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Hautarzt

1997 · 48:629–633 © Springer-Verlag 1997 Originalien


Volker Niemeier · Zentrum für Dermatologie und Andrologie (gf.Direktor:Prof.Dr.Dr.W.-B.Schill)
Justus-Liebig-Universität Giessen – Thomas Winckelsesser · Uwe Gieler · Klinik für Psychosoma-
tik und Psychotherapie (gf.Direktor:Prof.Dr.C.Reimer),Justus-Liebig-Universität Giessen

Hautkrankheit und Sexualität


Eine empirische Studie zum Sexualverhalten von
Patienten mit Psoriasis vulgaris und Neurodermitis
im Vergleich mit Hautgesunden

Zusammenfassung E ine schöne Haut ist erotisch und an-


ziehend und weckt beim Betrachtendem
zum Ausdruck. Ekel ist eine häufige As-
soziation mit Hautkrankheiten. Horn-
Es werden 53 Patienten mit Psoriasis, 24 Pati- den Wunsch nach Berührung, während stein stellt fest, daß sich zwei Drittel der
enten mit Neurodermitis und eine hautge- eine häßliche Haut häufig Ekel, Abnei- befragten Hautgesunden vor einem Be-
sunde Stichprobe von 52 Personen bezüglich gung und Rückzug bewirkt [15]. Die such in einer Hautklinik scheuen. Oft
ihres Sexualverhaltens miteinander vergli- Haut ist das Organ, welches im eroti- wird eine Parallele zwischen Haut- und
chen.Als Testverfahren wurden Fragebögen schen Vorspiel den sexuellen Kontakt in- Geschlechtskrankheiten gesehen. Häu-
zum Sexualverhalten nach Arentewicz und itiiert und durch Berührung und Be- fig wurden als Ursachen von Hauter-
ein eigener Fragebogen zur Sexualität und trachtung dazu beiträgt, das sexuelle krankungen „mangelnde Hygiene“ und
Partnerschaft eingesetzt.Die untersuchten Verlangen anzuregen und aufrechtzuer- „häufig wechselnder Geschlechtsver-
Hautkranken unterscheiden sich signifikant halten [14]. Die Haut ist neben dem Ner- kehr“ genannt. Der Ansteckungsgefahr,
von Hautgesunden im Sinne eines beein- vensystem und anderen Sinnesorganen allein durch Händedruck, wird von der
trächtigten Sexuallebens.Der Austausch von das Organ zur Kommunikation des Hälfte der Befragten bereits eine Be-
Zärtlichkeiten ist bei beiden Geschlechtern, Menschen mit seiner Umwelt. Der erste deutung beigemessen [9].
die Orgasmusfähigkeit ist bei den weiblichen Eindruck, den die äußere Erscheinungs- Schon früh beschäftigten sich Un-
Patienten hochsignifikant reduziert.Demge- form eines Menschen ausmacht, ist be- tersucher mit dem Zusammenspiel von
genüber zeigt sich bezüglich der Koitushäu- stimmend für das Verhalten, das andere Hauterkrankung, Kratzen und Sexuali-
figkeit kein signifikanter Unterschied.Psoria- Menschen ihm gegenüber zeigen [11]. tät [18]. Stokes sah in dem unbedingtem
tiker fühlen sich im Vergleich zu Patienten In einer Untersuchung an 119 Akne- Drang, sich zu kratzen ein Masturbati-
mit Neurodermitis stärker beeinträchtigt. und 346 Psoriasispatienten konnte ge- onsäquivalent vor dem Hintergrund se-
93% der Psoriasispatienten und 96% der Pa- zeigt werden, daß die Hautkranken be- xueller Konflikte, das jedoch lediglich
tienten mit Neurodermitis sind von ihrem fürchten, von Hautgesunden besonders im Kontext tiefenpsychologischer Heu-
behandelnden Arzt bisher nie auf ihr Sexual- in den Themenbereichen „erotisch-se- ristik im Einzelfall nachweisbar ist. Mu-
leben angesprochen worden.Bei aller Pro- xuelle Ablehnung“, „Wohnnähe“, „per- saph kommt bei der Untersuchung von
blematik, diesen intimen Bereich anzuspre- sönliche Beziehungen“, „Café-Tischkon- Patienten mit psychogenem Pruritus zu
chen, sollte der Arzt für Haut- und Ge- takt“ und „Ästhetik“ abgelehnt zu wer- dem Schluß, daß Jucken sowohl ein Zei-
schlechtskrankheiten jedoch ein kompeten- den. Diese Ablehnung bestand bei Haut- chen für unterdrückte Angst, Wut oder
ter Gesprächspartner für Fragestellungen, gesunden tatsächlich mit Ausnahme des sexuelle Erregung sein kann [13].
die die Hautkrankheit und ihre Folgen für erotisch-sexuellen Bereiches durch haut- In einer Untersuchung an 20
das Sexualleben betreffen, sein.Es wird dis- gesunde Männer [3]. männlichen Patienten mit Herpes geni-
kutiert, inwieweit die Hautkrankheit mögli- Patienten mit schwerer Akne müs- talis recidivans kommen die Untersu-
cherweise zur Regelung von Nähe und Di- sen mit Ressentiments und beruflicher cher zu dem Ergebnis, daß der emotio-
stanz eingesetzt wird. Zurücksetzung seitens ihrer Mitmen- nalen Situation, die dem Entstehen
schen rechnen. Der Hautkranke rea- oder Rückfall der Erkrankung voraus-
Schlüsselwörter giert wiederum mit psychischer Ge- ging, 2 spezifische Mechanismen zu-
hemmtheit auf die Umwelt, so daß die grunde lagen: Zum einen das Erlebnis
Haut · Psoriasis vulgaris · Neurodermitis · zwischenmenschliche Kommunikation einer physischen oder moralischen Un-
Sexualverhalten · Psychische Probleme · durch die Hauterkrankung beeinträch-
Körperbild · Sexualität · Haut und Psyche tigt ist [8]. Dr.V. Niemeier
Die negative soziale Bewertung Zentrum für Dermatologie
von Hautkrankheiten kommt auch in und Andrologie der Justus-Liebig-Universität
den Einstellungen von Hautgesunden y
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:
k
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Giessen, Gaffkystraße 14, D-35385 Giessen&

