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KERNFUSION
ITER
Max-Planck-Institut für Plasmaphysik • Boltzmannstraße 2 • 85748 Garching • Telefon: +49 (0) 89/32 99-01 • Internet: www.ipp.mpg.de
Forschungszentrum Karlsruhe GmbH • Postfach 3640 • 76021 Karlsruhe • Telefon: +49 (0) 72 47/82 54 61 • Telefax: +49 (0) 72 47/82 54 67 • Internet: www.fzk.de/fusion
Forschungszentrum Jülich GmbH • 52425 Jülich • Telefon: +49 (0) 24 61/61-0 • Telefax: +49 (0) 24 61/61-54 52 • Internet: www.fz-juelich.de Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, Forschungszentrum Karlsruhe GmbH, Forschungszentrum Jülich GmbH
Zu technischen Fragen: Zu sozio-ökonomischen Fragen:
Kernforschungszentrum Karlsruhe (Hrsg.): Hörning, Georg; Keck, Gerhard; Lattewitz,
Nachrichten – Werkstoffe für hohe Belastun- Florian: Fusionsenergie – eine akzeptable
gen. 31. Jahrgang, 1/1999. Energiequelle der Zukunft? Eine sozialwissen-
schaftliche Untersuchung anhand von Fokus-
Kernforschungszentrum Karlsruhe (Hrsg.): gruppen. Akademie für Technikfolgenabschät-
Nachrichten – Technik für die Kernfusion, 29. zung in Baden-Württemberg, Arbeitsbericht
Jahrgang, 1/1997. Nr. 145, August 1999.
Raeder, Jürgen; Bünde, Rolf; Dänner, Wolf- Lako, P.; Ybema, J. R.; Seebregts, A. J.: Long-
gang; Klingelhöfer, Rolf; Lengyel, Lajos; term scenarios and the role of fusion power.
Leuterer, Fritz; Söll, Matthias: Kontrollierte Netherlands Energy Research Foundation
Kernfusion. Grundlagen ihrer Nutzung zur (ECN), ECN-C-98-095, Februar 1999.
Energieversorgung. Stuttgart 1981.
Hamacher, Thomas et al.: A comprehensive
Forschungszentrum Karlsruhe (Hrsg.): Nach- evaluation of the environmental external costs
richten – Technologien für die Kernfusion, 36. of a fusion power plant, in: Fusion Engineering
Jahrgang, 1/2004 and Design 56-57, 2001, Seite 95-103.
W. Bahm et.al., Entwicklung von Technolo- Hender, T. C.; Knight, P. J.; Cook, I.: Key issu-
gien für die Kernfusion im Forschungszentrum es for the economic viability of magnetic fusi-
Karlsruhe, atw, 47. Jg. (2002), Heft 2 (Teil I) on power, in: Fusion Technology, Band 30,
und Heft 3 (Teil II) Dezember 1996, Seite 1605-1612.
