist auch darauf zurückzuführen, daß die von zu den Aktionen der Friedensbewegung, zum Hungerstreik
vielen Autonomen innerhalb dieser Bewegung angewandten der RAF-Gefangenen 1984/85 oder nach der Ermordung
militanten Widerstandsformen kein Mittel waren, das durch des Antifaschisten Günter Sare im September ’85, die gera-
staatliche Integrations- und vor allem Repressionsmaßnah- de in Hamburg zu heftigen Reaktionen der Linksradikalen
men zunehmend für die Bewegung ungünstiger werdende führte. Um die Jahreswende 1985/86 fanden erstmalig die
gesellschaftliche Klima zu wenden. »Hafentage« statt, die in den folgenden Jahren zu einem
überregionalen Treffpunkt von Autonomen aus allen Teilen
In Hamburg gibt es eine schöne Hafenstraße der BRD und dem westeuropäischen Ausland wurden. Sie
In Folge der West-Berliner Hausbesetzerbewegung 1980/81 trugen ganz wesentlich mit dazu bei, daß der Konflikt um
kam es auch von Seiten Hamburger autonomer GenossIn- die Hafenstraße für die Bewegung der Autonomen zuneh-
nen zu Überlegungen, inwieweit eine Hausbesetzerbewe- mend eine bundesweite, zum Teil sogar internationale Be-
gung in der Stadt entwickelt werden könnte. Die Woh- deutung erhielt. Für den »Hafen« war es immer selbstver-
nungsnot war nicht minder groß als an anderen Orten in der ständlich, sich auch an anderen politischen Aktivitäten, z.B.
Bundesrepublik. Mit dem Blick auf die Ereignisse in West- im Sommer ’86 gegen Brokdorf, zu beteiligen. In anderen
Berlin wurde vom damaligen Hamburger Senat die soge- Städten des Bundesgebietes wurde zu einzelnen staatlichen
nannte 24–Stunden-Linie ausgegeben, die besagte, daß in Repressionen gegen den »Hafen« mit eigenen Mobilisie-
Hamburg kein Haus länger als 24 Stunden besetzt sein soll- rungen reagiert (so z.B. in Köln, West-Berlin).
te. Mit dieser Vorgabe wurden dann von den Hamburger In dieser Zeit verstärkten sich auch die staatlichen An-
Bullen alle Hausbesetzungsversuche auf brutalste Art und griffe auf das politische Projekt Hafenstraße, das von Beginn
Weise niedergeschlagen. an vom rechten Flügel der SPD, dem gesamten Bullenappa-
Diese Erfahrungen führten unter den politischen Grup- rat und der marktbeherrschenden Springerpresse massiv
pen zu der Einschätzung, daß offene Hausbesetzungen in bekämpft wurde. In einem Interview des Hamburger Verfas-
Hamburg unter den damaligen Bedingungen nicht durch- sungsschutzchefs Lochte im Oktober ’85 mit der TAZ-
setzbar schienen. Das veranlaßte GenossInnen im Herbst Hamburg lancierte dieser in der Öffentlichkeit die Behaup-
’81 zu einer »stillen Besetzung« der Häuser an der Hafen- tung, die RAF sei in Gestalt von bestimmten, von ihm im In-
straße im Stadtteil St. Pauli, die erst im Laufe des Frühjahrs terview namentlich bekannten GenossInnen in den »Hafen«
1982 von den BesetzerInnen öffentlich gemacht wurde. Das eingezogen. Gegen diese gemeinsam vom Staatsschutz und
geschah zu einem Zeitpunkt, als sie sich kurz vor den Ham- linken Liberalen betriebene Entsolidarisierungskampagne
burger Bürgerschaftswahlen politisch stark genug fühlten, kam es seitens der »Betroffenen« zu heftigen Reaktionen.
die Auseinandersetzung um Mietverträge gegen den Senat Unter anderem wurde die gesamte Einrichtung der TAZ-
tragen zu können. Unter dem Druck einer möglichen in- Hamburg zerstört. Die TAZ konnte den Vorgang zunächst
nenpolitisch »unruhigen Situation« verzichtete der Ham- dazu benutzen, sich in der bürgerlichen Öffentlichkeit als
burger Senat auf eine polizeiliche Räumung und legalisierte ein von »Chaoten« überfallenes Projekt darzustellen, um

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sich so die materielle Solidarität von vielen Linken zu er- gen, in Hamburg politisch in die Offensive zu kommen. Ein
schleichen. Die von einigen ihrer Redakteure gemeinsam Ausdruck für diese Situation war der im Frühjahr durchge-
mit Lochte betriebene Denunziation und Entsolidarisierung führte »TAG X«, an dem vielfältigste dezentrale Aktionen
der Hamburger Linken mit den BewohnerInnen der Hafen- in der Stadt zur Durchsetzung des »Hafens« stattfanden. Im
straße scheiterte jedoch an den durch diese Aktion ausgelö- Sommer ’87 kam es zu einer breit getragenen und öffentlich
sten Debatten. vorbereiteten Wiederbesetzung von im Jahr 1986 zwangs-
Der Ablauf des gesamten Jahres 1986 war für den »Ha- geräumten Wohnungen im »Hafen«. Die BewohnerInnen
fen« durch eine Vielzahl von brutalen Bullenüberfällen ge- erhöhten damit den Druck auf die Verantwortlichen, die
kennzeichnet, die die endgültige Räumung nach dem Aus- »Räumungs- und Abrißlinie, den Terror des letzten Jahres
laufen der Mietverträge zum Ende des Jahres politisch vor- aufzugeben« (aus einem Flugblatt zur Wiederbesetzung).
bereiten sollten. Die BewohnerInnen und Autonome aus der Mit diesen Aktionen gelang es dem »Hafen« und der Ham-
ganzen Stadt wehrten sich gegen diese Polizeistrategie burger autonomen Linken im Frühjahr/Sommer ’87 weitge-
zunächst mit vereinzelten militanten Aktionen und organi- hend, das politische Feld mit eigenständigen Initiativen zu
sierten dann mit Hilfe des entstehenden »Initiativkreises bestimmen. In dieser politischen Situation wuchs auch die
Hafenstraße« eine breite politische Diskussion mit den Be- Bereitschaft der BewohnerInnen, im Falle von weiteren Bul-
wohnerInnen des Stadtteils und der Hamburger Linken. lenangriffen ihre Häuser notfalls militant zu verteidigen.
Diese Bemühungen schlugen sich zunächst im erfolgreichen Aus diesem Grunde wurden diese im Laufe des Jahres auch
Verlauf einer gemeinsamen, im Dezember ’86 durchgeführ- massiv befestigt. Der in einem langen quälenden Diskus-
ten Bündnis- und Massendemonstration, an der 10.000 sionsprozeß getroffene Entschluß, sich im Falle von Räu-
Menschen teilnahmen, nieder. In den Vorbereitungen zu mungen in den Häusern aktiv und organisiert zur Wehr zu
dieser Demo konnte unter allen teilnehmenden Gruppen setzen, wurde öffentlich vermittelt und war in die Entwick-
der Konsens hergestellt werden, die Durchführung einer lung der Unterstützungsarbeit eingebunden. Der Mut und
Demonstration als wandernder Polizeikessel, auch unter die Entschlossenheit der BewohnerInnen, weitere Bullen-
dem Eindruck des »Hamburger Kessels«, nicht mehr taten- schikanen nicht mehr nur als »Opfer« zu erdulden, legten
los hinzunehmen. Als die Bullen trotzdem versuchten, den einen wichtigen Grundstein, um den »Hafen« in einer bun-
mit Helmen und Knüppeln ausgerüsteten, 1.000 Menschen desweiten Mobilisierung im November ’87 in den »Barrika-
umfassenden »Revolutionären Block« im Spalier zu beglei- dentagen« durchzusetzen.
ten, konnten sie von den GenossInnen erfolgreich zurückge- Dieser Erfolg wurde jedoch durch den Abschluß eines
schlagen werden. Die Bündnisdemo ließ sich durch diesen unter massiver Polizeigewalt zustande gekommenen Miet-
Bullenangriff weder praktisch noch politisch spalten, der vertrages getrübt. Dessen Inhalt spricht durch die Verknüp-
staatliche Repressionsversuch wurde einmütig zurückgewie- fungen von Bestimmungen des Strafrechtes mit dem Miet-
sen. recht allen sonst üblichen Mietrechtsklauseln Hohn: So
Diese Demonstration brachte die mehrjährigen und zu- kann die gesamte Hafenstraße z.B. für den Fall geräumt
vor oft vereinzelten Aktionen zum Erhalt der Häuser in der werden, daß eine ihrer BewohnerInnen beim Bierbüchsen-
Hafenstraße zu einem vorläufigen Abschluß. Sie eröffnete klauen im Supermarkt erwischt werden sollte. Diese Bestim-
den politischen Raum für die vorläufige Verankerung der mungen stellten sich im nachhinein für die staatlichen In-
Hafenstraße auch nach Auslaufen der Mietverträge Ende stanzen als beständig und flexibel einsetzbarer Räumknüppel
’86. Erstmals nach vielen Jahren war es der Hamburger au- gegen das Projekt dar.
tonomen Linken mit der Demo am 20.12.86 wieder gelun-

170 171
Ein paar Interpretationen ren verfolgten – Umstrukturierungspläne am Hafenrand.
»Geschehen ist aber sehr viel ... Sie (die Bewohner der Hafen- Sie sehen u.a. vor, mit Hilfe von Spekulationsgeldern dieses
straßenhäuser) haben dem Eigentümer, dem Wohnungsbauunter- Viertel mit hochbezahlten Luxusappartments zu sanieren,
nehmen SAGA und den von diesem emsig bemühten Heerscharen um den Stadtteil zugunsten der Konsum- und Freizeitbe-
behördlicher Büttel erfolgreich getrotzt. Im Verlauf eines oft qual- dürfnisse von gehobenen Mittelschichtsangehörigen herzu-
vollen Lernprozesses haben sie ein fein abgestuftes System der Ge- richten.
genwehr entwickelt, mit dem sie auf die allfälligen Schikanen ih- Die große politische Bedeutung des Konfliktes wurde
rer administrativen Gegner geantwortet haben ... (Während der auch in einer Reihe von Aussagen auf einer Unternehmerta-
Barrikadentage im November) entstand für die Beteiligten in gung in Hamburg Ende August 1988 deutlich. Auf Initiative
Keimform ein ›befreites Quartier‹, sogar mit einem eigenen Ra- der Deutschen Bank und des Springerkonzerns trafen sich
diosender. Weitere Besetzungen schlossen sich an, es kam zu Blok- 1.300 Manager und Funktionäre aus den führenden Zentra-
kadeaktionen in den benachbarten Vierteln, so daß schließlich eine len der multinational operierenden Kapitalfraktionen, um
polizeiliche ›Bereinigung‹ der Situation nur noch mit Bundesmit- über Konzepte einer zukünftig erneuerten kapitalistischen
teln möglich schien. Die Stärke der Besetzerbewegung lag darin, Strategie der Raum- und Regionalplanung in Norddeutsch-
daß sie auch in der Zuspitzung die Machtverhältnisse realistisch land zu beraten. Dabei wurde seitens der Kapitalisten immer
einschätzte und die eigenen bescheidenen Gewaltmittel auch jetzt wieder das »Problem Hafenstraße« als eine der wichtigsten
als flexiblen Bestandteil im politischen Machtkampf handhabte. »Investitionsbarrieren« für den norddeutschen Raum ausge-
Die Gegengewalt blieb kalkuliertes Mittel zum Zweck: Von der macht. (Sequenzen dieser Tagung finden sich in einem Bei-
sich entwickelnden selbstbestimmten und kollektiven Lebenssphäre trag in der:»1999« Heft 1/89.)
jegliche sozialarbeiterische Bevormundung oder Demütigung Selbstverständlich sind sowohl die BewohnerInnen der
durch die hinter den Polizeieinheiten lauernde Armutverwaltung Hafenstraße als auch ihre UnterstützerInnen und die Auto-
fern zu halten ... nomen noch außerordentlich weit davon entfernt, die skiz-
Wurde mit dem Erfolg der Hafenstraße für 70.000 illegale zierte »Investitionsbarriere« tatsächlich darzustellen. Und
Flüchtlinge, für 150.000 Erwerbslose und für die von der Mas- doch muß es Gründe für die von den Großkapitalisten unge-
senarbeitslosigkeit bedrohten Hafenarbeiter, Seeleute und Werft- wöhnlich offen ausgesprochenen Drohungen gegen die Ha-
arbeiter nicht auch ein Signal gesetzt? Enthalten nicht kollektive fenstraße geben. In der Hafenstraßenmobilisierung wurden
Solidarität und Gegenwehr Alternativen zu der resignativen Er- Momente eines selbstbewußten Umgangs mit staatlich ge-
fahrung der Marginalisierung, zur Überwältigung durch planten Verarmungs- und Marginalisierungsstrategien deut-
behördliche Ausgrenzung und individuelle Selbstzerstörung? Und lich, der sich kollektiv organisierte und punktuell erfolgreich
wurde nicht zuletzt unter ein anderthalb Jahrzehnte fortwirken- revoltierte.
des Trauma niedergeknüppelter Hausbesetzungen (Eckhoffstraße
In West-Berlin gibt es ein tolles Kreuzberg
1973) ein befreiender Schlußstrich gesetzt?« (»1999«, Zeitschrift
für Sozialgeschichte Heft 1/88) Durch eine gezielte Räumungs- und Legalisierungspolitik
des konservativ-reaktionären CDU/F.D.P.-Senats wurde bis
Die zitierten Passagen deuten ein paar Momente an, die zum Sommer 1984 das »Problem« der Hausbesetzungen
in der Hafenstraßenmobilisierung auch ohne große verbale gelöst. Seitens der Bewegung wurde noch versucht, dieser
politische Gesten enthalten waren. Zudem blockierte der Strategie dadurch zu begegnen, daß man im Stadtteil Kreuz-
bislang erfolgreiche Erhalt der Häuser immer noch die – in berg versuchte, Strukturen zu entwickeln, die schnelle Reak-
Anlehnung an alte faschistische Konzepte aus den 30er Jah- tionen auf Häuserräumungen gewährleisten sollten. Die Be-

172 173
wegung zerfiel jedoch an ihren eigenen Widersprüchen und blöcke gelaufenen Aktivitäten wurden hinterher kaum öf-
die staatlichen Integrations- und Repressionsstrategien be- fentlich ausgewertet. Zwei Versuche – im Sommer des Jah-
gannen zu greifen. Dabei markierte das seit Dezember 1982 res 1986 und Anfang ’87 – zu einer übergreifenderen, auch
durchgeführte »Radikal«-Verfahren, mit mehreren Haus- öffentlich mehr sichtbaren Organisierung der West-Berliner
durchsuchungen und zwei Verurteilungen nach Paragraph Autonomen mit Hilfe von Delegiertenräten zu gelangen,
129a, einen vorläufigen Höhepunkt. scheiterten. In den Diskussionen ließ sich das grundsätzliche
Trotz des Zerfalls der Hausbesetzerbewegung konnten Mißtrauen vieler GenossInnen gegen offene oder subtile
die West-Berliner Autonomen als politische Richtung über- Formen von Führungs- oder Stellvertreterpolitik in den ei-
leben. Ein Teil von ihnen widmete sich wieder verstärkt An- genen Reihen nicht überwinden. Zum anderen blieb trotz
ti-AKW-Aktivitäten, zunächst in Gorleben, später kamen der Idee, sich zur »750–Jahre-Berlin-Feier« der Herrschen-
neue Gruppierungen hinzu, die den Kampf gegen die WAA den ein paar gemeinsame inhaltlich-organisatorische Ar-
in Wackersdorf zum Hauptschwerpunkt ihrer Arbeit mach- beitsschwerpunkte zu suchen, die Vorstellung zu unklar, mit
ten. Einige Autonome führten ihre im Kontext mit der Frie- welchen Formen der Verbindlichkeit und Kontinuität diese
densbewegung entwickelte antimilitaristische Arbeit gegen hätten geleistet werden müssen.
die in West-Berlin ansässigen Militäreinrichtungen der Alli-
ierten fort. Andere Gruppierungen befaßten sich stärker mit Der Kreuzberger Kiezaufstand am 1. Mai 1987
Theoriefragen. Ein Teil der GenossInnen versuchte, eine In einer Situation der nur sehr schwach entwickelten Orga-
praktische Internationalismusarbeit zu entwickeln. So wurde nisierung fiel in eine laue Frühlingsnacht der allseits als
z.B. eine »Kaffeeklatsch-Kampagne« durchgeführt, die sich überraschend empfundene 1. Mai 1987 in Kreuzberg. An
gegen die Filialen der multinationalen Kaffeekonzerne in diesem Tag kam es zu einer gemeinsamen Revolte von Auto-
West-Berlin richtete. Andere Autonome »arbeiteten« im nomen und den BesucherInnen eines Straßenfestes, in deren
Jobber- und Erwerbslosenbereich. Auch die Herstellung Verlauf sich weite Teile der Bevölkerung aus dem Kreuzber-
und der Vertrieb der Zeitschrift »Radikal« wurde von eini- ger Kiez anschlossen. Im Stadtteil Kreuzberg SO 36 explo-
gen – namentlich nur sehr ungern genannten GenossInnen dierten im wahrsten Sinne des Wortes die seit Jahren an-
– unter nunmehr illegalen Bedingungen weitergeführt. gehäuften sozialen und politischen Widersprüche. Während
Auch wenn zu jener Zeit kein alle verbindendes Kampf- des Kiezaufstandes, der in seinen Dimensionen die fast in
symbol der West-Berliner Autonomen existierte, verloren den gleichen Straßen abgelaufene Hausbesetzerrandale vom
sie durch ihre vielfältigen Aktivitäten nicht an Zahl und 12.12.80 weit in den Schatten stellte, wurden die ebenfalls
Stärke. So waren sie immer wieder von neuem bei bestimm- völlig überraschten Bullen gezwungen, sich für Stunden aus
ten politischen Ereignissen, wie z.B. mit größeren eigen- dem Stadtteil zurückzuziehen. Danach existierte dort, nach
ständigen Blöcken auf Demonstrationen, präsent (z.B. im dem Begriff der Herrschenden, ein »rechtsfreier Raum«, in
September 1985 auf der Südafrikademo, Dezember ’85, als dem tatsächlich eine faszinierende und volksfestartige Stim-
Block auf der Demo gegen den Besuch des US-Außenmini- mung entstand. Während Autonome im Verlauf der Randa-
sters Shultz, Mobilisierung gegen den US-Überfall auf Li- le mit einem umsichtigen Barrikadenbau dafür sorgten, die
byen im Frühjahr ’86). Organisatorisch getragen wurden Bullen für längere Zeit aus dem Kiez auszusperren, konnte
diese Aktivitäten in der Regel von kurzfristig einberufenen die Situation von der Bevölkerung dazu genutzt werden, un-
Vollversammlungen, auf denen hauptsächlich technische befangen in einer Reihe von Supermärkten »proletarisch«
Dinge, wie z.B. Demorouten und Verhalten bei Bullenüber- einzukaufen. Nachdem ein Supermarkt bereits bis auf die
griffen, diskutiert wurden. Die im Rahmen dieser Demo- letzte Fischbüchse leergeräumt worden war, wurde er

