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„wenigstens verdanken
wir ihm den tatort“ –
der föderalismus:
aktuelle perspektiven
u.a. mit
stefan aust
andreas blätte
christian lindner
adolf sauerland
jürgen trittin
1 editorial Fö | de | ra | lis | mus, der
3 interview: stefan aust (von lat. foedus, foederis, n – Bund, Bündnis, Vertrag);
13 kein kommentar
77 glosse: leben im schatten der hydra (1) Staatsaufbau, der aus mehr oder minder selbstän-
79 alumni im interview: dr. moritz ballensiefen digen Gliedstaaten und dem durch Zusammenschluss
82 impressum gebildeten Zentralstaat besteht;
kommune editorial
6 sanierungsfall deutschland
9 drei fragen an ... adolf sauerland
10 der kulturkampf
Anlass liefert eine Wahl in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland. Dem
bürgerlichen Urteil – Victor Hugo zufolge „die höchste Instanz“ einer Demokra-
land tie – ist nicht nur eine zuletzt skandalumwitterte Landesregierung ausgesetzt. Die
NRW-Wahl gilt auch als Plebiszit über die Arbeit einer bislang wenig harmonievol-
14 der tatort unter verdacht len Koalition in Berlin. Gleichsam wird von allen Seiten die enorme bundespolitische
18 verschwenderische saarländer Bedeutung beschworen, ist doch die Entscheidungsmehrheit im Bundesrat gefähr-
21 der föderalismus der politikideen det. Zur Wahl stehen indes Landespolitiker und mit ihnen politische Programme,
24 perzeption von landtagstätigkeit und landespolitik deren Geltungsbereich vom Grundgesetz prinzipiell klar auf Nordrhein-Westfalen
27 drei fragen an ... christian lindner beschränkt ist. Jedoch: „Die wechselseitige Durchdringung der Ebenen ist eine Re-
28 die föderale identität alität“, davon zeigt sich FDP -Generalsekretär Christian Lindner im Interview über-
32 zentralisierungstendenzen in der föderalen ard zeugt (S. 27). Ähnliches gilt wohl auch im Verhältnis zur Europäischen Union: Kaum
36 föderalismus in der klimapolitik eine politische Entscheidung aus Berlin ist heute noch von Regelungen auf europäi-
39 das baskenland scher Ebene unabhängig. Was aber hat Brüssel mit Landespolitik und letztlich sogar
41 ein verbot löst sich in rauch auf mit einem Fadenkreuz gemeinsam, das Sonntagabends regelmäßig über deutsche
Bildschirme flimmert?
bund Abseits von kurzatmiger Wahlberichterstattung soll in der zweiten Ausgabe des
HAMMELSPRUNG der Fokus auf dem komplexen Ordnungsprinzip liegen, das als
43 der tag der wahrheit für den schweizer föderalismus Föderalismus bezeichnet wird, das den Staatsaufbau der Bundesrepublik konstituiert
46 verzerrte exzellenz und das letztlich alle politischen Prozesse regelt und miteinander verschränkt, von
50 neue enthaltsamkeit im bundesrat der kommunalen Ebene bis hinauf auf das rutschige Parkett der EU. Die Vielseitigkeit
53 drei fragen an ... jürgen trittin des Themas Föderalismus ist evident, jedoch ist es das Ziel dieser Ausgabe, auch neue
54 stabilisierende entschleunigung oder blockierte zukunft Perspektiven zu eröffnen sowie aktuelle Debatten gewinnbringend zu ergänzen. Als
demokratisches Ordnungsprinzip hat sich der Föderalismus weltweit – in unter-
schiedlichen Konfigurationen – weitgehend bewährt. Die Deutschen verdanken ihm
europa eine abwechslungsreiche Krimiserie (S. 14), wohl aber noch weit mehr. Gleichwohl
sieht sich die deutsche Variante Herausforderungen ausgesetzt, die von gesellschaft-
58 quo vadis, europa? lichen Wandlungsprozessen über die europäische Integration bis hin zur Globalisie-
61 wie steht es um die europafähigkeit der deutschen länder? rung reichen. Angesichts dieser Entgrenzungen erscheint es jedenfalls ratsam, seinen
64 einer für alle, jeder für sich identitätsstiftenden Charakter (S. 28) zu bewahren.
67 afrika auf den spuren europas?
Die Reformfähigkeit des deutschen Föderalismus wird jedoch in Frage gestellt: Es
sei „nicht mehr schick, über Reformen zu reden“, so Stefan Aust im Interview (S.
global 3). Bisherige Umgestaltungsversuche erweisen sich als unzureichend – etwa auf dem
umstrittenen Gebiet der Bildungspolitik (S. 46). Weitergehende Anstrengungen
70 beam me up, scotty! sind daher notwendig: Während sich föderalistische Systeme aus ökonomischer Per-
74 die ökonomische theorie des föderalismus spektive im Prinzip positiv beurteilen lassen (S. 74), finden sich im deutschen Fall
Der Journalist Stefan Aust über die
mangelnde Reformfähigkeit der Bun-
desrepublik, fehlgeleitete EU-Subven-
tionen und die Eigenverantwortung im
Luxusurlaub.
„bestimmte dinge
viele Ineffizienzen, die etwa über den sie ihre politische Gestaltungsfähigkeit beibehalten (S. 61). Die Länder müssen je-
Zuschnitt der Bundesländer (S. 18) oder doch einen schleichenden Kompetenzverlust hinnehmen, der sie in einer kommu-
eine Veränderung der Entscheidungs- nikativen „Sandwich-Position“ (S. 79) zwischen Bund und kommunaler Ebene zu-
modi auf Bundesebene (S. 50) nachden- rücklässt und die Solidarität unter ihnen auf eine harte Probe stellt (S. 6). Während so
überhaupt nicht
bei der föderalen ARD (S. 32). Unser on zum Verständnis des Föderalismus dienlich sein kann. Die Sience Fiction könnte
Gastautor Andreas Blätte setzt hingegen Zukunftsdebatten sogar für ein politikfernes Publikum öffnen (S. 70).
auf einen „Föderalismus der Politikide-
en“ (S. 21), der politische Innovation in Der HAMMELSPRUNG lebt von seinem interdisziplinären Ansatz. Er versammelt
mehr durchzusetzen“
den experimentierfreudigeren Bundes- nicht nur Autorinnen und Autoren mit diversen akademischen Hintergründen, er
ländern ermöglicht. Während regionale bietet zudem eine offene Diskussionsplattform quer zu Jahrgangsgrenzen und Hoch-
Selbständigkeit zwar in einzelnen Streit- schulhierarchien. Bewusst werden hier eher wissenschaftlich orientierte Beiträge
fragen – etwa einen umfassenden Nicht- mit journalistischen Formaten kontrastiert und um praktische Erfahrungsberichte
raucherschutz betreffend (S. 41) – in ergänzt. Dies verspricht Abwechslung, vor allem aber einen Erkenntnisgewinn, der
gesundheitsgefährdender Langsamkeit aus der Summe dieser vielfältigen Perspektiven schöpft.
münden kann, lässt sich die stabilisie-
rende Wirkung dieser Entschleunigung Erneut zeichnet sich Benjamin Brinkmann von der Fachhochschule Düsseldorf für Herr Aust, schon häufiger haben Sie kritisch Stellung zum deutschen Födera- momentane Aufteilung noch einmal zu
auch positiv beurteilen (S. 54). Dass der die ausgezeichnete grafische Gestaltung des HAMMELSPRUNG verantwortlich. lismus bezogen – würden Sie ihn aber auch verteidigen, etwa vor staunenden ändern ist.
Föderalismus bei der Leistungsbeur- Sabine Meyer und Heide Prange, Studentinnen der Fotografie an der Fachhochschule Besuchern aus Japan?
teilung von Nationalstaaten nicht ver- Dortmund, entwickeln zudem mit ihren fotografischen Arbeiten ganz eigene Blick- Der deutsche Föderalismus krankt
nachlässigt werden darf, zeigt das Bei- winkel auf die Themen dieser Ausgabe. Ja, das würde ich. Zunächst einmal hat der deutsche Föderalismus tiefe historische also an Ineffizienzen. Wie könnte
spiel Klimapolitik (S. 36). Analog dazu Wurzeln: Deutschland ist schließlich aus vielen kleinen Fürstentümern entstanden, denn das Verhältnis zwischen Bund
verweist Jürgen Trittin im Interview auf Wir bedanken uns für das enorme Interesse an der ersten Ausgabe vom Dezember deren Zuschnitt auch die großen regionalen Unterschiede reflektierte. Zum anderen und Ländern besser geregelt wer-
Versäumnisse deutscher Bundesländer 2009, für die zahlreichen positiven Rückmeldungen wie auch die konstruktive Kri- sehe ich, dass in einer zunehmend globalen Gesellschaft, in der die Unterschiede zwi- den?
bei der Umsetzung umweltpolitischer tik. Diesen Dialog möchten wir fortführen und sind auch diesmal äußerst gespannt schen den Staaten verschwimmen und die Grenzen durchlässiger werden, sich bei
Vorgaben aus Brüssel (S. 53). auf Ihre Reaktionen, die wir wieder unter hammelsprung@nrwschool.de erwarten. vielen Leuten eine Rückbesinnung auf die Region vollzieht. Und insofern kommt der Das schwerwiegendste Problem über-
Föderalismus – auch wenn sich das zunächst absurd anhört – der Globalisierung sehr haupt ist die unklare Verteilung der Zu-
Der Auftritt Europas auf internationaler Wir wünschen eine interessante Lektüre! entgegen, denn in einem zentralistischen Staat wie in Frankreich fühlen sich die Men- ständigkeiten. In vielen Bereichen ist es
Bühne erscheint Kritikern trotz fortge- schen sehr viel schneller verloren. Sich als Bayer oder Niedersachse zu identifizieren höchst problematisch, dass der Bund be-
schrittener Integration als zu heterogen Die Redaktion kann dieses Gefühl der Verlorenheit ein Stück weit auffangen. zahlt, die Länder aber darüber bestimmen
(S. 64). Das Ziel des Einigungsprozesses – oder umgekehrt. Ich denke, dass es viel
ist zwar umstritten (S. 58) – dennoch Daher halte ich es auch nicht für schlecht, wenn in den Bundesländern auf bestimmten besser wäre, die finanzielle Verantwor-
dient das europäische Modell anders- Bereichen autonom entschieden wird, so dass auch Konkurrenzsituationen entste- tung der Ebene zu übertragen, die auch
wo längst als Vorbild (S. 67). Nähere hen. Es ist vollkommen klar, dass dies mitunter auch zu völlig absurden Folgen führt die inhaltlichen Kompetenzen besitzt.
Nachbarn setzt die Vergemeinschaftung – dennoch würde ich immer dafür plädieren, das System im Prinzip beizubehalten.
zunehmend unter Druck – so etwa die Abgesehen davon ist vielleicht in Frage zu stellen, ob manche Ländergrenzen richtig Dieser Meinung sind auch diejenigen,
Schweiz, die um die Souveränität ihrer Der HAMMELSPRUNG gezogen wurden oder nicht vielmehr einige Bundesländer zusammengelegt werden die die Gemeinschaftsaufgaben zur Zeit
Kantone fürchtet (S. 43). Simon Wie- ist ein überparteiliches und unkommerzielles politi- sollten. Es wäre etwa viel vernünftiger, wenn Hamburg, Niedersachsen, Schleswig- der ersten großen Koalition eingerichtet
gand weist in einem Gastbeitrag darauf sches Magazin, von Studierenden der NRW School of Holstein und Bremen nicht als einzelne Einheiten nebeneinander her existierten. In haben. Wenn Sie heute Helmut Schmidt
Governance an der Universität Duisburg-Essen ge-
hin, dass es auch auf die „Europafähig- gründet und im Dezember 2009 erstmalig erschienen. einem gemeinsamen nördlichen Bundesland ließen sich viele Probleme weitaus ef- dazu befragen, dann wird er antworten,
keit“ der Regionen ankommt, inwieweit Im Internet unter http://hammelsprung.nrwschool.de fektiver angehen, vor allem in den Randbereichen. Aber ich bezweifle stark, dass die dass das damals für sehr fortschrittlich
gehaltene gemeinschaftliche Finanzie- verwendet werden. Deshalb wurde die einer der Anstöße dafür, dass es die Fö- Es ist im Übrigen ein großer Irrtum, dass te Veränderungen bringen am Ende nichts außer einen riesigen Aufwand, weil die
rungsprojekt – etwa im Bildungsbereich überflüssige Hütte gebaut, während die deralismuskommission gegeben hat. Ihr die Hartz IV-Reformen für eine Redu- Probleme viel tiefer liegen, als dass sie durch eine Neustrukturierung von Regularien
– ein großer Fehler war. Schlaglöcher bestehen bleiben. Ergebnis, also die Föderalismusreform I, zierung des Sozialstaats stünden. Im Ge- beseitigt werden könnten.
ließ jedoch zu wünschen übrig. genteil: Insgesamt ist unser System teu-
Im Gespräch mit Klaus von Dohna- So werden Milliarden in die falschen Ka- rer geworden. Nehmen wir doch einmal Die aktuelle Debatte um die Gesundheitsreform liefert dafür erneut ein Beispiel. Die
nyi haben Sie einmal gesagt: „Was näle geleitet – und diese Summen sind Sie haben an anderer Stelle argumen- an, Sie wären arbeitslos, und es könnte Kopfpauschale ist im Prinzip sozialer als das, was heute die Regel darstellt. Doch sein
aus Europa kommt, hat manchmal natürlich sehr verlockend. Im Rahmen tiert, dass der Druck für umfassende Ihnen auch kein Job beschafft werden. Reformvorhaben kann Herr Rösler gleich wieder zu den Akten legen, denn es wird
eine verhängnisvolle Tendenz“. Sie der Kofinanzierung etwa können Ge- Reformen in Zeiten des Aufschwungs Wie alt sind Sie? zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis kommen. Das Kernproblem besteht darin,
spielen damit auf den Umstand an, meinden für zahlreiche Bauvorhaben allerdings gering ist. Wie steht es dass die meisten Vorhaben immer in einer viel zu hohen Umverteilung von volkswirt-
dass auch mit Blick auf die europä- Mittel beantragen, müssen aber die Hälf- jetzt, wo uns die Wirtschafts- und Fi- Ich bin 28 Jahre alt. schaftlichen Mitteln münden. Hier müssten strenge betriebswirtschaftliche Maßstä-
ische Ebene die Zuständigkeiten te der Projektkosten selbst aufbringen. nanzkrise die Mängel des föderalen be angesetzt werden, um zu kontrollieren, wohin das Geld fließt.
nicht deutlich erkennbar sind. Demo- Also verschulden sie sich, um diese Sub- Systems besonders deutlich vor Au- Gut, gehen wir zudem davon aus, Sie
kratietheoretisch ist das ein großes ventionen zu bekommen, und verwirk- gen führt, um die Reformfähigkeit der würden alleine wohnen. Sie gehen also Aber es werden doch immer wieder ernsthafte Versuche unternommen, diese
Problem – wie lässt sich hier Abhilfe lichen damit dann Projekte, die nicht Bundesrepublik? zur Arbeitsagentur, beantragen Hartz IV Situation zu verändern – wo sehen Sie da noch Spielraum?
schaffen? notwendig sind. Nicht unbedingt über – und Sie können stattliche 860 Euro be-
Gesetze, sondern über die Verteilung von Eigentlich hätte die Reformfähigkeit kommen, inklusive Wohngeld. Ein Ber- Ein simples Beispiel: Ich bin in der gesetzlichen Krankenversicherung und fahre mit
Ich bin kein großer Theoretiker, ich habe Geld wird so in die Souveränität und in steigen müssen, aber das Thema Reform liner Taxifahrer muss dafür lange fahren, meiner Frau und zwei Kindern in die Alpen zum Skilaufen. Wir wohnen in einem
nur die letzten vierzig Jahre mit Journa- Bereiche eingegriffen, in denen die Ent- spielt ja im Augenblick überhaupt keine wenn er denn diese Summe überhaupt schönen Hotel, leihen Skier, kaufen Liftpässe. Wir geben also richtig viel Geld aus.
lismus zugebracht – also eher mit be- scheidungen eigentlich vor Ort getroffen Rolle mehr – es ist irgendwie nicht mehr jemals erreicht. Das geht doch nicht! An Und dann breche ich mir ein Bein – und die Behandlung zahlt meine Krankenkasse.
stimmten Konflikten und einzelnen Er- werden sollten. Generell ist die Quer- schick, über Reformen zu reden. Es gab dem Beispiel wird deutlich, dass bei die- Wieso eigentlich? Warum muss der normale Lohnabhängige, der in die gesetzliche
eignissen. Mir fällt jedoch vieles auf, was subventionierung – also der Umstand, einmal eine Zeit zum Ende der Kohl- ser Neuverteilung essentielle Fehler ge- Krankenkasse einzahlt, mit dafür sorgen, dass mein Bein, das ich mir im Luxusurlaub
etwa Förderungsmaßnahmen betrifft, dass Gelder für Dinge fließen, die mit der Regierung, als vom Reformstau die Rede macht worden sind. Und das ganze Sys- breche, wieder geheilt wird?
mit denen sehr häufig gegen absolute Aufgabe der geldgebenden Institution war. Das stimmte übrigens auch, denn es tem leidet daran, dass bestimmte Dinge
Grundprinzipien der Betriebswirtschaft überhaupt nichts mehr zu tun haben – ei- ging ja gar nichts mehr: Keine Steuerre- in diesem Land überhaupt nicht mehr Das Gleiche gilt für Extremsportler, aber auch für Autofahrer. Wer die Zugspitze be-
verstoßen wird. Ein Beispiel: Ich bin un- nes der Kernprobleme unseres Staates im form, nichts, rein gar nichts. durchzusetzen sind. steigen oder Auto fahren will, der sollte eine spezielle Unfallversicherung abschließen
terwegs zu meinem kleinen Bauernhof europäischen Rahmen. Im persönlichen müssen. Wenn jemand rast, von der Straße abkommt und sich verletzt, kann dafür
auf dem Land, fahre auf der Landstraße Gespräch schütteln darüber alle Politi- Während der rot-grünen Koalition gab es Hängt das vielleicht auch mit dem doch nicht die gesetzliche Krankenkasse haften. In allgemeiner Hinsicht bedeutet das:
durch den Wald und entdecke am Wald- ker mit dem Kopf, es ändert sich jedoch dann sehr viele Reformansätze – bis hin Umstand zusammen, dass sich die Anstatt sich immer wieder große Strukturreformen vorzunehmen, sollten die Aus-
rand plötzlich eine neue Hütte aus Holz kaum etwas. zu denen, die uns heute noch schwer be- Republik in einer Situation der per- gaben richtig zugeordnet werden – und bestimmte Dinge sollten einfach nicht mehr
mit schönem Ziegeldach. Ein Unterstand schäftigen, allen voran Hartz IV. Es war manenten Kampagne befindet? Rich- bezahlt werden. So ließe sich schon viel erreichen.
für Fußgänger, der mindestens 25.000 Inwieweit können die Medien dazu schon richtig und notwendig, sich die- tet sich der politische Prozess nicht
Euro gekostet hat. Ich frage den Zustän- beitragen, die Umgestaltung des ser konfliktreichen Fragen anzunehmen. zu stark an den Wahlkämpfen aus, Vielen Dank für das Gespräch
digen aus der Verwaltung, woher das Föderalismus auf die Agenda zu set- Die besonderen Machtstrukturen und die uns der Föderalismus ständig be-
Geld dafür kommt, wenn doch nicht ein- zen? -verflechtungen dieser Republik haben schert.
Stefan Aust
mal die Schlaglöcher auf der Straße aus- die Aushandlungsprozesse jedoch ver-
war Redakteur der Zeitschrift Konkret, leitender
gebessert werden. Die Antwort: Die EU- Viel! Zum Beispiel habe ich im Jahr 2003 dreht und die Ergebnisse kontraproduk- Ja, wir befinden uns in einem permanen- Mitarbeiter des Norddeutschen Rundfunks,
Agrarsubventionen wurden umgestellt, eine Titelgeschichte in Auftrag gegeben tiv werden lassen. Der Ansatz von Hartz ten Wahlkampf, mit den entsprechenden Gründer von SPIEGEL TV und Chefredakteur
vom Produkt auf die Fläche. Der Wald- mit der Forderung, das Grundgesetz IV etwa, also die Überlegung, Arbeitslose Konsequenzen. Die Zeit, die einer Bun- des Nachrichten-Magazins DER SPIEGEL.
besitzer bekommt nun im Jahr pauschal komplett zu überholen. Der Föderalis- mehr zu fördern und gleichzeitig mehr desregierung tatsächlich bleibt, um et- Er veröffentlichte zahlreiche Bücher, darunter
200.000 Euro aus Brüssel, muss aber ei- mus sollte einmal wirklich unter die Lupe von ihnen zu fordern, war im Prinzip was zu verändern, ohne gleich wieder in „Der Baader-Meinhof-Komplex“, „Mauss – ein
deutscher Agent“ und „11. September – Ge-
nen gewissen Prozentsatz davon an seine genommen werden. Diese Geschichte – richtig. Das Ergebnis ist jedoch so kom- irgendeinen Wahlkampf zu geraten, ist
schichte eines Terrorangriffs“. Für seine Arbeit
Gemeinde abführen, für Infrastruktur- Thomas Darnstädt hat sie geschrieben – pliziert geworden, dass man wahrschein- sehr gering. Ich glaube zudem, dass das wurde er u.a. mit der Goldenen Feder, dem
maßnahmen. Dieses Geld darf aber aus- hat damals wirklich viel in Bewegung ge- lich besser daran getan hätte, überhaupt Beharrungsvermögen in diesem Land Adolf Grimme-Preis in Silber und der Goldenen
schließlich für zusätzliche Bauvorhaben setzt, das muss ich schon sagen. Sie war nichts zu verändern. unheimlich groß ist: Viele groß angeleg- Kamera ausgezeichnet.
Die Debatte um Solidarität und die
Schaffung gerechter Lebensverhältnis-
se wird in Deutschland 20 Jahre nach
der Wende neu geführt – jetzt geht
es allerdings um den Aufbau West.
Insbesondere der Solidaritätspakt
gerät in die Kritik vieler westdeutscher
Kommunen.
Als am 9. November 1989 der Fall der und 1993 wurde der Solidaritätszuschlag zuschlag zurückgreifen. Für die Länder,
Mauer den Weg zur Wiedervereinigung vorübergehend ausgesetzt, 1995 jedoch die ebenfalls von den Kosten der Wie-
Deutschlands ebnete und die ganze Na- erneut eingeführt. Die damals beschlos- dervereinigung betroffen waren, wurde
tion sich auf ein Ende der Teilung freute, senen 5,5 % werden bis heute erhoben. der Solidarpakt I für die Zeit von 1995
schien kaum jemand so unpopulär wie Der Soli ist, anders als seine Bezeichnung bis 2004 beschlossen. Aufgrund des ge-
jene westdeutschen Politiker, die ihre vermuten lässt, nicht zweckgebunden ringen Ertrags knüpfte der Solidarpakt
Skepsis gegenüber dieser Entwicklung und steht allein dem Bundeshaushalt zu. II dann unmittelbar an seinen Vorgän-
deutlich machten. Sie stießen auf schar- Im Verlauf der Jahrzehnte entwickelte ger an. Bis zum Ende der Laufzeit von 15
fe Kritik und wurden nicht selten sogar sich der Solidaritätszuschlag somit nicht Jahren (bis 2019) sollen insgesamt 156,6
als ‚Vaterlandsverräter‘ bezeichnet. Der nur zu einer lukrativen Finanzspritze für Mrd. Euro vom Bund und den west-
wohl bekannteste unter ihnen war Oskar den Staat, sondern auch zu einem Nähr- deutschen Bundesländern in die fünf
Lafontaine, der damalige Kanzlerkandi- boden für Missmut und Neid innerhalb ostdeutschen Bundesländer und Berlin
dat der SPD. Er sprach von einer „nati- der Nation. Diese nicht zweckgebunde- transferiert werden. Besonders dieses
onalen Besoffenheit“ und warnte auch ne Steuer, ist nicht zu verwechseln mit letzte Instrument des Finanztransfers
in seinem Wahlkampf vor einer „über- dem Solidarpakt (I und II), der wiederum gerät immer öfter in den Fokus politi-
stürzten Wiedervereinigung“. Er argu- Finanzmittel im Rahmen des Länderfi- scher Auseinandersetzungen.
mentierte insbesondere mit den öko- nanzausgleichs bezeichnet, die auf einer
nomischen Rahmenbedingungen und Einigung zwischen Bundesregierung Rehabilitation der
formulierte eine antagonistische Auf- und Bundesländern beruhen. Der Län- Gerechtigkeitsdebatte
fassung im Vergleich zu seinem Rivalen derfinanzausgleich ist ein Instrument
Helmut Kohl, der sich als Kanzler der des bundesstaatlichen Föderalismus, Die Transferleistungen für die Finanzie-
Einheit mit dem Versprechen von blü- das die Zuweisung finanzieller Mittel rung teilungsbedingter Lasten entpup-
henden Landschaften die Wiederwahl an Bund und Länder beschreibt. Diese pen sich besonders für strukturschwache
sicherte. Seit einigen Jahren wird je- Transferleistungen sollen innerhalb der Regionen immer mehr als eine wesentli-
doch eine Debatte in einem zunehmend Bundesrepublik vergleichbare Lebens- che Ursache für Haushaltsdefizite und
sanierungsfall
schärferen Ton über die erheblichen fi- bedingungen gewährleisten und die Fi- Neuverschuldungen. Der Modernisie-
nanziellen Hilfen geführt, die seitdem nanzkraft der Länder angleichen. Jedem rungsbedarf ist in vielen westdeutschen
in den Osten Deutschlands transferiert Bundesland sollen so die notwendigen Kommunen enorm angestiegen, sodass
werden. Verlangt wird jetzt ein ‚Aufbau Mittel zur Verfügung stehen, um seinen viele Politiker eine Umstrukturierung
deutschland –
West‘. Aufgaben gerecht werden zu können. der Transferleistungen fordern. Eine
Der Bund konnte folglich in den Jahren Studie des Deutschen Instituts für Ur-
Die brüderliche Hilfe nach der Wiedervereinigung auf die banistik in Berlin hat Ende 2008 den
Steuereinnahmen aus dem Solidaritäts- desaströsen Zustand der Kommunen
blühenden landschaften
lichen Haushalte zumindest teilweise
von den Kosten der Wiedervereinigung Anna von Spiczak
ist Masterstudentin an der NRW School of Gover-
Deutschlands zu entlasten. Dieser Zu- nance und Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Prof. Dr.
schlag zur Einkommens-, Kapitaler- Andreas Blätte. Sie beschäftigt sich überwiegend mit
Als erstes Gesetzespaket der neuen Legislaturperiode hat der Bundestag das Wachs-
tumsbeschleunigungsgesetz verabschiedet. Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich
eine milliardenschwere Steuerentlastung, die, wie der Name schon sagt, das Wachs-
tum fördern und somit den Weg aus der Wirtschaftskrise ebnen soll. Das Gesetz
ist seit dem 1. Januar 2010 in Kraft und wird nicht nur von der Opposition, sondern
auch von Seiten der unionsgeführten Länder und Kommunen zunehmend kritisch
gesehen. Grund dafür sind die beschlossenen 8,5 Mrd. Euro Steuerentlastungen, die
im Schnitt 3,9 Mrd. Euro Mindereinnahmen pro Jahr für Länder und Kommunen zur
Folge haben. Diese neuen Entwicklungen stellen die Kommunen in Ost und West,
die ohnehin ihre Haushaltslöcher nur noch mit großer Mühe stopfen können, vor
eine große Herausforderung. Die Situation wird dadurch verschärft, dass mittlerwei-
le auch die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise auf der lokalen Ebene zu
spüren sind: Den Städten und Gemeinden brechen die Einnahmen weg. Allein beim
Einzug der Gewerbesteuer müssen einige Städte Verluste von bis zu 40% hinneh-
men. Zeitgleich werden die Sozialleistungen auf bis zu 40 Mrd. Euro in diesem Jahr
ansteigen. Damit sind diese Ausgaben doppelt so hoch wie zu Beginn der 90er Jah-
re. Das Bundesfinanzministerium schätzt die Steuereinnahmen der Gemeinden für
2010 auf 66,5 Mrd. Euro, im Boomjahr 2008 betrugen sie im Vergleich noch 77 Mrd.
