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Aus der historischen Stadt-

ansicht entwickelten Mar­-


tin Pool und Isabella Leber
die Silhouette des kult.
Lageplan im Maßstab 1:5000

In der kleinen Grenzstadt Vreden, ganz im Westen des Münster­


landes, ist aus einem Gebäudekonglomerat rund um ein Heimat­
museum ein kulturhistorisches Zentrum entstanden, entwor-
fen und geplant von den Münchner Architekten Martin Pool und
Isabella Leber.

Der Kopfbau mit Veranstal­


tungssaal und Museum
im 1. und 2. OG fasst den
Maßanzug
im Münsterland
Stadtplatz. Die Fuge im
Erdgeschoss nimmt dem
Baukörper Schwere.

Text Dagmar Hoetzel Fotos Brigida González

Glücksfall. Als solchen könnte man den Neubau und der, der diese ausformulieren musste! – sollte und ganz beiläufig wird der Ort der Kultur in den
des Kulturhistorischen Zentrums „kult“ in der das kulturhistorische Zentrum werden, in dem Alltag und die täglichen Wege integriert. Die
kleinen Stadt Vreden bezeichnen. Oder: Manch- das bestehende Hamalandmuseum, das Landes- Achse führt direkt durch das Herz des Zentrums:
mal lohnt es sich, die großen Städte zu umfah- kundliche Institut sowie die historischen Teile das dreigeschossige offene Atriumfoyer. Hier
ren, um in der Provinz auf kleine Juwele zu sto- des Kreisarchivs und des Archivs der Stadt Vre­ trifft die sogenannte „Zentrumsachse“, der inter-
ßen. Dort, ganz im Westen des Münsterlandes, den unter einem Dach zu einem neuartigen Kul- ne Weg, der die verschiedenen Funktionsberei-
direkt an der niederländischen Grenze, findet man tur- und Bildungsort zusammengeführt werden che des Zentrums längs durch die Bestands- und
ein klug und sorgfältig geplantes Gebäude auf sollten. Neubauteile erschließt, auf die Treppenanlage,
der Basis einer seriösen Grundlage hinsichtlich die zu den Museumsetagen führt. Ein Dreh- und
der städtebaulichen Entwicklungsziele und der Hineingeschoben Angelpunkt und ein öffentlicher Ort, der auch
Nutzung und der Finanzierung, die die Stadt Vre­ für Feste, Lesungen oder Konzerte genutzt wird.
den und der Kreis Borken in enger Zusammen­ Dort, wo die Kulturachse das Flüsschen Berkel Das Ensemble der Bestandsgebäude – „Pul-
arbeit und im Rahmen der Regionale 2016 in sie- und den Stadtgraben überquert und am ehe­ verturm“, ein Relikt der alten Stadtbefestigung
ben Jahren erabeitet hatten. maligen Damenstift, dessen Gründung auf das 9. aus dem 14. Jahrhundert, „Armenhaus“ aus dem
Mit dem Ziel, die Innenstadt aufzuwerten und Jahrhundert zurückgeht, vorbei und in die Stadt 16. Jahrhundert, das Hamalandmuseum aus den
die Stadt neu zu ordnen, entwickelten die Ver- mit dem mittelalterlichen Grundriss hineinführt, 1970er Jahren und eine Erweiterung aus den
waltungen von Stadt und Kreis die Strategie, die steht das kult. Der Kopfbau mit dem Museums­- achtziger Jahren – bildet zusammen mit Neubau-
kulturellen Orte Vredens mittels einer „Kultur­ teil schiebt sich quasi in die Achse. Der Weg teilt teilen das kulturhistorische Zentrum, mit einer
achse“ stadträumlich zu verbinden; für die kom- sich, wird sowohl am Haus vorbei, als auch ganz eigenen, prägnanten Erscheinung. Zusam-
merziellen Nutzungen wiesen sie eine andere durch es hindurch geführt. Folgerichtig gibt es mengefasst unter einer Dachlandschaft, die in
Achse aus. Wichtigster Baustein der Kulturachse – zwei Eingänge, wasserseitig und stadtseitig – unterschiedlichen Neigungen gefaltet ist, bleibt

