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Grenzen und Möglichkeiten der Übersetzungskritik: Der Fall Enrique

Beck
Hausarbeit (Hauptseminar), 2009
21 Seiten, Note: 1.7

Leseprobe
Inhalt
1. Einleitendes
2. Theorie: Übersetzungskritik in der Übersetzungswissenschaft
2.1 Definition und Gegenstand: Adäquatheit vs. Äquivalenz
2.2 Übersetzungsmethoden und Übersetzungsverfahren
2.2.1 Einbürgernde vs. verfremdende Übersetzungsmethode
2.2.2 Übersetzungsverfahren und deren Klassifikation
3. Fallbeispiel: "La Casa de Bernarda Alba" (3. Akt/ 1. Teil):
Die Becksche Übersetzung im Fokus der Übersetzungskritik
4. Erkenntnis: Grenzen und Möglichkeiten der Übersetzungskritik
5. Literaturverzeichnis

1. Einleitendes
Übersetzungskritik ist so alt wie das Übersetzen selbst. Besteht die Aufgabe der
übersetzerischen Tätigkeit darin, weniger dem Leser das Original zu ersetzen, als vielmehr
ihm eine bestimmte Rezeption zu vermitteln, können wir für die Übersetzungskritik jenes Ziel
festhalten: sie solle dem Leser erläutern, in welchem Verhältnis das Original und Übersetzung
stehen1, notwendigerweise unter der Berücksichtigung ihrer Entstehungszeit sowie -
bedingungen.2
Die folgende Abhandlung soll weniger einer Hommage an den großartigen Dichter und
Autoren García Lorca gleichen. Vielmehr wird sein „kongenialer Nachdichter“3 und
„Henker“ (Ernst Rudin) in den Fokus gerückt: der Fall Heinrich Enrique Beck stellt wohl eine
Einzigartigkeit für die Literaturwelt dar und stellt sich der vorliegenden Arbeit als Titelgeber
vor.
Bereits obiges Urteilsspektrum lässt die Flut an kritischen Diskussionen erahnen, meist mehr
oder minder durch wissenschaftliche Arbeiten und Argumenten. Lang herrschten in der
Übersetzungskritik solch stereotype Beurteilungen wie gut oder schlecht, sowie sorgfältig
oder liederlich oder auch zuverlässig oder ungenau vor. Erst allmählich entwickelte und
etablierte sich eine wissenschaftlich fundierte Übersetzungskritik, die sich der Verschiedenheit
der einzelnen Sprachstrukturen bewusst wird.4 Für einen wissenschaftlichen Diskurs legt sie
wesentliche (Mindest-)Anforderungen zugrunde. Zum einen soll zunächst der Ausgangstext
im Zusammenhang der Literatur seiner Entstehungssprache charakterisiert werden.
Gleichermaßen soll der übersetzte Text in die Literatur der Zielsprache eingebettet und
vergleichend analysiert werden.5
Theoretische Grundlagen sollen im Anschluss geschaffen werden. Zentral für das Ziel dieser
Abhandlung, Grenzen und Möglichkeiten einer argumentierenden Übersetzungskritik
aufzuzeigen, wird die wissenschaftliche Diskussion um Äquivalenz sein. Bereits eine
Definition zeigt sich problematisch; zwar bezeichnet der Begriff unbestritten eine „Relation
zwischen Ausgangs- und Zieltext“, konkretere Ausgestaltungen bleiben allerdings diffus.
Inhalt und deren Verwendung werden ungenügend präzisiert und eingegrenzt.6 Die
Charakterisierung der verschiedenen Typen von Äquivalenz soll weniger einer allzu ins Detail
führenden Illustration dienen, als vielmehr dem grundlegenden Verständnis und dem Gespür
für den Gegenstand der Übersetzungskritik. Äquivalenz als Kriterium einer
Übersetzungskritik muss dabei als flexibel beurteilt werden, demnach zwingend unter
Berücksichtigung von Entstehungszeit und deren Bedingungen7. Es soll darüber hinaus
versucht werden, einige Gedanken zu Apels These, das grundsätzliche Qualitätskriterium
einer Übersetzung scheint in ihrer eigentlichen Unsichtbarkeit zu gründen8, abzubilden und
zu diskutieren. Wir werden auf einige wesentliche Bemerkungen zu Problematik und
allgemeinen Schwierigkeiten der übersetzungskritischen Tätigkeit hinweisen.