Euro. Städte und Gemeinden erwartet daher ein Rekorddefizit von fast 12 Mrd. Euro.
Um diesen Verlust an Finanzmitteln ausgleichen zu können, stehen den Bürgern
starke Einschnitte bei den freiwilligen kommunalen Leistungen und möglicherweise
ein erbitterter Kulturkampf bevor. Wie tief diese Einschnitte sein werden, hängt von
den jeweiligen kommunalen Rahmenbedingungen ab.
Im idyllischen Süden der Stadt Duisburg, nahe einem Erholungsgebiet und inmitten
eines Schulzentrums liegt das technisch ausgerichtete Bertolt-Brecht-Berufskolleg.
Die Lage im Grünen und die ansprechende Architektur des Gebäudes finden bei den
2.111 Schülern ebenso Anklang wie die hier mit pädagogischem Engagement und
modernster Ausstattung vermittelte Fachkompetenz. Folglich haben erste Informa-
tionen über die Planung, dieses Berufskolleg aus finanziellen Gründen zu schließen,
der kulturkampf
eine Welle der Empörung bei allen Betroffenen ausgelöst. Besonders groß ist das Ent-
setzen bei den Kälte- und Klimatechnikern, da sich die Schule durch ihre fachliche
Spezialisierung in diesem Berufsfeld für die Region nahezu unentbehrlich gemacht
hat. Außer dem Bertolt-Brecht-Berufskolleg sollen in den kommenden fünf Jahren
in Duisburg weitere elf Schulen geschlossen werden. Darunter eine weitere Berufs-
schule, acht Grundschulen, eine Gesamt- und eine Realschule. Durch anderweitige
Mieteinnahmen aus den Schulgebäuden verspricht sich die Stadt eine Mehreinnahme
von 150 Mio. Euro pro Jahr. Auch die freiwilligen Leistungen werden zusammenge-
strichen, womit zusätzlich Jugendzentren, Schwimmbäder oder kulturelle Einrich-
tungen wie das Filmforum am Dellplatz von der Schließung bedroht sind. Die Stadt
erhofft sich, durch diese Sparmaßnahmen angemessen auf das Haushaltsdefizit und
auf die durch das kommende Steuerprogramm bedingten Mehrausgaben reagieren
Zusammengestellt
kein kommentar
zu können. Obwohl es zweifelsohne das Experten überschlagen sich derzeit in zum Beispiel der gesenkte Mehrwert-
Ziel der Stadt ist, eine Neuverschuldung der Ausgestaltung durchdachter Spar- steuersatz für das Hotelgewerbe von
möglichst gering zu halten, bleibt eine programme, die das ‚Kaputtsparen‘ der dem Chef der Deutschen Steuergewerk-
Vergrößerung des Schuldenlochs nicht deutschen Kommunen verhindern sol- schaft, Dieter Ondracek, in einem Inter-
aus. Dies zeigt sich auch im Haushalts- len. Auch Petra Roth (CDU), die Präsi- view mit der Süddeutschen Zeitung als
entwurf der Stadt Duisburg für 2010, der dentin des Städtetags, sagte der Passau- „Blödsinn hoch drei“ deklariert. Er ver-
ein Haushaltsdefizit von 250 Mio. Euro er Neuen Presse im Dezember letzten tritt die Ansicht, dass daraus niemand “Ich bin kein Deutscher, ich bin Bayer.”
aufweist. Grund dafür sind nicht zuletzt Jahres, dass die Finanzlage vieler Städte einen Vorteil für sich ziehen kann, außer Markus Söder, CSU-Politiker, im Jahr 2010
auch laufende Kassenkredite in Höhe so verheerend sei, dass sie weitere Steu- das Hotelgewerbe selbst, denn der Staat
von 1,6 Mrd. Euro. Einen ausgeglichenen erausfälle nicht verkraften können. Die verzichte allein durch diese Senkung „Federalism is a guideline, not a pornographic word, you can speak it out loud.“
Finanzhaushalt konnte Duisburg zuletzt Unternehmen werden durch steuerli- auf eine Mrd. Euro im Jahr. Neben die- Jaques Delores, Präsident der EU-Kommission von 1985 bis 1995, im Jahr 1991
1992 aufweisen, seitdem hat die Stadt che Erleichterungen begünstigt, wäh- ser Maßnahme, dem wohl strittigsten
mit den Folgen des wirtschaftlichen und rend der Bürger zusätzlich von erhöhten Punkt des Gesetzes, werden in der Petiti- „Wir Deutschen sollten uns nicht jeden Tag darüber beschweren. Wir sind eben
sozialen Strukturwandels, den schwan- Sozialleistungen profitiert. Doch wie on auch die sozialen Ungleichheiten und kein Zentralstaat. Damit sind wir in über sechs Jahrzehnten nicht schlecht gefah-
kenden Gewerbesteuereinnahmen so- sind diese Entwicklungen insgesamt zu die Unverantwortlichkeit einer enormen ren.“
wie steigenden Soziallasten zu kämpfen. bewerten? Die Vermutung liegt nahe, Neuverschuldung kritisiert. Momentan Roland Koch, hessischer Ministerpräsident, im Januar 2007
Die von der Stadt für den Aufbau Ost dass sich diese Logik als ein einfacher befindet sich diese Petition noch in der
bereitgestellten Mittel mussten von An- Taschenspielertrick herausstellen könn- Phase der parlamentarischen Prüfung, „Moderner Föderalismus heißt nicht, dass jeder seine Eingeborenen-Tänze auf-
fang an mit Krediten finanziert werden, te. Auf der einen Seite wird dem Bürger daher ist ihr Ausgang noch nicht vorher- führt, sondern, dass sich die Länder untereinander abstimmen.“
die sich mittlerweile zu einer Summe anhand von Steuererleichterungen so- sehbar. Jan–Hendrik Olbertz, parteiloser Kultusminister von Sachsen-Anhalt, im Jahr 2008
von 575 Mio. Euro addieren. wie der Erhöhung von Sozialleistungen Für das Bertolt-Brecht-Berufskolleg und
(Kindergeld) ein Gewinn in Aussicht die anderen Schulen und öffentlichen „One day, on the model of the United States of America, a United States of Europe
Der Taschenspielertrick gestellt. Auf der anderen Seite werden Einrichtungen in Duisburg würde eine will come into being.“
ihm jedoch hinterrücks soziale und kul- Abänderung oder gar eine Zurücknahme George Washington, erster Präsident der USA, Jahr unbekannt
Die Auswirkungen des Wachstumsbe- turelle Leistungen vor Ort gekürzt. Die des Wachstumsbeschleunigungsgesetz-
schleunigungsgesetzes, die im Wesent- Stadt als Dienstleister zieht sich zurück tes ein kleines Fünkchen Hoffnung für „Der Föderalismus ist ein Huhn, das goldene und faule Eier durcheinander legt. Man
lichen die regionalen und kommunalen und muss dem Einwohner folglich viele ihr Fortbestehen bedeuten. Die Haus- kann diese Henne nicht schlachten ohne schwere Verluste, und man kann sie nicht
Haushalte belasten, sind vielfältig. Unter Angebote verwehren. haltslage der Stadt wäre zwar weiterhin leben lassen, ohne das es da und dort stinkt.“
anderem werden die Steuerfreibeträge Es wird deutlich, dass das Wachstums- angespannt, aber eine dramatische Ver- Peter von Matt, Schweizer Germanist, Jahr unbekannt
für Kinder sowie auch das Kindergeld er- beschleunigungsgesetz viel Konflikt- schlimmerung, bedingt durch das Weg-
höht, die Besteuerung der Übernachtun- potential aufweist und aufgrund der brechen existentieller Steuereinnahmen, „Only a Federated Republic of Europe can give peace to the world.“
gen in Hotels etc. ist nun mit sieben statt bereits jetzt schon prekären Finanzlage könnte verhindert werden. Der Stadt Leo Trotzki, Revolutionär und sowjetischer Politiker, im Jahr 1917
mit 19% Umsatzsteuer zu besteuern. der Kommunen stark umstritten ist. Aus Duisburg bleibt im Überlebenskampf
Auch bei der Grunderwerbssteuer gibt es dieser Kritik heraus wurde beim Deut- ansonsten nichts anderes übrig, als sich „Nach wie vor ist jeder Kultusminister überzeugt, die bundesweit beste Bildungs-
Begünstigungen durch die Anrechnung schen Bundestag eine Online-Petition wahrhaftig ‚kaputt‘ zu sparen. Dabei politik zu betreiben. Auf dem Jahrmarkt der föderalen Eitelkeiten hat jeder Kultus-
von Grunderwerbsbeständen. Durch das eingereicht, die seit dem 17. Februar 2010 sieht Wachstum doch eigentlich ganz minister ein eigenes Karussell stehen.“
Grundgesetz wird vorgegeben, welcher geprüft wird. Ziel dieser Petition soll es anders aus. Thorsten Denkler, deutscher Journalist, im Jahr 2008
Anteil an den Steuereinnahmen der je- sein, das Wachstumsbeschleunigungs-
weiligen politischen Verwaltungsebe- gesetz rückgängig zu machen oder es in „Ein Bundesland für ein Pferd!“
ne des föderalen Systems zusteht. Des den kritisierten Punkten maßgeblich André Heller, österreichischer Sänger und Aktionskünstler, im Jahr 1973
Weiteren schreibt es die konkurrierende zu überarbeiten. Viele Skeptiker haben
Gesetzgebung in der Steuerpolitik vor. zudem Zweifel daran, dass sich dieses
Dennoch ist die Liste der Mindereinnah- Gesetz positiv auf das konjunkturelle
men für Länder und Kommunen lang. Wachstum auswirken könnte. So wird
der tatort unter verdacht –
Der Tatort ist gar keine richtige Krimiserie. Der Tatort ist eine Nachhilfestunde in
deutscher Föderalismus- und Gesellschaftskunde. Wenn jeden Sonntagabend
zur Primetime über 7 Millionen Zuschauer die Verbrecherjagd von Schenk und
Ballauf, Charlotte Lindholm, Lena Odenthal oder Frank Thiel und Professor Karl-
In einem Taxi nach Leipzig begann die Erfolgsgeschichte der bekanntesten Krimi-
serie Deutschlands. Mit dem gleichnamigen Titel startete 1970 der erste Tatort der
ARD. Doch schon die Erstausstrahlung wurde zum heiklen Experiment und sah
sich breiter Kritik ausgesetzt: Vor dem Hintergrund der Ostpolitik Willy Brandts,
erzählte der erste Tatort eine deutsch-deutsche Geschichte, die zum großen Erstau-
nen der Zuschauer nicht auf bundesrepublikanischem Boden spielte, sondern in der
DDR. Grund für die Abweichung vom Konzept bereits in der ersten Sendung war
die Eile, mit der die ARD einen Gegenpart zur erfolgreichen ZDF-Serie Kommissar
produzieren musste. Ein bereits erschienener Krimi beim NDR diente der ARD als
Vorlage für den ersten Tatort und so wurde der erste Mordfall in Leipzig aufgedeckt.
Das föderale Fernsehmärchen beginnt also in der DDR und weitet sich schnell in die
entlegensten Provinzen Deutschlands aus. Das oft bürokratisch erscheinende Prinzip
des föderalen Proporzes stellte bei der ARD von Beginn an ein generelles Problem im
Konkurrenzkampf mit dem ZDF dar. Doch um dem Zweiten Deutschen Fernsehen
Paroli zu bieten, entschloss man sich, offen mit der Patchwork-Struktur des Senders
umzugehen. Für die neue Krimiserie sollten die einzelnen Folgen daher dezentral
von den insgesamt neun Sendeanstalten eigenverantwortlich produziert werden.
Damit bekam jeder Sender einen eigenen Tatort mit eigenen Ermittlern. Durch ganz
Deutschland verteilten sich also die Schauplätze von Mord und Totschlag. Das Ab-
Isabelle Sonnenfeld
gehört zum Abschlussjahrgang 2010 im Master-
Studiengang Politikmanagement an der NRW School
of Governance. Sie arbeitete bei der Friedrich-
Ebert-Stiftung, der Europäischen Kommission und
PLEON. Zurzeit ist sie als Wissenschaftliche Hilfskraft
am Institut für Politikwissenschaft der Universität
Duisburg-Essen tätig.
bild der Senderstruktur und letztlich der Der Tatort im Fadenkreuz einheitlichte“ in den neuen Folgen spiegelt sich auch in den Rollen der Kommissare Spaghetti al dente sind und der Rotwein
gesamten Bundesrepublik sollte zum der „Föderalismusreform“ wieder. Wo früher der einzelgängerische Kommissar mit urbayrischem Dialekt mör- auf dem Tisch steht, für 90 Minuten ein
Erfolgsgaranten werden. Die Macher derische Verbrechen aufgedeckt hat und den Zuschauer in die düstere Provinz mitge- bisschen mehr über sich, ihr Land und
des Tatorts folgten dem grundföderalen Trotz bahnbrechender Erfolge seit 1970 nommen hat, ermitteln heute entweder unzertrennliche Tatort-Teams oder höchst ihren Föderalismus. Ein Hoch also auf
Gedanken: Qualität und Identifikation hat das föderale Prinzip des Tatorts, emanzipierte Kommissarinnen. Das Mundartliche sowie die Milieukritik stellen in die Alltäglichkeit des Föderalismus.
mit der Serie sollten aus der Vielfalt der das jeden Sonntag ein unbestechliches den heutigen Tatort-Folgen nicht mehr das zentrale Element der Serie dar. So wie die
Regionen, Dialekte und Eigenarten des Lokalkolorit in deutschen Wohnzim- Kommissare und Kommissarinnen oftmals nur Zugezogene sind und wenig Verbun-
jeweiligen Menschenschlags entstehen. mern erzeugt, Risse bekommen. Was denheit mit dem Schauplatz verspüren, könnten auch die jeweiligen Taten an jedem
Mit der Premierensendung Taxi nach ist passiert mit den schwäbelnden oder Ort in Deutschland passieren. Organisierte Kriminalität, Zwangsprostitution, eth-
Leipzig war der Grundstein für die er- sächselnden Kommissaren, denen eine nische Konflikte, Umweltkriminalität oder Arbeitslosigkeit als Grund für ein Verbre-
folgreichste und meistgesehene Krimi- norddeutsche Frohnatur auf Grund ih- chen – all diese Tatortthemen können mittlerweile unabhängig vom Schauplatz und
serie Deutschlands gelegt. rer Dialekte nur schwer folgen kann? Mit vom Kommissar sonntags über den Bildschirm flimmern. Der Trend zum Hochdeut-
Kommissar Bienzle aus Stuttgart und schen und das Gefühl der Ungebundenheit mit den Eigenarten einer Region zeigen
Deutscher Föderalismus als Rezept für Kommissar Ehrlicher aus Leipzig sind die sich daher deutlich in den „nomadischen“ Kommissaren der modernen Tatortfolgen.
langjährigen Erfolg einer Krimiserie? beiden letzten dialektsprechenden Tat-
Das klingt nicht gerade nach 90-minü- ort-Ermittler in den Ruhestand gegan- Tatort reloaded
tiger spannungsgeladener Unterhaltung gen. Das Verschwinden des Mundart-
am Sonntagabend. Und doch wächst lichen hat zur Folge, dass die typischen Der Tatort der ARD hat das Fernsehen schon früh als Medium für Gesellschaftskri-
die Fan-Gemeinde der Tatort-Jünger Bilder der Schauplätze immer wichtiger tik genutzt. Die Krimiserie besitzt regelrecht ‚Macht‘. Macht darüber, wie die Deut-
stetig an. Es sind eben die einzigartigen werden, um die einzelnen Tatortfolgen schen ihr Land sehen. Und Macht darüber, wie es um das Seelenheil der Nation steht,
Ermittler, die entweder in der tiefsten für die Zuschauer unterscheidbar zu ma- denn der Tatort predigt mit – jeden Sonntagabend zur selben Uhrzeit, aber aus den
bayrischen Provinz oder in der jecken chen. Das Authentische der Bilder wird unterschiedlichsten Ecken Deutschlands. Mit dem föderalen Grundgedanken dieser
Domstadt Köln Verbrechern auf der in neuen Tatort-Formaten durch das Kli- Krimiserie ist der Tatort eine Art nationale Institution geworden und wird vielleicht
Spur sind. Da wären der mürrisch nord- schee der Schauplätze ersetzt. Die Kölner als einzig wahres deutsches Gesellschaftsmärchen in der Geschichte des Fernsehens
deutsche Finke, das bayrische Urgestein Kommissare Schenk und Ballauf stehen akzeptiert. Doch wie viel Föderalismus steckt heute wirklich noch in der beliebtes-
Veigl, der schwäbelnde Schlaumeier Bi- daher regelmäßig vor der Imbissbude am ten deutschen Krimiserie? Was sagt die Entwicklung des Tatorts über unsere Ge-
enzle, der bodenständige und granteln- Rheinufer, essen die typische Bratwurst sellschaft und unser Deutschlandbild aus? Das Hochdeutsch hat das Mundartliche
de Sachse Ehrlicher oder der prügelnde und trinken ihr Feierabend-Kölsch. Und vertrieben, die Kommissare sind in ihrer Ermittlungsarbeit mobil geworden und die
Ruhrpott-Rowdy Schimanski. Sie sind, auch wenn es diese kölsche Imbissbude Milieukritik kann deutschlandweit zutreffen. Wo ist der Föderalismus, wo das un-
zusammen mit den Kommissaren der am Rheinufer in Wirklichkeit nicht gibt, terscheidende Element? Für DAS föderale Fernsehtheater klingt diese Feststellung
neueren Tatort-Formate, jene Schlüssel- die Vorstellung von Köln stimmt. Der apokalyptisch, jedoch sollte man sich nicht völlig der Schwarzmalerei hingeben: Der
figuren, die den regionalen Geschichten Tatort erzeugt somit ein ganz eigenes Tatort ist und bleibt die beliebteste Krimiserie der Deutschen. Ein Publikumsmagnet
den letzten Touch geben. So wie sich die Image von Deutschland. Ein Deutsch- und Exportschlager! Denn auch nach 40 Jahren bleibt sich die ARD ihrer konzeptio-
Schauplätze der Mordfälle nicht immer landbild, das immer unter dem deutli- nellen Linie treu und „sieht sich dem Föderalismus und der Förderung der Regionen
von ihrer Schokoladenseite zeigen, be- chen Verdacht steht, ins klischeehafte in besonderer Weise verpflichtet“. So wie sich unsere Gesellschaft in den letzten 40
stechen auch die Ermittler durch sehr abzurutschen. Und doch ist diese Kri- Jahren verändert hat, musste sich selbstverständlich auch der Tatort verändern. Die
menschliche Eigenschaften. Es sind miserie, die im letzten Jahr von fast 44 Menschen sind mobiler geworden, sie denken globaler. Auch die Kommissare und
meist unglücklich veranlagte Menschen, Millionen Menschen geschaut wurde, Kommissarinnen beim Tatort haben ihren Habitus in ihrer fiktiven Welt von Gewalt
die sich zwischen Melancholie und Hys- eine sehr reale deutsche Krimiserie: ei- und Verbrechen geändert, ohne jedoch dabei ihre eigenen Marotten abzulegen und
terie bewegen. Beim Tatort braucht jeder nerseits bestechend durch das Regionale die regionalen Eigenheiten der Schauplätze zu verklären.
Kommissar Marotten und Eigenarten, und die deutliche Milieukritik, anderer-
jeder Tatort braucht eine enge Verbun- seits beruhigend durch den Anspruch, Das föderale Fernsehmärchen geht weiter, zwar etwas subtiler und leiser, aber die
denheit mit Stadt und Region – das ist als gesamtdeutsches Fernsehtheater mehr als 7 Millionen Zuschauer lernen weiterhin jeden Sonntagabend, wenn die
das Erfolgsrezept. wahrgenommen zu werden. Das „Ver-
verschwenderische
von Matthäus Schlummer
saarländer?
Zu viele Fahrdienste?
Matthäus Schlummer
hat von 2004 bis 2007 in Erfurt Staatswissenschaften
studiert. Er ist Absolvent im Master-Studiengang Poli-
tikmanagement an der NRW School of Governance.
Seit 2010 arbeitet er in Erfurt als Wahlkreismitarbeiter
für den Bundestagsabgeordneten und Generalsekre-
tär der Thüringer FDP, Patrick Kurth.
von Andreas Blätte
der föderalismus
Politische Identität stark ausgeprägt offen, welche der nachfolgenden Gene- Lösung liegt in der Hand des Bundes
rationen sich dieser Aufgabe endgültig
In den alten Bundesländern herrscht stellen wird. Der Bund ist nicht nur stiller Beobachter,
schon lange eine gewachsene kulturelle er mischt ordentlich beim Fusionsspiel
der politikideen
Identität. Auch wenn immer mehr Ju- Demografische Entwicklung als trei- mit. Eine Neugliederung des Bunde-
gendliche aus den neuen Bundesländern bende Kraft gebietes ohne ausreichende finanzielle
auswandern, hat sich heute auch dort Unterstützung auf Bundesebene ist zum
ein Bundesland-Patriotismus gebildet. Allerdings steigt mit der demografi- Scheitern verurteilt. Nur wenn der
Dieser Patriotismus wird verstärkt durch schen Entwicklung der Druck auf die Bund den entsprechenden Ländern ein
die politischen Repräsentanten der je- Anpassung der Verwaltungsstruktu- attraktives Angebot unterbreitet und
weiligen Bundesländer. Diese stehen ren immer weiter. Vor allem die neuen die Bundesländer die Einmischung des Seminare zum Föderalismus gehören republik, so das Narrativ, gab es eine kla- keit an, weil Landespolitiker von über-
für die politische Eigenständigkeit ihrer Bundesländer leiden unter einer enor- Bundes akzeptieren, können überhaupt zum gängigen Repertoire politikwissen- rere Trennung der Aufgaben des Bundes bordenden Verflechtungen profitieren
Regionen und vertreten diese gegenüber men Abwanderung der erwerbsfähi- ernsthafte Fusionsgespräche aufgenom- schaftlicher Studiengänge in Deutsch- und jener der Länder. Doch dann wurden und daher mehr Böcke als Gärtner im
den anderen Bundesländern, dem Bund gen Jugendlichen. Die Anpassung des men werden. Angesichts der im Zuge land. Aber ist die Politikwissenschaft fö- Schritt um Schritt die Möglichkeiten der Föderalismus-Garten sind. Durch die
und weiteren politischen Ebenen. Eine Verwaltungsapparates an den negativen der Wirtschafts- und Finanzkrise wie- deralismusbegeistert? Wohl eher nicht. konkurrierenden Gesetzgebung ausge- Beteiligung der Länder am System ent-
nur durch die Bevölkerung angestoßene demografischen Trend wird ab einem be- der stark gestiegenen Verschuldung des Das Föderalismus-Thema ist staubtro- schöpft. Das Trennsystem der Finanzen steht eine Blockade gegen die Verände-
Bewegung, die zu einer Änderung des stimmten Punkt vor den obersten Lan- Bundes und der jetzt im Grundgesetz cken und in etwa so sexy wie Verbände- wurde aufgegeben zugunsten eines Sys- rung des defizitären Status quo. Fritz
Grundgesetzes führen könnte, ist un- desbehörden, nicht Halt machen kön- verankerten Schuldenbremse erscheint forschung. Mehr noch, der Föderalismus tems der Mischfinanzierung. Der Föde- Scharpf hat eine solche Analyse im Be-
wahrscheinlich; die Alternative jedoch, nen. Auch wenn, wie oben beschrieben, es mittelfristig als nahezu ausgeschlos- ist zu einem mittlerweile weithin mit ralismus ist kooperativ geworden und griff der „Politikverflechtungsfalle“ zu-
eine politisch angestoßene Änderung, in allen Bundesländern eine gewachsene sen, dass sich der Bund zu solchen An- Skepsis betrachteten Element des Regie- transformierte sich in ein System allge- sammengefasst.
mit der sich viele Landespolitiker ihrer politische Identität vorherrscht, war dies geboten finanziell überhaupt in der Lage rungssystems in Deutschland geworden. genwärtiger Interdependenzen.
eigenen Macht berauben, erscheint als nicht immer so. sieht. Eine föderale Ordnung beschränkt zen- Tatsächlich sollte mit den Föderalismus-
noch unwahrscheinlicher. Es ist schon jetzt abzusehen, dass vor tralstaatliche Machtansprüche. Vor dem Im analytischen Vokabular der Veto- reformen I und II der Versuch unter-
allem politische Entscheidungen von In einer politikverdrossenen Zeit kann Hintergrund der historischen Erfah- Spieler-Theorie gespiegelt, erleichtert nommen werden, zu entflechten, d.h.
Spieltheoretisch gesehen würde eine heute die Hürden für Fusionsgespräche auch ein weiteres Argument für eine rung von „Gleichschaltung“ und unbe- dieser Föderalismus die Behinderung die Kompetenzen von Bund und Län-
ernsthafte Diskussion über eine Neu- von morgen sein werden. Dann wird es Fusion neue Bedeutung gewinnen. So schränkter nationalsozialistischer Ge- notwendiger politischer Reformen dern klarer gegeneinander abzugrenzen.
gliederung des Bundesgebietes zu ei- unter anderem auch um die Staatsfinan- würde sich durch eine Neugliederung waltherrschaft war das bei der Beratung durch mitentscheidende Veto-Spieler. Doch die Entflechtungsschritte gingen
ner Interessenkonstellation führen, die zen der betroffenen Länder gehen. Denn des Bundesgebietes auch die Zahl der des Grundgesetzes von wesentlicher Föderalismus, wie er heute meist gese- nach Auffassung der meisten Beobachter
durch die hohe Anzahl von Vetospielern nicht nur in der Wirtschaft, sondern Wahlen reduzieren. Dann könnte sich Bedeutung. Doch heute erscheint das hen wird, ist ein reformverhinderndes nicht weit genug. Die Schuldenbremse
eine Einigung von Anfang an ausschlie- auch in der Politik hört beim Geld die die Bundespolitik langfristigeren Zie- institutionalisierte System der vorsätz- und problemverursachendes System, nehme den Ländern letzte verbliebene
ße. Daher ist es nicht verwunderlich, Freundschaft auf. Es wird den Bürgern len widmen, ohne auf ständige Rück- lich geschaffenen Widerstände gegen er steht einer durch Reformen erzielten Gestaltungsspielräume. Die Re- Form
dass auch in der Diskussion um die so eines Bundeslandes nur schwer zu ver- wirkungen auf Landesebene achten zu eine bundesstaatliche Regierung vielen Output-Legitimität entgegen. Zugleich gilt als nicht geglückt, einer Renaissance
genannte Föderalismusreform II zwar mitteln sein, warum sie für die Schulden müssen. Auch der oftmals konstatierte als Problem. Es ist gängig geworden, ist das System schwer zu reformieren. des Föderalismus ist nicht gelungen.