174 175
schließlich unter großer Begeisterung aller Anwesenden nie- eines vermeintlich in der Randale sichtbar gewordenen Be-
dergebrannt. zugs zur Kampfkraft einer »Klasse« stand eine Orientierung
Der Verlauf des Kiezaufstandes zeigt mehrere Entwick- gegenüber, die eher auf eine an den eigenen Bedürfnissen
lungen auf: Zwar war dem West-Berliner Senat bis Mitte der und Vorstellungen angelehnte weitere Organisierung abziel-
80er Jahre eine zunächst erfolgreiche Bekämpfung der ten. In der stark kontrovers geführten Diskussion um die
Hausbesetzerbewegung gelungen. Die durch diese Bewe- Frage des »Schutzes« von sogenannten »kleinen Läden«
gung ausgedrückten politischen und sozialen Widersprüche oder sonstigen »unbeteiligten Sachen« bei Randalen konnte
in der Stadt wurden jedoch nicht gelöst, sondern nur ver- kein Konsens erzielt werden. Auf der einen Seite standen die
schoben. Die Widersprüche explodierten an einem Ort, der Autonomen, denen diese Fragen »nicht wichtig« waren,
bereits seit über einem Jahrzehnt mit einem großen Auf- weil es sich dabei um immer wieder vorkommende und da-
wand an staatlichen Geldern zum »Experimentierfeld« einer mit zu vernachlässigende Randerscheinungen handele, die
Vielzahl von integrativen und repressiven Strategien der ad- lediglich die Diskussion darüber blockieren, wie es politisch
ministrativen Sozial-, Jugend-, und »Sicherheits«-Politik weitergehen könne. Auf der anderen Seite standen andere
gemacht worden war. Die Kiezrandale zeigte in ihrer ganzen GenossInnen, die ein starkes Interesse an einer Verankerung
Wucht auf, daß kein Automatismus zwischen der Menge der in einem auch sozial intakten Stadtteil hatten, in dem sie sel-
in Kreuzberg staatlich bezahlten und subventionierten Stel- ber lebten. Die Widersprüche verschoben sich dann noch
len, »behutsamer Stadterneuerung« und anderen Projekten durch das Bedürfnis derjenigen, die auch einmal »ungezielt«
zur sozialen Befriedung und politischen Integration existier- und befreiend auf den Putz schlagen wollten. Hintergrund
te. Im Gegenteil: Die staatliche Kohle wurde von vielen Au- der Debatte war die brisante Frage, ob und wie die Autono-
tonomen bedenkenlos abgezogen, um im nächsten geeigne- men im Rahmen ihrer Aktionen auf der Straße Einfluß auf
ten Moment umso kräftiger zuzuschlagen. Die Autonomen das laufende Geschehen nehmen sollten. Ist es für Autono-
gingen aus dieser Kiezrevolte, bei der sie als einzige politisch me sinnvoll, ihren eigenen Subjektstatus aufzugeben, um
bewußte Kraft vertreten waren, innerhalb des Spektrums der quasi als neue »politische Ordnungsmacht« alle ihnen de-
politischen Linken in der Stadt gestärkt hervor. Während struktiv erscheinenden Momente im Wirkungsraum ihrer
die linke Reformpartei AL zu Beginn der Hausbesetzerzeit Aktionen zu unterbinden? Die Diskussion und mögliche Be-
zum Teil noch an den Basiskämpfen personell beteiligt war, antwortung dieser Frage rüttelte konsequent zu Ende ge-
war sie in der 87er Revolte nicht mehr als erfahrbare Kraft dacht an den Grundfesten ihres politischen Selbstverständ-
präsent. Selbst überrascht von der praktischen Beteiligung nisses. Es ging dabei um das Prinzip der freien Selbstorgani-
der Kreuzberger Bevölkerung an den Auseinandersetzun- sation aller Individuen oder das Führungsprinzip der Orga-
gen, verbot sich für sie zunächst eine deutliche Distanzie- nisierung einzelner durch andere. Nur so ist die Intensität
rung von den Ereignissen. (Sie wurde dann nach der Mai- der Auseinandersetzungen unter den Autonomen über die
randale ’89 umso kräftiger nachgeholt.) So griff sie in der scheinbar banale Fragestellung »Schutz von kleinen Läden –
Folge eher vermittelnd in die öffentlichen Diskussionen ein. Ja oder Nein?« verständlich. Allerdings war der erstmals in
Die Realität der Revolte hatte ohnehin nichts mehr mit der der Diskussion benutzte Begriff des »Reformautonomen«
sozialen Realität der meisten ihrer Funktionsträger aus ihren für diese notwendigen Debatten wenig brauchbar und eher
Organisationsstrukturen zu tun. eine hohle ideologische Formel, die einem Teil der Autono-
In den Nachbereitungsdiskussionen über die Bewertung men dazu diente, andere GenossInnen zu denunzieren und
des 1. Mai kam es innerhalb der Autonomen zu keiner ge- auszugrenzen.
meinsamen Einschätzung. Den verschiedensten Ansätzen

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Die Aktionen gegen den Reagan-Besuch Gemüter wecken, den Alltag erotisieren, der Stadt den Geschmack
Nach der 1. Mai-Randale entstand innerhalb der autonomen von Freiheit und Abenteuer auf die Straßen brennen. Hönkel ist
Zusammenhänge ein spürbar vergrößertes Interesse, sich an die Weigerung, sich zum Opfer machen zu lassen. Her mit dem
der Vorbereitung der gegen den Besuch des US-Präsidenten ganzen Leben – lassen wir uns unsere Kampfform und Lust, den
Reagan geplanten Demonstration zu beteiligen. Zuvor exi- Zeitpunkt und den Ort, die Dauer und den Anfang nicht von
stierten bei ihnen erhebliche Zweifel an dem Sinn größerer ihrem Rahmenplan bestimmen. Wir fangen eine Woche vorher an
Massenaktivitäten gegen den Besuch des Kriegstreibers. In und hören überhaupt nicht mehr auf. Wir tauchen überall da auf,
einem Einschätzungspapier heißt es diesbezüglich: wo niemand mit uns gerechnet hat. Scheiß auf die Rumkugel – her
mit der ganzen Bäckerei. Hönkel-Rausch« (EA-Doku).
»(Es) tauchte massiv die Einschätzung auf, daß die autonome
Linke demobilisiert, politisch standortlos, im besten Fall eine ritu- Die in bester Sponti-Tradition verfaßte kulturrevolu-
alisierte Reproduktion des 11.6.82 auf die Beine zu stellen vermö- tionäre Orientierung des Aufrufes ist unverkennbar. Es geht
ge, im schlechteren große Verluste zu verzeichnen hätte. Kurz, ei- darum, neue Ausdrucksformen für den Wunsch nach einem
ne Demo, die Militanz, aber nicht Politik durch die Straßen befreiten Leben jenseits altbekannter und eingefahrener Po-
schiebt« (Doku des Berliner EA). litikparolen zu entwickeln. Daran ist die Hoffnung ge-
knüpft, gerade in Situationen politischer Sprachlosigkeit
Für die autonome Szene stand denn auch die Diskussion Ideen für einen begeisternden Widerstand voranzutreiben,
um die Frage, mit welchen politischen Inhalten gegen den zu denen das distanzierende »objektivistische« Politikver-
geplanten Reagan-Besuch demonstriert werden sollte, bis ständnis nicht fähig ist. Demgegenüber stand schließlich der
zuletzt zum Teil diffus und kontrovers im Raum. An zwei kurz vor der Demo am 11.6. veröffentlichte »Aufruf zu ei-
Aufrufen aus dem autonomen Spektrum gegen den Reagan- nem starken autonomen und antiimperialistischen Block«
Besuch wird dabei die ganze politische Spannbreite der Be- der Reagan-Demonstration ganz in der Tradition der For-
wegung deutlich. Stark beeinflußt durch das Frankfurter mulierung von »klaren politischen Inhalten«, als Signal an
l.u.p.u.s.-Papier, forderte ein Flügel, mit Hilfe einer Kom- den Feind, es mit dem »Kampf« sehr ernst und entschlossen
munikations- und »vielleicht gelebten Widerstandswoche ... zu meinen. Dort heißt es auszugsweise:
eigene soziale Identität, Kultur- und Lebensräume und de-
ren Zusammenhänge zurückzuerobern«. Sie faßten ihre »In den Tränen des Volkes sind die Herrschenden noch nie un-
Perspektive in den Begriff »Hönkel«, den sie in einem sehr tergegangen ... Westberlin steht wie kaum eine andere Stadt für
schönen Aufruf so darstellten: die ökonomische, technologische und politische Umstrukturierung
in den kapitalistischen Ländern. Ausbau zum Wissenschaftszen-
»High Mr. President! Die Hönkel laden alle Rebellinnen, trum, Testfeld für neue Produktions- und Rationalisierungstech-
Chaoten, Pyromanen, Jumperinnen und Jobber, Gelegenheitsdiebe nologien, ständig wachsender Repressionsapparat – das ist es, was
und Plünderinnen, Outlaws, Girls and Boys, Lesben, Schwule und die Realität dieser Stadt für die Herrschenden ausmacht. Und das
Heteros, die unverbesserlichen Erotischen zur Woche des Hönkel- ist es, was sie feiern. Ihre Realität, ihr System von Profit, Ausbeu-
Rausches in Dead Wall City ein. Hönkel sind Büchsenöffner im tung und Unterdrückung bedeutet für uns in den Metropolen aber
Supermarkt des Lebens. Nicht bereit zu warten, bis die Mensch- immer mehr Not, Arbeitslosigkeit, Mieten, während sie in der so-
heit sich ändert, lebt der Hönkel, als sei der Tag gekommen. Sie er- genannten 3. Welt die tagtägliche Vernichtung tausender Men-
warten den Präsidenten der Vereinigten Staaten, wir seine Geg- schen bedeutet ...
ner, die erklärten Feinde des Alltags, der Arbeit, der Ordnung des Wir begreifen uns als Teil des Kampfes, der weltweit gegen Im-
Löschpapiers ... (Wir) werden ... mit einem Trommelfeuer die perialismus, Ausbeutung und Patriarchat geführt wird. Gegen

178 179
das fette Fest der Herrschenden setzen wir unseren Hunger nach Verlauf – mit vielen schwerstverletzten und verhafteten De-
Befreiung, Selbstbestimmung und Kollektivität!« monstrantInnen – bestimmen konnte. Versuche von West-
Berliner Autonomen, diese perspektivlose und für die Ge-
Im nachhinein bleibt unklar, mit welchen politischen
nossInnen auch gefährliche Randale zu unterbinden, fruch-
Orientierungen mehr Autonome aus dem ganzen Bundesge-
teten nicht. Der »Mythos Kreuzberg« übte nach dem 1. Mai
biet und West-Berlin gegen den Reagan-Besuch am 12.6.87
eine große Faszination auf viele westdeutsche Autonome
mobilisiert werden konnten. Die unmittelbare Demovorbe-
aus, die stellvertretend an diesem Ort ihre Wut auf die Ver-
reitung wurde ohnehin von technischen Fragestellungen,
hältnisse austobten. So kam es dann in diesen Nächten zu
z.B. »Bullenspalier weghauen ja oder nein«, »mit oder ohne
Situationen, die von West-Berliner Autonomen sarkastisch
Helm« überrollt.
mit der Bemerkung: »Münchener Autonome kämpfen mit
An der Bündnisdemonstration nahmen ca. 50.000 Men-
bayerischen Bullen am Heinrichplatz« kommentiert wur-
schen teil, darunter auch ein relativ geschlossener, in dichten
den.
Reihen untergehakter autonomer Block mit 4.000 Genos-
Es bleiben aus der Anti-Reagan-Mobilisierung zwei Mo-
sInnen, der sowohl bei den Bullen als auch in der Öffentlich-
mente wichtig: Mit dem Begriff »Hönkel« konnten viele
keit einen enormen Eindruck hinterließ.
Menschen zu den verschiedensten, spontanen, anarchistisch
Aufgrund der Auseinandersetzungen während der Demo
gefärbten Aktionen inspiriert werden, die nicht zum engeren
entschlossen sich die Bullen und der Senat am nächsten Tag
Umfeld der Autonomen zählten. Das Moment eines bisher
– dem Besuchstag von Reagan – dazu, den gesamten Bezirk
wenig gekannten einheitlichen Blocks auf Demonstrationen
Kreuzberg vom Rest der Stadt abzuriegeln und damit
vollzog sich am 31.10.87 in beeindruckender Weise ein
170.000 EinwohnerInnen quasi unter Arrest zu stellen. Zu-
zweites Mal auf einer Bündnisdemonstration zur Durchset-
sammen mit der von Alliierten am gleichen Tag erlassenen
zung der Hafenstraße. Fast 2.000 schwarzgekleidete ent-
Verfügung des vollständigen Demoverbots im Raum Tier-
schlossene Autonome demonstrierten eine unverhüllte Ge-
garten, wo Reagan eine Rede am Brandenburger Tor halten
waltandrohung gegen den Hamburger Senat im Falle einer
sollte, und eines Demoverbots in der Innenstadt wurde da-
Räumung der Hafenstraße.
mit über weite Teile der Stadt zum Zeitpunkt des Reagan-
Besuches der Ausnahmezustand verhängt. Die Kreuzberg- Autonome Stadtteilpolitik in Kreuzberg
absperrung richtete sich nicht nur gegen die Autonomen,
Nach der Reagan-Demo orientierten sich ein paar autono-
sondern auch gezielt gegen ihr Umfeld. Die BewohnerInnen
me Gruppen wieder verstärkt auf die Organisierung einer
dieses Bezirkes waren ohnehin seit dem 1. Mai einem per-
autonomen Stadtteilarbeit. So wurde von Autonomen z.B.
manenten Belagerungszustand durch die Bullen ausgesetzt.
nach dem 1. Mai ein sogenanntes »Kiezpalaver« in SO 36
Diese Erfahrungen spielten in den Vorbereitungen der Au-
eingerichtet, um die eigenen politischen Vorstellungen mit
tonomen zu dem ein Jahr später stattfindenden IWF-Kon-
der Bevölkerung öffentlich – und damit kritisierbar – zu dis-
greß eine nicht zu unterschätzende Rolle.
kutieren. In der Folge schlug sich die Stadtteilarbeit in einer
In den Nächten des 11. und 12.6.87 kam es insbesonde-
Reihe von Aktionen im Sommer bis Winter ’87 zu den Pro-
re in Kreuzberg 36 zu schweren Straßenschlachten
blemen der Wohnungsnot und der Umstrukturierung des
hauptsächlich auswärtiger Autonomer mit ebenfalls aus
Wohnviertels nieder. Dabei ging es darum, die schleichende
Westdeutschland herbeigekarrten Spezialbullen. Diese Ran-
Veränderung der Bewohnerstruktur dort zu thematisieren.
dale paßte sich völlig vorausberechenbar in die wochenlan-
Kreuzberg ist sowohl eine der »Hochburgen« der Autono-
gen Planspiele der Bullen ein, so daß diese weitgehend den
men, als auch Arbeitsfeld eines sich formierenden grün-al-

180 181
ternativen Mittelstandes. Das drückt sich in entsprechend den Autonomen und den politischen Agenturen der Alterna-
hohen Wahlergebnissen für die grüne Reformpartei – teil- tivbewegung, der AL und der TAZ. Die AL setzte bei dem
weise über 30 % – aus. Konflikt um die Kindertagesstätte erstmals in ihrer eigenen
Geschichte verantwortlich die Bullen gegen die GenossIn-
»In Metropolen, wo ›Mode, Kultur, Banken und High-Tech
nen ein; die TAZ-Berlin versuchte die Autonomen nach ei-
prosperieren‹, schreiben ... Stadtsoziologen, ... tragen die erfolgrei-
ner legitimen, jedoch etwas schwach begründeten Aktion
chen Yuppies gemeinsam mit den Alternativen die ›Reurbanisie-
gegen ein Luxusrestaurant als eine Art unpolitische, jedoch
rung‹. Das vereinfachte Schema: Zunächst tritt die alternative
kriminell-gefährliche und vor allem unberechenbare »Kiez-
Szene mit Intellekt und Kreativität an, um sich eine passende In-
mafia« zu denunzieren, die angeblich wahllos und willkür-
frastruktur mit Läden, Kneipen und Kulturangeboten herzurich-
lich Kiezbewohner mit Terrormethoden in Angst und
ten. Auf dem Nährboden der Alternativen entwickelt sich dann ...
Schrecken versetzt. Die dagegen von Autonomen entwickel-
›ihr Erfolgszwilling, die Yuppie-Kultur‹ ... Mit Kulturangeboten
ten Diskussionsprozesse führten im Jahr 1987 dazu, sich ei-
soll die Anziehungskraft für hochqualifizierte Arbeitskräfte, mo-
genständiger und unabhängiger von reformistischen Orga-
derne Betriebe und auswärtige Besucher gesteigert werden: ›Es ist
nisationen zusammenzuschließen. So fand denn auch in
eine Angebot, weniger für die, die bereits am Ort wohnen, als für
strikter politischer Abgrenzung zu dem ganzen »Sumpf«
jene, die noch kommen sollen.‹ Das Zusammenwirken der Yuppies
von Mieterorganisationen, Stadtteilerneuerungsausschüssen
und Alternativen bei der Veränderung des Stadtviertels ... (belegt
und der AL im November ’87 eine ausschließlich von Auto-
eine) empirische Untersuchung über ›Gentrification in der inne-
nomen vorbereitete und getragene Kiezdemo gegen Leer-
ren Stadt von Hamburg‹ ... (Sie) zeigt den Einfluß von Moderni-
stand, Wohnraumspekulation und Umstrukturierung statt.
sierungen, Miethöhe und Infrastruktur auf die Zusammenset-
An der Demonstration nahmen – trotz massiver Bullendro-
zung der Stadtbevölkerung« (SPIEGEL Nr. 36/88).
hungen aufgrund der Schüsse an der Startbahn-West – fast
Diese Umstrukturierung läuft darauf hinaus, sozial 3.000 Menschen teil. Sie machte deutlich, daß die etablier-
schwächere Bevölkerungsschichten zugunsten von Besser- ten Mieterorganisationen im Kreuzberger Kiez kaum noch
verdienenden mit entsprechend gehobenem Lebensstandard über einen politischen Basiseinfluß verfügen. Die Stadtteil-
aus billigen Wohn- und Lebensräumen, insbesondere in den aktivitäten setzten sich im Dezember ’87 mit dem Kampf
Innenstädten, zu verdrängen. Der Kampf gegen die »Yup- um das Haus an der Reichenberger Straße 63a fort. Durch
piesierung« von Wohnvierteln ist zugleich auch Ausdruck mehrere Hausbesetzungen konnten schließlich der West-
von sozialen Trennungsprozessen zwischen einkommens- Berliner Senat und die Spekulanten dazu gezwungen wer-
schwachen Bevölkerungsschichten und den Autonomen auf den, auf den geplanten Abriß dieses Hauses zu verzichten
der einen und weiten Teilen der ehemaligen Alternativbewe- und es einer Selbsthilfegruppe zur Verfügung zu stellen.
gung auf der anderen Seite. Im Hamburger Schanzenviertel
spitzte sich diese Entwicklung im Laufe des Jahres 1988 in Es kräht das Küken aus dem Ei:
dem breiten Widerstand gegen einen riesigen Kulturkom- Heraus zum revolutionären 1. Mai!
merztempel beim Kampf um die »Rote Flora« zu. In West- Die Erfahrungen aus den geglückten Mobilisierungen im ei-
Berlin eskalierten diese Auseinandersetzungen am Beispiel genen Kiez waren ein wichtiger Grundstein für die Durch-
des Baus einer Kindertagesstätte ausgerechnet auf dem führung einer sowohl örtlich als auch politisch vom DGB
Gelände eines von GenossInnen selbstverwalteten Kinder- völlig getrennten autonomen »revolutionären 1. Mai De-
bauernhofes sowie an einer Aktion gegen ein Luxusrestau- monstration« durch die Stadtteile Kreuzberg und Neukölln.
rant. In beiden Fällen verliefen die Konfliktlinien zwischen Gegenüber der DGB-Demonstration, die mit der Abschluß-