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Hautarzt
1997 · 48:629–633 © Springer-Verlag 1997 Originalien
V.Niemeier · T.Winckelsesser · U.Gieler
Tabelle 1
Skin disease and sexuality Patienten und Kontrollstichprobe

Summary Psoriasis ND Kontrolle


n=53 n=24 n=52
Fifty-three patients with psoriasis, 24 pa- Alter (MW) in Jahren 32,3 24,7 28,6
tients with atopic eczema and 52 controls Geschlecht: Männer 31 (58,5%) 7 (29,2%) 22 (42,3%)
with healthy skin were compared with re- Frauen 22 (41,5%) 17 (70,8%) 30 (57,7%)
gard to their sexual behavior.For the test,
Schulbildung: Haupt-/Realsch. 48 (90,6%) 15 (62,5%) 11 (21,2%)
questionnaires developed by Arentewicz as Gymnasium 5 (9,4%) 9 (37,5%) 41 (78,8%)
well as our own questionnaire on sexuality
Familienstand: gebunden 38 (71,7%) 13 (54,2%) 38 (73,1%)
and partnership were used.Patients with ledig 15 (28,3%) 11 (45,8%) 14 (26,9%)
skin diseases had a significantly impaired sex
Religiös: überzeugt 25 (47,2%) 9 (37,5%) 15 (28,8%)
life, compared to those with healthy skin. nicht überzeugt 28 (52,8%) 15 (62,5%) 37 (71,2%)
There was a highly significant reduction in
the exchange of tenderness in patients of ND, Neurodermitis; n, Anzahl der Untersuchten; MW, Mittelwert
both sexes, and in the capacity for orgasm in
female patients.On the other hand, no signi-
ficant difference was found concerning the
frequency of intercourse.Patients with pso- reinheit und zum anderen das bewußte Patienten
riasis felt more impaired than those with oder unbewußte Streben nach Flucht
atopic eczema.Ninety-three percent of pso- vor einem bevorstehendem Sexualkon- Es wurden 53 Patienten mit Psoriasis
riatics and 96% of patients with atopic ecze- takt, der innerlich unerwünscht oder vulgaris, 24 Patienten mit ND und 52
ma had not been asked about their sexual unerlaubt ist. Da die erwähnten psychi- hautgesunde Kontrollpersonen unter-
life by their attending doctor.We discuss to schen Faktoren denjenigen ähneln, die sucht. Sämtliche Personen waren in sta-
what extent skin diseases are possibly invol- für die Impotenz verantwortlich ge- tionärer Behandlung in der Universi-
ved in the regulation of nearness and dis- macht werden, wird die Hypothese auf- tätshautklinik bzw. einer Fachklinik für
tance among partners.The dermatologist gestellt, daß der Herpes genitalis re- Hauterkrankungen& f
n
.
1
:
1. Sieben Patienten