Stimmen laut wurden, die eine Neuglie- eines neuen Partners aufkommen sollen. Dauerwahlkampf wäre somit zumindest eine Art Verfallsgeschichte seit 1949 zu Den Verflechtungen im kooperativen Ich möchte allerdings argumentieren,
derung der Bundesländer (allerdings zu Immerhin werden die Regierungen, die eingedämmt. erzählen: In den Anfängen der Bundes- Föderalismus haftet eine Unentrinnbar- dass ein Perspektivwechsel helfen kann,
einem späteren Zeitpunkt) forderten. So diese Schulden angehäuft haben, immer
bezeichnete es der damalige Fraktions- nur den Bürgern des eigenen Bundes-
vorsitzende der SPD im Deutschen Bun- landes gegenüber rechenschaftspflichtig Prof. Dr. Andreas Blätte
destag, Peter Struck, als Luxus, dass es 16 gewesen sein. Der Versuch der Fusion studierte an der LMU München und der University
of Aberystwyth, Wales und war 2001-2009 wiss.
Länder gebe. Allerdings seien auch ihm von Berlin und Brandenburg zeigt, dass Mitarbeiter an der Universität Erfurt. Seit 2009 ist er
die Widerstände gegen eine Neugliede- an dieser Frage konkrete Verhandlungen Juniorprofessor für Politikwissenschaft an der Uni-
rung bekannt, weshalb es die Aufgabe scheitern können. versität Duisburg-Essen. Seine Arbeitsschwerpunkt
sind Migrations- und Integrationspolitik, bundeslän-
„nachfolgender Politikergenerationen“ dervergleichende Policy-Forschung und der Wandel
sei, darüber zu reden. Noch ist jedoch politischer Handlungsfelder.
die resignative Stimmung zu bewältigen, den können. Multifaktorielle Erklärungen bergen Unwägbarkeiten, und diese er- Strukturen eines föderalen Systems schaffen Kanäle für mehr Akteure mit mögli- sich dabei um mehr als um die Diffusion
die „Problembär Föderalismus“-Ein- möglichen politische Interpretationskämpfe, was wohl den Ausschlag für Erfolg und cherweise abweichenden Deutungsmustern. Damit erhöhen föderale Systeme die politischer Maßnahmen oder Maßnah-
schätzung zu überwinden und den Fö- Misserfolg gegeben haben mag. Bei geringen Fallzahlen und vielen Variablen können Wahrscheinlichkeit politischer Dynamik, weil sie den destabilisierenden Wandel menbündel, sondern um nicht weniger
deralismus positiver zu sehen. Zunächst diese durch Wissenschaft und „Evidenzbasierung“ nicht aufgelöst werden. institutionell absichern. Diese Destabilisierung des Bestehenden ist nicht negativ zu als eine Neukonfiguration der Topogra-
ist Klarheit erforderlich, worum es in Der ohne aussagekräftige Kennzahlen und Kausalanalysen seiner Grundlage beraub- verstehen. Es handelt sich um schöpferische Zerstörung. phie des Verhältnisses der Politikberei-
den zurückliegenden Föderalismus- te Wettbewerbs-Föderalismus steht angesichts solcher Erwägungen konzeptionell che zueinander. Gewiss soll nicht be-
Diskussionen und –Reformen ging: In auf tönernen Füßen. Zweifellos, man kann eine föderale Ordnung so gestalten, dass Dieses Verständnis der Möglichkeiten politischen Wandels in föderalistischen Sys- hauptet werden, dass die Länder immer
der Debatte gab es eine Hegemonie der die Gliedstaaten voneinander unabhängige Handlungsspielräume erhalten. Aber temen steht in einem erheblichen Gegensatz zu den entsprechenden, von der Veto- und stets der Ausgangspunkt neuer Po-
sogenannten Wettbewerbs-Föderalis- wenn die multiple Interpretationen ermittelter Kennzahlen die These, ein solcher Spieler-Theorie abgeleiteten skeptischen Hypothesen. Was ist der Unterschied? litikideen sind. Aber sie sind es doch bei
ten, gerade sie haben mit der Reform die Föderalismus fördere Wettbewerbskraft, Innovationsfähigkeit oder ein anderes po- Erstens sind die Konzeptionen unterschiedlich, was die Voraussetzungen politi- vielen wichtigen Entwicklungen, so dass
Hoffnung verbunden, eine zumindest litisches Ziel, zur nicht zu erhärtenden Spekulation machen, so verliert das Konzept schen Handelns sind. Rationalitätsprämissen folgend gehen die bisherigen Konzepte man vom Föderalismus der Politikideen
graduelle Bewegung weg vom Mischsys- des Wettbewerbs-Föderalismus eine wesentliche Begründung, warum dieser erstre- davon aus, dass sich Akteure Ihrer Präferenzen sicher sind, bevor sie am politischen sprechen kann.
tem hin zu einem dualen Föderalismus benswert sein sollte. Prozess teilhaben. Die alternative Perspektive nimmt hingegen an, dass Akteure erst Einen solchen Föderalismus der Poli-
könnte gelingen. Aber worum geht es im Lichte durch den politischen Diskurs änderbarer Vorstellungen begreifen, welche tikideen muss man nicht mit der Lupe
bei dem Leitbild, welches den Wettbe- Man kann gelingenden Föderalismus allerdings auch anders begreifen. Die Idee ei- Zielsetzungen sie verfolgen. Dem Primat vorpolitischer Orientierungen steht ein suchen, wir haben ihn längst. Die Pers-
werbs-Föderalisten vorschwebt? Jene nes Wetteiferns der Länder um die besten politischen Konzepte geht nicht fehl. Ent- Primat politischer Diskurse gegenüber. Ausgehend davon wird politischer Wandel pektive des Föderalismus der Kennzah-
verstehen diesen grundsätzlich als einen scheidend ist aber, was Gegenstand des Wetteiferns sein soll. Geht es tatsächlich unterschiedlich begriffen. In der Veto-Spieler-Theorie geht es um politischen Wan- len übersieht dies lediglich methodolo-
Wettbewerb um Kennzahlen. Politische nur darum, wer bei den Zahlen die Nase vorn hat, oder nicht vielmehr um politische del im Sinne legislativer Reformen, d.h. um das Zustandekommen von Gesetzen. Bei gisch induziert, weil sich der mit neuen
Konzepte werden verstanden als Instru- Innovation und politischen Wandel? Politische Dynamik lässt sich aber nicht auf der alternativen Perspektive ist politischer Wandel grundlegenderer Art, es vollzieht Politikbildern und -ideen verbundene
mente, mit denen einzelne Länder etwa Veränderungen von Indikatoren für wirtschaftliche Leistungsfähigkeit reduzieren, sich eine Umwertung grundlegender Deutungsmuster. Einige Hinweise müssen grundlegende Wandel so schlecht quan-
bei der Haushaltslage, der Bekämpfung sondern verweist auf grundlegende Veränderungen, wer materiell und immateriell hier genügen, dass die behauptete politische Dynamik tatsächlich stattfindet. Nicht titativ erfassen lässt.
der Arbeitslosigkeit und vor allem bei was, wann, wie, wo und warum bekommt. Die Länder sind für eine so verstandene alle zwei oder drei Wochen oder alle zwei oder drei Monate – aber oft genug. Bei-
der Steigerung von Wachstumsquoten politische Dynamik in Deutschland von wesentlicher Bedeutung. spiel Nummer eins ist die Genese des Politikbereichs der Umweltpolitik und die Man mag den Föderalismus der Politi-
im Sinne einer Verbesserung von Indika- Schaffung von Umweltministerien. Das Bundesumweltministerium wurde 1986 kideen verdächtigen, dass dieser als ein
toren Fortschritte erzielen. Mit ihrem Konzept des punktierten Gleichgewichts und einem großangelegten For- geschaffen. Das war eine ad hoc-Action nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl. Argumente und Ideen betonendes Kon-
schungsprojekt zu politischen Dynamiken in den USA haben die amerikanischen Die Regierung Kohl war umweltpolitisch in der Defensive, es standen Landtagswah- zept ein Konzept politischer Romantik
Doch es gibt schwerwiegende Einwände Politikwissenschaftler Frank Baumgartner und Bryan Jones nachgewiesen, dass es len in Niedersachsen an – das Bundesumweltministerium erschien als rettende Idee. sei. Allerdings wurde oben begründet,
gegen eine auf Kennzahlen reduzierte in amerikanischen Politikbereichen einerseits stets lange Phasen der Stabilität gibt. Umweltministerien hatte es aber schon viel früher auf Landesebene gegeben – zuerst dass die Orientierung an einem kenn-
Evaluation von Politik. Die Auseinander- Andererseits sind Umbruchphasen festzustellen, in denen es zu grundlegenden seit 1970 in Bayern. Die Anregung für das bayerische Umweltministerium war aus zahlorientierten politischen und wirt-
setzung mit der Evaluation politischer Neudefinitionen kommt, um was es eigentlich in einem Politikfeld geht. Damit ver- den USA aufgenommen worden. Ein zweites Beispiel: Bevor es ab 2002 auf Bundes- schaftlichen Wettbewerb der Länder das
Maßnahmen hat aber längst zu Aufklä- ändern sich die politischen Inhalte und auch die Akteure politischer Prozesse. Alte ebene ein Ministerium für Wirtschaft und Arbeit gab, hatte es ein solches zunächst in eigentlich hochspekulative Projekt ist.
rung geführt, wie schwer die Bemessung Akteure verlieren ihre Legitimität als politisch Teilhabende, neue Akteure werden Sachsen gegeben, dann in Nordrhein-Westfalen. Von der Landesebene aus wurde die Der empirische Nachweis des durch den
des Erfolgs politischer Maßnahmen ist. hinzugezogen. Wie kommt es nun zu solchem politischen Wandel? Für politische Politikidee, den Gegensatz von Wirtschafts- und Arbeitspolitik organisatorisch zu Wandel von Politikideen ausgelösten Po-
Dass Ergebnisse („outcomes“) unmit- Umbruchphasen ist ein Wandel von Politikbildern (policy images) von entscheiden- überwinden, auf die Bundesebene übertragen. Schließlich ist das nordrhein-westfä- licy-Wandels, mit den Ländern als wich-
telbar erzielt werden, kann bei den kom- der Bedeutung. Mit diesem Begriff bezeichnen Baumgartner und Jones herrschende lische Integrationsministerium zu nennen, das es seit 2005 gibt und das bundesweit tige Quelle, kann hingegen systematisch
plexen Überlagerungen verschiedener Problemdefinitionen mit all ihren Konnotationen. Politikbilder sind argumentative, Nachahmung findet. Es gibt mittlerweile eine Konferenz der Landesintegrationsmi- erbracht werden. Der Föderalismus der
Zeitdimensionen politischer Abläufe im mit emotionalen Symbolen angereicherte Konstruktionen unseres Verständnisses nister, die ein wesentlicher Schritt bei der Institutionalisierung des Politikbereichs Politikideen ist ein realistisches Konzept.
Regelfall ausgeschlossen werden. Also davon, worum es in einem Politikbereich eigentlich geht. Politische Akteure, die der Integrationspolitik ist. Diese Ministerien sind jeweils mehr als nur Ausdruck Der Wettstreit um politische Konzepte
wann kann man seriös messen, wann ein neues Politikbild vertreten, sind dann die entscheidenden Triebkräfte. Doch es einer Neuordnung der Ministerialorganisation. Sie stellen die Institutionalisierung auf der Ebene der Länder findet statt, er
die Wirkung einer Maßnahme festge- kommt auf die Verfügbarkeit von Zugangskanälen an. Wo ein politisches System neuer politischer Problemdefinitionen und Deutungsmuster dar. hat Bedeutung für politischen Wandel in
stellt werden kann? Nach drei, fünf oder stark kartellisiert ist, die immer gleichen Akteure in starren institutionalisierten Bah- Deutschland, wir sollten diesen Prozes-
zehn Jahren? Noch schwerer wiegt, dass nen alte Sichtweisen reproduzieren, ist die Aussicht auf solchen politischen Wandel Wir finden reichhaltige Anhaltspunkte, dass sich solche Prozesse der Diskursinstitu- sen Beachtung schenken. Denn eine Re-
politisch relevante Phänomene nur mit reduziert. Die Offenheit eines politischen Systems macht den Durchbruch neuer tionalisierung in wichtigen Fällen zuerst in einem Bundesland vollziehen, dass dann naissance des Föderalismus setzt voraus,
einer Vielzahl von Faktoren erklärt wer- Politikbilder hingegen wahrscheinlicher, und föderale Ordnungen sind offen: Die weitere Bundesländer folgen, bis schließlich die Bundesebene nachzieht. Es handelt dass wir diesen angemessen begreifen.
Wie nehmen Jugendliche den Landtag Nordrhein-Westfalen und die Landespoli-
tik wahr? In der Befragung „Perzeption von Landtagstätigkeit und Landespolitik
durch Jugendliche in Nordrhein-Westfalen“ gingen Bachelor-Studenten der
Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen dieser Frage im Rahmen
der Kooperation zwischen der NRW School of Governance und dem Landtag
Nordrhein-Westfalen nach.
Jugend und Politik: Ein (besonders) burg-Essen durchgeführte Befragung teresse aus. Die Unterschiede zwischen
schwieriges Verhältnis? untersuchte die Situation im Bundesland den Geschlechtern sind nur gering aus-
Nordrhein-Westfalen. Per Quotenaus- geprägt.
Das Vorurteil, „die Jugend von heute“ wahl wurden im Jahr 2008 951 Schüler
sei politisch desinteressiert, wenig en- aus zehnten Klassen an verschiedenen Wissen über den Landtag
gagiert und politisch ungebildet, ist seit Schulen in unterschiedlichen Städten
vielen Jahren salonfähig. Zusammen- mittels eines Fragebogens bezüglich ih- Ein Grundwissen über den Landtag ist
gefasst wird dies meist unter dem in rer Wahrnehmung des Landtags und beim Großteil der Befragten vorhan-
der Politikwissenschaft zum Modewort weiterer (landes-)politischer Aspekte den. Mit steigender Komplexität der
avancierten, allumfassenden Begriff der in verschiedenen Teilbereichen befragt. Fragen sinkt der Anteil der Schüler mit
Politikverdrossenheit. Betrachtet man Differenzierte Aussagen können nach richtigen Antworten jedoch. Schwierig-
die wissenschaftlichen Erkenntnisse Bildungsniveau (Haupt-, Gesamt-, Re- keiten bereiten vor allem die fehlerfreie
über das Verhältnis von Jugend und Po- alschüler sowie Gymnasiasten) und Ge- Zuordnung der Tätigkeit von Landtags-
litik genauer, so fällt das Bild deutlich schlecht getroffen werden. abgeordneten sowie der Gesetzgebungs-
differenzierter aus. Zwar lassen sich bei Die zentralen Befunde aus vier Teilberei- kompetenz des Landtags Nordrhein-
Jugendlichen generell ein abnehmendes chen werden im Folgenden kurz vorge- Westfalen in Bezug auf ausgewählte
Interesse und eine abnehmende Enga- stellt: Erstens das Interesse an Landes- Politikfelder. Die Kenntnis über die im
gementbereitschaft in der institutionen- politik, zweitens das Wissen über den Landtag vertretenen Parteien ist hinge-
und parteienbezogenen Politik nachwei- Landtag, drittens das Partizipations- gen ebenso vorhanden wie das Wissen
sen, jedoch sind viele junge Menschen verhalten und die Partizipationsbereit- über den Standort des Landtags. Mehr als
durchaus dazu bereit, sich in breiteren schaft sowie viertens die Herabsetzung drei Viertel aller befragten Jugendlichen
gesellschafts-politischen Kontexten wie des Wahlalters bei Landtagswahlen auf wissen jedoch nicht, dass der Landtag
Umwelt und Soziales zu engagieren. Der sechzehn Jahre. alle fünf Jahre gewählt wird. Der Befund
Vergleich mit älteren Generationen zeigt über den Zusammenhang zwischen
darüber hinaus, dass Abnehmendes In- Interesse an Landespolitik dem politischen Wissen und dem Bil-
perzeption von
stitutionenvertrauen und Rückgang des dungsgrad überrascht nicht: Je höher das
politischen Interesses sind keine jugend- Das Interesse an Landespolitik ist bei den formale Bildungsniveau, desto größer
spezifischen Phänomene sind. Zudem Jugendlichen nur sehr gering ausgeprägt. ist das Wissen über den Landtag Nord-
lassen sich die Beobachtungen auch als Lediglich eine Minderheit (5,5 Prozent) rhein-Westfalen. Jungen weisen hin-
landtagstätigkeit und
Anzeichen eines zunehmend aufgeklär- bekundet überhaupt Interesse; die deut- sichtlich des nordrhein-westfälischen
ten, demokratietheoretisch nicht nur un- liche Mehrheit (61,5 Prozent) hingegen Landtags ein nur leicht höheres Wissen
bedenklichen, sondern auch erwünsch- äußert nur sehr mäßiges oder gar kein auf als Mädchen.
ten Demokratiebewusstseins deuten. landespolitisches Interesse. Gymnasi-
landespolitik durch
Die politikwissenschaftliche Forschung asten und Hauptschüler zeichnen sich
weist zudem eine Forschungslücke auf: druch das durchschnittlich höchste In-
Befragungen richten sich meist auf die
Bundespolitik, während nur wenig ent-
jugendliche in
sprechende Befunde zur kommunal- Jan Schoofs
oder landespolitischen Ebene vorliegen. studiert den Masterstudiengang Politikmanagement
an der Universität Duisburg-Essen. An der NRW
School of Governance unterstützt er als studenti-
Kontext und Methodik der Befragung sche Hilfskraft die Kooperation mit dem Landtag
nordrhein-westfalen
Nordrhein-Westfalen. Er ist der Autor des Abschluss-
berichts zum Projekt „Perzeption von Landtags-
Die von Bachelor-Studenten der Politik- tätigkeit und Landespolitik durch Jugendliche in
wissenschaft an der Universität Duis- Nordrhein-Westfalen“.
drei fragen an ...
christian
lindner *
Partizipationsverhalten und Partizipationsbereitschaft Wie bewerten Sie als Politiker und Wie autonom lassen sich Landtags- Wo liegen die Unterschiede in Ihrer
gleichzeitig auch als Wissenschaft- wahlen generell überhaupt noch füh- Arbeit auf Landesebene und der jet-
Die befragten Jugendlichen zeigen sich partizipationsfreudig, insbesondere hinsichtlich der Mitgliedschaft beziehungsweise der ler diese Aussage (Landtagswahlen ren? zigen Arbeit auf Bundesebene, in-
Aktivität in Sportvereinen. Sehr gering ausgeprägt ist demgegenüber die Mitgliedschaft in Jugendorganisationen von Parteien. gelten als Stellvertreterwahlen und haltlich als auch operativ?
als Stimmungsbarometer für die Die wechselseitige Durchdringung der
Es bestätigt sich der häufig beobachtete Zusammenhang zwischen Bildung und Partizipationsverhalten: Je höher der formale Bundespolitik)? Welche Konflikte er- Ebenen ist eine Realität. Ihre konkrete Der Charakter des Amtes und seine
Bildungsgrad, desto eher beteiligen sich die Jugendlichen in sozialen oder politischen Organisationen. Ähnliches gilt für ge- geben sich und wie lässt sich bspw. Auswirkung und die Reaktion darauf ist Aufgabenbandbreite sind vergleich-
schlechtsspezifische Unterschiede: Die Jungen zeichnen sich durch einen höheren Anteil an Mitgliedern in sozialen und politi- durch Aussagen auf Bundesebene in aber von Wahl zu Wahl unterschiedlich. bar: Positionierung und Profilbildung
schen Organisationen aus als die Mädchen. Dies lässt sich zum Teil auch auf den großen Anteil der Mitgliedschaften der männli- den Landtagswahlkampf eingreifen? im täglichen Parteienwettbewerb, pro-
chen Befragten in Fußballvereinen zurückführen. Beispielsweise bei der anstehenden grammatische Weiterentwicklung, Ver-
Die grundsätzliche Bereitschaft zur Partizipation in verschiedenen Institutionen (Schülervertretung, Jugendorganisationen, Jede Wahl findet in einem je eigenen the- Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen antwortung für die Parteiorganisation.
Kinder- und Jugendparlamente, Jugendorganisationen von Parteien, Sonstige) ist bei zwei Drittel aller Befragten vorhanden. matischen Umfeld statt. Ein mechani- versucht die Opposition verstärkt bun- Das Themenprofil auf der Bundesebene
Grundsätzlich sind Gymnasiasten überdurchschnittlich zum Engagement bereit. Gleiches gilt für Mädchen. Am größten ist das sches und für jede Situation pauschales despolitische Fragen zum Gegenstand ist breiter, auf der Landesebene – auf-
Interesse für Engagement an den Bereichen Jugend (mit Abstand), Soziales, Umwelt, Bildung und Europa; am geringsten in den Erklärungsmodell überzeugt mich daher des Wahlkampfs zu machen: Dadurch grund der engen Verknüpfung mit der
Bereichen Kultur, Innere Sicherheit, Wirtschaft und Finanzen sowie Verkehr. In der Rangfolge der Politikfelder gibt es kaum ge- nicht. sollen die Erfolgsbilanz der christlich- Kommunalpolitik – dagegen konkreter.
schlechtsspezifische Unterschiede. liberalen Koalition unterdrückt und ei- Durch die mediale Dominanz der Bun-
Analytische Ausgangslage ist: Die Bürge- genen Angriffspunkten (Koalition mit despolitik sind die Möglichkeiten des
Herabsetzung des Wahlalters bei Landtagswahlen auf sechzehn Jahre rinnen und Bürger nehmen Parteien als der Linkspartei) de-thematisiert werden. Agenda Settings in Berlin größer.“
vertikal integrierte Formationen wahr – Andererseits sollen die (nach kurzer Re-
Obwohl nur ein Drittel der Jugendlichen in der Umfrage die Herabsetzung des Wahlalters bei Landtagswahlen auf sechzehn Jah- deshalb mischen sich bei der Bewertung gierungsdauer naturgemäß) noch nicht Bei dieser medialen Dominanz der
ren befürwortet, gibt dennoch die Hälfte an, sich im Falle einer Herabsetzung der Altersgrenze an Landtagswahlen beteiligen zu politischer Wahlalternativen bundes- abschließend konkretisierten Reform- Bundesebene, ist die Herausforderung
wollen. Obwohl die Ergebnisse mit Vorsicht interpretiert werden müssen – die Bereitschaft zum Verhalten fällt in der Regel hö- und landespolitische Aspekte. Zudem projekte des Bundes zu mobilisierenden der Landespolitik, sich in Zeitungen
her aus als das tatsächliche Verhalten – ist dieser Wert recht hoch. Die Bereitschaft zur Wahlbeteiligung ist bei den Schülern aller prägt die bundespolitisch dominante Angst-Kampagnen verdichtet werden – und TV-Sendungen verstärkt Gehör zu
Schulformen ähnlich stark ausgeprägt. Jungen äußern häufiger eine Beteiligungsabsicht als Mädchen. Von denjenigen Schülern, Medienberichterstattung das Bild von solange das noch möglich ist. schaffen. Gleichzeitig kann man sagen,
die nicht an den Landtagswahlen teilnehmen würden, begründet dies die Hälfte mit unzureichenden Kenntnissen zur Entschei- Parteien. Gegen ihre Bundespartei könn- dass das politische Geschäft in Berlin
dungsfindung. Dies geben vor allem Gymnasiasten und Mädchen an. Rund ein Drittel der potenziellen Nichtwähler nennt feh- te eine Landesorganisation deshalb nur schneller als es im Vergleich die Landes-
lendes Interesse als Begründung; hierunter insbesondere Hauptschüler und Jungen. Knapp 15 Prozent der Befragten wissen nicht, in besonderen Einzelfällen mit Aussicht politik ist.
für welche Partei sie sich entscheiden sollten, wobei sich hier kaum schulform- oder geschlechtsspezifische Unterschiede zeigen. auf Erfolg glaubwürdig Wahlkämpfe ge-
stalten.
Fazit: Licht und Schatten
Je nach Gelegenheitsstruktur des ein-
Die Befragung bestätigt auch für den Landesbereich grundsätzlich die bisherige wissenschaftliche Forschung bezüglich des Ver- zelnen Wahltermins versuchen Parteien
hältnisses von Jugend und Politik: Zwar sind nur sehr wenige Befragte an der klassischen Landespolitik interessiert, jedoch sind beim Agenda Settings jeweils landes-
die meisten durchaus bereit, sich in breiteren gesellschaftspolitischen Kontexten zu engagieren. Auch die Teilnahme an Land- oder bundespolitischen Aspekte hervor-
tagswahlen erscheint im Falle einer Herabsetzung auf sechzehn Jahre für die Hälfte der Jugendlichen nicht abwegig. Ein Grund- zuheben: Landtagswahlen können so
wissen über den Landtag und seine Arbeit ist bei vielen Schülern vorhanden. Tiefergehendes Wissen ist hingegen beim Großteil zum Plebiszit über eine bundespolitische
der Befragten – nur 1,7 Prozent aller Schüler konnten die Antwortmöglichkeiten aller Wissensfragen fehlerfrei zuordnen – kaum Frage ausgerufen, zum Test für ein politi-
vorhanden. Einerseits werden also Potenziale deutlich, andererseits zeigt die Befragung auch Defizite. Offen bleibt die Frage, wie sche Konzept oder einer Personalie inner-
Vergleichsdaten für erwachsene Bürger aussehen. Die Befunde der Studie „Perzeption von Landtagstätigkeit und Landespolitik halb einer Bundespartei erklärt werden
* Christian Linder
durch Jugendliche in Nordrhein-Westfalen“ lassen den Schluss, die nordrhein-westfälische Jugend sei politisch desinteressiert, (Kanzlerkandidatur Gerhard Schröder (31) ist seit September 2009 Bundestagsabgeord-
wenig engagiert und politisch weitgehend ungebildet, angesichts der Befunde nicht zu. 1998) – oder ein mobilisierungsstarkes neter, seit Dezember 2009 auch Generalsekretär der
und polarisierendes Thema der Lan- FDP. Der Politikwissenschaftler war von 2000 bis
2009 Landtagsabgeordneter in Düsseldorf und seit
despolitik wird fokussiert (gegliedertes 2005 auch Fraktionsvize, von 2004 bis Februar 2010
Schulsystem versus Einheitsschule). überdies Generalsekretär der FDP NRW.
Identität ist ein schillernder Begriff. Noch schillernder wird er im komplexen fö-
deralen Gefüge. Im Mehrebenensystem konkurrieren Bundesland, Staat und die
EU um das Identitäts-Bewusstsein der Bürger. Aber ist hierbei überhaupt eine
Trennschärfe erkennbar oder entstehen gar parallele Identitäten?
