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Ham | mel | sprung, der;

(1) parlamentarisches Abstimmungsverfahren, bei dem


die Abgeordneten den Plenarsaal verlassen und ihn zur
Zählung ihrer Stimmen durch eine von drei Türen be-
treten, die jeweils für Ja, Nein oder Enthaltung stehen;

(2) überparteiliches und unkommerzielles politisches


Magazin an der NRW School of Governance in Duis-
burg, von Studierenden gegründet und im Dezember
2009 erstmalig erschienen.

editorial
Die politischen Entscheidungsprozesse und damit unsere ganze Demokratie verän-
dern sich zur Zeit unter dem Einfluss neuer Kommunikationstechnologien in rasan-
ter Weise – und es ist abzusehen, dass sich diese Entwicklung in den nächsten Jah-
ren noch weiter fortsetzen wird. Die technologischen Neuerungen und ihre bereits
erkennbaren gesellschaftlichen Konsequenzen lassen dabei berechtigte Hoffnungen
auf eine neue Kultur der Teilhabe aufkommen: Distanz wird zu Interaktivität, Medi-
enkonsumenten werden zu Produzenten, Wähler zu Beratern, Politiker zu Dialog-
partnern und die politische Entscheidungsfindung kommt damit womöglich ihrem
Ideal der allgemeinen Akzeptanz um einiges näher.

Internet und Politik – spätestens seit der Wahl Barack Obamas sind diese beiden Be-
griffe auch in der breiten Öffentlichkeit eng miteinander verbunden. Das Thema liegt
im Mainstream, jedoch scheint die Perspektive verengt und event-orientiert. Wann
aber haben wir es mit „Strohfeuern“ und wann mit „Dauerbrennern“ zu tun? Mit
dieser plakativen Titelgebung für die erste Ausgabe des HAMMELSPRUNG wollen
wir den Fokus auf langfristige Entwicklungslinien lenken, die sich abseits des Wahl-
kampfgetöses und kurzfristiger Hypes auftun. Gerade zum Ende des Superwahljah-
res 2009, das bereits stark vom politischen Geschehen im Netz geprägt war, ohne
dass Wahlen online entschieden wurden, bietet sich nun die Möglichkeit zur diffe-
renzierten Reflexion.

Wer sich mit dem Spannungsfeld Internet und Politik beschäftigt, muss sich einer
Reihe von wichtigen Fragen und Problemen stellen: Übereinstimmend kann ein
ausgeprägtes soziales Element als wesentliches Merkmal der aktuellen technischen
Entwicklungen identifiziert werden – bei den jeweiligen Bezeichnungen bestehen al-
lerdings noch Uneinigkeiten (S. 22). Wie Technologien aber auch immer bezeichnet
werden: Sie sind prinzipiell neutral. Das Internet kann ebenso als Vehikel für De-
mokratisierungsprozesse (S. 14) dienen wie auch für eine Vernetzung des globalen
Terrorismus (S. 56).Wie gehen wir damit um, wenn gesellschaftliche Realitäten zu-
nehmend virtuell und online konstruiert werden (S. 11)? Wie werden sich die für die
Demokratie so essentiellen Medien zukünftig entwickeln (S. 26)? Und welche Mög-
lichkeiten zur technologischen Integration verschiedener gesellschaftlicher Lebens-
bereiche werden bereits erprobt und welche Gefahren zeichnen sich dabei ab (S. 8)?
Gerade Verfechter des Datenschutzes sollten aber in diesem Zusammenhang darauf
achten, bei ihrem Engagement nicht in eine Glaubwürdigkeitsfalle zu geraten (S. 68).

Das Internet ist für die Politik Ressource und Risiko zugleich: Partizipation kann aber
nur funktionieren, wenn politische Organisationen tatsächlich auch einen Rückkanal

1
Das Web 2.0 wird die politische
Kommunikation revolutionieren.

Grußwort

von Karl-Rudolf Korte

eröffnen und sich bereit zeigen, den In- 46). Unser zweiter Gastautor, Dr. Stefan für eine individuelle und differenzierte Der amerikanische Präsidentschaftswahl- muss es sein, zu einem akzeptierten Mit- riskantes Denken, das Alternative und
put der sich emanzipierenden Bürgerge- Piasecki, lenkt den Blick auf eine häu- Auseinandersetzung mit dem jeweiligen kampf 2008 war nicht nur der erste spieler in diesen sozialen Netzwerken Provokation im Verhältnis zu etablierten
sellschaft in die Entscheidungsprozesse fig missachtete Wählergruppe, die sich Themenschwerpunkt geben. Online-Wahlkampf in der Geschichte zu werden. Das Web 2.0 ist vor diesem Bedeutungen, Werte und Logiken sein
aufzunehmen. Die Politik entdeckt der- ihre eigenen medialen Nischen sucht (S. der Demokratien, sondern kann auch di- Hintergrund nicht nur eine technische will, gemeinsam praktizieren. Nicht nur
weil die neuen Formate für sich, um mit 38). Kajo Wasserhövel, Otto Fricke und Gespannt sind wir auf Ihre Rückmel- rekte Einflüsse auf Deutschland haben. Internet-Innovation – sozusagen ein der geografische Standort – sozusagen
den Bürgern auf Augenhöhe zu kom- Philipp Mißfelder stellen sich in Kurzin- dungen, am einfachsten per E-Mail an Zwar lief der Bundestagswahlkampf modernes Werkzeug der Kommunikati- mitten im Leben, in der Metropole des
munizieren (S. 34 und 30). Gleichwohl terviews der Frage, wie bei wachsender die Redaktion: 2009 noch weitgehend offline ab, den- on, sondern darüber hinaus auch Arena Westens, der Kulturhauptstadt Europas
sehen sich Politiker einem veränderten Emanzipation und Partizipation ihrer hammelsprung@nrwschool.de. noch kann sich kein deutscher Wahl- der Politik. „Werkzeug“ bezieht sich in 2010 – macht die NRW School of Gover-
Entscheidungskontext ausgesetzt, der Mitglieder und Wähler die Effizienz des kampf dem Sog der US-Mobilisierungs- diesem Zusammenhang auf die techni- nance zu einem gelebten Ort perma-
von einer Öffentlichkeit bestimmt ist, politischen Systems zu gewährleisten ist Viel Spaß mit der ersten Ausgabe! Kampagnen entziehen. Trotz völlig schen Möglichkeiten moderner Inter- nenter sozialwissenschaftlicher Feldfor-
die niemals offline ist (S. 18). (S. 53 – 55). Und Franz Müntefering be- unterschiedlicher Wahl-Szenarien und aktivität, „Arena“ auf online gesteuerte schung. Unsere inhaltliche Verbindung
tont im Gespräch, dass es immer noch Die Redaktion einem unvergleichbar einmaligen Star- Inhalte einer prozess- und partizipati- des Politikmanagements, bei der Macht-
Dr. Christoph Bieber verdeutlicht im In- in erster Linie auf Authentizität und Kult um Barack Obama hat der US-Prä- onsorientierten Politik. und Sachfragen der Politik in einen stets
terview (S. 4), dass der Erfolg einzelner die Qualität der politischen Inhalte an- sidentschaftswahlkampf neue Standards politikvermittelnden Kontext gerückt
Komunikations- und Interaktionsmo- kommt, um im Wahlkampf Erst- und gesetzt, die Nachahmung in Europa fin- Genau mit dieser hochaktuellen The- werden, kennzeichnet die Marke unse-
delle sich nicht unverändert übertragen Jungwähler zu erreichen (S. 50). den werden. Das Web 2.0 wird die po- matik beschäftigt sich die vorliegende rer NRW School of Governance. Und
lässt, die etablierten Parteistrukturen litischen Kommunikation ebenso revo- Premieren-Ausgabe des HAMMEL- dazu steuert nun auch der HAMMEL-
dem Wandel sich aber unbedingt öffnen Der HAMMELSPRUNG ist ein interdis- lutionieren wie vor einigen Jahrzehnten SPRUNG, der aus freiwilliger Initiative SPRUNG seinen Beitrag bei. Deshalb
müssen. Welche (Irr-)Wege beschreiten ziplinäres studentisches Projekt. Die Re- das Fernsehen. Das neue Internet ist eine seitens der Studierenden entwickel- bedanke ich mich beim Redaktionsteam
aber die politischen Parteien, um dem daktion setzt sich aus Studierenden der technische Innovation, die neue Formen ten politischen Fachzeitschrift. Die- für die wichtigen Vorarbeiten und wün-
Wandel zu begegnen (S. 62)? In Zukunft NRW School of Governance zusammen. des sozialen und politischen Miteinan- ses Produkt ist ein weiterer innovati- sche dem Projekt alles erdenklich Gute.
werden Bürger verstärkt fordern, auch Für die grafische Gestaltung konnten wir ders mit all seinen weitreichenden Fol- ver Baustein, um die NRW School of
häufiger als nur alle vier bis fünf Jahre und Benjamin Brinkmann vom Fachbereich gen für die Kommunikation in Politik, Governance zu einer wissenschaftlich
damit über die regulären Wahlen hinaus Design der Fachhochschule Düsseldorf Wirtschaft und Gesellschaft provoziert. anspruchsvollen Einrichtung der Uni-
Einfluss auszuüben. Welche Partizipati- gewinnen. Die fotografischen Arbeiten Web 2.0 ermöglicht die selbst organi- versität Duisburg-Essen zu machen. Der
onsformen entstehen im Internet abseits in dieser Ausgabe verdanken wir Alex- sierte Interaktion und Kommunikation HAMMELSPRUNG ist ein gutes Beispiel
der etablierten Beteiligungsformate (S. ander Wurm, Student der Fotografie an der Nutzer durch Herstellung, Tausch dafür, dass unsere Lehre und Forschung
58)? Und welche Potentiale offenbaren der Fachhochschule Dortmund. Zukünf- und Weiterverarbeitung von nutzer- auch auf das zurückgreift, was jeder mit
sich für Regierungen in der Dialogkom- tige Ausgaben des HAMMELSPRUNG basierten Inhalten über Weblogs, Wi- einbringt: ein sehr kreatives Labor von
munikation mit den Bürgern über das sollen ebenfalls aus solchen fruchtbaren kis und Social Networks. Besonders vielfältigen, bundesweiten Universi-
Netz – zur Überwindung von Politikver- Kooperationen heraus entstehen. Social Networking verändert die Rolle täts-Abschlüssen, eigenen persönlichen
drossenheit, aber auch im Hinblick auf und Bedeutung von Informationen im Erfahrungen und selbstständigen En-
die strategische Durchsetzung umstrit- Wir hoffen, mit dem HAMMEL- Kommunikationsprozess: Es gibt keine gagement, das wir im Forschungs- und
tener politischer Vorhaben (S. 42)? Und SPRUNG wertvolle Beiträge zu aktu- traditionelle Aufteilung mehr zwischen Lehralltag ständig nutzen. So können
schließlich bleibt bei aller Euphorie zu ellen politischen Debatten leisten zu Sender und Empfänger. Ziel der Politik wir als Lehr- und Lerngemeinschaft
beachten: Technologischer Fortschritt können. Politik, also die Herstellung
ist immer auch eine Frage gleichberech- allgemein verbindlicher Entscheidun-
tigter gesellschaftlicher Teilhabe (S. 64). gen, muss zwingend auf einer demokra-
tischen Kultur der umfassenden Infor-
Univ.-Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte
Die Möglichkeit zur Reflexion nutzt mation und Diskussion beruhen. Dieses hat seit 2002 die Professor für Politikwissenschaft im
auch unser Gastautor Dr. Hajo Schuma- Magazin behandelt gesellschaftliche Fra- Fachgebiet „Politisches System der Bundesrepublik
cher, der rückblickend die von Internet- gestellungen bewusst aus verschiedenen Deutschland und moderne Staatstheorien“ an der
Universität Duisburg-Essen inne und leitet zudem seit
plattformen befeuerten Proteste zur Prä- Perspektiven und vor verschiedenen 2000 die Forschungsgruppe Regieren. Seit 2006 ist
sidentschaftswahl im Iran analysiert (S. Hintergründen. Wir wollen so Anstöße er Direktor der NRW School of Governance.

3
Der Gießener Politikwissenschaftler
Christoph Bieber über die Online-
Regierungskommunikation Barack
Obamas, Herausforderungen für
die deutsche Politik sowie die lang­
fristigen Chancen der Piratenpartei.

Die Fragen stellte


Alexander von Freeden

Zweifellos hat das Internet für den Wahlsieg Obamas eine wichtige Rolle ge- Obama versucht also gleichzeitig, über das Netz direkte Unterstützung für
spielt. Ist es dem US-Präsidenten jedoch gelungen, die hohe Partizipation im sein politisches Programm zu mobilisieren?
Netz aus dem Wahlkampf in seine Amtszeit mitzunehmen?
Genau, das Versammeln der Öffentlichkeit hinter den Ideen und Zielen des Präsiden-
Christoph Bieber: Er gibt sich auf jeden Fall redlich Mühe. Einige Formate, die im ten ist eine wichtige Ressource, um politische Entscheidungen durchzusetzen und
Wahlkampf eine große Rolle gespielt haben, wurden in den Zeitraum nach der Wahl den Kongress von Gesetzesvorhaben zu überzeugen. Diese Strategie des Going Public
transportiert und dienen jetzt der offiziellen Regierungskommunikation. Deutlich ist im politischen System der USA fest verankert und wurde zuvor schon häufig von
wurde schon mit der Webseite Change.gov aus der Transition Period zwischen Wahl den Präsidenten angewandt – nur nicht mit diesen Mitteln. Obama stützt sich auf die
und Amtseinführung, dass es ein ernstes Anliegen ist, den Kommunikationskanal neuen Kommunikationstechnologien, um seine Entscheidungen mit Hilfe der öf-
Internet auch über den Wahlkampfzeitraum hinaus konsequent zu nutzen. Auf fentlichen Unterstützung zu legitimieren. Er sucht also nicht mehr ausschließlich
Change.gov konnten Bürger zur Erarbeitung des Regierungsprogramms in einen die klassische massenmediale Öffentlichkeit, die er mit einer gut lancierten Fern-
Dialog eintreten, auf Missstände hinweisen und einzelnen Politikfeldern besondere sehansprache oder einer Pressekonferenz erreichen kann. Das Press Corps, also die
Relevanz zusprechen. Gleichzeitig konnte dort auch die Arbeit von Expertengremien Journalisten in Washington, wird mitunter sogar gezielt umgangen und die breite
verfolgt werden. Dieser Ansatz wird seit der Inauguration auch auf den offiziellen In- Konkurrenz der Bürgeröffentlichkeit direkt angesprochen – was bei den etablierten
ternetpräsenzen wie etwa der Webseite des Weißen Hauses weiterverfolgt. Medien natürlich nicht immer so gut ankommt.

Laufen diese Kommunikationsprozesse reibungslos ab oder haben die neu-

„eine völlig
en Formate auch ihre Schwächen?

Es scheint, dass die Administration zum Teil noch überfordert ist mit der hohen
Beteiligung, die sie mit diesen Formaten erreicht. Bei dem ersten Virtual Town Hall

andere situation“
Meeting etwa waren die Bürger im Vorfeld dazu aufgefordert, Fragen an den Präsiden-
ten zu formulieren. Hunderttausende haben davon Gebrauch gemacht, jedoch sind
nur ganz wenige in der eigentlichen Veranstaltung aufgegriffen worden. Es lässt sich
also nicht gerade behaupten, dass da ein halbwegs repräsentatives Abbild der Fragen
auch tatsächlich verhandelt worden wäre. Auf der anderen Seite signalisiert Obama
mit der Schaffung einer ganzen Reihe von Posten, die sich mit der Integration und
Lässt sich dieser direkte Dialog zwischen Regierung und Bürgern mit dem Organisation von Daten und Informationen sowie der Erhöhung der Transparenz
von Ihnen mitgeprägten Begriff der Gesellschaftsberatung kennzeichnen – befassen, dass er diese Probleme erkannt hat und es ihm durchaus ernst ist. So gibt
also der Beratung der Politik durch die Bürger? es beispielsweise auf einmal eine Direktorin für Bürgerbeteiligung, die von Google
kommt und deren Aufgabe es ist, eben solche Formate zu entwickeln und zu testen.
Das sind häufig zwei Seiten einer Medaille. Auf der einen Seite wird natürlich ver-
sucht, öffentlichkeitswirksam eine neue Form von Regierungs-PR zu inszenieren:
Der bürgernahe Präsident, der auf die Bevölkerung hört und mit dem Ohr am Puls
der Zeit ist. Dies grenzt schon fast an Populismus. Auf der anderen Seite muss man
dem Angeklagten schon zugute halten, dass tatsächlich versucht wird, Sachver-
Dr. Christoph Bieber
stand von ganz unterschiedlicher Seite her in die Regierungsarbeit mit einzubinden. ist Mitglied des Zentrums für Medien und Interak-
Offene Bürgerpanels oder Arbeitsbücher wie das Citizens’ Briefing Book sind dabei tivität an der Justus-Liebig-Universität Gießen und
Formate, die man durchaus dem Bereich der Gesellschaftsberatung zurechnen kann beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Neuen
Medien auf politische und gesellschaftliche Prozesse.
– sofern man im Hinterkopf behält, dass alles auch einer öffentlichkeitswirksamen Zu seinen Veröffentlichungen zählen unter anderem
Darstellung und Legitimierung der Regierungsarbeit dient. Publikationen über Online-Wahlkämpfe, die Zukunft
der Mediendemokratie und Interaktivität. Darüber
hinaus schreibt er regelmäßig für ZEIT ONLINE
sowie verschiedene Weblogs, darunter Carta.info und
Politik-digital.de.

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Wenn wir den Vergleich mit Deutschland suchen: Die Angebote, die die Bun- Gefolgschaften gegenüber sehen. Wenn sie sich unmittelbar nach der Wahl wieder
desregierung für den Dialog im Internet macht, sind bislang eher spärlich. zurückziehen, könnte das negativ auffallen. Und daher glaube ich schon, dass man
Hat sie Angst, die Kontrolle zu verlieren? nach dieser Bundestagswahl etwas mehr Politik im Netz erleben wird, aber es wird
auch nicht der galaktische Durchbruch sein.
Da muss man differenzieren: Eine Bundesregierung hat nach einer Wahl zunächst
einmal ganz bestimmte Aufgaben zu erledigen, bei denen man die Bürger nicht ganz Ist es denn typisch für die Internetgeneration, dass sie sich nicht unbedingt
so stark beteiligen kann wie im Wahlkampf. Man kann den deutschen Behörden je- in den Parteien organisiert, sondern eher das unverbindliche und kurzfristige
doch auch nicht vorwerfen, dass sie sich gar nicht öffnen würden. Es klingt häufig fast Engagement sucht?
so, als hätte Obama alles erfunden – wie etwa das Angebot, Gesetzesentwürfe noch
vor der Abstimmung einsehbar und kommentierbar zu machen. Die Internetseite des Es gibt auf jeden Fall viele Möglichkeiten, sich online und abseits der Parteien zu en-
Bundestags kennt aber auch schon seit langem eine Gesetzesdatenbank, in der man gagieren. Die E-Petitionen an den Bundestag erfreuen sich wachsender Beteiligung:
detailliert nachvollziehen kann, wie der Gesetzgebungsprozess abläuft, was in An- Die Petition zu den Internetsperren war da keine Ausnahme, auch andere Themen
hörungen gesagt wird und welche Kritikpunkte existieren. Das Verständnis dafür, wie Urheberrecht und Grundeinkommen werden recht gut nachgefragt. Sofern der
Regierungsarbeit transparenter zu machen, ist hier längst angekommen – einzelne Bundestag sich diesem Format öffnet und es adäquat in den Arbeitsprozess einbin-
Initiativen sind sogar schon mehr als zehn Jahre alt. Das Problem ist aber, dass die det, wird dies vermutlich auch so weitergehen. Ich glaube aber nicht, dass dies der
Projekte in Deutschland schlechter verkauft und teilweise auch sehr kompliziert dar- Weg ist, auf dem sich die Internetgeneration – oder die Generation Upload, wie im-
gestellt werden: Man hat den Dreh noch nicht gefunden, diese Angebote auch auf mer man sie auch nennen mag – ausschließlich engagiert. Denn hier kommen wir
eine bürgerkompatible Weise umzusetzen. zur Piraten-Partei, die möglicherweise sehr gut passen könnte zu dem politischen
Interesse und der Aktivität von Leuten, für die das Internet ein zentraler Lebensinhalt
Auf der Ebene der Parteipolitik - welche Vorteile bietet die direkte Kommuni- ist. Die viel beklagte Politikverdrossenheit ist meiner Meinung nach in hohem Maße
kation mit dem Bürger denn den Parteien? eine Parteienverdrossenheit: Parteien gelten Vielen als geschlossene Machtapparate,
zu denen nur diejenigen Zutritt erhalten, die sich schon sehr früh und sehr intensiv
Das ist noch eine andere Baustelle: Die Parteien freuen sich über einen neuen Kanal, einbringen. Gleichzeitig ist den Meisten bewusst, dass politischer Einfluss auch noch
um die Bürger direkt anzusprechen. Im zweiten oder dritten Zug müssen sie dann längerfristig an die Existenz von Parteien gebunden ist. Es wird sich bald entschei-
aber feststellen, dass diese möglicherweise keine Parteimitglieder sind, und vielleicht den: Entweder verändern die etablierten Parteien in nächster Zeit ihre Partizipati-
auch keine werden wollen. Noch komplizierter wird es, wenn sich herausstellt, dass onsregeln, indem sie etwa ihre strikten Mitgliederkriterien öffnen. Oder es finden
die altgedienten Parteimitglieder den neuen Kommunikationsmöglichkeiten gar sich Parteien, die gewissermaßen auf der Arbeitsebene den Gegenbeweis antreten
nicht so offen gegenüberstehen. Es ist eine völlig andere Situation in Deutschland im und demonstrieren, dass politische Prozesse innerhalb von Parteien auch anders
Vergleich zu den USA, was die Klientel angeht. In den Vereinigten Staaten kann prin- ablaufen können als bisher. Die Piratenpartei hat eine realistische Chance, sich län-
zipiell jeder mitarbeiten, der das möchte. In Deutschland gibt es jedoch ein Klassen- gerfristig zu etablieren, wenn die etablierten Parteien sich nicht öffnen und es nicht
system, eine starke Unterscheidung zwischen Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern. schaffen, eine ordentliche Agenda zu Politik und Netz aufzubauen.
Die Parteien können zwar mit ihren Kampagnen im Netz sicherlich einige Menschen
für Politik interessieren, die keine Parteimitglieder sind. Es stellt sich jedoch spätes-
tens nach einer Wahl die Frage, wie Politiker ihre Anhängerschaft, die sie kurzfristig
über Facebook und Twitter rekrutiert haben, langfristig in die politische Arbeit ein-
binden sollen – da bin ich sehr gespannt.

Erwarten Sie, dass das nach der Bundestagswahl 2009 wie schon 2005 alles
wieder eingedampft wird?

Nein, ich glaube schon, dass es diesmal etwas nachhaltiger sein wird. Online-Wahl-
kampf ist nichts Exotisches mehr, er nutzt alltägliche Mainstream-Formate, mit de-
nen man sich längerfristig auseinandersetzen muss. Bei Twitter und Facebook wird
es auffallen, wenn die Politiker nur bis zur Wahl präsent sind, weil sie sich dort festen

7
Die Schulnoten der Kinder kontrollie-
ren, den Fahrschein in der Straßen-
bahn lösen oder eine neue Regierung
wählen – alles mit einer Chipkarte.
Wie ein kleiner Baltenstaat zum
Versuchsfeld der Digitalisierung und
Zentralisierung unterschiedlichster
Gesellschaftsfunktionen avanciert und
was man davon lernen kann.

von Benjamin Liebsch

luxus oder leichtsinn?


E-Stonia ministration geworden. Von dieser Art Einsatz von Wahlgeräten“ verboten,
der direkten Kommunikation zwischen weil eine ausreichende Sicherheit und
Ziemlich unglaublich, aber wahr. Was Bürgern und Administration sind andere Kontrolle des Wahlaktes damit nicht
hier gerade beschrieben wurde, ist schon Staaten noch weit entfernt. gegeben sei. In Estland macht man sich

die id-card in estland wird


heute Realität – zwar nicht in Deutsch- über diese und ähnliche Probleme weni-
land, dafür aber in Estland, nur dass die E-Vote ger Gedanken. Als der Präsident des Lan-
Bürger-Card hier ID-Card heißt. Der des 2005 sein Veto gegen das neue Wahl-
kleine Baltenstaat hat nach seiner Un- Die Funktionen der ID-Card gehen mitt- gesetz einlegte, wurden seine Bedenken

zum zentralen daten-


abhängigkeit 1991 die Weichen für einen lerweile sogar weit über das hinaus, was einige Wochen später vom estnischen
neuen „digitalen Staat“ gestellt. Was in oben beschrieben wurde. So können sich Verfassungsgericht beiseite geräumt. Es
Deutschland schon aufgrund der föde- Eltern etwa online auch über die Schul- sah das Prinzip „one man – one vote“
ralen Struktur und den zahlreichen ins- noten ihrer Kinder informieren. Eine nicht einmal dadurch gefährdet, dass

speicher jedes bürgers


titutionellen Vetospielern als nahezu un- offizielle E-Mail-Adresse bekommt je- die Internetwähler ihre Stimme in der
möglich erscheint, wurde in dem kleinen des Kind heute selbstverständlich schon Wahlphase beliebig oft online korrigie-
Ostseestaat mit seinen rund 1,3 Millio- zur Geburt vom Staat „geschenkt“. Eine ren können.
nen Einwohnern schnell und zielstrebig der wichtigsten und international meist Natürlich ist die Wahlfunktion des neu-
umgesetzt. Schon seit einigen Jahren hat beachteten Funktionen der ID-Card ist en estnischen Ausweises ein besonders
„E-Stonia“ den Ruf eines Vorzeigelan- allerdings die Möglichkeit, mit ihr wäh- prominentes Beispiel geworden, weil
Der neue Personalausweis heißt jetzt offiziell „Bürger-Card“ und sieht genauso aus des, wenn es um die digitale Integration len zu können. Seit 2005 können die sich auch andere demokratische Staa-
wie viele andere Chipkarten im Portemonnaie. Das Kartenlesegerät für den Laptop der unterschiedlichsten Lebensbereiche Esten nämlich vom heimischen PC aus ten seit einiger Zeit mit diesem Thema
wurde bereits geliefert. In einem gesonderten Brief erhält Jonas Amis – 46 Jahre alt geht. Kern dieser Kampagne ist dabei die ihre Stimme in die „virtuelle Wahlur- beschäftigen und neugierig den kleinen
und Abteilungsleiter bei einer großen Buchhandelskette – nun eine PIN-Nummer Digitalisierung der öffentlichen Verwal- ne“ werfen. Ähnliche Projekte werden Baltenstaat beobachten. Aber nicht nur
und eine Reihe von Info-Materialien, darunter Hinweise zur Einrichtung seines tung, die der damalige Ministerpräsident derzeit auch in anderen Ländern entwi- die Online-Wahl ist beeindruckend.
Bürgerkontos auf dem Portal buergernetz.de. Jonas öffnet die Website und startet Mart Laar schon 1992 propagierte, um ckelt. Zum Beispiel in der Schweiz, wo Es ist vielmehr der gesamte Prozess der
seine Online-Registrierung. Das Prozedere ist anderen Online-Registrierungen sehr aus dem maroden Planstaat ein moder- gerade stufenweise ein elektronisches technischen Innovation, den Estland mit
ähnlich und geht schnell von der Hand. Lediglich die Auswahl der Partnerorganisa- nes demokratisches Gemeinwesen zu Wahlverfahren eingeführt wird. Bis 2011 seinem Großprojekt digitale ID-Card
tionen nimmt etwas Zeit in Anspruch. Eine halbe Stunde wird der Abschluss der machen. Seitdem wurden erhebliche dürfen allerdings maximal 10% der Be- betreibt. Der Staat ist zum Initiator ei-
Registrierung per E-Mail an sein neues Konto jonas.amis@deutschland.de bestätigt. Fortschritte gemacht. völkerung online wählen gehen. Diese ner ganzen Innovationskette geworden,
Besucht man heute die offizielle Website Begrenzung zeigt das Misstrauen, das in der unterschiedlichste politische,
Schöne neue Welt? Estlands, hat man zunächst gar nicht den die Eidgenossen der neuen Methode wirtschaftliche und private Funktionen
Eindruck, auf einer staatlichen Internet- noch entgegen bringen. Auch in anderen in einem Datenträger vereint werden.
Seine neue Bürger-Card ermöglicht es Jonas Amis, seine Steuererklärung online ab- seite gelandet zu sein. Das bunte und ge- Staaten sind die ersten Gehversuche hin Dieser eröffnet dem Bürger, Kunden
zuwickeln und vieles Andere am PC zu erledigen, wofür er zuvor noch auf dem Amt radezu jugendliche Design erinnert eher zur digitalen Stimmabgabe noch verhal- oder Privatmenschen – je nachdem, wie
seine Unterschrift leisten musste. Das neue Kartenlesegerät ermöglicht es, sich online an einen Software-Hersteller oder einen ten. In Deutschland hat das Bundesver- er seine ID-Card gerade nutzt – neue
zweifelsfrei zu identifizieren. Praktischerweise funktioniert diese Online-Verifizie- Online-Dienstleister. Dies sollte aber fassungsgericht Anfang des Jahres „den Möglichkeiten und Bequemlichkeiten.
rung nicht nur bei der Kommunikation mit dem Amt, sondern auch für sämtliche Zah- nicht darüber hinwegtäuschen, dass der
lungsvorgänge im Internet. Auch an der Kasse im Supermarkt kann er mit der Chip- interessierte Besucher oder Bürger mit
karte zahlen und sogar Geld bei seiner Bank abheben, wenn sie denn zu den Partnern einem bestimmten Anliegen hier nahe-
der Bürger-Card gehört – fast wie bei Payback also. Seine alte Krankenkassenkarte kann zu alles findet, was er benötigt. So kön- Benjamin Liebsch
ist Student im Masterstudiengang Politikmanagement
Jonas derweil entsorgen. In Zukunft werden alle seine Patientendaten auf der Bürger- nen etwa Wohnortregistrierungen oder an der NRW School of Governance und beschäftigt
Card gespeichert. Und bei der kommenden Bundestagswahl braucht er sich weder um Steuererklärungen über den Bürgerser- sich mit Umwelt- und Europapolitik sowie seinem VW
das Wetter noch die Adresse des Wahllokals zu kümmern. Wählen kann er jetzt von vice papier- und problemlos abgewickelt Käfer BJ 1971. Er hält einen Bachelor of Arts in Ge-
schichte & Politik der HHU Düsseldorf und sammelte
zuhause aus, indem er sich unter buergerservice.de einloggt und das digitale Kreuz werden. Das Internet ist so zur realen praktische Erfahrungen im nordrhein-westfälischen
setzt – und das schon bis zu sieben Tage vor dem Wahltermin. Schöne neue Welt! Schnittstelle zwischen Bürger und Ad- Umweltministerium sowie bei der METRO Group.