2
Inhalt
Vorwort 5
1. Das Fusionskraftwerk 7
3
6. Experimentelle Fusionsanlagen 51
6.1. Auf dem Weg zum Fusionskraftwerk 51
6.2. Internationale Zusammenarbeit 56
6.3. Der nächste Schritt: ITER 59
8. Literaturhinweise 144
4
Vorwort
5
(Foto: FZJ)
(Foto: IPP)
6
1. Das Fusionskraftwerk
Langfristiges Ziel der Fusionsfor- Ausgangspunkt ist ein extrem dünnes tor“-Prinzip verfolgt. Beide werden
schung ist ein Strom lieferndes Gasgemisch aus schwerem (Deute- in Kapitel 2.4 näher erläutert
Fusionskraftwerk. Sein Aufbau und rium) und überschwerem Wasserstoff
seine Funktionsweise sind in Abb. 1 (Tritium) bei einem Druck, der etwa Die im heißen Plasma einsetzenden
und Abb. 2 dargestellt (die im Fol- ein 250.000tel des Atmosphären- Fusionsreaktionen setzen hochener-
genden genannten Ziffern in Klam- drucks an der Erdoberfläche ent- getische Heliumkerne und Neutronen
mern beziehen sich auf diese Ab- spricht. Der rund 1000 Kubikmeter frei. Die geladenen Heliumkerne kön-
bildung). Ein torusförmiger Vakuum- fassende Vakuumbehälter enthält da- nen den „magnetischen Käfig“ nicht
behälter (4) übernimmt die Rolle des mit nur wenige Gramm des Deute- verlassen. Sie geben ihre Energie
Kessels in einem konventionellen rium-Tritium-Brennstoffs. durch Stöße an die Plasmateilchen
Kraftwerk, das mit Öl, Kohle oder ab, wodurch sich das Plasma weiter
Gas befeuert wird oder des Druckbe- Eine Startheizung pumpt für einige aufheizt, bzw. auf Betriebstemperatur
hälters in einem Kernkraftwerk: Hier Sekunden eine Leistung von 50 bis gehalten wird. Die elektrisch neutra-
wird nutzbare Wärme erzeugt. 100 Megawatt in die Brennkammer, len Neutronen jedoch dringen durch
wodurch das Brenn- die Erste Wand und werden im an-
1 Plasma 10 Biologischer Schild
stoffgemisch auf etwa grenzenden Blanket (2) abgebremst.
2 Blanket 11 Deuteriumzufuhr 100 Millionen Grad Die dabei entstehende Wärme wird
3 Divertor 12 Zufuhr des erbrteten aufgeheizt wird und in über ein Kühlmittel, zum Beispiel
4 Vakuumbehlter Tritiums den Plasmazustand (1) Helium (15, 16), in einen konventio-
5 Torodalfeldspulen 13 Heliumabfuhr übergeht. Derzeit ge- nellen Wärmekreislauf eingespeist.
6 Poloidalfeldspulen 14 Tritium und Deuterium nutzte Heizmethoden Die Stromproduktion geschieht dann
7 Transformator-Primrwicklung Rckfhrung
sind Neutralteilchen- wie in einem konventionellen Kraft-
8 Krypostat 15 Khlmittelzufuhr
injektion, Hochfrequ- werk durch eine Turbine mit nach-
9
ffnung 16 Khlmittelabfuhr
enz- und Strom-Hei- geschaltetem Generator.
zung, die in Kapitel 3.1
ausführlich dargestellt Vakuumbehälter, Blanket und Ma-
werden. gnete befinden sich innerhalb des
Kryostaten (8), der von einem biolo-
Um Berührungen mit gischen Schild (10) umschlossen ist.
der Innenwand des Der Brennstoff Tritium wird im
Vakuumbehälters, der Blanket durch Neutroneneinfang aus
so genannten Ersten Lithium erbrütet, mittels Spülgas
Wand, zu vermeiden, ausgetrieben, mit Deuterium ver-
wird das heiße Plasma mischt und in das brennende Plasma
durch starke Magnet- zurückgeführt (11, 12). Die „Asche“
felder eingeschlossen der Kernfusion, das Edelgas Helium,
(5; 6). Die in der Grafik wird über den Divertor (3) abgesaugt
gezeigte Anlage folgt und entsorgt, wobei das mitgeführte
dem „Tokamak“-Bau- Deuterium-Tritium-Gemisch abge-
prinzip. Alternativ da- trennt und in das Plasma zurück
zu wird das „Stellara- geleitet wird (14).