Ein fiktiver Erfahrungsbericht
Germania ist 25 Jahre alt. Sie ist in Tübingen geboren und aufgewachsen, hat in den
USA ihren Bachelor in Politics of the Middle East erfolgreich absolviert und im Rah-
men dieses Studiums ein Auslandssemester in Syrien verbracht. Zurzeit studiert
sie im Master Friedensforschung an der Universität Tübingen. „Nach der ganzen
Auslandserfahrung, wollte ich wieder in meine Heimat zurück“, so die weit gereis-
te Studentin. Doch was bedeutet Heimat für Germania? „Heimat ist für mich jener
Flecken Erde, mit dem ich mich durch und durch identifizieren kann“. Damit ist
aber nicht nur das gängige Verständnis der individuellen Identität gemeint – also die
unverwechselbare Besonderheit eines Individuums durch die von anderen abgren-
zenden Charakteristika. Vielmehr ist im Sinne von ‚Heimat’ die kollektive Identität
von Bedeutung. Hierbei handelt es sich um das Gefühl von Zugehörigkeit zu einer
bestimmten Gruppe, das sich durch die Verständigung über Gemeinsamkeiten bildet
und vor allem durch die Abgrenzung zu anderen Gruppen zuspitzt.
Tübingen ist in Baden-Württemberg, ist in Deutschland, ist in Europa. Germania ist
Baden-Württembergerin, ist Deutsche, ist Europäerin. Alles in einem und doch alles
getrennt voneinander.
Du bist Europa!
Während ihrer Zeit in den USA und in Syrien wurde Germania des Öfteren ge-
fragt, woher sie komme. Ihre Antwort war immer: „I’m from Europe“. „In den USA
war diese Antwort einfach die Unkomplizierteste. Wer weiß denn dort schon, wo
Deutschland liegt?!“, Europa sei groß genug, dass auch die Amerikaner ein ungefäh-
res Verständnis davon hätten, aus welcher Region der Erde sie komme, so die 25-Jäh-
rige zynisch. In Syrien sei ihr dann zum ersten Mal richtig bewusst geworden, was
es bedeute, Europäerin zu sein. „Dort habe ich in besonderer Weise die europäische
Identität und großen Stolz verspürt aus Europa zu kommen. Letztlich weil Europa
eine Wertegemeinschaft ist, wie sie im Nahen Osten nicht mal im Kleinen besteht“.
Diese Wertegemeinschaft ist in der Europäischen Union manifestiert. Sie bildet eine
Gruppe, die durch viele Gemeinsamkeiten ein Gefühl von Zugehörigkeit schafft. Ne-
ben ‚natürlichen’ Gemeinsamkeiten, wie geschichtliche Begebenheiten, Werte, Ide-
en und Kultur sind einige Gemeinsamkeiten allerdings auch ‚künstlich’ geschaffen.
Seit 1986 versucht die Europäische Gemeinschaft mit einer gezielten Identitätspo-
litik das europäische Bewusstsein zu stärken. Symbole wie die Flagge, die Hymne,
der Europatag, der Euro sowie der Leitspruch ‚In Vielfalt geeint’ sollen eine europäi-
Alice Berger
gehört dem Abschlussjahrgang 2010 des Master-
Studiengangs Politikmanagement der NRW School
of Governance an. Vor dem Master absolvierte sie
zentralisierungs-
Die Debatte um die Umstrukturie-
rung der ARD ist durch den Ruf nach
einem ARD-Rat ins Rollen geraten. Es
wird darüber debattiert, ob die derzei-
tendenzen in der
tige Aufsicht über das ARD-Gemein-
schaftsprogramm ausreicht oder ob eine
Optimierung der bestehenden Gremi-
enstrukturen, zum Beispiel in Form
föderalen ard
eines neuen Rates, erforderlich ist. Die
Diskussion gewinnt an Brisanz, da der
öffentlich-rechtliche Rundfunk und so-
mit die ARD einerseits eine Sonderstel-
lung in Form eines besonderen Verfas-
sungsschutzes genießt und andererseits
verpflichtet ist, gegen eine angemessene
Gebühr ein vielfältiges, d.h. unterhal-
tendes und informierendes Programm
anzubieten.
Ines Olejnik
gehört zum Abschlussjahrgang 2010 im Masterstu-
diengang Politikmanagement an der NRW School
of Governance. Während ihres Studiums sammelte
sie praktische Erfahrungen bei der Agentur Initiative
Media und der Körber-Stiftung. Momentan arbeitet sie
bei der Stiftung Mercator im Bereich Kommunikation
und Geschäftsführung.
sen. Die beiden Hauptgründe waren hierfür, dass ein Mindestmaß an bundesstaat- aus den Vorsitzenden der Rundfunk- mien in den Landesrundfunkanstalten die Organisation der Gremienkontrolle
licher Einheitlichkeit geschaffen werden sollte und dass die einzelnen Bundesländer und Verwaltungsräte der neun Landes- führt, entkräftet. Falls sich die Gremi- den Veränderungen der Organisations-
die hohen Kosten nicht mehr alleine tragen konnten. Nach dem Zusammenschluss rundfunkanstalten sowie der Deutschen enkonferenz der ARD nicht als starkes struktur folgen. Die Gremien der Lan-
wurde ein neues gemeinsames Programm kreiert: seit 1954 wird „Das Erste Deutsche Welle zusammen und ist das Aufsichts- Kontrollgremium etablieren kann und desrundfunkanstalten bleiben weiterhin
Fernsehen“ zusammen ausgestrahlt. gremium der ARD in Bezug auf gemein- ein zahnloser Tiger bleibt, scheint die bestehen, müssen allerdings auf die neu-
schaftliche Tätigkeiten des föderalen Schaffung eines neunmitgliederstarken en Herausforderungen und Aufgaben
Strukturelle Einblicke Senderverbunds. Weitere Schritte sind ARD-Rates die logische Konsequenz vorbereitet und mit Kompetenzen aus-
unerlässlich. Ob ein zentralistisches oder und beste Lösung zu sein. Der ARD-Rat gestattet werden. Ein erster Schritt war
Drei Grundprämissen begründen die Sonderstellung des öffentlich-rechtlichen ein föderales Modell der Königsweg sein wird von vielen Intendanten favorisiert. bereits die Schaffung eines Büros, das
Rundfunks und damit auch die der ARD. Diese sind: der Binnenpluralismus, die wird, ist fraglich. Ob er nur eine vorbereitende Funktion die Koordinierungsaufgaben der Gremi-
Grundversorgung und das Elitenkonzept. Der Binnenpluralismus besagt, dass die zur Aufbereitung komplexer Fragestel- envorsitzendenkonferenz administrativ
öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbieter dazu angehalten sind, ein vielfältiges und Die Befürworter einer zentralen Kont- lungen hat oder eine Letztentscheidungs- begleitet. Dadurch werden die Gremien-
ausgewogenes Programm anzubieten. Die einzelnen Angebote der ARD unterlie- rolle sprechen sich für die Stärkung der befugnis hat, wäre dann auch zu klären. vorsitzenden entlastet und können sich
gen dem Gebot der Ausgewogenheit, das sich ebenfalls auf das Gesamtprogramm Gremienvorsitzendenkonferenz der Eine weitere Lösung wäre die Gründung der Koordinierung der Kontrolle wid-
bezieht. Die Prämisse der ARD ist also eine kumulierte Vielfalt, die zur allgemeinen ARD aus. Denn momentan können so- eines externen, unabhängigen und ein- men. Weitere Schritte sind aber unum-
Ausgewogenheit führt. wohl die Rundfunkräte als auch die Ver- heitlichen Gremiums. Die primären gänglich: So sollten die von den Gremien
Bei dem Elitenkonzept, das dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu Grunde liegt, waltungsräte der einzelnen Landesrund- Aufgaben des Gremiums wären: die Prü- der Landesrundfunkanstalten zu bewäl-
geht es um Aufklärung, Erziehung und Bildung des Publikums. Gesendet wird, was funkanstalten aufgrund der Komplexität fung der Programme nach den Grund- tigenden Kontroll- und Beratungstätig-
aus der Sicht der politischen Elite „gut“ für das Publikum ist. Die speziellen Wünsche der Organisationsstrukturen die ihnen versorgungskriterien, die Prüfung der keiten zur Entlastung der Rundfunkrats-
der Zuschauer sollen eher eine untergeordnete Rolle spiele. Diese Grundprämissen zugewiesene Kontrollfunktion in Bezug finanziellen Verhältnismäßigkeit von mitglieder auf verschiedene Mitarbeiter
wurden in der letzten Zeit oft diskutiert. Auch weil sich die medialen Möglichkeiten auf die ARD-Anteile nicht wahrnehmen. Ausgaben im Vergleich zum Programm- in den Rundfunkanstalten übertragen
durch die Online-Formate explosionsartig vermehrt haben. Ferner besitzt die Gremienvorsitzen- auftrag und die Überprüfung der Not- werden. Des Weiteren ist zu prüfen, ob
Zugleich ist die Organisationsstruktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein denkonferenz der ARD noch nicht die wendigkeit neuer Angebote speziell im nach dem Vorbild der Parlamente eine
besonderes Konzept. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk unterliegt der Selbstver- effektivsten Instrumente, um die pro- Hinblick auf das Internet. Damit wür- Schaffung eines wissenschaftlichen
waltungsbefugnis und kann somit nicht von staatlichen Behörden kontrolliert wer- grammatischen Inhalte kontrollieren zu de die Kontrolle professionalisiert und Dienstes zu einer effektiveren Kontrolle
den. Die für die Kontrolle zuständigen Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen können. Sie sollte daher mit allen Gestal- transparenter werden, so die Verfechter führt, wenn Fragen aus den Gremien di-
Rundfunks sind die Verwaltungs- und Rundfunkräte. Der Rundfunkrat vertritt tungsmitteln ausgestattet werden, die der externen Kontrolle. rekt bearbeitet werden können.
die allgemeinen Interessen, entscheidet über die Grundsatzfragen des Senders und notwendig sind, um eine glaubwürdige,
berät ebenfalls den Intendanten bei der Programmplanung. Ein staatlicher Einfluss an der Verfassung orientierte Aufsicht Die Kritiker der Zentralisierungsten- Auf die eingangs gestellte Frage bleibt
soll dadurch vermieden werden, indem sich der Rundfunkrat aus Vertretern gesell- über die ARD-Gemeinschaftsaktivitä- denzen sehen die Zukunft gleichwohl somit zu sagen, dass es unerlässlich ist,
schaftlich relevanter Gruppen der verschiedensten gesellschaftlichen Bereiche zu- ten zu organisieren, so die Zentralisten. in der föderalen Kontrolle. Sie sehen die bestehenden Strukturen der ARD
sammensetzt. Auch Mitglieder aus den Landesregierungen und Parlamenten besit- Die Instrumente sehen die Fürsprecher das besondere föderale Zusammen- zu optimieren. In den letzten 60 Jahren
zen Mitspracherecht. Die Funktion des Verwaltungsrates liegt darin, die Einhaltung in der Vertrags- und Personalkontrol- spiel der Landesrundfunkanstalten als haben sich die medialen Strukturen so
der Programmrichtlinien zu überwachen. Er wird vom Rundfunkrat gewählt, der le. Die eigentliche Programmkontrolle konstituierendes Element des ARD- stark verändert, dass auf die neuen Bege-
außerdem den jeweils zuständigen Intendanten wählt. Der Intendant ist der Leiter bezüglich Werbung und Jugendschutz Gemeinschafsprogrammes. Die ARD benheiten reagiert werden muss. Aber es
des Senders und verantwortlich für die Programmgestaltung und den ganzen Betrieb könnte dabei weiterhin auf den Landes- unterscheidet sich dadurch klar von an- bleibt abzuwarten, in welchem Umfang
der Rundfunkanstalt. ebenen verbleiben, da vor Ort die besten deren Rundfunkanstalten, wie zum Bei- und wie schnell strukturelle Verände-
Kapazitäten vorhanden sind und jeder spiel dem Zweiten Deutschen Fernsehen rungen durchzusetzen sind.
Forderung nach effektiverer Kontrolle Intendant für die in seinem Sendegebiet (ZDF), das zentral gesteuert wird. Dieses
ausgestrahlten Programmbeiträge ver- Merkmal muss auch weiterhin beste-
Eine erste Antwort auf die Rufe nach einer effektiveren Kontrolle, war die Aufnahme antwortlich ist. Damit wäre das oft von hen bleiben, damit der Senderverbund
des § 5a in die ARD-Satzung. In dem Paragraphen ist manifestiert, dass die Gremi- Zentralisierungskritikern angebrachte auch in Zukunft erfolgreich ist, so die
envorsitzendenkonferenz der ARD erstmals als eigenständig handelnde Institution Argument, dass eine Neuorganisation Zentralisierungskritiker. Sollte man bei
angesehen werden kann. Die Gremienvorsitzendenkonferenz der ARD setzt sich der Aufsicht zur Entmachtung der Gre- einer föderalen Lösung bleiben, müsste
Wird Klimapolitik nur anhand der nationalen Ebene und ihrem Engagement in
internationalen Regimen bewertet, kann es schnell zu Fehlurteilen über die
Entwicklung und Kohärenz der Klimapolitik eines Landes kommen. Solche
Fehlwahrnehmungen sind gerade in der Nachrichtenberichterstattung nicht
selten, da sie häufig föderale Staatsstrukturen übersieht. Gerade in Staaten
mit einem föderalen Staatsaufbau kann die klimapolitische Entwicklung und
Dynamik jedoch stark von der Landesebene abhängen. Ein Blick in die USA,
Kanada und Deutschland verdeutlicht dies sehr anschaulich.
Die Rollen scheinen klar verteilt. In der Klimapolitik gibt es Staaten, die die Ent-
wicklung des Politikfeldes bremsen, und andere, die sich als Vorreiter etabliert haben
und stetig ehrgeizigere CO2-Minderungsziele verkünden. Nicht selten wird dabei
die Rollenverteilung anhand der Beteiligung am wichtigsten internationalen Klima-
regime, dem Kyoto-Protokoll, festgelegt. Staaten, die wie Deutschland und Kanada
das Kyoto-Protokoll unterzeichnet und ratifiziert haben, gelten als engagierte und
aktive Klimaschützer. Staaten dagegen, die wie die USA das Kyoto-Protokoll nicht
ratifiziert haben, gehören zu den Bremsern. Dass diese einfache Einteilung jedoch
die komplexe Wirklichkeit nicht widerspiegelt, zeigt sich bei der Berücksichtigung
der jeweiligen Landesebene.
Die Beispiele USA und Kanada zeigen auf, warum klimapolitische Entwicklungen
in föderalen Staaten nicht ausschließlich auf der bundesstaatlicher Ebene beurteilt
werden können. Die Ratifizierung des völkerrechtlich bindenden Kyoto-Protokolls
durch Kanada lässt zunächst vermuten, dass sich im Vergleich zu den USA die For-
mulierung und Umsetzung klimapolitischer Maßnahmen sowie die Reduktion von
CO2-Emissionen dynamischer entwickelt haben muss. Allerdings zeigt der Blick
auf die Entwicklung der Treibhausgasemissionen beider Staaten, dass zwar keiner
föderalismus in der
der beiden in der Lage war, eine Stabilisierung oder Minderung von Emissionen zu
erreichen – im Gegenteil, die kanadischen Emissionen sind stärker gestiegen als die
US-amerikanischen. Während zwischen 1990 und 2004 die US-Emissionen um 15%
stiegen, pustete Kanada bis 2004 ganze 26 % mehr Emissionen in die Atmosphäre.
klimapolitik:
Erklärbar wird diese Entwicklung erst, wenn die Aufmerksamkeit auf die US-ameri-
kanischen States und die kanadischen Provinces gerückt wird, die mit beträchtlichen
Kompetenzen und Befugnissen in klimapolitischen Handlungsfeldern ausgestattet
sind. Vergleicht man die klimapolitische Entwicklung auf Landesebene, lässt sich
eine vernachlässigte
feststellen, dass im Vergleich zu den kanadischen Provinzen ein höherer Prozentsatz
der US-Bundestaaten aktive Klimapolitik betreibt. Mehr als die Hälfte der States hat
in den vergangenen Jahren mindestens ein Gesetz oder eine Verordnung erlassen,
die feste CO2-Minderungsziele bindend festlegt. 23 Bundesstaaten, die mehr als die
dimension
Hälfte der US-Bevölkerung repräsentieren, haben sich für den schrittweisen Ersatz
fossiler Energiegewinnung durch erneuerbare Energien entschieden. Neun US-
Bundesstaaten des Nordostens haben einen regionalen Emissionshandel etabliert,
Matías Krämer
hält ein Diplom als Regionalwissenschaftler für
Lateinamerika aus der Universität zu Köln und studiert
im Masterstudiengang Politikmanagement an der
NRW School of Governance. Seine Schwerpunkte
liegen in der Sicherheits- und Entwicklungspolitik
Lateinamerikas sowie in der Klima- und Umweltpolitik
auf EU- und Landesebene.
Für den Pauschal-Touristen ist Spanien Meer, Strand, Sonne, Paella und Flamenco-Musik. Mallorca, von vielen Deut-
schen und zum großen Unmut der Spanier ‚Malle‘ genannt, wird von vielen bereits als 17. Bundesland zur Bundesrepublik
Deutschland gezählt. Für die politischen Verhältnisse hingegen interessiert sich der Spanienurlauber dann doch eher sel-
ten. Die Ferienidylle wird jedoch ab und zu gestört, wenn die ETA (Euskadi ta Askatasuna = Das Baskenland und dessen
Freiheit) mal wieder den sonnigen Urlaub mit einem Attentat erschüttert. Und so erscheint es doch interessant zu sein,
sich einmal genauer mit dem politischen Spanien, insbesondere mit dem Baskenland, zu beschäftigen. Man sollte sich an
dieser Stelle die Frage stellen, warum es in einem friedlichen Europa, das gerade die unterschiedlichen kulturellen Re-
gionen stärkt, und zweitens nach einem friedlichen Übergang von der faschistischen Franco-Diktatur hin zur spanischen
Republik noch immer terroristische, blutige Attentate geben kann?
unabhängigkeitsbegehren
sogar übertreffen. Diese Zahlen zeigen, eine Kohärenz der Bundes- und Landesebene im Bereich Klimaschutz nicht auto-
dass Klimapolitik in den USA bisher vor matisch einstellt. So zeigt beispielsweise die Umsetzung des Europäischen Emis
allem eines ist: Ländersache. In Kanada sionshandelsystems in Deutschland, dass zwischen Bund und Ländern vor allem hin-
dagegen ist es schwieriger, ambitionierte sichtlich der wirtschaftlichen Auswirkungen allzu ambitionierter Klimaschutzziele
klimapolitische Initiativen auf Landes- Differenzen bestehen. Als es um die Verteilung der Emissionsrechte ging, versuch-
ebene zu finden. Nur eine der insgesamt ten beinahe sämtliche Länderregierungen, wichtige regionale Wirtschaftszweige zu
zehn Provinces – nämlich Manitoba – hat schützen. Rund 60 Änderungsanträge zum Zuteilungsgesetz im Emissionshandel
sich ehrgeizige Klimaschutzziele ge- wurden eingereicht. Zwar war dieses Gesetz nicht zustimmungspflichtig, die Ein- Problematisch wird es schon bei dem Versuch das Baskenland geografisch einzuord-
setzt. Ansonsten beschränken sich die wände aus den Bundesländern zeigen jedoch, dass klare Diskrepanzen gegenüber der nen. Anders als der ‚Freistaat Bayern‘ hierzulande ist das Baskenland geografisch ge-
Anstrengungen weitgehend auf vier Bundesebene bestehen. Zudem haben die Landesregierungen noch andere Möglich- spalten. Auf der spanischen Seite gibt es die autonome Region ‚Baskenland‘. Gleich-
weitere Provinces, die jedoch lediglich keiten, Einfluss zu nehmen. Neuestes Beispiel ereignete sich während des interna- zeitig gehört aber auch der nördliche Teil der spanischen Region Navarra kulturell
nichtbindende und freiwillige Strategien tionalen Klimagipfels in Kopenhagen. Während sich Merkel in Kopenhagen wieder zum Baskenland. Die Mehrheit der Innländer sprechen hier baskisch. Doch damit
zur Treibhausgasminderung formuliert einmal medienwirksam als Klimakanzlerin in Szene setzte, strich die schwarz-gelbe nicht genug der geografischen Spaltung. Auch in Frankreich findet man ein Stück
haben. Gut dreizehn Jahre nach der Un- Koalition in NRW eine als „Klimaschutzparagraphen“ bezeichnete Stelle des Lan- Baskenland. So teilt sich das französische departement Pyrénés-Atlantiques in das
terzeichnung (1997) und fünf Jahre nach desentwicklungsprogrammes, um dem Bau moderner Kohlekraftwerke den Weg zu französische Baskenland und die Provinz Béarn auf. Allein die geografische Bestim-
dem Inkrafttreten des Kyoto-Protokolls ebnen. Der Klimaschutzparagraph sollte sicherstellen, dass bei der zukünftigen Aus- mung zeigt bereits die Schwierigkeit und gleichzeitig den geografischen Bruch einer
(2005) lässt sich unter den kanadischen gestaltung der Stromversorgung erneuerbare Energien und einheimische Energieträ- kulturell zusammengehörigen Gemeinschaft. Dies unterscheidet das Baskenland
Provinces nur schwerlich die Dynamik ger bevorzugt werden. Eine nicht unwichtige Entscheidung im Energieland NRW, von anderen starken Regionalautonomien Spaniens, wie Katalonien.
feststellen, die die Bundesstaaten in den wo rund 30% des bundesdeutschen Stroms und ein Drittel der deutschlandweiten
USA entwickelt haben. CO2-Emissionen erzeugt werden. Dass beispielsweise ein Steinkohlekraftwerk im Dem Wirtschaftsaufschwung folgt die Entstehung der ETA
Schnitt eine Lebensdauer von rund 50 Jahre hat, trotz moderner Technologien zu den
Klimapolitik und die deutschen Bun- klimaschädlichsten Energielieferanten zählt und die Steinkohle zu 70% importiert Die Spaltung des Baskenlandes existiert jedoch nicht nur geografisch, sondern
desländer: eine durchmischte Bilanz werden muss, verdeutlicht die klimapolitische Bedeutung landespolitischer Ent- auch sprachlich. Von 2,7 Millionen Einwohnern im Baskenland sprechen nur noch
scheidungen. 700.000 bis 800.000 die baskische Sprache, obwohl sich ein etwas größerer Teil
In Deutschland dagegen scheint die Si- in erster Linie baskisch fühlt. Dieser eher geringe Anteil an baskisch sprechenden
tuation auf den ersten Blick eindeutig zu Föderalismus und Klimapolitik – Zeit für eine differenzierte Betrachtungsweise und sich dem Baskenland verbundenen Menschen hängt mit dem Wirtschaftsauf-
sein. Die Bundesregierung, ob rot-grün Der kurze Einblick unterstreicht den Einfluss der Landesebene in allen drei Staaten schwung Spaniens von 1959 bis 1973 zusammen, der im Baskenland mit einem star-
oder schwarz-gelb, gibt sich internatio auf die Entwicklung und Beurteilung der nationalen Klimapolitik. In den USA ha-
nal engagiert und wird gerne auch als ben sich zahlreiche States zum Motor der US-Klimapolitik entwickelt. In Kanada hat
Vorreiterin in der Klimapolitik geprie- es die zunächst engagierte Bundesebene nicht verstanden, die Widerstände aus den Andrés Méndez Inclan
sen. Angela Merkel wird als ‚Klimakanz- Provinces zu brechen. In Deutschland dagegen zeigt sich eine durchmischte Bilanz. ist Politologe und studiert derzeit an der NRW School
of Governance. Praktische Erfahrungen konnte der
lerin‘ gefeiert und prescht mit immer Die ehrgeizige EU- und Bundesklimapolitik erzeugt einen starken Handlungsdruck Autor bereits als pers. Referent eines Landtagsabge-
ambitionierteren Minderungszielen vor. auf die Bundesländer, auf den sowohl mit flankierenden Maßnahmen als auch mit ordneten, bei Landtags- und Bundestagswahlkämpfen
Im Gegensatz zu den USA und Kanada Widerstand reagiert wird. Bundes- und Landesklimapolitik sind nicht automatisch sowie im Rahmen eines Praktikums beim Beratungs-
unternehmen CHE-Consult GmbH sammeln. Zurzeit
werden die deutschen Bundesländer je- kohärent und müssen daher bei der klimapolitischen Bewertung föderaler Staaten arbeitet Andrés Mendez Inclán neben seinem Studium
doch durch die ehrgeizige EU- und Bun- stets mitberücksichtigt werden. als wiss. Mitarbeiter eines Bundestagsabgeordneten.
Zigarettenrauch ist höchst giftig,
sein „Genuss“ aber gesellschaftlich
akzeptiert und auch die Verpestung
geschlossener öffentlicher Räume im-
mer noch erlaubt. Wie dieser irrsinnige
Gegensatz weiter aufrecht erhalten
wird, gerät zum Lehrstück des deut-
schen Föderalismus.
föderalismus
rühmten Bierzelten auf den Wies‘n sollte nicht mehr geraucht werden. Doch schon im September drehte der Wind. Die CSU
identifizierte ihr Rauchverbot als Grund für ihre verheerende Wahlschlappe bei der Landtagswahl und unternahm eine abrupte
Kehrtwende, obwohl die strenge bayerische Gesetzgebung noch im August 2008 vom selben Bundesverfassungsgericht als ver-
fassungsgemäß beurteilt worden war. Seitdem wird auch in Bayern wieder gequalmt – in allen Festzelten und in Nebenräumen
der Wirtshäuser, vor allem aber in allen kleineren Gaststätten.