9
Chancen und Risiken der Politikver-
mittlung von Computerspielen

von Bastian Stein

Diese „Funktionsfusion“ in einer ein- cke zu nutzen. Schon heute gibt es einen Computerspiele in der gesellschaftlichen Diskussion –
zigen Karte ist erstaunlich und irgend- regen Handel mit den Daten der Bürger, unterschätzt und überbewertet
wie beneidenswert – zumindest, wenn wie nicht zuletzt ein Bericht des ZDF
man an das Sammelsurium von Karten mit dem treffenden Titel „Der gläserne Winnenden, Emsdetten, Erfurt sind die Orte, welche die politische Debatte über
in der eigenen Brieftasche denkt. Viele Deutsche“ aus dem Juli diesen Jahres Computerspiele fast ausschließlich geprägt haben. Die intensive Nutzung gewaltver-
Vorteile der seit 2002 in Umlauf befind- deutlich gezeigt hat. Wenn es also schon herrlichender Spiele durch überwiegend männliche Jugendliche gilt zumindest als
lichen ID-Card liegen also auf der Hand. jetzt möglich ist, personenbezogene Da- eine der möglichen Ursache der Amokläufe. Neben den so genannten Killerspielen
Vor allem die elektronische Signatur ist ten aus verschiedenen Lebensbereichen haben andere Aspekte einen schweren Stand in der Öffentlichkeit. Ähnliche Auf-
eine Innovation, die für ein sinnvolles zu einem umfassenden Lebensprofil zu merksamkeitswerte erzielen vielleicht gelegentliche Diskussionen um die mutmaß-
eGovernment als unabdingbar erscheint. kombinieren, sollte man sich überlegen, liche soziale Verwahrlosung der World-of-Warcraft-Spielerschaft und die Eröffnung
Eine Reihe weiterer EU-Länder verwen- ob dies noch weiter vereinfacht werden einer schwedischen Botschaft in der virtuellen Welt Second Life. Das überwiegende
den zwar ebenfalls Chipkarten als Aus- sollte, indem gleich alle Daten auf einer Echo scheint das Phänomen Computerspiel als Bedrohung wahrzunehmen. Es lie-
weisdokumente, allerdings haben diese Chipkarte geliefert werden. ße sich danach fragen, ob diese Darstellung überwiegend durch Offliner und Nicht-
kaum zusätzliche Funktionen. Aber auch Auf Deutschland oder andere große Spieler erfolgt und die Betroffenen die klassischen Medien weder nutzen noch in
in Deutschland soll ab November 2010 Staaten lassen sich die estnischen Inno- ihnen zu Wort kommen. Obwohl dieser Artikel sich mit der – laut dem Politikwis-
ein elektronischer Personalausweis im vationen ohnehin nur beschränkt über- senschaftler Tobias Bevc bisher vernachlässigten – Politikvermittlung von Compu-
Scheckkartenformat eingeführt werden, tragen. Die sozio-ökonomischen und terspielen befasst, lässt sich in diesem Zuge mit einem Vorurteil aufräumen.
mit dem wie in Estland eine elektroni- politischen Gegebenheiten in einem
sche Signatur im Internet möglich sein Föderalstaat mit 82 Millionen sind von

politisch spielen?
wird. denen eines kleinen zentralistischen
Staates mit 1,3 Millionen Einwohnern
E-Security? weit entfernt. Trotzdem lohnt es sich,
die Entwicklungen dort genau zu beob-
Estland wird mit seiner ID-Card wohl achten, um zu gegebener Zeit bewährte
noch eine ganze Weile Vorreiter blei- Methoden aus dieser europäischen Ex-
ben: Während Diskussionen über Miss- perimentierstube zu übernehmen. Üb- Das Computerspiel als Breitensport
brauchsmöglichkeiten hier nur verein- rigens: Bei der nächsten Wahl soll dort
zelt entstehen, werden anderswo noch auch die Stimmabgabe per SMS möglich Computerspiele sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen und dem
erhebliche Sicherheitsvorbehalte for- sein. Estland sucht den Weg in die (di- Kinderzimmer jugendlicher männlicher Nerds entwachsen. Die Studie „Spielplatz
muliert. Die Möglichkeiten, Daten der gitale) Demokratie des 21. Jahrhunderts Deutschland“ aus dem Jahr 2006 ergab, dass ca. 31% der Bevölkerung der Bundesre-
Bürger auszuspionieren und zu mani- und leistet dabei zweifelsohne wertvolle publik zumindest hin und wieder Computerspiele nutzen. Der überwiegende Anteil
pulieren, erscheinen allerdings auch als Pionierarbeit für den Rest der Welt. der Computerspieler machen Freizeitspieler (54%) – durchschnittlich 44 (!) Jahre alt
vielfältig. Allein durch die vielen Schrit- – und Gewohnheitsspieler (24%) aus. Intensivspieler stellen lediglich einen kleinen
te, die bei der Online-Wahl zwischen Teil (5%) der Gesamtheit. Computerspielen ist längst eine Breitenbeschäftigung.
Stimmabgabe und Stimmauszählung
nötig sind, um die Daten zu sammeln,
zu verschlüsseln, zu anonymisieren
und auszuwerten, entstehen neue Ri- Bastian Stein
sikofaktoren. Ein Personalausweis, der hat in Erfurt Staatswissenschaften mit dem
Schwerpunkt Wirtschaft und Recht studiert. Neben
gleichzeitig Patientendaten enthält und politischem Engagement u.a. als Vorstand des
Zahlungsmittel ist, bietet einer Vielzahl Erfurter Studierendenrates war er in verschiedenen
unterschiedlicher Interessen erhebliche Unternehmensberatungen beschäftigt. Bastian Stein
gehört zum Abschlussjahrgang 2009 des Masterstu-
Verlockungen, Zugriff auf diese Daten diengangs Politikmanagement an der NRW School of
zu erhalten und sie für die eigenen Zwe- Governance.

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Politikvermittlung durch Medien auf, ob im Vergleich zu anderen Medien Alexander Weiß, Politikwissenschaftler erarchisch organisierte Spielwelten und gendlichen über politische Prozesse zu
die kritische Distanz zur Spielfigur fehlt. an der Universität Hamburg, sieht Com- straffe Befehlsstrukturen („Preußen- erhöhen und damit Politikverdrossen-
Mit der Ausdifferenzierung und zuneh- „Wenn er auf diese Weise das Erleben puterspiele als Aufbewahrungsform des tum“) sowie konservative Moral- und heit zu verringern. Wie bei der Internet-
menden Nutzung von Computerspie- und die Motive der Protagonisten beob- Politischen. Die politischen Aussagen Strafphilosophie treten zu Tage. Um- nutzung des Obama-Wahlkampfes sind
len stellt sich wie bei anderen Medien achtet, wird ihm letztlich suggeriert, dass von Computerspielen analysierte er am fragen unter Spielern und Nichtspielern aber auch hier die Vereinigten Staaten
die Frage nach der Politikvermittlung. die gemachten Erfahrungen seine eige- Beispiel des Spieles Civilization, einer- haben ergeben, dass Spieler häufiger die den europäischen Verhältnissen voraus.
„Politikvermittlung bringt das Erkennt- nen sind“ meint der Politologe Holger seits durch die Sequenzierung von Han- genannten Werte befürworten und sich Schon 2002 veröffentlichte die United
nistheoretische Grundphänomen zum Zapf, der sich mit den gesellschaftlichen deln und Erleben und anderseits durch auf der politischen Skala eher rechts ein- States Army den Egoshooter America’s
Ausdruck, dass Politik – auch für politi- Auswirkungen von Computerspielen den Highscore. Der Highscore lässt ordnen als Nichtspieler. Klimmt vermu- Army. Es dient laut Aussagen der Armee
sche Akteure – ein überwiegend massen- beschäftigt. Häufig enthalten Computer- den Spieler die Handlungsfolgen seiner tet dahinter einen Sozialisationseffekt vor allem der Popularitätssteigerung des
medial ‚vermitteltes‘ Geschehen ist, das spiele auch transmediale Elemente aus Entscheidungen erleben und bewertet von Computerspielen. Heeres und als „cost-effective recruit-
politische Realität nicht einfach abbildet, der realen Welt, etwa Zeitungsartikel, diese in einem Punktesystem. In dem ment tool“. Und es ist natürlich kosten-
sie vielmehr – subjektiv und objektiv – Fernsehbeiträge, Grafiken und Texte, die Fallbeispiel war die Überlegenheit der Chancen und Risiken – los im Internet verfügbar – samt Online-
erst durch die Publizität mitkonstruiert“, dem Spieler das Gefühl vermitteln, mit westlichen Zivilisation, der Erfolg von von Counterstrike zu Edutainment Rekrutierungsportal.
so der Politik- und Medienwissenschaft- seinem Spiel in Bezug zum realen Ge- militärischen Interventionen und der ul-
ler Ulrich Sarcinelli. Zwar kann über die schehen zu stehen. Was bedeutet das für timativen Steuerbarkeit der Gesellschaft Es gibt genügend Gründe, sensibler mit
Machtverteilung zwischen Medien, Poli- die Vermittlung politischer Botschaften? durch staatliche Institutionen nur einige der Konstruktion politischer Wirklich-
tik und intermediären Institutionen ge- Die Konstruktionsleistung gilt für die der – wenn auch durch die Spieleent- keit durch Computerspiele umzugehen.
stritten werden, aber der grundsätzliche Vermittlung von politischen Inhalten, wickler unbeabsichtigten – politischen Das gilt nicht nur für die Spieleentwick- Quellen:
Einfluss medial vermittelter Wirklich- auch wenn Computerspiele bzw. deren „Wirklichkeit“ des Spiels. Die Anfällig- ler selbst. Durch das einzigartige Hand- Bevc, Tobias (Hg.), 2006: Computerspiele und Politik.
keit auf die öffentliche Meinung und da- Entwickler dies nicht offensichtlich be- keit, die „Ideologie des Programmcodes“ lungserleben eignen sich Computerspie- Zur Konstruktion von Politik und Gesellschaft in
mit Politikentscheidungen ist anerkannt absichtigen. Tobias Bevc fasst wie folgt für Abbildungen der realen Welt zu hal- le hervorragend zur Übermittlung von Computerspielen. Münster: Lit Verlag
zusammen: „Computerspiele beinhalten ten, steigt mit zunehmender Unkennt- Botschaften. Die Industrie greift diese Klimmt, Christoph, 2006: Computerspiele und
Konstruktion politischer kaum explizite politische Aussagen; geht nis realer politischer Prozesse durch den Möglichkeit mit der Entwicklung von politischer Konservatismus unter Jugendlichen,
Wirklichkeit im Spiel man aber von einem sehr weit gefassten Nutzer. Advertise Games auf. Aber auch die rech- Vortrag auf dem Workshop „Konstruktion von Politik
und Gesellschaft in Computerspielen?“, München,
Begriff von Politik aus, manifestieren te, linke und islamistische militante Sze- 19.-20.Oktober 2006
Die Besonderheit von Computerspie- sich politische Aussagen beispielswei- Christoph Klimmt, Inhaber einer Juni- ne setzt längst nicht mehr nur auf Schul-
len im Unterschied zu anderen Medien se in der Darstellung von Spielern und Gerhards, Jürgen, 1998: Konzeptionen von
orprofessor für Publizistik mit Schwer- hof-CDs oder Broschüren, sondern mehr
Öffentlichkeit unter heutigen Medienbedingungen, in:
liegt laut Tobias Bevc im Zusammenfall Gegenspielern oder auch der Rolle von punkt Online-Kommunikation an der und mehr auf „harmlose“ Spiele, um mit Jarren, Otfried und Krotz Friedrich (Hg.): Öffentlichkeit
von Spiel und Erzählung – von Ludologie Gewalt – etwa wenn der Spielverlauf Johannes-Gutenberg-Universität in ihren Botschaften neue Zielgruppen zu unter Vielkanal-Bedingungen, Baden-Baden: Nomos
(Lehre vom Spiel) und Narration. Wäh- Gewaltanwendung erfordert, um den Mainz, hat den Zusammenhang von erreichen. Langsam nimmt auch Politik Luhmann, Niklas 2004: Die Realität der
rend der Spieler im Spielgeschehen eine Gegner zu besiegen […] Weitere politi- Computerspielkonsum von Jugendli- und Verwaltung diesen Aspekt jenseits Massenmedien, Wiesbaden: VS Verlag
Geschichte und ein Ziel verfolgt, ist er sche Themen sind zum beispielsweise chen, den inhaltlichen Botschaften von von der Debatte um Amokläufe wahr.
Sarcinelli, Ulrich, 1998: Mediatisierung, in: Politische
bei der Wahl der Mittel und der Wege die Darstellung der Entwicklung der Spielen und der politischen Präferenz der So beschäftigt sich eine Abteilung der Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft.
abhängig von den programmierten Re- Menschheit oder einer Gesellschaft, Fra- Spieler in einer noch unveröffentlichten Bundeszentrale für politische Bildung Ein Handbuch mit Lexikonteil, Wiesbaden: VS Verlag
gelstrukturen. Andere Wege als die gen von Polizeigewalt, Gesetzlosigkeit, Studie untersucht. Dieser zufolge ver- mit Computerspielen im Zusammen-
Spielplatz Deutschland 2006: Spielplatz Deutschland,
durch die Gamedesigner vorgeschriebe- Mindestlöhnen, Steuern, menschlichem mittelten die untersuchten Spiele vor hang mit politikfernen Zielgruppen. Zu URL: http://www.spielplatzdeutschland.de/
nen sind – bisher – nicht möglich. To- Zusammenleben im Spielverlauf etc. In allem konservative Werte wie Gewalt Wahlkampfbeginn im Superwahljahr
bias Bevc nennt dies die „Ideologie des all diesen Aspekten lassen sich, vor allem als legitimes, planbares sowie erfolgrei- 2009 entstanden unzählige Mini-Spiele, Weiß, Alexander, 2006: Computerspiele als
Aufbewahrungsform des Politischen. Politische
Programmcodes“. Der Spieler ist hierbei wenn man sie jeweils in ihren jeweiligen ches Mittel der Konfliktlösung, Wettbe- frei verfügbar für den Wähler im Netz. Theorie in Age of Empires und Civilization, in: Bevc,
noch einschlägiger in das Geschehen Spielkontexten sieht, genuin politische werbsdenken und „Sozialdarwinismus“, Das Browsergame Power of politics wur- Tobias 2006, S. 77-98
involviert als zum Beispiel bei der Lek- Aussagen erkennen“. Orientierung an Markt und Wettbewerb, de eigens in Zusammenarbeit mit dem
Zapf, Holger 2006: Anmerkung zur visuellen
türe eines Textes oder dem Sehen einer Auftreten patriotisch-nationaler Sym- österreichischen Bundesrat entwickelt, Kommunikation im Medium Computerspiel. In: Bevc,
Fernsehsendung. Dies drängt die Frage bole und „staatstragender“ Akteure. Hi- um spielerisch die Kenntnisse von Ju- Tobias 2006, S. 99 - 113

13
Meinungsfreiheit war lange ein wenig
bekanntes Wort im Nahen Osten.  
Dieses änderte sich spätestens mit
der Gründung der Plattform
Mideastyouth.com von Esra’a Al
Shafei. Aber wie revolutionär kann das
Web 2.0 in der krisengeschüttelten
Region sein? Eine kontextuelle Be-
trachtung der Plattform und ein Porträt
ihrer Gründerin Esra’a Al Shafei

von Alice Berger

Das Internet erleichtert den für eine Demokratie wesentlichen gesellschaftlichen


Diskurs. Besonders in autoritär geführten Staaten birgt das Web 2.0 erhebliche
Chancen für die Verbreitung und Festigung von demokratischen Werten. Dessen
sind sich Soziologen und Kommunikationswissenschaftler schon lange vor den
jüngsten Ereignissen im Iran bewusst geworden. Jürgen Habermas sieht darin seine
Grundthese des deliberativen demokratischen Verfahrens bestätigt: Demokratische
Strukturen können sich nur dann herausbilden, wenn innerhalb der Bevölkerung so
viel Austausch wie möglich stattfindet. In einem Auszug seiner Kleinen Politischen
Schriften heißt es: „Die computergestützte Kommunikation […] unterminiert die
Zensur autoritärer Regime, die versuchen, spontane öffentliche Meinungen zu kont-
rollieren und zu unterdrücken“. Besonders Twitter bietet als das neuste Social Medi-
um die Möglichkeit, unmittelbar und breit gestreut Meinungen frei zu äußern bzw.
auszutauschen, und so den digitalen Aktivismus anzukurbeln. Aber auch Blogs und
Web-Portale sind hierfür – vor allem in Hinblick auf fundierte Diskussionen und den
gesellschaftlichen Dialog – aus der digitalen Welt nicht mehr wegzudenken.

Esra’a Al Shafei – Eine wie Keine

Das Internet ist folglich ein Garant für Meinungsfreiheit und Austausch in Ländern,
wo Zensur und staatliche Kontrolle der Medien gang und gäbe ist. Auch Esra’a Al
Shafei hat das große Potenzial erkannt, das das Medium mit sich bringt. Die 25-jäh-
rige Internetaktivistin weiß, was es bedeutet, unter Zensur zu leben, zu denken und
vor allem zu schweigen. Esra’a kommt aus dem Inselstaat Bahrain, wo schon seit
langer Zeit Internetseiten mit innenpolitischen Inhalten – und seit Beginn diesen
Jahres auch zunehmend Web 2.0-Formate wie beispielsweise Social Media Plattfor-
men – gesperrt werden. So wird der Zugang tausender Web-Seiten verhindert. Das
sei allerdings noch harmlos im Vergleich zu Syrien oder dem Iran, so Esra’a, wo die
Anzahl der zensierten Web-Seiten in die Millionen gehe. Die Region Naher Osten ist
geprägt von gewaltsamer Unterdrückung der Meinungsfreiheit und des öffentlichen

im krieg mit
politischen Diskurses.
Doch die engagierte, enthusiastische junge Frau lässt sich von der staatlichen Re-
pression dieser Länder nicht einschüchtern. Mit 19 Jahren gründete Esra’a ihre erste
bedeutende Plattform Mideastyouth.com, die in den nachfolgenden Jahren durch

staatlichen filtern –
ein Netzwerk aus weiteren Projekten ergänzt wurde. Frustriert sei sie gewesen über
die von Vorurteilen belastete und einseitige Darstellung der Jugendlichen in den

das internet als garant


Alice Berger
hat von September 2004 bis Juli 2007 an der Uni-
versität Maastricht den Bachelor in European Studies
absolviert. Nach Praktika beim Forum for Active
Philanthropy gGmbH (Berlin), der Welthungerhilfe e.V.

für meinungsfreiheit
(Bonn) sowie bei dem German Institute of Global Area
Studies (Hamburg) studiert sie seit dem Winterse-
mester 2008/2009 den Master Politikmanagement
an der NRW School of Governance.

15
Zusammengestellt

von Isabelle Sonnenfeld


und Alexander von Freeden

kein kommentar
Medien des Nahen Ostens. Daraufhin ständig neu gefundenen Wege, der staat-
habe sie das Ganze selbst in die Hand lichen Kontrolle zu entgehen, werden
genommen. Heute tauschen sich auf schnell vom Staat eingeholt. „Wir be-
der Plattform Mideastyouth.com neben finden uns im Krieg mit den staatlichen
Muslimen und Juden auch Christen, Filtern“, so Esra’a im Interview auf Gul-
Perser und Araber, Sunniten und Schii- li.com. Und nicht nur mit Zensur ist zu
ten sowie Türken und Kurden über ihre kämpfen. Immer wieder ist von Verfol- „Browser? Was sind denn jetzt nochmal Browser?“
Meinungen, Leidenschaften, Hoffnun- gung und Inhaftierung die Rede – auch Brigitte Zypries, 2007
gen, politischen Einstellungen und Ide- bei Esra’a. Die Blogger seien zunehmend
ale aus. Mideastyouth.com bietet zum gefährdet - vor allem, wenn sie über lo- „Das Handy zu bedienen ist schon viel. […] Ich habe Gott sei Dank Leute,
ersten Mal eine Gelegenheit, „die Jugend kale Angelegenheiten diskutieren. die für mich das Internet bedienen.“
des Nahen Ostens im globalen Diskurs Obwohl demokratische Elemente lang- Michael Glos, 2007
in all ihrer Tiefe, ihrer Gefühle und ihrer sam Einzug in die Gesellschaften des
Komplexität darzustellen“, so Esra’a in Nahen Ostens halten, kann von einer di- „Ich weiß nur, dass es Leute gibt, die da so ein Programm entwickelt haben, womit
einem Interview mit Simon Columbus gitalen Revolution und einem Siegeszug man mit einzelnen Fundwörtern dann was finden kann, aber ich mach’ das nie.“
von dem Nachrichtenportal Gulli.com. der Demokratie in der Region noch lan- Hans-Christian Ströbele, 2007
Die Vielfalt der zu diskutierenden The- ge nicht die Rede sein. Ein erster Schritt
mengebiete wie Menschenrechte, Reli- allerdings ist getan und mutige Beispie- „Das Internet macht doof.“
gion, Minderheiten und Freizeit sowie le wie Esra’a al Shafei geben Hoffnung. Henryk M. Broder, 2007
die Vielfalt der teilnehmenden Blogger Letztlich kommt es aber auch darauf an,
erlaubt eine differenziertere Betrachtung wer das Rennen des technischen Fort- „Der Computer ist für mich eher so ein ganz einfaches Instrument.
der unterschiedlichen Ansichtsweisen schritts gewinnt: die staatliche Kont- Wie ein Hammer oder ein Nagel.”
auf Mideastyouth.com. Und das ist ganz rolle oder die Nutzer. Währenddessen Guido Westerwelle, 2007
im Sinne der Habermas’schen Grund- sind die auf der Straße auszutragenden
these. Kämpfe gegen die repressiven Regime „Was berechtigt eigentlich jeden Computerbesitzer,
wohl unumgänglich und können durch ungefragt seine Meinung abzusondern?“
Die Reichweite der das Internet nicht ersetzt werden. Wenn Jean-Remy von Matt, 2006
Meinungsfreiheit „im Geheimen“ offline und online-Welt jedoch mitein-
ander verbunden werden, können sich „Wir haben das Internet als interaktives Medium überschätzt.“
Sind also autoritär geführte Staaten der interkulturelle Austausch und die Dieter Gorny, 2002
durch Plattformen – wie Mideastyouth. Demokratisierungstendenzen nachhal-
com von Esra’a Al Shafei – auf dem Weg tig etablieren. „Außerdem bin ich anständig, mir muss das BKA keine Trojaner schicken.“
zur Demokratie? Eine waghalsige Ver- Wolfgang Schäuble, 2007
mutung. Die aktuellen Beispiele im Iran
haben zwar gezeigt, welch immenses „Wenn irgendwann so etwas auftaucht wie Acrobat Reader, ist für mich auch schon
Ausmaß digitaler Aktivismus nehmen wieder Feierabend. Ich habe es auch noch nie geschafft, im Internet Musik anzuhö-
kann. Und auch Esra’a zeigt Wege auf, ren oder mir einen Videoclip anzugucken. Ich habe auch keinen Drucker. Und was
wie Austausch in der Bevölkerung und ich im Jahr vielleicht drei mal mache, ist, einen Text zu mailen.“
zwischen verschiedenen Religionen, Harald Schmidt, 2003
Kulturen und ethnischen Gruppierun-
gen auf eine friedfertige, neugierige Art „Das Internet? Gibt’s diesen Blödsinn immer noch?“
und Weise möglich ist. Jedoch ist und Homer Simpson
bleibt Zensur Alltag für Blogger und di-
gitale Aktivisten im Nahen Osten. Die

17
Der Wandel unserer Kommunikations-
kultur ist evident und allgegenwärtig – 
doch welche Implikationen für die poli-
tische Entscheidungsfindung und  
ihre Akteure lassen sich identifizieren?

von Andrés Méndez Inclan

Die rasante technische Entwicklung und


die Technikaffinität der Gesellschaft ha-
ben zu einer Revolution der Kommuni-
kation geführt. Während Mobiltelefone
für ständige Erreichbarkeit sorgen, haben
E-Mails längst den klassischen Brief er-
setzt und bewirken einen unverzögerten
schriftlichen Austausch. Längst vorbei
ist die Zeit, in der man mindestens drei
bis vier Tage auf eine schriftliche Ant-
wort warten musste – mit Smartpho-
nes lassen sich E-Mails auch unterwegs
im Moment des Versands empfangen.
Breitbandverbindungen ermöglichen
Videokonferenzen und den intensiven
Datenaustausch quer über den Globus,
während Internetplattformen die Ver-
netzung und den Dialog von unzähligen
Teilnehmern befördern. Nahe liegt also
die Vermutung, dass das Internet auch

das internet als


zu Veränderungen im Verhandlungs-
kontext politischer Entscheidungsfin-
dung geführt hat. Wenn politische Kom-
munikation zukünftig über Bits und

verhandlungskontext
Bytes ausgetragen wird – wo bleibt dabei
die politische Öffentlichkeit?
Wagen wir einen Ausblick in das Jahr
2029: Es ist die erste Plenarwoche des

für politische
22. Bundestages. Die Plenardebatte ist in
vollem Gange, der Bundeskanzler hält
gerade die Regierungserklärung. Nahezu
alle Abgeordneten des Deutschen Bun-

entscheidungsträger
destages sind anwesend – doch der Ple-
narsaal unter der Reichskuppel in Berlin
ist leer. Der Web-Server aber, auf dem

Andrés Méndez Inclan


ist Politologe und absolviert derzeit den Master-
Studiengang an der NRW School of Governance. Der
Autor führte bereits das Büro eines Landtagsabgeord-
neten als dessen persönlicher Referent. Zudem war
er als Wahlkampfleiter bei einer Landtagswahl und als
Mitarbeiter für einen Bundestagsabgeordneten tätig.
Neben seinem Studium war Andrés Mendez Inclán bei
der CHE Consult GmbH beschäftigt.