182 183
kundgebung traditionell am Reichstag Erinnerungen an ein generelles Demonstrations- und Versammlungsverbot
»Kalte Krieg«-Zeiten weckt, war es das Ziel der Autono- im Startbahnwald nachdenken. Diese Überlegungen wurden
men, durch die Kieze zu demonstrieren, in denen alltäglich jedoch nach Protesten und juristischen Problemen wieder
politische Konflikte und Auseinandersetzungen stattfinden. fallengelassen. Trotzdem gelang es den Rhein-Main-Auto-
Unter dem offensiven Motto »Heraus zum revolutionären nomen nicht, eine breitere politische Diskussion mit der
1. Mai« und dem Rosa Luxenburg-Zitat: »Die Revolution Orientierung auf überregional mobilisierbare Massenaktio-
ist großartig, alles andere ist Quark« konnten zu dieser De- nen auszulösen. Autonome StartbahngegnerInnen schrieben
monstration über 8.000 Menschen mobilisiert werden. Die zur Situation des Startbahn-Widerstandes in der Ausgabe
massenhaft aufgefahrenen Bullen, die sich während der De- Nr. 7 des »Hau Ruck« im Spätsommer ’86:
monstration im Hintergrund gehalten hatten, versuchten im
»Daß wir auch ohne konkrete Inhalts- und Handlungsper-
Anschluß an das traditionelle Straßenfest am Lausitzer Platz
spektive im Wald an den Spaziergängen festhalten, können wir
den politischen Erfolg anzugreifen. Sie veranstalteten ohne
nur wiederholen. Sie sind – und bleiben auf unabsehbare Zeit –
größeren Anlaß – auch im Hinblick auf die konkreter begin-
für uns ein Treffpunkt, ein lebendiger Ort des Austausches ... und
nende Anti-IWF-Mobilisierung – eine Art »Strafexpediti-
nicht zuletzt hängen wir ganz subjektiv am sonntäglichen Ritual
on« in Kreuzberg 36. Alle Besucher des Straßenfestes wur-
... Der Mensch hat halt seine Gewohnheiten...«
den quasi für »vogelfrei« erklärt und eine Vielzahl von Men-
schen in brutalster Art und Weise zusammengeschlagen.
Die Demonstration des »revolutionären 1. Mai« machte Das ungeklärt im Raum schwebende Militanzproblem
erstmals sichtbar, daß die Autonomen zwischenzeitlich zur Im Herbst 1986 liefen innerhalb der autonomen Rhein-
mobilisierungsfähigsten politischen Kraft im Spektrum der Main-Zusammenhänge heftige Diskussionen über die
West-Berliner Linken geworden waren. Die Bedeutung die- schweren körperlichen Verletzungen, die eine bekannte
ser scheinbar schlichten Tatsache wird umso größer, wenn Startbahngegnerin beim Umsägen eines Strommastes erlit-
man und frau bedenkt, daß die in den Jahren zuvor präsente ten hatte. Die Aktionsform hatte sich innerhalb der Anti-
linke Oppositionspartei AL ein knappes Jahr später gemein- AKW-Bewegung, insbesondere nach dem Zusammenschla-
sam mit der Sozialdemokratie die politische Regierungsge- gen der beiden Massendemonstrationen am 7.6.86 in Brok-
walt übernahm. dorf und Wackersdorf, steigender Beliebtheit erfreut. Mit
ihr konnte man der direkten Konfrontation mit der mi-
An der Startbahn-West gibt es falsche Schüsse litärisch stärkeren Staatsmacht ausweichen, und es existierte
Die Entwicklung der Autonomen im Rhein-Main-Gebiet dabei die Hoffnung, der Atommafia wirksame Schläge ver-
war auch nach der Inbetriebnahme der Startbahn durch den setzen zu können.
Widerstand gegen dieses Projekt bestimmt. In den Jahren Es kursierten Sabotageanleitungen für Strommasten, die
1984–87 existierte weiterhin eine bemerkenswerte Konti- den Eindruck erweckten, als handele es sich dabei um gefahr-
nuität der verschiedensten öffentlichen und subversiven Ak- lose, nach Feierabend realisierbare Aktionen, was sich jedoch
tionen, angefangen bei den Sonntagsspaziergängen, über nach dem lebensgefährlichen Unfall der Startbahngegnerin
Mauerstreben knacken bis zu Anschlägen. Durch das Ab- als großer Irrtum herausstellte. Das Verhalten der Strom-
brennen von Strohballen im Frühjahr ’87 konnte sogar erst- mastsägergruppe, die aus Selbstschutzinteresse mehr Wert
mals der gesamte Flugbetrieb für mehrere Stunden lahmge- auf Anonymität legte, anstatt eine schnelle medizinische Ver-
legt werden. Die Kontinuität des Widerstands ließ das hessi- sorgung der Schwerverletzten zu gewährleisten, wurde von
sche Innenministerium in den Jahren 1986/87 sogar über Teilen der Bewegung einer scharfen Kritik unterzogen.

184 185
»Eine solche Haltung widerspricht nicht nur den Idealen des mit Resten aus der BI gegen die Startbahn-West, anläßlich
befreienden Kampfes gegen ein unmenschliches System, von dem des Jahrestages der Hüttendorfräumung im Jahre 1981, eine
wir zu oft erfahren, daß es über Leichen geht. Es untergräbt auch Demonstration. Dabei wurden durch Schüsse aus den Rei-
den Zusammenhalt und die Solidarität in jeder kleinsten politi- hen der DemonstrantInnen zwei Polizisten getötet und
schen Aktion, ist demnach selbstzerstörerisch« (Diskussionspapier mehrere schwer verletzt. Die Schüsse zogen im Rhein-
der BI gegen die Startbahn-West). Main-Gebiet gegen die völlig unvorbereiteten Autonomen-
zusammenhänge eine große staatliche Repressionswelle
Bemühungen, die verantwortliche Strommastsägergrup-
nach sich: Nachdem sich sofort die Generalbundesanwalt-
pe zu einer politischen Diskussion und Selbstkritik zu bewe-
schaft aus Karlsruhe wegen einer »drohenden Gefahr für die
gen, verliefen im Sande. Statt dessen wurden diese gravie-
Ordnung der BRD« zuständig erklärt hatte, kam es zu über
renden Fehler in Teilen der Szene entweder verdrängt oder
200 Hausdurchsuchungen, zu zahlreichen Festnahmen und
zynisch damit gerechtfertigt, daß im Kampf »Opfer« in
Haftbefehlen. Insbesondere die Flut von Zeugenaussagen
Kauf genommen werden müssen. Vor diesem Hintergrund
aus den Reihen der StartbahngegnerInnen führten in der
entwickelte sich eine intensive Diskussion über oberflächli-
Folge zu einem tiefen gegenseitigen Mißtrauen bis hin zu
che und militaristische Verhaltensweisen. In diesem Kontext
Verratsvorwürfen. Erschlagen von der Bedrohung durch
ist auch das l.u.p.u.s.-Papier aus dem Frühjahr ’87 entstan-
den Mordvorwurf, quatschten viele Leute zum Teil stunden-
den. In sehr zugespitzten Thesen wurde darin das Erschei-
lang mit den Bullen, belasteten dabei sich und manchmal
nungsbild der Autonomen und ihre Aktionsformen kriti-
auch andere, ohne überhaupt etwas zur »Aufklärung« der
siert:»Unter uns Autonomen hat sich ein Begriff von Mili-
Pistolenschüsse »beitragen« zu können. Die Aussagen führ-
tanz entwickelt, der sich eher der Logik der Gewaltfrage un-
ten die Bullen zur Aufklärung einer ganzen Reihe von An-
terordnet als unseren Utopien von sozialer GEGEN-
schlägen auf Banken, Atomfirmen und Strommasten. Das
Macht.«
Hauptinteresse der Ermittlungstätigkeit bezog sich für die
Der Text diente auch als Diskussionsgrundlage für die
Staatsschutzinstanzen ohnehin nur sehr kurz auf die Auf-
»Libertären Tage«, die über Ostern in Frankfurt unter dem
klärung der Schüsse. Sie wurden im weiteren Verlauf der Er-
Motto »Von den sozialen Bewegungen zur sozialen Revolu-
mittlungen fast nebensächlich. Die Staatsschutzinstanzen
tion« stattfanden. Dieses Treffen zog rund 1.500 Linksradi-
bedienten sich so gut wie ihres gesamten in den letzten Jah-
kale aus dem ganzen Bundesgebiet an, die dort über ihre Er-
ren angesammelten Wissens aus den verschiedensten Über-
fahrungen und Arbeitsbereiche diskutierten. Am Ende des
wachungsaktionen. Die wahrscheinlich von den Bullen
Treffens wurde von den mehreren hundert TeilnehmerIn-
selbst nicht für möglich gehaltene Aussagenflut aus der
nen ein gemeinsamer Startbahn-Spaziergang durchgeführt,
Startbahn-Bewegung war für sie von unschätzbarer Hilfe,
bei dem es zu weiteren verantwortungslosen militanten Ak-
ohne die niemals die spätere Anklageschrift gegen neun Per-
tionen einiger autonomer Gruppen kam, die zu einer Ge-
sonen hätte erstellt werden können.
fährdung von vielen anderen GenossInnen führten.
Nur mühsam konnte von einigen GenossInnen eine
Dem Staat keinen Millimeter, für Polizisten 9 mm? »Aussageverweigerungskampagne« unter dem Titel: »Anna
und Arthur halten’s Maul« entwickelt werden. Diese zielte
Die ungeklärte Militanzfrage zog sich wie ein roter Faden
im Kern darauf ab, die bei fast allen Autonomen vorhande-
durch die verschiedenen Aktionen des Startbahn-Wider-
nen Widersprüche zu den Schüssen gemeinsam und unter-
standes. Die Entwicklung spitzte sich schließlich am 2. No-
einander und nicht alleine und isoliert mit den Bullen in
vember 1987 zu. An diesem Tag organisierten Autonome
stundenlangen Vernehmungsprotokollen abzumachen. Die

186 187
Kampagne kam jedoch schon zu spät. Die Aussagen bei den Startbahn-West waren weder Ausdruck noch zielgerichtete
Bullen waren in Frankfurt zudem nicht nur ein Ergebnis von Konsequenz der autonomen Politik der letzten Jahre. Nur
politischen Widersprüchen. Zugleich waren sie auch Aus- so ist auch die große Überraschung und das große Entsetzen
druck von kaum geführten Alltagsdiskussionen über eine der Autonomen nach dem 2.11.87 zu verstehen.
von Drohungen der staatlichen Gewaltpolitik eigenständige
soziale und persönlich-politische Integrität jenseits von bür- Reaktionen und Diskussionen
gerlichen Normen. Nach dem 2.11.1987 wurde in der BRD innerhalb der auto-
nomen Zusammenhänge die Befürchtung laut, daß es zu ei-
Zum Problem von Kontinuität und Bruch ner bundesweiten Repressionswelle kommen könne. Sie be-
Mit dem Abflauen des Massenwiderstandes, spätestens nach schränkte sich jedoch zunächst auf die autonomen Struktu-
der Startbahn-Einweihung zerbröckelte zugleich auch ein ren im Rhein-Main-Gebiet. Der im Dezember gestartete
wichtiges Widerstandssymbol autonomer Politik. Dieser staatliche Angriff auf die autonomen Frauenzusammenhän-
Entwicklung wurde von Teilen der Autonomen zeitweise ge konnte im Gegensatz dazu durch eine breite Solidarisie-
mit einem erhöhten Grad an organisierter Militanz begeg- rungswelle abgefangen werden. Für die unmittelbare Praxis
net, die jedoch zunehmend zu einem Ritual erstarrte. Die von anderen autonomen Zusammenhängen im Bundesge-
Verselbständigung einer Militanz, die nicht mehr mit einer biet kann sogar behauptet werden, daß der 2.11. relativ be-
breiten politischen Bewegung diskutiert werden konnte, bil- deutungslos gewesen ist. Kurz danach wurde der Hafen ent-
dete die Folie für einsame Entscheidungen von innerhalb schlossen durchgekämpft und in Kreuzberg fleißig demon-
der Bewegung agierenden Individuen, deren politisch kol- striert.
lektivierender Zusammenhang verloren gegangen war. Al- Seitens autonomer Gruppen wurde aus dem ganzen
lerdings ist mit diesen plausibel erscheinenden Bemerkun- Bundesgebiet eine Vielzahl von Stellungnahmen zu den
gen die Frage nach der Kontinuität oder dem Bruch von au- Schüssen an der Startbahn-West publiziert. Trotz der staat-
tonomer Politik nach den Schüssen vom 2.11.87 nicht ge- lichen Repression und der quer durch alle Spektren des bür-
klärt. Die Konstruktion diverser Kontinuitätslinien auf gerlichen Lagers betriebenen Einschüchterungspolitik stell-
Grundlage aller seit Jahren bekannten Unzulänglichkeiten ten sich die Autonomen den verbalen Auseinandersetzun-
und Schwächen autonomer Politik sind in der Realität allen- gen, anstatt einfach sprachlos wegzutauchen. Wenn auch ein
falls eine »Hilfskrücke«. Sie wird errichtet aus dem innigen paar autonome Gruppen vor allem aus dem Rhein-Main-
Wunsch des Verstehens, »Weil-daraus-lernen-Wollens«. Gebiet, unter dem unmittelbaren Damoklesschwert der
Die Schüsse bleiben ein politisch nicht mehr zu erklärender staatlichen Repression, von der nackten Angst diktierte Di-
Bruch aller Prinzipien und Linien bisheriger autonomer Po- stanzierungsbekenntnisse gegenüber den Schüssen veröf-
litik. In diesem Sinne sind die Schüsse zugleich auch als Aus- fentlichten, so zeigte sich doch in der Struktur der Argu-
druck der grenzenlosen Freiheit oder Willkür in dem sich mentation der meisten anderen autonomen Gruppen eine
selbst setzenden Handeln einzelner Menschen zu verstehen. differenzierte Reflexion zu Fragen von Militanz und den da-
Dieses kann eben nicht nur bürgerliche Normen, sondern mit verbundenen Zielsetzungen revolutionärer Politik. Die-
auch alle Prinzipien autonomer Politik brechen. Zu keinem se Positionen waren bei aller Kritik an den Startbahnschüs-
Zeitpunkt waren die Pistolenschüsse im Rahmen von De- sen von der Intention geprägt, ohne brutales Distanzie-
monstrationen auf Polizeibeamte durch wie auch immer ge- rungsritual Verantwortlichkeiten, Prinzipien, Widersprüche
artete innerhalb des autonomen Spektrums geführte »öf- und Schwächen autonomer Politik genau herauszuarbeiten,
fentliche« Diskussionen legitimiert. Die Schüsse an der darzustellen und damit kritisierbar zu machen. Stellvertre-

188 189
tend für andere Einschätzungen. Auszüge aus einer Er- werfungsgeste an die bürgerlichen Herrschaftsnormen
klärung von Bonner Autonomen: konnte in den Debatten energisch zurückgewiesen werden.
Diese gerade in relativ »ruhigen Zeiten« so scheinbar bana-
»Es wurden zwei Menschenleben vernichtet, ohne daß sich die
le Selbstverständlichkeit ist insofern nicht ganz unwichtig,
Tat aus dem Zusammenhang der Startbahnkämpfe heraus hätte
als daß es damit weder den Grünen noch dem Staat gelang,
legitimieren können. Weder war sie zum Schutz der Demo oder
ihre Formen des Diskurses mit den dazugehörigen Inhalten
des Schützen notwendig, noch hat sie den Kampf um Befreiung
gegenüber den Autonomen durchzusetzen. Möglicherweise
vorangebracht, sie hat ihn eher zurückgeworfen. Hier hat sich die
mag das ein Grund dafür gewesen sein, daß die Bundestags-
Gewalttätigkeit, die dieser Staat jedem aufzwingt, der seine Ge-
fraktion der Grünen geschlossen die Forderung nach einer
walt bekämpft, abgekoppelt vom Ziel der Befreiung und ist zum
staatlichen Fahndung und Kriminalisierung gegen die Auto-
Selbstzweck geworden.
nomen in einer eigenen Erklärung aufstellte.
Wir müssen dafür sorgen, daß keiner in unseren Zusammen-
hängen für sich individuell beschließen kann, jetzt reicht’s, jetzt Anschlagsrelevante Themen
schieße ich. Wir müssen mit dem Mißverständnis aufräumen, die
Im Dezember 1987 kam es zu einem massiven Angriff gegen
Radikalität des Kampfes lasse sich an der Gewalttätigkeit der
die autonome Frauenbewegung. Unter dem Vorwand des
Mittel bestimmen ... Eskalation nach dem Motto: erst Molli, dann
Vorwurfs der »Unterstützung der terroristischen Vereini-
Zwille, dann Knarre, ist genau die Eskalation, wie sie den Herr-
gung Revolutionäre Zellen« führten die Staatsschutzinstan-
schenden ins Konzept paßt. Ihnen tut es nicht weh, wenn einer ih-
zen eine bundesweite Hausdurchsuchungswelle – vorzugs-
rer Söldner abgeknallt wird ...
weise im Ruhrgebiet und Hamburg – durch, die zu den Ver-
Die Tötung eines Menschen (ist) nicht allein damit zu recht-
haftungen von Ulla Penselin und Ingrid Strobl führte und
fertigen ..., daß er auf der Seite der Herrschenden steht. Und ge-
mehrere GenossInnen in die Illegalität zwang. Im Gegen-
nau das, diese Gleichgültigkeit gegenüber Menschenleben, die zum
satz zu der Repression nach den Startbahnschüssen bewirkte
Charakter des Systems gehört, das wir bekämpfen, dürfen wir bei
die Hausdurchsuchungswelle das genaue Gegenteil von Ein-
uns nicht zulassen. Weil wir eine solche Gleichgültigkeit unter uns
schüchterung und politischer Verunsicherung. Gegen die
zugelassen haben, können wir uns von der Tat in Frankfurt nicht
Verhaftungen mobilisierten sich sofort viele Menschen. Die
distanzieren. Wir müssen die politische Verantwortung überneh-
Beschäftigung mit den Ulla und Ingrid vorgeworfenen soge-
men. Wir müssen die Wirkungsweise des Systems in uns und un-
nannten »anschlagsrelevanten Themen«, insbesondere
tereinander bekämpfen. Wir dürfen uns aber auch nicht vom
Gentechnologie, Bevölkerungspolitik, Frauenhandel und
Kampf abhalten lassen dadurch, daß uns ein menschenverachten-
Sextourismus weitete sich im ganzen Bundesgebiet enorm
des System Mittel in diesem Kampf aufzwingt, die uns immer ein
aus, noch nie vorher waren Veranstaltungen zu den oben ge-
Problem sein müssen. Und wir dürfen nie aufhören klarzuma-
nannten Themen so gut besucht.
chen, wer für die Toten in diesem Kampf eigentlich verantwortlich
Die Bullen stießen bei ihren weiteren Ermittlungen
ist, nicht nur für unsere, sondern auch für tote Polizisten und Sol-
zunächst auf eine Mauer des Schweigens, so daß sie ihre
daten. Für den Tod eines Söldners trägt allemal Schuld er selbst,
Konstruktionen nicht weiter entwickeln konnten. Erst
der sich für sein Handwerk bezahlen ließ, aber noch mehr sein
durch die Androhung von Beugehaftbefehlen konnten sie im
Kriegsherr, der ihn ins Feld schickte« (»2.11.87 Dokumentati-
nachhinein ein paar wertlose Aussagen von ZeugInnen er-
on«).
pressen.
Der insbesondere von den Grünen gewünschte Kniefall Nach acht Monaten U-Haft mußte Ulla Penselin freige-
vor dem Dogma der Gewaltfreiheit als Demuts- und Unter- lassen werden. Die Unterstützungsarbeit für die auch wei-