should a be knowledgeable and understand- cidivans eine Variante der Impotenz sei, verweigerten die Beantwortung der
ing source for patients which skin diseases die somatischerweise die Sexualunfä- Fragebögen, 5 Patienten fielen wegen
who have questions about their disease and higkeit begründet [6]. unvollständig ausgefüllter Fragebögen
its effect on their sex life. In den letzten Jahren gab es nur we- aus der Untersuchung heraus. Aus der
nige Untersuchungen, die die Auswir- Gruppe der Kontrollpersonen lehnten
Key words kung von chronischen Hauterkrankun- fünf Probanden die Teilnahme an der
gen auf das Sexualverhalten zum Ge- Untersuchung ab, 4 Fragebögen wurden
Skin · Psoriasis · Atopic eczema · genstand hatten [19]. Die klinische Er- unvollständig beantwortet. Diese Pati-
Sex behavior · Psychological problems · fahrung zeigt, daß zumeist nur bei enten gingen nicht in die Auswertung
Body image · Sexuality · Skin and psyche Geschlechtskrankheiten oder bei direk- ein.
tem Befall der Geschlechtsorgane dem Die Psoriasisgruppe (s. Tabelle 1)
sexuellen Aspekt der Haut Beachtung besteht aus 31 Männern und 22 Frauen.
geschenkt wird. Auch in diesen Fällen Der Mittelwert (MW) des Alters beträgt
konzentriert sich das ärztliche Interesse 32,3 Jahre mit einer Standardabwei-
vornehmlich auf die Hautläsion oder chung (SD) von 7,4. 48 Versuchsperso-
den Infektionsweg und weniger auf die nen (Vpn) geben Haupt- und Realschu-
Auswirkungen auf das Sexualleben der le, 5 Vpn Gymnasium als höchsten
Betroffenen. Die vorliegende Studie Schulabschluß an. 38 Patienten sind
sollte überprüfen, ob entstellende Haut- verheiratet oder leben in einer festen
erkrankungen Auswirkungen auf das Partnerschaft, 15 sind ledig oder leben
Sexualleben der Betroffenen haben bzw. getrennt. Als religiös überzeugt be-
welche Aspekte des Sexuallebens im zeichnen sich 25 Psoriasispatienten, 28
Vergleich zu Hautgesunden verändert Vpn verneinen dies.
sind. Es wurden Patienten mit Psoriasis Die Gruppe der Patienten mit ND
vulgaris und Neurodermitis (ND) aus- (s. Tabelle 1) setzt sich aus 7 Männern
gewählt, da beide Erkrankungen durch und 17 Frauen zusammen. Der MW des
eine oft generalisierende und entstellen-
de Symptomatik charakterisiert sind 1
Wir danken der Tomesa-Fachklinik Bad
und zu den häufigsten Krankheitsbil- Salzschlirf (Leiter: Prof. Dr. F. Schröpl) für
dern zählen, mit denen der Dermatolo- die Mithilfe bei der Rekrutierung der Pa-
ge konfrontiert ist [4]. :
n
f
/
tienten&