26 Thema Bauwelt 12.2018 Bauwelt 12.2018 Thema 27


Bauteile
1 Neubau Museum
5 6 2 Bestand 1980er Jahre
Kulturverwaltung
3 Neubau Pädagogik

1 3 4 4 Bestand 1970er Jahre


2 Archiv, Institut
5 Bestand, 16. Jahrh.,
„Armenhaus“
6 Bestand, 14. Jahrh.,
„Pulverturm“

Funktionsbereiche 1 Veranstaltung, EG;

Kultu rach se
Museum, 1. und 2. OG
8
2
2 Info Museum
3
Zentru msach se 3 Stadtmarketing
1 4 Café, Shop
6 7
4
5 5 Sonderausstellung
6 Pädagogik
7 Archiv, Bibliothek, Institut
8 Lampensammlung

mit dem Konzept, die vorhandenen Bauteile ent-


sprechend ihrer räumlichen Gegebenheiten
zu nutzen und das Museum gestapelt über zwei
Geschosse im Kopf des Neubaus am Markt-
platz einzurichten. Durch die Zuordnung der Funk-
Die Fassade aus Kohlebrand-
tionsbereiche auf ein je passendes Bauteil,
Ziegel erhält feine Nuan­
cierungen durch leichte Hel- konnten die baulichen Eingriffe auf ein geringes
ligkeitsabstufungen. Maß reduziert und die Überschneidung ther-
misch unterschiedlich regulierter Klimazonen mi-
nimiert werden. Ein überzeugendes Konzept,
um Erstellungs- und Unterhaltkosten gering zu
die gewachsene Struktur erkennbar; auch der Wir wollten die bestehenden halten. Aber auch ein architektonisch überzeu-
skulptural geformte Museums-Baukörper fügt gendes.
Verschränkung sich ein und bildet doch zum Stadtplatz eine un- Strukturen so wenig Mit dem Foyer als Verteiler und der linearen
Ausstellung kirchlich

wie möglich anfassen.


Armenhaus
Verwaltung

verwechselbare Adresse. Prägend für die Aus- Zentrumsachse, die in einem kleinen Innenhof
Pulverturm
Ausstellung weltlich

formulierung der Silhouette war eine historische Isabella Leber, Martin Pool mündet, wird die Erschließung im ganzen Zent-
Stadtansicht, die auch heute noch gültig ist, rum sehr klar.
historische Bauten

erläutern Martin Pool und Isabella Leber. Passgenau Die zentrale Treppe im Foyer führt in die Muse-
Ausstellung

In seiner ganzen Ausdehnung zeigt sich das umsgeschosse. Allein der Weg ist schon ein-
Foyer

Zentrum zur Flussseite. Obwohl es mit einer Das „kult“ ist ihr bislang größtes Projekt. Mit nur drucksvoll. Durch präzise gesetzte Einschnitte
Anlieferung

Pädagogik
Magazin

Länge von etwa 90 Meter kein kleines Gebäude einem Punkt Vorsprung hatten die Architekten
Archiv

ist, passt es in die Umgebung. Das liegt nicht Martin Pool und Isabella Leber, denen bei dem
Vorher – nachher: Die cha- zuletzt am Material der Fassaden und deren Ge- vorausgegangenen Wettbewerb (Bauwelt 17–
rakteristischen Eigen­-
staltung: beige-graue, Kohlebrand-Ziegel aus 18.2013) der 2. Preis zugesprochen worden war,
arten der Gebäude aus den
siebziger und achtziger einem lokalen Ziegelwerk, bauteilweise aus un- das Verhandlungsverfahren für sich entschei-
Jahren wurden in das neue terschiedlichen Bränden, hell, mittel, dunkel den können.
Fassadenkleid übersetzt. mit jeweils unterschiedlicher Fugenfarbe. Feine „Die bestehenden Strukturen so wenig wie
Foto: Guido Leeck
Nuancierungen ergeben sich so, die zusam- möglich anfassen“ – dieser Prämisse folgend,
men mit Versprüngen und Zitaten der charakte- begegneten sie der Forderung aus der Wettbe-
ristischen Eigenarten der Siebziger- und Acht­ werbsauslobung, die Ausstellungsflächen des
ziger-Jahre-Fassaden die lange Ansicht struktu- Museums in einer Ebene durch die Bestandsbau-
rieren. ten und den Neubau hindurch unterzubringen,