190 191
terhin inhaftierte Ingrid Strobl konnte weit über den auto- spaltete sich zudem die Frauen von den Männern ab. Die
nomen Frauenzusammenhang hinaus organisiert werden. Frage des Patriarchats stand quer zu allen anderen Proble-
Die vielfältige Solidaritätsarbeit ist ein Beispiel dafür, wie men im Raum. Versuche der Männer, das »Problem« doch
bei einem entsprechend entwickelten Stand des politischen noch in die eigenen partriarchalen Sichtweisen zu verein-
Bewußtseins der Zielsetzung von staatlicher Repression, nahmen, blockten die Frauen schließlich durch eine eigen-
Isolierung, Abschreckung und Einschüchterung offensiv be- ständige Organisierung ab.
gegnet werden kann. Trotz einer Reihe von bundesweiten Treffen gelang es
den Autonomen nicht, bundesweit kontinuierliche Arbeits-
Und gegen den IWF-Weltbank-Kongreß gab es eine zusammenhänge aufzubauen. So stand im Laufe des Jahres
politisch sehr richtige Kampagne 1987 die Kampagne mehr als Anspruch in der Luft, als daß
Die Jahre 1986/88 standen bundesweit in allen autonomen sie mit Hilfe verschiedenster Aktionen Realität hätte gewin-
Zusammenhängen weitgehend im Zeichen der IWF-Kam- nen können. Übrig blieb über den gesamten Zeitraum eine
pagne. Sie stellte in gewisser Weise eine Fortsetzung von gegenseitige diffuse Unklarheit zwischen West-Berliner Au-
Bemühungen dar, die bereits im Frühjahr 1985 zu einem tonomen und ihren bundesdeutschen GenossInnen über
Tribunal und einer bundesweiten Demonstration gegen den das, was im Rahmen dieser Kampagne eigentlich entwickelt
in Bonn stattfindenden Weltwirtschaftsgipfel geführt hatten. und vorbereitet werden sollte.
Die IWF-Kampagne wurde für knapp zwei Jahre ein ge-
meinsamer Bezugspunkt von Diskussionen im autonomen Bei den theoretischen Höhenflügen ist die Freiheit bis zur
Spektrum. Die teilweise daran geknüpften Hoffnungen wa- Bauchlandung grenzenlos ...
ren auf Grundlage eines im Frühjahr ’87 formulierten Auf- Allerdings kam es im Rahmen der Anti-IWF-Kampagne zu
rufes nicht eben gering. Tiefgreifende inhaltliche Diskussio- einem wahren Boom der unterschiedlichsten Theoriediskus-
nen zu so komplexen Fragestellungen wie ökonomische sionen. Die in diesen Debatten angehäuften Fragen nach
Entwicklungstendenzen des kapitalistischen Weltmarktes, dem revolutionären Subjekt in der Metropole und/oder im
Kapital- oder Klassenbewegung versus Patriarchat usw. soll- Trikont sowie nach der Rolle des Patriarchats drohten zeit-
ten sich mit theoretischen Analysen und praktischen Kräfte- weise die Diskussionen um konkrete Störaktionen gegen die
einschätzungen bei gleichzeitiger strikter Abgrenzung zum IWF-Weltbank-Tagung zu lähmen. Die Diskussionswut war
»Reformerspektrum« zu einem politischen Angriff unter zugleich aber auch ein Ausdruck für einen enormen Nach-
der gemeinsamen Parole »Verhindern wir den Kongreß« holbedarf der Autonomen, der sich aufgrund der vielfältigen
verbinden. Unter »Reformerspektrum« wurden dabei Orga- Praxis in den Bewegungen der 80er Jahre angestaut hatte.
nisationen wie z.B. die AL, kirchliche Kreise, die im »Bun- Teilweise wurden die Diskussionen um verschiedene Theo-
deskongreß entwicklungspolitischer Gruppen« (BUKO) zu- rieansätze in einer Form geführt, die einerseits eher an aka-
sammengeschlossene traditionelle Solidaritätsbewegung demische Spiegelfechtereien erinnerte und andererseits dazu
und Gewerkschaften verstanden. führte, ein notwendiges Theorie-Praxis-Verhältnis aus dem
In den ersten bundesweiten Diskussionstreffen zeigten Auge zu verlieren. Ein exemplarisches Beispiel war ein im
sich schnell die enormen Schwierigkeiten bei dem Versuch, April ’88 in Bremen veranstalteter »Internationalismuskon-
einen gemeinsamen Konsens zu finden. Einer auf die Bewe- greß« mit rund 500 TeilnehmerInnen. Soweit der Ablauf
gungen der »Klasse« orientierten Fraktion stand der größe- dieses Treffens »inhaltlich bestimmt« war, dominierten dort
re, an Kampagnenbewegungen ausgerichtete Flügel gegenü- die Vorstellungen von GenossInnen aus dem ehemaligen
ber. Im autonomen West-Berliner Vorbereitungsplenum »AUTONOMIE – Neue Folge«-Zusammenhang und den dar-

192 193
aus hervorgehenden »Materialien für einen neuen Antiim- diskutieren sollten. Allerdings wußten die Frauen danach
perialismus«. Im Ansatz eines »neuen Antiimperialismus« unter sich leider auch nicht mehr weiter. Auch die Hambur-
wird bei einer grundsätzlichen Kritik an allen Formen von ger Antiimperialisten konterten die gespenstischen Veran-
nationalen Befreiungsbewegungen das revolutionäre Subjekt staltungsformen des Kongresses, zogen in einen anderen
in den Riots und Ghettoaufständen, in den Slums, Favelas Raum und suchten ihr Vorgehen mit »Thesen für einen re-
und Barrios vermutet und mit großer analytischer Tätigkeit volutionären Internationalismus« zu begründen. War in
abzusichern versucht. Die an die Macht gelangten nationa- dem demonstrativen Auszug der Hamburger noch einige
len Befreiungsbewegungen seien nur noch dazu da, »Ver- Musik drin, so meinten sie sich leider in der politischen Be-
wertungsposten des transnationalen Kapitals gegen die Klas- gründung ihrer »Internationalismus-Begriffs-Thesen« der
se« auszufüllen. Aufgrund dieser Position fällt es sehr Vorstellung einer allerspätestens seit 1917 von der Sowjet-
schwer, eine Vorstellung von einer eigenständigen sozialre- union erfolgreich praktizierten Möglichkeit einer »Politik
volutionären Praxis in den Metropolen zu entwickeln, die der nationalen Befreiung« bedienen zu müssen. Noch nicht
sich dem Anspruch von materieller Befreiung hier stellen einmal ein Wimpernschlag in der Weltgeschichte später,
kann. Anstatt aber diesen Umstand als Problem des ganzen zeigte sich dann nachfolgend die ganze Blamage dieser Vor-
theoretischen Ansatzes im Ablauf des Kongresses auszuwei- stellung von »nationaler Befreiung«.
sen, um darüber die Diskussionen um die Perspektiven hier Die wie üblich holpernde und stolpernde Praxis der
(wo sonst?) zu entwickeln, war dieses Problem den Kon- nachfolgenden Kampagnenbemühungen sah glücklichweise
greßinitiatorInnen kaum eine relevante Anstrengung wert. anders aus: Immerhin ermöglichte dieser Kongreß das erste
Statt dessen betrieben sie Theorieproduktion um ihrer selbst Mal einen breiteren Überblick über den tatsächlichen Stand
willen, damit es dann auch wirklich alle wissen, und ohne ei- der inhaltlichen und praktischen Vorbereitungen der ver-
gene Anstrengung darüber, was damit in der Praxis anzufan- schiedenen Aktivitäten. Allerorts wurde von den Gruppen
gen ist. Folgerichtig wurde dann auch den zum Schweigen über große Schwierigkeiten in der Arbeit berichtet. Trotz-
verurteilten KongreßteilnehmerInnen bei den in dunklen dem stellten die West-Berliner Autonomen (Frauen- und
Räumen abgehaltenen Großveranstaltungen langatmige und Männerplenum) einen in bewußter Abgrenzung zu den vom
monologartige Abhandlungen über die Bösartigkeiten der Reformerspektrum organisierten Aktivitäten entwickelten
Welt und des Kapitals zugemutet. Und nachdem von den Vorschlag für »Aktionstage« im September vor. An die Teil-
Veranstaltern sowohl mit der gewählten Form als auch dem nahme von auswärtigen Autonomen wurden ziemlich hohe
Inhalt dieser ganzen Unternehmung jede Möglichkeit einer Voraussetzungen formuliert, die z.B. darin bestehen sollten,
Auseinandersetzung komplett der Boden entzogen worden sich monatelang vorher mit den Örtlichkeiten der Stadt ver-
war, wurden die Referate doch tatsächlich mit dem sowohl traut zu machen. Die Reduzierung auf »strategische Fra-
lapidaren als auch gelogenen Hinweis abgeschlossen, »man gen« in den Vorbereitungen kehrte die Intention des West-
könne das jetzt ja alles im Zusammenhang diskutieren«. Er- Berliner Vorschlages um, mit einer klar formulierten Positi-
frischend waren da nur noch die Interventionen sowohl von on, die gemeinsamen Diskussionen weiter entwickeln zu
feministischen Frauen als auch von eher traditionell antiim- wollen, und führte letztlich eher zu einer Demobilisierung
perialistisch ausgerichteten Hamburger Genossen. Zunächst westdeutscher autonomer Gruppen.
sprengten die Frauen eine Veranstaltung zum Thema »Der Diese Tendenz wurde dann im Sommer ’88 durch die
marxistische Klassenbegriff unter Einbeziehung feministi- Androhung der staatlichen Repression noch verstärkt. So
scher Konzepte« mit der Begründung, daß die veranstalten- tauchten vermehrt in der Presse – vorhersehbare (!) – aus
den Männer eine derartige Fragestellung lieber umgekehrt Staatsschutzquellen gespeiste Artikel auf, die die Autonomen

194 195
als große Gefahr für die Durchführung des IWF-Kongresses Es stellte sich heraus, daß die regional unterschiedlichen
darstellten (z.B. SPIEGEL, Handelsblatt, Welt usw.). Ausgangsbedingungen der autonomen Gruppen im Bundes-
gebiet zu wenig diskutiert worden waren. Während eine
Ein Sommercamp der Autonomen Reihe von GenossInnen in ihren Regionen und Städten eine
Während in den Sommermonaten des Jahres ’88 die meisten offensive Bündnispolitik mit allen Spektren der Linken be-
der engagierten autonomen West-Berliner PolitaktivistIn- trieben, wurde von West-Berlin aus die politische Linie ei-
nen in ihren Gruppen und Schreibtischen vollends damit ner strikten Abgrenzung zu allen »Reformeraktivitäten«
beschäftigt waren, die von ihnen gehandhabten komplizier- vertreten. Diese unterschiedliche Herangehensweise lag
ten Theorien einigermaßen mit dem Bedürfnis nach einer zum Teil am Charakter der IWF-Kampagne selbst. Sie war –
noch komplizierteren Praxis in Einklang zu bringen, scher- mit Ausnahme von West-Berlin – letztlich als »abgehobene«
ten sich andere Autonome aus dem Kiez nicht soviel um die- politische Kampagne nicht in die soziale Realität von ande-
se »wichtigen Inhalte«. Angewidert von zuviel Beton in der ren Regionen in der Bundesrepublik übertragbar. Während
Stadt zogen sie einfach an einen grünen Flecken am Mauer- in West-Berlin stets auch unter dem Blickwinkel mobilisiert
streifen, riefen dort das Kubat-Dreieck aus und praktizierten werden konnte, die 14.000 anreisenden IWF-Schergen samt
nicht nur in den Augen der Bullen soetwas wie ein »Som- einem riesigen Bullenapparat im September ’88 für eine
mercamp der Autonomen«. Die ganze gelungene Aktion Woche im Alltag präsent und damit wie auch immer »an-
brachte nicht nur einen ganzen Haufen von Pflastersteinen greifbar« zu haben, ließ sich der Bezug zur IWF-Politik in
und Molotowcocktails gegen unnütz herumlungernde Poli- der sozialen Realität der BRD politisch nur sehr vermittelt
zeiketten in Bewegung, sondern endete auch – bei dem Ver- aufgreifen.
such der Bullen, das Gelände zu räumen – mit einem in jeder Im September 1988 kam es dann, relativ getrennt von-
Hinsicht phantasievollen Mauersprung von 400 Leuten auf einander, im Bundesgebiet zu den verschiedensten autono-
das Territorium eines Nationalstaates, der damals DDR ge- men Aktivitäten (so z.B. Demos und Aktionen in Neumün-
nannt wurde. ster, Hamburg, Wuppertal, Frankfurt, Stuttgart, München
usw.). Für West-Berlin wurde eine von mehreren hundert
Danach ging’s aber wieder mit richtiger Politik weiter ... Leuten besuchte mehrstündige Vollversammlung für alle öf-
In der Vorbereitungsphase gegen den IWF-Kongreß began- fentlich-praktisch-organisatorischen Tätigkeiten zum Aus-
nen sich die paradoxen Momente in der Mobilisierung zu gangspunkt. In allgemeiner Erwartung der Vorstellung eines
häufen. Obwohl fast zwei Jahre lang intensiv das politische ganz großen, wilden und gefährlichen revolutionären Pro-
Projekt IWF-Kampagne diskutiert worden war, stellte sich gramms gegen die Tagung der Schweine wurde einfach hin-
heraus, daß eine gemeinsame praktische Mobilisierung in ter dem Rücken aller Teilnehmenden in gebotenem politi-
Richtung West-Berlin nicht möglich war. Die scheinbar ra- schen Ernst eine volle Stunde lang gemeinsam miteinander –
dikale Parole »Verhindern wir den Kongreß« zielte in den geschwiegen. Nach diesem nur als phantastisch zu bezeich-
praktischen Aktionsplanungen zudem darauf ab, den IWF- nenden Ablauf dieser Vollversammlung war allen Beteiligten
Kongreß nicht vorher, sondern erst dann zu verhindern, klar, daß alles was da noch kommen soll, in ihren, aber nur in
wenn er bereits in der Stadt West-Berlin zu tagen begonnen ihren Händen liegen würde. Und so nahmen sie denn als
hatte. Trotz zweijähriger Diskussionen, in denen ausreichend Folge dieser denkwürdigen Vollversammlung ihr politisch
Raum und Zeit dafür zu sein schien, sich auf eigene Aktivitä- gewolltes Schicksal in die eigenen Hände. Großartig!
ten einzurichten, schmolz die konkrete Vorbereitungszeit in Und so stellten die West-Berliner GenossInnen, weitge-
West-Berlin schließlich auf wenige Wochen zusammen. hend auf sich alleine gestellt, ein gigantisches Programm

196 197
von Aktionstagen auf die Beine, in dessen organisatorischen 1989
Strukturen sie sich auch folgerichtig (fast) zu Tode rödeln Dieses Kapitel verdankt sich nur der schlichten Tatsache,
mußten. Nachdem im unmittelbaren Vorfeld der geplanten daß es sich bei dieser Jahreszahl um das allerletzte Jahr der
Aktionstage sich selbst als »Autonome Zellen« bezeichnen- gerade mal 40 Jahre zuvor unter der Obhut der Westalliier-
de Gruppierungen eine zweistellige Zahl von Autos des all- ten gegründeten (West-)BRD handelt. Und gerade für Re-
seits beliebten Siemenskonzerns eingeäschert hatten, wur- volutionäre erscheint das ein mehr als bemerkenswerter
den die von den Autonomen organisierten Aktionstage Umstand zu sein, daß ausgerechnet der sich in der unmittel-
durch die eigenständige Beteiligung vieler Menschen, auch baren Handlungsreichweite befindliche Staat, mit dem man
aus ganz anderen Zusammenhängen, ein relativer politi- doch überhaupt nichts anfangen mag, auf eine Art und Wei-
scher Erfolg. Es soll dabei aber nicht verschwiegen werden, se verschwindet, mit der zumindestens zu Beginn dieses Jah-
daß die von den Autonomen mit Hilfe von Aktionen so »po- res niemand gerechnet hat. Es scheint wohl manchesmal
litisch richtigen wie wichtigen auf die Straße transportierten auch in der Politik erstens immer anders und zweitens, als
Inhalte« in der Regel für alle engagiert Beteiligten eher als man und frau so denkt, zu kommen. Und aus dem Umstand,
staubtrocken zu erleiden waren. Mehr Spaß machte es, mit daß jemand, der noch im Sommer 1989 sowohl das Ver-
vielen tausend anderen in der West-Berliner City auf dem schwinden der DDR als auch das Ende der alten West-BRD
Breitscheidplatz lärmend herumzutrommeln und mit den binnen eines Jahres prophezeit hätte, als ein verrückter
zunehmend überforderten Bullen Katz und Maus zu spielen. Spinner verlacht worden wäre, kann zumindestens in der
Jedenfalls wurden die Aktionen auf der Straße nicht von Zukunft nur folgen, den Einschätzungen und Ansichten von
dem Motto »Schuldenstreichen« der Reformergruppen, liebenswürdigen Spinnern mehr Aufmerksamkeit zu schen-
sondern von der autonomen Parole »IWF-Mördertreff« be- ken.
herrscht. In der Rückschau betrachtet, stellen sich die Aktivitäten
Die Aktionstage wurden mit einer »internationalisti- hinsichtlich »großer Politik« von Autonomen in diesem Jahr
schen revolutionären Demonstration« abgeschlossen, an der noch einmal als ein buntes Kaleidoskop der unterschiedlich-
8.000 Menschen teilnahmen. Trotz dieser »politischen Er- sten Themen und Kampagnen dar.
folge« konnte der konkrete Ablauf des IWF-Kongresses je- Zu Beginn des Jahres wird der Genosse Fritz aus Ham-
doch in keinster Weise beeinträchtigt werden. Im Hinblick burg, dem wir viel verdanken, wegen einer lausigen Presse-
auf die zuvor im autonomen Spektrum formulierte »Verhin- rechtsgeschichte bei der Herausgabe des Autonomeninfos
derungsparole« war das ein krasser Widerspruch. Es bleibt »Sabot« unter dem Vorwand eines § 129a -Verfahrens zu ei-
im nachhinein offen, ob es mit einer anderen Art der politi- nem ganzen Jahr Knast ohne Bewährung verknackt. So’n
schen Vorbereitung möglich gewesen wäre, sehr viel dichter Mist!
an die Umsetzung der »Verhinderungsparole« heranzukom- Im Februar demonstrierten 10.000 Menschen in einem
men. Spätestens der Ablauf der Aktionstage bestätigte, daß breiten Bündnis in Essen für die sofortige Freilassung von
der von den Staatsschutzinstanzen auch in vielen Köpfen Ingrid Strobl aus dem Knast. Zur gleichen Zeit versuchte
von Autonomen erweckte Eindruck einer vollständigen Ab- das damals existierende Kollektiv der Gefangenen aus der
riegelung und Überwachung der gesamten Stadt nicht mit RAF noch einmal mit einem rund zwei Monate dauernden
der Realität übereinstimmte. Und daraus kann für die Zu- Hungerstreik eine Zusammenlegung in große Gruppen zu
kunft immer nur gelernt werden... erreichen. Allerorten gründeten sich in größeren Städten
der BRD Hungerstreikplena, bestehend aus Antiimps und
Autonomen, die eine Vielzahl von Besetzungsaktionen und

198 199
zum Teil größeren Demonstrationen organisierten. Nach- straße zu schikanieren. Das mußte unweigerlich nicht nur zu
dem zwei Gefangene kurz davor waren zu sterben, wurde Protesten in der Bevölkerung, sondern auch dazu führen,
der Hungerstreik von dem RAF-Häftlingskollektiv, ohne daß einem Verantwortlichen des Senats das Nasenbein ka-
größere Zugeständnisse von den staatlichen Behörden er- puttging.
reicht zu haben, abgebrochen. Trotz der großen Solidarität wurde Ingrid Strobl im Mai
Durch die Wahlerfolge der Partei der Republikaner erstmal zu fünf Jahren Knast verurteilt. Derweil kam die
(REP) bekam die antifaschistische Bewegung eine neue Ak- Staatsanwaltschaft Itzehoe doch glatt auf die Idee, dem zwi-
tualität. An der Antifa-Bewegung beteiligten sich viele neue, schenzeitlich leider gefangenen Genossen Fritz aus Ham-
hauptsächlich junge Leute. Auch erste Ansätze einer eigen- burg die doch außerordentlich gelungene und populäre
ständigen, parteiunabhängigen Organisierung der dritten, Mastsprengaktion in Brokdorf des Jahres 1984 unter dem
hier geborenen Immigrantengeneration wurden sichtbar. In Vorwand einer »Beteiligung an einem Sprengstoffverbre-
der Folgezeit stellten sich sowohl für die Theorie als auch chen« anhängen zu wollen. Nachdem aber auch Teile der li-
für die Praxis dieser Bewegung eine Reihe von schwierigen beralen Öffentlichkeit ihr Unverständnis über die staatliche
Fragen: So z.B., in welchem genauen Verhältnis der histo- Repressionspraxis gegenüber dem Genossen Fritz kundge-
risch durch die Organisationen der traditionellen Arbeiter- tan hatten, wurde schlußendlich das Mastsprengungsverfah-
bewegung nicht unproblematisch aufgeladene Begriff des ren eingestellt und Fritz schon nach einem (viel zu langen)
»Antifaschismus« zu Fragen des Rassismus und Antisemitis- halben Jahr wegen der § 129a-Geschichte ganz aus dem
mus als auch zu einem Begriff von Autonomie stehe. Knast entlassen. Mit Ausnahme der Bullen, der Idioten und
An der zweiten »revolutionären 1. Mai«-Demo knallt’s aller Gleichgültigen war das dann für alle anderen ein
noch mal ganz kräftig in Neukölln und Kreuzberg. großer Grund für Luftsprünge heller Begeisterung und
Während der Demo wurde durch das Aufmachen von ein Freude. Und in einer großen gemeinsamen Freilassungsfete
paar Supermärkten demonstriert, daß ein »proletarischer in der Roten Flora spielte Klaus, der Geiger unter einem
Einkauf« durchaus auch nach Ladenschluß möglich ist, und großen Transparent: »Fritz ist frei!« zum Tänzchen auf.
bei der mehrstündigen Abschlußrandale auf dem Lausitzer Und so wäre vermutlich alles erstmal immer so weiter
Platz sahen die West-Berliner Bullen außerordentlich gegangen, wenn nicht mit einem Male die Mauer in Berlin
schlecht aus. Wer sich bis zu diesem Zeitpunkt seitens des umgefallen wäre. Und danach blieb nicht mehr alles anders,
links-alternativen Mittelstandes noch nicht von den Autono- und alles wurde nicht mehr so wie wahr. Vermutlich ge-
men distanziert hatte, tat dies spätestens nach diesem Kra- meinsam mit dem sonst so abgelehnten Rest der West-
wall. Auch in den nachfolgend innerhalb der Autonomen ge- BRD-Bevölkerung rieben sich auch die Autonomen ob die-
führten Diskussionen gingen die Einschätzungen über den ses »Ereignisses« ein wenig die Augen und überlegten auf
politischen Charakter des militärtaktisch siegreich über die die schnelle die Königsfrage: »Was tun?« Zumindestens
Bullen erfochtenen Straßenkampf auseinander. Von einigen hatten die Autonomen in West-Berlin aufgrund der gerade
Diskussionsteilnehmern wurde die »kalte Technik der Ran- mal ein Jahr zurück liegenden IWF-Kampagne gelernt, daß
dale« kritisiert, die »keine Zeit zu verschenken« habe, und es es ein kompletter Unsinn ist, sich für den Erhalt von soge-
wurde mit Erschrecken festgestellt, daß der 1. Mai-Randale nannten »Nationalstaaten« einzusetzen. Aber sonst?
jeder Anflug von Witz und Lust wie überhaupt das befreien- So wurde dann wegen des »wohl irgendwie als wichtig«
de Lachen auf Seiten der aktiv Beteiligten gefehlt habe. zu vermutenden "Ereignisses" in aller Schnelle und in
Derweil versuchte der Hamburger Senat mit sogenann- großer Aufregung erstmal auf dem Kudamm eine Demo ge-
ten »Begehungen« weiter die BewohnerInnen der Hafen- macht. Und so konnten gerade mal ein paar Tage nach dem