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Alters beträgt 24,7 Jahre mit einer SD gnifikanten Unterschiede nachgewie-
von 5,4. Einen Haupt- und Realschulab- sen werden. Tabelle 2
schluß haben 15 Personen, 9 Personen Da die Gruppe der Hauterkrankten Fragebogen zu Sexualität und
besuchten das Gymnasium. 13 Vpn sind überwiegend einen Haupt- oder Real- Partnerschaft. (Mod. nach Appelt u.
verheiratet oder leben in einer festen schulabschluß hatte und die Kontroll- Strauß [1])
Partnerschaft, 11 Vpn sind ledig oder le- gruppe größtenteils das Gymnasium be-
ben getrennt. 9 Patienten bezeichnen sucht hatte, wurde der Einfluß der Schul- Bitte kreuzen Sie an, was am ehesten ihrer
Meinung entspricht (1=Zustimmung;
sich als religiös überzeugt, 15 Patienten bildung auf die Sexualität untersucht. Es 2=eher Zustimmung; 3=eher Ablehnung;
verneinen dies. konnte gezeigt werden, daß sich bezüg- 4=Ablehnung):
In der Kontrollgruppe (s. Tabelle 1) lich der Schulbildung statistisch keine
1. Mein Sexualleben empfinde ich als zu-
befinden sich 22 Männer und 30 Frau- Unterschiede in der Beantwortung der friedenstellend
en. Der MW des Alters liegt bei 28,6 Fragen zur Sexualität nachweisen lassen.
2. Es kommt zwischen mir und meinem
Jahren mit einer SD von 7,7. Den Haupt- Bezüglich Religiösität und Familien- Partner zu Zärtlichkeiten, wie Berühren,
oder Realschulabschluß besitzen 11 Per- stand bestanden ebenfalls keine stati- Streicheln, Umarmen, Küssen usw.
sonen, 41 Personen haben das Gymna- stisch signifikanten Unterschiede in den 3. Es fällt mir schwer, meinem Partner zu
sium besucht. 38 Kontrollpersonen sind Untersuchungsgruppen. sagen, wenn ich Lust auf sexuelle Kon-
verheiratet oder leben in einer festen takte habe
Partnerschaft, 14 Kontrollpersonen Meßinstrumente 4. Ich möchte bei sexuellen Kontakten frei-
sind ledig oder leben getrennt. Religiös er und ungehemmter sein
überzeugt sind 15 Vpn, nicht religiös Als Testverfahren kamen ein Fragebo- 5. Ich glaube, daß ich meinen Partner sexu-
überzeugt sind 37 Vpn. gen zur sozialen Situation, ein selbst ell voll befriedigen kann
Ausschlußkriterien zur Teilnahme entwickeltes Testinventar zu Sexualität 6. Mein Partner erwartet, daß ich einen
an der Untersuchung waren schwere in- und Partnerschaft [20] sowie eine Orgasmus habe
ternistische Erkrankungen (medika- Kurzform des Fragebogens zum Sexu- 7. Ich habe Angst, nicht gleichzeitig mit
mentös eingestellter Diabetes mellitus, alverhalten nach Arentewicz [2] zur An- meinem Partner zum Höhepunkt zu
Herz-/Kreislauferkrankungen oder Nie- wendung. kommen
reninsuffizienz), neurologische und 8. Mein Partner weicht sexuellen Kontak-
psychiatrische Erkrankungen, stattge- Fragebogen zur sozialen Situation ten mit mir aus
fundene Genitaloperationen sowie die 9. Wenn ich an mein Sexualleben denke,
Einnahme von Psychopharmaka und Dieser Fragebogen wurde verwendet, habe ich unangenehme Gefühle