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Die Museumsflächen im 1. und
2. OG sind rund um das drei-
geschossige offene Foyer an­
geordnet. Es ergeben sich
immer neue Durchblicke und
Ausblicke.

Architekten Tragwerksplanung
Pool Leber Architekten, Spangemacher Ingenieure,
München, Martin Pool, Raesfeld
Isabella Leber
Heizungs-/Sanitärplanung
Mitarbeiter RTS Ingenieure, Stadtlohn
Javier Bressel, Valéria Pola­
kovičová, Egor Goryachev, Elektroplanung Linke Seite unten: Blick ent-
Stephanie Hoschka lang der Zentrumsachse
Kipp & Knuhr Ingenieure,
Borken zum Foyer
Bauleitung Grundrisse und Schnitt im
Bleckmann Krys Archi- Bauherr Maßstab 1:1000
tekten, Münster, Eva Bleck-
Kreis Borken, Stadt Vreden

Durch die Zuordnung der Funktions­


mann, Andreas Krys
Hersteller

bereiche auf ein je passendes Be­


Mitarbeiter
Fassadenziegel Schüring
Peter Hesse, Alexander
Ziegelwerke

standsbauteil, konnten die baulichen


Lehne, James Bonk
Akustikdecken Knauf
Teppich Object Carpet
Projektsteuerung
Eingriffe auf ein geringes Maß redu­
Linoleum DLW
agn Niederberghaus und Verblechung Rheinzink

ziert werden.
Partner, Ibbenbüren Dachziegel Braas
Beschläge FSB
Ausstellungsgestaltung Schalterprogramm Gira
Klingel Siedle
Thöner von Wolffersdorf,
Lüftungen Trox
Augsburg
Aufzug Hübschmann Auf-
züge

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Das Kulturhistorische Zent­
rum steht direkt am Stadt­
graben und an der Schnitt­
stelle zwischen ehemali­
gen Damenstift und mittel­
alterlicher Stadt.

Im 2. OG befindet sich der


„kirchliche“ Teil der Aus­
stellung. Die Fenster orien­
tieren sich zur Stiftskirche.

und Öffnungen bieten sich immer wieder neue


Ein- und Durchblicke über die Geschosse hin­-
weg. Dies wird fortgeführt in den Ausstellungs-
räumen, wo ebenso präzise gesetzte, ge-
schosshohe Fensteröffnungen den Themen der
Dauerausstellung entsprechend Blicke frei­
geben. Im weltlichen Teil auf die Berkelaue und
den mittelalterlich Stadthafen, im kirchlichen
auf die beiden Kirchen St. Georg und St. Felicitas.
Das als Sichtbeton mit sägerauer Bretter-
schalung ausgeführte Stahlbeton-Tragwerk ver-
leiht dem Neubau im Innern Klarheit und Ro-
bustheit. Dass die Holzbretter auf den Beton-Brüs-
tungen im Ausstellungsbereich ein Wunsch des
Bauherren waren, erzählen Martin Pool und Isa-
bella Leber, und dass sie diese zunächst nicht
wollten, nun aber sehr glücklich damit sind. Sie
verstehen die Wünsche von Bauherren als
Chance und Anregung, die Varianz in Ideen brin-
gen. So können gute Gebäude entstehen –
miteinander.

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