19
nun alle Plenardebatten virtuell stattfin- oder ein Parlament unter Ausschluss der sondere Bedeutung bei der Problemde- dabei einer journalistischen Auswahl schen Alltag: Wohl jeder politische Ent-
den, ist gut besetzt. Jeder Abgeordnete Öffentlichkeit tagen würde. finition, dem Agenda-Setting und der und Bewertung zu unterliegen. Gleich- scheidungsträger wird stöhnend davon
hat Zugang, kann sich melden, dazwi- Gerade die Frage nach der politischen Politikformulierung zu. In der Realität zeitig lässt sich oftmals ein direktes berichten können, wie viele ungewollte
schenrufen und abstimmen. Wie heute – Öffentlichkeit ist, zumindest für politi- zeigt das Beispiel der Online-Petition Feedback erreichen, während die Dis- und irrelevante E-Mails, Tweets, Pinn-
nur eben virtuell. Vision oder Utopie? sche Entscheidungsträger, eminent. Mit gegen die Sperrung von Internetseiten tanz zwischen Bürgern und Politikern wandeinträge und andere Nachrichten
ihr steht und fällt die Legitimation einer durch das BKA und die damit verbun- schwindet. ihn jeden Tag erreichen und wieviel Zeit
Das Internet – politischen Entscheidung. Im Kern geht dene „Zensursula“-Kampagne, dass der die Bearbeitung und Beantwortung kos-
die Agora der Zukunft? es hier um das altgriechische Demokra- virtuelle Demos ein politisches Thema Auf der anderen Seite erschwert aber tet.
tieideal, bei der die Öffentlichkeit als Po- eindringlich auf die Agora tragen kann. diese ständig präsente Öffentlichkeit
Zurück in die Gegenwart: Einverstan- lis auf der Agora teilnimmt. Ob auf den Die Geschwindigkeit von Entschei- Verhandlungen zwischen politischen Festzuhalten bleibt, dass das Internet ei-
den, die Vorstellung eines virtuellen Ple- griechischen Marktplätzen, dem römi- dungsfindungsprozessen wurde durch Entscheidungsträgern. Zum einen lassen nen massiven Einfluss auf den Kontext
narsaales mutet an, als sei sie einem Best- schen Forum Romanum oder im Plenar- das Internet erheblich erhöht. Entschei- sich mit den vielfältigen Möglichkeiten ausübt, in dem politische Entscheidun-
selleroman von J.G. Ballard aus der New saal des Deutschen Bundestages, Politik dungsentwürfe können über E-Mail des Internets nicht nur Informationen gen getroffen werden. Vorsicht scheint
Wave der Science Fiction entnommen. wird in irgendeiner Form öffentlich ge- schnell verbreitet und in Online-Foren verbreiten, die tatsächlich zur Veröf- dort geboten, wo die Technik dazu ge-
Aber vollkommen an den Haaren herbei- macht, um legitimes politisches Handeln diskutiert werden. ICQ, MSN oder fentlichung bestimmt sind – auch unge- nutzt wird, die breite Öffentlichkeit zu
gezogen ist das Szenario vielleicht doch zu gewährleisten. Nahe liegt deshalb die Skype erleichtern die Kommunikation wollte Informationen können schnelle umgehen und Verhandlungen im digi-
nicht, auch wenn es momentan noch als Frage, ob das Internet für den modernen zwischen Entscheidungsträgern, trotz Verbreitung finden. Als es die modernen talen Hinterzimmer auszutragen. Man-
äußerst schwierig erscheint, einer par- Demos die adäquate Agora bildet, also räumlicher Distanz. Immer mehr Poli- Kommunikationsnetze noch nicht gab, gelnde Legimität wäre die Folge. Für Po-
lamentarischen Debatte zwischen den ob der mündige Bürger das Internet als tiker nutzen das Internet, um ihr poli- war es etwa für Journalisten wesent- litiker ist es derweil angenehm mit den
etwa 600 Abgeordneten virtuell gerecht politischen, öffentlichen Raum nutzen tisches Handeln der Öffentlichkeit zu lich schwieriger, an geheime Verhand- Bürgern kommunizieren zu können,
zu werden. Doch wer weiß – zukünf- kann. vermitteln: Über Facebook, StudiVZ, lungsergebnisse zu gelangen oder aus ohne Umwege und ohne von redaktio-
tige technische Entwicklungen mögen Twitter, Blogs und andere Plattformen Verhandlungen heraus zu berichten, nellen Gnaden abhängig zu sein. Diesen
auch dies möglich machen. Schon heute Verhandlungen um Millionen wird in Echtzeit eine aufmerksame poli- die unter Ausschluss der Öffentlich- wiederum eröffnet das Internet einen
werden handfeste Verhandlungspro- tische Öffentlichkeit erzeugt. keit stattfanden. Mit dem Mobiltelefon neuen Rückkanal, so dass ein Mehr an
zesse in die virtuelle Sphäre verlagert, Während es sich in der globalisierten wurde dies schon wesentlich leichter, Kommunikation und Interaktion mögli-
so etwa in Großbritannien. Hier wird Wirtschaft mittlerweile längst etabliert Die Distanz schwindet, doch die da hiermit die Möglichkeit bestand, sich cherweise das Ergebnis ist, in jedem Fall
gerade in einer Probephase die virtuelle hat, Verhandlungen über Millionenge- Arbeitsbelastung wächst per SMS aus einer laufenden politischen aber auch eine Mehrbelastung für Poli-
Gerichtsverhandlung eingeführt: Nach schäfte per Videokonferenz zu führen, Verhandlung heraus mitzuteilen. Das tiker provoziert. Und was die eingangs
einer Festnahme kann am selben Tag tun sich politische Entscheidungsträger Auf der einen Seite erscheint dies alles Internet aber bietet nun die Möglichkeit, angeführte Vision von der Zukunft der
Anklage erhoben und virtuell vor einem damit noch recht schwer. Das Hoch der wünschenswert. Es lässt sich wohl an- etwa über die Plattform Twitter eine Bundestagsdebatten angeht: Allem tech-
Richter per Webcam der Prozess geführt Gefühle bildet dabei vielleicht einmal nehmen, dass die Verbreitung von In- prinzipiell unbegrenzte Leserschaft mit nologischen Fortschritt zum Trotz wird
werden. Der Anwalt muss dabei noch eine Telefonkonferenz für den Fraktions- formationen durch politische Entschei- einer einzigen Mitteilung aus einer Ver- voraussichtlich auch im Jahr 2029 der
nicht einmal beim Mandanten vor Ort oder Parteivorstand. Verhandlungen um dungsträger nie zuvor so ungehindert handlung heraus in Echtzeit zu erreichen Plenarsaal unter der Kuppel des Reichs-
sein. Es reicht aus, wenn er ebenfalls per wirklich wichtige politische Entschei- vonstatten gegangen ist. Vor der Etab- und so womöglich ihren Ausgang zu be- tags mit Abgeordneten gefüllt sein.
Webcam an der Verhandlung teilnimmt. dungen finden nach wie vor klassisch lierung des Internets waren die Abge- einflussen. Insgesamt hat sich die Takt-
Ob diese Art der judikativen Gewaltaus- von Angesicht zu Angesicht statt. ordneten darauf angewiesen, dass wohl- folge des medialen Schlagabtausches
übung mit dem Öffentlichkeitsprinzip Dennoch spielen das Internet und seine wollende Print- oder Rundfunkmedien stark erhöht. Atemlos werden Blog-
einer Demokratie vereinbar ist, kann neuen Kommunikationsmöglichkeiten ihre Botschaften und Entscheidungen Beiträge, Facebook-Statusmeldungen,
jedoch stark bezweifelt werden. Nicht bereits heute eine nicht zu unterschät- transportierten. Heute sind sie natür- Massen-E-Mails, Gästebuchkommenta-
ohne Grund hat Helmut Schmidt fest- zende Rolle im politischen Verhand- lich immer noch auf ein gutes Verhältnis re und Pressemitteilungen aneinander-
gestellt, dass das Grundrecht der Mei- lungsprozess. Im Policy Cycle, dem zu den Medien angewiesen. Sie können gereiht, so dass der Präsenz- und Recht-
nungsfreiheit für den Bürger nicht viel idealtypischen Modell des politischen aber – und das ist entscheidend – über fertigungsdruck stetig ansteigt. Das hohe
wert wäre, wenn sein Prozess vor einem Prozesses, kommt der politischen Öf- das Internet schnell mit der politischen Informationsaufkommen hat so ganz
Gericht im geheimen verhandelt würde, fentlichkeit durch das Internet eine be- Öffentlichkeit kommunizieren, ohne praktische Konsequenzen für den politi-

21
vom hype 2.0
Über den sozialen Charakter des
Internets und die Konsequenzen für
die Politik.

zum social web


von Sophia Schönborn

Social Networks, Angela Merkels Pod- ten zum potenziellen Produzenten. Die
cast, del.icio.us, Micro-Blogging, Wahl- renommierte Enzyklopädie Britannica
getwitter, Smartmobs – die Liste der Online etwa wurde in ihrer Bedeutung
Begriffe, die im Allgemeinen mit Politik von der Online-Enzyklopädie Wikipe-
und dem Internet in Zusammenhang ge- dia abgelöst und damit publishing mit
bracht oder von vielen unter dem Mantel participation verbunden. Das Problem
der Unwissenheit verstaut werden, lie- bis heute: Der Begriff Web 2.0 ist nach
ße sich ewig lang fortsetzten. Dennoch wie vor nicht eindeutig definiert. Immer
wird fortwährend die Beschreibung ei- mehr zog er in den letzten Jahren Kritik
nes übergeordneten Zusammenhangs auf sich: Er sei zu technisch und „Infor-
erwartet, der für uns die rasanten Verän- matikerchinesisch“, doch verfehlt bleibe
derungen in der digitalen Welt auf den die Beschreibung der eigentlichen Neu-
Punkt bringt. Aber wie soll dieser aus- erung. Eine bloße Transformation, mit-
sehen? Web 2.0 scheint das Schlagwort hin eine zweite Stufe ist vielleicht mit
zu sein, das hier Abhilfe zu schaffen ver- den Zahlen 2.0 zu umschreiben – eine
spricht. Nur ehrlich, hilft uns das weiter? Weiterentwicklung, das Erklimmen ei-
Ist die Aussagekraft dieser Formel nicht ner neuen Qualitätsstufe der Interaktion
genauso zweifelhaft wie Leben 2.0, Po- im Internet wird jedoch eher durch den
litik 2.0, MdB 2.0 oder Stasi 2.0? Dieser Begriff Social Web beschrieben, auch
Beitrag soll ein wenig Licht ins Begriffs- wenn hier zunächst technische und öko-
und Cyberdunkel bringen. nomische Aspekte ausgeblendet werden.
Ob Web 2.0 oder Social Web, der Inhalt
„Informatikerchinesisch“ bleibt dennoch gleich: Es geht um Inter-
aktion, Partizipation, Kommunikation,
Der studierte Philologe und Soft- Austausch, Netzwerkbildung und De-
wareentwickler Tim O‘Reilly prägte im zentralität statt Zentralität. Ob mit und
Jahre 2003 den Begriff Web 2.0 nach in Internettagebüchern, also den so ge-
dem Platzen der so genannten ‚dotcom‘- nannten Blogs, in kurzen Nachrichten
Spekulationsblase, denn in dessen Folge über Twitter, den Micro-Blogs, Foto-
sah er das Internet einer grundlegenden und Videosharing, meist über YouTube,
Veränderung ausgesetzt. Nutzung und Podcasts, den kurzen Videofilmen in
Inhalte des Internets wurden zuneh- Webformat, Chats als Echtzeitkommu-
mend von einem Pradigmenwechsel nikation, dem Abo von Informationen
gekennzeichnet: Der Internetnutzer durch RSS, Bookmarking-Diensten
wandelte sich vom passiven Konsumen- wie del.icio.us oder Social Networks

Sophia Schönborn
gehört zum Abschlussjahrgang 2009 des Master-
studiengangs Politikmanagement der NRW School
of Governance. Zuvor erwarb sie einen Bachelor of
Science in Angewandter Kommunikations- und Medi-
enwissenschaft. Sie absolvierte Praktika bei Thyssen-
Krupp sowie der Stiftung für Wissenschaft und Politik
in Berlin, und engagiert sich bei Lobby Control e.V.

23
wie Facebook oder StudiVZ: Jeder kann Mehrwert für alle Teilnehmer und Nut- keiten im dezentralen Social Web ist eine rasante Weiterentwicklung im In-
mitmachen, jeder kann relevante Infor- zer. Diese Neuerung vermögen auch Be- noch längst nicht ausgeschöpft. Vor al- ternet. Die Werbewirksamkeit ist den-
mationen für sich herausfiltern, für an- griffe wie kollektive Intelligenz oder kol- lem die jüngere Generation wächst mit noch mit dem Begriff Social Web – im
dere bewerten, anderen mitteilen und lektive Wissensproduktion mit Inhalten diesem neuen Medium auf, nutzt es in Gegensatz zu Web 2.0 – kaum zu erhö-
vieles mehr. Diese sich ständig weiter- zufüllen. Deutschland aber hauptsächlich noch hen. Es ist hingegen nur noch eine Frage
entwickelnden neuen Formen der Par- zur Unterhaltung. Das Social Web er- der Zeit, wann das Web 3.0, das Leben
tizipation haben die Möglichkeit, die Der Podcast von Angela Merkel bei- möglicht jedoch mehr als das Sammeln 3.0 oder der MdB 3.0 ausgerufen wird.
traditionellen Meinungsmonopole der spielsweise geht an der many-to-many- von Freunden auf der StudiVZ-Seite
professionellen Medien aufzubrechen. Kommunikation des Social Web vorbei: oder dem Abspielen von Musikvideos
Partizipation über eine Kommentarfunk- auf Youtube. In den USA hat die Poli-
many-to-many tion oder Bewertung ist nicht möglich. tik Wege gefunden, die Ideen des Bür-
Die durch die Bewertung – beispielswei- gerjournalismus im Netz in die Politik
Spontane Zusammenschlüsse von Men- se mit Hilfe von Social Bookmarks – aus- einfließen zu lassen. In Deutschland ist
schen in so genannten Smart Mobs oder gelöste Selbstorganisation ist allerdings das Vertrauen in die traditionellen Mas-
Flash Mobs haben laut dem Soziologen ein grundlegendes Element des Social senmedien groß, in das Internet bisher
Howard Rheingold sogar die Macht, gan- Webs und kann nicht einfach umgan- eher klein. Das bloße Abkupfern ameri-
ze Regierungen zu stürzen. In einem sich gen werden. Auf direktzurkanzlerin. kanischer Methoden ist allerdings für die
ständig entwickelnden Internet ist es al- de hingegen werden Möglichkeiten zur deutsche Politik nicht der richtige Weg;
lerdings fraglich, welche Qualität solche Interaktion bereitgestellt. Hier werden in Deutschland ist die Qualitätspresse
Umwälzungen haben können. Der ‚Mob‘ nach dem one-to-many-Prinzip die vie- das für Politiker bedeutendere Medium –
kann laut Rheingold aber auch bedroh- len Einzelmeinungen der Nutzer regel- im Gegensatz zu Netz-Formaten, die im-
lich werden. Wie soll solch‘ eine Revolu- mäßig nach ihrer höchsten Relevanz in mer noch größtenteils Unterhaltungsin-
tion aussehen, wenn gerade einmal 55% einer Frage an die Kanzlerin verdichtet. halte verbreiten. Schließlich vertrauen
der deutschen Internetnutzer Blogs le- Allerdings liefert letztendlich nur das auch die im Medienkonsum konservati-
sen und stattdessen überwiegend Videos Bundespresseamt „im Auftrag“ die Ant- ven Deutschen den etablierten Medien
und Bilder ansehen? Wo werden bei der wort der Kanzlerin. Im Gegensatz zu weitaus mehr als den neuen Angeboten
Vielzahl von Anwendungen Qualitäten den USA kann man aber in Deutschland im Internet. Dennoch muss in der Poli-
reflektiert? War Obamas vielgepriesener bisher noch kaum ernsthafte Blogger un- tik ein Umdenken stattfinden: Politiker
Internetwahlkampf nicht doch bloß eine ter den Politikern finden. Tatsächlich ist sollten sich den Ideenreichtum und die
professionell durchorganisierte Werbe- die direkte Interaktion im Internet zum Dynamik des Social Webs zu Eigen ma-
aktion? Teil zeitaufwändig: Ein allzu schlichtes chen. Aber auch manches Angebot im
Umgehen fällt aber schnell auf und wird Internet ist noch auf der Identitätssuche
Gerade für die Wirtschaft, aber auch die mit Desinteresse im Netz bestraft. Das und steckt bisweilen in den Kinderschu-
deutschen Politiker scheinen die Social oneway-Denken des Sender-Empfän- hen. Bisher stellt sich noch allzu oft die
Web-Formate doch vor allem für einen ger-Modells ist mit dem Social Web also Frage: Ist das Social Web wirklich von
PR-Gag gut zu sein; aber es geht hier längst überholt. einem direktdemokratischen oder doch
nicht um Konsum auf der einen und eher anarchischem Charakter geprägt?
Wählermaximierung auf der anderen Politik im sozialen Netz Die Politik sollte das Internet aber vor
Seite. Durch den Wandel von one-to- allem nicht mehr als Raum einer unter-
many- zu many-to-many-Kommuni- Es gibt kein Patentrezept für eine Poli- haltungssüchtigen Masse, sondern als
kation werden bisherige Kommunikati- tik im Netz. Die Gesellschaft muss erst Chance für neue demokratische Impulse,
onsmuster und -strukturen verändert. lernen, mit dieser neuen Komplexität in als dezentralen Think Tank begreifen.
In der netzwerkförmigen Anordnung einem sich ständig wandelnden Internet Die Versionsnummer 2.0 ist aber letzt-
im Social Web liegt der entscheidende umzugehen. Der Großteil der Möglich- endlich nur schmückendes Beiwerk für

25
Die gedruckte Tageszeitung steckt
in der Krise, der Online-Journalismus
noch in der Wild-West-Phase. Die
allgegenwärtige Beschleunigung re-
volutioniert das Nachrichtengeschäft,
doch seine Zukunft ist bislang nur
schemenhaft erkennbar.

von Henning Becker

Morgens um halb neun im Duisburger Stadtteil Neudorf. Auf dem Küchentisch einer
Politikstudentin stehen ein dampfender Kaffee und eine volle Müslischale, während
im Hintergrund leise das Radio plärrt. Doch etwas fehlt, ein altbekanntes Geräusch,
dass bislang jedes klassische Frühstück begleitet hat: Es raschelt nicht mehr - es surrt
nur noch. Denn die junge Studentin liest keine Zeitung, sie blickt konzentriert auf
den Bildschirm ihres Laptops. Was ist passiert?

Für viele, vor allem junge Menschen ist es längst nicht mehr selbstverständlich, re-
gelmäßig eine Tageszeitung zu lesen. Und das gilt trotz der Mahnung ihrer Profes-
soren selbst für Studierende der Politikwissenschaften – auch wenn sie dies häufig
nicht offen zugeben würden. Die Möglichkeiten, sich über das aktuelle Tagesge-
schehen zu informieren, sind zahlreicher und vielfältiger geworden, vor allem durch
Online-Angebote. Deswegen gehört es für viele zum morgendlichen Ritual, Online-
Nachrichtenportale oder gleich ihren RSS-Reader abzurufen, anstatt die Zeitung aus
dem Briefkasten zu holen. Augenscheinlich ist erkennbar, dass sich seit längerem ein
Wechsel in der Art anbahnt, wie wir Informationen aufnehmen. Nun ist er endgültig
im Mainstream angekommmen - und er scheint gravierender zu sein als alle bisheri-
gen Veränderungen im Mediensystem.

Das Waldsterben hat eingesetzt

Dem Metamedium Internet wird nachgesagt, gegenüber allen anderen Medien den
Vorteil zu besitzen, schneller und somit aktueller zu sein. Die Zeitung hat ihr altes
Aktualitätsmonopol zwar schon vor geraumer Zeit an Radio und Fernsehen verlo-
ren, das Internet setzt den Zeitungen aber besonders zu, weil bei vielen Online-An-
geboten das geschriebene Wort bei der Informationsvermittlung dominiert. Radio
und Fernsehen haben auf visuelle und auditive Reize gesetzt und somit der Zeitung
bei der Berichterstattung zwar Konkurrenz gemacht, jedoch nicht in ihre Kern-

im rausch der
kompetenz eingegriffen, der schriftlichen Informationsvermittlung. Zudem lassen
sich Internet-Angebote – ähnlich wie Radio und Fernsehen – nahezu unbegrenzt
und kostenlos abrufen, wenn man die Rundfunkgebühren und andere Kosten zu-
nächst einmal außer Acht lässt. Die Konsequenz: Der traditionsreiche Blätterwald

geschwindigkeit
ist in Gefahr. Journalisten werden entlassen oder müssen sich mit prekären Arbeits-
verhältnissen begnügen, Redaktionen werden zusammengelegt, ganze Zeitungen
verschwinden vom Markt. Angesichts des Zeitungssterbens in den USA wird auch

Henning Becker
ist Masterstudent an der NRW School of Governance
und Mitarbeiter bei der Fraktion Bündnis90/Die
Grünen im Landtag NRW. Er schrieb schon während
seines Bachelorstudiums der Politikwissenschaft und
des Öffentlichen Rechts an der Universität Rostock
für die Zeitschrift politikum.