Dass es auch anders gehen kann, beweist das Beispiel Italien. In dem Land, das nicht gerade für ein außerordentliches Gesund-
heitsbewusstsein bekannt ist, gilt seit Januar 2005 ein ziemlich striktes und landesweit einheitliches Rauchverbot. Von einem
Kneipensterben wird nicht berichtet, dafür aber von einem erheblichen Rückgang der Zigarettenverkäufe: Scusi, Signore Philippe Wir schreiben den 1. Januar 2012. Die Schweiz ist der Europäischen Union beigetre-
Morris! Verschiedene Studien belegen zudem, dass die Zahl der Herzinfarkte deutlich gesunken ist, was das Rauchverbot mitt- ten. Für die Einen ist es ein rabenschwarzer Tag; ein Tag, an dem die Schweiz ihre
lerweile als eines der erfolgreichsten Gesetze der Regierung Berlusconi gelten lässt. Doch, Moment – hat Italien nicht ein zentral- heiligen Grundwerte von Neutralität, direkter Demokratie und Föderalismus aufgibt
staatliches Regierungssystem? Ein Schelm, der hier einen Zusammenhang herstellt. und sich in die dämonischen Klauen der EU begibt. Für den anderen Teil der schwei-
zer Bevölkerung ist dieser 1. Januar 2012 ein Freudentag. Endlich gehören sie offiziell
Sofa oder soziale Kontakte? zur europäischen Gemeinschaft. Nun werden sie nicht mehr als europäischer Son-
derfall betrachtet, als ‚scheinsouveränes Nachvollzugsland‘, dass sich nur mit Hilfe
Im föderalistischen Deutschland hat sich jedenfalls nicht viel geändert. Aus einigen Werbeformaten verbannt, geben Tabakkon- von bilateralen Abkommen mit der EU ein bisschen Europa-Feeling sichern konnte.
zerne ihre Werbemillionen eben an anderer Stelle aus und pflegen ihr jugendliches und rebellisches Image. Mit den Warnhinwei- Sie können nach vielen Jahren der Europaskepsis endlich ihre Bergwelt, den Schwei-
sen auf Packungen wird munter kokettiert, von einer Ächtung des Rauchens ist die Gesellschaft immer noch weit entfernt. Eltern zer Käse und das vertrauensvolle Bankensystem mit dem Rest Europas teilen. Des
rauchen häufiger als kinderlose Paare, während viele Jugendliche nach wie vor in erschreckend jungem Alter ihre ersten Zigaretten einen Freud ist des anderen Leid. Diese Weisheit trifft bei der Frage nach der Mit-
konsumieren. Der Triumph über das einstmals drohende Verbot wird derweil regelrecht zelebriert: Die erwachsenen Raucher gliedschaft der Schweiz im europäischen Staatengefüge besonders zu.
frönen fröhlich weiter in unzähligen Gaststätten ihrem Selbstmord auf Raten, während Nichtraucher sich entscheiden können –
Sofa oder soziale Kontakte? Denn das Argument, Nichtraucher könnten sich einfach von Rauchern fernhalten, ist mindestens so Zurück in der Realität, zurück im Jahr 2010 – indem die Schweiz noch entfernt ist
hanebüchen wie der Hinweis, man solle doch bitte umziehen, wenn Feinstaub oder Fluglärm das Leben schwer machen. von einer vollständigen EU-Mitgliedschaft – stellt sich jedoch die Frage, warum eine
Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht doch im Sommer 2008 den Weg zu einem einheitlichen Gesundheitsschutz gewiesen. Mehrheit der Schweizer unter großen Verlustängsten leidet, wenn man nur auf hy-
Da „mit dem Passivrauchen schwerwiegende gesundheitliche Risiken verbunden“ seien, dürfe der Staat seine Bürger auch mit pothetische Art und Weise einen Beitritt der Schweiz zur EU für das Jahr 2012 vo-
Mitteln schützen, die das Grundrecht der Berufsfreiheit „empfindlich“ einschränkten. Allerdings – und das ist der springende raussagt. Noch deutlicher wird dieses Unverständnis mit Blick auf die europäische
Punkt – müsse dann ein „striktes, ausnahmsloses“ Rauchverbot verhängt werden, um kleinere Gaststätten eben nicht mehr zu Landkarte. Die Schweiz erinnert an das von unbeugsamen Galliern bevölkerte Dorf
benachteiligen. Es besteht also noch Hoffnung. In Bayern haben Passivraucher mit überwältigendem Erfolg für Juli 2010 einen aus dem Comic Asterix & Obelix. Umringt von europäischen Mitgliedstaaten bleibt
Volksentscheid über das neue, raucherfreundliche Nichtraucherschutzgesetz erstritten. Und im kleinen Saarland hat das Jamaika- die Schweiz dennoch isoliert und beharrt auf ihren Sonderstatus, trotz Globalisie-
Experiment von CDU, FDP und Grünen jüngst kurzerhand ein absolutes Rauchverbot verabschiedet. rung und Internationalisierung. Warum?
Was lässt sich aus dieser föderalen Erfolgsstory lernen – dass amerikanische Kommunalpolitiker mehr Rückgrat besitzen als deut-
sche Ministerpräsidenten? Dass die Jamaika-Koalition ein Zukunftsmodell darstellt? Oder dass etwa zentralstaatliche Zuständig- Die Schweiz tickt anders
keit die Lösung allen Übels ist? Was Wayne McLaren antworten würde, ist wohl eindeutig. Der ehemalige Tobacco-Cowboy hatte
seinen letzten öffentlichen Auftritt in einem TV-Spot, der Bilder vom Krankenbett mit verräucherten Eindrücken aus Prärie und Die neutrale, wohlhabende und politisch stabile Schweiz war ursprünglich ein loser
vermeintlicher Freiheit kontrastierte. Die Zuschauer wurden gefragt: „Lying there with all those tubes in you, how independent Bund von Kantonen, die so genannte Eidgenossenschaft. Seit der Gründung des hel-
can you really be?“ Frei übersetzt: Was bringt die föderalistische Unabhängigkeit, wenn sie den Großteil ihrer Bevölkerung un- vetischen Bundesstaates 1848 gehören Föderalismus und Subsidiarität zu den Grund-
gewollt im giftigen Rauch stehen lässt? prinzipien. Der Gedanke, die Verantwortung wenn möglich an kleinere Strukturen
zu übertragen, um die Nähe zu den Be- Viel Weile, keine Eile Diese neue europäische Ebene würde das schaft im europäischen Staatengefüge in
troffenen zu schaffen, findet Ausdruck Mächtegleichgewicht, das seit Jahrhun- einigen Politikbereichen eingeschränkt
in der weitreichenden Autonomie der Vom Aufgeben der heiligen Grundwerte oder einer Reform des gesamten schwei- derten funktioniert hat, aus der Balance werden – ohne Frage. Auch der Schwei-
26 Kantone. Sie besitzen Staatshoheit zerischen politischen Systems soll gar nicht die Rede sein, aber ein bisschen Verän- bringen. Die 26 Kantone würden ihre zer Föderalismus, geprägt durch die
und in bestimmten Bereichen auch Ge- derung könnte selbst diesem kleinen Nationalstaat nicht schaden. Durch Globalisie- weitreichende Entscheidungsautono- weitgreifende Autonomie der Kantone,
setzgebungsbefugnisse, in besonderer rung, Internationalisierung und Europäisierung wächst die Welt zusammen. Eine mie verlieren. Und auch wenn sie durch müsste sich Veränderungen aussetzen.
Weise in der Bildungspolitik oder beim Internationalisierung der Wirtschaft, die Einbindung neuer Weltregionen und die einen Sitz im europäischen Ausschuss Jedoch könnte die Schweiz als Akteur
Steuerrecht. Neben der föderalistischen daraus resultierende Entstehung größerer Märkte sowie Intensivierung des Wett- der Regionen Mitsprache– und Entschei- in der EU-Gemeinschaft mehr Einfluss
Struktur des politischen Systems gelten bewerbs, lösen einen Konvergenzdruck auf die internationale Wirtschafts- und Fi- dungsrechte erhalten würden, wäre die- ausüben, als wenn das Land weiterhin
auch Neutralität und direkte Demokratie nanzpolitik aus. In der Wirtschafts- und Finanzpolitik mischt die Schweiz auf der ser Einfluss auf die europäische Politik ein weißer Fleck auf der europapoli-
als heilige Bausteine für das Bestehen der internationalen Bühne zwar mit. Doch die wirtschaftliche Internationalisierung hat nur gering. Der Bundesrat würde seine tischen Landkarte bliebe. Und um die
Schweiz. Die Neutralität, die besonders auch Konsequenzen für die politischen Systeme in Europa und der Welt. Es entsteht Gesetzgebungs- und Kontrollfunktion Schweizer zusätzlich zu ermuntern, zei-
im Zweiten Weltkrieg eine wichtige Rol- eine Dynamik, die von einzelnen Nationalstaaten nicht mehr aufgehalten werden gegen neue Aufgaben in EU-Gremien gen Staaten wie Österreich, Belgien oder
le spielte, hat seit der Nachkriegszeit und kann. Die nationalstaatlichen Kontrollmöglichkeiten werden überansprucht. Es ist eintauschen müssen. Der Einfluss des Deutschland, dass der Föderalismus
der politischen Wende 1989 ideell und zwar falsch zu behaupten, dass sich die Schweiz in den letzten Jahren den internati- Schweizer Parlaments, als einziges direkt auch unter dem Einfluss der EU gesichert
funktional jedoch an Bedeutung verlo- onalen Veränderungen in Politik und Wirtschaft vollends widersetzt hat; dennoch gewähltes politisches Organ auf Bun- bleibt. Vielleicht würde die Schweiz mit
ren. Viel mehr noch, sie wurde durch wehrt sie sich weiterhin gegen einen ganzheitlichen Beitritt zur EU. desebene, würde empfindlich schwin- einem Beitritt zur EU auf besondere
den Aspekt der direkten Demokratie als Die Schweiz gehört zu Europa – keine Frage. Kulturell, gesellschaftlich, politisch und den. Der schweizer Föderalismus träfe Weise ihren Föderalismus sichern kön-
dominierender politischer Faktor abge- wirtschaftlich ist die Schweiz jeher ein Teil Europas. Den letzten Schritt in Richtung auf den europäischen Föderalismus. Ein nen. Eines ist klar, das kleine gallische
löst. Dies zeigt sich in der weiten Aus- einer offiziellen Mitgliedschaft in die europäische Staatengemeinschaft hat sich der EU-Beitritt bedeutet für die vielen Eu- Dorf Gallien bei Asterix & Obelix kann
prägung des demokratischen Mitbestim- Bundesrat 1992 nur ein einziges Mal getraut. Das Beitrittsgesuch seitens der Schweiz ropaskeptiker in der Schweiz also eine für die Zukunft kein Vorbild mehr sein.
mungsrechts des Volkes. Das Volk als wurde jedoch durch einen Volksentscheid mit großer Mehrheit abgeschmettert. Seit- weitreichende Föderalismusreform und Die Schweiz sollte sich die politischen
Souverän kann mithilfe von Initiativen dem geht die classe politique lieber kein Risiko mehr ein und bleibt ihren bilateralen im gleichen Atemzug eine umfassende und wirtschaftlichen Veränderungen,
und Referenden den Gesetzgebungs- Abkommen mit der EU treu. Spielte man das Szenario ‚2012 – Schweiz in der EU‘ Regierungsreform. Diese Vorstellung die der Globalisierung und Internatio-
prozess auf Bundesebene beeinflussen. einmal durch, so kommt die Frage nach den Veränderungen für das politische System löst Ängste aus. Ängste, die von anderen nalisierung geschuldet sind, vor Augen
Die direktdemokratische und föderalis- der Schweiz auf. Teilen der Bevölkerung belächelt wer- führen und ihnen mutig entgegen tre-
tische Komponente des schweizerischen den. Sie sehen im Beitritt zur EU eine ten. Ob in Form von weiteren bilateralen
Staatssystems, die bereits in der Bundes- Direkte Demokratie und Föderalismus auf europäisch Chance für ihr kleines Land, das zwar Verträgen oder eines endgültigen Beitrit-
verfassung von 1848 festgeschrieben ist, gesegnet ist mit schönen Berglandschaf- tes zur europäischen Gemeinschaft; das
verursacht die großen Verlustängste in Bereits die bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU reichen weit über ten, leckerem Käse und einem angeneh- bleibt den Schweizern schlussendlich
der Bevölkerung, wenn es um die Frage eine passive und reaktive Integrationspolitik der Schweiz hinaus. Ein unfreiwilliger men Steuersystem, aber das dennoch selbst überlassen.
geht, ob die Schweiz der EU beitreten Charakter der Verträge lässt sich daher nicht vermeiden: die politischen und wirt- isoliert ist von der politischen Arena, in
soll oder nicht. Viele Schweizer haben schaftlichen Handlungsspielräume lösen sich schon jetzt schleichend auf. Reichen der Entscheidungen getroffen werden,
Angst vor der direkten Auswirkung ei- daher diese bilateralen Verträge nicht aus, um eine effektive Zusammenarbeit zwi- die die Welt verändern. Im Kreise der
nes Beitritts. Was würde mit der direk- schen der Schweiz und der europäischen Gemeinschaft zu gewährleisten? Einigen 27 europäischen Mitgliedsstaaten würde
ten Demokratie der Schweizer und des- genügt diese Vorgehensweise. Sie sehen eine große Gefahr in einem Beitritt. Direkte die Schweiz eine Stimme erhalten und
sen Föderalismus geschehen? Müssten Demokratie und Föderalismus müssten aufgegeben werden, da eine Kompetenzver- am politischen Weltgeschehen teilha-
die Schweizer wirklich ihre „heiligen lagerung von kantonaler – und Bundesebene stattfinden würde. Durch diesen Souve- ben.
Grundwerte“ aufgeben? Müsste sich die ränitätstransfer würden die faktischen Entscheidungskompetenzen des Souveräns,
Schweiz im Falle eines Beitrittes also der in der Schweiz bis heute das Sagen hat - beispielsweise im Hinblick auf Initiativen Aber da war doch noch was? Stimmt,
vollkommen neu ordnen? und Referenden - eingeschränkt werden. Würde man jedoch die direktdemokrati- die direkte Demokratie und der Föde-
schen Instrumente beibehalten, würden schweizerische Initiativen und Referenden ralismus – die heiligen Grundwerte der
mit den europäischen Rechtsvorgaben kollidieren. Auch würde der intrahelvetische Schweizer. Die direkte Demokratie wür-
Föderalismus durch eine Ebene erweitert werden - die europäische. de unter dem Deckmantel der Mitglied-
In einem Teil Deutschlands knallten die Sektkorken. In einem anderen Teil der
Republik setzte man sich enttäuscht zurück an den Schreibtisch und fragte sich
ernüchtert, wie es weitergehen sollte. Als die Ergebnisse der Exzellenzinitiative
an deutschen Universitäten bekannt wurden, zog sich eine Gewinner-Verlierer-
Linie von Nordwest bis Südost. Selten wurde der Unterschied zwischen den
Bundesländern deutlicher – aber ist er tatsächlich so deutlich, wie es scheint?
Ein Blick auf die Auswahlkriterien der Gremien zur Exzellenzinitiative gibt Auf-
schluss über die unausgeglichene Förderung. Drittmittel, Sonderforschungsberei-
che, die Zahl der Forschungsprojekte oder die Anzahl der Publikationen waren wich-
tige Kriterien bei der Suche nach den exzellenten Universitäten. Somit konnten in
erster Linie Hochschulen punkten, die bereits hohe Forschungsgelder vorzuweisen
verzerrte
hatten. Die unterschiedliche finanzielle Ausgangslage an den verschiedenen Stand-
orten hatte zur Folge, dass Universitäten, die bereits in der Vergangenheit durch hohe
Gelder gefördert wurden, sei es durch ihr Bundesland oder finanzstarke Drittmittel-
investoren, nun in der Vergabe der Fördermittel entscheidende Vorteile besaßen.
exzellenz
So schrieb schon DIE ZEIT am 17. November 2005: „Im Zuge der Exzellenzinitiati-
ve wird das Matthäus-Prinzip künftig so stark in der Wissenschaft durchschlagen
wie noch niemals zuvor.“ Wer hat, dem wird gegeben, lautet die Devise. Viele Be-
Janina Latzke
hat an der RWTH Aachen Politik sowie Sprach- &
Kommunikationswissenschaft studiert und ist seit
Oktober 2009 Studentin an der NRW School of
Governance. Praktische Erfahrungen sammelte sie
unter anderem im Bundestag, beim DAAD, bei einer
Kommunikationsberatung und im Wahlkampf der
Grünen NRW.
fürworter der Exzellenzinitiative sehen erreicht ist.“ Abgesehen von den unter- Nachwuchs oder umworbene Spitzenprofessoren an die Universität zu locken, beziehungsweise zu binden. Neben höheren Ge-
in dieser Tatsache kein Problem. Starke schiedlichen Startpositionen mit de- hältern und einer besseren Ausstattung mag auch der Titel ‚Eliteuniversität‘ für manchen ein ausschlaggebendes Kriterium bei
Standorte müssten gefördert werden, so nen die Universitäten deutschlandweit Studienorts- und Arbeitsplatzwahl sein. Gerade die ostdeutschen Universitäten kämpfen schon lange mit Personal- und Ver-
die Ansicht einiger Wissenschaftler, „da ins Rennen um die Exzellenz gegangen netzungsproblemen, von – empirisch nicht mehr plausiblen – negativen Städteimages ganz abgesehen. Die Schere zwischen ‚Ex-
Spitzenleistungen vor allem dort ent- sind, ist fraglich, ob dieses Rennen tat- zellenz‘ und ‚Nicht-Exzellenz‘ wird somit zwangsläufig weiter auseinandergehen. Dabei werden zwar im großen Potpourri der
stünden, wo bereits Spitzenleistungen sächlich dem Wettbewerbsprinzip ent- ‚Nicht-Exzellenz‘ riesige Qualitätsunterschiede vorherrschen. Die hier sehr leistungsstarken Hochschulen, Fakultäten und Insti-
vorhanden sind“. Ihrer Meinung nach spricht, d.h. gleiche Kriterien für alle tute werden allerdings weit zurückgeworfen. Die Rangfolge der Universitäten wird dadurch zementiert. Es gibt keine Aufsteiger
habe die Exzellenzinitiative nach dem Universitäten aufzuerlegen und somit und Absteiger, was sich wiederum demotivierend auf alle Wettbewerbsteilnehmer auswirkt. Langfristig besteht außerdem die
Wettbewerbsprinzip die leistungsträch- die individuelle Entwicklungsdynamik Gefahr eines Konzentrationsprozesses der universitären Forschung auf wenige Standpunkte, die in der Folge quasi eine „Mono-
tigsten Universitäten gekürt. Die unter- jeder einzelnen Hochschule außer Acht polisierung“ der Wissenschaft mit sich bringen könnte. Der ursprüngliche Wettbewerbsgedanke wird so ad absurdum geführt,
schiedlichen Ausgangssituationen der zu lassen. Bei der Prämierung spielte vor denn Wettbewerb findet in Monopolen nun mal nicht statt. Durch die fehlenden Gelder unterhalb des ‚Exzellenzniveaus‘ kann
Universitäten in Nord und Süd, Ost und allem der Status quo der Universität eine kein nachhaltiger Druck auf die Exzellenzuniversitäten ausgeübt werden, ihre Exzellenz weiterhin unter Beweis zu stellen. Mög-
West scheinen demnach keine Rolle zu Rolle. Jene Universitäten, die bereits liche Folgen sind ein Verlust von Innovationsdynamik, Vielfalt und Kreativität, was sich vielerorts in Routineforschung nieder-
spielen. Ein Wettbewerb, der nach dem vor der Exzellenzinitiative inoffiziell zu schlagen kann. Damit konnte ein Kernziel der Exzellenzinitiative – den Wettbewerb zwischen den Hochschulen zu fördern – nur
Gieskannenprinzip abläuft, kann jedoch den „Besten“ zählten, wurden heimlich bedingt und kurzfristig erreicht werden. Ein Wettbewerb muss fair und offen sein. Die Prämierung von exzellenten Universitä-
nicht unter der Prämisse „Fairness“ an- in die engere Auswahl genommen. Die ten am Status quo der Forschungsleistung festzumachen führt auf Dauer in eine Sackgasse. Auch nicht-prämierte Universitäten
gesehen werden. Viele Universitäten Entwicklungspotentiale gerade jüngerer müssen immer wieder die Chance bekommen, sich zu profilieren, ihre Stärken zu fördern und diese zu präsentieren. Gerade in
beklagen in diesem Zusammenhang, oder strukturschwächerer Hochschulen der Bildungspolitik, die für die Entwicklung eines Industrielandes so wichtig ist, sollte der Bund keine Instrumente anwenden,
dass ihnen schlicht und einfach die Zeit fielen somit aus dem Kriterienraster he- welche die Bundesländer und allgemein den Westen, Süden und Osten weiter auseinanderdriften lassen. Denn deutlich wur-
gefehlt hat, um einen ähnlichen Stand raus. So konnte die TU Dresden nur eine de durch die Exzellenzinitiative nicht, welche Universitäten, geschweige denn Fachbereiche, am besten forschen und arbeiten,
zu erreichen wie westdeutsche Univer- Graduiertenschule und ein Exzellenz- sondern vor allem, welche Länder bereits seit langem in ihre Hochschulen investieren können und sich ein gutes Image in der
sitäten. So sagt Klaus-Erich Pollman, cluster für sich verbuchen, obwohl ihre deutschen Forschungslandschaft aufbauen konnten.
Rektor der Universität Magdeburg: „Der Entwicklungskurve steiler nach oben
Wettbewerb um die Exzellenzförderung zeigt als die irgendeiner anderen Uni- Wissen ist Wohlstand
kommt für uns noch zu früh“. Da nach versität in der Bundesrepublik. Auch das
der Wende die ostdeutschen Universitä- kreative Potential und die Innovations- Die Bundesregierung hat jüngst verkündet, dass die Exzellenzinitiative bis zum Jahr 2017 verlängert wird. Für die ostdeutschen
ten dramatisch umstrukturiert wurden, fähigkeit kleinerer und mittlerer Hoch- Universitäten hängt sehr viel von dieser Neuauflage ab. Eine weitere Nichtanerkennung ihrer Leistungen hätte mitunter dra-
ähnlich wie die Wirtschaft, ist die Aus- schulen wurden oft übersehen – für den matische Konsequenzen, nicht nur für die Universitäten, sondern für den gesamten ostdeutschen Raum. Denn Universitäten
gangsposition eine völlig andere. Wo in Wettbewerbscharakter und die Motiva- sind Innovationsmotoren für ihre Städte und Regionen, sie ziehen Unternehmen und Studenten an und sichern eine Fülle von
Süd- und Westdeutschland blühende tion sich an dem Hochschulwettbewerb Arbeitsplätzen. In einer Gesellschaft, die sich zunehmend von den Erfordernissen einer Industriegesellschaft verabschiedet und
Universitätslandschaften vorzufinden zu beteiligen ein kontraproduktiver Pro- den Charakter einer Wissensgesellschaft annimmt, wird Bildung zum bedeutendsten Faktor der gesellschaftlichen Veränderung
sind, sind die Hochschulen im Osten der zess. und zur wichtigsten Quelle materiellen Wohlstandes. „Wir müssen aufpassen“, warnte der langjährige Vorsitzende des Wissen-
Republik erst kürzlich aus ihrem Dorn- schaftsrates Prof. Karl Max Einhäuplin in der FAZ vom 01. Februar 2006, „dass wir nicht in Ostdeutschland eine Steppe bekom-
röschenschlaf erwacht. Eine Konsoli- Schwierige Zeiten für men und sich in Süddeutschland die gesamte Macht ballt.“
dierung der ostdeutschen Universitäten die ‚Nicht-Exzellenz‘
sieht der Rektor der TU Dresden, Prof.
Hermann Kokenge, erst Mitte der 90er Hinzu kommt, dass die nicht-prämier-
Jahre: „Das heißt, wir hatten eine Zeit ten Hochschulen es auch in Zukunft
von zehn Jahren, uns in das System hin- wahrscheinlich noch schwerer haben
einzufinden. Das ist in etwa die Laufzeit werden, Forschungsgelder zu akqui-
eines Sonderforschungsbereichs bei der rieren. Diese werden nun mehr denn je
DFG. Da kann man sehen, glaube ich, den großen und bereits herausragenden
dass man gar nicht erwarten kann, dass Hochschulen zugutekommen. Proble-
in diesen zehn Jahren ein gleicher Stand matisch gestaltet sich auch, talentierten
von Nicko Bickly
neue enthaltsamkeit
Demnächst könnten Entscheidungen im Bundesrat einfacher getroffen werden und
Mehrheiten schneller zustande kommen. Die Abstimmungsregeln sollen geändert
werden. Das fordern eine Reformkommission der Bertelsmann-Stiftung aus dem
Jahre 2000, der Konvent für Deutschland und der ehemalige Bundespräsident Her-
im bundesrat?
zog, der amtierende Bundesfinanzminister Schäuble und auch der ehemalige SPD-
Bundestagsfraktionschef Struck. Im Bundesrat gelten Enthaltungen bis dato als
Nein-Stimmen. Für eine Mehrheit sollen in Zukunft nach dem Willen der Reformer
nur noch die Ja- und Nein-Stimmen gezählt werden. Es soll zukünftig also nicht
mehr wie bisher die absolute Mehrheit der 69 möglichen Bundesratsstimmen – also
mindestens 35 Ja-Stimmen – benötigt werden. Stattdessen soll die einfache Mehr-
heit reichen. Enthaltungen würden demnach fortan als nicht abgegebene Stimmen
gewertet und aussortiert. Dieses Procedere ist zwar im Allgemeinen eher unüblich,
kommt aber durchaus vor – etwa auf CDU-Bundesparteitagen.
Hintergründe
Die Allianz derer, die sich für eine solche Reform einsetzen scheint beeindruckend.
Doch was ist das Für und Wider und wie ist es überhaupt zu einem solchen Vorschlag
gekommen?
Mit dem Aufkommen der Partei DIE LINKE hat sich in Deutschland ein Fünfpar-
teiensystem etabliert. Je nachdem wie man die bayrische Regionalpartei CSU ein-
sortiert, kann man sogar von einem Sechsparteiensystem sprechen. Gleichermaßen
vereinen Union und SPD immer weniger Stimmanteile auf sich, was zu einer Erosion
der Volksparteien führt. Dies alles hat auch Folgen für den Koalitionsmarkt und so-
mit für die Zusammensetzung der Regierungen auf Bundes- und Landesebene. Die
traditionellen Bündnisse Schwarz-Gelb und Rot-Grün sind immer schwieriger zu
erreichen und folgerichtig müssen neue Bündnisoptionen erschlossen werden. In
der aktuellen Diskussion wird überwiegend über Schwarz-Grün sowie über die so-
genannte „Volksfront“ (Rot-Rot-Grün) gesprochen. Gleichermaßen wird aber auch
der Zusammenschluss von Union, FDP und Grünen – im Volksmund „Jamaika“ oder
auch „schwarze Ampel“ genannt – debattiert. Zudem stellt auch die Ampel-Koaliti-
on aus SPD, FDP und Grünen eine Bündnisoption dar. Dies zeigt, dass ein Regieren
mit wechselnden Mehrheiten immer wahrscheinlicher wird.
Das wiederum erschwert die Positionsfindung sowohl im Bundestag als auch im Bun-
desrat: Im Bundestag müssen sich neue Partner aneinander gewöhnen, was durchaus
Niko Böckly
gehört zum Abschlussjahrgang 2010 im Master
Politikmanagement der NRW School of Governance.
Praktische Erfahrungen hat er u.a. bei der Initiative
Neue Soziale Marktwirtschaft und der Deutschen
Telekom AG sammeln können, wo er bis heute tätig
ist. Neben dem Studium ist er stellvertretender
Landesvorsitzender für Programmatik der Jungen
Liberalen NRW.
drei fragen an ...
jürgen
trittin *
mit Anfangsschwierigkeiten behaftet Blockaden aufgrund von Enthaltungen tendenziell selten und würden häufig nur In den Medien werden Landtags- In Deutschland besitzen die Bun-
sein kann. Darüber hinaus wird, je nach herbeigeredet, so die Reformkritiker. wahlen oft als Stellvertreterwahlen desländer die umweltpolitische
Konstellation im Bundestag, auch eine Weiterhin gilt es zu bedenken, ob die Nein-Stimmen als Folge der Reform nicht zu bezeichnet, deren Ausgang einen Kompetenz. Wie beurteilen Sie als
Mehrheit im Bundesrat unwahrschein- den neuen Enthaltungen werden. Denn insofern es Uneinigkeit in einer Landesre- Einfluss auf die bundespolitische Bundespolitiker diese Kompetenz-
lich. Daraus resultierend könnten zu- gierung gibt, wird sich wohl kaum ein Koalitionspartner zu einem ‚Ja‘ hinreißen las- Gesamtlage haben kann. Inwieweit verteilung? Ist umweltpolitischer
stimmungspflichtige Gesetze blockiert sen, wenn dies nicht seine Meinung wiederspiegelt. Zugleich ist auch ein mögliches dienen die Länder daher als Labora- Föderalismus in Zeiten der Globali-
und ein Stillstand befürchtet werden. ‚Nein‘ ein fauler Kompromiss. Die wohl ehrlichste Variante bei einer einheitlichen torien für die Bundespolitik? Zum ei- sierung und des Klimawandels noch
Stimmabgabe ist also die Stimmenthaltung und sollte es auch in Zukunft bleiben. nen im Hinblick auf bestimmte Poli- tragfähig?
