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Gerhard Lanzenberger
Schöpfung ist Evolution.
Die Schöpfungsgeschichten der Bibel im Horizont
der modernen Naturwissenschaften.
Info Verlag, Karlsruhe 1988
Der Autor ist Theologe, Pfarrer der Badischen Landeskirche Evolution spaltet, als ein gewaltiger Rückschritt erweist. Dar-
und Beauftragter für Kirche und Israel des Kirchenbezirks um nenne ich die Alternative ‘Schöpfung gegen Evolution’
Bretten. Er setzt sich mit den Schwerpunkten Altes Testament ganz provokativ unbiblisch.“ Doch wo liegt hier ein Argu-
und Judentum auseinander und beschäftigt sich besonders mit ment vor? Es besteht, wie auch die weitere Lektüre des Bu-
Themen der Naturwissenschaft. Auch wenn sich die Sichtwei- ches erweist (S. 20), in der Feststellung, daß die biblischen
se von Lanzenberger über das biblische Schöpfungszeugnis Autoren mit Genesis 1 eine naturwissenschaftliche Sichtweise
und die Evolutionslehre von den Auffassungen der SG WORT neben der theologischen (= Genesis 2) stehen lassen, freilich
UND WISSEN grundlegend unterscheidet, so verbindet beide entsprechend den Einsichten der damaligen Zeit ausformu-
doch die Einsicht, daß die Berichte der Bibel nicht losgelöst liert. Ebenso sollen wir offenbar die heutige naturwissen-
von den Erkenntnissen der Naturwissenschaften verstanden schaftliche Sicht nicht gegen theologische Interpretationen
werden können (S. 9, 132). Unter Berufung auf den bekann- ausspielen. Doch lassen sich Genesis 1 und 2 nicht in dieser
ten Alttestamentler Gerhard von Rad legt der Autor Wert auf Weise in „naturwissenschaftlich / theologisch“ klassifizieren.
die Feststellung, daß im Schöpfungsbericht Genesis 1 auch Beide Kapitel enthalten beide Aspekte, wenn auch in unter-
naturwissenschaftliches Gedankengut eingebracht worden sei schiedlicher Akzentuierung. Außerdem setzt Lanzenberger of-
(S. 56, 97). fenbar stillschweigend die heutige naturwissenschaftliche
Der Autor akzeptiert die Evolutionslehre ohne Einschrän- Sicht mit „Evolutionslehre“ gleich, was unzulässig ist. Das
kung (zumindest äußert er keinerlei Vorbehalte). In der Bibel genannte Argument taugt also nicht als Begründung gegen die
sieht er nicht nur Raum für den Evolutionsgedanken, sondern Trennung von Evolution (im Sinne der Abstammungslehre)
glaubt, ihn in ihr sogar implizit anzutreffen: „Im biblischen und Schöpfung.
Bericht verknüpfen sich die Vorstellungen von Gottes Schaf- – Ein weiterer Begründungsversuch klang bereits im vori-
fen und Sprechen mit den uralten, heute wieder aktuellen gen Zitat an: das ganzheitliche hebräische Denken (z. B. S.
Vorstellungen von Entstehung und Entwicklung“ (S. 12). Die 21). (Als Beispiel für dieses ganzheitliche Denken der Bibel
Alternative „Schöpfung gegen Evolution“ hält er für unbi- erwähnt der Autor, daß nach dem hebräischen Denken Leib,
blisch. Er meint, die biblischen Verfasser selber hätten die Seele und Geist nicht getrennt werden dürften.) Mit diesem
beiden Sichtweisen nebeneinander stehen lassen (S. 13). Es Begriff operiert der Autor sehr gerne, erläutert ihn aber kaum.
sei erlaubt und möglich, „unsere modernen Vorstellungen von Statt dessen gebraucht er ihn sogleich, um mit ihm seine Sicht
Evolution, Astro- und Quantenphysik an die Schöpfungsge- von einer Zusammenschau von Evolution und Schöpfung zu
schichte heranzutragen“ (S. 20). Die Geschichte von Adam belegen. Das zu Begründende wird damit aber schon voraus-
und Eva sei keine historische Begebenheit, sondern – die Bi- gesetzt. „Adam“ will der Autor grundsätzlich als „Mensch-
bel richtig verstanden – eine Geschichte, die die ganze heit“ verstanden wissen, andernfalls würde die „ursprünglich
Menschheit widerspiegelt (S. 22). Über die Entstehung der ganzheitliche Geschichte von ‘Adam und Eva’“ verfälscht.