27
hierzulande bereits gemahnt, dass die richterstattung geliefert, es werden aber unverzügliche und atemlose Verbreitung einem Klick die Hintergründe und wo- ten, die über den Preis eines Zeitungsa- zuentwickeln, dass sie jeweils für Leser
Entwicklungen eine Gefahr für die De- auch die Themen aus den Printausgaben von Informationen relevant, sondern möglich vorhandene Quellen heranzie- bonnements zumeist weit hinausgehen. und Werbekunden attraktiv bleiben. Im
mokratie darstellen könnten. aufgegriffen und weiterverarbeitet, Bei- eher eine nachhaltige und verlässliche hen zu können. Moment jedenfalls sind sie (noch) viel zu
Ist Print also am Ende? Diese Schluss- träge werden miteinander vernetzt und Berichterstattung, die auf persönlichen Der Geschwindigkeitsrausch birgt zu- Wenn der Kaffee zwischen den eng miteinander verwoben, als dass sie
folgerung ist zu kurz gegriffen, denn und multimedial ergänzt. Zudem wird Kontakten und mitunter aufwendiger dem Gefahren: Viel zu häufig werden Tasten versickert – hatte Riepl recht? sich so einfach gegeneinander ausspielen
die Veränderungen im Mediensystem Lesern die Möglichkeit eröffnet, unter- lokaler Recherche beruht. So wirkt die in der ersten Hysterie Meldungen ein- ließen.
wirken sich nicht auf alle Zeitungen einander zu diskutieren und auch mit Regionalzeitung häufig als identitätsstif- fach übernommen und weitergereicht, Dreykluft macht deutlich, dass auch die
gleichermaßen aus. Der Informati- den Autoren ins Gespräch zu kommen. tender Faktor für eine Region – bis jetzt ohne dass sie überprüft werden. Dies Leser gedruckter Zeitungen nicht die In- Zurück in Duisburg-Neudorf: Mails und
onsgemeinschaft zur Feststellung der Die enge Integration von Print- und zumindest noch. Jedoch macht die Krise mag etwa bei den vielen Vornamen des halte bezahlen, sondern dass die Verlage Facebook sind abschließend gecheckt,
Verbreitung von Werbeträgern zufol- Netzinhalten wird schon dadurch offen- auch vor den großen Regionalzeitungen Ministers zu Guttenberg noch einer ge- sich in erster Linie über Erlöse aus dem der Laptop ist wieder aus. Mit ihm ist
ge haben vor allem die Tageszeitungen sichtlich, dass sich im Anschluss an die nicht halt, während einzelne Weblogs wissen Komik nicht entbehren – bei sei- Anzeigengeschäft, aber auch mit Ein- das Frühstück doch zu ungemütlich, den
mit schwindenden Auflagenzahlen und gedruckten Artikel immer häufiger ein bereits damit beginnen, die Deutungs- ner Ernennung zum Bundeswirtschafts- nahmen aus Vertrieb und Druckgeschäft verschütteten Kaffee verträgt er nicht,
Werbeeinnahmen zu kämpfen, wohin- Link findet, mit dem sich das jeweilige hoheit für ihre Region zu reklamieren. minister im Februar 2009 übernahmen finanzieren: Die Verlage haben „starken und im vollen Bus auf dem Weg zum
gegen Wochenzeitungen und -magazine Thema online weiterverfolgen lässt. Die zahlreiche Medien eine gezielte Manipu- Zugriff auf die Margen eines bedeuten- Seminar ist er doch zu unpraktisch. Wer
ihre Auflagenzahl stabil halten können – alte und neue Sphäre hängen somit en- Wettrennen und doch lation aus der Wikipedia. Wenn Falsch- den Teils des Produktionsprozesses“, also genau hinhört, stellt fest – es ra-
wenn sie nicht sogar stolz Steigerungen ger zusammen, als das Reden über die je- kein Ziel vor Augen meldungen im Namen des Aktualität aber auch des Verwertungs- und Distri- schelt immer noch.
verkünden. weils Andere manchmal vermuten lässt. allerdings ungeprüft verbreitet werden, butionsprozesses einer gedruckten Zei-
„Die Nachrichtenportale im deutsch- sind noch ganz andere Konsequenzen tung. Dreykluft fordert, dass die Verlage
Die perfekte Kombination? Natürlich sind auch die Tageszeitungen sprachigen Netz sind immer noch in denkbar als nur die Bloßstellung schlam- – anstatt nach Paid Content zu rufen –
im Netz vertreten und stellen dort ein der Wild-West-Phase, in der es darum piger journalistischer Quellenarbeit. sich lieber Gedanken darüber machen
Dies erscheint zunächst wie ein Paradox breitgefächertes Angebot für ihre Leser geht, Claims zu besetzten und sich das Aller Aktualität zum Trotz: Online sollten, warum sie es anderen überlas-
– gerade die gute alte Wochenzeitung soll zur Verfügung. Jedoch geraten die Ta- Vertrauen großer Leserschaften zu er- existieren bislang kaum journalistische sen, mobile Lesegeräte auf den Markt zu
sich in einem Umfeld der immer weiter geszeitungen hier in einen Teufelskreis: arbeiten.“ So beschreibt Wolfgang Blau, Geschäfts- und Finanzierungsmodelle, bringen. Schließlich liegt hier die Mög-
wachsenden Beschleunigung behaupten Während sie mit der Printausgabe nie Chefredakteur von ZEIT ONLINE, die die sich als wirklich tragfähig erweisen. lichkeit, selbst wieder Herr der Distribu-
können? Was der Wochenzeitung je- so aktuell sein können wie online, lässt Situation in einem Interview mit dem Kaum eines der Nachrichtenportale im tionskette zu werden.
doch zugute kommt, ist ihre klassische der tägliche Erscheinungsrhytmus nicht Online-Informationsdienst HORI- Netz arbeitet bis jetzt profitabel, viel- Über kurz oder lang wird jedenfalls mal
Stärke, umfassende Hintergrundinfor- die Reflexion zu, wie sie die Wochen- ZONT. Der Wild-West-Wettlauf um mehr werden sie durch die Printproduk- wieder das Riepl’sche Gesetz auf die
mationen zu liefern. Sie überzeugt vor zeitungen bieten. Während sich Letz- Aktualität wird heute im Netz ausge- te sowie weitere Einkommensquellen Probe gestellt. Der deutsche Journalist
allem durch journalistische Gründlich- tere also durch ihre Netz-Auftritte gut tragen, obwohl die bloße Verkündung wie Karriere- und Partnerbörsen quer- Wolfgang Riepl, seinerzeit Chefredak-
keit, mit tiefgreifenden Analysen und ergänzen und mit der engen Verzahnung einer Neuigkeit auch hier kein Allein- subventioniert. Wenn jetzt allerdings teur der Nürnberger Zeitung, stellte 1913
aufwendig recherchierten Hintergrund- von on- und offline Leser an sich binden stellungsmerkmal mehr ist. Dies wird der Ruf nach Paid Content, also nach zu die These auf, dass kein Instrument der
berichten. Und sie hat auf Grund ihrer können, machen sich Tageszeitungen im besonders dann deutlich, wenn – wie so bezahlenden Inhalten laut wird, dann Information und des Gedankenaus-
Konzeption nicht den Anspruch, Ver- Netz gewissermaßen selbst Konkurrenz. oft – aktuelle Nachrichten auf vielen mit- sei entgegnet: Online-Inhalte sind für tauschs, das einmal eingeführt wurde
künderin tagesaktueller Nachrichten zu Ohne den Tageszeitungen ihre nach einander konkurrierenden Plattformen Leser gar nicht so kostenlos wie oben und sich bewährt hat, von anderen voll-
sein. Vielmehr bietet sie Orientierung wie vor große Bedeutung gerade für die im gleichen und nahezu unveränder- angedeutet und häufig behauptet wird. kommen ersetzt oder verdrängt wird.
in einer immer komplexer und schneller politische Öffentlichkeit und die Mei- ten Agenturwortlaut erscheinen. Somit Wie Joachim Dreykluft in einem Kom- Wird die Tageszeitung einmal die Aus-
werdenden Welt: Die überwältigende nungsbildung absprechen zu wollen – es liegt auch bei den Onlineangeboten der mentar für die FINANCIAL TIMES nahme bilden? Die allermeisten Online-
Flut an Informationen wird für den Le- ist klar, dass sie einem großen Verände- Mehrwert in der kompetenten Einord- DEUTSCHLAND zuletzt betonte, tra- Journalisten, Blogger und Wochenzei-
ser der Relevanz nach geordnet, gebün- rungsdruck unterliegen und sich öffnen nung und Analyse der Geschehnisse, gen Internetnutzer die nicht unerhebli- tungsredakteure werden wohl kaum
delt, aufbereitet und ausgewogen kom- müssen, zum Beispiel für User Gene- besonders aber auch in der schnellen chen Kosten für Internetverbindung und auf sie verzichten wollen, würden sie
mentiert. Entscheidend ist jedoch, dass rated Content und partizipativen Jour- Vernetzung mit anderen Inhalten und Hardwareanschaffung. Nutzungskos- ernsthaft vor die Entscheidung gestellt
diese Bedächtigkeit mit umfassenden nalismus. Und sie sollten sich auf ihre nicht bloß in der schieren Aktualität. Es werden – mal ganz abgesehen vom „ein-
und tagesaktuellen Online-Auftritten Stärken konzentrieren, etwa den regio- kann von den Lesern als Selbstverständ- fachen“ Leser. Die Zukunft wird Online
gepaart wird. Im Netz wird aktuelle Be- nalen Fokus. Hier ist nicht unbedingt die lichkeit verlangt werden, sich heute mit und Print dazu zwingen, sich so weiter-

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Die Europäische Union spricht zu we-
nig mit ihren Bürgern und entscheidet
über deren Köpfe hinweg. Was Brüssel
tut, um seinem Image als Kommuni-
kationsmuffel zu entfliehen und seine
Entscheidungen den Bürgern näher
zu bringen, zeigt EUtube, der neue
Videokanal im Internet.

von Benjamin Liebsch

brüssel sendet
Wie wollen Sie eigentlich die nachhaltige Fischerei sichern? Dazu fällt Ihnen spon-
tan nichts ein? Dann fangen Sie an, sich darüber Gedanken zu machen, denn das ist
eine der Fragen, die Ihnen die Europäische Union stellt und zu der Sie Stellung neh-
men sollen. Sie haben davon noch gar nichts mitbekommen? Schauen Sie auf EUtube

signale – und
(www.youtube.com/user/eutube) nach – dort warten außerdem noch eine Reihe
anderer Fragen und Themen, über die sich die EU mit ihren Bürgern austauschen
möchte.

entdeckt youtube
Dieser Aktivismus überrascht, ist doch die EU nicht gerade als „Kommunikations-
genie“ bekannt. Viele ihrer Policies und Errungenschaften werden der europäischen
Bevölkerung nur schlecht oder unzureichend vermittelt. Seit einigen Jahren jedoch –
genauer gesagt, seit die Europäische Verfassung unter anderem am französischen

als europäische
und niederländischen Veto scheiterte – macht sich Brüssel ernsthaft Gedanken darü-
ber, wie man mit der Bevölkerung in einen echten Dialog treten kann. Denn obwohl
viele Lebensbereiche der Menschen von EU-Entscheidungen betroffen werden, wis-
sen viele EU-Bürger nicht genau, wie diese Entscheidungen in Brüssel eigentlich zu-

dialogplattform
stande kommen und wer sie fällt. Das ist ein wesentlicher Grund dafür, warum sich
viele Bürger bis heute nicht wirklich mit Europa identifizieren können oder wollen.

Der Plan D

Die Europäische Kommission will dies ändern und den Bürger aktiver in ihre Politik
einbeziehen. Politische Diskurse zu bestimmten politischen Themen sollen in ganz
Europa miteinander vernetzt und länderübergreifend moderiert werden, um die EU
lebendiger zu machen. Ein Mittel dazu ist das Internet, das in den letzten Jahren zu
einem immer wichtigeren Medium für politische Debatten herangewachsen ist, so
die Kommission in ihrem „Plan D“. Das „D“ im Namen dieses Plans steht dabei für
„Demokratie, Dialog und Diskussion“ und wurde 2005 als Reaktion auf die beiden
gescheiterten Verfassungsreferenden entwickelt. Zumindest in den ersten beiden
Disziplinen, Demokratie und Dialog, wurden der EU in der Vergangenheit immer
wieder Defizite attestiert. Das soll sich mit der im Plan D beschriebenen Kommuni-
kationsstrategie, also der strategischen Förderung von Diskussion und Dialog, end-
lich ändern.

Es versteht sich fast von selbst, dass ein Teil dieser neuen Strategie die verstärkte
Nutzung des Internets miteinschließt. Ebenso wie die US-Administration, die seit
Obamas Amtsantritt im Januar 2009 einen eigenen Kanal auf der Videoplattform
YouTube eingerichtet hat, nutzt auch die EU dieses Portal, um ihre Politik öffentlich
zu vermitteln. Nur waren die Europäer diesmal sogar einen ganzen Schritt schnel-
ler als die Amerikaner. EUtube ging bereits im Sommer 2007 auf Sendung. Still und
heimlich zunächst, ohne dass dies an eine breite Öffentlichkeit kommuniziert wur-
de. Seitdem stellt die EU-Kommission in regelmäßigen Abständen Videos mit In-
formationen zu aktuellen Themen online, Dokumentationen zur Arbeitsweise der
EU-Institutionen oder auch Verbrauchertipps zum Thema Energiesparsamkeit. Zu

31
jedem Video können registrierte Nutzer enthält außerdem Links zu anderen EU- Eröffnung 2007. Der Kanal des Weißen den mehr Menschen als bisher den Kanal
des Portals Kommentare schreiben und Websites, auf denen sich jeder über Hin- Hauses hat dagegen von Januar bis Juli nutzen und weiter empfehlen.
sich in einem offenen Forum über die tergründe und Details informieren kann. 2009 bereits rund 2,1 Millionen Klicks
Inhalte austauschen. Dabei irritiert es Über die spezifischen Fragen im Video und fast 80 000 Abonnenten für sich ge- Abschließend erscheint es wichtig fest-
etwas, dass man als Autor eines Online- hinausgehend kann man aber auch noch winnen können. zuhalten, dass EUtube vielen Bürgern
Kommentars nach dem Versenden lesen Vorschläge zu anderen Themen und Fra- auch nach zwei Jahren „auf Sendung“
muss, dass seine Nachricht zunächst gen machen als zu denen, die im Film Eingeschränkte Themengebiete, Sprech- immer noch kein Begriff ist. Die, die sich
genehmigt werden muss. Unweigerlich angesprochen werden. Auf diese Weise barrieren und eine geringe Resonanz ohnehin für europäische Politik interes-
mutete dies wie eine Art Vorzensur an, gibt die EU ihren Bürgern eine Orientie- sind also Faktoren, welche die Rück- sieren, bemerken zwar die vereinzelten
die aber so gar nicht stattfindet. Denn rung auf den Weg, ohne sie in ihrer Mei- laufquote entscheidend beeinflussen Links auf EU-Websites oder die Quer-
liest man die Kommentare zu den Vi- nungsäußerung einzuschränken. Die Vi- und die bislang eher magere Teilnahme- verweise bei Youtube selbst, die Masse
deos oder dem Kanal durch, finden sich deos auf EUtube sollen letztendlich dazu bereitschaft erklären können. Jedoch: der Bürger bleibt davon jedoch unbe-
auch zahlreiche äußerst EU-feindliche, animieren, tiefer in das jeweilige Thema Auch wenn das Ergebnis bei der Fische- rührt. Dringend sollte daher mit einer
bisweilen sinnfreie Texte. Ziel der Kom- einzudringen. Das erwähnte Projekt mit reipolitik also aus partizipatorischer breiter angelegten Informationskampa-
mentarfreigabe ist einzig die Einhaltung dem Titel „Konsultation zur Reform der Sicht noch verbesserungswürdig und gne auf dieses Angebot aufmerksam ge-
der Forenregeln, die etwa rassistische Gemeinsamen Fischereipolitik“ läuft keinesfalls repräsentativ für die Gesamt- macht werden. Denn eines ist sicher: Die
Kommentare verhindern soll. seit März 2009 bis zum Ende des Jahres. bevölkerung ist, so wird das Konzept Idee und das Konzept von EUtube sind
Im November 2009 lag die Resonanz bei dadurch nicht überflüssig. Das Beispiel viel zu viel versprechend als dass der Ka-
Die Generaldirektion Kommunikati- immerhin rund 70 individuellen Einsen- des YouTube-Kanals aus Washington nal allein den Eliten Europas überlassen
on der EU-Kommission, die für die Vi- dungen von Privatpersonen und 45 Bei- zeigt, dass ein durchdachtes Kommu- werden sollte.
deoinhalte des Kanals verantwortlich ist, trägen von Organisationen, die auf der nikationskonzept für das Internet und
stellt neben rein informativen Videos Internetseite der Europäischen Kommis- natürlich die richtigen Politikinhalte die
auch Filme mit einer konkreten Hand- sion veröffentlicht wurden. Menschen dazu bewegen können, sich
lungsaufforderung an den Zuschauer ins für Politik zu interessieren. Das Konzept
Netz. Auf diese Weise will sie mit den Clips für die Masse? EUtube ist der richtige Ansatz, um gera-
Bürgern in einen Dialog über aktuelle de junge Leute in einer gewohnten Um-
europäische Themen treten. Das jüngs- Nun kann man sagen, dass die insgesamt gebung anzusprechen. Allerdings gibt
te Beispiel für einen solchen Dialog sind rund 115 Beiträge bei einer Bevölkerung es auch noch einige Optionen zu seiner
kurze Clips zur gemeinsamen Fischerei- von rund 500 Millionen in der EU nicht Verbesserung, um die Möglichkeiten des
politik der EU, über deren Reform gera- sonderlich viel sind. Aber man muss Mediums voll auszuschöpfen. Aus einer
de debattiert wird. Am Ende jedes Clips berücksichtigen, dass es sich in diesem partizipatorischen Demokratieperspek-
fragt ein Sprecher die Zuschauer, wie sie Fall um ein spezielles und eng begrenz- tive ist klar, dass EUtube auf allen Spra-
das im Film dargestellte Problem lösen tes Themengebiet handelt, von dem sich chen der Mitgliedsländer verfügbar sein
würden. Die gestellten Fragen wurden nicht jeder EU-Bürger unmittelbar be- muss. Auch wenn die Filme nicht in jede
dabei seit den ersten Videos immer spe- troffen fühlt. Hinzu kommt, dass EUtu- Sprache synchronisiert werden können,
zifischer. be bisher nur auf deutsch, englisch und sollten zumindest Untertitel für alle EU-
französisch verfügbar ist, was eine gro- Sprachen verfügbar sein. Andernfalls
Hier hat von Seiten der Filmproduzen- ße Anzahl jener Menschen ausschließt, wird nur eine Minderheit der Bevölke-
ten offenbar ein gewisser Lernprozess die keiner dieser Sprachen mächtig sind. rung erreicht, die in der Lage ist, die zum
stattgefunden. Das geänderte Format Und schließlich ist es so, dass EUtube Teil komplexen Themen auch in einer
macht es dem Bürger sehr viel leichter, bis heute noch relativ wenigen Men- Fremdsprache zu verstehen. Die The-
sich innerhalb des Politikfeldes zu ori- schen überhaupt bekannt ist. Insgesamt men selbst, die auf EUtube behandelt
entieren. Zusätzlich erhält er Einblick hat EUtube knapp 9500 Abonnenten werden, sollten derweil so aktuell und so
in dessen zentrale Fragen. Jeder Clip und 2,4 Millionen Kanalaufrufe seit der vielfältig sein wie möglich Nur so wer-

33
Der Microblogging-Dienst Twitter
macht Furore in der deutschen  
Internet- und Politikszene. Die sponta-
nen Kurznachrichten bergen eine un-
geahnte Faszination, die sich auf dem
schmalen Grad zwischen Privatsphäre
und politischer Öffentlichkeit bewegt.
Eine Beobachtung

von Isabelle Sonnenfeld

„Was interessiert es mich, wann Leute Ein eigentlich kleiner, aber enorm wich- Ein Abfallprodukt wird
joggen gehen oder einen Kaffee trin- tiger Aspekt bei Twitter ist das „folgen“. zum Weltstar
ken?!“ So reagierte ein Freund auf den Man verfolgt, man hat Verfolger und
Hinweis, er solle sich doch mal bei Twit- man ist froh, wenn auch neue Twitter- Twitter ist 2006 aus der Blogging-Firma
ter anmelden. Twitter ist schließlich das User einen selbst in ihre Follower-Liste Odeo entstanden, die sich während der
neuste und beste Werkzeug der Web- aufnehmen. Man „followt“ einem Nut- Nutzung des Tools im eigenen Unter-
gemeinde, um schnell Nachrichten und zer, wenn man interessante Tweets von nehmen dazu entschied, sich anstelle
Links zu verteilen. Außerdem ist ja sogar ihm erwartet, denn nur dann sind diese von langatmigen E-Mails ganz auf die
Demi Moore auf Twitter, und Shaquille auch auf der eigenen Startseite zu sehen. Kurznachrichten als internes Kommu-
O’Neil – und Barack Obama sowieso. Jeder Nutzer schafft sich somit ein ei- nikationsinstrument zu beschränken.
Doch so einfach war er nicht zu über- genes Mikrouniversum aus den unzäh- Nach holprigen Anfängen, bedingt durch
zeugen. Er sei schließlich schon auf Face- ligen Informationsfetzen. Die eigenen ständige technische Verbesserungsmaß-
book und StudiVZ, und bei Xing könne 140-Zeichen-Nachrichten sollten eine nahmen, wurde Twitter während der
man ihn auch schon kontaktieren. Blog- Balance zwischen alltäglichen Banali- SXSW Musikkonferenz im Sommer
gen wolle er sowieso nicht, das sei nur täten und informativen Mitteilungen 2007 zum ersten Mal einem breiten Pu-
etwas für Programmierer und Nerds. bilden, um die Follower-Gemeinde bei blikum vorgestellt. Bei dieser Messe in
Wie also diesen Skeptiker überzeugen? Laune zu halten und im besten Falle neue Austin treffen sich neben Musikern und
Es ist schon nicht einfach, etwas zu er- Leser zu gewinnen. Auch wenn der Ein- Kreativen auch viele Menschen aus der
klären, das es so vorher noch nicht gab. stieg bei Twitter für Neulinge zunächst Computer- und Softwareszene. Twitter
Es ist umso schwieriger, wenn dieses mühevoll erscheint – sobald die Kraft konnte gerade in dieser Subkultur über-
Etwas nicht so leicht zu greifen ist, denn des Nachrichtenflusses erkannt wird, der zeugen und gewann die Auszeichnung
Blogs und Kurznachrichten ließen sich sich auf dem Bildschirm zeigt, versteht als bestes „Blogging Tool“. Der rasante
auch vor Twitter schon veröffentlichen – man, worum es geht: leicht up to date zu Anstieg der Nutzerzahlen aus der Web-
wo soll also der Mehrwert sein? sein, unkompliziert am Leben entfernter Community ist an mehreren Phänome-
Freunde teilzuhaben, interessante Links nen festzumachen. Insebsondere die
Kurznachrichten als Kernfunktion zu bekommen und spannende Diskurse Tatsache, dass die meisten Twitter-Fans
unter den Twitter-Nutzern zu verfol- bereits Blogger oder Nutzer von sozialen
Auf Twitter macht man nichts anderes, gen - all dies bietet schnell den gesuch- Netzwerken sind, wo sie Nachrichten in
als kurze Nachrichten – auch Tweets ten Mehrwert. Wenn dann doch jemand Kurzform und ohne Scheu vor Öffent-
genannt – mit maximal 140 Zeichen im zu viel über Kaffee oder den erkrankten lichkeit auf Pinnwänden oder in digita-
Internet zu veröffentlichen. Jeder Nut- Hamster twittert, „entfollowt“ man ihn len Gästebüchern hinterlassen, hat die-
zer hat eine eigene Homepage, auf der einfach. sem Kommunikationstool den schnellen
die eigenen Tweets angezeigt werden. Erfolg gebracht.
Updates macht man per SMS, über die
Twitter-Website oder mit speziellen
Programmen, die den Zugriff auf Twitter
vom PC oder Handy ermöglichen. Die

ein zwitschernder
Isabelle Sonnenfeld
Frage „What are you doing?“ ist promi- ist seit Oktober 2008 Studentin im Masterstudien-
nent über der Eingabemaske positioniert gang Politikmanagement an der NRW School of
Governance und beschäftigt sich mit den Themen
und regt an, seinen momentanen Ge- der Politischen Kommunikation und Netzpolitik. Sie
danken freien Lauf zu lassen. In 140 Zei- hält einen Bachelor of Arts in European Studies der

vogel wird zum politikum


chen ist jedem selbst überlassen, alltäg- University Maastricht und arbeitete unter anderem
beim Deutsch-Französischen Jugendwerk in Paris, der
lich Erlebtes, aktuelle Nachrichten oder Friedrich-Ebert-Stiftung, der Europäischen Kommissi-
politische Statements auszutauschen. on und der Agentur PLEON.

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Die Möglichkeiten sind durch die offe- Barack Obama im Hinblick auf den On- Auch der Nachrichtenwert von Twitter und unkomplizierte Kommunikation und das Verhalten der politischen Twit- ne Aussagen verantwortlich. Die vorher
ne Struktur des Datenstroms enorm: line-Wahlkampf führte zu einer deutli- ist gestiegen: Bei der Bundespräsiden- mit den Politikern ist für Bürger eine terer untereinander bringen der Politik von oben gesteuerte Kommunikation
Man kann Bilder anhängen, Links in chen Veränderung der Strategien beim tenwahl hatten zwei Abgeordnete be- willkommene Abwechslung zur gefühl- eine neue Transparenz, die sie wieder wird zumindest im Internet zunehmend
Kurzform hinzufügen, und sogar Ak- diesjährigen Bundestagswahlkampf. reits vor der offiziellen Bekanntgabe des ten Unnahbarkeit der politischen Eli- zu einer „Res Publica“, also einer echten von den aktiven Parteimitgliedern an der
tientransaktionen mit eigenen Kürzeln Das Gezwitscher des kleinen blauen Vo- Ergebnisses Horst Köhler zum „alten te. Keine Frage, Parteien und Politiker öffentlichen Angelegenheit machen, Vo- Basis übernommen.
verfolgen. So hat sich also zum Beispiel gels war in jedem Fall so laut, dass auch und neuen“ Bundespräsidenten gekürt. kommunizieren auf Plattformen wie rausgesetzt ein breites Publikum nutzt
das Hashtag, das Raute-Zeichen # zur deutsche Politiker das neue Kommuni- Die Empörung innerhalb der politi- Twitter, Facebook und MeinVZ anders Twitter. Das Erbe des kleinen blauen Vogels
Kennzeichnung von einzelnen The- kationsinstrument schwer unbeachtet schen Elite war enorm und auch das Me- als bisher. Parteiprofile werden als Ver-
men etabliert. Die deutsche Plattform lassen konnten. dienecho veränderte weitreichend den lautbarungsinstrumente genutzt, wäh- Endlich Zugang zum Elfenbeinturm Twitter hat sicherlich nicht die weitrei-
Wahlgetwitter analysierte auch nach der Stellenwert von Twitter in Hinblick auf rend die Profile einzelner Politiker sehr chende Bedeutung für die politische Are-
Bundestagswahl die Verwendung von Bottom-up Kommunikation die Art und Weise der politischen Kom- viel interaktiver gestaltet sind als auf Für den einzelnen Politiker ist Twitter na und ihre Schaffensprozesse, wie hier
Hashtags, indem sie die Häufigkeit der als Kernfunktion munikation. Obwohl das Gezwitscher den klassischen Websites. Bei Facebook besonders interessant, da die schnelle und dort behauptet wird. Vor allem auf-
parteibezogenen Verweise erfasste und bei der Bundespräsidentenwahl bei Po- oder MeinVZ wird mit Videos, lustigen und punktuelle Kommunikation zu ei- grund der bislang relativ überschaubaren
dadurch ein mehr oder weniger reprä- Für politische Spitzenakteure scheint es litikern und Medien schlussendlich als Gruppen oder Fotos versucht, eine gro- ner Kommunikation auf Augenhöhe mit Zahl deutscher Nutzer hat der Einfluss
sentatives Meinungsbild der deutschen jedoch erst einmal problematisch zu sein, politische Lappalie betrachtet wurde, ße Anhängermasse anzusprechen; bei ihren Followern führt. Politiker müssen auf die bundesweite Politik noch klare
Twitter-Gemeinde aufzeigen konnte. das System hinter Twitter zu verstehen. äußerten Beobachter nun im Vorfeld der Twitter müssen Politiker die Balance sprachlich und inhaltlich nicht mehr Grenzen. Was Twitter jedoch ermög-
Wahlgetwitter informiert die Nutzer bei- Aufgrund des technologischen Hinter- Bundestagswahl Bedenken darüber, in- zwischen Kaffeeklatsch-Geplänkel und ausschließlich im Windschatten ihrer licht und in einfachstem Maße demonst-
spielsweise über die Twitter-Aktivitäten grunds und der Auseinandersetzung mit wieweit Twitter den Ausgang durch die sachpolitischer Interessenvertretung Partei agieren, sondern können Wähler riert, ist die zunehmende Einflussnahme
der Parteien und ihrer Politiker. Wenn meist unpolitischen Themen ist Twitter verfrühte Bekanntgabe von Exit-Polls finden. Authentizität ist an dieser Stelle direkt erreichen, Diskurse entstehen las- der neuen Kommunikationstechnolo-
viele Tweets mit #spd versehen sind, nicht augenscheinlich ein brauchbares beeinflussen könnte. ein wichtiges Thema unter den Twitter- sen und Meinungsbilder einholen. Die gien auf alte Strukturen. Twitter bringt
steigert dies die Popularität der SPD auf Instrument für die politische Kommu- Nutzern. Wie oben angedeutet ist hier direkte Kommunikationsstruktur von der politischen Kommunikation vor al-
dieser Plattform. nikation. Erst bei genauerer Betrachtung Nutzen in der parteipolitischen die Reflexion über das eigene Tun (und Twitter macht es möglich, dass Partizi- lem Verkürzung und Beschleunigung.
erschließt sich das Potential. Neben den Öffentlichkeitsarbeit Schreiben) äußerst wichtig, denn die di- pationsangebote und Mobilisierungs- Standardisierte Pressemitteilungen und
Deutschland zwitschert für private Nutzer interessanten Dyna- gitale Offenheit muss nicht immer einen versuche nicht ungehört verhallen, son- genormte Blog-Beiträge der Parteien
miken ergeben sich für Politiker noch Inwiefern ist Twitter also ein nützliches positiven Eindruck hinterlassen. dern unmittelbare Aktivität auslösen, und ihrer Politiker werden wahrschein-
In Deutschland hat sich Twitter wie auch weitergehende Konsequenzen aus der Instrument der politischen Kommuni- Was festzuhalten ist: Das Internet an die vielfach auch offline Konsequenzen lich weiterhin bestehen, dennoch bietet
in den USA zunächst hauptsächlich un- Nutzung von Twitter. In Deutschland kation? Kann Kommunikation in 140 sich und Twitter im Speziellen sind mehr zeigen. Multiplikatoren, die in der politi- Twitter einen tieferen Einblick in das
ter Computerfans verbreitet. Zur Zeit hat sich nach der viel beachteten Twitte- Zeichen überhaupt funktionieren? Fakt als nur eine digitale Plakatwand. The- schen Netzgemeinde meinungsbildende Handeln der politischen Akteure. Die
der US-Wahlen im Herbst 2008 wurde rei von Hubertus Heil der SPDler Thors- ist: Die Regeln der Kommunikation ver- men können gesetzt werden, politische Macht besitzen, nehmen an dieser Stelle schnellere, impulsivere und verbindli-
das Twittern auch unter der politischen ten Schäfer-Gümbel bei der Landtags- schieben sich, indem die kontinuierliche Inhalte beeinflusst werden. Die Liste der eine äußerst wichtige Rolle ein. Parteien chere Kommunikation macht die Politi-
Klasse in den USA immer beliebter, da wahl in Hessen 2008 prominent mit der Teilöffentlichkeit zur Normalität wird. Beispiele für dieses Massenphänomen ist und Politiker müssen diese Multiplikato- ker für ihre Unterstützer, aber auch für
die einzelnen Camps gezielt ihre Un- Plattform beschäftigt. Schäfer-Gümbel Wie man am Beispiel der Bundespräsi- endlos: die Entstehung der Piratenpartei, ren gezielt in ihre Kommunikation mit- Gegner greifbarer und „authentischer“.
terstützer ansprechen und Hinweise zu twitterte als @TSG_Hessen über Kaffe- dentenwahl sehen konnte, müssen die die Debatte um das Sperrgesetz gegen einbeziehen. Genau an diesem Punkt ist Die Voraussetzung für diesen unver-
Nachrichten oder Aufenthaltsort der trinken und Autofahren – aber auch über Beteiligten jedoch die Konsequenzen Kinderpornographie im Internet, das sicherlich auch einer der größten Nach- fälschten und transparenten Austausch
Kandidaten verbreiten konnten. Hu- politische Inhalte, die mit seiner Kandi- und Wirkungen ihrer Veröffentlichun- Bundespräsidentenwahl-Malheur oder teile zu sehen: Twitter-Neulinge müssen ist das Verständnis über die Chancen und
bertus Heil hat als SPD-Generalsekretär datur zusammenhingen. Seit der Hes- gen verstehen. Was man auf die Frage auch die Debatte im Frühsommer 2009, sich erst einmal über die weitreichenden Grenzen dieses Mediums. Wann und
erstmals vom Parteitag der US-Demo- sen-Wahl wuchs die Begeisterung für „What are you doing?“ antwortet, bleibt die in Schleswig-Holstein im Zuge des Konsequenzen ihres Tuns bewusst wer- wie schnell Twitter von dem momenta-
kraten aus einer beobachtetenden Pers- den Microblogging-Dienst auch unter schließlich jedem selbst überlassen. Hier Koalitionsbruchs über Twitter geführt den. Der richtige Ton ist zu treffen, die nen Hype in eine alltägliche Kommuni-
pektive getwittert. Als erster deutscher anderen Politikern stetig an, die die un- trennt sich daher die Spreu vom Weizen. wurde. Themen, die zwar auch in diver- richtigen Themen sind anzusprechen. kationsplattform der Politik übergehen
Politiker erzeugte er sowohl in der deut- komplizierte Verbindung zu Unterstüt- Twitter eröffnet politischen Akteuren sen Print- und Online-Medien reflektiert Da keine kontrollierenden Mechanis- wird, ist momentan noch fraglich. Sicher
schen Twitter-Gemeinde als auch bei zern und die offenen Zugänge für Dis- neue Zugänge, da Parteimitglieder und werden, bringen mitunter auf Twitter men wie Pressestellen ihre Gatekeeper- ist jedoch, dass sich die Art und Weise
seinen politischen Kollegen und den kussionen und Informationsaustausch Wahlhelfer, aber gerade auch poten- eine noch viel umfangreichere und hit- Funktionen ausüben, wird die Politik der Interaktion mit Parteibasis, Unter-
Medien sehr viel Aufsehen. Auch die erkannten. zielle Wähler direkt angesprochen und zigere Debatte mit sich. Vor allem die auf Twitter zunehmend persönlicher, stützern und politischen Gegnern schon
Vorreiterrolle der Democratic Party um mobilisiert werden können. Die direkte Möglichkeit zur direkten Stellungnahme der Politiker selbst immer mehr für sei- heute stark verändert hat.