Für und Wider des Reformvorschlags cies, zum anderen aber in Bezug auf
Für die Debatte kann es hilfreich sein, einen Blick ins westeuropäische Ausland zu Koalitionsbildungen, beispielswei- Die umweltpolitischen Rahmenbedin-
Doch warum enthalten sich Bundes- werfen. Mehrparteiensysteme verschiedener Ausprägungen sind hier gängig: Die se die schwarz-grüne Regierung in gungen werden in der Europäischen
länder überhaupt im Bundesrat? Es ist Parlamente bestehen überwiegend aus fünf Parteien. Dabei gibt es verschiedene Hamburg oder möglicherweise auch Union festgelegt. Es gibt keinen anderen
üblich , dass im Koalitionsvertrag die Modelle wie etwa Minderheitsregierungen, Koalitionen mit drei oder mehr Partnern ein Bündnis zwischen der CDU und Politikbereich, der so weit vergemein-
sogenannte „Bundesratsklausel“ verein- oder auch Rotationsmodelle (das so genannte israelische Modell). Wechselnde Mehr- Bündnis90/Die Grüne in Nordrhein- schaftet ist. Die Zuständigkeit der Länder
bart wird: Insofern sich die an der Lan- heiten sind also kein Hindernis zum erfolgreichen Regieren, was der konkrete Blick Westfalen? für Umweltpolitik wird den Herausfor-
desregierung beteiligten Parteien nicht auf Dänemark belegt. So gelang es dem ehemaligen dänischen Ministerpräsidenten derungen, insbesondere angesichts der
einig sind, ist diese Option zu wählen und amtierenden Nato-Generalsekretär Poul Nyrup Rasmussen, sich wechselnde Koalitionsentscheidungen auf Landes- notwendigen Anpassungsmaßnahmen
. Schließlich müssen sie im Bundesrat Mehrheiten für unterschiedliche Gesetzesinitiativen in einer Mitte-Links-Minder- ebene erfolgen nicht nach bundespoliti- an den Klimawandel, nicht gerecht. Ex-
einheitlich abstimmen – vertreten durch heitsregierung zu organisieren. Eine weitreichende Steuerreform wurde mit Hilfe schen Gesichtspunkten. Und Landespo- emplarisch dafür ist, dass ein Großteil
den Stimmführer. Wenn nun die Enthal- der Linkspartei verabschiedet, wohingegen er die Reform der Arbeitslosenversiche- litik ist kein Testfeld für Bundespolitik. der Verfahren der EU gegen Deutsch-
tungen nicht mehr in die Mehrheit mit rung und der gesetzlichen Grundlage für Frühverrentung mit Parteien des bürgerli- So hätte die Bundesebene für das Saar- land aus der mangelnden Umsetzung
eingerechnet werden sollen, geschieht chen Blocks aushandelte. land eine Rot-Rot-Grüne Koalition be- von EU-Recht durch die Bundesländer
dies aus Kalkül. Damit soll verhindert fürwortet. Die Grünen vor Ort haben resultiert.
werden, dass sich Regierungen ihre Die Akteure müssen und können sich auf die geänderte Lage einstellen. Wenn eine sich aber für eine Schwarz-Gelb-Grüne
Mehrheiten ‚zusammenbetteln‘ müs- Mehrheit nicht schon im ersten Anlauf in den beiden Kammern erreicht werden Koalition entschieden, bei der sie in-
sen; die Reformbefürworter befürchten kann, so bleibt zudem noch die Option des Vermittlungsverfahrens. Im Vermitt- haltlich mehr umsetzen können und die
sachwidrige Kompensationsgeschäfte. lungsausschuss muss und kann dann eine sachgerechte Lösung gefunden werden. mehr Stabilität und Verlässlichkeit ver-
Mit eben solchen Kompensationsge- Darüber hinaus würde sich mit der Änderung der Abstimmungsregeln noch eine sprach.
schäften bestünde die Gefahr, dass bei- weitere Problematik ergeben, die insbesondere hinsichtlich der Tragweite der Bun-
spielsweise wichtige Finanzgesetze des desratsbeschlüsse gewichtig erscheint. Sobald nur noch die einfache und nicht mehr Wie bewerten Sie die Ergebnisse der
Bundes in der Länderkammer scheitern. die absolute Mehrheit erforderlich ist, stellt sich die Legitimationsfrage. Neben einer Föderalismus-Kommission II, bei-
Allerdings sind solche tiefgreifenden sachlichen Angemessenheit ist die Legitimation der Gesetze sicher eine der entschei- spielsweise in Bezug auf die Steuer-
Reformüberlegungen auch immer Ziel- denden Grundlagen für das Funktionieren der Republik und die breite Akzeptanz in verwaltung? Wie zufrieden sind Sie
scheibe kritischer Stimmen Die von den der Bevölkerung. Und genau dies erschiene mit der Reform zweifelhaft. mit diesen Ergebnissen?
Reformverfechtern und in der tagesak- Eine neue Enthaltsamkeit im Bundesrat erscheint insgesamt als untaugliches Mittel,
tuellen Debatte häufig zitierten Blocka- denn eine mögliche Blockade kann dadurch nicht ausgeschlossen werden. Vielmehr Wir treten für eine bundeseinheitliche
den im Bundesrat sind nach Meinung besteht die Gefahr von zweifelhaft legitimierten Beschlüssen sowie die Gefahr ei- Steuerverwaltung ein. Hier ist die Fö-
der Kritiker überbewertet. Es zeige sich, nes Prozesses hin zu mehr Nein-Stimmen. Dies würde weder die Situation und die deralismus-Kommission II viel zu kurz
dass in der Länderkammer vielmehr die mehrheitliche Meinung im jeweiligen Bundesland angemessen wiederspiegeln, noch gesprungen. Dies gilt auch für die Schul-
Interessen der Bundesländer vertreten wären Bundesratsmehrheiten schneller erreicht. Das Ziel wäre somit verfehlt. denbremse, die weder eine konjunk- * Jürgen Trittin
würden und Parteiraison zweitrangig Wenn man der Meinung ist, dass beispielsweise weniger Gesetze zustimmungs- turabhängige Komponente noch eine ist Bundestagsabgeordneter und Fraktionsvorsit-
sei. Insofern Blockaden vorkommen, pflichtig sein sollten, so muss man konstruktive Kritik an den Zuständigkeiten im Altschuldenhilfe für die Bundesländer zender der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die
Grünen. Von 2005 bis 2009 war er u.a als Mitglied im
seien diese zwar in den Schlagzeilen pro- föderalen System der Bundesrepublik ausüben, anstatt sich eines solchen Hilfskon- vorsieht. Ausschuss für Europäische Angelegenheiten und als
minent vertreten. Allerdings erfolgten strukts zu bedienen. stellv. Mitglied im Auswärtigen Ausschuss tätig.
Der bundesdeutsche Föderalismus gilt als diskreditiert. Er blockiere politische
Entscheidungen, sei nicht mehr zeitgemäß und geradezu der Inbegriff für inef-
fiziente sachpolitische Problembearbeitung. So heißt es. Ganz nach dem Motto
‚Ist der Ruf erst ruiniert, reformiert es sich ganz ungeniert‘ werden die für das
politische System der Bundesrepublik typischen Verflechtungsstrukturen – no-
men est omen – zum Gegenstand einer breiten Reformdiskussion gemacht.
Doch so breit die Diskussion das politische Tagesgeschäft zeitweilig beherrscht, so schmal ist ihre Quintessenz: Diagnostiziert
wird, von Medien und Politik gleichermaßen genüsslich, eine ins Extrem pervertierte Politik- und Kompetenzverflechtung, die
den Föderalismus als „Blockade-Phänomen“ (Scheller) in Szene setzt und unter Generalverdacht stellt. Das Allheilmittel wird bei
derlei Symptomatik gleich mitgeliefert. Keine Frage, nur Entflechtung könne Abhilfe schaffen und den Patienten kurieren. Doch
dem geneigten Betrachter kommen Zweifel. Überwiegt im aktuellen politikwissenschaftlichen Diskurs nicht die Einschätzung,
dass föderal organisierte Systeme, mit Blick auf ihre Leistungsfähigkeit, den Vergleich zu unitarischen, dezentral organisierten
Staaten nicht scheuen müssen? Es scheint jedenfalls, dass ein zunächst abwegiger Gedanke sich als des Pudels Kern entpuppen
könnte: Sind die Problemverarbeitungskapazitäten des bundesdeutschen Föderalismus nicht vielmehr ermöglichend statt blockie-
rend? Anders gefragt: Blockiert der Föderalismus tatsächlich die effektive wie effiziente politische Entscheidungsfindung? Und
würde beispielsweise eine Zusammenlegungen bzw. Koordinierung von Wahlterminen auf föderaler Ebene Abhilfe schaffen?
Damit diese Fragen geklärt werden können, lohnt ein Blick auf die Art und Weise des Zustandekommens allgemein verbindlicher
Entscheidungen. Zweifelsohne kann innerhalb eines jeden Regierungssystems ein breiter Strom von politisch zu lösenden Pro-
blemen ausgemacht werden. Die Problematik einer angestrebten Neugestaltung der föderalen Ordnung und alle dahingehenden
Avancen sehen sich jedoch in dreifacher Hinsicht mit besonderen Voraussetzungen konfrontiert. Nicht nur die pauschale Verwen-
dung eines allzu abstrakten Föderalismusbegriffs und die zunehmend komplexe Vernetzung mit dem (außer-) europäischen Um-
feld des politischen Systems der BRD stellen den deutschen Föderalismus und die differenten wie vielzähligen Reformvorschläge
vor große Herausforderungen, sondern auch die für die Spätmoderne charakteristische zunehmend beschleunigte Umwelt (Rosa)
gilt es in Rechnung zu stellen. Die Reformdebatten im Fokus können zudem bestimmte Lösungsvorschläge und Ideen beobachtet
werden, die im politischen Prozess und vor den komplexen (macht)politischen Rahmenbedingungen passgenau platziert werden
müssen, soll die Chance auf Umsetzung gewahrt bleiben. Darauf verweist seit geraumer Zeit schon die viel geziehene „Struk-
turbruchthese“ (Lehmbruch), der zufolge die Inkongruenz von zum einen Konkurrenzdemokratie im Parteiensystem und zum
anderen Konkordanzdemokratie des Bundesstaates mitsamt der spezifischen Aushandlungs- und Kompromisslogik ein Charak-
stabilisierende
teristikum von Mehrebenensystemen darstellt. Diese Sichtweise redet jedoch gerade nicht, wie allzu (vor-)schnell vermutet, einer
‚Unvereinbarkeit’ beider Strukturprinzipien das Wort, sondern macht vielmehr den Weg frei für deren Zusammenführung.
Werden die verschiedenen Ströme – Problem, Lösung, (macht-)politischer Rahmen – miteinander verknüpft, wird folglich eher
entschleunigung oder
früher als später sehr deutlich, dass neben den Macht- und Sachfragen vor allem Zeitfragen akut werden. Die bisher tendenziell
vernachlässigten Zeitstrukturen spielen zunächst in zweifacher Hinsicht eine Rolle: Als Problemdimension die Erwartungen an
die politische Entscheidungsfindung und die tatsächliche Entscheidungsfindung im föderalen Verbundsystem betreffend sowie
zweitens als Ordnungsprinzip hinsichtlich der institutionellen Gestaltungsmöglichkeiten politischer Eigenzeiten (Riescher).
temporaler perspektive
sität Duisburg-Essen und arbeitet am Lehrstuhl für ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für
Praxisorientierte Sozialwissenschaften. Praxiserfah- Politikwissenschaft der Universität Duisburg-Essen
rung hat er u.a. im Bundesministerium für wirtschaftl. und Promotionsstipendiat der Welker-Stiftung im
Zusammenarbeit und Entwicklung gesammelt. Promotionskolleg der NRW School of Governance.
Alles eine Frage der Synchronisation Vereinheitlichung der Wahltermine keine Alternative
Derart ist auch der Föderalismus in seiner jetzigen Ausgestaltung als Problem identifizierbar. Die erste Föderalismusreform hat Ein in diesem Kontext vielfach und vor allem in den Medien gern diskutierter Reformvorschlag ist die Vereinheitlichung der föde-
zwar zu einer Entflechtung der einzelnen Ebenen beigetragen, dabei jedoch wesentliche Bereiche ausgeklammert. Neben der ralen Wahlzyklen. Auf diese Weise soll einer Blockade durch einen vermeintlichen ‚Dauerwahlkampf‘ entgegengewirkt werden.
Kommission, die mit der Ausarbeitung einer zweiten Reform beauftragt ist, werden auch von anderen Akteuren Reformvor- Ganz abgesehen von formalen und juristischen Bedenken, die einer solchen Reform entgegenstehen, handelt es sich um einen
schläge eingebracht. Die Möglichkeit einer umfassenden zweiten Föderalismusreform hängt aufgrund der notwendigen Zwei- Vorschlag, dessen Umsetzung sowohl von sachlichen als auch von Machtfragen abhängig ist. Die Zusammenlegung von Wahlen
drittelmehrheit für eine Verfassungsänderung ebenso von der parteipolitischen Zusammensetzung der Regierungsmehrheit wie würde je nach Terminierung einzelne politische Parteien unterschiedlich bevorzugen oder benachteiligen. Die Annahme, eine
der Kompromissfindung mit den Oppositionsparteien im Bundestag und Bundesrat ab. Gerade im Hinblick auf politisch brisante Zusammenlegung würde zu einer Auflösung der Blockade und Beschleunigung von Politik beitragen, greift zudem zu kurz und
Reformbereiche, in denen eine Änderung zu absehbaren Vor- und Nachteilen für die einzelnen Parteien führen würde, erscheinen übersieht negative und gar gegenteilige Wirkungen einer solchen Reform. Gesetzt den Fall, die Wahlen würden zur Mitte der Le-
umfassende Kompromisse eher unwahrscheinlich. Die Entscheidung für eine Reform des Föderalismus birgt demzufolge nicht gislaturperiode des Bundestages durchgeführt, könnte wohl in den meisten Fällen von einem Zugewinn für die Oppositionspar-
nur die Notwendigkeit einer geeigneten sachlichen Lösung. Essentiell sind zudem entscheidungsfähige und -willige Akteure, die teien im Bund ausgegangen werden. Ein Wahlsieg der Bundes-Oppositionsparteien in den Ländern hätte den Effekt einer Art der
zur rechten Zeit in der Lage sind, günstige politische Rahmenbedingungen zu nutzen, um das Problem mit einer der möglichen Kohabitation zwischen Bundestag und Bundesrat. Hierin liegt ein geradezu enormes Blockadepotential. Eine Vereinheitlichung
Lösungen zu verbinden. Die Reformentscheidung kann daher nur innerhalb eines bestimmten Zeitfensters erfolgen. Sie ist ein der Wahltermine und -perioden von Bundes- und Landtagswahlen könnte hingegen leicht zu undifferenzierten Wahlergebnissen
Synchronisationsproblem par excellence. in den Ländern führen. Eine breite Mehrheit für die Regierungspartei(en) in Bundestag und Bundesrat könnte die Folge sein. Zwar
dürfte die politische Entscheidungsfindung effektiv beschleunigt werden. Zugleich würden aber aufgrund der nicht notwendigen
Die Synchronisationserfordernisse ergeben sich in der Föderalismusdebatte sowohl mit Blick auf die Problemdimension – hier ist Abstimmungs- und Koordinationsprozesse die Qualitätssicherungsmechanismen der materiellen Entscheidungen geschwächt.
bezüglich der Reformfähigkeit eine zeitlich eng begrenzte Koordination verschiedener Aktivitäten zur Sicherstellung politisch- Im Kontrast zu diesen zwei Vereinheitlichungsszenarien berücksichtigt ein konsekutiver Wahlzyklus die Eigenzeiten der födera-
administrativer Handlungsfähigkeit angesprochen (Scheller) – als auch hinsichtlich der zukünftigen Funktionalität föderativer tiven Einheiten. Deren Koordination führt zu einer Entschleunigung der Entscheidungsfindung und schafft damit die Grundlage
Strukturen im Sinne einer materiellen Policy. Im letztgenannten Fall zielt der Synchronisationsbegriff auf die konkrete Ausge- für eine qualitative Verbesserung der materiellen Entscheidungen. Erst dadurch wird die Basis für die so wichtige Synchronisation
staltung eines institutionellen Ordnungsrahmens, betrifft also die „Abstimmung und die Koordinierung von Zeitstrukturen ver- der Teilsysteme geschaffen.
schiedener, an einem Verfahren beteiligter Akteure und ihre Einigung auf ein gemeinsames Tempo“ (Riescher) insofern, als an
den Schnittstellen der föderalen Einheiten hinreichende Spielräume für die je konkrete Ausgestaltung politisch-administrativer Pragmatische Evolution statt gewachsenem Anachronismus
Verfahrensabläufe bleiben.
Aus den skizzierten Überlegungen und beispielhaften Ausführungen kann gefolgert werden, dass die föderale Struktur Deutsch-
Politikverflechtung mit Perspektive lands in ihrer jetzigen, vermeintlich anachronistischen Ausprägung keineswegs blockierend, sondern viel eher systemstabilisierend
wirkt. Im Laufe einer ‚pragmatischen Evolution’ haben sich die föderativen Elemente auf den einzelnen bundesstaatlichen Ebenen
Demgemäß müssen Mittel und Wege gefunden werden, den Synchronisationsproblemen zwischen den föderalen Teilsystemen koordinieren und synchronisieren können. Dies verweist auf die Notwendigkeit, bei der Analyse des bundesrepublikanischen Ver-
und ihren Umwelten adäquat und beizeiten begegnen zu können. Fritz W. Scharpf beschreibt mittels des Ansatzes der Politikver- bundsystems neben der Berücksichtigung von Macht- und Sachfragen auch die zeitliche Dimension mit einzubeziehen. Politikver-
flechtung das bundesdeutsche Verbundsystem in seiner spezifischen Ausprägung als eine solche Lösung. Eine Lösung, die oftmals flechtung erscheint in diesem Zusammenhang dann nicht als das Problem, sondern als die Lösung: Erst die Verflechtungsstrukturen
verkannt und selten genug gewürdigt wird. Diese ungewöhnliche Sichtweise auf die einem jedem Verbundsystem inhärente Ver- schaffen einen belastbaren Rahmen zur Versöhnung der bisher fast schon sträflich vernachlässigten temporalen Aspekte mit den
flechtung anerkennt das höchst anspruchsvolle Unterfangen, Sach- und Problemstrukturen hoher Komplexität effektiv in kollek- anderen entscheidungsbeeinflussenden Strömen – Problem, Lösung, (macht-)politische Rahmenbedingungen. Sämtliche Refor-
tiv bindende Entscheidungen zu transformieren. Sie verweist auf die Vorteile und hohe Leistungsfähigkeit föderal organisierter mappelle, die dem Ideal einer entflochtenen Republik verfallen sind, greifen daher vernehmlich zu kurz. Sie verkennen die grundle-
politischer Systeme. Gerade das föderale Verbundsystem der BRD ermöglicht in seiner spezifischen institutionellen Verflechtung genden Synchronisationserfordernisse von Problemlösungs- und Entscheidungsprozessen föderaler Systeme grandios. Sie werden
einen je problemadäquaten Informationsaustausch und eine -entsprechende Entscheidungsfindung und stellt somit seine Funk- den damit einhergehenden Stabilisierungskapazitäten föderaler Strukturen nicht im Mindesten gerecht. Politik sollte demzufol-
tions- und Handlungsfähigkeit sicher (Scheller). Anders ausgedrückt: Es wird Komplexität aufgebaut – föderale Entscheidungsfin- ge nicht den Apologeten einer beschleunigten Entscheidungsfindung folgen. Sie sollte nicht dem Druck nach immer schnellerer
dung und Problemver- und -bearbeitung – um Komplexität zu reduzieren (Umweltanforderungen in Form materieller Policies). Entscheidungsfindung nachgeben. Vielmehr erscheint die Besinnung auf die Kernkompetenz der Entschleunigung beschleunigter
Und dies in einer Weise, wie es Ein-Ebenen-Systeme, insbesondere aufgrund des umweltinduzierten Zeitdrucks, nicht zu leisten Umwelterwartungen ratsam. Eine Reform des Föderalismus bundesdeutscher Provenienz müsste, sofern sie die Koordinationseffi-
im Stande zu sein scheinen. zienz positiv beeinflussen soll, insbesondere auch die Zeitdimension angemessen berücksichtigen. Das Verhältnis der drei Dimen-
sionen muss hinsichtlich eines für das politische System der BRD stimmigen Ausgleichs stetig überprüft werden und zum Aus-
Dennoch muss auch der bundesdeutsche Föderalismus in die Lage versetzt werden, angemessen auf die skizzierten Herausforde- gangspunkt aller Reformüberlegungen erhoben werden; nur dann können Reformen eine qualitative Verbesserung der politischen
rungen reagieren zu können. Hierzu bedarf es sorgfältig auf die bestehenden Strukturen und Prozesse der Entscheidungsfindung Entscheidungsfindung bewirken. Sollte eine Entflechtung nur um des Entflechtungswillens betrieben werden, führt dies aufgrund
abgestimmter Reformbemühungen, die nicht nur Symptome zu kurieren suchen. Vielmehr müssen Macht-, Sach- und Zeitfragen mangelnder Synchronisationsmechanismen unweigerlich zu einer Blockade ungeahnten Ausmaßes. Doch vielleicht bedarf es erst
in den Blick genommen werden, wenn es gilt, Probleme und Lösungen auf der Folie komplexer politischer Rahmenbedingungen dieser „Fehlreform“, um den Gang nach Canossa antreten zu können und zu erkennen, dass der Föderalismus vor allem aufgrund
zu synchronisieren. seines Entschleunigungscharakters eine überaus stabilisierende Wirkung zeitigt und der Ruf völlig zu Unrecht ruiniert ist.
von Alice Berger
Tock, tock, tock… es klopft an der Tür Wohin gehst du, EU? Die Diskussion der Mitgliedsländer über Sicherheit und Quo vadis, EU?
des Grenzhäuschens zur Bundesstaat- um die Zukunft – eine mögliche ‚Finali- Verteidigung im Irakkrieg 2003 deutlich.
lichkeit. An der Schwelle steht die Euro- tät‘ der EU – erhielt mit Joschka Fischers Im Hinblick auf die Außenpolitik hat Wohin gehst du, EU? Wird die EU Stim-
päische Union. Noch befindet sie sich im Rede an der Humboldt-Universität im die EU zwar bereits einige gemeinsame men wie denen Fischers und Rüttgers
Gebiet des Staatenbundes, aber sie ist sich Jahr 2000 neuen Antrieb. Er sprach von Aktionen, wie im Nahostkonflikt, voll- folgen und die Schwelle zur Bundesstaat-
wohl bewusst, dass es nur einige wenige der „Vollendung der Integration in ei- zogen. Allerdings beweisen u.a. folgen- lichkeit überschreiten? Jedenfalls wurde
Schritte sind, die sie vom Bundesstaat ner europäischen Föderation“. Und auch de Beispiele den dominanten Hang zur ihr diese Bestimmung in die Wiege ge-
trennen. Joschka Fischer – ehemaliger Rüttgers betont immer wieder die Not- nationalen Souveränität: die Weigerung legt: Seit Beginn der europäischen Eini-
Außenminister Deutschlands – öffnet wendigkeit des Ziels der europäischen Frankreichs und Großbritanniens, ihren gung war die Bundesstaatsidee eine der
die Türe. „Kommen Sie doch herein und Integration in Form eines europäischen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu- Visionen, die die Integration lenkte und
werden Sie auch ein Bundesstaat“. Und Bundesstaates. Demgegenüber stehen gunsten der EU aufzugeben sowie Groß- begleitete. Einer der Gründungsväter der
auch NRW-Ministerpräsident Rüttgers aber auch viele Kritiker, die den Natio- britanniens vehemente Ablehnung, im EU, Winston Churchill, forderte bereits
schaut ihm über die Schulter und nickt nalstaat zur Monstranz erheben und in Zuge des Lissabon-Vertrags den ‚Hohen 1946 die ‚Vereinigten Staaten von Euro-
erwartungsfroh mit dem Kopf. „Darüber den so genannten ‚Vereinigten Staaten Vertreters für Außen- und Sicherheits- pa’ und ‚Europavater’ Robert Schuman
denke ich gerade nach“, so die EU. Aber von Europa’ dessen Souveränität und politik’ in ‚Außenminister der EU’ um- sprach bei seiner historischen Erklärung
die Mitgliedsstaaten zupfen und ziehen Mitgestaltung gefährdet sehen. zubenennen. am 9. Mai 1950 von dem angestrebten
sie bereits zurück ins Staatenbund-Ge- Ziel einer Montanunion als ‚europäische
biet – allen voran Großbritannien. Quis es, EU? Nichtsdestotrotz hat sich die EU über die Föderation’. Bis in die späten 60er Jahre
Jahrzehnte hinweg erheblich entwickelt. hinein wurde davon ausgegangen, dass
Wer bist du, EU? Staatenbund, Staaten- Seit dem Vertrag von Maastricht 1992 hat die europäische Integration langfristig in
verbund, Staatenverband, Bundesstaat, sich die Integration entscheidend ver- einem föderativ strukturierten Bundes-
föderale Union, Superstaat. Diese Auf- tieft und den Weg zur Bundesstaatlich- staat aufgeht. Dann allerdings wurde die
zählung ist noch lange nicht vollständig, keit geebnet. So hat das Europäische Par- Bundesstaatsidee ein zunehmend unpo-
was auf die Schwierigkeit der staats- lament (EP) seinen Einfluss bis zuletzt puläres Ziel. Experten vermuten einen
europafähigkeit der
eine Volkskammer eines bundesstaatlichen Parlaments agiert. Letztlich zeigt der Lis-
sabon-Vertrag inklusive seiner enthaltenen Zugeständnisse für die EU, dass ein Weg
zurück von der Schwelle zur Bundesstaatlichkeit nicht mehr möglich ist.
deutschen länder?