Schöpfungstexte denkt Lanzenberger historisch-kritisch: Doch was daran ganzheitlich ist bzw. war, wird nicht gesagt,
„Auch Israel hat sich mit den Vorstellungen der damaligen ebensowenig, inwiefern das ganzheitliche Moment verloren
Zeit auseinandergesetzt und sie der Schöpfungsgeschichte gehen soll, nimmt man die Geschichte von Adam und Eva hi-
dienstbar gemacht. Alte Vorstellungen wurden durchdrungen storisch. Adam und Eva als historische Personen verstehen zu
von einer nüchternen, aufgeklärten Geistigkeit, die im Jahwe- wollen, entspreche nicht dem historischen Denken der bibli-
Glauben schlummerte“ (S. 20). „Im reflektierenden Weiterge- schen Autoren, meint Lanzenberger. Diese Behauptung wird
ben und theologischen Bearbeiten dieser Texte durch Genera- wiederum nicht belegt, sondern auf den Schaden hingewiesen,
tionen wurden die mythischen und spekulativen Tendenzen den ein solches Verständnis verursache: Aus der Geschichte
herausgefiltert“ (S. 24). um Adam und Eva würde ein lächerliche Geschichte (S. 22).
Die Ausführungen Lanzenbergers wirken zunächst über- Ist das der Grund, weshalb Adam und Eva nicht historisch
zeugend, doch bei genauerem Lesen stellt man fest, daß die verstanden werden dürfen? Es wird jedenfalls nicht deutlich,
Begründungen für seine Positionen dürftig sind. Welche inwiefern das ganzheitliche Denken der Hebräer die Histori-
Gründe führt Lanzenberger für seine provokative Gleichset- zität von Adam und Eva ausschließt.
zung „Schöpfung ist Evolution“ an? – Lanzenberger meint weiter: „Gottes Wort und Befehl
– Das Nebeneinander zweier Schöpfungsberichte (S. 13). setzen sofort Entwicklung in Gang“ (S. 34). Man muß fünf
Die Autoren von Genesis 1 und 2 „ließen in weiser Voraus- Seiten weiterlesen, um Ausführungen zu finden, die Argu-
sicht zwei Weltsichten, die nicht mit gleichem Maß zu messen mente für diese Behauptung liefern könnten: Der Autor meint,
sind, nebeneinander zu Worte kommen und ermutigen uns, das Wort „hajah“ („es werde“; „und es geschah so“) bedeute
einen theologischen Standpunkt neben einer naturwissen- ein Werden und Wirken, nicht nur ein Sein. Doch in dieses
schaftlichen Betrachtungsposition der Welt zu dulden … . Die „Werden“ eine Evolutionsgeschichte hineinzulegen ist über-
biblischen Autoren denken tiefsinnig und ganzheitlich und zogen. Wieder taucht der Ganzheitsgedanke auf: „Welch
schließen sich naturwissenschaftlichen Denkweisen auf, wo- wunderbare Einheit liegt in diesem hebräischen Wort, das al-
gegen sich unser historisches Denken, das Schöpfung und lein Argumentation genug wäre für die These ‘Schöpfung =
REZENSIONEN
Evolution’“ (S. 39). Doch wo sind die Argumente? Man fin- in Aufzählungen oder im Zusammenhang mit „Abend“ und
det nur suggestiv formulierte Sätze. Nach W. Gesenius, He- „Morgen“ vorkommt (so in Genesis 1 bzw. 2 Mose 20,11;
bräisches und Aramäisches Handwörterbuch (Berlin 171959) nicht dagegen in Genesis 2,4b). Statt dies zur Kenntnis zu
bedeutet „hajah“ nur dann ein Werden, wenn es sich um ein nehmen, argumentiert der Autor mit einer suggestiven Frage:
„Werden zu etwas“ handelt (z. B. Gen 3,20; 4,20f.). Im „Welcher Mensch maßt sich an, die Zeit eines Gottestages mit
Schöpfungsbericht dagegen bedeutet dieses Wort „geschehen, seiner Uhr zu bestimmen?“ (S. 42) Darum geht es gar nicht,
eintreten, entstehen“. Lanzenberger beruft sich in diesem Zu- sondern darum, wahrzunehmen, was im Text steht. Umge-
sammenhang auf T. Boman (Das hebräische Denken im Ver- kehrt muß man den Autor fragen, mit welcher textlichen Be-
gründung der „Tag“ in Genesis 1 als „Gottestag“ verstanden
gleich mit dem Griechischen, Göttingen, 61977, S. 27–37),
wird, der offenbar nach den aktuellen naturwissenschaftlichen
der den „dynamischen Charakter“ von „hajah“ betont. Doch
(bzw. besser naturphilosophischen) Erfordernissen ausge-
auch aus Bomans Ausführungen geht nicht hervor, daß dieses
dehnt werden darf.