37
kraft in
von Stefan Piasecki

der medialen
nische –
wohin Religion und der politische Umgang mit
religiösen Meinungsäußerungen spielt
atemlos dem Mediennutzer mittels
RSS-Feed oder Twitter seine Botschaf-
sende. Ihr gesellschaftliches bzw. politi-
sches Potenzial wird dennoch oft unter-

religiöse
seit einigen Jahren meistens vor dem ten nachsendet, orientiert sich auch der schätzt.
Hintergrund von migrationspolitischen erlösungsbedürftige Mensch in der vir-
Fragestellungen eine Rolle. Zu Unrecht: tuellen Welt. Nicht nur die Legitimation Ein Blick auf die Internetpräsenzen
Katholische, protestantische, evange- und Sicherung sowie die Verbreiterung der großen Parteien zeigt, dass religiö-

wähler
likale und orthodoxe Christen, Juden, von Macht braucht Vermittlung; auch se Themen heute breit gefächert unter
Muslime, Buddhisten und viele mehr das Bedürfnis nach und die Hoffnung den Oberbegriffen Kultur oder Weltan-
prägen das kommunale gesellschaftli- auf Erlösung setzt immer neue Kräfte schauung diskutiert werden. Schon aus
che Leben. Ausweis davon sind neben frei, die in interaktiven Angeboten ihre migrationspolitischen Gründen wird

entschwinden
vielfältigen gemeinnützigen Tätigkeiten Realisierung finden.3 Religion als Element von Kulturalität
auch Webseiten und Internetportale, und Bestandteil der Stadtgesellschaft
die, wie jene vieler neuapostolischen Dass Religion heute vielfach verkannt beschworen – eine tatsächliche Verstän-
oder anderer Freikirchen und Migran- wird, steht in einer Tradition der weltan- digung über weltanschaulich fundierte
tenkirchen, solche der etablierten Lan- schaulichen Entfremdung einer hochsä- Gesellschaftsentwürfe findet außerhalb
deskirchen in punkto Gestaltung, In- kularisierten Elite (in Medien4 und auch von Empfängen und Feierstunden aber
halt und Tagesaktualität vielfach in den der Politik) von einem Wahlvolk, wel- kaum statt.
Schatten stellen. Manche stellen ihre ches religiös im Gegensatz zu vergange-
Gottesdienste als MP3-Predigt ins Inter- nen Jahrzehnten differenzierter verfasst Der soziale Staat hat weitgehend die
net oder präsentieren sich in Videoclips1. und sich dessen stärker bewusst ist als je Schutz- und Kompensationsfunktionen
Wenngleich vielseitig aktiv, bewegen sie zuvor. der Kirchen übernommen5 und der Fa-
sich meist außerhalb (kommunal-) poli- milie, die in der Vergangenheit als wich-
tischer Wahrnehmung. Diese übersieht Der alleinige Blick auf die Zahl der Got- tiger Bezugs- und Weitergabepunkt von
zudem leicht, dass die politische Wirk- tesdienstbesucher in den Landeskirchen Religion und Religiosität fungierte, ihre
lichkeit nicht zuletzt von religiösem Be- verstellt die Sicht auf neue Formen der Bedeutung als primärer wirtschaftli-
wusstsein abhängt2, welches getragen Religionsausübung auch in kleineren cher Schutzraum gleichfalls genommen.
wird von den Mitgliedern der städti- Gemeinschaften. Mitgliederschwund Alois Hahn verweist auf die Fragilität
schen Gesellschaft und in die Wahl- und und finanzielle Engpässe treffen zwar von vermeintlich identitätsstiftenden
sonstigen Entscheidungen ihrer Mitglie- Landeskirchen wie Parteien und Ge- Ersatzmanifestationen (z.B. „Europa“,
der einfließt. Werden weltanschauliche werkschaften gleichermaßen. Über- „Vater Staat“) anhand des Bürgerkriegs
Wahrnehmungs- und Bewertungsebe- sehen wird dabei jedoch die Zahl der im ehemaligen Jugoslawien. Zerbräche
nen nicht ausreichend berücksichtigt, Mitglieder in christlichen Laienorgani- eine formal bereits erreichte, abstraktere
bleiben erhebliche Potenziale in der sationen und Freikirchen (die separat partizipative Identität (wie hier die sozi-
Ansprache von Wählerschichten un- von den großen Kirchen erfasst werden alistische Staatsnation), bliebe als nächs-
genutzt. Ähnlich wie der Politikbetrieb müssten) – sie geht in die Hunderttau- te Ebene die Zugehörigkeit zu einer der

Dr. Stefan Piasecki


hat Sozialwissenschaften an der Universität Duisburg-
Essen studiert und 2008 zur Islam-Rezeption
deutscher Medien am Beispiel des Karikaturenstreits
promoviert. Sein wissenschaftliches Interesse gilt der
Wirkung von Medien und Fragen zu Politik, Religion
und Gesellschaft sowie aktuellen Resakralisierungs-
prozessen. Er arbeitet bei der Stadt Mülheim an der
Ruhr und ist für Europaangelegenheiten zuständig.

39
1 http://www.cgmuelheim.de/, 20.7.2009
volkstümlichen Religionen übrig, an der Die Aufgabe tradierter Formen der Reli- Religion und Politik – ebenso wie dessen sich Menschen orientieren und wo sie
sich die Selbstidentifikation der beteilig- giosität (Tischgebete, Teilnahme an der theoretische Reflexion – irgendwann sich on- oder offline versammeln; es 2 Bärsch, Claus-Ekkehard: „Die politische Religion des
Nationalsozialismus“, München 1998, S. 11
ten Personen verortete. Der Zusammen- Eucharistiefeier) ist auch ein Zeichen schlicht „von der Agenda zentraler For- handelt sich mitunter um Menschen, die
bruch einer Integrationsebene setze die eines allgemeinen Wandels des Alltags schungsgegenstände“ fiel, während die ansonsten möglicherweise als Wähler 3 http://www.wiwo.de/unternehmer-maerkte/
nächst niedrigere wieder in soziale Kraft, und darf nicht alleinig als Zeichen der Politikwissenschaft sich auf die „wirk- durch die klassische Politikkommunika- bischoefe-glauben-online-vermitteln-360433/;
http://www.glaube-online.gnx.at/, 19.7.2009
unabhängig von ihrem intellektuellen Marginalisierung religiöser Praxis ver- lichen“ Bewegungen und „Kräfte in tion nicht mehr erreichbar sind. Davon
Kredit. 6 wechselt werden, die in wichtigen Teil- Geschichte und Politik“ konzentrierte9, betroffen sind auch die Medien, die nur 4 Püttmann, Andreas: „Verantwortung für junge
bereichen auf festen Zeitstrukturen auf- gleichwohl doch Religion nach Thomas zu leicht zu Motoren einer Kommuni- Journalisten“. In: Gesellschaft Katholischer Publizisten
(Hrsg.): „Standorte. Katholische Journalisten beziehen
Die Religionszugehörigkeit gehört in baut: Feiertage, der Sonntag, Phasen im Luckmann die Funktion hat, die Men- kation ohne Inhalt und Kontext werden Stellung. Festschrift zum 50-jährigen Bestehen der
Deutschland nach wie vor zum „guten Jahresablauf wie die Karwoche oder die schen in eine „historische soziale Ord- und Leben durch Imitation ersetzen13. Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands
Ton“: Kirchen und die christliche Reli- Fastenzeit – sie stehen im Konflikt mit nung einzubetten“10, so wie die Präambel (GKP)“, Köln 1998, S. 85
gion stehen vielfach für ein Wertesys- einer fortschreitenden Flexibilisierung des Grundgesetzes mit ihrem Gottesbe- Menschen, die aus weltanschaulichen 5 Roos, Lothar: „Glaube in der Zivilgesellschaft“, in:
tem, von dem man sich nicht ohne Not und Entstrukturierung nahezu aller Le- zug auf den Auftrag und die Aufgabe der Gründen bewusste Entscheidungen Rauscher, Anton (Hrsg.): „Die Bedeutung der Religion
distanzieren möchte7. Zudem: Moralisch bensbereiche zugunsten einer immer au- Politik verweist, sich ihrer christlichen treffen und im Rahmen ihrer religiösen für die Gesellschaft“, Berlin 2004, S. 272 f.
(und religiös) artikulierte Beweggründe tonomeren individuellen Zeitgestaltung Tradition zu vergewissern. Selbst der Überzeugungen aktiv werden, können 6 Hahn, Alois: „Religion, Säkularisierung und
erklären oft das individuelle Engage- (z.B. die Sonntagsarbeit). säkulare Verfassungsstaat erinnert sich sich in Bürgerinitiativen oder Klientel- Kultur“, in: Lehmann, Hartmut: „Säkularisierung,
ment in Bürgerinitiativen, die vor dem also religiöser Grundlagen – und akzen- parteien engagieren, die partizipativeren Dechristianisierung, Rechristianisierung im
neuzeitlichen Europa“, Göttingen 1997, S. 21
Hintergrund der Änderung des Kom- Es sind also zunehmend neben wirt- tuiert sie manchmal auch in Fragen von Aktionsformen gegenüber aufgeschlos-
munalwahlrechts und der dortigen Ab- schaftlichen auch gesellschaftliche breiter moralischer Tragweite (Abtrei- sener als große Parteien und zumindest 7 Köcher, Renate: „Die religiöse Einstellung von
schaffung der 5%-Hürde durch das Bun- Umstände, welche die Fragen nach der bung, Gentechnik, Bioethik etc.). auf kommunaler Ebene von der 5%-Hür- Jugendlichen und ihre Auswirkung auf die
Glaubensvermittlung“, in: RHS 6/89, Düsseldorf 1989,
desverfassungsgericht 2008 vor einem individuellen Religiosität und auch der de nicht betroffen sind. In einer stärkeren S. 350
deutlichen Bedeutungszuwachs stehen Kirchenzugehörigkeit überlagern und Zwar entfremdet die stetem Wandel un- Vergewisserung der eigenen Möglichkei-
8 Inglehart, Ronald: „Kultureller Umbruch. Wertewandel
dürften. von außen beeinflussen. Der Zulauf terliegende Arbeitswelt den Menschen ten liegt ein Schlüssel für religiös moti-
in der westlichen Welt“, Frankfurt 1989, S. 416 ff.
zu Bürgerinitiativen und nicht zuletzt zusätzlich von seinen sozialen, kulturel- vierte Wähler. Wo angesichts schwin-
Die asymmetrische Politikgestaltung in der hohe Grad an moralisch definierter len und religiösen Bedürfnissen. Wird dender Wahlbeteiligung mitunter nur 9 Willems, Ulrich: „Säkularisierung des Politischen
oder politikwissenschaftlicher Säkularismus? Zum
vielen Kommunen nach dem Einzug von Politik dort lässt politische Handlungs- Religion aber einseitig für irrelevant wenige dutzend Stimmen zum Sieg feh- disziplinären Perzeptionsmuster des Verhältnisses von
Kleinparteien und Bürgerinitiativen in möglichkeiten für Kirchen oder christ- erklärt, drohen gesellschaftspolitische len, können bereits einige hundert religi- Religion und Politik in gegenwärtigen Gesellschaften“,
die Räte entspricht jedenfalls dem Par- liche Gruppen sichtbar werden; jenseits Fehleinschätzungen auf breiter Linie, öse Wähler von Bedeutung sein. in: Hildebrandt, Mathias / Brocker, Manfred / Behr,
Hartmut: „Säkularisierung und Resakralisierung in
tizipationsverständnis des Internetzeit- traditioneller gemeinschaftlicher Reli- denn, so Robert Picht, der sich auf Toc- westlichen Gesellschaften“, Wiesbaden 2001, S. 216
alters. gionserlebnisse wie dem Kirchgang, der queville beruft, das Alte verschwinde
auch gesellschaftlich wichtig war, um zu niemals ganz, sondern wirke in Form 10 Luckmann, Thomas: „Die unsichtbare Religion“,
Frankfurt 1991, S. 165
Gerade bezogen auf die Bedeutung di- sehen und gesehen zu werden. Hierfür von gesellschaftlichen und administrati-
rekter Partizipationsformen im politi- gibt es heute mehr und andere Möglich- ven Strukturen latent und prägend auch 11 Siehe zur Kontinuität von Ancien Régime und
schen Bereich abseits der großen Partei- keiten – gerade durch Chatrooms und dann weiter11, wenn die Wogen der Poli- postrevolutionärer Gesellschaft: Hidalgo, Oliver:
„Unbehagliche Moderne – Tocqueville und die Frage
en spricht Ronald Inglehart von einem Newsgroups. tik und die Wellen ideologischer Trends der Religion in der Politik“, Frankfurt 2006, S. 176 ff.
Wandel von elite-gelenkten Formen der über ihm zusammenzuschlagen schei-
politischen Beteiligung hin zu einem Warum wird aber dann (vor allem nen12. 12 Picht, Robert: „Fragen zum Wertewandel in den
neunziger Jahren“, in: Köcher, Renate / Schild,
elite-lenkenden Beteiligungsverhalten, christlicher) Religion durch Politik im- Joachim: „Wertewandel in Deutschland und
das einhergehe mit einer wachsenden plizit oder explizit fortwährend Irrele- Politik, die Religion nur als Angelegen- Frankreich“, Opladen 1998, S. 330
Abneigung stark institutionalisierter Be- vanz unterstellt, wenngleich doch medi- heit von Feiertagen oder als Migrati-
13 Bettetini, Gianfranco: „Informierte Gesellschaft
teiligung in bürokratisierten Formen. 8 ale christliche Angebote ihrerseits heute onsphänomen begreift, lässt bewusst – Informierte Kultur. Alltagserfahrungen unter
Neue Herausforderungen für Kirchen vielfältiger sind als je zuvor? oder unbewusst, auf jeden Fall aber Experimentalbedingungen?“, in: Thomas, Hans (Hrsg.):
„Die Welt als Medieninszenierung. Wirklichkeit,
und die Politik erwachsen zudem aus ei- Ulrich Willems vermutet, dass die Fra- nachlässig, gesellschaftliche und religi-
Information, Simulation“, Herford 1989, S. 120 f.
ner globalisierten Wirtschaftsordnung. ge nach dem empirischen Verhältnis von ös-soziale Räume unbeachtet, an denen

41
Barack Obama sucht auch im Amt den
direkten Kontakt zu seinen Bürgern:
Im Namen einer transparenten Regie-
rungsführung, aber auch zur Durchset-
zung seiner umstrittenen politischen
Vorhaben.

von Alexander von Freeden

„Dear Susan, I need your voice on health


care.“ Susan Danes ist 43 Jahre alt, al-
leinerziehende Mutter von drei Kindern,
wohnt in Hartford im US-Bundesstaat
Connecticut und hat einen Teilzeitjob in
der Buchhaltung eines Großhändlers für
Autoersatzteile. Sie klickt auf den Link
in der E-Mail, die ihr Präsident Barack
Obama gerade geschickt hat und gelangt
so zum Health Care Action Center, ei-
nem interaktiven Portal auf der Web-
seite MyBarackObama.com. Dort wird
sie von einem eindringlichen Video-
Appell ihres Präsidenten begrüßt: Eine
umfassende Reform des Gesundheits-
systems ist längst überfällig, so Obama.
Eine Vielzahl von Optionen stehen ihr
offen – nach Eingabe ihrer Postleitzahl
etwa erscheinen die Telefonnummern
der Kongressabgeordneten aus Hart-
ford, mit einem Klick wird Susan über
Skype mit einem der Büros verbunden.
Ein detailliertes Skript mit zahlreichen
Argumenten für die geplante Reform auf
dem Bildschirm vor ihr führt sie durch
das Gespräch, am Anfang der deutli-
che Hinweis „Be polite, respectful and
clear“. Nach einem kurzen, aber inten-

yes,
siven Wortwechsel mit der Mitarbeite-
rin des konservativen Abgeordneten, in
dem sie deutlich ihre uneingeschränkte
Unterstützung zu den Reformplänen

he still can
des Präsidenten zum Ausdruck bringt,
tippt Susan anschließend noch ein kur-
zes Feedback zu ihrem Gespräch in ein

Alexander von Freeden


hat Europa-Studien in Chemnitz und Brno studiert so-
wie Praxiserfahrungen bei Transparency International,
im Europäischen Parlament und bei Evonik Industries
in Riga, Brüssel und Berlin gesammelt.
Er gehört zum Abschlussjahrgang 2009 des Master-
studiengangs Politikmanagement an der NRW School
of Governance.

43
selbsterklärendes Datenbankformular auf seine Anhänger in North Carolina, ab, dass seine Amtszeit von zahlreichen dings auch nichts überstürzen. Fast alle
ein und lehnt sich zufrieden zurück. Kansas und Arizona verzichten kann, Konflikten geprägt sein wird – abzulesen Formate waren bislang thematisch offen
um seine Botschaft vom Change in Wa- etwa an den heftigen politischen Ausei- konzipiert und hatten gemeinsam, dass
Politische Partizpation 2.0? shington Wirklichkeit werden zu lassen. nandersetzungen über die Reform des die Nutzer bestimmte Themen an die
Vor allem bei der Umsetzung umstrit- Gesundheitswesens im Sommer 2009. Spitze wählen konnten. Durchweg auf
Die Situation erinnert stark an den hier- tener innenpolitischer Vorhaben wie den vordersten Plätzen: Die Forderung
zulande vielzitierten Online-Wahl- der Gesundheitsreform sieht Obama Im Dialog mit dem Präsidenten nach der Legalisierung von Marihuana
kampf des neuen US-Präsidenten. Mitt- sich heftigem Gegenwind ausgesetzt. und Zweifel an der Echtheit von Obamas
lerweile gilt allerdings als gesicherte Kurzerhand wurde sein Wahlkampf- Die neue Administration geht jedoch US-amerikanischer Geburtsurkunde.
Erkenntnis, dass nicht allein das Inter- netzwerk in eine neue Organisation auch an anderer Stelle innovative Wege,
net, sondern vielmehr eine geschickte überführt: Organizing for America, kurz um mit ihren Bürgern zu kommunizie- Was macht Susan Danes aus Connec-
Kombination von traditionellen Wahl- OFA. Diese mit der Democratic Party ren und in Dialog zu treten – und erzielt ticut? Sie nutzt alle Möglichkeiten, die
kampfelementen mit neuen Mobili- verbundene, selbsterklärte Graswurzel- dabei mitunter überraschende Resultate. ihr online von Washington aus geboten
sierungs- und Partizipationsformaten Organisation hat sich zum Ziel gesetzt, Ein neuer politischer Stil, das war eines werden: Zurück auf der Startseite des
den Wahlsieg gebracht hat. Virtuelles aktiv für die Agenda des Präsidenten ein- der Wahlversprechen Obamas: Trans- Health Care Action Center unterschreibt
Schlachtschiff des Wahlkampfs war das zutreten. parenz sollte an die Stelle der vielfach sie eine Petition und setzt aus Textbau-
Portal MyBarackObama.com, auf dem beklagten Herrschaft der Lobbyisten tre- steinen einen Brief an die Lokalzeitung
sich 13 Millionen US-Amerikaner in ei- So empfangen die vielen Millionen von ten, die Politik in Kollaboration mit den zusammen. Im Anschluss macht sie
nem eigens geschaffenen Social Network registrierten Nutzern in regelmäßigen Bürgern gestaltet werden. Und Obama noch eine kleine Spende, und lädt ihre
vernetzten und sich zu diversen Unter- Abständen eindringlich formulierte E- scheint Wort zu halten und inszeniert eigene Health Care Story auf die Web-
stützungsmaßnahmen für ihren Kandi- Mails, die um Unterstützung werben – sich als bürgernaher Präsident: Schon seite hoch, um sie mit den anderen Nut-
daten organisierten: Eine halbe Milliarde unterzeichnet von Obama selbst, seiner in der Transition Period, der Zeit direkt zern zu teilen. Mit ein paar Klicks sind
Spendendollar wurden online gesam- Frau Michelle, von Vize-Präsident Joe Bi- nach der Wahl bis zur Amtseinführung, ihre Freunde und Bekannten per E-Mail,
melt, buchstäblich Millionen von An- den oder von Mitch Stewart, dem Mana- waren die Bürger dazu aufgefordert, auf Facebook und Twitter direkt aus dem
rufen und Hausbesuchen bei Wählern ging Director von OFA. Eine ganze Reihe der Webseite Change.gov in zahlreichen Portal heraus über die Kampagne infor-
geleistet, Hunderttausende von Support von Kampagnen wurden initiiert, so be- Online-Foren Vorschläge für das Re- miert. Zuletzt meldet sie sich zu einem
Rallies geplant und durchgeführt – alles reits im Februar 2009 zur Unterstützung gierungsprogramm zu machen. Später Support Barbecue an: Auf einer Google
datenbankgestützt und in engem Kon- des Economic Recovery Plan, oder später, dann, nach der Inauguration, konnten Map sind alle UnterstützerInnen in ih-
takt mit der Kampagnenführung. Ein um die Ernennung von Sonia Sotomay- Internetnutzer aus eigenen Fragen die- rer Gegend verzeichnet, so dass sie ganz
äußerst machtvolles Werkzeug, dessen or, Obamas Kandidatin für den Supreme jenigen auswählen, die vom Präsidenten einfach Kontakt aufnehmen kann. Sie
Anwendung in Deutschland bekannter- Court, durchzusetzen. Obwohl OFA in einer Online Town Hall beantwortetet weiß, dass sie ihren Präsidenten unter-
weise großen Widerhall gefunden hat. keine Nutzerzahlen veröffentlicht und werden sollten. Zahlreiche Minister und stützen muss, wo sie nur kann. Und der
Wenig Beachtung findet in der hiesigen sich der wahre Einfluss der Organisati- hochrangige Beamte scheuen seitdem zeigt sich dessen bewusst:
Berichterstattung jedoch die Frage, ob on nur schwer messen lässt, finden sich auch in ihren eigenen Blogs nicht die
Obama das enorme Momentum aus dem Indizien für eine so starke Nutzung wie Auseinandersetzung mit den Bürgern. „I’m counting on you. Thank you, Presi-
Wahlkampf ins Amt überführen konnte – Wirksamkeit: So berichten US-ameri- Und zuletzt wurde im Rahmen der so- dent Barack Obama.“
und vor allem, wie? kanische Medien übereinstimmend von genannten Open Government Initiative
unzähligen an den Kongress gerichte- eine breit angelegte offene Online-Kon-
Kampagnenkommunikation ten Anrufen, Briefen und E-Mails sowie sultation durchgeführt, um Möglichkei-
wird zu Regierungskommunikation tausenden Unterstützungsveranstaltun- ten für zukünftige Partizipationsformate
gen, während Organizing for America zu eruieren. Während es einigen zwar
Die Wahl Obamas wird euphorisch ge- zur besten Sendezeit TV-Spots schaltet. noch immer nicht schnell genug gehen
feiert, doch schnell wird deutlich, dass Diesen Beistand hat Obama auch bit- kann mit der Öffnung der Regierung
der junge Präsident auch im Amt nicht ter nötig, denn es zeichnet sich deutlich im Netz, will die Administration aller-

45
Die Demokratiebewegungen in aller
Welt haben über das Internet neue
Werkzeuge zur Hand - zuletzt ein-
drucksvoll im Einsatz gegen das Re-
gime im Iran. Doch auch die Unterdrü-
cker kennen die neuen Technologien,
und automatisch in die Freiheit führen
sie nicht.

von Hajo Schumacher

regime im
Die Diktatoren, Autokraten und Ge-
waltherrscher dieser Welt werden von
ihren Geheimdiensten oder den eige-
nen Kindern spätestens diesen Sommer

getwittersturm
auf eine unspektakulär wirkende Seite
im Internet hingewiesen worden sein:
www.twitter.com. Ein niedliches Vögel-
chen ist zu sehen, vier Zeilen Erklärtext,
die üblichen Anmeldefelder. „To twit-
ter“ heißt „zwitschern“, und jeder kann
kostenlos mitmachen. Was ist der Sinn?
Kein großer. Einfach nur aufschreiben,
was man gerade so macht, auf maximal
140 Zeichen. (Bis hierhin haben Sie be-
reits mehr als die fünffache Menge gele-
sen). Eine Art SMS also, die allerdings
nicht nur einen einzigen Empfänger hat,
sondern via Internet potentiell die ganze
Welt. Das klingt banal und ist es auch,
sofern ein Student aus Bielefeld die Zahl
der Mohnkrümel auf seinem Frühstücks-
brötchen twittert.