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Fall der Mauer zehntausende von BesucherInnen der billig War das etwa alles an der Geschichte der
glitzernden Konsumwelten des Kudamms staunende Zeu- Autonomen? Ein Kurzgutachten
gen einer Demonstration von West-Berliner Autonomen
werden, die so freundlich waren, ihnen folgende Parolen zu-
zurufen:
»Begrüßungsgeld ist nicht genug, knackt die Banken, das Die Autonomen agieren in der Kontinuität der 68er Revol-
tut gut!« te. Ohne die abgebrannten LKWs der Springerpresse in den
»Kein Kohl, kein Krenz, kein Vaterland!« 60er Jahren, die militanten AKW-Bauplatzbesetzungen der
»Im Westen sind sie schlauer, da ist das Geld die Mauer!« 70er Jahre, die illegalen Hausbesetzungen sowie die umge-
Zumindest die letzte, instinktiv während des Demover- sägten Strommasten der 80er Jahre würde es sie nicht geben.
laufs gerufene Parole hat auch heute noch, ein halbes Jahr- Bis weit in die 80er Jahre blieben die Autonomen mit ihrer
zehnt später, nichts von ihrer kritischen Aktualität einge- politischen Praxis an das »Auf und Ab« der verschiedenen
büßt. Neuen Sozialen Bewegungen gebunden. Dabei sind sie kei-
ne klar identifizierbare Partei, sondern tauchen eher als po-
litische Tendenz in einzelnen gesellschaftlichen Konflikten
auf. Sie lassen sich mit ihren Strukturen irgendwie zwischen
Bewegung und Organisation verorten, vielleicht sind sie der
Anfang eines sich selbst bewußten Organisationskerns, des-
sen bisherige Diffusität zugleich Ausdruck des Entstehens
zersplitterter gesellschaftlicher und ökonomischer Herr-
schaftsverhältnisse ist.
Einen amerikanischen Politologen veranlaßte die »Feuer
und Flamme«-Lektüre dann auch dazu, die Autonomen als
eine »movement-party« zu bezeichnen. Hinsichtlich der
von diesem Kollektiv in den 80er Jahren ausgeübten politi-
schen Formen mag das vielleicht nicht ganz falsch sein. Be-
zogen auf die doch stark zu machenden Inhalte politisch ver-
standener Bemühungen neige ich jedoch als Beschreibung
eher dem von Severin Lansac erfundenen Begriff einer
»Wanderdüne des gesellschaftlichen Konfliktes« zu, den die
Autonomen in ihren besten Zeiten immer auch dargestellt
haben.
Auf jeden Fall ist eine verkürzte Sichtweise, die Autono-
men lediglich als »linksradikalen und militanten Arm« der
verschiedenen Protestbewegungen zu begreifen. Die Auto-
nomen gingen mit ihren Vorstellungen immer weit über den
Pragmatismus der einzelnen Bewegungen hinaus, zudem
weisen sie eine größere Kontinuität als diese auf. Mit ihrer

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formulierten Kritik an den bürgerlichen und legalistischen keit übertragen. Auch wenn einige Gruppen nach wie vor
Vorstellungen der Neuen Sozialen Bewegungen haben sie operaistische Theorieansätze vertreten und es immer wieder
ein Überleben der noch aus der 68er-Revolte herrührenden Versuche gab, die Ausbeutungssituationen in Arbeitsverhält-
revolutionären Tendenz in der gesellschaftlichen Wirklich- nissen zu thematisieren (z.B. Kampagnen gegen die Leihar-
keit der BRD und West-Berlin ermöglicht. Das ist umso be- beit und Sklavenhändler), blieb dieser Ansatz innerhalb der
merkenswerter, als sich die Politikformen der Linksradika- weitgefächerten autonomen Szene stets marginal und wurde
len in einem Land entwickeln konnten, das nach dem Krieg nicht im Sinne einer breiteren Organisierung aufgegriffen.
über keine starke subkulturelle-libertäre und anarchistisch- Das ist ein Ausdruck dafür, daß das Verhältnis der Autono-
spontaneistische Tradition verfügt. Dabei mußte sich das men zur Lohnarbeit nach wie vor widersprüchlich ist. Es
Konzept und vor allem die Praxis der Autonomen in den pendelt zwischen Ablehnungs- und Fluchttendenzen bis hin
70er Jahren gegen die Dominanz scheinbar geschlossener zu punktuellen Versuchen der Gegenwehr, mit denen es je-
Theorie- und Ableitungsmodelle der ML-Bewegung durch- doch nicht gelingt, sich auf andere Gruppen der lohnabhän-
setzen. Sie konnten sich dabei teilweise als revolutionär, zu- gigen Beschäftigten auszuweiten.
mindestens aber als radikal verstehende Kraft in einer histo- Die Bedeutung der Autonomen für die gesellschaftspoli-
rischen Situation behaupten, in der kaum wahrnehmbare tischen Konflikte in den 80er Jahren läßt sich auch in einer
Klassenkämpfe existierten und sich die Parteikonzeptionen umgekehrten Sichtweise an der staatlichen Reaktion auf sie
der K-Gruppen ab Ende der 70er Jahre in die Gründung der bemessen. So zielen z.B. die im Jahre 1986 und 1988 verab-
reformistischen Grünen Partei hinein verlängerten. schiedeten neuen sogenannten »Sicherheitsgesetze« mit ih-
Der Einfluß der Theorien der italienischen »Autono- rer Ausweitung von Straftatbeständen, mit dem politischen
mia« auf die bundesdeutschen Autonomen ist unübersehbar. Willkürknüppel des Paragraphen 129a (Strommastfällen,
Das Theoriegebäude des Operaismus thematisierte in den Störung öffentlicher Betriebe, Kronzeugenregelung usw.)
60er Jahren die zentrale Bedeutung des »Massenarbeiters« sowie die Demonstrationsrechtverschärfungen (Vermum-
in den militanten Fabrikkämpfen. Demgegenüber wurde mungsverbot) in ihrer Intention ganz wesentlich auf die von
seitens der damaligen Linksradikalen in der BRD – auch un- autonomen Gruppen geübten Formen von Organisierung
ter dem Einfluß der Kritischen Theorie – das in dieser und Militanz ab. Die Autonomen öffneten in den 80er Jah-
Theorie existente Moment der Negation und der Verweige- ren den politischen Raum für die Diskussion sozial- und kul-
rung gegenüber dem kapitalistischen System auf den Repro- turrevolutionärer Ansätze, die zum großen Teil auf den in
duktionsbereich verlängert, was sich in den Häuserkämpfen den außerparlamentarischen Neuen Sozialen Bewegungen
zu Beginn der 70er Jahre ausdrückte. In diesem Prozeß hat gemachten Erfahrungen beruhten.
aber der Begriff der »Autonomia« in der gesellschaftlichen
Wirklichkeit der BRD in den 80er Jahren einen Bedeu-
tungswandel erfahren. Nach dem Scheitern der bundesdeut-
schen operaistischen Ansätze spätestens in den Jahren
1973/74 (Niederschlagen der wilden Streiks, vorläufiges En-
de der Häuserkämpfe) wurde der Begriff der Autonomie in
den neu entstehenden Basisbewegungen (Anti-AKW-Bewe-
gung) und insbesondere in der Revolte 1980–82 und dem
Häuserkampf neu aufgenommen und völlig unabhängig von
einer politischen Praxis in der Fabrik in die eigene Wirklich-

204 205
II. Anstelle eines Schlußwortes: Ein
kurzer, aber keineswegs sentimentaler
Rückblick

... daß meine jetzigen Ansichten und Fähig-


keiten weniger wert wären ohne die Kenntnis
meiner früheren – vorausgesetzt, da hat eine
Besserung stattgefunden ...«
Bertolt Brecht

The times are changin’. Wie sollte es auch anders sein? Im-
merhin ist mittlerweile in Rechnung zu stellen, daß die über
40 Jahre lange ultrastabile West-BRD allerspätestens im
Herbst ’92 im Verlauf eines seitens der Bullen wirksam ge-
genüber Autonomen und Antifas abgeschirmten Pogroms
gegen Flüchtlinge und Arbeitsmigranten in Rostock unter-
gegangen ist. Dabei markiert das mit kalkulierter tätiger
Unterlassung staatlicher Stellen von einem neofaschistisch
aufgepeitschten Mob in Brand gesetzte Flüchtlingswohn-
heim von Rostock ein in jeder Hinsicht deprimierendes und
grauenhaftes Abschlußverbrechen der alten West-BRD.
Nicht nur damit wird auch die vom Verfasser in den Jahren
’89/’90 gewählte Sichtweise, ein Hauptaugenmerk der Inter-
pretation wesentlich auf eine Gegenidentifikation zu den
vielschichtigen Folgen der 68er-Revolte zu legen, zuneh-
mend gegenstandslos.
Noch in der ersten »Feuer und Flamme«-Fassung habe
ich mir unter dem Stichwort der »Organisierung« einen –
stark zum »Ganzen« tendierenden – großen Kopf um hoch-
brisante Fragen autonomer Vergesellschaftung gemacht:
Dabei wurden ein paar Gedanken dazu beigesteuert, daß
Herr und Frau Autonom sich nicht von der staatlichen Re-
pression einschüchtern lassen sollten. Ich wünschte mir daß

207
das Patriarchat männerbewegt durchbrochen werden kann, Selbsteinschüchterung, ertrunken bin. Statt dessen wäre es
und gerade in krassen Zeiten war daran gedacht, daß Klas- besser gewesen, in einem viel größeren Maße meine eigene
senanalysen für klasse Zeiten sorgen könnten. Selbstver- Fragen darin zu verhandeln und als im besten Sinne selbst-
ständlich sollte der schwarz-graue Alltag in Bewegung ge- bestimmte und zu verantwortende Positionen argumentativ
halten und alle autonomen Mythen in schwarz-rote Abfall- zu vertreten.
tüten gesteckt werden; die reale Situation im down-down- In besonderer Weise wäre die von mir 1990 – natürlich
in-the-ghetto sollte nicht billig beklagt, sondern als realer mit den allerbesten Absichten – geteilte Dummheit über die
Ausgangspunkt begriffen werden. Und das natürlich vor Verhältnisse in einem Kapitel namens »Hoch die internatio-
dem Hintergrund des Spannungsverhältnisses der unter- nale Solidarität im eigenen Land« zu besichtigen gewesen.
schiedlichen »autonomen« Lebensbedingungen sowohl in Selbstverständlich lassen sich bei ein paar diesbezüglichen
den städtischen Metropolen als auch in den ländlichen Pro- Textsequenzen – mit sehr viel guten Willen – erste Ahnun-
vinzen. Zudem wurde die Frage aufgeworfen, wie mit Mili- gen erkennen, die seitens der neuen Linken in die Kategorie
tanz der dummen Gewaltfrage begegnet werden kann, um des »Internationalismus« hineingepumpten Projektionen
für gewalt(ig)-freie Verhältnisse zu streiten. Hinzu kamen auf die Befreiungskämpfe der »Anderen« zu verlassen. Und
Überlegungen zu dem Verhältnis von autonomer Theorie doch ist es nur mehr als vernünftig, daß diese in einem
und Praxis und zum Internationalismusbegriff. Kraut-und-Rüben-Kauderwelsch vorgelegte Fassung eines
Nun, nach wie vor kann ich mich an einem großen Teil »Inter-Nationalismus«-Begriffes aus der Epoche des Ost-
der für diese Neubearbeitung herausgeworfenen Überle- West-Ordnungsregimes im Rahmen dieser Neubearbeitung
gungen erfreuen. Das diese Passagen mittlerweile ein wenig nicht mehr auftaucht. Um keine Mißverständnisse entstehen
»veraltet« klingen, ist nach einem halben Jahrzehnt gar zu lassen: Von einer bedingungslosen Solidarität mit allen
nicht zu vermeiden, sondern auch gut so. Die Praxis der le- von Diskriminierung und Rassismus bedrohten Menschen,
bendigen Bewegung schreitet vernünftigerweise über eine die in diesen Breitengraden zum Teil das Pech haben, nicht
Reihe der von mir damals präsentierten Einsichten hinweg. Besitzer eines deutschen Personalausweises zu sein, ist
Ach ja, und bevor ich’s vergesse: Was die Sache mit »das nichts zurückzunehmen. Abgesehen davon, daß der Kampf
Ganze sagen wollen« angeht, da habe ich zwischenzeitlich gegen alle Formen von Xenophobie (Fremdenfeindlichkeit)
durch den Text eines etwas bekannteren Philosophen lernen selbstverständlich ist, wäre er in manchen Bezügen in der
können, daß das wirklich zum Unwahren und nirgendwohin Perspektive von weltweit egalitären Verhältnissen, in denen
sonst führt. wir endlich frei von Furcht verschieden voneinander sein
Etwas unbequemer ist dahingegen eine andere, zwi- können, nur zur radikalisieren. Und daß darin, anstelle pein-
schenzeitlich gewonnene Einsicht. Sie bezieht sich auf eine licher und unsinniger Selbstbezichtigungen eine gründliche
Reihe von getroffenen Aussagen, bei denen es sich um Selbstkritik immer eingeschlossen sein muß, bedarf eigent-
schlechte soziologistische Abstraktionen handelt. Und zwar lich der großen Erwähnung nicht.
deshalb, weil diese Überlegungen zum Teil vor dem Hinter- Der von mir zu verantwortende Entschluß für eine er-
grund eines kurzschlüssigen instrumentellen Ad-hoc-Praxis- heblich gekürzte neubearbeitete »Feuer und Flamme«-Fas-
Verständnisses gegenüber der damalig als »aktuell« erschei- sung rechtfertigt sich nicht aus einem konservativen Be-
nenden Situation verfaßt wurden. Und das ist wiederherum mühen, eine zwischenzeitlich da und dort als Gänsefüßchen-
darauf zurückzuführen, daß ich vor einem halben Jahrzehnt »Autonomen« zu erleidende gesellschaftliche Zwangsform
öfters in einem dusseligen Bemühen um die »richtige Linie« retten zu wollen. Im Gegenteil: Wenn es stimmt, daß eine
in den »wichtigen Themen«, auch wegen der viel zu starken Form, bei den Autonomen aufzuhören, darin besteht, im-

208 209
mer so weiter zu machen wie bisher, dann bedarf dieses poli- sende Alte läßt sich wiederherum vortrefflich als Dünger für
tische Kollektiv mehr denn je einer – egal von wem – prakti- wieder neu zu formulierende Erwartungen, und manchmal
zierten radikalen Selbstkritik in der Perspektive seiner Auf- sogar überschäumende Begierden, gegen die Trüb- und
hebung. Mühsal der grauen Realität verwenden. Und das erscheint
In diesem Sinne verfolge ich nach wie vor ein paar aktu- mir wiederherum schon jetzt – hier und heute! – eine auf das
elle Interessen in einem Zusammenhang, den ich nach wie 21. Jahrhundert gerichtete, faszinierende Perspektive eines
vor außerordentlich »positiv« gestimmt mit: die Autonomen guten, glücklichen und von allen Formen der Ungerechtig-
bezeichne – und das in einem inhaltlichen Sinne ganz selbst- keit und Angst befreiten Lebens zu sein.
verständlich ohne auch nur den Hauch irgend eines Gänse-
füßchens. Noch immer kann ich in diesem Zusammenhang
neben Amüsement und Spaß vielfältige Anregungen, Hilfe
und um Teil rabiat kritisches In-Frage-Stellen finden. So
gibt es dann noch immer Grund, sich hier und da einmal –
neben allen anderen Gleichgesinnten – zu Wort zu melden,
um dann so gut wie möglich zu versuchen, das auszu-
drücken, was wir doch alle gemeinsam schon längst wissen
(können). Und da und dort bemühe ich mich als ein einfa-
cher Amateur bei den Volxsportlern um eine vom Schreib-
tisch etwas entferntere, durchaus auch politisch verstandene
Lebenspraxis. Jedoch soll schon allein aus dem Grunde der
Selbstkritik an dieser Stelle festgehalten werden, daß für die-
se Praxis in der Regel zuvor um eine Erlaubnis bei der zu-
ständigen Polizeidienststelle nachgesucht worden ist. Wahr
ist aber auch, daß die spannenden Dinge des autonomen Le-
bens zumeist als zum Teil nervenaufreibende Ausnahmen
von den eher banalen Alltagsregeln stattfinden.
Vielleicht kann das Material dieses neubearbeiteten
»Feuer und Flamme«-Textes über die Geschichte der West-
BRD-Autonomen dem Ziel dienen, die auch in diesem Zu-
sammenhang wirkenden Gespenster der Vergangenheit bes-
ser zum Teufel zu jagen. Und in diesem Zusammenhang gilt
mehr denn je: Angesichts des allerorten in diesen autoritär-
patriarchalen gesellschaftlichen Verhältnissen zu beobach-
tenden Zusammenbruchs des Politischen, wo aktuell eine
willkürlich exekutierte barbarische Ellenbogenkultur des
Ausschlusses dominiert, kann doch an notwendigen neuen
Anfängen immer nur das Ende stehen; und zwar deshalb,
weil doch sonst das Neue nur die beständige Wiederholung
des kläglich gewordenen Alten wäre. Das hoffentlich verwe-

210 211
III. Eine kommentierte Literatur- und
Anekdotenrevue

Vorbemerkung
Der l.u.p.u.s-Text aus dem Frühjahr 1987 ist in überarbeiteter Form in
dem neuen Buch »Lichterketten und andere Irrlichter«, Berlin 1994,
Edition ID Archiv nachzulesen. Das Hamburger Papier findet sich in
drei zwischenzeitlich asbach uralt gewordenen Ausgaben des autono-
men Berlin-Infos »INTERIM« vom November/Dezember 1988 abge-
druckt. Ich bin mir ganz sicher, daß bei diesem Hinweis das Chronisten-
und Archivarherz einige Takte schneller schlägt ...

Zu ’68 und die Folgen


– Linke Liste Frankfurt: »›Die Mythen knacken‹ – Materialien wider
ein Tabu«, Frankfurt 1988. Den Studenten aus Frankfurt ist die Er-
stellung eines hervorragenden Readers mit Originaltexten aus den
Diskussionen des SDS, der Neuen Linken, ihren Ansätzen, der RAF,
zum deutschen Herbst und der Amnestiediskussion gelungen. Darin
entfalten sich plastisch die Debatten und Reflexionen um gesell-
schaftsverändernde, revolutionäre Strategien und Organisationen im
Gefolge der 68er Revolte. Leider schon vergriffen!
– Der Literaturprofessor Klaus Briegleb hat 1993 eine bemerkenswer-
te, wenn auch nicht ganz einfach zu konsumierende Untersuchung
unter dem Titel: »1968 – Literatur in der antiautoritären Bewegung«
vorgelegt. In der beharrlichen Rekonstruktion von Szenen und Situa-
tionen der Tumulte sowie Kapriolen dieser Zeit, schreibt der Autor
in kritischer Absicht sowohl gegen das Vergessen als auch das ver-
marktungsträchtige Mystifizieren der Revolte an.
– Hans Jürgen Krahl: »Konstitution und Klassenkampf«, Frankfurt
1971. In diesem Band befinden sich die Schriften und Reden des
manchmal als »theoretischer Kopf der APO« bezeichneten Genos-
sen, der Anfang 1970 bei einem Autounfall ums Leben kam. Krahl
entfaltete seine Position in der Phase der Studentenbewegung, in der
die traditionellen Theorien aus der Arbeiterbewegung praktisch pro-
blematisiert wurden, jedoch noch nicht durch andere revolutionäre
Theorien ersetzt worden waren. In der Zerfallsphase der APO leiste-
te er dabei eine beeindruckende Kritik an der sich abzeichnenden
Organisationspraxis autoritärer K-Gruppen.