„Die EU braucht ein großes Ziel, sonst fällt sie auseinander“. Rüttgers Forderungen
für die ‚Vereinigten Staaten von Europa’ sind deutlich. Besonders wachsende globale
Herausforderungen wie Terrorismus, Klimawandel und Wirtschaftskrisen erfordern
eine Einstimmigkeit der EU. Tatsache ist, dass die Nationalstaaten zur Kooperation
und nicht zur Re-Nationalisierung aufgefordert sind. Ein demokratischer, europä-
ischer Bundesstaat – in dem die Kommission zu einer parlamentarisch bestellten
Regierung, der Rat zur Länderkammer und das EP zur Volkskammer eines bundes-
staatlichen Parlaments umgestaltet würden – kann laut europäischer Föderalisten Die Frage, wer in Europa regiert und wer überhaupt mitregieren kann und sollte, ist in
in unserer multipolaren Weltordnung des 21. Jahrhunderts und dem globalen Welt- den Medien, in der Politik und in der Politikwissenschaft zum Dauerbrenner gewor-
markt besser bestehen. den. Oft kreist die Diskussion um die gleichen Fragen: Was ist die EU? Was sollte sie
sein? Wollen wir in einem „Europa der Vaterländer“ oder in einem europäischen Bun-
Die EU setzt zu den letzten Schritten an, die Grenze zur Bundesstaatlichkeit zu über- desstaat leben? Diese Gedanken sind ganz entscheidend für die grundlegende Frage,
schreiten. Fischer und Rüttgers nehmen ihre Hand, um der Union über die Schwel- wer in Europa mitregieren sollte und ob die EU an einem demokratischen Defizit lei-
le zu helfen. Aber die Mitgliedsstaaten und deren Bürger wollen nicht so recht und det. Wer die EU in ihrem Kern bloß als internationale Organisation betrachtet, macht
zupfen und ziehen an der Jacke. Das Referendum über eine europäische Verfassung, es sich wohl allzu einfach: Auf der europäischen Ebene entscheiden die nationalen
das durch die Niederlande und Frankreich 2005 abgelehnt wurde, das noch immer Regierungen. Ein demokratisches Defizit gibt es nicht, weil diese Regierungen in den
vorherrschende Demokratiedefizit sowie die schwache gemeinsame Kultur und Nationalstaaten dazu demokratisch legitimiert wurden. Wer aber die EU als Staaten-
Identität zeigen, dass das Projekt Europa noch lange nicht in der breiten Bevölkerung verbund oder sogar als sich entwickelnder Bundesstaat betrachtet, der kommt schnell
Akzeptan gefunden hat. Die ‚Vereinigten Staaten von Europa’ sind (noch) ein Projekt ins Grübeln. In diesem Fall müssten hohe demokratietheoretische Maßstäbe ange-
der Eliten, die sich allerdings selber über ihr Ziel nicht im Klaren sind. Sie bewegt sich setzt werden. Prozesse der Willensbildung und Entscheidung müssten für alle nach-
im permanenten Spannungsfeld zwischen Erweiterung und Vertiefung; ein Bundes- vollziehbar sein. Das Europäische Parlament, die europäischen Regionen, die Zivil-
staat braucht jedoch klare geographische Grenzen und innenpolitische Strukturen. gesellschaft und die Bürger müssten an diesen Politikprozessen teilnehmen können.
Vieles deutet alles darauf hin, dass die Europäische Union weitaus mehr ist als eine
Also: Quis es EU – et quo vadis? „Ich bin noch Staatenbund, stehe an der Schwelle internationale Organisation. Der Prozess der Europäisierung schreitet unaufhaltsam
zum Bundesstaat und überlege mir, ob ich diese überschreiten soll. Durch das Zie- voran. In Deutschland scheint es kaum noch Institutionen, Entscheidungsprozesse
hen und Zupfen an meiner Jacke weiß ich allerdings nicht, ob ich überhaupt die Kraft und Politikfelder zu geben, die nicht irgendwie von Europa beeinflusst werden. Auf
für diese letzten Schritte aufbringen kann. Vielleicht komme ich ja nur weiter, wenn europäischer Ebene werden zunehmend wegweisende Entscheidungen getroffen.
ich an Gewicht verliere und einige Mitgliedsstaaten wie Pfunde fallen lasse – Fischer,
Rüttgers und andere Föderalisten müssen mich in jedem Falle stark genug über die
Grenze ziehen“.
Simon Wiegand
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Poli-
tikwissenschaft der Universität Duisburg-Essen. Seine
Schwerpunktthemen sind u.a. Nordrhein-Westfalens
Energie- und Klimaschutzpolitik im europäischen
Mehrebenensystem, Europäische Integration, Euro-
päisierung und Konflikte, Deutsche Sicherheits- und
Verteidigungspolitik.
Bereits 1988 prophezeite der damalige Kommissionspräsident Jacques Delors: „In stärker als einige Mitgliedsstaaten der ren zusätzliche Handlungskorridore und Möglichkeiten der Netzwerkbildung mit
zehn Jahren werden 80 Prozent der Wirtschaftsgesetzgebung, vielleicht auch der Europäischen Union. Als eigenständiges staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren an. Um in Europa mitregieren zu können,
steuerlichen und sozialen, gemeinschaftlichen Ursprungs sein.“ Erst im Juni des ver- EU-Mitglied wäre beispielsweise Nord- müssen jedoch politische Akteure eine gewisse Europafähigkeit mitbringen. Wer
gangenen Jahres kritisierte das Bundesverfassungsgericht das deutsche Begleitgesetz rhein-Westfalen gemessen an der Be- an Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen partizipieren möchte, muss u.a.
zum Lissabon-Vertrag, weil dem Bundestag und dem Bundesrat im Rahmen von eu- völkerungszahl mit über 17,9 Millionen Entwicklungen im europäischen Mehrebenensystem fortlaufend beobachten, rele-
ropäischen Rechtssetzungs- und Vertragsänderungsverfahren keine hinreichenden Einwohnern noch vor den Niederlanden vante Informationen erlangen und verarbeiten, bei Bedarf die europäische Tagesord-
Beteiligungsrechte eingeräumt wurden. Mit anderen Worten: Die Bundesregierung der siebtgrößte Mitgliedsstaat. Fünftens nung beeinflussen, europäische und nationale Netzwerke und Allianzen aufbauen –
darf nicht allein auf dem europäischen Parkett tanzen, die deutschen Länder und die würde ein Ausschluss der Länder von kurzum, Akteure müssen dauerhaft über hinreichende Ressourcen fürs Mitregieren
Parlamentarier sind hier ausreichend zu beteiligen. Willensbildungs- und Entscheidungs- im europäischen Mehrebenensystem verfügen. Zudem müssen sie diese Ressourcen
prozessen im europäischen Mehreben- auch dafür aufwenden wollen.
Die deutschen Länder und die Europäisierung - zwei zentrale Fragen system gegen das politische Konzept Beobachter beklagen seit längerer Zeit den Trend, dass die Landesregierungen und die
„Europa der Regionen“ stehen. Man Landesparlamente aufgrund des europäischen Integrationsprozesses und der damit
Mit Blick auf den deutschen Föderalismus drängt sich vor diesem Hintergrund die muss also zwangsläufig zu der Erkennt- verbunden Europäisierung zunehmend an Einfluss und an politische Gestaltungs-
Frage nach den Auswirkungen der Europäisierung für die deutschen Länder geradezu nis gelangen, dass die Landesregierungen möglichkeiten verlieren. Man darf diese Entwicklung jedoch nicht verallgemeinern,
auf, zumal die Länder formal am EU-Gesetzgebungsprozess nicht beteiligt sind. Zen- und die Landesparlamente an Willens- weil sich die jeweiligen Landesregierungen und die jeweiligen Landesparlamente
tral erscheinen dabei zwei Fragen: Sollten die Landesregierungen und die Landespar- bildungs- und Entscheidungsprozessen in Ihrer Europafähigkeit unterscheiden. Die Landesregierungen können beispiels-
lamente an Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen im europäischen Mehre- im europäischen Mehrebenensystem weise jederzeit auf das Expertenwissen der Ministerialbürokratie in den einzelnen
benensystem mitwirken? Falls ja, wie weit können sie überhaupt an diesen Prozessen sowohl in juristischer als auch in de- Politikfeldern zugreifen. Da die Länder im Bundesrat durch die Landesregierungen
teilnehmen oder sie zumindest beeinflussen? Die deutschen Länder sollten in Europa mokratietheoretischer Hinsicht stärker vertreten werden, können diese durch den Bundesrat in europäischen Angelegenhei-
mitwirken Die erste Frage ist fast ausnahmslos aus rechtlichen und demokratietheo- mitwirken sollten und sich nicht als blo- ten institutionalisierten Einfluss auf die Bundesregierung nehmen. Dagegen sind die
retischen Gründen mit ja zu beantworten. Erstens garantiert die deutsche Verfassung ße Empfänger von Entscheidungen zu- Landesparlamentarier hinsichtlich Europa u.a. stark auf Informationen angewiesen,
den Ländern eine gewisse Eigenstaatlichkeit. Als Gliedstaaten der Bundesrepublik frieden geben dürfen. Gleichzeitig darf die sie von ihrer jeweiligen Landesregierung erhalten bzw. erhalten sollten. Dieser
Deutschland besitzen sie eine eigene, originäre Hoheitsgewalt. Der Bund leitet seine aber die Mitwirkung und der Einfluss Informationsfluss ist in den Ländern unterschiedlich geregelt, in einigen Ländern
Staatlichkeit davon ab. Wenn keine Kompetenzen durch das Grundgesetz geregelt der Länder die Verhandlungs- und Ent- wie Baden-Württemberg verfassungsrechtlich, in anderen wie Nordrhein-Westfa-
sind, sind die Länder zuständig. Zweitens spricht die Verfassung im Hinblick auf Eu- scheidungsmacht der Bundesregierung len lediglich durch eine Parlamentsinformationsvereinbarung. Landesparlamentarier
ropa den Ländern bestimmte Rechte zu. Sie wirken beispielsweise in Angelegenhei- auf europäischer Ebene nicht blockieren. müssen sich daher nicht selten selbst unter unverhältnismäßig hohen Ressourcen-
ten der EU durch den Bundesrat mit. Der Bundesrat ist an der Willensbildung des einsatz um Ihre Europafähigkeit kümmern. Wie wichtig Europa für die Landespo-
Bundes zu beteiligen, soweit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme Die deutschen Länder müssen ihre litik ist, hängt dann von der Prioritätensetzung der Fraktionen ab und insbesondere
mitzuwirken hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären. Selbst im Europafähigkeit erhöhen in den einzelnen Politikfeldern von den zuständigen Abgeordneten. Daher ist und
Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit des Bundes muss die Bundesregierung bleibt Mitregieren im europäischen Mehrebensystem aus landespolitischer Sicht exe-
die Stellungnahmen des Bundesrates berücksichtigen, wenn Interessen der Länder Die Antwort auf die zweite Frage, wie kutivlastig. Die Landesparlamente können jedoch durch Kontrolle und durch Debat-
berührt sind. Es besteht auch die Möglichkeit, die Wahrnehmung der Rechte, die weit die Landesregierungen und die Lan- ten diese Exekutivlastigkeit ein wenig abmildern und ihren Landesregierungen einen
Deutschland als Mitgliedsstaat der EU zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat desparlamente an Willensbildungs- und Handlungsrahmen aufzeigen. Es ist anzunehmen, dass nicht zuletzt auch die Größe
benannten Vertreter der Länder zu übertragen, wenn im Schwerpunkt ausschließli- Entscheidungsprozessen im europäi- der einzelnen Länder in Rechnung zu stellen ist. Für die deutschen Länder wird es im
che Gesetzgebungsbefugnisse der Länder auf den Gebieten der schulischen Bildung, schen Mehrebenensystem mitwirken Zuge der voranschreitenden und nicht aufzuhaltenden Europäisierung nicht einfa-
der Kultur oder des Rundfunks betroffen sind. Der Bundesrat hat sogar das Recht oder sie zumindest beeinflussen können, cher, an Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen im europäischen Mehrebe-
wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts der EU gegen das Subsidiaritätsprinzip erweist sich als nicht ganz so einfach. Der nensystem zu partizipieren. Wenn sie in Europa mitregieren möchten, dann müssen
vor dem Europäischen Gerichtshof Klage zu erheben. Drittens ist Europa ohne Zwei- Vorwurf, dass die Europäische Union zu sie also immer darum bemüht sein, selbstkritisch zu hinterfragen, wie es um die ei-
fel in vielerlei Hinsicht von großer Bedeutung für die deutschen Länder. Regelungen, komplex ist, Entscheidungsprozesse nur gene Europafähigkeit steht.
die auf europäischer Ebene getroffen werden, haben so gut wie immer Auswirkun- schwierig nachzuvollziehen sind, die
gen in den Ländern und auf die jeweilige Landespolitik. Aus diesem Grund scheint Rechtsakte oftmals sehr technisch und
die Anzahl der Landespolitiker zu steigen, die die europäische Ebene für mindes- sehr detailliert ausfallen, ist nicht unbe-
tens so wichtig halten wie die nationale Ebene. Viertens sind die großen deutschen gründet. Das europäische Mehrebensys-
Länder hinsichtlich ihrer Bevölkerungszahl und ihrer Wirtschaftskraft größer und tem bietet zwar allen politischen Akteu-
einer für alle, jeder für
Im Zuge der europäischen Integration stand auch immer die Frage nach der Finalisierung im Hintergrund: Wird sich die
EU zu einem föderalen Bundesstaat entwickeln oder wird sie nie über den Staatenverbund sui generis hinauskommen?
Mit den Bemühungen um eine europäische Verfassung rückte diese Frage stärker denn je in den Vordergrund, doch auch
nach ihrem Scheitern wird sie kontrovers diskutiert. Entscheidend beurteilen lässt sich der Stand der Entwicklung zum
sich – europäischer
Bundesstaat, wenn der Blick noch eine Stufe höher im Mehrebenensystem geht: Wie tritt die EU auf internationalem Par-
kett auf? Mit einer kohärenten Stimme einem einzelnen Staat entsprechend oder noch immer als Verbund von uneinigen
Staaten mit verschiedenen Meinungen und Positionen? Handelt einer für alle und handeln alle für einen oder agiert doch
weiter jeder für sich? Es gilt zu hinterfragen, wie stark der Vertrag von Lissabon und seine Folgen diese Entwicklung
internationalen bühne Am Anfang war die Wirtschaft sam. Spätestens die Uneinigkeit und
vorschnelle Positionierung einiger Mit-
Montanunion, EWG, EURATOM, Zollunion, Währungsunion – zweifelsohne eini- gliedsstaaten in der Frage zur Beteiligung
ge der wichtigsten Meilensteine der europäischen Integration. Ihr Motor ist seit dem am Irak-Krieg legte schamlos offen, wie
Zweiten Weltkrieg die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Der Abbau von Handelsbe- gewichtig die europäische GASP in der
schränkungen und die Einführung des Euro als Zahlungsmittel belegen dies. Inso- Praxis wirklich war. Im Hinblick auf die
fern können die politische und insbesondere die außenpolitische Integration eher als Frage, ob die EU mit einer Stimme auf-
Folge oder zumindest als Nebenprodukt der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, denn trat, lässt sich immer noch die bekannte
als eigenständige Säule der Integration bezeichnet werden. Zentrales Element dieser Anekdote aus den 1970er Jahren anfüh-
Kooperation war das Übereinkommen der Europäischen Politischen Zusammenar- ren, als der damalige US-Außenminister
beit (EPZ), die zwar vertraglich verankert war, aber parallel zum Konstrukt der Euro- Henry Kissinger fragte, welche Tele-
päischen Gemeinschaften (EG) bestand. Diese eher zurückhaltenden Entwicklungen fonnummer er wählen müsste, wenn er
sind darauf zurückzuführen, dass die Außen- und Sicherheitspolitik zweifellos als mit Europa sprechen wollte. Den ent-
letzte Festung staatlicher Souveränität charakterisiert werden kann. So war lange Zeit scheidenden Fortschritt sollte dann die
nicht an eine europäische außenpolitische Stimme zu denken. Das stets zunehmende europäische Verfassung bringen. Neben
wirtschaftliche Gewicht der EG verlangte jedoch auch nach einer engeren politischen funktionalen Veränderungen wurden
Zusammenarbeit, die sich im Zuge der Globalisierung auch international präsentie- auch schwere symbolische Geschütze
ren musste. So wurde mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht 1993 die für die Außendarstellung aufgefahren.
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), neben den (wirtschaftlichen) In der Verfassung sollten unter anderem
Europäischen Gemeinschaften und der polizeilich-justiziellen Zusammenarbeit, als eine europäische Hymne, eine europäi-
eine eigenständige Säule der neuen EU manifestiert. sche Flagge und ein EU-Außenminister
verankert sein.
Europäische Außenpolitik in den Kinderschuhen
Die GASP hat seit den 1990ern zwar auch offiziell eine größere Bedeutung im eu-
ropäischen Integrationsprozess erlangt, dennoch blieb sie stets geprägt von nationa- Eine Telefonnummer für Europa
len Vorbehalten und Ängsten. Im Gegensatz zu den anderen beiden Säulen wies die
GASP immer einen intergouvernementalen Charakter auf. In der Praxis meint der In- Die Verfassung scheiterte; am 1. Dezem-
tergouvernementalismus: Die Leitlinien der GASP wurden nach Maastricht vom Eu- ber 2009 trat der Vertrag von Lissabon in
ropäischen Rat festgelegt und Beschlüsse wurden im Ministerrat gefasst. Ferner galt Kraft. Wird die EU sich von nun an mit
das Einstimmigkeitsprinzip: Jeder Staat konnte eine Entscheidung blockieren. Nach einer Stimme nach außen präsentieren?
außen wurde die EU seit dem Vertrag von Amsterdam (1999) durch die sogenannte Wird sie wie ein föderaler Bundesstaat
Troika, bestehend aus dem Außenminister des Mitgliedsstaates der Ratspräsident- auftreten? Zunächst ist zu konstatieren,
schaft, dem EU-Außenkommissar und dem Hohen Vertreter für die Gemeinsame dass der Vertrag von Lissabon entschei-
Außen- und Sicherheitspolitik vertreten. Doch gemeinsam ist nicht gleich gemein- dende Änderungen für die GASP mit
Alexander Gutmann
studiert seit Oktober 2009 den Masterstudiengang
Politikmanagement, Public Policy und öffentliche
Verwaltung an der NRW School of Governance der
Universität Duisburg-Essen. Praxiserfahrung sammel-
te er unter anderem im Deutschen Bundestag und bei
seiner Arbeit für die Kommunikationsberatung Hering
Schuppener, wo er seit drei Jahren tätig ist.
Die EU ist mit ihrer Erfolgsgeschichte
der wirtschaftlichen und politischen
Integration zum weltweiten Vorbild
geworden. Die Afrikaner versuchen
nun im zweiten Anlauf eine ähnliche
Entwicklung anzustoßen.
sich bringt, die vor allem eine Verbesserung der Kohärenz im außenpolitischen Auftreten im Blick haben. Die meisten Symboli-
ken des Verfassungsentwurfs wurden fallengelassen, inhaltlich jedoch viele Anliegen übernommen. Henry Kissinger fragte einst
nach einer Telefonnummer Europas. Nun wird er sie bekommen – so zumindest der Plan. Nach dem Vertrag von Lissabon ist der
afrika auf den schaft von Anfang an auch mehr als das.
Neben Pragmatikern hinterließen auch
Idealisten – überzeugte Europäer – ihre
spuren europas?
Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik der zentrale Akteur der GASP. Die Einrichtung dieses Amtes geht Spuren in den Römischen Verträgen, für
weit über eine Neubetitelung des ehemaligen Hohen Vertreters für die GASP hinaus und bringt eine umfangreiche Kompeten- die der Frieden und die Einheit Europas
zerweiterung mit sich. Diese drückt sich in dem sogenannten ‚Doppelhut‘ aus. Der Hohe Vertreter ist von nun an Vorsitzender die vorrangigen Ziele waren. Die wirt-
des intergouvernementalen Rates ‚Auswärtige Angelegenheiten‘ und zugleich Vize-Präsident der supranationalen Kommission. schaftliche Blüte und der andauernde
Anstelle der Troika wird der Hohe Vertreter die Union in Zukunft in internationalen Organisationen und auf internationalen Frieden des einst so zerstrittenen Kon-
Konferenzen vertreten. Ein Gesicht, eine Stimme, eine Telefonnummer. So zumindest der Plan. Aber die Realität? Eine ent- tinents haben über die Jahrzehnte welt-
scheidende Rolle kommt auch dem Präsidenten des Europäischen Rates zu. Dieser wechselt in Zukunft nicht mehr halbjährlich, weites Interesse gefunden. Diese regio-
sondern wird für zweieinhalb Jahre fest gewählt. Auch der Präsident des Europäischen Rates hat außenpolitische Kompetenzen, False friends und neue Wege nale Integration hat gezeigt, wie einzelne
zwar offiziell „auf seiner Ebene und in seiner Eigenschaft, unbeschadet der Befugnisse des Hohen Vertreters“. Dennoch scheint Staaten mit einer Gemeinschaft der ei-
hier Kompetenzgerangel vorprogrammiert. Die Zeiten, in denen die europäischen genen Bedeutungslosigkeit in der Welt-
Großmächte der übrigen Welt ihren politik entgehen können. Europa wird
Und nun? Willen militärisch aufzwangen, sind in der Welt heute vor allem als Wirt-
spätestens seit dem Ende des Zweiten schaftsmacht wahrgenommen, die ihren
Eine EU, die auf internationaler Bühne mit einer Stimme wie ein föderaler Bundesstaat auftritt – das wird auch nach Lissabon Weltkrieges vorüber. Die militärische Einfluss hauptsächlich mit zivilen Mit-
vorerst eine Vision bleiben. Diese Erkenntnis ist das Produkt dreier Faktoren. Erstens hängt die Stärke der Präsenz des Hohen Führung hat seit dieser Zeit die USA teln geltend macht. „Europas Stärke liegt
Vertreters nach außen maßgeblich von dessen Stärke innerhalb der EU ab. Schafft der Hohe Vertreter nicht den Spagat, die inter- übernommen und wir erleben heute, darin, Vorbild zu sein für Modelle der
gouvernementalen Interessen des Rates und die supranationalen Interessen der Kommission unter einen Hut zu bringen, ist eine dass sich auch diese Phase der Domi- globalen und regionalen Regierungsfüh-
Schwächung der außenpolitischen Position die Folge. Zweitens spielt die Amtsausübung des Präsidenten des Europäischen Rates nanz, vor dem Hintergrund neuer auf- rung.“, schreibt das US-amerikanische
eine maßgebliche Rolle. Je mehr außenpolitisches Terrain dieser für sich beansprucht, desto mehr wird die Vormachtstellung strebender Großmächte, allmählich National Intelligence Council. Tatsächlich
des Hohen Vertreters in Mitleidenschaft gezogen und desto weniger kann von einem Gesicht, einer Stimme und einer Telefon- relativiert. Nach den immensen Zerstö- bildet die EU heute ein Vorbild für eine
nummer die Rede sein. Die bisherigen Debatten haben angedeutet, dass die neue Hohe Vertreterin Catherin Ashton aus diesem rungen der beiden Weltkriege hat es Eu- Reihe internationaler Integrationspro-
Kompetenzgerangel voraussichtlich nicht als strahlende Gallionsfigur europäischer Außenpolitik hervorgehen wird. Drittens ropa geschafft politisch, wirtschaftlich jekte. Am deutlichsten sind die Bezüge,
bleibt die GASP auch nach Lissabon von Intergouvernementalität geprägt. Einstimmigkeit bleibt die vorherrschende Entschei- und kulturell wieder auf die Beine zu wie schon der Name erahnen lässt, bei
dungsregel, der Europäische Rat und der Ministerrat behalten die Entscheidungshoheit. Also wird nationalen Vorbehalten wei- kommen. Doch es waren nicht die ein- der Afrikanischen Union.
terhin ein großer Handlungsspielraum zugestanden. Es ist mehr als fraglich, ob nationales Einzelgängertum in Zukunft ernst- zelnen Staaten, die wieder aufstiegen,
hafte Konsequenzen mit sich bringen wird. Traditionelle Bündnisse, beispielsweise zwischen Großbritannien und den USA, die sondern eine Staatengemeinschaft mit Der zweite Versuch
oft den Ton in der außenpolitik angeben, können nur schwerlich von heute auf morgen verworfen werden. Niemand kann jedoch gemeinsamen Interessen. Was wir heute
voraussehen, wie die global-politische Lage in einigen Dekaden aussehen wird. In naher Zukunft ist nicht mit einem föderalen als Europäische Union kennen, begann Die Afrikanische Union (AU) ist neben
Bundesstaat Europa auf der internationalen Bühne zu rechnen. Zwar wird die offizielle und theoretische Marschroute europäi- seinerzeit vor allem als pragmatische zahlreichen kleineren Integrationspro-
schen Auftretens auf der internationalen Bühne dem zur Kohärenz verpflichtenden Motto „alle für einen, einer für alle“ folgen. Zweckorganisation wirtschaftlicher und jekten, der zweite Anlauf alle Staaten
Es ist jedoch abzusehen, dass im Ernstfall die nationale Souveränität die Oberhand behält und doch wieder jeder für sich agiert. auch sicherheitspolitischer Interessen. des Kontinents wirtschaftlich und poli-
Trotzdem war die Europäische Gemein- tisch zu vereinen. Der erste Versuch in
Benjamin Liebsch
ist Student im Masterstudiengang Politikmanagement
an der NRW School of Governance und beschäftigt
sich mit Umwelt- und Europapolitik sowie seinem VW
Käfer BJ 1971. Er hält einen Bachelor of Arts in Ge-
schichte & Politik der HHU Düsseldorf und sammelte
praktische Erfahrungen im nordrhein-westfälischen
Umweltministerium sowie bei der METRO Group.
Form der Organisation of African Uni- ein bisschen wie „false friends“ aus dem fertigt; eine Antwort auf die zahlreichen Prinzipien der AU solche unrechtmäßi-
ty (OAU) scheiterte an einer zu starken Englischunterricht. Sie heißen zwar Krisenregionen in Afrika, bei denen bis- gen Regierungswechsel verurteilen.