Warum die Potentaten in Pjöngjang und


Islamabad, in Moskau und Peking aus-
gerechnet vor diesem vermeintlichen
Plapper-Medium Angst haben sollten,
das hat sich im Frühsommer in Teheran
gezeigt, im Anschluss an die umstritte-
ne Präsidentschaftswahl vom 12. Juni.
Vorwiegend junge, technikkundige Ira-
ner meldeten via Twitter praktisch se-
kündlich, was bei den größten Unruhen
im Iran seit 30 Jahren in der Hauptstadt
Teheran und anderen Städten geschah.

Dr. Hajo Schumacher


hat Journalistik, Politikwissenschaft und Psychologie
studiert und an der Universität Duisburg-Essen über
Führungsstrategien von Angela Merkel promoviert. Er
war zehn Jahre lang als Redakteur für den SPIEGEL
tätig, zuletzt als Co-Leiter des Berliner Büros. Heute
arbeitet er als freier Autor und Journalist in Berlin und
moderiert seit 2006 die wöchentliche Talkshow Links-
Rechts auf N24.

47
Obgleich die internationalen Journalis- Reporter des Landes verwiesen. Twitter, Filter- und Erklärfunktion, die bei klassi- werk verdammt; inzwischen nutzt es na- position oder gar einen Geheimdienst hen, was persiankiwi und vielen anderen
ten in ihre Hotelzimmer gesperrt waren, in Kombination mit anderen Internet- schen Medien der Journalist übernimmt, hezu jeder, der einen Rechner bedienen arbeitet: von Rafsandschani bis CIA ist womöglich bereits widerfahren ist. Ei-
wurde die Welt in Echtzeit informiert. Plattformen, bedeutet dagegen die Re- fehlt völlig. Stattdessen funktioniert die kann. Ähnlich erging es auch Facebook alles denkbar. Der Nickname zumindest ner seiner letzten Mitteilungen vom 26.
Bei YouTube sammelten sich Videos, die volution der Revolution. Es gibt keine Schwarmintelligenz ganz gut. Die Men- und YouTube. Zuerst kaperten junge wurde nicht ohne subversive Ironie ge- Juni verhieß jedenfalls nichts Gutes: „we
weltweit hunderttausendfach gesehen Nachrichtensperre mehr. In der globa- ge der Nutzer entwickelt zumindest ein Leute die Plattformen, um Gutturallau- wählt: „persiankiwi“ erinnert stark an must go - dont know when we can get in-
wurden. Über Twitter wurden Fotos aus len digitalen Welt muss kein sperriger ungefähres kollektives Gespür dafür, te und Schwachsinns-Filmchen auszu- „persiankitty“, eine der frühen Sex-Sei- ternet - they take 1 of us, they will torture
Teheran verbreitet, Demos organisiert, Datenträger mehr transportiert werden. wer Relevantes zu sagen hat und wer tauschen; inzwischen entdecken immer ten im Internet. Der Twitter-Feed von and get names - now we must move fast
umgeleitet oder abgesagt, die Brutali- Stattdessen huschen unzählige kleine nur im Weg herumsteht. Gegen unge- mehr Bürger und Firmen die Chance, persiankiwi, der zuletzt wahrscheinlich - #Iranelection“.
täten der Schlägertrupps dokumentiert Datenpakete um den Globus, deren die prüfte Informationen, Halbwahrheiten sich hier seriös darzustellen, Freund- von allen Nachrichtenredaktionen der
und weltweit Hacker gegen den unge- Abwehrdienste der Diktatur nicht mehr und Tartarenmeldungen stehen User, schaften zu pflegen oder Informationen Welt abonniert worden war, brach je-
liebten Präsidenten Ahmadinedschad habhaft werden. Denn via Twitter wer- die Plausibilitätsbelege fordern, wider- weiterzugeben. doch zwei Wochen nach der Wahl ab-
und seine Schergen aktiviert. Das Un- den nicht nur Informationen geschickt, sprechen oder korrigieren. Iraner im Exil rupt ab – das Verbleiben des Twitterers
ternehmen Twitter selbst verschob un- sondern mit Hilfe der internationalen etwa konnten recht bald herausfinden, Für Twitter, das jüngste der neuen Me- ist bis heute nicht eindeutig geklärt.
ter dem Druck globaler User-Proteste Netz-Gemeinschaft auch immer neue wer sich wirklich in Teheran bewegte dien, bedeuteten die Proteste im Iran ein
kurzfristig Wartungsarbeiten, um den Schleichwege durch die Schutzwälle der oder Unsinn aus einer Dachkammer in blitzartiges Erwachsenwerden, weil die Dies mag beispielhaft gelten für die
Informationsstrom nicht zu kappen. So Häscher angelegt. Dass in Teheran Com- Oer-Erkenschwick funkte. Inhalte plötzlich wichtig wurden. Vom Aufmerksamkeit, die den nach wie vor
schwoll aus vielen Piepsern ein Getwit- puter- und Mobilfunknetze zeitweise reinen Stammelmedium entwickelte andauernden Protesten im Iran mittler-
tersturm an, der für das Regime kaum lahm gelegt und Übertragungsgeschwin- Beim Amoklauf von Winnenden hatte sich die Kurzbotschafterei binnen weni- weile entgegengebracht wird. Während
unter Kontrolle zu bringen war. Der Iran digkeiten gedrosselt wurden, konnte das das neue Simpel-Medium Twitter in den ger Tage zur globalen Macht. Die These sich die traditionellen Medien längst
twitterte Morgenluft. landesweite Zwitschern kaum unterbin- Augen vieler Medienexperten noch kläg- sei gewagt, dass der mögliche Wahlbe- wieder anderen Themen zugewandt ha-
den. Die digitale Technik demokratisiert lich versagt. Während am Tatort Trau- trug im Iran reibungsloser vonstatten ben, versucht das Regime weiterhin, sich
Die ganze Welt schaute zu die Medien auch im Regime, denn die er und Fassungslosigkeit herrschten, gegangen wäre ohne die Macht der 140 mit Gewalt und einer beispiellosen Jagd
totale Informationskontrolle ist unmög- tauschten sich Journalisten und Privat- Zeichen. auf Demonstranten zu konsolidieren.
Auch wenn die via Internet, Computer lich: Die völlige Abschottung nach au- leute über banale Fragen aus – etwa, ob Viel Energie und neueste Technologien
und Handy befeuerten Unruhen im Iran ßen wäre ihr Preis, und der ist zu hoch in man für die anstehende Übernachtung Bekannte Unbekannte zur Netzkontrolle werden darauf ver-
nicht unmittelbar zum Sturz des Regi- einer globalisierten Welt. Im Iran stand auch eine Zahnbürste dabei habe. Das im Fadenkreuz wendet, kritische Stimmen mundtot zu
mes geführt haben, steht eines schon die Muftimedia der Multimedia gegen- vorschnelle Urteil über das vermeintlich machen – doch die iranischen Twitter-
jetzt fest. Die weltweite Aufmerksam- über – und die ganze Welt schaute zu. blödsinnige neue Medium zeigte ein alt- Im Netz und den traditionellen Medien Nutzer wissen sich zu helfen und nutzen
keit, die der US-Sender CNN 1989 mit bekanntes Phänomen: Der Inhalt wurde am häufigsten zitiert wurde der Twitte- Anonymisierungsdienste wie Tor oder
seinen Bildern von der blutigen Nieder- Ein Simpel-Medium wird bewertet, nicht aber die weit reichenden rer persiankiwi, was ihn womöglich zu Psiphon, um den staatlichen Häschern
schlagung des Aufstandes auf dem Tia- plötzlich erwachsen Chancen, die das Medium selbst bei klu- einem der derzeit bekanntesten Unbe- zu entgehen. Und so werden auch nach
namen-Platz in Peking bekam, erreichte gem Einsatz bieten kann. kannten der weltweiten Community wie vor jeden Tag tausende Tweets unter
Twitter 2009 für Teheran: ein Medium Wer sich erstmals bei Twitter umschaut, machte. In den zwei Wochen nach der dem Stichwort #iranelection verbreitet,
begründet einen globalen Mythos. Na- ist zunächst verwirrt. Bis zu 100 neue Wie YouTube, Facebook und Myspace ist Wahl verschickte persiankiwi über 800 hinter dem sich die Onlineaktivisten
hezu alle etablierten Nachrichtenmedi- Kurznachrichten – Tweets genannt – auch Twitter zunächst einmal ein neuer Tweets und versorgte die Welt fast im versammeln. Das Internet ist also nicht
en bedienten sich zu bestimmten Zeit- treffen sekündlich ein. Und es dauert Kanal, der Sender zu Empfängern macht Minutentakt offenbar live aus Teheran zu stoppen, doch auch im Fall Iran kann
punkten, nicht nur, aber vor allem, aus eine Weile um herauszufinden, welcher und umgekehrt. Wie beim Online-Le- mit relativ zuverlässigen Informatio- der Technologie allein keine determinis-
Twitter-News – auch wenn es beileibe Absender welche Rolle spielt. Es ist wie xikon Wikipedia braucht die Welt eine nen über Straßenschlachten, Verletzte tische Wirkung zugeschrieben werden:
nicht alle offen zugaben. Über Jahrtau- bei einem Menschenauflauf nach einem Weile, um nach einer ersten Phase der und Inhaftierte. Da die Meldungen zu Ihre Freiheit werden sich die Menschen
sende hatten es Diktaturen relativ leicht, Unfall: Alle reden durcheinander. Nur Hysterie und Spielerei alle Missbrauchs- diesem Zeitpunkt nicht eindeutig veri- immer noch mühsam selbst erkämpfen
Informationen zu unterdrücken oder ab- wenige haben wirklich etwas gesehen, möglichkeiten zu erforschen und sich fizierbar waren, war nie klar, ob hier ein müssen. Es bleibt zu hoffen, dass die
zufangen. Schriftstücke, Kassetten oder viele wollen einfach auch mal was sagen, auf Regeln zu verständigen. Wikipedia ambitionierter Bürger am Werk ist, ein verbliebenen Twitterer ihren Beitrag
Filme wurden an hermetisch abgerie- es gibt Menschen mit Helfersyndrom, wurde noch vor wenigen Jahren von gelernter Journalist oder ein gedungener dazu leisten können, den Widerstand
gelten Grenzen einkassiert, unliebsame Schwätzer, Wichtigtuer und Lügner. Die konservativen Journalisten als Teufels- Zwitscherer, der für die iranische Op- am Leben zu erhalten und sie dem entge-

49
Jugendliche gehören in unserer Gesellschaft zweifelsohne zu jener Gruppe,
für die das Internet ein alltägliches Kommunikationsinstrument geworden ist.
Die politischen Parteien haben diese Erkenntnis in ihre Wahlkampfstrategien
eingebunden und versuchen im Web 2.0, Erst- und Jungwähler zu mobilisieren.
Gedanken zu diesem Thema nach einem Gespräch mit Franz Müntefering*

von Isabelle Sonnenfeld

Dem ganz alltäglichen Buhlen um die Wählergunst bei der Bundestagswahl haben
sich alle Parteien gleichsam bemüht, insbesondere die Erst- und Jungwähler zu mobi-
lisieren und davon zu überzeugen, am Wahltag ihrer Partei die Stimme zugeben. Das
Internet spielte dabei für die Kommunikations- und Mobilisierungsstrategien aller
Parteien eine wichtige Rolle. Eine erkennbare Verbindung zwischen Web 2.0 und Po-
litik erschufen die Parteien bereits in Ansätzen – kein Zweifel. Mit Twitter, StudiVZ,
MeinVZ, Facebook, Youtube, Meine SPD, teAM Deutschland, My FDP, Wurzelwerk
(Grüne) und anderen Plattformen versuchen die Parteien, den direkten digitalen
Kontakt zu den jungen Leuten herzustellen. In diesem Jahr waren es knapp 3.5 Milli-
onen Erstwähler, denen bei der Bundestagswahl ein entscheidender Einfluss auf den
Wahlausgang zugerechnet wurde. Auch Franz Müntefering, während des Bundes-
tagswahlkampfs Parteivorsitzender der SPD, erklärt, dass der Online-Wahlkampf
für die Mobilisierung der jungen Wähler eine wichtige Rolle spielt. „Man muss na-
türlich die neuen Techniken nutzen und man muss sie beherrschen, indem man die
nötige Kommunikation organisiert und Raum für Debatten bietet. Auf die jüngere
Generation wirken die neuen Techniken natürlich ganz anders als auf meine Genera-
tion“, so Müntefering.
Dass sich Wahlen nicht ausschließlich im Internet gewinnen lassen – auch wenn je-
dem sofort US-Präsident Barack Obama als Vorbild in Sachen Online-Wahlkampf
einfällt – zeigen die Hindernisse und Probleme, die der Wahlkampf im Web 2.0

„qualität ist die wichtigste


mit sich brachte. Sich politisch auf das Web 2.0 einstellen bedeutet auch, von den
offiziellen Statements, die die Jungwähler in allen Polit-Talkshows der Republik zu
hören bekommen, Abstand zu nehmen. Wenn der Dialog zwischen Politiker und
Jung- bzw. Erstwähler direkt sein soll, dann müssen Politiker im Internet persönli-

voraussetzung“ –
cher, emotionaler und konkreter argumentieren. Alle Anwendungen in den gängigen
Social Media-Netzwerken der Parteien bleiben wirkungslos, solange sie das Internet
ausschließlich als Kanal der Verbreitung von parteipolitischen Informationen nut-
zen, wie beispielsweise eine Veranstaltungsankündigung oder ein Mitschnitt eines

der wahlkampf im web 2.0


Fernsehauftrittes. Diese Kommunikation verläuft jedoch nur in eine Richtung – auf
der einen Seite die Partei als Sender, auf der anderen die Wähler als Emfänger. Auf
diese Weise werden sich jedoch die wenigsten Jugendlichen für Politik begeistern
und mobilisieren lassen. Daher erfordert der Online-Wahlkampf ein Umdenken

und die jungen wähler


hin zu einer Kommunikationsstrategie, bei der die Rollen von Sender und Emfänger
sowohl von den Politikern als auch den Wähler eingenommen werden können. Ob-
ama hat es auf eindrucksvolle Weise vorgemacht: Wählermoblisierung im Internet

* Franz Müntefering
war von März 2004 bis November 2005 und von
Oktober 2008 bis November 2009 Bundesvorsitzen-
der der SPD.

51
drei fragen an ...
kajo
wasserhövel *
funktioniert nur, wenn den potenziellen es daher umso wichtiger ist, dass die Wie macht sich die SPD die neu- die Parteistrukturen an die Mecha- das Web 2.0 viele neue Möglichkeiten,
Wählern Mitmach-Angebote offeriert Menschen, die diese Techniken anwen- en Mechanismen des Online-Wahl- nismen des Online-Wahlkampfes sich aktiv am Diskussionsprozess zu be-
werden, die ihnen Spaß bringen und ih- den, glaubwürdig erscheinen und durch kampfes zu eigen und wie sehr anpassen, insbesondere um Trans- teiligen. Gleichzeitig aber stellt es uns
nen das Gefühl geben, Teil einer „Bewe- eine klare politische Botschaft Vertrauen glaubt Ihre Partei an den Online- parenz zu garantieren? vor Herausforderungen.
gung“ zu sein. Einige Parteien schaffen schaffen. Grundsätzlich ist die Qualität Wahlkampf als Erfolgsgaranten für Denn: Partizipationsversprechen müs-
diesen Spagat zwischen politscher Bot- der politischen Inhalte und die Persön- den Ausgang der Bundestagswahl? Was wir im Onlinewahlkampf machen, sen auch eingehalten werden. In jedem
schaftsübermittlung und persönlichem, lichkeit die wichtigste Voraussetzung, Welche Plattformen im Web 2.0 und sind Angebote für die Parteigliederun- Fall aber kann das Internet helfen, ein
direktem Kontakt im Internet bereits ganz gleich mit welcher Technik man der Social Media halten Sie für be- gen. Das hat nichts mit Kontrolle zu tun. Gespräch über Politik in Gang zu brin-
ganz gut. Doch sind es gerade die Ju- arbeitet“. Es geht also um Authentizi- sonders geeignet? Das Willy-Brandt-Haus versteht sich gen, es kann Orientierung geben. Und es
gendorganisationen der Parteien, die den tät, Glaubwürdigkeit, Vertrauen und um hier als Servicepartner und Dienstleister kann helfen, die richtige Wahlentschei-
Wahlkampf im Web 2.0 bisher am Bes- politische Persönlichkeiten, die diese Mit dem Onlinequartett frank-walter- und hat eine koordinierende Funktion. dung zu treffen. Da sind wir alle gefor-
ten verinnerlicht haben und mit attrak- Eigentschaften sowohl über das Internet steinmeier.de, spd.de, wahlkampf09. So bieten wir den Kandidaten oder Ab- dert.
tiven Aktionen Jung- und Erstwähler für transportieren als auch an den vielen In- de und meineSPD.net sind wir gut auf- geordneten beispielsweise eine Beratung
Politik begeistern können. foständen auf Deutschlands Marktplät- gestellt. Das Internet ist ein Dialogme- an, der individuellen Kreativität sind
Ob jedoch online Erstwähler in dem zen vermitteln können. Das Internet als dium und keine Einbahnstraße. Das aber natürlich keine Grenzen gesetzt.
Maße gewonnen werden können, dass Werkzeug für den Wahlkampf wird in unterscheidet es von den klassischen Letztlich entscheidet jeder Bundestags-
dies entscheidend auf das Wahlergeb- Zukunft nicht mehr wegzudenken sein. Medien. Die User können sich informie- wahlkandidat eigenständig darüber, was
niss der jeweiligen Partei einwirkt, ist Für die Mobilisierung der Erstwähler ren, mit uns in Kontakt treten und über und wie viel in seinem Onlinewahl-
äußerst fraglich. Anzunehmen ist je- wird es wohl zum interessantesten und politische Inhalte diskutieren. Neben kampf gemacht wird. Und klar ist: Das
doch, dass jene Erstwähler, die bereits attraktivsten Kommunikationsinstru- den Auftritten im Rahmen des Online- muss auch so sein. Denn das Netz lebt
parteipolitische Tendenzen haben, für ment werden – vorausgesetzt, Politiker quartetts sind wir auch in den verschie- von der Kreativität von Vielen. Schon
die Wahl mobilisiert werden können. und Parteien sind bereit, sich den Her- denen sozialen Netzwerken präsent: Auf heute sind tausende SPD-Sites im Netz.
Ebenfalls lassen sich Aktivitäten der Par- ausforderungen zu stellen. Facebook, YouTube, StudiVZ, Twitter Immer mehr Kandidatinnen und Kandi-
teibasis sehr viel schneller und einfacher sowie Flickr. Im Internetwahlkampf daten der verschiedenen Ebenen gehen
über das Internet organisieren. Tweets Das Gespräch mit Franz Müntefering liegt großes Potenzial. Vor allem dann, in die sozialen Netzwerke. Dort sam-
oder Facebook-Status-Meldungen über wurde am 7. Juli 2009 im Rahmen der wenn man die Onlinestrategie in die meln sie Erfahrungen und tauschen sich
den nächsten Wahlkampfauftitt reichen Veranstaltung „Münte-Talk“ an der Uni- Gesamtkampagne einwebt. Uns geht es mit der Netzgemeinde aus. Klar ist aber
jedoch nicht aus, um alle 3,5 Millionen versität Duisburg-Essen geführt. um einen integrierten Wahlkampf. Wir auch: Zentrale Plattformen sind immer
Erstwähler für Politik zu begeistern und wollen alle Kommunikationskanäle op- nur ein Teil der Gesamtkampagne. Das
sie zu überzeugen, von ihrer Stimme timal miteinander verbinden. Dabei ist Web 2.0 lebt ja gerade davon, dass Kom-
Gebrauch zu machen. Der Wahlkampf die Onlinekampagne aber keine separate munikation nicht zentral und einseitig
im Web 2.0 hat zweifelsohne neue Mög- Säule mehr, sondern eine tragende. Al- läuft. Jeder kann sich beteiligen.
lichkeiten der politischen Kommunika- lerdings ist der Internetwahlkampf nicht
tion aufgezeigt, eine Verbindung zwi- alleine wahlentscheidend. Vielmehr ist Herr Wasserhövel, es gibt vielfältige
schen politischer on- und offline-Arena der Internetwahlkampf entscheidend, Partizipationsansätze im Web 2.0,
ist dennoch unverzichtbar. Der Sprung um eine möglichst breite Wählerschicht beispielsweise e-Petitionen oder Ab-
von der virtuellen in die reale Welt der ansprechen zu können. geordnetenwatch. Wie lässt sich ein
Politik muss immer noch stattfinden, Mehr an Partizipation mit der Effizi-
um beim Wähler einen nachhaltigen Der Online-Wahlkampf bewegt sich enz des politischen Systems verein-
Eindruck zu hinterlassen, der sich in der im Spannungsfeld zwischen inhalt- baren?
Wahlentscheidung zeigt. Ähnlich sieht licher Kontrolle durch die Partei und
dies auch Franz Müntefering: „Ich glau- der kreativen Freiheit des Web 2.0. Bei einem Mehr an Partizipation spre-
be, dass das Instrument, mit dem man Welchen Weg verfolgen Sie diesbe- chen wir letztlich immer von zwei Seiten * Wahlkampfmanager der SPD
arbeitet, doch letztlich sekundär ist und züglich und wie sehr müssen sich einer Medaille. Auf der einen Seite bietet bei der Bundestagswahl 2009

53
drei fragen an ... drei fragen an ...
otto philipp
fricke * mißfelder *
Wie macht sich die FDP die neuen schung aus politischer Information über fizienz der politischen Arbeit stehen Herr Mißfelder, wie macht sich die bereit sein und auf die jungen Menschen
Mechanismen des Online-Wahl- die Arbeit in der FDP-Fraktion und zum nicht im Widerspruch. Im Gegenteil CDU die neuen Mechanismen des zugehen. Gerade wir jüngeren Politiker
kampfes zu eigen und wie sehr Teil bissiger Satire und Selbstironie hat führt das Internet zu Effizienzgewinnen. Online-Wahlkampfes zu eigen und sind gefordert, aufzuklären und in den
glaubt Ihre Partei an den Online- mittlerweile das Interesse einer großen Ein Gefühl für die Stimmung der Bür- wie sehr glaubt Ihre Partei an den Parteien für mehr Offenheit im Umgang
Wahlkampf als Erfolgsgaranten für Userzahl gefunden. Auch an unserer re- ger zu bekommen ist mit dem Internet Online-Wahlkampf als Erfolgsgaran- mit dem Internet zu werben.
den Ausgang der Bundestagswahl? gen Teilnahme auf diesen Plattformen ist an bestimmten Stellen leichter und fast ten für den Ausgang der Bundestags-
Welche Plattformen im Web 2.0 und gut abzulesen, dass wir das Web 2.0 als immer viel schneller möglich. Gleiches wahl? Welche Plattformen im Web Es gibt vielfältige Partizipationsan-
der Social Media halten Sie für be- eine sehr gute, weitere Kommunikati- gilt für den Dialog mit dem Bürger, in- 2.0 und der Social Media halten Sie sätze im Web 2.0, beispielsweise
sonders geeignet? onsmöglichkeit ansehen und nutzen. des es auch im Web 2.0 Abstufungen für besonders geeignet? e-Petitionen oder Abgeordneten-
gibt. E-Mails kommen den früher viel watch. Wie lässt sich ein Mehr an
Für die FDP zählt der Online-Wahlkampf Herr Fricke, der Online-Wahl- geschriebenen Briefen vermutlich noch Der Wahlkampf im Internet ist für uns Partizipation mit der Effizienz des
zu einem der wichtigen Elemente, um kampf   bewegt sich im Spannungs- am nächsten, wohingegen Twitter zwar ein wichtiger Schwerpunkt. Als Junge politischen Systems vereinbaren,
neue Wählerzielgruppen zu erreichen, feld zwischen inhaltlicher Kontrolle einer SMS gleicht, hier jedoch unzäh- Union sprechen wir beispielsweise Erst- Herr Mißfelder?
aber auch um die eigenen Anhänger durch die Partei und der kreativen lige Empfänger am sekundenschnellen und Jungwähler dort an, wo sie sind: In
schnell und effektiv zu erreichen und Freiheit des Web 2.0. Welchen Weg Austausch kurzer Gedanken teilnehmen den sozialen Netzwerken wie Facebook, Gerade die junge Generation nutzt rich-
einen Feedbackchannel einzurichten. verfolgen Sie diesbezüglich und wie können. StudiVZ und Wer-kennt-wen. Wir stel- tigerweise die zahlreichen Möglich-
Insbesondere jüngere Wählerschichten sehr müssen sich die Parteistruktu- len auf unserem eigenen JU-Channel keiten des Internets, sich direkt an die
sind zunehmend durch dieses Medium ren an die neuen Mechanismen des Spots bei YouTube ein und nutzen mo- Politik zu wenden, sich auszutauschen
erreichbar. Zudem besteht die Möglich- Online-Wahlkampfes anpassen, ins- derne Kommunikationsmedien wie und miteinander zu diskutieren. Oh-
keit, schnelle Resonanz auf eingestellte besondere um Transparenz zu ga- Twitter. Damit sind wir Teil der Com- nehin muss die Politik die Anliegen der
Aktionen zu bekommen und Fragen der rantieren? munity im Internet. Ob online, bei un- Online-Community ernst nehmen, das
„User“ beantworten zu können. So ist es serem Stand auf der „gamescom“-Messe zeigt die Debatte über die e-Petitionen.
möglich, gezielte Werbung für die Inhal- Das Web 2.0 bietet völlig neue Möglich- in Köln oder im Straßenwahlkampf vor Die Effizienz leidet nicht darunter, wenn
te des Wahlprogramms zu starten. Ich keiten eigene Inhalte zu präsentieren Ort – wir sind überall miteinander im solche Impulse an die Entscheidungsträ-
bin in diesem Zusammenhang sehr aktiv und dem Wähler nahe zu bringen. Wie Gespräch. ger in der Politik herangetragen werden.
auf verschiedenen Plattformen. Zum ei- auch bei Plakat-Aktionen der einzelnen
nen versuche ich in meinem Blog aktu- Gliederungen der Partei wird hier ver- Der Online-Wahlkampf bewegt sich
elle Geschehnisse zu thematisieren und sucht, ein in Grundzügen einheitliches im Spannungsfeld zwischen inhalt-
meine Sicht darzustellen. Andere Platt- Auftreten abzubilden. Doch das Web 2.0 licher Kontrolle durch die Partei und
formen auf denen ich aktiv teilnehme, bietet über dies die Möglichkeit, auch ei- der kreativen Freiheit des Web 2.0.
sind Facebook, StudiVZ und Twitter. Sie gene Themen anzusprechen. Es eröffnet Welchen Weg verfolgen Sie diesbe-
ermöglichen durch ihre unterschiedli- sich die Möglichkeit, persönliche Inhalte züglich und wie sehr müssen sich
chen Kommunikationsebenen eine grö- zu vermitteln und sich dem Wähler auch die Parteistrukturen an die Mecha-
ßere Nähe zum Wähler und für ihn eine von dieser Seite sehr individuell zu prä- nismen des Online-Wahlkampfes
höhere Verständlichkeit der dargestell- sentieren. anpassen, insbesondere um Trans-
ten Thematiken. So habe ich beispiels- parenz zu garantieren?
weise eine Online-Abstimmung über Es gibt vielfältige Partizipationsan-
unterschiedliche Wahlplakate durchge- sätze im Web 2.0, beispielsweise Die Parteien müssen sich massiv der
führt. Diese hat ein enormes Feedback e-Petitionen oder Abgeordneten- Realität anpassen und jungen Men-
erbracht. watch. Wie lässt sich ein Mehr an schen mehr Gestaltungs- und Mitwir-
Als besonders erfolgreich hat sich ferner Partizipation mit der Effizienz des kungsmöglichkeiten bieten. Weil sich
das Format „Fricke&Solms“ erwiesen, politischen Systems vereinbaren? die meisten Jugendlichen heute online
welches wir über YouTube bereits in * Bundestagsabgeordneter informieren, müssen die Parteien noch * MdB, Bundesvorsitzender
der 14. Folge produziert haben. Die Mi- Mehr demokratische Teilhabe und Ef- der FDP-Fraktion stärker zur Kommunikation im Internet der Jungen Union Deutschland