Im Weiteren wird kurz die Herausbildung einer bis heute vorzufindenden Dichotomie zweier
Übersetzungsstrategien vorgestellt: die inzwischen weit verbreiteten bildhaften Ausdrücke
Einbürgerung und Verfremdung sollen hierbei allerdings nicht als jeweilige Synonyme für frei
beziehungsweise wörtlich missverstanden werden. Letztere haben lediglich für sprachliche
Besonderheiten, wie etwa in der spezifischen Problematik von Falschen Freunden
Geltungsbereich. Literaturhistorisch herrschte zunächst Mitte des 17. Jahrhunderts mit der
Epoche der belles infidèles (die „schöne Ungetreue“) aus dem Französischen das
einbürgernde Übersetzen vor, nicht zuletzt um dem eigenen (nationalen) Wertemaßstab
Nachdruck zu verleihen. Erst nach der Romantik erkannte man in den verschiedenen
Sprachen und Völkern individuelle Kulturen. Mithilfe einer verfremdenden
Übersetzungsmethode konnte nun dem Leser über Fremdartigkeit und Sprachbarrieren
hinweg geholfen werden. Wie Albrecht hervorhebt, erfolgte dieses Hervorgehen zweier
Übersetzungsstrategien keinesfalls extern und zielgerichtet, vielmehr als Konsequenz aus der
praktischen Entwicklung, einem „dialektischen Dreischritt“: anfänglicher Wort- für- Wort-
Übersetzungen folgte mit wachsendem kulturellem Selbstbewusstsein „unbekümmertes
Einbürgern“, bis sich schließlich mittels besserem Wissen auf die Eigentümlichkeit des
Originals besonnen wurde.9
Nach dem praktischen Teil, in dem wir für einen Auszug aus Lorcas La Casa de Bernarda
Alba mithilfe Ernst Rudin s einige Becksche Übersetzungsvorschläge beispielhaft
herausarbeiten und unter semantischen, lexikalischen und syntaktischen Gesichtspunkten
kategorisieren und analysieren wollen, gelangen wir an die eigentliche Intention dieser Arbeit.
Rudin unternimmt einen der wenigen als objektiv einzuschätzenden Versuche, Enrique
Becks Eigenheit der Lorca- Übersetzungen weniger an den Pranger zu stellen, vielmehr sie
durch wissenschaftlich- sachlicher Begründung einer argumentierenden Übersetzungskritik zu
unterziehen, indem er Becks Vorschläge mit denen modernerer Versionen abwägt. Fern von
persönlichen Befindlichkeiten und Voreingenommenheit wählt er als möglichst intersubjektiv
nachvollziehbares Kriterium das der Äquivalenz. Durch Addieren solcher Fehlerstellen in den
jeweiligen Übersetzungen ergibt sich für Rudin eine Tendenz, dass neuartigere
Veröffentlichungen als die äquivalenteren gelten dürfen. Die Problematik jener
Übersetzungskritik scheint offensichtlich: die fehlende qualitative Berücksichtigung
mangelnder Äquivalenz führt zu einem rein quantitativen Ergebnis. Die gewonnenen
allgemein- theoretischen Grundlagen sollen über unser konkretes Fallbeispiel auf wesentliche
Erkenntnisse der Übersetzungskritik angewendet werden.
2. Theorie: Übersetzungskritik in der
Übersetzungswissenschaft
2.1 Definition und Gegenstand: Adäquatheit vs. Äquivalenz
Um dem Ziel einer wissenschaftlichen Diskussion einer Übersetzungskritik gerecht zu
werden, scheint es unumgänglich, intersubjektiv nachvollziehbare Faktoren heraus zustellen.
Die Adäquatheit und die Äquivalenz sollen im Folgenden als Schlüsselbegriffe der
Übersetzungskritik definiert und dabei voneinander abgegrenzt werden. Wie Snell- Hornby
feststellt, werden diese in der Literatur oftmals fälschlicherweise gar als Synonyme
verwandt.10
Adäquatheit bezeichnet ganz allgemein laut lexikalischen Eintrag eine gewisse
Angemessenheit. Hierzu ergibt sich beinahe selbstverständlich, dass sie keine absolute Größe
ist, sondern immer im Zusammenhang als Relation zwischen Mittel und Zweck betrachtet
werde muss. Auf den Übersetzungsprozess übertragen gelangen wir zu dem Schluss, dass
jegliche übersetzungsrelevanten Entscheidungen jenem Zweck der eigentlichen Übersetzung
dienen, ihm angemessen sein müssen.
Äquivalenz wiederum lässt sich mit Gleichwertigkeit übersetzen. Sie ist weniger eine
handlungsorientierte als vielmehr eine relative Größe zwischen Ausgangs- und Zielprodukt
allgemein. Für die Übersetzungswissenschaft bedeutet dies die Gegenüberstellung des
Produkts des Ausgangstextes mit dem des Zieltextes.