Souveränität der Einzelstaaten. Die Glo- gleich, bedeuten jedoch etwas völlig her die Nichteinmischung in nationale
balisierung und die Handelspolitik der anderes. Am deutlichsten wird dies bei Angelegenheiten oberstes Prinzip war. Betrachtet man die AU in ihrer gegen-
Industrieländer erhöhten jedoch in den der Kommission. Während die EG/EU- Ein weiteres, völlig neues Element sind wärtigen Form, dann zeigt sich ein
1980er Jahren den Druck auf die afrika- Kommission von Beginn an eine supra- die 20 Delegierten der im Ausland weit gemischtes Bild. Dabei wird schnell
nischen Staaten, sich wirtschaftlich und nationale, koordinierende Rolle zuge- verstreuten afrikanischen Diaspora, die deutlich, dass diese Gruppe höchst un-
auch politisch enger zu vernetzen. Als teilt bekam, fehlen der AU-Kommission in einem 150 Mitglieder zählenden Aus- terschiedlicher Staaten mehr denn je ei-
Reaktion auf die geänderten Rahmen- jegliche Kompetenzen dieser Ebene. Sie schuss aus Vertretern der Wirtschaft, nen Weg sucht, sich gemeinsam in der
bedingungen beschloss man daher die ist bisher eher eine Art Sekretariat der Kultur und sozialem Leben die AU-In- globalisierten Welt zu behaupten. Es
Schaffung eines einheitlichen afrikani- Union, mehr jedoch nicht. Überhaupt stitutionen beraten sollen. Zudem gibt erscheint dabei fast ein wenig makaber,
schen Marktes, mit einem ausgepräg- fehlt es der neuen AU noch an einer star- es eine besondere Frauenquote im Par- dass sich Afrikaner dabei ausgerechnet
ten intra-afrikanischem Handel. 1991 ken, durchsetzungsfähigen supranatio- lament, die vorsieht, dass mindestens am System des Kontinents orientieren,
formte man dazu die African Economic nalen Ebene, auch wenn die Vetomög- eine Frau unter den fünf Vertretern jedes der für einen Großteil ihrer Probleme
Community nach europäischem Vorbild, lichkeiten der Staaten seit 2002 deutlich Landes im PAP sein muss. Dies sind nur mitverantwortlich ist. Und doch zeigt
die bis 2002 parallel zur OAU existier- reduziert wurden. Das Pan-Afrikanische drei Beispiele für den eigenen Weg, den sich gerade dadurch, dass sich die Af-
te. Die Einsicht, dass mit der bisherigen Parlament (PAP) besitzt im Gegensatz die Afrikaner in ihrer Union gehen. rikaner längst emanzipiert haben. Sie
Form der OAU keine Fortschritte mehr zum EU-Pendant nur beratende Funkti- wählen für sich, was ihnen sinnvoll er-
zu machen waren frustrierte jedoch so- on und hat keine Mitbestimmungsrech- Keine billige Kopie scheint, kopieren das Vorbild nicht eins-
wohl überzeugte Pan-Afrikaner wie te. Das war allerdings beim frühen Euro- zu-eins, sondern passen es stattdessen
auch pragmatische Politiker. Die starke paparlament sehr ähnlich. Erst über viele Natürlich ist Papier geduldig und viele den eigenen Gegebenheiten bestmöglich
Stellung der Nationalstaaten in der OAU Jahre hinweg konnte dieses seine Rechte verfasste Grundsätze von Staaten und an. Europa hatte trotz der Kriege einen
und das Einstimmigkeitsprinzip mach- allmählich ausweiten. Auch für das PAP Organisationen klingen schöner als es großen Vorsprung, als es seinen Weg
ten eine Weiterentwicklung unmöglich. sind seit langem mehr Kompetenzen die Realität je sein kann. Gerade in Af- zur Integration begann und ist bis heu-
angedacht, allerdings muss man erwäh- rika ist dieses Phänomen weit verbreitet. te noch nicht am Ziel. Afrikas Bedin-
2002 entschloss man sich daher zu einer nen, dass diese schon Ende 2009 hätten Und trotzdem lohnt es sich gerade hier, gungen sind dagegen bis heute weitaus
Neuauflage der OAU unter neuen Vor- in Kraft treten sollen. Bisher ist dies aber einen Blick auf die erklärten Werte der schwieriger und trotzdem gibt es immer
zeichen. Eine Afrikanische Union (AU), noch nicht geschehen. Union zu werfen. Die Unterzeichner- wieder Fortschritte zu verzeichnen. Die
mit mehr Kompetenzen, klaren Auf- staaten bekennen sich darin zu Demo- Afrikanische Union ist vor diesem Hin-
gaben und weniger Vetopotenzial der Eigene Akzente der AU kratie, Wahrung der Menschenrechte tergrund ein spannendes Projekt. Viele
Mitgliedstaaten sollte die afrikanischen und einer guten Regierungsführung. Afrikaner sprechen übrigens von einer
Staaten integrieren. In den Vorverhand- Die Afrikaner haben auf Basis des In- Werte, die mit denen der EU grundsätz- Wiedervereinigung nach der Kolonial-
lungen für die AU hatten sich die Ver- stitutionengerüsts der EU eine eigene lich übereinstimmen. Zwar haben viele zeit. Dass man dabei die Hoffnung nicht
fechter einer „europäischen Lösung“ Organisation gegründet. Dies ist jedoch Mitgliedsländer der Afrikanischen Uni- aufgeben sollte, wissen wir Deutsche am
gegenüber jenen durchgesetzt, die eher keineswegs nur eine schlechtere Kopie on kein frei gewähltes Parlament und besten.
die „Vereinigten Staaten von Afrika“ an- des Originals. Die Afrikaner haben es sind weit davon entfernt als funktionie-
strebten. Die Institutionen der heutigen durchaus verstanden besondere, an die rende Demokratie zu gelten. Dennoch
AU sind denen der EU sehr ähnlich. Es Situation des afrikanischen Kontinents greift die Gemeinschaft hart durch, wo
gibt eine Unionsversammlung, die dem angepasste Akzente und wenn man es sie es kann. So wurden Mauretanien
Europäischen Rat gleicht, einen Exeku- so nennen will ‚Eigenentwicklungen‘ und Guinea nach Militärputschen (zeit-
tivrat vergleichbar mit dem Ministerrat, umzusetzen. So ist die Afrikanische weilig) ausgeschlossen und erst nach
eine Kommission und ein Parlament. Union die erste internationale Organi- Wiederherstellung einer verfassungsge-
Doch es gibt auch deutliche Unterschie- sation weltweit, die einen militärischen mäßen Ordnung rehabilitiert, weil die
de. Die afrikanischen Institutionen sind Einsatz aus humanitären Gründen recht-
Science Fiction ist weit mehr als eine realitätsferne Spielerei für Nerds, sondern
gehört längst zum popkulturellen Kanon. Sie kann zu einem ergebnisoffenen
gesellschaftlichen Diskurs einladen, wenn sie aktuelle Probleme auf die Zukunft
projiziert und dabei wertvolle Gedankenexperimente unternimmt.
föderale zukunftsvisionen
behaupten lässt. Ein näherer Blick lohnt
sich also, denn: Implizit, häufig aber
auch explizit wird in der Science Fiction
immer die Frage thematisiert, welche
Imperialistischer Militarismus
und sozialistischer Föderalismus
besser ist
nach dem ‚optimalen Zentralisierungs- oder das Mondprogramm der NASA hät- nen. Unterschiedliche Regionen besit-
grad‘. Davon unberührt ist allerdings die te ein einzelner Mitgliedsstaat schwer- zen meist auch unterschiedliche Wert-
Frage der demokratischen Legitimation lich stemmen können. Den Klassiker vorstellungen, regional unterschiedliche
und der rechtstaatlichen Qualität. Die der Argumente bilden die „economies of Traditionen und gesellschaftliche sowie
ökonomische Theorie beschäftigt sich scale“, wonach sinkende Durchschnitts- natürliche Unterschiede. Dieses Di-
– neben anderen Fragestellungen – mit kosten nach einer Zentralisierung auf lemma würde sofort deutlich, falls die
der Effizienz einer Föderation, also ihrer einen Anbieter verlangen, wie es früher Brüsseler Kommission beispielsweise
„Es ist nicht einfach mit diesen EU- straffes Regieren – und wer ist eigentlich ökonomischen Möglichkeit, ihren Bür- bei der staatlichen Bahn und Post der das Reinheitsgebot deutschen Bieres
Verordnungen: Die werden in Brüssel Indien? Oder ist das Gegenteil der Fall gern Wohlstand, soziale Gerechtigkeit Fall war. Der Koordinationszwang bei kippen sollte. Ein weiterer Vorteil liegt
beschlossen, in Frankreich gelesen, in und die interstaatliche Integration ist und Stabilität zu ermöglichen. Was hat öffentlichen Leistungen, zum Beispiel in den geringeren Planungskosten für
Italien in den Papierkorb geworfen und schon zu weit fortgeschritten? Wäre es uns die Ökonomie also zu sagen? im Bildungsbereich oder in der Steuer- die Erstellung öffentlicher Güter, die
in Deutschland befolgt!“, pointiert Ha- nicht besser, Bundes- und Mitgliedstaa- politik, ist freiwilligen Regelungen oft aufgrund der Bürgernähe bei einer de-
rald Schmidt. Ganz so schlimm ist es ten wieder mehr Kompetenzen zu über- Kosten des Föderalismus überlegen. Ein eher ethisches Argument zentralisierten Kompetenzverteilung
nicht, aber dennoch kann Föderalismus tragen oder am Ende gar in die Unabhän- besteht darin, dass ein zentraler Akteur anfallen. Im Vergleich zu Zentralstaa-
unheimlich anstrengend sein. Über der gigkeit zu entlassen? Noch vor Beginn jeder Wirkungsmes- durch Umverteilung eher die Mindest- ten besitzen Föderationen ein erhöhtes
Wahl in NRW dieses Jahr hängt das sung gibt sie den Föderalismuskritikern versorgung sicherstellen kann, zum Innovationspotential und entsprechen-
Schreckgespenst einer blockierten Poli- Die ökonomische Perspektive Recht. Ein Bundesstaat verursacht von Beispiel den Bedarf einiger Regionen an de Möglichkeiten für Experimente und
tik, nämlich dann, wenn mit einer Nie- Beginn an sogenannte Interdependenz- ÖPNV oder medizinischer Versorgung. Wettbewerbsanreize. Als Beispiel dient
derlage der amtierenden Regierung in Unsere politischen Systeme stehen in kosten. Diese gliedern sich auf in Kon- hier das mittelalterliche China, das ohne
Düsseldorf die Bundesratsmehrheiten Zeiten des ‚weniger‘ und ‚Gürtel enger sensfindungskosten, also Verhandlungs- äußerliche Konkurrenz das Ende seiner
wechseln. Doch auch wenn das nicht der schnallen‘ unter Rechtfertigungsdruck. und Informationskosten – man denke Hochseepolitik beschloss, und so ein
Fall sein sollte, ein williger Geist findet Ob föderative Staatengebilde effizien- auch an die vielen Landesvertretungen mögliches Zeitalter chinesischen Kolo-
genügend Abschreckendes in Brüssel, ter sind oder doch ihre zentralistischen in Berlin – und intraexternen Kosten, nialismus verpasste. In Europa hat zur
wo mit der Verordnung 2257/94 EG der Konterparts und in welchem Maße und womit Kosten eines Bundes- oder Mit-
Krümmungsgrad von Bananen normiert unter welchen Bedingungen, damit be- gliedsstaates gemeint sind, welcher bei
wird. Am Föderalismus haftet der Makel schäftigt sich auch – Sie erraten es – die einer Entscheidungsfindung überstimmt Bastian Stein
der vermeintlichen Ineffizienz. Schei- Ökonomie. Im Folgenden soll nicht die wurde, diese Entscheidung aber durch- hat in Erfurt Staatswissenschaften mit dem
Schwerpunkt Wirtschaft und Recht studiert. Neben
tert nicht gerade die föderative USA an Ökonomische Theorie des Föderalismus setzen und mittragen muss. Beide Kos- politischem Engagement u.a. als Vorstand des
den Herausforderungen des 21. Jahrhun- in ganzer Bandbreite abgewickelt wer- ten fallen weder für die Idealtypen eines Erfurter Studierendenrates war er in verschiedenen
derts? Beweist nicht das zentralistische den. Vielmehr geht es um die Darstellung Zentralstaates, noch eines völlig unab- Unternehmensberatungen beschäftigt. Bastian Stein
gehört zum Abschlussjahrgang 2009 des Masterstu-
China mit seiner Dynamik seine Überle- wesentlicher ökonomischer Prinzipien hängigen Staates an. Und es gibt noch diengangs Politikmanagement an der NRW School of
genheit im ‚Clash of Civilizations‘ durch des Dualismus von Zentralismus und weitere Nachteile. So sind externe Effek- Governance.
Eine allegorische Reflexion
zum Thema Föderalismus
leben im schatten
gleichen Zeit Notwendigkeit, den „first movern“ Portugal und Spanien zu folgen
eine Weltenepoche geprägt. Weil die Kosten und Ergebnisse – sprich die Verant-
wortlichkeit – dezentralisierter Leistungserstellung für die Bürger eher ersichtlich
und beurteilbar sind, vermag eine Föderation tendenziell ein effizienteres Angebot
der hydra
bereitstellen. In der Sprache der Ökonomie ist es bei zentralisierten Großbürokratien
mitsamt ihrer mehr oder weniger verschlungenen und intransparenten Leitungs-
struktur schwieriger, den ‚Preis‘ ihrer Leistung zu ermitteln.
Maximilian Hösl
ist Student im Masterstudiengang Politikmanage-
ment der NRW School of Governance. Er absolvierte
ein Auslandssemester an der American University
in Washington DC und Praktika bei der NGO
Transparency International Deutschland e.V. und der
Landesgeschäftsstelle der Bündnis 90/Die Grünen
in Düsseldorf. Während seines Studiums hat er sich
auf politische Kommunikation und Konfliktforschung
spezialisiert.
Moritz Ballensiefen, der erste Absol-
vent des Promotionskollegs an der
NRW School of Governance, im Ge-
spräch über seine berufliche Tätigkeit
und die Bedeutung des Föderalismus
in seiner täglichen Arbeit.
„die landespolitik
Aus dem Leben der Hydra teilt und dies zieht der Hydra die Zähne;
sie zähmt sich ein Stück weit selbst. So
Die Hydra ist ein neunköpfiges Ungeheuer aus der griechischen Mythologie. Laut kann der liebe Herkules – also wir alle –
Überlieferung gehörte es zu ihren Lieblingsbeschäftigungen, Landstriche zu über- ein beschauliches Leben im Schatten der
sandwich-position“
nicht einmal die einfachsten Entscheidungen treffen, ohne ex ante eine tiefergehen- selbst ein und verrät durch ihren Diskurs
de interkapitale Diskussion zu führen. Der Überraschungseffekt dürfte dabei wohl von vornherein, was sie plant. Ganz arg-
nicht gerade auf der Seite der Hydra gewesen sein. Ergo: Aus dieser Perspektive be- los sollte sich der Held aber nicht dem
trachtet, kann ihre Fähigkeit zum bedrohlichen Monstrum wohl relativiert werden. Müßiggang hingeben. Die Keule sollte
Man führe sich einmal folgenden möglichen Auszug aus dem Leben einer Hydra vor er nicht gleich zu Feuerholz verarbeiten.
Augen: Es kommt eines Tages zu einem Diskurs über die Nahrungsaufnahme. Josef, Auch wenn ihm die Ohren surren vom
primus inter pares unter den Köpfen der Hydra, fordert einen Überfall auf die glück- Gezänk der vielen Köpfe, er die Verdros-
lichen Rinder der griechischen Bauern, da er gerne Fleisch isst. Christoph, Maria und senheit schon mit beiden Armen um- Moritz, du arbeitest mittlerweile als Referent für Presse und Reden im Wis-
Barbara opponieren jedoch gegen diese Forderung und haben sich verbündet – sie schlingt und ihm ein gemütliches Feuer- senschaftsministerium des Landes NRW in Düsseldorf. Was sind deine zen-
sind strikte Vegetarier. Verkompliziert wird die Lage zusätzlich durch einen pazifisti- chen tausendmal lieber wäre: Hinhören tralen Aufgaben?
schen Block in den Reihen der Köpfe. Eine verzwickte Situation, aber wer hat gesagt, sollte er trotzdem. Auch ein Ungeheuer,
dass es einfach wäre, alle Köpfe unter einen Hut zu bringen und jeden zufrieden zu das sich selbst zähmt, besitzt viel Macht- Das Referat, indem ich arbeite, gliedert sich in die drei Bereiche Presse, Reden und
stellen. Mit Blockadesituationen ist also zu rechnen, besonders dann wenn es um die potential. Da könnte es doch leicht ein- Texte. Die Fachthemen haben wir unter uns vier Referenten aufgeteilt. Ich bin
gemeinsame Aufgabenplanung geht, worunter die tägliche Nahrungsbeschaffung mal auf dumme Gedanken kommen, die schwerpunktmäßig für die Bereiche Technologie und Ingenieurnachwuchs zustän-
zu fassen ist. Die Blockadesituation wird zum inneren Konflikt oder vielmehr befin- des Herkules‘ Ruhe stören würden. In dig. Die tägliche Arbeit konzentriert sich auf die Vor- und Nachbereitung von Pres-
det sich die Hydra in ihrer eigenen Politikverflechtungsfalle. Kooperation unter den solch einem Moment ist die gute Keule seterminen, also eigentlich alles von der Einladung der Journalisten über die Orga-
Köpfen ist dringend nötig, damit die Hydra nicht verhungert. Die unterschiedlichen wieder von Nutzen und sei es auch nur nisation bis zum Monitoring der anschließenden Berichterstattung. Begleitend dazu
Interessenlagen verlangen nach umfassenden Konfliktregulierungskompetenzen. alle vier oder fünf Jahre, wenn die Hydra erstellen wir Pressemitteilungen, beantworten Medienanfragen und bereiten State-
Die Hydra muss die vielfältigen Interessen, Sichtweisen und Präferenzen Ihrer Köpfe zur Vernunft gebracht werden muss. ments für den Minister vor.
ausgleichen, muss die unterschiedlichen Charaktere integrieren und untereinander Das Spannende an dem Job ist, dass ich häufig bei den Presseterminen dabei bin –
in Aushandlungsprozesse treten, um eine Entscheidung treffen zu können. Sie muss nicht nur in Düsseldorf und im Landtag, sondern auch bei Außenterminen. Dadurch
also nach verhandlungsdemokratischen Prinzipien agieren. Im ständigen Diskurs bin ich sehr nah dran, an den Themen, den Journalisten und am Minister.
mag ein Kopf vielleicht eine dominante Stellung einnehmen. Allerdings ist er ohne
seine Kollegen nicht strategiefähig, nicht entscheidungsfähig und auch nicht hand- Welche Inhalte deines Studiums kommen dir in deiner täglichen praktischen
lungsfähig. Die Macht der einzelnen Köpfe ist also begrenzt. Es herrscht Gewalten- Arbeit besonders zugute?
teilung im Körper der Hydra.
Für mich war von großem Vorteil, dass ich bereits während meines Diplomstudi-
Wenn Herkules kein Fulltime-Held mehr sein muss ums den Schwerpunkt auf politische Kommunikation gelegt habe, was ich dann in
der Promotion noch weiter ausbauen konnte. Diese Entscheidung hat mich im Job an
Die Hydra hat jetzt nur neun Köpfe, der deutsche Föderalismus umfasst 17: 16 Länder vielen Stellen praktisch begleitet.
und den Bund als großes Ganzes. Vielfältige Interessen, die dennoch zu gemeinsamen, Besonders weiter geholfen hat mir dabei die praxisnahe Ausrichtung des Studiums.
allgemein verbindlichen Entscheidungen verdichtet werden müssen – ein langatmi- Reisen nach Berlin und Brüssel standen auf dem Stundenplan, um mit Experten aus
ges Unterfangen. Da die Macht beim deutschen Föderalismus auf mehrere Ebenen Politik und Medien zu diskutieren. Bei der Gelegenheit konnte man auch mal ganz
verteilt ist, spricht man von vertikaler Gewaltenteilung. Im Fall der Hydra wird die- unbürokratisch nach einem Praktikumsplatz oder einem Studi-Job fragen. Ich habe
ses Prinzip durch die Beziehung des Kopfes ‚Josef‘ zu seinen Kollegen deutlich, denn so schon während des Studiums für verschiedene Zeitungen arbeiten können und
er ist erster unter den eigentlich Gleichen. Insofern ist die Macht auch vertikal ver- einen Job in der Düsseldorfer Agentur PLEON ergattert. Diese Praxiserfahrungen
sind unheimlich wichtig, wenn man am Föderalismus ist das Thema der Ebene die Entscheidung kommt. betroffen ist. Das gilt auch für die Ak-
ersten Tag im Job direkt loslegen muss. zweiten HAMMELSPRUNG-Ausga- Die Landespolitik befindet sich in einer teure, denn im Zweifelsfall kennt man
Als Politikwissenschaftler haben wir ge- be. Spielt das Mehrebenensystem Sandwich-Position: zwischen dem, was eher den Bürgermeister oder Stadtrat
genüber vielen Kommilitonen einen gro- bei deiner Arbeit eine sichtbare Rol- im Bund entschieden wird, und dem, als den Landtagsabgeordneten. So abs-
ßen Vorteil. Wenn ein Jurist eine Pres- le? was direkt vor der Haustür des Bürgers trakter es dann wird, so entfernter die
semitteilung schreiben soll oder dem passiert, auf kommunaler Ebene. Lan- Entscheidungsebene ist, umso schwieri-
BWLer ein Mikrofon vor die Nase ge- Bildung ist Ländersache. Daher stehen despolitik steht dementsprechend vor ger wird es für den Bürger, die Prozesse
halten wird, dann ist das für sie zumeist wir bei vielen Themen in enger Ab- der Herausforderung, klar zu kommuni- nachzuvollziehen. Die Bundesebene ist
absolutes Neuland. Wir hingegen haben stimmung mit den anderen Bundes- zieren, was im Rahmen ihrer Möglich- eine Ausnahme: Die politische Bericht-
so etwas in Studium oder Promotion zu- ländern. Für diesen Austausch gibt es keiten liegt, was in Düsseldorf entschie- erstattung fokussiert sich hier auf eine
mindest schon mal gemacht, häufig so- verschiedene Foren, zum Beispiel den den werden kann und wer daran beteiligt Handvoll Spitzenpolitiker, die selbst
gar richtig trainiert und entsprechendes Bundesrat oder auch die Kultusminis- ist. Das ist eine der zentralen Aufgaben Prominentenstatus besitzen und damit
Feedback bekommen. terkonferenz. Dort stehen dann Dinge politischer Kommunikation und ein eine Nachricht auch für ein breites Pu-
auf der Tagesordnung wie ganz aktuell wichtiger Teil meines Jobs. blikum interessant machen. Durch die-
Welche Rolle spielt heute das Netz- die Neuregelung des Hochschulzugangs se Personalisierung können auch eher
werk aus ehemaligen Kommilitonen für beruflich Qualifizierte und Hand- Hat die Landespolitik bei ihrer Kom- politikferne Schichten erreicht werden.
und Kollegen, das du dir an der Uni- werksmeister. Durch die gemeinsamen munikation Nachteile gegenüber der Klar, die RTL2 News bereiten eine poli-
versität aufgebaut hast? Beschlüsse wird es für Studieninteres- Bundes- und Kommunalebene? tische Nachricht anders auf als die Tages-
senten ohne Abi nicht nur einfacher, ein themen, aber beide Formate haben ihre
Eine sehr große Rolle! Zum einen sind Studium an Uni oder FH aufzunehmen, Der Platz, den Medien für politische Zielgruppe.
einige ehemalige Kommilitonen beruf- sondern auch während des Studiums in Themen reservieren, ist beschränkt. Also Für die Landespolitik ist dieser Medien-
lich auch hier in Düsseldorf und im po- ein anderes Bundesland zu wechseln. nehmen die Journalisten täglich ein Ran- wandel eine Chance, wenn sie es schafft,
litischen Umfeld tätig – in Agenturen, Bei solchen Themen ist die Abstimmung king nach Nachrichtenwertkriterien vor, schneller als die anderen politischen Ak-
Parteien, Landtagsfraktionen oder auch unter den Ländern enorm wichtig. doch dabei fallen landespolitische The- teure passende Kommunikationsinstru-
in Ministerien. Da haben wir natürlich men häufig unten raus. Deshalb ist es für mente zu entwickeln. Der Haupttrend
schon über unsere Jobs viele Berüh- Vor welchen Herausforderungen politische Kommunikation auf Landes- der neuen Medien heißt Visualisierung:
rungspunkte und ich kann von meinem steht die politische Kommunikation ebene besonders wichtig, professionell, Bilder vereinfachen, ihre Botschaft wird
direkten Draht profitieren. Zudem haben auf Landesebene? Kommt es etwa schnell und zuverlässig zu arbeiten, um schnell aufgenommen und sie bleiben
wir so eine Art Stammtisch eingerichtet, vor, dass ihr für Entscheidungen ver- selbst Themen zu setzen und als Akteur lange in Erinnerung. Wer es schafft, Bil-
an dem wir uns noch regelmäßig treffen antwortlich gemacht werdet, die eine wahrgenommen zu werden. Dazu ist es der nicht nur zur persönlichen Imagebil-
und uns austauschen. Zum anderen habe andere Ebene getroffen hat? sicher hilfreich zu wissen, wie Redak- dung einzusetzen, sondern um Inhalte
ich auch noch intensiven Kontakt zu tionen funktionieren und Journalisten zu transportieren, besitzt einen enormen
meinen ehemaligen Kollegen am Lehr- Die zentrale Aufgabe politischer Kom- arbeiten. Vorteil. Dies bedeutet andererseits aber Dr. Moritz Ballensiefen
stuhl, vor allem über die ‚Forschungs- munikation in einem Mehrebenensys- auch: ohne Bild keine Nachricht. hat in seiner Promotion an der NRW School
gruppe Regieren‘. Außerdem habe ich tem ist es, dem Bürger politische Ent- Es gibt also nicht etwa eine Hierar- of Governance mit dem Titel „Bilder machen
Sieger“ den Wandel der politischen Kommuni-
während meiner Promotion auch Semi- scheidungen transparent zu vermitteln: chie der Themen – von oben nach un- kation und die Wirkung von Politikerfotos am
nare an der Uni gegeben und stehe bis Wer trägt die Verantwortung für eine ten, also von EU-Ebene bis hinunter Beispiel des Bundestagswahlkampfs 2005
heute mit einigen Studierenden in sehr bestimmte Entscheidung? Wie ist sie zur Kommune? untersucht. Zuvor studierte er Politikwissen-
engem Kontakt. Ich kann so ein wenig zustande gekommen? Die Herausfor- schaft und Psychologie an der Universität
ihren Werdegang verfolgen und ihnen derung liegt darin, die komplexen poli- Nein, kommunalpolitische Themen Duisburg-Essen sowie der University of Ports-
mouth. Zudem arbeitete er als freier Journalist
als Ansprechpartner zur Verfügung ste- tischen Prozesse so zu kommunizieren, laufen eigentlich immer, weil sie vor
sowie als Mitarbeiter der PR-Agentur PLEON.
hen. Mir war das jedenfalls sehr wichtig, dass sie für den Bürger nachvollziehbar der Haustür stattfinden. Das Verständ- Seit 2008 ist er Pressereferent im Ministerium
den Kontakt zu allen Seiten zu behalten, werden. Und dazu gehört sicher auch, nis und Interesse ist da viel größer, weil für Innovation, Wissenschaft, Forschung und
auch nach dem Ausscheiden aus der Uni. deutlich herauszustellen, von welcher der Bürger von Entscheidungen selbst Technologie des Landes NRW.
HAMMELSPRUNG Magazin für politische Entscheidungen.
Ausgabe 02 / Frühjahr 2010. Kostenlose Abgabe.
Der HAMMELSPRUNG ist eine Kooperation von Studierenden und Absolventen der NRW School of Governance (Universität Duisburg-
Essen), des Fachbereich Design der Fachhochschule Düsseldorf und der Fachhochschule Dortmund.
redaktion Henning Becker, Alice Berger, Niko Böckly, Alexander Gutmann, Maximilian Hösl, Andrés Mendez Inclan, Matías Kraemer, Benjamin
Liebsch, Janina Latzke, Ines Olejnik, Matthäus Schlummer, Anna von Spizack und Bastian Stein (Studierende und Absolventen des
Master-Studiengangs Politikmanagement, Public Policy und öffentliche Verwaltung).
gastautoren Prof. Dr. Andreas Blätte, Dipl.-Soz.-Wiss. Simon Wiegand, Stefen Vorderstraße M.A., Mirco Rolf, Jan Schoofs.
Die Redaktion sucht interessierte Gastautoren!
danksagung Herzlichen Dank an Marvin Bender, Prof. Dr. Andreas Blätte, Marek Gehrmann, Nico Grasselt, Heinz-Jürgen Hacks, Claudia Hertel,
Markus Hoffmann, Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte, Marion Steinkamp, Dr. Bernhard Thunemeyer, Simon Wiegand, Anita Weber und Stefan
Zowislo für ihre Unterstützung.
Die Redaktion bedankt sich zudem herzlich bei ihren Interviewpartnern: Stefan Aust, Christian Lindner, Adolf Sauerland und Jürgen
Trittin.
bildnachweise Alle großformatigen Fotos in diesem Magazin: Sabine Meyer (Seiten 6, 14, 18, 28, 32, 50, 64) und Heide Prange (Seiten 10, 24, 36, 46,
54, 70). Alle weiteren: die jeweiligen Autoren und Gesprächspartner.
auflage 600 Exemplare. Der HAMMELSPRUNG erscheint parallel als PDF-Dokument auf http://hammelsprung.nrwschool.de
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