55
Das Internet hat die Etablierung zahl-
reicher neuer Informationskanäle und
Plattformen für politische Partizipation
gefördert. Sie leisten wertvolle Beiträ-
ge zu Demokratisierungsprozessen
überall auf der Welt. In der offenen und
unkontrollierbaren digitalen Welt agiert
jedoch auch eine wachsende Anzahl
von Organisationen, die ein vollkom-
men konträres Programm verfolgen.

von Ines Olejnik

terroristische droh-
Terrorismus 2.0? Zusammenschluss von Spezialisten des um ihnen sensible Daten zu entlocken
Bundesverfassungsschutzes und des oder sie zu destabilisieren. Eine anderer
Schon 1989 hat Al Qaida eine eigene Bundeskriminalamtes hervorgegangen Ansatzpunkt wäre die gezielte Verbrei-
Medienabteilung eingerichtet, was da- ist, haben überdies nur ein begrenztes tung von Computerviren. Es gilt als er-

gebärden im internet
von zeugt, dass die Organisation die Arsenal an Möglichkeiten, um der ter- wiesen, dass Al-Qaida-Aktivisten in Ha-
Medienarbeit als integrativen Bestand- roristischen Gefahr aus dem Netz zu be- cking-Techniken ausgebildet werden. Im
teil ihres Wirkens einschätzt. Seit 1996 gegnen. Frühsommer 2007 wurde Estland Opfer
wird auch das im Westen entwickelte einer gezielten Hacker-Attacke, bei der
Internet für die eigenen Ziele instru- Terrorismusforscher gehen – je nach De- über 20 Tage hinweg mit Abermillionen
mentalisiert. Die heutige Generation finition und Zählweise – von momentan von sinnlosen Anfragen fast die gesamte
von Terroristen ist mit den neuen Medi- mehreren tausend bis zentausenden In- öffentliche Netzinfrastruktur zum Erlie-
Um sich neuen Erscheinungsformen besetzen wollen. Terrorismus lässt sich trale Rolle, da es die Werkzeuge bereit- en aufgewachsen, weiß um ihre Macht ternetseiten mit terroristischen Inhalten gen gebracht wurde. Die Zukunft wird
terroristischen Handelns zu nähern daher auch als Kommunikationsstrategie hält, um diese psychologischen Effekte und macht sich die Möglichkeiten zur aus, allerdings mit unterschiedlichen Ak- zeigen, ob auch islamistische Terroris-
ist zunächst zu klären, was „Terroris- bezeichnen. zu erzeugen, zu verstärken und das An- anonymen und schnellen Übertragung tivitätsgraden. Dabei ist unklar, ob sie or- ten diese Angriffsweisen übernehmen
mus“ überhaupt bedeutet. Das Thema liegen der Terroristen über möglichst von Informationen zu Nutze. So hat sich ganisatorisch zusammenhängen oder ob werden und ob sich die demokratischen
ist Gegenstand unzähliger Analysen Die permanente Bedrohung viele Kanäle an ein breites „Publikum“ nicht nur die Kommunikation nach au- nicht viele überwiegend von unabhängi- Staaten des Westens dagegen schützen
und wissenschaftlicher Diskussionen, zu verbreiten. So agiert etwa Al-Qaida ßen stetig weiter entwickelt, auch der gen Sympathisanten ins Internet gestellt können.
aus denen eine Reihe von Definitionen Es wird daher kaum verwundern, dass bereits seit den 1970er Jahren internati- Informationsaustausch innerhalb der wurden. Die Öffnung gegenüber Sym-
mit unterschiedlichen Schwerpunkten sich Terroristen auch neue Kommuni- onal, wird jedoch erst seit dem 11. Sep- Organisation hält mit der technischen pathisanten hat Al-Qaida jedenfalls eine Es lässt sich festhalten, dass sich die
hervorgegangen ist. Es herrscht jedoch kationsmöglichkeiten zu eigen machen tember 2001 weltweit als Bedrohung der Entwicklung Schritt: In geschlossenen Dauerpräsenz im Internet eingebracht. Terroristen schon heute sehr gut darauf
weitgehend Konsens darüber, dass mit und sich darüber transnational vernet- westlichen demokratischen Ordnung Webforen, Chatrooms und über Mai- Sie tragen dazu bei, dass sich Videos von verstehen, die neuen medialen Mög-
dem Begriff „Terrorismus“ geplante Ge- zen. Terrororganisationen wie Al-Qaida eingestuft. Mittlerweile verbreiten sich linglisten werden ideologische Diskus- Anschlägen oder Geiselhinrichtungen lichkeiten intensiv zu nutzen. Die zu-
waltanwendungen bezeichnet werden geht es nicht (mehr) darum, gezielt ein- ständig Videos mit propagandistischen sionen geführt und Aktionsplanungen über die entsprechenden Plattformen grunde liegenden Strategien sind dabei
können, die sich gegen eine bestimm- zelne politische Systeme zu verändern Inhalten des Al-Qaida-Gründers Osama erörtert. Außer für Propaganda wird das wie Lauffeuer verbreiten. Dieser offene so einfach zu durchschauen wie sie sich
te politische Ordnung richten. Eine oder zu zerstören. Vielmehr streben sie bin Laden und anderer Führungsmitglie- Internet intensiv zur Spendenwerbung Zugang und die direkte Kommunaktion als wirkungsvoll erweisen. Es ist aller-
mögliche Abgrenzung zu dem Begriff einen Wandel der internationalen Ord- der über diverse digitale Portale die von und als Rekrutierungsplattform genutzt. führt jedoch im Gegenzug dazu, dass dings erschreckend, wie plastisch es den
„Guerilla“ besteht darin, dass Gueril- nung gemäß ihrer Vorstellungen an. hunderttausenden Internetnutzern an- Geschickt machen sich die Terroristen sich die Organisationsstrukturen nicht Terroristen mitunter gelingt, die reale
labewegungen in erster Linie darauf Mithilfe der medialen Vernetzung ist es gesehen werden. Auch von westlichen die offenen Systeme des Westens zu ei- mehr exakt definieren lassen – nicht für Welt und die digitale Sphäre mitein-
abzielen, Territorien des Gegners unter den Terroristen möglich, mit vergleichs- Medien werden immer öfter so genannte gen: Einige Terrororganisationen etwa Mitglieder und schon gar nicht für die ander zu integrieren. So wird von einer
militärischer Gewaltanwendung einzu- weise wenig Aufwand über Grenzen „Terror-Videos“ aufgegriffen, um man- können Geldbeträge über PayPal erhal- internationalen Sicherheitsbehörden. Gruppierung im Irak berichtet, die einen
nehmen. Gemeinsam ist Terroristen und hinweg Angst und Schrecken zu pro- gels anderen Bildmaterials die eher ab- ten, dem weit verbreiteten Bezahldienst Dies korrespondiert mit der dezentralen Wettbewerb für das Design ihrer neuen
Guerillas vielleicht die Asymmetrie als vozieren. So lässt sich mit einzelnen strakte Gefahr von Terroranschlägen zu von eBay. Bekannterweise dient das In- Struktur der Organisation mit ihren vie- Webseite veranstaltet hat. Der Preis für
bestimmendes Merkmal ihres Kampfes: Anschlägen in Sekundenschnelle eine illustrieren. Leicht können die Terroris- ternet aber auch als Plattform zur Wei- len unabhängigen Zellen. den Gewinner: Die Möglichkeit, fernge-
Zumeist stehen einige wenige einer grö- weltweite Öffentlichkeit erreichen. Das ten so aber ein diffuses Gefühl der per- terbildung: Detaillierte Waffen- und steuert und per Mausklick drei Raketen
ßeren Macht oder Gemeinschaft gegen- Internet spielt an dieser Stelle eine zen- manenten Bedohung erzeugen. Bombenbaupläne sind ebenso verfüg- Cyberterrorismus auf eine US-Militär-Basis abzufeuern.
über. Terrorismus ist hingegen keine bar wie Anleitungen zur Fälschung von
primär militärische Strategie, sondern Ines Olejnik
Dokumenten. Die Überwachung und Als Cyberterrorismus lassen sich der-
ein psychologisches Druckmittel. So arbeitete nach ihrer abgeschlossenen Ausbildung Bekämpfung der internetbasierten Ter- weil in einem engeren Verständnis ter-
wird versucht, Einfluss über die Verbrei- zur Verlagskauffrau im Bereich Human Resources. rorkommunikation ist ein Unterfangen roristische Aktivitäten verstehen, die das
Anschließend studierte sie Sozialwissenschaften
tung von Angst und Schrecken geltend (B.A.) an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf ohne Anfang und Ende, da während der Internet als Vehikel für Attacken nutzen.
zu machen. Dementsprechend stellt der und ist seit Herbst 2008 Studentin des Masterstu- Schließung einer Internetseite schon die Westliche Sicherheitsbehörden gehen
Terrorismusforscher Franz Wördemann dienganges Politikmanagement an der NRW School nächste ins Netz gestellt wird. Staatliche von der Gefahr aus, dass sich Terroristen
of Governance. Während ihres Studiums sammelte
fest, dass die Guerillabewegungen den sie praktische Erfahrungen bei der Agentur Initiative Behörden, wie das Gemeinsame Ter- in internetbasierte Sicherheit- und Ver-
Raum und die Terroristen das Denken Media und der Körber-Stiftung. rorismusabwehrzentrum, das aus dem sorgungssysteme einhacken könnten,

57
Politischer Protest manifestiert sich
zunehmend online – doch den Aktivis-
ten ist bewusst, dass sie ihr Engage-
ment auch offline zur Geltung bringen
müssen.

von Alexander von Freeden

Eine Mail, ein Link, zwei Klicks. Mehr


braucht es heutzutage nicht, um sich
politisch zu engagieren: gegen Genmais,
Atomkraft oder die Bahnprivatisierung.
Und das ganz bequem vom Schreibtisch
aus – über unabhängige Internetplattfor-
men, die einzelne politisch Aktive mit
Gleichgesinnten zusammenführen. Eine
der neuen Organisationen, die in jüngs-
ter Zeit mit Online-Kampagnen für Auf-
merksamkeit sorgen, ist Campact (www.
campact.de). Ein kleines zehnköpfiges
Team aus dem niedersächsischen Verden
initiiert unter dem Motto Demokratie in
Aktion über das Internet laufend neue
Aktionen zu diversen umwelt- und ge-
sellschaftspolitischen Themen und kann
dabei per E-Mail auf einen Pool von über
180.000 registrierten Aktivisten zurück-
greifen – mit schnell wachsender Ten-
denz.

Campact wurde 2004 nach dem US-


amerikanischen Vorbild MoveOn.org

mit ein paar


gegründet, das sich nach eigenen An-
gaben auf über 5 Millionen Mitglieder
stützt. Entstanden ist die Organisation
einst aus dem Unmut über die monate-

klicks für eine


lange Dauerberichterstattung über die
Sex-Affäre von Bill Clinton und Monika
Lewinsky. Den E-Mail-Aufruf „Move
On to Pressing Issues Facing the Nati-

bessere welt?
on!“ unterzeichneten Hunderttausen-
de. Mittlerweile hat die Bewegung eine
Vielzahl von politischen Kampagnen mit
großer Öffentlichkeitswirkung durchge-
führt – und beschränkt sich dabei längst
nicht mehr nur auf das Internet, sondern
schaltet mit den Spenden seiner Mit-
glieder Printanzeigen und TV-Spots.
Tradition hat die Unterstützung der De-
mocratic Party: Der Wahlsieg Obamas
wird – hierzulande völlig unbeachtet –
zu einem guten Teil auch der ausdauern-

59
den Mobilisierung von MoveOn.org zu- außen für mehr Demokratie gestritten Ingmar Hagemann schüttelt entschieden die Laufzeitverlängerung von Kern-
geschrieben. wird, die Entscheidungsprozesse inner- den Kopf: „Campact will auf keinen Fall kraftwerken unterzeichnet.
halb der Organisation jedoch eher von andere Formen des Engagements erset-
Schnelle Reaktion, oben nach unten ablaufen? Hagemann zen, verlangt von seinen Aktiven jedoch Während E-Mails einfach gelöscht
quer zu den Fronten ist der Einwand bekannt, er entgegnet auch nicht von Beginn an diese hohe werden können, sind öffentliche Ak-
jedoch, dass „es das Ziel von Campact Spezialisierung, die anderswo oftmals tionen nicht so leicht zu übergehen,
Würde sich Campact wie MoveOn.org ist, nah an der Politik zu sein und schnell als Voraussetzung gilt und den Zugang insbesondere wenn sie von den tra-
klar für einzelne politische Kandidaten reagieren zu können. Deshalb macht das häufig verhindert. Campact kann viel- ditionellen Medien aufgegriffen wer-
aussprechen? „Überparteilichkeit ist ei- Team von Campact auch die Vorschläge mehr den Ausschlag dafür geben, sich den. Ziel der Online-Aktivisten ist
nes der grundlegenden Prinzipien von für die Kampagnen.“ Die Themenset- überhaupt erst einmal einzubringen.“ Es es in jedem Fall, politische Entschei-
Campact“, so der Diplom-Politologe zung geschehe jedoch in engen Rück- stehe jedoch fest, dass die Unterzeich- dungsträger in ihrer eigenen Öffent-
Ingmar Hagemann, der sich im Team kopplungsprozessen mit den Aktiven. nung von Online-Petititionen immer lichkeit zu konfrontieren und so poli-
von Campact engagiert, gleichzeitig aber Anders als vielleicht bei einer Partei nur der Anfang sein kann. tische Wirkung zu erzielen – und die
auch die sozialen Bewegungen im Inter- hängt so jede Initiative immer wieder entfaltet sich nach wie vor in erster
net in seiner Dissertation an der Univer- von der namentlichen Unterstützung So werden über die Campact-Plattform Linie offline.
sität Duisburg-Essen kritisch reflektiert. der Mitglieder ab – würden die einzelnen regelmäßig tausende E-Mails an Ab-
Hagemann – dünn, groß, mit dunklen Appelle nicht unterzeichnet, wären sie geordnetenbüros und Ministerien ver-
Haaren und in Jeans und Chucks – er- politisch wirkungslos. sandt. Der Organisation gelingt es aber
klärt, dass Campact sogar häufig Themen auch immer wieder, den Protest ihrer
aufgreife, die quer zu den Parteilinien lä- Politischer Aktivismus Aktiven kreativ und medienwirksam in
gen und von der Politik eher vernachläs- in der Kaffepause? die reale Welt zu überführen – jeweils
sigt würden, dafür aber in der Bevölke- auf der Basis vorausgehender Mobilisie-
rung breite Resonanz fänden. Wie kann Die Webseite von Campact: Bunte Bil- rung und Koordination im Netz. Einige
jedoch eine so kleine Organisation wie der, klare Slogans, zu jeder Kampagne Beispiele: Im November 2006 bilden
Campact überhaupt den hohen Aufwand wird ein „5-Minuten-Info“ angeboten. vor dem Bundestag 13.000 von Cam-
leisten, die die inhaltliche Vorbereitung Mit ein paar Mausklicks ist der Appell pact-Aktiven gestiftete Luftballons den
einer Kampagne etwa zum Thema der unterzeichnet, das Gewissen bereinigt, Schriftzug „Gen-Food – Nein Danke!“
umstrittenen Agrar-Exportsubventio- die Welt wieder ein Stückchen besser. und verteilen sich danach im Regie-
nen erfordert? „Wir arbeiten eng mit Für den Diplom-Biologen und Politik- rungsviertel wie Pollen genmanipulier-
anderen Organisationen zusammen, wissenschaftler Christoph Bautz, der im ter Pflanzen. Im Februar 2009 umzin-
die uns als Kooperationspartner inhalt- Vorstand von Campact sitzt, macht es geln etwa 2.000 Aktive den Tagungsort
lich unterstützen. Diese erfolgreiche seine Organisation möglich, „in der Kaf- des Deutschen Atomforums, zum Teil in
Vernetzung ist essentiell für den Erfolg feepause aktiv zu werden“. Wie einfach Schutzanzügen und auf „Atomfässern“
einer Kampagne. Campact hat spezielle ist heute der politische Protest gewor- trommelnd, in den Händen Kerzen als
Erfahrungen damit, wie Kampagnen zu den: Keine Friedensmärsche im Regen, „Brennstäbe“. Und im Juli 2009 kommt
fahren sind und bietet Interessierten die keine Unterschriftensammlung in der der Bundesumweltminister nicht um-
Möglichkeit, sich online zu vernetzen.“ Fußgängerzone, keine anstrengenden hin, öffentlich auf die Übergabe von über
Demonstrationen mehr? Zugegeben – 37.000 Unterschriften gegen den Neu-
Die Mitglieder von Campact sind, so in der globalisierten Gesellschaft, in der bau von Kohlekraftwerken zu reagieren.
heißt es auf der Webseite, „nicht durch Mobilität und Flexibilität zu allgemein- Dass die neue Bundesregierung nicht
Stimmrechte an taktischen und strate- gültigen Maßstäben erhoben werden, verschont werden wird, kündigt sich be-
gischen Entscheidungen der Organisa- bleibt vielleicht weniger Zeit für politi- reits lautstark an: Über hundertausend
tion beteiligt“. Muss sich Campact den sches Engagement. Kann die Demokra- Aktive haben noch während der Koalis-
Vorwurf gefallen lassen, dass zwar nach tie jedoch allein vom Mausklick leben? tionsverhandlungen eine Petition gegen

61
von Anna-Lena Wilde

die virtuelle
partei ist tot! Im Internet mimen die übrig gebliebenen
anderzusetzen. Darüber hinaus haben
alle Parteien seit einigen Jahren eigene
haben sich auch die herkömmlichen In-
ternetangebote der Parteien hierzulande
keiten auf ihren sozialen Netzwerkseiten
an. Oder die virtuellen Parteigliederun-

es lebe die
jetzt munter den Ortsverein und versu- Internetpräsenzen und bieten dort viele verändert. Mit Seiten wie meinespd.net gen werden überholt und ihnen werden
chen, der hypermobilen Internetgene- Mitwirkungs- und Diskussionsmöglich- oder my.fdp.de bieten die Parteien neue echte Mitwirkungsrechte zugesprochen.
ration ein Forum für politische Partizi- keiten. Den virtuellen Parteigliederun- Kommunikationsplattformen jenseits Ohne eine Änderung des Parteiengeset-
pation zu suggerieren, das es doch nicht gen entschwindet mehr und mehr ihre des Engagements im Ortsverein. Hier zes ist jedoch beides unmöglich. Bis da-

virtuelle partei!
gibt. Oder etwa doch? Klar ist eins: Ein Besonderheit. können Mitglieder Profile anlegen, sich hin heißt es weiter: Die virtuelle Partei
Ortsverein, der nicht örtlich gebunden Sind die virtuellen Parteigliederungen in Gruppen austauschen, gemeinsame ist tot! Es lebe die virtuelle Partei!
ist und bei dem nicht alle Mitglieder aus also längst überholt? Wer sich einmal Aktionen planen, Fotos hochladen oder
einem Gebiet stammen, kann sich nicht die Internetpräsenzen der noch beste- sich über neue Themen informieren. Na-
für die Begrünung städtischer Anlagen henden Exemplare auf vov.de und lvnet. türlich ist dies keine wirklich innovative
und den Neubau von Spielplätzen ein- fdp.de anschaut, könnte zu dem Schluss Idee, denn soziale Netzwerke wie Stu-
Vorbei die Zeiten der Parteistammtische setzen. Und zudem kann er nicht agieren kommen. Geradezu verkümmert wir- diVZ oder Facebook bieten diese Dienste
in der Kneipe ums Eck oder im zugigen wie die traditionellen Gliederungen ei- ken die Präsenzen und insbesondere der schon lange an und auch dort tummeln
Parteigebäude, vorbei das gemeinsame ner Partei, denn das Parteiengesetz sieht VOV erscheint wie ein Relikt aus den sich die Parteien. Aber es ist ein Versuch,
Plakatekleben bei Wind und Wetter, in § 7 Abs. 1 vor, dass sich Parteien in Ge- frühen Anfängen des Internets. Im de- diejenigen in die Partei einzubinden, die
vorbei der gemeinsame Kampf für die bietsverbänden organisieren. Ihm bleibt zenten „Ocker-Senf-Bläh“ kommt die sich gerne im sozialen Cybernet tum-
politische Sache am Stand in der Innen- also nichts anderes übrig, als den ande- Seite daher. Bilder und vor allem Hin- meln. Eines muss jedoch klar sein: Eine
stadt und vor dem Supermarkt. Diese ren Gliederungen zuzuarbeiten. Gelöst weise darauf, warum der Besucher un- Parteimitgliedschaft im Ortsverein er-
Zeiten sind vorbei – zumindest wenn wird dieses Problem auf unterschiedli- bedingt Mitglied werden sollte, fehlen. setzt dies nicht, denn auch hier sehen
man zwar Parteimitglied, aber nicht in che Weise: Der Virtuelle Ortsverein der Jede Broschüre des örtlichen Heimatver- sich die Parteien in den Fängen des er-
der örtlichen Gliederung gemeldet ist. SPD ist kein Ortsverein im eigentlichen eins scheint innovativer. Zumindest eine wähnten Paragraphen im Parteiengesetz.
Geht nicht? Geht doch! Die Parteien ha- Sinne, sondern ein Arbeitskreis – wie Kontaktperson bieten beide Parteiglie-
ben das Internet für sich und ihre Partei- auch die Jusos, doch längst nicht mit de- derungen an, doch der Kontaktversuch Ob virtuelle Parteigliederung oder sozi-
gliederungen entdeckt – und das nicht ren Mitwirkungsmöglichkeiten. Direkte läuft ins Leere: E-Mails an die angege- ales Parteinetzwerk – die Mitwirkungs-
erst gestern. Nahezu alle im Bundestag Einflussnahme etwa durch die Entsen- benen Adressen bleiben unbeantwortet. chancen des realen Parteilebens bleiben
vertreten Parteien haben schon ihre Er- dung von Delegierten zu Parteitagen So stellt man sich gelungene Mitglieder- den Usern verwährt. Doch was tun? Das
fahrungen mit virtuellen Parteigliede- ist nicht möglich. Die FDP bezeichnet werbung und Kommunikation im Zeit- stiefmütterliche Dasein der beiden ver-
rungen gemacht. Begonnen hat alles im ihren Internetlandesverband hingegen alter von Web 2.0 doch vor. Die jetzige bliebenen virtuellen Parteigliederungen
Jahr 1995 mit der SPD und ihrem Virtuel- tatsächlich als 17. Landesverband. Doch Form der virtuellen Parteigliederungen muss beendet werden. Und aus dieser
len Ortsverein (VOV). Gedacht war er als auch hier stehen den Mitgliedern nur erscheint nicht mehr zeitgemäß, so viel Misere kann es nur zwei Wege geben:
Mitwirkungsmedium innerhalb der Par- eingeschränkte Rechte zu. steht fest. Ist das parteipolitische Enga- Entweder die virtuellen Parteigliede-
tei im Internetzeitalter - damals ein revo- Neben diesen begrenzten Mitwirkungs- gement im Internet damit ad acta gelegt? rungen werden eingestampft und die
lutionärer Schritt. Aber der SPD erging es möglichkeiten sehen sich die virtuellen Jein. Denn im Zuge des letzten amerika- Parteien bieten stattdessen ernsthafte
nicht besser als den anderen Parteien: Bis Parteigliederungen mit zwei weiteren nischen Präsidentschaftswahlkampfes Mitwirkungs- und Diskussionsmöglich-
heute ist das Interesse gering, ebenso wie Problemen konfrontiert: So sind die
Anna-Lena Wilde
die reellen Mitwirkungschancen. Das Schwerpunkte der Online-Parteiarbeit hat von 2005 bis 2007 in Siegen Social Science,
Angebot der CDU mit ihrem Wahlkreis stets Informations- und Kommunikati- Media Studies studiert. Seit 2007 studiert sie an der
300 verschwand genauso schnell vom onsthemen – und nicht jeder, der keine NRW School of Governance Politikmanagement und
hat 2009 ein Auslandssemester in den Niederlanden
Mitgliedermarkt wie der Landesverband Zeit hat, sich in der Parteigliederung vor absoviert. Anna-Lena hat Praktika im Deutschen
17 der PDS. Langfristig halten konnten Ort zu engagieren, bringt im Gegenzug Bundestag, bei der Kindernothilfe, der Westdeutschen
sich innerhalb ihrer Parteien nur der automatisch das Interesse auf, sich mit Allgemeinen Zeitung sowie beim Parteivorstand der
SPD absolviert und ist Stipendiatin der Friedrich-
VOV der SPD und der Internetlandes- dem Telekommunikationsgesetz und Ebert-Stiftung. Ihre Forschungsschwerpunkte sind
verband (FDP LV Net) der FDP. der Informationsgesellschaft ausein- Parteiensysteme und Gewerkschaften.

63
deutschland ist
Für die einen selbstverständlich,
für die anderen unverständlich: Die
digitale Spaltung teilt die Bevölkerung.
Was bedeutet die flächendeckende

gespalten
Verbreitung von Breitband-Internetan-
schlüssen für Demokratie und Krisen-
bewältigung? Ein Überblick

von Matthäus Schlummer

Das Internet gilt als das Zukunftsmedium schlechthin. Wer heute über einen schnel-
len Internetzugang verfügt, ist prinzipiell an das gesammelte Wissen der Welt und
damit an die ökonomische und gesellschaftliche Zukunft angeschlossen. Verdichtet
wird diese Vorstellung in dem Begriff der „Wissensgesellschaft“. An das Internet
werden regelrechte Heilserwartungen gestellt: Zum einen wird dem Internet ein po-
sitiver Einfluss auf die ökonomische Entwicklung zugeschrieben, zum anderen wird
aber auch von vorteilhaften Effekten auf die Politik ausgegangen. Mitunter werden
positive politische Verhältnisse – im Sinne von Demokratisierung beziehungsweise
stabiler Demokratie – sogar als Garant für wirtschaftliches Wachstum gesehen. Da-
raus ergibt sich letztendlich jedoch ein Problem für die Politik, denn diese lebt von
gedeihlicher ökonomischer Entwicklung. Auf den Punkt gebracht: Geht es der Wirt-
schaft gut, honorieren dies die Wähler. Der Umkehrschluss lautet jedoch: Sind weite
Teile der Bevölkerung vom Internet und damit von den weltweiten Wissensressour-
cen abgeschnitten, liegen ökonomische Wachstumspotentiale brach. Und dies kann
sich die Politik angesichts einer dynamischen globalisierten Umwelt jedoch nicht
erlauben.