213
– Ulrich Chaussy: »Die drei Leben des Rudi Dutschke«, neubearbeite- – Mario Tronti: »Marx, Arbeitskraft, – Erste Thesen«, neuaufgelegt
te Ausgabe, Berlin 1993. Eine aktualisierte Biographie über den Wer- W-Berlin 1987
degang und schillernden Lebensweg Rudis, der das »Herz der APO« – Trikont Verlag: »Indianer und P 38«, München 1978
und die wichtigste Symbolfigur der 68er Studentenrevolte war. – Guido Viale: »Die Träume liegen wieder auf der Straße«, W-Berlin
Über die politischen Vorstellungen von nicht ganz unbedeutenden Ge- 1979
nossInnen in der Studentenrevolte informieren Textbände mit Aufsät- – AUTONOMIE – Neue Folge: »Fabrik und neue Klassenzusammenset-
zen, Reden, Referaten und Interviews von U. Meinhof und R. Dutsch- zung. Das Beispiel FIAT 1974–81« Heft Nr. 9, Hamburg 1982. »Ita-
ke: lien – Ende der revolutionären Bewegungen?« Heft 12, Hamburg
– Ulrike Meinhof: »Die Würde des Menschen ist antastbar«, West- 1983
Berlin 1980 – Henner Hess: »Italien: Die ambivalente Revolte« in: »Angriff auf das
– Rudi Dutschke: »Geschichte ist machbar«, West-Berlin 1980. Herz des Staates«, 2. Band, Frankfurt a.M. 1988
Einen guten Überblick über Situationen, Zeugnisse, Aktionen und in- In der Bibliothek des Fachbereiches Politische Wissenschaften der Uni-
terne Entwicklungslinien der Studentenrevolte enthält der Band von versität Hamburg liegt eine vorzügliche Diplomarbeit von Ingrid Bier-
Peter Mosler »Was wir wollten, was wir wurden«, Hamburg 1977. Dar- brauer unter dem Titel: »Operaismus – Politisches Denken im Wan-
in sind sowohl eine vorzügliche Textbibliographie über alle für die Stu- del« vom Sommer 1987 unter einer dicken Staubschicht begraben. In-
dentenrevolte wichtigen Texte von 1966 bis 1977 als auch eine gute grid hat für diese Arbeit die gesamte ins Deutsche übersetzte »operaisti-
Chronologie von Ereignissen und Entwicklungen in dieser Zeit enthal- sche Literatur« inklusive ihrer bundesdeutschen Rezeption und als so-
ten. Eine Hilfe war auch das Buch von Hans Manfred Bock: »Geschich- genannte »Autonomie-Theorie« erfolgten Modifikationen diskutiert.
te des linken Radikalismus. Ein Versuch«, Frankfurt 1976. Es enthält Irgendwann in den 90er Jahren habe ich von Bodo Schulze, einem Au-
u.a. eine gründliche Darstellung über das politische und soziale Selbst- tor aus dem Umkreis der ISF Freiburg, einen Aufsatz unter dem Titel:
verständnis der Studentenrevolte sowie ihrer theoretischen Positionen. »Autonomia – Vom Neoleninismus zur Lebensphilosophie – Über den
Die Reden, inklusive der Schlußresolution, die auf dem »Internationa- Verfall einer Revolutionstheorie« im »Archiv für die Geschichte des
len Vietnamkongreß« gehalten wurden, wurden im Zusammenhang mit Widerstands und der Arbeit«, Bochum 1989, gefunden. Schulze schlägt
der gegen die IWF-WB-Tagung gerichteten Kampagne im Jahre 1988 in seiner bissigen, zuweilen leider etwas gehässigen, aber auf jeden Fall
von dem rührigen »Verlag Libertäre Assoziation« wieder neu aufgelegt. anregenden Polemik einen weiten Bogen: Darin spürt er den neolenini-
Es handelt sich dabei auch heute noch um bemerkenswerte Dokumente stisch inspirierten theoretischen Implikationen der Autonomiatheorie,
des Zeitgeschehens. ihren Veränderungen bis hinein in die diesbezüglichen Rezeptionen in
Darüber hinaus wurden noch folgende Texte verwendet: der bundesdeutschen Wirklichkeit hiesiger Operaisten nach. Dabei
– Wolfgang Kraushaar: »Autoritärer Staat und antiautoritäre Bewe- deckt Schulze eine Reihe von gern gepflegten Autonomiamythen auf, so
gung« in: »1999 Zeitschrift für Sozialgeschichte«, 3/87 Hamburg z.B. die theoretisch nur zu konsequente Entwicklung des Autonomia-
1987 theoretikers Negri hin zu einem Fan ausgerechnet(!) der bundesdeut-
– K.H. Roth: »Die historische Bedeutung der RAF« in: »Klaut sie!«, schen Grünen in der ersten Hälfte der 80er Jahre. Darüber hinaus ge-
Tübingen 1970 lingen ihm eine Reihe von verblüffenden Aussagen über die hinter dem
Rücken der neuen sozialen Bewegungen in den 80er Jahren wirkenden
– Peter Brückner: »Über die Gewalt – Sechs Aufsätze zur Rolle der
Geheimnisse.
Gewalt in der Entstehung und Zerstörung sozialer Systeme«, Berlin
1979. Dem Verlag »Schwarze Risse« gebührt das große Verdienst mit der Pu-
blikation von Primo Moroni und Nanni Balestrini: »Die goldene Hor-
Italien de – Arbeiterautonomie, Jugendrevolte und bewaffneter Kampf in Itali-
en«, Berlin 1994, einen ausgezeichneten Blick zweier Beteiligter auf das
– Wolfgang Rieland (Hrsg.) »Organisation und Autonomie. Die Er- Innere der italienischen Autonomia verfügbar gemacht zu haben. Un-
neuerung der italienischen Arbeiterbewegung«, Frankfurt a.M. 1977 bedingt lesen!
– Kursbuch Nr. 26: »Die Klassenkämpfe in Italien«, West-Berlin 1971

214 215
Der antiautoritäre Linksradikalismus der 70er Jahre ML-Gruppen
WAA-Gruppen Erfahrungsberichte aus der Welt der K-Gruppen sind in dem Buch
Für das Kapitel über die Betriebsprojektgruppen habe ich die Zeit- »Wir warn die stärkste der Partein ...«, Berlin 1977, zu finden.
schrift: »Wir wollen alles«, überregionale Zeitung linksradikaler bun- Eine gute Kritik an den theoretischen Vorstellungen des ML-Konzep-
desdeutscher Gruppen vom Februar 1973 – August 1975 (27 Ausgaben) tes leisten K.H. Lehnardt und Ludger Vollmer in dem Buch »Politik
durchgesehen. Darüber hinaus waren die beiden Bücher von der Grup- zwischen Kopf und Bauch«, Bochum 1979. Letzterer Autor hat sich
pe Arbeiterkampf Köln/Betriebszelle Ford: »Streik bei Ford Köln«, zwischenzeitlich an die Spitze der Grünen Staatsbürgerpartei geschli-
Köln 1973, sowie von K.H. Roth/E. Behrens: »Die andere Arbeiterbe- chen, was jedoch nicht unbedingt bedeuten muß, daß er schon Ende der
wegung«, München 1975, eine Hilfe. Auf die Arbeit von Ingrid Bier- 70er Jahre so dumm war.
brauer: »Operaismus – Politisches Denken im Wandel«, Hamburg Ein paar Zahlen und Daten über die Entwicklung der K-Gruppen wur-
1987, wurde bereits hingewiesen. den aus dem Staatsschutzbuch von G. Langguth: »Protestbewegung.
Entwicklung, Niedergang und Renaissance. Die neue Linke seit 1968«,
Häuserkämpfe 70er Köln 198, entnommen.
Hinsichtlich des Frankfurter Häuserkampfes wurden die meisten Ein-
schätzungen inklusive einer Chronologie aus dem Buch »Wohnungs- Alternativbewegung
kampf in Frankfurt«, das im Jahre 1974 vom Frankfurter Häuserrat ver- – Ernst Lohmann: »Die Alternativen vor der Alternative: Politik oder
faßt worden ist, entnommen. Ein paar der dort formulierten Einschät- Privatheit?« Aufsatz abgedruckt in der Radikal Nr. 52, Januar 1979,
zungen wurden 12 Jahre später in einem Artikel der Zeitschrift »Wild- West-Berlin
cat« Nr. 38 aus dem Jahre 1986 unter dem Titel: »Die militante Ge- – Harry Ticker: »Anatomie einer Sackgasse«, Aufsatz abgedruckt in
schichte Frankfurts – Die Häuserkämpfe« erneut abgeschrieben. In der der Radikal Nr. 79, Juni 1980, West-Berlin
Ausgabe Nr. 40/86 der gleichen Zeitschrift erschien auch ein zweiter
K.H. Roth: In einer während des »Deutschen Herbstes« im September
Teil über die linksradikale Geschichte Frankfurts in den 70er Jahren un-
1977 in Bologna gehaltenen Rede, die später unter dem Titel: »Massen-
ter dem Titel: »Militanz, bewaffneter Kampf, Reformismus und Re-
autonomie gegen ›Modell Deutschland‹« in der AUTONOMIE Nr. 10 do-
pression«.
kumentiert wird (siehe auch: Frombeloff), bemüht sich K.H.R. gegenü-
Zur Hausbesetzung in der Eckhoffstr. 39 in Hamburg wurde besonders ber den italienischen Genossen darum, mit Hilfe einer auf die Aktualität
auf die Dokumentation der Stadtteilgruppe Hohenfelde Ende des Jah- zielenden politischen Geste einen instruktiven Überblick über die
res 1973 unter dem Titel: »Wir greifen an: Springer, Senat, Neue Hei- »wimmelnde Breite einer neuen Massenbewegung« zu geben. Zwei
mat« zurückgegriffen. Eine übersichtliche Darstellung über die politi- Jahre später widmet er sich dann in dem Aufsatz: »Die Geschäftsführer
sche Vorgeschichte, den Verlauf und die Konsequenzen dieser Hausbe- der Alternativbewegung«, abgedruckt in »Klaut sie!«, Tübingen 1979,
setzung findet sich im Buch von Michael Grüttner. »Wem gehört die den inneren Selbstzerstörungsprozessen dieser Bewegung.
Stadt«, Hamburg 1976. Über die Rolle der »Proletarischen Front« bei
– Joachim Hirsch: »Der Sicherheitsstaat«, Frankfurt, überarb. Neuauf-
dieser Besetzung findet sich im Buch von Margareth Kukuck: »Student
lage 1986
und Klassenkampf«, Hamburg 1977, eine entsprechende Passage.
Das Zeitschriftenprojekt AUTONOMIE
Spontibewegung
– AUTONOMIE – Materialien gegen die Fabrikgesellschaft, 14 Hefte
– Uwe Schlicht: »Vom Burschenschafter bis zum Sponti«, West-Berlin
Oktober 1975 bis Ende 1979, München
1980
– AUTONOMIE – Neue Folge – Materialien gegen die Fabrikgesell-
– Johannes Schütte: »Revolte und Verweigerung – Zur Politik und So-
schaft, 14 Hefte, Ende 1979 bis Frühjahr 1985, Hamburg
zialpsychologie der Spontibewegung«, Giessen 1980
– Richard Herding: »Da ist der Wurm drin«, abgedruckt in zwei Teilen
der Zeitschrift »Kommune« Heft 8 und 9/1985
– Angelika Ebbinghaus: »Informationen zu den Zeitschriften Autono-

216 217
mie und 1999«, abgedruckt in »Verzeichnis der alternativen Medi- über die politischen Wirkungen und Vorstellungen der Sponti-Bewe-
en«, Amsterdam 1989 gung der 70er Jahre.
Eine autonome Bremer Studentengruppe unter dem Namen »Frombe-
loff« hat in einem K.H. Roth gewidmeten und ihm gegenüber viel zu The Making of the Autonomist Groups in the 80s
unkritischen Buch unter dem etwas verklärenden Titel: »... und es be- – Brand/Büsser/Rucht: »Aufbruch in eine andere Gesellschaft«, aktua-
gann die Zeit der Autonomie«, Hamburg 1993, eine Reihe von Hinter- lisierte Neuausgabe, Frankfurt 1986
grundinformationen und Texten aus dem AUTONOMIE-Projekt verfüg- – R.Roth/Rucht (Hg): »Neue soziale Bewegungen in der Bundesrepu-
bar gemacht. blik Deutschland«, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn
1987. In diesem Band ist auch eine Auswahlbibliographie von Texten
Stadtguerilla zu dem ganzen »Problemkontext« der neuen sozialen Bewegungen
– Peter Brückner: »Über die Gewalt«, W-Berlin 1979 enthalten.
– K.H. Roth: »Über die historische Bedeutung der RAF«, Aufsatz in – Hirsch/R. Roth: »Das neue Gesicht des Kapitalismus – Vom Fordis-
»Klaut sie!«, Tübingen 1979 mus zum Post-Fordismus«, Hamburg 1986
– P.P. Zahl: »Waffe der Kritik«, Frankfurt 1976
Über den Kampf der Gefangenen aus der RAF in der Zeit von 1970–77 Anti-AKW-Bewegung 75–81
gegen den Knast, die Isofolter und die Justiz informiert die Darstellung Aus der unübersehbaren Flut der verschiedensten Publikationen über
von P. Bakker-Schut: »Stammheim«, Kiel 1986 den Anti-AKW-Widerstand schienen mir folgende am besten geeignet
Originaltexte der RAF finden sich u.a. in der Textsammlung »›Mythen zu sein, die Entwicklung der Anti-AKW-Bewegung bzw. der darin ar-
knacken‹ – Materialien wider ein Tabu«, herausgegeben von der Linken beitenden Autonomen Gruppen bis zum Jahr 1982 nachzuvollziehen:
Liste in Frankfurt 1987 Eine vorzügliche Dokumentation über den Widerstand der Kaiser-
stuhler Bevölkerung gegen den Bau des AKWs Whyl hat Nina Gladitz
Deutscher Herbst mit dem Buch »Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv«, West-Berlin
Die beiden Journalisten Oliver Tolmein und Detlef zum Winkel: 1976, vorgelegt.
bemühen sich in dem Buch »Nix geRAFft«, Hamburg 1987, um eine Die Geschichte des Widerstands gegen das AKW Brokdorf bis zum
detailierte Beschreibung der Wirkungen dieses Zeitabschnittes auf die Jahr 1977 findet sich detailliert in dem von der BUU herausgegebenen
damalige radikale Linke. Im Oktober 1987 legte die »GNN« eine Bro- Band »Brokdorf: Der Bauplatz muß wieder zur Wiese werden!«, Ham-
schüre unter dem Titel: »Ausgewählte Zeitdokumente BRD – RAF« burg 1977, wieder.
vor, in der auch eine ausführliche Chronologie des »Deutschen Herb- In dem vom »AK Politische Ökologie« in Hamburg herausgegebenen
stes« enthalten ist. Band »Bilanz und Perspektiven zum Widerstand gegen Atomanlagen«,
Hamburg, September 1978, werden die Strukturen der innerhalb der
TUNIX Bewegung arbeitenden Autonomen Gruppen im Kontext der bis zu die-
– Peter Brückner: »Die Mescalero-Affäre – Ein Lehrstück für Auf- sem Zeitpunkt gelaufenen Widerstandsaktionen erläutert und darge-
klärung und politische Kultur« Hannover 1978. In diesem Band fin- stellt.
det sich eine umfassende Dokumentation der Auseinandersetzungen Der »Kalkar-Schock« der Anti-AKW-Bewegung wird ausführlich in ei-
sowohl um den Buback-Nachruf als auch um die staatlichen Repres- ner 1977 vom Ermittlungsausschuß der NRW-Bürgerinitiativen gegen
sionsmaßnahmen gegen Peter Brückner, der einer der solidarischsten Kernenergie herausgegebenen Broschüre unter dem Titel: »Wir – das
Wegbegleiter der Studentenrevolte als auch der neuen Linken in der Volk« beschrieben. Über die Diskussionen und Solidaritätsaktionen zu
West-BRD gewesen ist. den Grohnde-Prozessen informieren zwei Broschüren aus dem Jahre
– Hoffman-Axthelm/Kallscheuer u.a.: »Zwei Kulturen? – Tunix, Mes- 1978 von der »Bremer Bürgerinitiative gegen Atomanlagen« (BBA) un-
calero und die Folgen«, Berlin 1978. Neben dem Buch von Kraus- ter dem Titel »Den Wurfanker werfen wir in die Zukunft – und Zu-
haar: »Autonomie oder Ghetto« ist dieser Band das wichtigste Buch kunft heißt: Nie wieder Zäune« sowie eine vom Ermittlungsausschuß

218 219
Hannover herausgegebene Schrift unter dem Titel »Grohnde-Prozesse beiden beim Innensenator besoldeten Beamten B. Sonnewald und J.R.
– Wie Unrecht zu Recht wird ...«. Zimmermann in ihrem Buch »Die ›Berliner Linie‹ und die Hausbeset-
Die Redaktion der »AUTONOMIE – Materialien gegen die Fabrikgesell- zer-Szene«.
schaft – Neue Folge« legte im Sommer 1980 ein Doppelheft »AKW – Klaus Herrmann und Harald Glöde haben mit der Ende 1985 vorgeleg-
Widerstand/Atomstaat« vor, aus dem einige Passagen zitiert wurden und ten, außerordentlich informativen Arbeit unter dem Titel: »Aufstieg
dessen praktische Bedeutung sich eher für einen Schreibtischchronisten und Niedergang der Hausbesetzerbewegung in Berlin« den Titel eines
ermessen läßt als für die damaligen autonomen Bewegungsaktivisten. Diplom-Politologen einstreichen können. Glückwunsch.
Über die Auseinandersetzungen um das AKW Brokdorf vom Sommer Matthias Manrique hat sich in dem Buch: »Marginalisierung und Mili-
1980 bis zum Ablauf der Demonstration vom 28.2.81 und ihre politi- tanz«, Frankfurt a.M. 1992, ein wenig an »jugendlichen Bewegungsmi-
schen Konsequenzen gibt eine gemeinsam von den BUU-Delegierten lieus im Aufruhr« probiert. Unter anderem ist dabei auch eine außeror-
und Autonomen Plenum sowie vom »AK Politische Ökologie« und dentlich detailierte Chronologie des West-Berliner Häuserkampfes
dem KB herausgegebene Broschüre »Brokdorf 28.2.81. Berichte – Bi- herausgekommen.
lanz – Perspektiven« erschöpfend Auskunft.
Über den Brokdorf-Prozeß von Markus und Michael sowie die dazu ge- Keine Startbahn-West
laufenen Aktionen und Diskussionen wurde im Sommer 1982 von Ge- Über die Entwicklungen der politischen Auseinandersetzungen im
nossInnen aus der »Bremer Bürgerinitiative gegen Atomanlagen« eine Kampf gegen die Startbahn-West geben u.a. ein »Startbahnpapier« der
Prozeßdokumentation unter diesem Titel erstellt. Revolutionären Zellen vom August 1983, entnommen aus »Der Weg
Eine lesenswerte, wenn auch akademische Darstellung über die Beweg- zum Erfolg«, sowie die Dokumentation der »Bürgerinitiative gegen die
gründe, soziale und politische Zusammensetzung und die politischen Flughafenerweiterung« über die Aktionswoche anläßlich der Inbetrieb-
Tendenzen dieser Bewegung legte Herbert Meyer in seiner Diplomar- nahme der Startbahn, Frühjahr 1984, Auskunft.
beit »Zur neueren Entwicklung der Bürgerinitiativbewegung im Be-
reich Kernenergie«, Bochum 1981, vor. Anti-Kriegs- und Friedensbewegung
Last but not least können die in der Zeit von 1976–81 innerhalb der Be- Im Zusammenhang mit den autonomen Anti-Kriegs-Aktivitäten bis
wegung geführten Diskussionen in den Zeitschriften »Atomexpreß« zum Jahre 1982 sei auf die Hannoveraner Dokumentation der Aktivitä-
aus Göttingen und »Anti-AKW-Telegramm« aus Hamburg verfolgt ten gegen die IDEE im Frühjahr 1982, eine Dokumentation des Bun-
werden. deskongresses autonomer Friedensinitiativen unter dem Titel »500.000
gegen Reagan und NATO«, Göttingen 1982, sowie auf die von autono-
West-Berliner Hausbesetzerbewegung 1980–83 men und antiimperialistischen Gruppen herausgegebene Broschüre
Über die Entwicklung der West-Berliner Hausbesetzerbewegung infor- »Anti-NATO Demo 11.6. W-Berlin«, Hamburg 1982, verwiesen. Der
mieren neben den Ausgaben der »Radikal« von 1979 bis zum Jahr 1984 Aufsatz »Überlegungen zur Anti-Kriegs-Bewegung« ist in einer Som-
drei Dokumentationen des Ermittlungsausschusses der Bewegung vom mer-Ausgabe der »Radikal« 1983 nachzulesen.
Februar ’81 unter dem gleichnamigen Titel; vom Spätsommer ’81 unter Die »Vorbereitungsmaterialien« für die beiden bundesweiten autono-
dem Titel: »Dokumentation zu den Hausbesetzerprozessen« und vom men Treffen in Hannover und Lutter, 1983, wurden leider nirgendwo
November ’81 unter dem Titel: »abgeräumt? 8 Häuser geräumt – Klaus publiziert und befinden sich im Privatbesitz (au weia!) des Verfassers.
Jürgen Rattay tot«. Darüber hinaus findet sich eine detaillierte Chrono- Über die Ereignisse in Krefeld inklusive der sich daran anschließenden
logie, inklusive einer ausgewählten Pressedokumentation der Bewegung politischen Auseinandersetzungen wurde in den besseren Zeiten des KB
vom Februar 1979 bis zum 11.8.81 in der Broschüre »Berliner Linie Hamburg eine Broschüre unter dem Titel: »25.6.83 – Krefeld – Doku-
gegen Instandbesetzer – Die ›Vernunft‹ schlägt immer wieder zu!« aus mentation« herausgegeben, in der sich auch Hamburger Autonome zu
dem Umkreis der Kreuzberger Lokal- und Alternativzeitung »Südost- Wort melden. Von der Öffentlichkeitsgruppe des Unterweserausschus-
expreß«. ses wurde über die Aktionen der Friedensbewegung in
Eine nur zynisch zu nennende Beschreibung der Hausbesetzerbewe- Bremerhaven/Nordenham vom 13.-15. Oktober eine Pressedokumen-
gung aus sozialdemokratischer Sicht unternahmen im Jahre 1983 die tation unter dem Titel »Wir kommen« vorgelegt.

