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Im Vortrag wird anhand von zwei Fallbeispielen gezeigt, dass das Finanzministerium bis zum
Kriegsbeginn 1939 eine große Handlungsautonomie besaß, insbesondere in der konkreten
Ausgestaltung steuerrechtlicher Details, aber auch hinsichtlich der Erhöhung einzelner Steuern. Dieser
hohe Freiheitsgrad gründete zu einem erheblichen Teil auf einer Interessenkongruenz von
Ministerium und Regimespitzen, da die erreichten Steuererhöhungen und die „Verreichlichung“ aller
Steuern sowohl die Stellung des Ministeriums gegenüber den Ländern stärkten als auch die
notwendigen Mehreinnahmen für die nationalsozialistische Aufrüstungspolitik bereitstellten.
Erst nachdem sich die Kriegsausgaben des Reiches ab 1941 stark erhöht hatten, zeigten sich größere
Interessengegensätze zwischen dem Reichsfinanzministerium und des NS-Führung, die im Kriege
selbst vergleichsweise moderaten Steuererhöhungen nicht oder nur für höhere Einkommensbezieher
und Unternehmen zustimmten. Diese Ablehnung gründete dabei nicht allein auf einer sozialpolitisch
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motivieren Rücksichtnahme auf die Normalverdiener bzw. auf die Stimmungslage der Bevölkerung,
sondern erklärt sich zugleich aus dem finanzpolitischen (Un-)Verständnis führender
Nationalsozialisten wie Hitler, Goebbels oder Göring. Diese vertraten die Meinung, dass staatliche
Finanzprobleme jederzeit machtpolitisch zu lösen seien und etwaige ökonomische Schwierigkeiten
durch zwangswirtschaftliche Steuerung wie Preisstopps, Bewirtschaftungsmaßnahmen oder
polizeilichen Terror unter Kontrolle gehalten werden könnten. Die unterschätzte Bedeutung einer
solideren Steuerpolitik – für die neben Reinhardt auch der langjährige Minister Schwerin von Krosigk
federführend verantwortlich war – engte seit 1939 die Autonomie des Finanzministeriums in der
Kriegsfinanzierung zunehmend ein, was entscheidend zum Staatsbankrott und zur Inflation
Deutschlands beitrug.