blutdrucksenkenden Mitteln. Die Er- um zu überprüfen, ob Alter, Geschlecht, 10. Seit Auftreten der Hauterkrankung habe
krankungsdauer der Hautkrankheit Schulabschluß, Familienstand oder re- ich weniger Geschlechtsverkehr
mußte mindestens 1 Jahr betragen. ligiöse Überzeugung einen Einfluß auf
das Sexualleben haben. Zusätzlich wur-
Statistische Methoden de gefragt, wann die Hauterkrankung
erstmals auftrat, ob die Patienten von durch das Ankreuzen einer Zahl von 1
Mit dem Kruskal-Wallis-Test wurde die ihrem behandelnden Arzt auf die Haut- bis 4 beantwortet, wobei 1=Zustim-
Psoriasisgruppe mit der ND-Gruppe erkrankung angesprochen wurden und mung, 2=eher Zustimmung als Ableh-
und der Kontrollgruppe zunächst hin- in welchem Alter sie ihren ersten Ge- nung, 3=eher Ablehnung als Zustim-
sichtlich Alter, Geschlecht, Schulbil- schlechtsverkehr hatten. mung, 4=Ablehnung bedeutet. Die Aus-
dung, Familienstand und religiöser Im Bereich der Sexualforschung bei wertung erfolgte auf Itemniveau.
Überzeugung verglichen. Alle 3 Grup- Hauterkrankungen sind keine standar-
pen unterschieden sich bezüglich Alter disierten durch internationale Studien Fragebogen zum Sexualverhalten
und Schulbildung signifikant vonein- gesicherten Fragebögen bekannt, wes- nach Arentewicz [2]
ander (p<0,05). Die Psoriasisgruppe halb bei der Untersuchung zur Sexuali-
unterschied sich hinsichtlich des Ge- tät bei Hautkranken auf nicht standar- Dieser nicht standardisierte Fragebo-
schlechts von der Patientengruppe mit disierte oder selbst entwickelte Instru- gen wurde zur Überprüfung der Thera-
ND. Deshalb wurde überprüft, ob in mente zurückgegriffen werden mußte. pieergebnisse bei der Behandlung von
dieser Untersuchung diese Unterschei- Paaren mit sexuellen Funktionsstörun-
dungsmerkmale einen Einfluß auf die Fragebogen zu Partnerschaft gen entwickelt. Mit dem Testinventar
Beantwortung der Testinventare hatte. und Sexualität soll untersucht werden, ob sich Haut-
Bezüglich des Alters wurden zwei kranke im Sexualverhalten von gesun-
Gruppen gebildet (18–30 Jahre vs. 31–45 In Ermangelung eines standardisierten den Kontrollpersonen unterscheiden.
Jahre). Es konnten keine signifikanten Fragebogens in deutscher Sprache wur- In 11 Items wird nach den Häufigkeiten
Unterschiede zwischen den Altersgrup- de ein eigener Fragebogen konstruiert. von Zärtlichkeiten, Koitus, Orgasmus,
pen nachgewiesen werden. Beim Ein- Die Fragen wurden teilweise dem „Fra- Petting, Vorspiel, Selbstbefriedigung
fluß des Geschlechtes gaben die männli- gebogen zu sexuellen Funktionsstörun- und Partnertausch gefragt. Der Pro-
chen Vpn erwartungsgemäß signifikant gen“ von Appelt u. Strauß entlehnt [1]. band ist aufgefordert, die seinem Ver-
häufiger Orgasmen an (p<0,0005). In Insgesamt enthält der Fragebogen 10 halten entsprechende Häufigkeit mit ei-
den übrigen Skalen konnten keine si- Items (s. Tabelle 2). Die Items werden nem Kreuz zu markieren. Es wird das