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Petra Kelly und Jo Leinen legten in dem Buch »Ökopax – Die neue »Was sollen die GRÜNEN im Parlament«, Frankfurt a.M. 1983, publi-
Kraft«, West-Berlin 1982, eine Aufsatzsammlung zur Friedensbewe- ziert. Darin sind eine Reihe von Aufsätzen versammelt, die von Thomas
gung aus grün-sozialdemokratischer Sicht vor. In dieser teilweise an Zy- Ebermann über J. Fischer bis hin zu den »Grauen Zellen« aus der
nismus nicht mehr zu überbietenden Aufsatzsammlung werden in ei- Westberliner Hausbesetzerszene und dem guten J. Agnoli reichen. Ins-
nem Aufsatz von Scherer die »Militanz« der autonomen und antiimpe- besondere in den beiden zuletzt genannten Beiträgen wären für die grü-
rialistischen Gruppen als eine der »Hürden« dieser Bewegung benannt. nen Ökosozialisten und Fundis der frühen 80er Jahre alle Argumente
Dummköpfe! Vom Bremer Komitee gegen die Bombenzüge (KGB) nachzulesen gewesen, die gegen die von ihnen nachfolgend betriebene,
wurde im Mai 1984 eine Broschüre unter dem Titel »Hochexplosiv – falsche politische Praxis und Naivität als Programm gesprochen haben.
Widerstand gegen die NATO – Stoppt die Bombenzüge« verfaßt. Eine Sie haben es jedoch stattdessen vorgezogen, es nicht begreifen zu wol-
Sammlung von Aufsätzen aus dem unabhängigen Teil der Friedensbe- len. Warum auch nicht? So dauerte es danach nur noch ein knappes hal-
wegung sowie eine Reihe von Artikeln aus Polizeisicht zur Friedensbe- bes Jahrzehnt, bevor diese von den Autonomisten ausgesprochenen
wegung legten im Juni 1984 die Redaktionen des Atomexpreß, der Wahrheiten über die tatsächlichen Wirkungsweisen eines parlamentari-
Atommüllzeitung sowie der Kommunistische Bund unter dem Titel schen Systems an ihnen von der auf dieser Ebene schlaueren Fischer-
»Vertrauen schaffen! – Innere Sicherheit und Friedensbewegung«, Bande exekutiert wurden. Beileid.
Göttingen, vor. Dort findet sich auch eine gute Chronologie der Frie- – Joachim Raschke (und ein paar andere) haben mit der Arbeit »Die
densbewegung von Ende 1979 bis Ostern 1984. Grünen« Köln 1994, einen voluminösen 800-Seiten Schinken über
Die »Initiative Sozialistisches Forum« (ISF) aus Freiburg legte 1984 ei- die Entstehung und grob 15 jährige Geschichte dieser Partei vorge-
nen Band unter dem Titel: »Frieden – je näher man hinschaut, desto legt. Eine, auf den ersten Blick betrachtet, nützlich erscheinende
fremder schaut es zurück« vor. Er enthält eine vorzügliche Kritik an der Faktenentsorgungsdeponie. Wenn’s wirklich das allerletzte Buch
»deutschen Friedensbewegung«. über diese Organisation bliebe, dann hätte es durchaus seinen Zweck
und Sinn mehr als positiv erfüllt.
Autonome Bewegung quer durch die Republik
Klassenpolitik contra Massenpolitik? Die Anti-AKW-Bewegung der 80er Jahre
Für den Block »Klassenpolitik oder Bewegungspolitik« habe ich auf ei- Über den Anti-AKW-Widerstand in der Zeit seit 1982 kann auf die
ne Reihe von Ausgaben der Zeitschriften »Schwarze Katze«, herausge- Zeitschriften der Bewegung »Atommüllzeitung«, Lüneburg, und »Ato-
geben von Hamburger Jobbergruppen, sowie die »Karlsruher Stadtzei- mexpreß«, Göttingen, bis 1984, zurückgegriffen werden, bevor diese
tung« und die in direkter Nachfolge dazu erscheinende Zeitschrift dann zum gemeinsamen Projekt »Atom« fusionierten.
»Wildcat«, West-Berlin, zurückgegriffen. Von großem Nutzen war Über den regionalen Anti-AKW-Widerstand in Gorleben und
auch eine von Freiburger Studis (Bolschewiki) im Jahr 1989 herausge- Wackersdorf wurden aus autonomer Sicht zwei empfehlenswerte Bro-
gebene Broschüre »Mit den überlieferten Vorstellungen radikal bre- schüren verfaßt. Der »Widerstandsbericht Wendland – Teil 1« gibt ei-
chen«. nen Überblick über die Geschichte des Widerstandes in Gorleben, mit
Über die politischen und praktischen Auseinandersetzungen der Auto- Schwerpunkt auf die Zeit von Januar ’83 bis zum Juni ’85. Im Sommer
nomen nach der Ermordung Günter Sares durch hessische Bereit- 1988 erschien in Berlin unter dem Titel »Abgebrannt«, eine Aufarbei-
schaftsbullen gibt eine von Frankfurter Genossen herausgegebene Do- tung des Anti-WAA-Widerstandes von 1981–88 von autonomen Anti-
kumentation aus dem Herbst 1985 Auskunft. AKW-Gruppen aus Süddeutschland und West-Berlin.
Über die im autonomen Spektrum gelaufenen Auseinandersetzungen
Die Autonomen und die Grünen um den Ablauf des in Kleve von den Bullen zusammengeschlagenen
Ein paar Gedanken über das Verhältnis der Autonomen zu den Grünen Brokdorf-Konvois wurde von Hamburger GenossInnen eine Flugblatt-
und umgekehrt wurden einem Aufsatz von J. Hirsch aus »links« Nr. sammlung erstellt, die leider ohne Titel ist und nicht in einer Broschü-
1/1986 entnommen. re zusammengefaßt wurde. Eine Gruppe, bestehend aus dem Ermitt-
lungsausschuß der BUU, dem KB, die Grünen Schleswig-Holsteins
Wolfgang Kraushaar hat kurz vor dem Einzug der Grünen Partei in
und der Sanigruppe Hamburg war aber noch so freundlich, in diesem
diesen komischen Bundestag ein spannendes Buch unter dem Titel:

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Zusammenhang eine Broschüre unter dem nicht gerade mitreißenden dem im September ’87 erschienenen Buch »Hafenstraße – Chronik und
Titel: »Brokdorf/Kleve/Hamburg« zu erstellen. Leider liegt die Inten- Analysen eines Konfliktes« unternehmen die Autoren Herrmann, Len-
tion dieser Schrift darin begründet, ausgerechnet den Bullen vorzuwer- ger, Reemtsma und Roth den Versuch, in verschiedenen Beiträgen, an-
fen, daß diese doch tatsächlich gegenüber der Bewegung Terror aus- gefangen beim Städtebau, über die faschistischen Kontinuitäten in der
geübt hätten. Na sowas! Stadtsanierung, Bulleneinsätzen bis zur Pressepolitik der Springer Zei-
Vom Hamburger Wendlandplenum wurde im Frühjahr 1987 eine Bro- tungen, die größeren politischen Dimensionen des Hafenstraßenkon-
schüre »Atomtechnologie – Umstrukturierung am Beispiel Siemens« fliktes zu beleuchten.
veröffentlicht. Die Erfahrungen aus der KWU-Kampagne wurden in Ein ganz anderer Blickwinkel wird in der Aussage des Hamburger Ver-
einem Papier aus Berlin unter dem Titel »Erkenntnisse, Hintergründe fassungsschutzchefs Lochte vor einem Untersuchungsausschuß des
und Fragen« zusammengefaßt, das im Mai ’88 auf einer Konferenz au- Hamburger Parlaments zur Hafenstraße deutlich. Er gibt darin Aus-
tonomer Anti-AKW-Gruppen vorgelegt worden ist. kunft über ein paar von seinem Amt jahrelang gegen den »Hafen« lan-
Im Herbst ’88 legten Hamburger GenossInnen einen »Hamburger cierten Politik-, Repressions- und Räumungsstrategien und blufft mit
Rundbrief zum Thema: Anti-AKW-Bewegung« vor, der sich stark um vermeintlichen Insiderkenntnissen aus dem »Hafen«, die er nicht be-
eine antikapitalistisch dominierte Sichtweise der gesamten Geschichte sitzt. GenossInnen waren so freundlich, das Vernehmungsprotokoll aus
der Anti-AKW-Bewegung bemüht. dem Jahre 1988 zu veröffentlichen.
Über die Entwicklungen der Berliner autonomen Szene (ohne IWF)
Hafenstraße, Kreuzberg, Schüsse an der Startbahn-West, geben drei Dokumentationen Aufschluß: Der Ermittlungsausschuß ver-
IWF-Kampagne, ’89 und Kurzgutachten öffentlichte zur ersten Mai-Randale in Kreuzberg und zum Reagan-Be-
such ’87 eine vorzügliche Broschüre unter dem Titel »1. Mai 1987 – 12.
Eine Hilfe bei der Konstruktion des Kapitels waren eine Reihe von
Juni 1987«.
Flugblättern, die sich allerdings nur schwer zitieren lassen, weil sie zum
großen Teil ohne Datum und besondere Überschriften versehen sind. Über die autonomen Stadtteilaktivitäten vom Sommer bis Winter 1987
Darüber hinaus war dem Autor das gesamte reichhaltige linksradikale gibt eine Dokumentation unter dem gleichnamigen Titel zur »Kiez De-
Zeitschriftenspektrum von großem Nutzen: mo und Reichenberger-63A-Besetzung«, erschienen Anfang Januar ’88,
Auskunft. Als Querverweis sei an dieser Stelle auf eine von GenossIn-
Die mittlerweile unter den Ladentischen vertriebene »Radikal« und die
nen aus Hamburg erstellte Dokumentation im Kampf für die »Rote
von Oktober 1985 bis Ende ’88 erscheinende »Unzertrennlich«
Flora« im Schanzenviertel verwiesen.
bemühten sich, bundesweite Diskussionsprozesse der Autonomen
transparent zu machen. Für die ebenfalls überregional erscheinende Die letzte »Dokumentation«, die an dieser Stelle aufgeführt werden
Zeitschrift »Schwarzer Faden« gilt dies nur eingeschränkt. Die Diskus- soll, wurde zur »revolutionären 1. Mai Demo 1988 in Westberlin« ver-
sionen und Aktionen der autonomen Hamburger Linken finden sich in faßt.
der 1984 eingestellten »Großen Freiheit« und in der ab ’85 erscheinen- Zu der Entwicklung des Startbahn-Widerstandes kann auf das Info der
den Zeitschrift »Sabot«, gleiches gilt für die West-Berliner Autonomen autonomen StartbahngegnerInnen »Hau Ruck« zurückgegriffen wer-
seit dem Mai ’88 mit ihrer Zeitschrift »Interim«. Darüber hinaus exi- den, das bis zum Sommer 1986 in sieben Ausgaben erschien. Zu den
stiert zu allen möglichen Ereignissen, an denen sich die Autonomen be- Schüssen an der Startbahn wurde vom »ID-Archiv im Internationalen
teiligt haben, ein umfangreiches Schrifttum in Form der verschieden- Institut für Sozialgeschichte/Amsterdam« im März 1988 eine umfängli-
sten »Dokumentationen«, die zumeist – dummerweise – auch genauso che Dokumentation aller bis zu jenem Zeitpunkt erreichbaren Aufsätze,
heißen. Artikel und Diskussionsbeiträge aus grünen, linken und linksradikalen
Anfang 1988 legte der »Initiativkreis für den Erhalt der Hafenstraße« Publikationen unter dem Titel »2.11.87« herausgegeben.
mit der Broschüre »Hafenstraße – Chronologie eines Kampfes« (1. vor- Über das Ausmaß und die Reaktionen auf die Verhaftungen von Ulla
läufige Fassung) eine vorzügliche Sammlung von Flugblättern, Pres- und Ingrid geben sechs von Hamburger GenossInnen erstellte Pro-
seartikeln und einer Chronologie von Beginn der Besetzung der Häuser zeßinfos vom Winter ’87 bis zum Spätsommer ’88 Auskunft. Eine gute
seit Herbst 1981 vor. Darin werden die politischen Entwicklungspro- Broschüre über die politischen Hintergründe der massiven staatlichen
zesse der Leute im »Hafen« und ihrer UnterstützerInnen dargestellt. In Repressionen gegen die autonome Frauenbewegung sowie eine aus-

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führliche inhaltliche Darstellung aller in diesem Zusammenhang »an- gung. Darüber hinaus finden sich in jenem Jahr eigentlich zu allen vom
schlagsrelevanten Themen« wurde im März 1988 unter dem Titel »An- Verfasser im diesbezüglichen Kapitel angesprochenen Ereignissen und
schlag auf die Schere am Gen und die Schere im Kopf« von der »Bro- Entwicklungen die damals tatsächlich immer so genannten »Dokumen-
schürengruppe für Ulla und Ingrid« im Konkret-Verlag, Hamburg, ver- tationen«
öffentlicht. Der Begriff der »movement-party« stammt von dem Politologen Geoff
Zur Vorbereitung des Bremer Internationalismuskongreß probierte Eley, geschrieben in einem Aufsatz in einer Ausgabe der sozialwissen-
sich der damalige von Autonomen gestellte AStA der Uni Bremen in schaftlichen us-amerikanischen Zeitschrift: Capitalism, Nature, Socia-
zwei um viel Radikalität bemühte Broschüren unter dem Titel »Neuer lism (CNS) irgendwann im Jahre 1991. (Ich kannte diese Zeitschrift
Internationalismus und IWF-Kampagne«. Zur IWF-Kampagne der au- vorher auch nicht). Der von Severin Lansac erfundene Begriff der
tonomen Gruppen sei aus dem reichlichen Material vor allem auf die »Wanderdüne des gesellschaftlichen Konfliktes« wurde dem Aufsatz:
Berichterstattung in der »Unzertrennlich« hingewiesen, insbesondere »Autonome Orte: Für eine kleine Politik«, abgedruckt in dem Büchl-
auf eine gute Auswertung aller Aktivitäten in ihrer letzten Ausgabe Nr. ein: »Feuer und Flamme, Teil II«, Amsterdam 1992, entnommen.
10/11 (Herbst/Winter ’88). In der »Radikal« Nr. 135 (Oktober ’88) ist
eine ausführliche Dokumentation aller Aktivitäten im Vorfeld und vor Die staatliche Repression
allem in der Aktionswoche nachzulesen. Das autonome Frauenplenum ist nicht nur schlimm. Sie wird auch von allen Beteiligten auch immer
West-Berlin veröffentlichte im Frühjahr ’88 eine Broschüre unter dem gerne dafür benutzt, über unbequeme Dinge nicht mehr sprechen zu
Titel »Ansätze«, die einen Einblick in ein paar theoretische und inhalt- müssen. Wie dem auch sei, egal oder gar gleichgültig kann sie gerade
liche Linien der autonomen Frauenaktivitäten gegen den IWF-Kon- denjenigen nicht sein, die von ihr bedroht werden. Mein Freund Enno
greß gibt. Brand hat im Jahre 1989 in dem Buch »Staatsgewalt« eine vorzügliche
Ein unter dem witzigen Pseudonym »Nuno Tomazky« verkleideter Au- Chronologie der staatlichen Repression von 1975 bis zum Ende der
tor hat es sich in der Zeitschrift »Marxistische Kritik« Nr. 6 im Sommer 80er Jahre gegen die außerparlamentarische Linke der West-BRD vor-
1989 in einem etwas längeren Aufsatz unter dem Titel: »Militanter Em- gelegt. In einer Reihe von Passagen kann Ennos Buch als Ergänzung zu
pirismus und IWF-Kampagne« zur Aufgabe gemacht, sowohl die theo- dem vorliegenden Text gelesen werden.
retischen Positionen der Zeitschrift »AUTONOMIE – NF« als auch die Wer noch mehr über die staatliche Repression gegen die linke außer-
»ihrer Apologeten« einmal so richtig abzubürsten. Sowohl das Ergebnis parlamentarische Bewegung der West-BRD vom Beginn der 70er bis
als auch der Ton dieser kleinen Untersuchung in der Hauszeitschrift des zum Ende der 80er Jahre erfahren möchte, der oder die sei auf den
Robert Kurz (heute heißt sie: »KRISIS«) fällt für die erbarmungslos 400–Seiten Schinken von Rolf Gössner: »Das Anti-Terror-System –
Kritisierten nicht gerade günstig aus. Aber wie sollte es in den ja von Politische Justiz im präventiven Sicherheitsstaat«, Hamburg 1991, ver-
den jeweiligen Schreibtischexponenten als »sehr wichtig« begriffenen wiesen. Das in weiten Strecken unpolitisch geschriebene Buch kann als
Theoriestreits großer Männer auch anders sein. Leider fällt dabei die eine gute Anti-Repressions-Daten- und Faktenauffüllanlage benutzt
Tonlage dieses Aufsatzes manchesmal zu unfreundlich, eher erbittert werden.
und gehässig aus. Leider verwechselt olle Nuno in diesem Beitrag die
gegen die IWF-WB-Tagung gerichtete Assoziation innerhalb der doch Wer das Ganze über die Autonomen
schillernden autonomen Bewegung immer mal wieder mit den schrift-
lich fixierten Positionen der dieser Bewegung willkürlich zugeschriebe- erfahren möchte, sei zunächst einmal für die 80er Jahre auf folgende
nen Theoriefürsten. Nichtsdestotrotz: In ein paar Punkten hat Nuno Texte hingewiesen:
intellektuell gegenüber ein paar Positionen der alten »AUTONOMIE- In der linksliberal-pädagogisch orientierten Zeitschrift »Vorgänge«,
NF«-Redaktion und einem innerhalb der Basisbewegung durchaus ver- Ausgabe Nr. 85, wurde unter dem Stichwort »Phänomen Gewalt« im
breiteten dubiosen instrumentellen Hau-ruck-Verhältnis zwischen Jahre 1987 ein stark psychologisierender Artikel unter der Überschrift:
»Theorie« und »Praxis« zurecht zugebissen. »Hau weg die Scheiße – Autonomer Widerstand in der BRD« verfaßt.
Für das allorten wohl oder eher übel geschichtsmächtig erklärte Jahr Gleiches gilt für einen Artikel aus der DKP-Theoriezeitschrift »Marxi-
1989 lohnt durchaus ein Blick in den Blätterwald der autonomen Bewe- stische Blätter«, Ausgabe Nr.1./1988 unter dem schlichten Titel: »Die
Autonomen«. Immerhin wurde in jenem Beitrag von der damals noch