Verb Evolution suggeriere. Darüber hinaus wird Bomans An-
Darüber hinaus ist noch anzumerken, daß Lanzenberger
satz von der Linguistik ernsthaft in Frage gestellt (James Barr,
selber feststellt, daß der „Tag“ ein zeitlicher Abschnitt ist, der
The Semantics of Biblical Language, Oxford University Press,
mit Inhalt gefüllt ist. Evolution dagegen ist ohne Gliederung,
1961). Nach deren Ergebnissen kann einzelnen Begriffen als
ein fließender Prozeß ohne markante Einschnitte. Nach Ein-
solchen (Etymologie) kein besonderes Gewicht in der Frage
schätzung von Evolutionstheoretikern sind evolutive Ein-
nach ihrer Bedeutung beigemessen werden; entscheidend ist
schnitte wie vom Toten zum Lebendigen oder vom Geistlosen
vielmehr der Kontext. Es sei daher auch fragwürdig, von der
zum Geistigen künstlich und keine Wiederspiegelungen von
Struktur der Sprache so etwas wie „hebräisches“ oder „grie-
Realitäten.
chisches“ Denken ableiten zu wollen. Sprache sei Konventi-
Mit dem Vergleich „Newton – moderne Physik“ (S. 26)
onssache, keine „objektive“ Abbildung der Welt (vgl. dazu:
versucht der Autor weiter, für seine Sichtweise zu werben:
A. C. Thiselton: Semantics and New Testament Interpretati-
„Die Gesetze von Newton gelten noch, aber neue Formeln
on“. In: I. H. Marshall, New Testament Interpretation, Pater-
und Ausdrücke modifizieren die ‘alten’ Vorstellungen. Eben-
noster Press, Flemington Markets, 1985). Trotz aller dieser
so besitzen die ‘alten’ Aussagen der Bibel noch heute Gültig-
Vorbehalte kann letztlich dahingestellt bleiben, ob (von ande-
keit. Durch neue Entdeckungen und Erkenntnisse erfahren sie
ren Gesichtspunkten abgesehen) „hajah“ mit Evolution
neue Formulierungen, ohne ihren Inhalt und ihre Aussage zu
(nachträglich) gefüllt werden kann. Ein ausdrückliches Argu-
verlieren.“ Damit werden aber verschiedene Ebenen mitein-
ment für Evolution stellt dieser Begriff sicher nicht dar.
ander verglichen.
Eindeutig falsch ist jedoch in diesem Abschnitt die Be- Widersprüchlichkeiten finden sich allenthalben: Einerseits
hauptung, daß der Hebräer die Zeit nicht als Linie erkenne, wird betont, daß das hebräische „bara“ nicht Schaffen aus
die in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eingeteilt wer- Vorhandenem (S. 30) sei; andererseits ist Evolution genau
den könne. Gerade durch das Gegenteil setzten sie sich näm- das: Das Werden aus Vorhandenem.
lich von den zyklischen Zeitvorstellungen der anderen antiken
Einerseits hält sich der Autor oft an K. Claeys, der die
Völker ab.