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Originalien
Frage, ob es überhaupt zu Zärtlichkeiten
Tabelle 3 kommt (s. Tabelle 2 und Abb. 1), als auch
Auswertung des Fragebogens zu Sexualität und Partnerschaft (Kruskal-Wallis-Test) bei der Frage nach der Häufigkeit von
Zärtlichkeiten (s. Abb. 2) zeigen sich si-
Psori ND Kontr p p p p gnifikante und hochsignifikante Unter-
n=53 n=24 n=52 Gesamt Psori Psori ND
(MW) (MW) (MW) ND Kontr Kontr
schiede zwischen Hautpatienten und
Kontrollpersonen. Dieses Ergebnis weist
Zufriedenheit 1,74 1,88 1,52 0,3006 n.s. n.s. n.s. darauf hin, daß entstellende Hauter-
Zärtlichkeit 1,32 1,08 1,00 0,0038** 0,2154 0,0011** 0,0361* krankungen mit einer Vermeidung von
Körperkontakt einhergehen. Nach Pau-
Gehemmtheit 2,09 2,08 2,56 0,0392* 0,7897 0,0214* 0,0580
lus kommt es bei Berührung zum Ver-
Ausweichen d. 3,72 4,00 3,85 0,0424* 0,0169* 0,2071 0,0852
lust der persönlichen Distanz, dem per-
Partners
sonalen Raum. Dieser die Person umge-
Unangenehme 3,60 3,75 3,79 0,6012 n.s. n.s. n.s.
bende Raum wird noch als persönlicher,
Gefühle
zum Individuum gehörender Raum er-
Psori, Psoriasis; ND, Neurodermitis; Kontr, Kontrollgruppe; MW, Mittelwert; * p<0,05; ** p<0,01 lebt [16]. Bei einer Störung dieser Gren-
ze kann die Nähe des anderen bedroh-
lich wirken. So wird in der psychodyna-
mischen Theorie angenommen, daß ND
Sexualverhalten der letzten 3 Monate sichtlich des Alters, in dem es zum er- und Psoriasis vulgaris möglicherweise
erfragt. sten Geschlechtsverkehr gekommen dazu dienen, Distanz zur Außenwelt
war, zeigte sich zwischen den 3 Grup- herzustellen und damit unbewußt Kör-
Ergebnisse pen kein signifikanter Unterschied. perkontakt zu vermeiden.
Der Aussage, daß es seit dem Auftre- In früheren Untersuchungen konn-
Statistisch signifikante Unterschiede ten der Hauterkrankung seltener zum te gezeigt werden, wie wichtig die kör-
fanden sich bei der Angabe zum Aus- Geschlechtsverkehr komme, stimmten perliche Attraktivität für den Austausch
tausch von Zärtlichkeiten, bei der Ge- 23% der Psoriatiker und 26% der Patien- von Körperkontakten ist [10]. Die Pro-
hemmtheit und beim Ausweichen des ten mit ND zu. Ein signifikanter Unter- banden, die sich als körperlich attraktiv
Partners. Demnach tauschen Psoriasis- schied zwischen den beiden Gruppen einschätzten, empfingen mehr körperli-
patienten hochsignifikant und Patien- konnte statistisch nicht nachgewiesen che Zuwendung als diejenigen, die sich
ten mit ND signifikant weniger Zärt- werden. Die Kontrollgruppe konnte in als normal oder weniger attraktiv ein-
lichkeiten mit dem Partner aus als die Ermangelung eines Ausgangszeitpunk- schätzten. Mit der angewandten Unter-
Kontrollgruppe (Tabelle 3). Psoriatiker tes einer Erkrankung nicht verglichen suchungsmethode läßt sich jedoch
erleben sich signifikant gehemmter und werden. nicht klären, ob die Betroffenen Kör-
unfreier bei sexuellen Kontakten als die Die übergroße Mehrheit der Haut- perkontakt unbewußt mit der Hauter-
hautgesunden Probanden und berich- patienten war nicht vom behandelnden krankung abwehren oder ob der Part-
ten signifikant häufiger als Patienten Arzt auf ihr Sexualleben angesprochen ner die zärtliche Berührung der er-
mit ND, daß der Partner sexuellem Kon- worden. 93% der Psoriatiker und 96% krankten Haut meidet.
takt ausweicht (s. Abb. 1). Bezüglich der der Patienten mit ND beantworten die Die Ursache dafür, daß die unter-
Zufriedenheit und unangenehmer Ge- entsprechende Frage mit „nein“. suchten Psoriatiker im Vergleich mit den
fühle hinsichtlich des Sexuallebens der ND-Patienten ein größeres Defizit hin-
Hautpatienten zeigen sich keine signifi- Besprechung sichtlich des Austausches von Zärtlich-
kanten Unterschiede gegenüber den ge- keiten zeigen, ist sicherlich in der ent-
sunden Probanden (s. Abb. 1). Hinsichtlich des Austausches von Zärt- stellenderen, stigmatisierenderen Sym-
Bei der Beschreibung des Sexual- lichkeiten ergeben sich signifikante Un- ptomatik der Psoriasis zu suchen. Pa-
verhaltens (Fragebogen zum Sexualver- terschiede zwischen Hautpatienten und tienten mit ND haben gegenüber
halten nach Arentewicz) zeigten sich si- gesunden Probanden. Sowohl bei der Psoriatikern zwar einen höheren Lei-
gnifikante Unterschiede zwischen den
Untersuchungsgruppen. Sowohl Pso-
riatiker als auch Patienten mit ND tau-
schen hochsignifikant weniger Zärt-
lichkeit aus. Bezüglich der Orgasmus-
häufigkeit wurde zwischen Frauen und
Männern unterschieden, da gezeigt
werden konnte, daß das Geschlecht ei-
Abb.1 c Sexualität
nen signifikanten Einfluß auf die Or-
und Partnerschaft.
gasmushäufigkeit hat. Weibliche haut- *=p<0,05; **=p<0,01;
kranke Patienten beider Gruppen ha- Psori=Psoriasis,
ben signifikant seltener Orgasmen als ND=Neurodermitis,
hautgesunde Frauen (s. Abb. 2). Hin- Kontr=Kontrollgruppe