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in größeren Umfange existierenden DKP erwogen, die unter dem Eti- Arbeit: »Marginalisierung und Militanz – Jugendliche Bewegungsmili-
kett »Autonom« herumspringenden Jugendlichen in »marxistische Bil- eus im Aufruhr«, Frankfurt a.M. 1992, auf dem Wissenschaftsmarkt.
dungsangebote« einzubeziehen. Was ham wir jelacht ... Nicht weit von dessen Intention entfernt, verfaßte Detlef Schulze einen
Die außenpolitische Zeitschrift »Horizonte«, die von einem National- Text unter dem Titel: »Die Autonomen – Ursprünge und Entwicklung
staat namens DDR herausgegeben wurde, veröffentlichte im Juni 1988 der autonomen Bewegung«. Sie findet sich in mehreren Teilen in der
einen Aufsatz unter dem Titel: »Chaoten, Gewaltäter, Straßenmob«. In ökologisch fragwürdigen Hamburger Hochglanzzeitschrift »17 Grad
diesem Aufsatz wurde doch glatt von einigen, vermutlich von der STA- Celsius«, ab der Nummer 7, April 94, abgedruckt. In beiden Arbeiten
SI alimentierten, Schreiberlingen die Mär von den massenhaft »bezahl- ist ein gelehrsamer Götzendienst an ein paar makrosoziologischen
ten Provokateuren« innerhalb der Autonomen heruntergebetet. Na so- Großtheorien zu besichtigen. Die ausführlich in diesen Texten abge-
was ... schriebenen Großtheoretiker wird’s freuen, wenn die von ihnen erfun-
Die Gruppe »Autonome Studis (Bolschewiki)« aus dem schönen Frei- denen Theorien nachträglich noch mal auf die autonome Bewegungs-
burg hat im Sommer des Jahres 1989 für nur fünf Maak eine Broschüre geschichte der 80er Jahre draufgeklebt werden. Insgesamt finden sich in
unter dem verheißungsvollen Titel: »Mit den überlierferten Vorstellun- beiden Arbeiten komplexe Sachverhalte komplex beschrieben, ohne daß
gen radikal brechen – Ein Blick über den Tellerrand autonomer Basis- die Autoren vergessen haben, sie in komplexer Art und Weise »analy-
banalitäten« vorgelegt. Auch wenn sich das im Titel benutzte »radikal tisch fixieren« zu wollen. Dieser Preis war von beiden Autoren zu ent-
brechen« hinsichtlich seiner Intention nicht auf den Vorgang des »kot- richten, um sich Hühnerknochen in der Form eines Doktorhutes und
zens« sondern auf eine radikal gemeinte Kritik gegenüber beständig als eines Diplomzettels von einer Universität zu erschleichen. Glück-
»Andere« verstandene Autonome und deren Wurzeln und Geschichte wunsch lieber Matze und Detlef!
in den 70er und 80er Jahren bezieht, so erscheint dies nach Lektüre des Demgegenüber verzichten die um politische Auseinandersetzung mit
Textes nur halbwegs gelungen. Die in dieser Broschüre erstellten Be- der autonomen Bewegung bemühten, nachfolgend genannten Texte auf
schreibungen glauben sich auf »die bekannte Erscheinung des oder der gar zu viel analytischen Klingelkram. Der erste stammt von der Redak-
Durschnittsautonomen« stützen zu können. Und die wiederherum exi- tion der Hannoveraner Zeitschrift »Spezial«, Nr.88 vom Januar/Febru-
stieren allenfalls in verzweifelten Köpfen und an verschiedenen ar ’93: »Autonome Politik und Sozialrevolution von unten«. Der zweite
Schreibtischen, jedoch nicht in der Wirklichkeit. Text stammt von Jörg Lauterbach: »Zum Staats- und Politikverständnis
Micha Wildenhein probierte sich in dem Aufsatz: »Modell Kreuzberg« der autonomen Gruppen in der BRD – Zur Notwendigkeit einer radi-
in der Zeitschrift Konkret Nr 11/89 an einigen durchaus interessanten kalen Opposition«, abgedruckt in der Zeitschrift »Widersprüche« Nr.
Gedanken, u.a. auch über die Entwicklung der Autonomen in diesem 50 vom März 1994. Im Spezial-Text sind ein paar interessante Gedan-
Kiez. Die dabei von Micha gegenüber dem ihm äußerlich gebliebenen ken zum Verhältnis von Autonomen zum Regionalismus und zur Rebel-
Gegenstand formulierte Absage und Enttäuschung, die ihm keineswegs lion von »ganz rechts unten« enthalten. Lauterbach wirft in seinem
vorzuwerfen ist, provozierte dann auch in der gleichen Zeitschrift in der Text die spannende Frage auf, ob den autonomen Gruppen mit dem all-
Nr.1/90 unter dem Titel: »Modem Kreuzberg« eine fulminante Replik mählichen Verschwinden der Gesellschaftsformation des Fordismus
des Alt-Genossen H. Aegar. Er endet mit der uns richtig erscheinenden nicht die Handlungsgrundlage für die bisher von ihnen praktizierten
Erkenntnis: »Die ›Kreuzberger Ideologie‹ ist weder Ausgangs- noch Formen der Politik verloren geht.
Endpunkt revolutionärer Vorstellungen, sondern eine notwendige Wer sich darüber hinaus einen Gesamtüberblick über die von Linksra-
Etappe – nicht mehr, aber auch nicht weniger.« dikalen herausgegebene Presse mit libertär-anarchistischer Grundhal-
Für die 90er Jahre sei auf folgende Darstellungen verwiesen: tung verschaffen möchte, sei auf das Buch von Holger Jenrich: »Anar-
chistische Presse in Deutschland 1945–1985«, Grafenau 1988, hinge-
Der Soziologe Rainer Paris hat in der sozial- und politikwissenschaftli-
wiesen. Zumindestens für die Zeit ab Mitte der 60er Jahre ist bei Teilen
chen Zeitschrift »Leviathan« Nr. 1/91 in dem Aufsatz: »Vermum-
des von Jenrich aufgeführten Zeitschriftenspektrum eine Emanzipation
mung«, wenn auch mit Hilfe eines zuweilen unangenehmen Soziolo-
von traditionell anarchistischen Vorstellungen zu verzeichnen.
genchinesisch, ein paar durchaus beachtenswerte Gedanken zu diesen
schillernden und vielschichtigen Phänomen in den Raum geschleudert.
Daneben probierte sich auch der Soziologe Matthias Manrique mit der

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Der Initiative Sozialistisches Forum dem Jahre 1978, der die Szeneentwicklung der Frankfurter Sponti-
(ISF) gilt ein nachträglicher Dank dafür, daß sie dem Verfasser im De- Bewegung in die entstehende Alternativbewegung thematisiert. In
zember ’92 die Möglichkeit zu einem Vortrag eröffnete. Er wurde für der Juni/Juli Ausgabe 1992 der Zeitschrift »Mittelweg 36« schrieb
mich zu einem völligen Desaster mit peinlichen und bezogen auf die Wolfgang in gewohnter Brillianz einen Aufsatz unter dem Titel:
Gesamtveranstaltung gespenstischen Sequenzen. Zweifellos war die sei- »Rudi Dutschke und die Wiedervereinigung. Zur heimlichen Dia-
tens der ISF an meinen Überlegungen geübte Kritik nicht immer ganz lektik von Internationalismus und Nationalismus«. Er weist darin
frei von denunziatorischen Zwischentönen. Auch das ein paar meiner nach, daß Rudis Liebäugeln mit der »deutschen nationalen Frage«
Gedanken zu den praktischen Implikationen der Hoyerswerda-Demon- bis in die Ursprünge der 68er Revolte zurückreicht. Diese nun freige-
stration autonomer Gruppen im Verlauf der Diskussion mit dem zutref- legte und keineswegs zu unterschätzende Tatsache hat eine enorme
fenden Hinweis kommentiert wurden, daß ich über »keinen wissen- Bedeutung für zukünftige Interpretationsgefechte dieses Abschnittes
schaftlichen Rassismusbegriff« verfüge, ist für niemanden ein Gewinn. der West-BRD-Geschichte.
Und doch wurden in der Diskussionsveranstaltung mit Hilfe von ein – Joachim Hirsch: »Der Sicherheitsstaat«, Frankfurt 1980, zweite
paar einfachen Fragen unbarmherzig der Finger in ein paar gar zu be- überarbeitete Neuauflage 1986. Hirsch analysiert in diesem Band die
queme und bornierte Denkstrukturen des Verf. gelegt. Darüber hinaus Konturen des keynesianischen SPD-Projektes »Modell Deutsch-
versuchte ich mich entgegen des eigenen bis dato abstrakten Wissens land«, dessen Krisen und die neuen sozialen Bewegungen.
viel zu lange an falschen individuellen Souveränitäts- und Allmächtig- – J. Hirsch/Roland Roth: »Das neue Gesicht des Kapitalismus«, Ham-
keitsansprüchen zu orientieren, anstatt schon viel frühzeitiger um die burg 1986. Dieser Text versucht die gesellschaftliche Realität der
verständige Hilfe anderer VeranstaltungsteilnehmerInnen zu bitten. BRD und der westlichen kapitalistischen Staaten unter den Bedingun-
Kurzum: Der Autor hat schmerzhaft lernen müssen, daß auch wenn gen eines vermuteten Überganges von Fordismus zum sogenannten
Momente von »Naivität« zum Zwecke der Assoziierung zwischen Indi- Post-Fordismus in den 80er Jahren zu skizzieren. Beide sind teilweise
viduen unverzichtbar bleiben, es doch Unfug ist, sie zum politischen eine gelungene Beschreibung der Verknüpfung von ökonomischen
Programm erheben zu wollen. Nach einer solchen Veranstaltungs-Er- Entwicklungstendenzen der westlichen Nachkriegsgesellschaften mit
fahrung, hat man die Wahl, entweder ganz aufzuhören oder auf einem einer Vermittlung in diesbezügliche Reaktionen von Betroffenen, po-
anderen Niveau noch besser weiterzumachen, als jemals zuvor. Auch litische Konflikte, deren Verläufe und neue soziale Bewegungen.
dank der »Praxis« der ISF habe ich mich für letzteres entschieden – J. Hirsch: »Kapitalismus ohne Alternative?«, Hamburg 1990. Ein
Resümee plus Fortführung von »Das neue Gesicht des Kapitalismus«
Kantonisten
Im Laufe des Textes wurden die Autoren Kraushaar, Roth und Hirsch Eine Verbeugung
mehr als einmal zustimmend zitiert. Die drei Genannten haben in einer gilt dem Altmeister der westdeutschen Politologie Johannes Agnoli. Ei-
Reihe von Texten fulminante Beschreibungen der Klassenrealität, der ne Reihe seiner Gedanken hat »autonome« Ansichten sehr bereichern
neuen sozialen Bewegungen, der Geschichte der Linken, scharfe Kriti- können. So z.B. die Einsicht, wie in einem parlarmentarisch-bürgerli-
ken an der Realpolitik der Grünen verfaßt. In der ersten »Feuer und chen System Herrschaftskonflikte in Führungskonflikte zwischen kon-
Flamme«-Fassung wußte der Autor die drei Autoren aufgrund von ein kurrierenden Eliten transformiert werden. Nach wie vor bleiben seine
paar Begebenheiten noch als »unsichere Kantonisten« zu bezeichnen. Parlamentarismus- und Institutionenkritiken und seine Polemik gegen
Aus einer Reihe von mittlerweile als »gut« erkannten Gründen möchte marxistisch-leninistische Politikvorstellungen in ihrer Schärfe unüber-
der Autor nunmehr von dieser Charakterisierung so elegant und redlich troffen. Und das alles in der schönen Perspektive einer »Befreiung von
wie möglich Abschied nehmen. Wer also noch Spaß daran hat, sich mit Politik« ...
der Geschichte der alten West-BRD auseinanderzusetzen, dem sei die – J. Agnoli/Peter Brückner: »Transformation der Demokratie«, Frank-
Lektüre nachfolgender Texte ans Herz gelegt: furt 1968, neuaufgelegt Freiburg 1991
– Wolfgang Kraushaar: »Revolte und Reflexion«, Frankfurt 1990. In – Agnoli: »Überlegungen zum bürgerlichen Staat«, West-Berlin 1975,
diesem Band sind Aufsätze von Kraushaar aus der Zeit von 1976 bis neuaufgelegt Freiburg 1994
1987 enthalten, darunter u.a. auch »Autonomie oder Ghetto« aus Der langjährige Mitarbeiter des Ermittlungsausschusses West-Berlin,

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Roger Wittmann, hat Ende 1985 an der FU Berlin eine dem Werk J. lichkeit entkoppelt sind. Beim Lesen dieser, zuweilen in einem gruseli-
Agnoli verpflichtete Arbeit unter dem Titel: »Das Politische und die gen Sprachstil verfaßten Texte wird man mehr als einmal von dem Ein-
Freiheit – Überlegungen zum Verhältnis von Politik und Emanzipati- druck erschlagen, als würden beständig riesige Schaufelbagger mit dem
on« vorgelegt. Seine anregenden Darlegungen sind leider bislang un- Ziel über den Globus fahren, da und dort mal wieder ganze Erdteile zu-
veröffentlicht geblieben. sammenzuschieben. Diese Betrachtungsweise der Welt ist natürlich
Tüddelkram, jedoch zur Einschüchterung einer unbefangenen Neugier
Carlo Roth und Detlef Hartmann von lernwilligen Menschen ganz nützlich, die in diesen verwendeten
können – in der gebotenen Vorsicht, die selbstverständlich sowohl eine Methoden kaum ihre eigenen, realen Erfahrungen zur Sprache bringen
kritische als auch antipatriarchal verstandene Distanz (und Ironie) ein- können, und vielleicht ja auch gar nicht sollen. In diesem Zusammen-
schließen muß – neben Johannes Agnoli in gewisser Weise als »Väter« hang ist es dann auch nur folgerichtig, wenn Carlos publizistische Inter-
eines, von Italien inspirierten, um theoretische Fundierung bemühten ventionen und öffentliche Auftritte in der Form eines, wenn man so
Stranges einer westdeutschen Autonomie betrachtet werden. Ihre viel- will, nachholenden sozialistischen Intellektuellen, nicht immer frei von
fältigen politischen und theoretischen Bemühungen reichen zurück bis durchaus konservativen, und im schlechten Sinne autoritären Untertö-
in die 68er- Zeit ihres jeweiligen Hamburger und Kölner SDS-Ortsver- nen sind. Demgegenüber klagt Detlef Hartmann auch heute noch in
eins. Ihre politische Biographie schreibt sich seitdem in der engagierten seinen Texten in der ihm eigenen Art eines militanten Moralismus ge-
Mitarbeit bei den »Wir wollen alles«-Gruppen, über die Theoriezeit- gen den aktuellen »Umbruch produktiver Gewalt« und beharrt weiter
schrift »AUTONOMIE« bis in die Gegenwart als jeweilige Redaktions- auf einer Denunziation der »linken Intelligenz«. Nun denn ...
mitglieder der Geschichtszeitschrift »1999« (K.H.R.) und den »Mate- Ein paar nicht uninteressante biographische Stationen und theoretische
rialien für einen neuen Antiimperialismus« (D.H.) fort. Positionen von Carlo Roth in dessen fast dreißig Jahre langer linksradi-
Von Carlo Roth wurde (gemeinsam mit Elisabeth Behrens) mit dem kal-autonomen Geschichte können in folgenden Büchern nachgelesen
Buch: » Die andere Arbeiterbewegung« der wichtigste Text des bundes- werden:
deutschen Operaismus geschrieben. Das von Detlef Hartmann 1981 – »Patient Geschichte«; Festschrift zum 50. Geburtstag von K.H.
vorgelegte Buch: »Die Alternative – Leben als Sabotage – Zur Krise der Roth. Hrsg. von Karsten Linne/Thomas Wohlleben, Frankfurt 1993
technologischen Gewalt« (Neuauflage 1988) enthält eine scharfe Kritik – Formbeloff (Hg.) »... und es begann die Zeit der Autonomie«. Politi-
sowohl an einer Reihe von Spielarten der Marxorthodoxie, diesbezügli- sche Texte von Karl Heinz Roth u.a., Hamburg 1993. Sofern man
chen barbarischen Formen einer Arbeitsorganisation als auch eine den Frombeloffs Glauben schenken darf, bemüht sich Carlo seit 1986
schonungslose Abrechnung mit einigen Ideologien einer sich damals in dem von ihm mitaufgebauten »Hamburger Institut für Sozialge-
ausbreitenden Alternativbewegung. Bemerkenswert erscheint auch die schichte« um »eine Institutionalisierung von sozialrevolutionärer
Leistung Detlefs, in den 80er Jahren gegen die theoretische Version ei- Forschung in Form einer autonomen ›Denkfabrik‹.« Denk, Denk,
nes leninistisch-stalinistischen Antiimperialismus die Konzeption eines Denk, Denk ... Von dort aus bemüht er sich um eine zuweilen hoch-
»neuen Antiimperialismus« versucht zu haben. Zumindest hat der mit- spannende Praxis als ein sozialrevolutionärer Wissenschaftspartisan
telbare Einfluß dieses theoretischen Bemühens, inbesondere in der im reaktionären Sumpf der Geschichtswissenschaften.
praktischen Politik der Autonomen während der IWF-Kampagne als Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Carlo und Detlef insbesondere
auch während des Verschwindens der DDR mit helfen können, einen in den 80er Jahren als Stichwortgeber für die Bewegung der Autono-
gar zu großen, auf eine dubiose Souveränität von Nationalstaaten aller men funktioniert haben. Darüber hinaus sind sie zwischenzeitlich in ge-
Couleur fixierten Schwachsinn zu vermeiden. wisser – in selbstverständlich außerordentlich konstruktiv gemeinter
Das Bemühen sowohl von Detlef als auch von Carlo in ihren Texten, ei- Art und Weise – zu Gegnern derselben geworden, über deren Formen
nen perspektivischen Blick über eine gar zu banale autonome Handwer- und Inhalte eines beständig um »Vordenken« bemühten Engagements,
kelei zu schärfen, hat sie leider mehr als einmal zu Methoden eines radi- nachzudenken bzw. zu reiben sich durchaus lohnt.
kalisierten Positivismus zurückgreifen lassen. Darin wechseln sich man-
ches mal in muntere Folge monumentalistische Hochrechnereien mit
einem ausweglos erscheinenden Heroismus ab, die von jeglicher Alltäg-

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Und nicht nur zum Schluß
möchte ich mich in großer Herzlichkeit sowohl bei meinem lieben
Freund Don Fredo als auch bei den beiden wundervollen Frauen Lies-
chen Kranzbühler und Severin Lansac (beide irgendwo in K aus B.) be-
danken. Ich habe sie in den vergangenen Jahren mehr als einmal mit
meinen, in aller Regel, chaotischen Gedankengängen belästigen dürfen.
Sie haben sich trotzdem die Zeit dafür genommen, mir verständnisvoll
zuzuhören. Die in dem Feuer und Flamme-Text an ein paar unschein-
baren Stellen aufblitzende Originalität und Schärfe einer Reihe von Ge-
dankenführungen sind mehr als einmal auf ihre brillianten Anstöße und
Ausführungen zurückzuführen. Ich habe sie nur noch räubernd in ein
paar Textpassagen umzugießen brauchen.

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