Der Grad an Adäquatheit beziehungsweise Angemessenheit richtet sich demnach nach seinem
Zweck, und dieser kann durchaus unterschiedlich ausfallen. Darüber hinaus muss der
verfolgte Zweck des Ausgangstextes nicht mit dem der zielorientierten Übersetzung
übereinstimmen. Die Notwendigkeit, Adäquatheit und Äquivalenz scharf voneinander zu
trennen, beschreibt Snell- Hornby anhand verschiedener Übersetzungstypen, die zum
Verständnis der beiden Begriffe beitragen sollen.
In Wort- für- Wort- Übersetzungen wird für jedes Wort ein angemessenes in der Zielsprache
gewählt. Es ergibt sich durch jene adäquate Wortwahl konsequenterweise zwar Wort-
Äquivalenz (also die Gleichwertigkeit der einzelnen Worte), jedoch keine Text- Äquivalenz
(Gleichwertigkeit unter Berücksichtigung des gesamten Kontextes) für die Gesamtheit des
vorliegenden Textes. Worte und Teilstücke des Satzes können nicht isoliert betrachtet werden,
auch wenn sie per se jeweils adäquat übersetzt wurden. In ähnlicher Weise verhält es sich für
dokumentarische Übersetzungen. Der Übersetzer wählt auch hier angemessene Worte und
ebenso Stilebene, indem er sich nach dem Ausgangstext richtet. Denn wie bereits Friedrich
Schleiermacher argumentiert, ist es Aufgabe des Übersetzers, den Leser dem Schriftsteller
“[ihm] entgegen zu bewegen”. Auch hier ist Ausgangstextadäquatheit gegeben, die Sprache
des Autoren wird angemessen wiedergegeben. Allerdings bedeutet das noch keine
Textäquivalenz, da der Leser nun den vorliegenden, in seine Zielsprache übersetzten Text
nicht in ähnlicher- natürlicher- Weise aufnehmen wird wie es der (Ausgangs-)Leser mit dem
Ausgangstext konnte. Oder anders formuliert: die Relation von Ausgangs- und Zieltext hat
sich verschoben. Die Vermutung liegt nahe, dass der Ausgangstext während des
Übersetzungsprozesses bewusst bearbeitet wird, sofern der Zieltext einem anderen Zweck
dienen soll.
Eine Ausnahme zum bisher Gesagten bildet der kommunikative Übersetzungstyp. Durch
angemessene Wortwahl und Satzbau dient Adäquatheit hierzu, Äquivalenz auf Textebene
(Text- Äquivalenz) herzustellen. Adäquatheit betrifft hier nicht nur isolierte Worte und
Stilmittel, sondern sie berücksichtigt darüber hinaus beinahe schon selbsterklärend den
sprachlichen Kontext, daneben die soziokulturelle (historische) Einbettung sowie die
Funktion des Gesamttextes für das Kommunikationsgeschehen.11
Über die Herkunft des Begriffs der Äquivalenz in der Literaturwissenschaft herrscht
Uneinigkeit. Die mathematische Definition der “Möglichkeit der umkehrbar eindeutigen
Zuordnung von Elementen (zweier) Mengen”12 stößt für die “Humantranslation” an ihre
Grenzen: der Maßstab einer eindeutigen 1:1- Entscheidung scheint unmöglich, bedenkt man
die Dynamik und Variabilität der Sprachen und ihre Gewohnheiten. Schon eher trifft das
Äquivalenzverständnis der Elektrotechnik hinsichtlich folgender Formulierung zu: “trotz
verschiedenen Aufbaus [wird] gleiches Verhalten [beobachtet]”.13 Der verschiedene Aufbau
gleicht den individuellen Texttypen und Textsorten, die wiederum aufgrund unterschiedlicher
Sprachstrukturen sowie kultureller Differenzen hervorgerufen werden und zu
unterschiedlichen Übersetzungslösungen führen können. Auch daraus können wir an dieser
Stelle ableiten, dass Äquivalenz immer auch Alternativen birgt, sodass mehrere
Übersetzungsvarianten gleichwertig sein können. Der Verweis soll hier genügen; auf die
Diskussion wird im weiteren Verlauf der Abhandlung noch eingegangen werden.
Generell scheint die Dynamik des Begriffes der Äquivalenz in ihrem eigenen Wesen zu
gründen. Zeitgeschmack und der damit verbundene Sprachgebrauch ändern sich im Laufe
Jahrhunderte wie Jahrzehnten- das Kriterium der Äquivalenz damit ebenso. Die
Ausgangssprache des Originals ist einmalig, die Ansichten über die Übersetzung variieren.
Übersetzer werden stetig neue Interpretationsgedanken in ihre Übersetzung einfließen lassen.
Äquivalenz als Kriterium einer Übersetzungskritik muss dabei als ähnlich flexibel beurteilt
werden.
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