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Literatur
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Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen
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te). *=p<0,05; **=p<0,01; (M)=Männer, (F)=Frauen, Psori=Psoriasis, ND=Neurodermitis, Kontr=Kon- Springer, Berlin Heidelberg New York
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gravierenderen Entstellungsproblema- kehr erleben. Dieser Unterschied 8. Gloor M, Eichler C,Wiebelt H, Moser G (1979)
tik, daß sich Psoriatiker signifikant ge- zwischen Männern und Frauen kann Soziologische Untersuchung bei der Acne
hemmter als die Kontrollpersonen erle- durch größere Störanfälligkeit des vulgaris. Z Hautkr 53:871–880
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nen und ND-Patienten keine statistisch Während bei den sexuellen Funktions-
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signifikanten Unterschiede bestehen. störungen der Frau Erregungs- und Or- gebnisse einer orientierenden Befragung.
Auffallend ist, daß sich in der Frage gasmusstörungen im Vordergrund ste- Hautarzt 24:230–235
nach der Koitushäufigkeit keine Unter- hen, klagen Männer vornehmlich über 10. Jourard S (1966) An exploratory study of
schiede zwischen den Untersuchungs- Erektionsstörungen und Ejaculatio body accessibility.
gruppen zeigen. Offensichtlich kommt praecox [5]. Br J Soc Clin Psychol 5:221–231
es auf der Ebene der reinen Triebbefrie- Möglicherweise ist die erlebte Stig- 11. Jürgens H (1978) Der Mensch und seine
digung nur zu geringen Einschränkun- matisierung mit ursächlich, daß haut- Umwelt. Die menschliche Körperform im
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gen, denn auch hinsichtlich des Alters kranke Frauen seltener einen Orgas-
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des ersten Geschlechtsverkehres zeigen mus erleben. Zusätzlich kommt es zur Sarti MG, Panconesi E (1987) Haut, Kosmetik
die 3 Gruppen im Mittelwertevergleich Abwertung der erotisch stimulierenden und Sexualität. Dynam Psychiatr 20:201–216
keinen Unterschied. Auch wird von drei Selbstbeobachtung, die dazu beiträgt, 13. Musaph H (1968) Psychodynamics in itching
Viertel der Patienten verneint, daß es das Verlangen während des Ge- states. Int J Psychoanal 49:336–339
durch das Auftreten der Hauterkran- schlechtsverkehrs anzuregen und bei- 14. Musaph H (1977) Skin, touch and sex. In:
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können zugleich als bedrohlich, die ei- Da 93% der Psoriasispatienten und 17. Pfitzner R (1977) Die Psychodynamik der
genen Grenzen gefährdend erlebt wer- 96% der Patienten mit ND von ihren Psoriasis vulgaris im Rorschach-Test.
den und werden daher möglicherweise behandelnden Ärzten offenbar noch Z Psychosom Med Psychoanal 22:190–197
sexualisiert und auf genital-sexueller nie auf ihre Sexualität angesprochen 18. Stokes JH (1930) The effect on the skin of
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den Betroffenen erlebt wird, ob er ge- Bereich und sekundäre Krankheits- 19. Van Dorssen IE, Boom BW, Hengeveld MW
wollt wird oder ob er als „Pflichterfül- folgen folglich auch nicht erkannt wer- (1992) Experience of sexuality with
lung“ im Sinne einer rein mechanisti- den. Bei aller Problematik, diesen inti- psoriasis and constitutional eczema.
schen Sexualität empfunden wird, kann men Bereich anzusprechen, sollte der Ned Tijdschr Geneeskd 136:2175–2178
anhand der Auswertung der Fragebö- Arzt für Haut- und Geschlechtskrank- 20. Winckelsesser T (1994) Hautkrankheit und
gen nicht beantwortet werden. heiten jedoch auch ein kompetenter Sexualverhalten. Dissertationsschrift, vorge-
legt an der Philipps-Universität Marburg
Hinweise auf eine verminderte Gesprächspartner für Fragestellungen,
Qualität der genitalen Sexualität erge- die die Hautkrankheit und ihre Folgen Eingegangen am 3. Dezember 1996
ben sich aus der Beantwortung der Fra- für die Sexualität betreffen, sein. Angenommen am 12. Februar 1997

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