Nicht können oder nicht wollen?

Es ist vergleichsweise unumstritten, dass es nicht nur im internationalen Vergleich,


sondern auch auf nationaler Ebene gewaltige Unterschiede gibt, was den potentiellen
Internetzugang, aber auch die faktische Nutzung des Internets betrifft. Dieser Um-
stand wird heute oftmals mit Begriffen wie „digitale Kluft“ oder „digitale Spaltung“
umschrieben. Auf der einen Seite der Kluft stehen diejenigen, die das Internet nicht
nutzen, auf der anderen Seite die Internetnutzer: von Gelegenheitsnutzern bis hin zu
denjenigen, die es mit einer lässigen Selbstverständlichkeit in ihr Alltagsleben inte-
griert haben. Diejenigen, die das Internet nicht nutzen, lassen sich in zwei Gruppen
aufteilen. So verfügt eine nicht unerhebliche Zahl von Menschen einfach nicht über
die finanziellen und technischen Möglichkeiten, um online gehen zu können. Sie
bleiben unfreiwillig von dem Zukunftsmedium Internet ausgeschlossen. Zur zwei-
ten Gruppe lassen sich all diejenigen hinzuzählen, die zwar die technischen und fi-
nanziellen Möglichkeiten haben, den Internetzugang aber nicht realisieren – aus wel-
chen Gründen auch immer. Zwischen Nutzern und Nichtnutzern jedenfalls tut sich
eine gewaltige Kluft auf, schließlich können sich manche Menschen, allen voran die
sogenannten Digital Natives, ein Leben ohne Internet überhaupt nicht mehr vorstel-

Matthäus Schlummer
hat von 2004 bis 2007 in Erfurt Staatswissenschaf-
ten studiert. Er gehört zur Abschlussklasse 2009
des Masterstudiengangs Politikmanagement an der
NRW School of Governance und beschäftigt sich
überwiegend mit Hochschulpolitik. Praktika absol-
vierte er beim Verband der Wirtschaft Thüringens, der
FDP Thüringen sowie dem Ministerium für Innovation,
Wissenschaft, Forschung und Technologie des Landes
Nordrhein-Westfalen.

65
len. Die Digitalisierung des alltäglichen kommunizieren, tiefgreifend verändert. Bedeutung für die Politik ergibt sich so- gerade in der Gruppe der so genannten das Internet angeschlossen zu sein - das zeichnet sich jedoch ab, dass die Politik
Lebens ist soweit fortgeschritten, dass Ein Teil der Alltags-Kommunikation mit erst aus der Möglichkeit einer politi- Silver Surfers in Deutschland die größ- könnte in Deutschland vielleicht über auf absehbare Zeit damit beschäftigt sein
sich einige Angelegenheiten des tägli- war schon immer die politische Kom- schen Öffentlichkeit im Internet. Politi- ten Zuwachsraten bei der Internetnut- die traditionellen Telefonleitungen flä- wird, die entsprechenden technischen
chen Lebens fast ausschließlich digital munikation, die sich dem Sog der Ver- sche Öffentlichkeit ist spätestens seit der zung zu beobachten. Während die heu- chendeckend sichergestellt werden. Die Rahmenbedingungen für eine schnelle
erledigen lassen. Dabei kann es etwa um änderungen nicht entziehen kann. Dabei Aufklärung untrennbar mit den Grund- tige Jugend bereits mit dem Internet Ansprüche von Bürgern und Wirtschaft Weiterentwicklung und Verbreitung des
die Einschreibung in Universitätskurse ist die Veränderung letzterer in einem gedanken der Demokratie verbunden, aufwächst, holt die ältere Generation wachsen jedoch beständig. Der Sieges- Internets in Deutschland zu schaffen.
oder den Kauf von Flugtickets bestimm- sich wandelnden medialen Umfeld kei- über sie erfolgt die Kontrolle der demo- also in riesigen Schritten auf. Seit etwas zug von YouTube & Co. zum Beispiel Noch wird über die anscheinend man-
ter Airlines gehen, um nur zwei Beispiele ne neue Entwicklung, das Internet steht kratischen Regierung. Da politische Öf- mehr als zehn Jahren untersuchen ARD wäre ohne schnelle Internetzugänge gelnde Medienkompetenz gerade älterer
zu nennen. Auch in der Politik verlagern vielmehr in einer langen Reihe mit den fentlichkeit und Demokratie heute zwei und ZDF in einer jährlichen Studie das nicht möglich gewesen. Politiker diskutiert, die sich als „Inter-
sich bestimmte Prozesse ins Netz: Par- Zeitungen, dem Radio und dem Fern- nicht trennbare Bereiche darstellen, er- Onlineverhalten der Deutschen und set- net-Ausdrucker“ schelten lassen müs-
teiinterne programmatische Diskussio- sehen. Mit dem Aufkommen neuer Me- folgt durch eine Veränderung der politi- zen dieses ins Verhältnis zur Nutzung Die Verfügbarkeit einer leistungsfähigen sen. Doch mit dem Nachrücken jünge-
nen etwa werden zum Teil schon online dien war seit jeher die Diskussion über schen Öffentlichkeit durch das Internet der klassischen Massenmedien. Laut Breitband-Infrastruktur scheint heute rer Politikergenerationen wird sich auch
geführt oder zumindest vorbereitet. Das deren Auswirkungen auf die politische auch eine Veränderung der Demokra- der aktuellen ARD/ZDF Onlinestudie mittlerweile genauso wichtig wie der dieser Vorwurf mit der Zeit von selbst
Ergebnis: Die Gesellschaft wird digital Kommunikation und im Resultat auf die tie. Auch Demokratisierungsprozesse 2009 ist der Anteil der Internetnutzer Anschluss an das Straßen- und Schie- erledigen.
gespalten. Demokratie verbunden. Und wie bei al- können so befördert werden: Insbeson- in Deutschland auf jetzt 67,1 Prozent der nennetz. Die Politik hat das erkannt,
len anderen Medien zuvor wurden auch dere autoritäre Staaten müssen derzeit Bevölkerung angestiegen. 43,5 Millionen jedoch gibt es trotz einiger Anstrengun-
Während der Begriff der Spaltung die beim Internet sowohl kulturpessimisti- schmerzhaft erfahren, wie wenig kont- der bundesdeutschen Erwachsenen sind gen auch noch heute viele so genann-
verschiedenen Ursachen für das damit sche als auch äußerst euphorische Positi- rollierbar sich das Internet im Vergleich online. Die größten Wachstumspoten- te „weiße Flecken“ auf der „digitalen
beschriebene Phänomen nicht reflek- onen diskutiert. Heute überwiegen eher zu den herkömmlichen Medien erweist. ziale werden jedoch auch weiterhin von Landkarte“: Orte, an denen eine schnelle
tiert, eignet er sich jedoch hervorragend ausgewogenen Positionen: Es werden der älteren Generation ausgehen: bereits Internetverbindung noch nicht mög-
als Schlagwort in politischen Debatten. die großen Chancen und Potenziale ge- Silver Surfers und Digital Natives 40,7 Prozent der Über-50-Jährigen gehö- lich ist. Oftmals scheuen die privaten
Wenn es darum geht, Einsatz für eine würdigt, gleichzeitig aber auch die neu ren mittlerweile zu den Internetnutzern. Netzbetreiber die Kosten für den Ausbau
bessere ökonomische Entwicklung zu entstehenden Risiken nicht ausgeblen- Die Erwartungen können groß sein, die Nahezu unverändert hoch ist der Anteil auch in den entferntesten Winkeln der
demonstrieren, kann sich der Politiker det. Dialogangebote im Netz zahlreich: Für der Internetnutzer bei den 14- bis 29-Jäh- Republik, so dass trotz erklärtem politi-
erfolgversprechendes Handeln attestie- den Erfolg von politischer Kommunika- rigen – er liegt bei 96,1 Prozent – und auch schen Willen, die „weißen Flecken“ zu
ren, der gegen die digitale Spaltung der Aus einer optimistischen Perspektive tion im Internet in Deutschland jedoch von den 30- bis 49-Jährigen nutzen 82,4 reduzieren, der Ausbau nur schleppend
Bevölkerung vorgeht, denn hier lassen heraus wird erwartet, dass die Nutzung kommt es maßgeblich darauf an, wel- Prozent regelmäßig das Internet. Die verläuft. Mit Hilfe von Mitteln aus dem
sich bisher ungenutzte Enwicklungspo- des Mediums Internet zu einer Verbes- chen Stellenwert das Internet im Alltag netzaffinen Nutzer von heute werden die Konjunkturpaket II soll der Prozess nun
tentiale ausschöpfen. Bildhaft gespro- serung der politischen Kommunikation der Menschen überhaupt einnimmt. digitale Kluft im Alter zwar irgendwann beschleunigt werden, denn nach Vor-
chen: Wenn der Mittelständler auf dem führen könne. „Besser“ wird hier in ei- Lange galt dabei die Tatsache, dass fast zumindest teilweise überbrücken, doch stellung der Bundesregierung können
Land auch endlich an das schnelle Inter- nem normativen Sinn verstanden, denn ausschließlich die junge Generation das dies ist wohl eher eine langfristige Pers- vor allem ländliche Gebiete von dem
net angeschlossen wird, kann sich dieser es wird davon ausgegangen, dass es sich Internet als selbstverständlich ansehe, pektive. Hier kann die Politik ansetzen, Ausbau der Breitband-Infrastruktur pro-
besser entwickeln, als wenn er online nur positiv auf die Demokratie auswir- diejenigen also, die mit dem Internet indem sie Ältere bei der Schulung ihrer fitieren, ihre Ertragskraft gestärkt und
weiterhin nicht auffindbar ist. ken könne, wenn dank der spezifischen aufgewachsen sind, die sogenannten Medienkompetenz unterstützt. die Abwanderung von Betrieben und
Eigenschaften des Internets jeder mit Digital Natives. Die Älteren in der Ge- Arbeitsplätzen verhindert werden. Das
Zwischen Euphorie und Skepsis jedem über alles diskutieren kann und sellschaft seien hingegen nicht einmal Gegen die Weißen Flecken Credo im Krisenjahr 2009: Die flächen-
in der Konsequenz politische Entschei- gewilllt, sich überhaupt nur annähernd deckende Versorgung Deutschlands mit
Wenn vom Internet nun positive Effek- dungen auf einem höheren rationalen auf das neue Medium einzulassen - zu Die zahlreichen neuen Internetangebote Breitbandanschlüssen ist eine wichtige
te für die Politik erwartet werden, dann Niveau gefällt werden. Besondere Be- dessen Nutzung natürlich auch Grund- wie etwa die datenintensiven Videopor- Voraussetzung für die schnelle Rückkehr
hat dies zum überwiegenden Teil mit deutung wird der transparenten Netz- kenntnisse über die Bedienung eines tale verlangen jedoch nicht nur grundle- zu wirtschaftlichen Wachstum, so zu-
dem essentiellen Wandel der Kommu- struktur zugeschrieben: Die politische PCs notwendig sind. Diese Annahme gende Kompetenzen für ihre Nutzung, mindest das Bundeswirtschaftsministe-
nikation zu tun. Zweifelsohne haben die Online-Kommunikation findet nicht in lässt sich zwar auch heute noch grund- sondern auch eine nach entsprechende rium.
technischen Entwicklungen die Art und Hinterzimmern statt, sondern potentiell legend in den Nutzerzahlen wiederfin- technische Infrastruktur. Es reicht heu- Es sei dahingestellt, ob Breitband gegen
Weise, mit der Menschen miteinander vor den Augen aller Internetnutzer. Die den, allerdings sind seit einigen Jahren te nicht mehr aus, bloß irgendwie an die Wirtschaftskrise tatsächlich hilft. Es

67
Ein Kommentar zur lauernden Glaub-
würdigkeitsfalle im Internet

von Niko Böckly

„was du nicht willst,


das man dir tu, Die Nutzung des Internets erfordert von
Sender wie Empfänger demnach große
besonders kritisch prüfen. Das Problem:
Fast alle Betreiber von Internetseiten

das füg’ auch keinem


Umsicht. So wie die Gefahr besteht, dass sammeln automatisch eine Vielzahl von
unbedachte Veröffentlichungen in Social Informationen über ihre Besucher, zu-
Networks bei Bewerbungen um eine Ar- meist vollkommen unbemerkt. Laut-
beitsstelle zum Bumerang werden, kön- starke Befürworter des Datenschutzes

anderen zu.“
nen Tweets sich zum Verhängnis für Po- sollten sich also zunächst selbst fragen,
litiker entwickeln. Zu denken ist an die welche Daten sie auf ihren Internetsei-
digitalen Wasserstandsmeldungen bei ten speichern, welche Statistiken sie aus
der Bundespräsidentenwahl 2009, die den Nutzerdaten erheben und was sie
die Verkündung des Ergebnisses vorweg mit diesem Material schlussendlich an-
nahmen. Ähnlich prekär waren auch die fangen. Wollen einzelne Politiker oder
Höher, schneller, weiter. Durch das In- re Sicherheit zu bewahren und zu ver- Diskussionen im Vorfeld der Bundes- auch ganze Parteien akzeptierte Mitspie-
ternet ist die Kommunikation im Allge- bessern – Daten erhoben, kontrolliert tagswahl um frühzeitig bekannt werden- ler sein, so müssen sie sich an die Trans-
meinen rasanter und vielfältiger gewor- oder auch ausgespäht werden. Großer de exit polls, die via SMS oder Twitter die parenz-Spielregeln des Web 2.0 halten
den - dies ist eine Binsenweisheit. Über Lauschangriff, Bewegungsprofile via Wahllokale verlassen könnten und den und sich gemäß ihrer Programmatik
Suchmaschinen lassen sich in Sekun- RFID-Technik, Online-Durchsuchung Wahlablauf beeinträchtigen könnten. verhalten. Denn: Ein Glaubwürdigkeits-
denschnelle alle denkbaren Inhalte auf- oder auch die Aufnahme biometrischer Auch wenn sich diese Befürchtungen problem ist zumindest dann vorpro-
spüren, ob zu Sachfragen, Personen oder Daten in den Personalausweis sind nur nicht bewahrheitet haben, ist klar: Eine grammiert, wenn Bürgerrechtler selbst
auch zu aktuellen Themen. Sehr schnell einige Beispiele. Beim Kampf gegen verantwortungsbewusste und sensible zu Datensammlern werden. Sollten sie
sind Nachrichten publiziert, ist Content Kinderpornografie im Internet hat die Umgangsweise ist mithin unverzichtbar. diesen Verlockungen der Datenerhebun-
generiert. Die Geschwindigkeitsfalle des Große Koalition im Frühsommer 2009 gen allerdings widerstehen, steigert dies
Onlinejournalismus, von der im Artikel darüber hinaus das Instrument der Netz- Darüber hinaus öffnet sich eine große ihre Glaubwürdigkeit hingegen unge-
von Henning Becker zu lesen ist, stellt sperren in Gesetzesform gegossen. Doch Glaubwürdigkeitsfalle. Diejenigen, die mein. So lässt sich diese Devise formu-
eine der wesentlichen Gefahren dar. es regt sich Widerstand: In der digita- gegen die oben genannten staatlichen lieren: „Was Du nicht willst, dass man
Doch bekanntlich vergisst das Internet len Welt hat sich hinter dem Twitter- Maßnahmen opponieren, sollten auch (der Staat) Dir tu, das füg‘ auch keinem
nichts – es besitzt gewissermaßen ein Hashtag #zensursula eine breite Masse selbst mit ihren Daten und Mitteilun- anderen zu.“
Langzeitgedächtnis. Für die Online- mobilisiert, die die Netzsperren verhin- gen sorgsam umgehen. Sobald sie sich
Publizisten bedeutet dies, besondere dern wollen und andere Instrumente im Web 2.0 „freizügig“ bzw. mitteil-
Sorgfalt walten lassen zu müssen – nicht zur Bekämpfung von Kinderpornografie sam zeigen, passt dieses Verhalten nicht
zuletzt, um Persönlichkeitsrechte von fordern. Auch offline macht sich der Pro- mehr mit ihrer Kritik zusammen. Das
erwähnten oder abgelichteten Personen test bemerkbar: Etwa bei der gegen die gilt insbesondere für Politiker und Par-
in Artikeln oder auf Bildern zu wahren. Vorratsdatenspeicherung gerichteten teien. Ein waches und kritisches Auge
Derweil können Informationen auf Web Demonstration „Freiheit statt Angst“ für die Überwachung von Internetinhal-
2.0-Portalen leicht eingepflegt und aus- im September 2009, an der über 20.000 ten und persönlichen Daten der Bürger
getauscht werden. Jedoch ermöglichen Personen teilgenommen haben. Es lässt durch den Staat ist wünschenswert und
Niko Böckly
es die offenen Kommunikationsstruktu- sich auch als Konsequenz dieses kaum zu manchmal sogar erforderlich. Eine eben- hat nach der Ausbildung zum Industriekaufmann bei
ren aber auch, dass Daten unbefugt aus- ignorierenden Widerstands verstehen, so wichtige Rolle sollte jedoch die Be- der Bayer AG und einjähriger Berufspraxis bei Lan-
gelesen und zweckentfremdet werden dass die neue schwarz-gelbe Bundesre- hutsamkeit im Umgang mit den eigenen xess das Studium der Politikwissenschaft zunächst in
Bielefeld und dann in Duisburg-Essen aufgenommen.
können. gierung die umstrittene Sperrung von Daten spielen. Er war er unter anderem Praktikant bei der Initiative
kinderpornografischen Seiten nun erst Neue Soziale Marktwirtschaft und bei der Deutschen
Der Boom des Web 2.0 geht einher mit einmal für ein Jahr aussetzt und sich zu- Gerade Gegner von Online-Durchsu- Telekom AG. Seit dem Wintersemester 2008/2009
ist er Student an der NRW School of Governance. Eh-
einer Vielzahl von Maßnahmen, bei nächst auf deren Löschung konzentrie- chungen oder der Vorratsdatenspeiche- renamtlich ist er stellvertretender Landesvorsitzender
denen – meist mit dem Ziel, die inne- ren will. rung müssen ihr eigenes Verhalten ganz für Programmatik der Jungen Liberalen NRW.

69
Paul Frederik Lang, Absolvent der
NRW School of Governance, im Ge-
spräch über die berufliche Tätigkeit
nach seinem Studium und die Bedeu-
tung des Internets für die tagespoliti-
sche Arbeit.

Die Fragen stellte Henning Becker


Mitarbeit: Alexander von Freeden

Paul, nach Deinem Studium an der NRW School of Governance arbeitest essant gewesen, noch mehr landes- und sich die Nutzer selbst aktiv einbringen nichts passiert. Und dann wird einge-
Du nun als der persönliche Referent des Landesvorsitzenden der Grünen in kommunalpolitische Themen zu behan- können. fordert. Am schlimmsten ist allerdings
NRW. Was gehört zu Deinen Aufgaben? deln. Ansonsten merke ich jetzt schon, die E-Mail-Flut. Man muss schon sehr
wie wichtig das Netzwerk ist, das wir Warum sind die Grünen Deiner An- zusehen, dass die Sacharbeit nicht dar-
Grundsätzlich alles [grinst]. Terminvorbereitung nimmt einen großen Teil der Zeit zwischen den Masterstudierenden auf- sicht nach so aktiv im Netz? unter leidet, denn die klassischen Me-
ein: Termine müssen inhaltlich und protokollarisch vorbereitet werden, Reden müs- gebaut haben. Ich telefoniere auch heu- dien werden natürlich nicht mit einem
sen geschrieben werden. Gleichzeitig gibt es aber auch die Ebene der innerparteili- te noch jede Woche mit einigen meiner Die Grünen haben einfach die Wähler Male unwichtig. Gerade in Nordrhein-
chen Kommunikation, von den Ortsvereinen bis hin nach Brüssel – und die war im ehemaligen Mitstudenten, um mich mit mit der höchsten Internetaffinität. Und Westfalen spielen die großen regionalen
Superwahljahr 2009 natürlich sehr intensiv. Parallel läuft bereits die Vorbereitung für ihnen auszutauschen. Die Studierenden es stehen nicht die finanziellen Möglich- Tageszeitungen eine sehr bedeutsame
die Landtagswahl im Mai 2010: Ich arbeite in der Redaktionsgruppe bei der Ausarbei- sollten das vielleicht noch weiter fördern keiten zur Verfügung wie den großen Rolle, gleiches gilt für das Radio. Mit den
tung des Landtagswahlprogramms mit. Zudem habe ich die Aufgabe übernommen, und in der Praxis erproben – vielleicht, Parteien, die sich noch sehr auf die klas- traditionellen Medien können nach wie
zusammen mit dem Wahlkampfkoordinator und der politischen Geschäftsführung indem sie eine studentische Politikbera- sischen Wahlkampfmethoden verlassen. vor mehr Leute erreicht werden, auch
die Landtagswahlkampagne mitzubetreuen: Etwa die Briefings für die Agentur zu tung gründen. Bei den Grünen verlagert sich hingegen wenn die Bedeutung des Internets stän-
erstellen oder die grundlegenden Strategien zu entwerfen. Es gibt viel zu tun. viel ins Internet – oder wird, wie bei den dig wächst.
Um zum Thema der ersten HAMMEL- Wahlkampf-Touren, zumindest dort in-
SPRUNG-Ausgabe überzuleiten – wie tensiv begleitet. Und das mit Erfolg: Der Was bedeutet das Internet denn für

„ich kann mir gar nicht


nutzen die Grünen aus Deiner Pers- grüne Spot zum Europawahlkampf etwa die interne Kommunikation?
pektive das Internet? hat die meisten Klicks bekommen. Sehr
erfolgreich war auch der 72-stündige Interne Arbeitsabläufe werden natür-
Die Grünen sind sehr aktiv im Inter- Chat-Marathon mit den Spitzenkandi- lich stark vereinfacht und beschleunigt,

vorstellen, wie das früher


net, besonders in den dialogorientier- daten direkt vor der Europawahl, der etwa im Hinblick auf das Schreiben und
ten Formaten. Fast alle Kandidaten und zeitweise unter dem großen Andrang re- Abstimmen von Berichten. Auch die
Spitzenakteure nutzen Facebook und gelrecht zusammengebrochen ist. Kommunikation mit den Ortsvereinen
Twitter – und wenn man das regelmä- läuft viel direkter und unmittelbarer ab.

gemacht wurde.“
ßig verfolgt, wird deutlich, dass die das Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das
selbst machen. Viel Wert wird auch nimmt traditionell schon einen großen früher gemacht wurde.
darauf gelegt, dass jeder Kandidat eine Raum in der tagespolitischen Arbeit
gute, niedrigschwellige und inhaltsrei- ein. Was für Konsequenzen hat der
che Webseite besitzt. Viele führen zu- wachsende Stellenwert des Internets?
dem eigene Blogs, während stark darauf
Welche Inhalte Deines Studiums haben sich für diese Tätigkeit als besonders geachtet wird, dass alle Angebote eng Das Internet bedeutet in jedem Fall eine
relevant erwiesen? miteinander vernetzt sind. Interaktivität hohe Mehrbelastung! Zum Beispiel in
ist auch ein wichtiges Stichwort: Für die den Sozialen Netzwerken, oder auch
Wichtig ist vor allem das Handwerkszeug, etwa Präsentationen halten oder Dossiers Landtagswahlkampagne wurden ver- bei Abgeordnetenwatch: Das wird so-
schreiben zu können: Es ist sehr wichtig, sich schnell in Themen einzuarbeiten und schiedene Formate entwickelt, bei denen fort registriert, wenn da mal einige Zeit
dann Informationen kurz und knapp zusammenfassen zu können. Auch ist es nütz- Paul Frederik Lang
gehört dem ersten Abschlussjahrgang des Mas-
lich zu wissen, wie man sich Spitzenakteuren gegenüber verhält. Darüber hinaus fällt terstudiengangs Politikmanagement an der NRW
mir spontan noch die Politikfeldanalyse ein, inhaltlich lernt man dann aber einfach School of Governance an. Er absolvierte Praktika in
noch viel ad hoc und im Job selbst. der Industrie- und Handelskammer Düsseldorf sowie
im Abgeordnetenbüro von Hans-Christian Ströbele,
MdB. Seit 2004 engagiert er sich in verschiedenen
Warst Du zufrieden mit Deinem Master-Studium? Wo siehst Du noch Ent- Funktionen bei der Partei Bündnis90/Die Grünen,
wicklungspotenzial für den Master-Studiengang Politikmanagement? zuletzt seit August 2009 als Mitglied des Kreistags
im Ennepe-Ruhr-Kreis. Seit Oktober 2008 ist er als
persönlicher Referent des Landesvorsitzenden von
Ich fand eigentlich alles ziemlich gut. Für mich persönlich wäre es vielleicht inter- Bündnis90/Die Grünen NRW tätig.

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HAMMELSPRUNG Magazin für politische Entscheidungen.
Erschienen im Dezember 2009. 1. Jahrgang, 1. Ausgabe. Kostenlose Abgabe.

Der HAMMELSPRUNG ist eine Kooperation von Studierenden der NRW School of Governance (Universität Duisburg-Essen),
des Fachbereich Design der Fachhochschule Düsseldorf und der Fachhochschule Dortmund.

chefredaktion Isabelle Sonnenfeld, Alexander von Freeden (V.i.S.d.P.)

redaktion Henning Becker, Alice Berger, Niko Böckly, Andrés Mendez Inclan, Benjamin Liebsch,
Ines Olejnik, Matthäus Schlummer, Sophia Schönborn, Bastian Stein und Anna-Lena Wilde

gastautoren Dr. Hajo Schumacher und Dr. Stefan Piasecki


Die Redaktion sucht interessierte Gastautoren!

danksagung Herzlichen Dank an Marvin Bender, Marek Gehrmann, Nico Grasselt, Markus Hoffmann, Karl-Rudolf Korte,
Julia-Verena Lerch, Eddi Mackowiak, Krystyna Swiatek, Simon Wiegand und Christian Wohlrabe für ihre Unterstützung.

Die Redaktion bedankt sich zudem herzlich bei ihren Interviewpartnern: Dr. Christoph Bieber,
Otto Fricke, Ingmar Hagemann, Paul Frederik Lang, Philip Mißfelder, Franz Müntefering und Kajo Wasserhövel.

bildnachweise Alle großformatigen Fotos in dieser Ausgabe: Alexander Wurm


Fotos auf den Seiten 3, 5, 9, 11, 15, 19, 23, 27, 35, 39, 43, 47, 56, 63, 65, 69, 71: Die jeweiligen Autoren
Seite 51 (Franz Müntefering): Wikipedia / GNU-Lizenz für freie Dokumentation
Seite 53 (Kajo Wasserhövel): Wikipedia / GNU-Lizenz für freie Dokumentation
Seite 54 (Otto Fricke): FDP-Bundestagsfraktion / Otto Fricke
Seite 55 (Philipp Mißfelder) Philipp Mißfelder / Pfannstiel

gestaltung Benjamin Brinkmann (Fachhochschule Düsseldorf, Fachbereich Design)

fotos Alexander Wurm (Fachhochschule Dortmund) (www.alexanderwurm.de)

schrift Akzidenz-Grotesk, DTL Documenta ST

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