These vertritt, daß durch etymologische Untersuchungen of-
– Ein weiterer Beleg für den impliziten Evolutionsgedan- fenbar werde, daß in der Bibel das moderne Weltbild (u. a.
ken sieht Lanzenberger in den „Toledots“ („das ist die Ge- auch die Evolutionslehre) enthalten sei (z. B. S. 38, 49, 85),
schichte von …“), die er kurzerhand mit „Evolutionsge- und meint, die Hebräer hätten, durchdrungen von Gottes
schichte“ (S. 84, 130) übersetzt. Er sieht insbesondere in Gen Geist, unsere Welt vorausgeahnt“ (S. 48). Andererseits meint
2,4 eine „Zusammenordnung von Abstammungsverzeichnis er, die Bibel nehme unsere Forschungergebnisse nicht vorweg
(Evolution) und Gottes Schaffen“ (S. 85). Eine solche Gleich- (S. 50, 54) und es bestehe Offenheit zu immer neuen Synthe-
setzung erscheint jedoch ganz willkürlich. sen zwischen Bibel und Naturwissenschaft (S. 128).
– Das Wort „Segen“ soll ebenfalls den Evolutionsgedan- Das Urteil Gottes, daß alles, was er geschaffen hatte, „sehr
ken nahelegen: „Das Wort ‘Segen’, Gottes Lebenskraft für gut“ gewesen sei, versteht Lanzenberger so: „alles erfüllt sei-
alle ‘lebenden Seelen’, zeigt deutlich, daß Gott keine überna- nen Zweck“. „Mit der Aussage ‘Es ist sehr gut’ bestimmt der
türliche Schöpfung vorhatte, die alles Leben irgendwann vom Schöpfer seine Schöpfung zum Guten, im ‘Sehr gut!’ gibt
Himmel fallen ließ. Gott hat eine Welt erschaffen, die Spiel- Gott das Ziel für die ganze Schöpfung an“ (S. 78). „Erst in ih-
raum zur Entwicklung enthält, damit gibt Gott seinen Ge- rer Vollendung kann die Welt als gut bezeichnet werden“ (S.
schöpfen die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln. Segen 79). Weshalb damit das Ziel markiert sein soll und nicht das
bedeutet somit die Bereitstellung und Gabe zur Lebensent- vollendete Schöpfungswerk, bleibt jedoch unerfindlich. Wei-
wicklung seiner Geschöpfe“ (S. 63). Segen enthalte den Auf- ter unten vermerkt der Autor dann aber, daß das hebräische
trag zur Evolution (S. 129). Doch auch dieses Argument kann „tob“ („gut“) außer dem Aspekt des Zweckmäßigen auch
nicht für eine phylogenetische Entwicklung reklamiert wer- noch andere Bedeutungsnuancen habe, nämlich z. B. „schön“,
den. Es handelt sich erneut um eine Behauptung ohne Be- „lieblich“ usw. Diese Bedeutungsinhalte des Begriffes passen
gründung, welche nur die voreingenommene Sicht des Autors aber nicht zur Evolution, denn diese ist auch durch Grausam-
deutlich werden läßt. Der Evolutionsgedanke wird eingetra- keit, Mißbildungen, Krankheiten, verminderte Vitalität und
gen und nicht vom Text her nahegelegt. Aussterben sowie durch die alles beherrschende Auslese der
Textbefunde, die dem Evolutionsgedanken mit den langen Bestangepaßten gekennzeichnet. Alles dies würde unter das
Zeiträumen entgegenstehen, werden „angepaßt“ interpretiert. Urteil „sehr gut“ in diesem Sinne fallen, wenn Evolution die
Dies ist deutlich zu sehen bei der Interpretation des Begriffs Schöpfungsmethode Gottes wäre.
„jom“ („Tag“). Lanzenberger behauptet fälschlicherweise, Es hilft auch nicht weiter, einmal mehr auf das ganzheitli-
daß das Hebräische für den 24-Stunden-Tag keine Vokabel che Denken der Hebräer hinzuweisen, der Vergangenheit,
besitze. Tatsächlich aber ist mit „jom“ immer dann ein nor- Gegenwart und Zukunft als Einheit versteht und sie nicht zer-
maler Tag gemeint, wenn der Begriff im Plural steht, wenn er stückelt (S. 80; was ohnehin fragwürdig ist, s. o.). Wenn er