7
Abb. 2:
Das Fusionskraftwerk der Zukunft (außen)
(Grafik: FZK)
8
2. Grundlagen der Kernfusion
2.1. Plasmaphysik
Energie kann weder aus dem Nichts Die Kernbausteine Proton und Neu-
erzeugt werden, noch kann man tron sind bei den Elementen des
Energie vernichten. Das fundamenta- Periodensystems verschieden stark
le physikalische Prinzip der Energie- aneinander gebunden. Die Kurve der
erhaltung bedeutet, dass Energie in Bindungsenergie zeigt ein ausgepräg-
einem abgeschlossenen System in tes Minimum (Abb. 1). Diese Eigen-
ihrer Summe konstant bleibt. Sie schaft der Materie lässt die Energie-
kann lediglich von einer Form in eine erzeugung durch zwei vollkommen
andere umgewandelt werden – zum
Beispiel mit dem Ziel, sie besser
nutzbar zu machen. Masse ist gemäß D Deuterium Abb. 1:
FUSION
He Helium Die Kernbausteine
der Einstein-Formel E = mc2 eine der T Tritium
vielen möglichen Erscheinungsfor- Li Lithium Proton und Neutron
U Uran sind bei den Elemen-
men von Energie. Bei Kraftwerken,
Bindungsenergie pro Nukleon
Quantenmechanisch
Abb. 2:
Die Quantenphysik macht
mit dem Tunneleffekt und
den überaus starken
Kernbindungskräften die Abstand zwischen den Kernen
Kernfusion erst möglich.
(Grafik: FZJ)
Kann Kernfusion überhaupt funktio- Die Coulomb-Barriere hat also eine gen und dann miteinander verschmel-
nieren? Im Bild der klassischen endliche Höhe, die – bei genügend zen. Dieser Mechanismus setzt die
Physik stoßen sich gleichnamige hoher Energie der Kerne – überwun- zur Fusion notwendige Temperatur
elektrische Ladungen nämlich gegen- den werden kann, siehe Abbildung 2. auf die Größenordnung von technolo-
seitig ab, und zwar um so heftiger, je Eigentlich sind die dazu notwendigen gisch handhabbaren 100 Millionen
näher sie sich kommen. Dies gilt Energien unerreichbar: Mehr als eine Grad herab. Die Kombination von
auch für die positiv geladenen leich- Milliarde Grad müsste die zu ver- Tunneleffekt und den überaus starken
ten Atomkerne, die eigentlich ver- schmelzende Materie heiß sein. Hier Kernkräften macht die Kernfusion
schmelzen sollen. Die Quantenphysik hilft die Quantenphysik, und zwar in überhaupt erst möglich.
ändert diese Situation jedoch grund- Form des so genannten „Tunnel-
legend. Die elektrostatische Absto- effekts“: Der Aufenthaltsort eines Unter allen denkbaren Kombinati-
ßung – die so genannte „Coulomb- atomaren Teilchens ist nicht beliebig onen leichter Atomkerne, die theore-
Barriere“ – wird bei sehr kleinen genau bestimmbar; vielmehr gibt es tisch verschmelzen können (siehe
Abständen, die in der Größenordnung lediglich Wahrscheinlichkeiten dafür, Abb. 3), ist die Deuterium-Tritium-
der Kerndurchmesser liegen, von den dass sich das Teilchen an gewissen Fusion am interessantesten: Sie ist
anziehend wirkenden Kernkräften Orten befinden kann. Ein leichter einhundert mal ergiebiger als alle an-
überwogen: Die sich einander annä- Atomkern kann sich somit auch jen- deren Reaktionen und sie benötigt die
hernden Kerne spüren jetzt eine star- seits der Coulomb-Barriere befinden, „tiefste“ Temperatur: rund 100 Milli-
ke gegenseitige Anziehung durch die ohne sie „über den Gipfel“ überwun- onen Grad. Die Deuterium-Tritium-
Kernkräfte. den zu haben. Es sieht so aus, als ob Reaktion ist also der Vorzugskan-
die Kerne über einen Quantentunnel didat, wenn es darum geht, die Kern-
durch die Coulomb-Barriere gelan- fusion auf der Erde in Gang zu setzen.
Abb. 3:
1
Relative Ergiebigkeiten bzw. Leistungs-
dichten verschiedener Kernfusionsreaktionen:
Relative Fusionsleistungsdichte
0,0001
10 100 1000
10
Tritium
Helium Abb. 4:
Beim Zusammenstoß
eines Deuterium-
und eines Tritium-
kerns bilden sich ein
Heliumkern und ein
Neutron. Beide Reak-
Neutron tionsprodukte besitzen
Deuterium
eine hohe Bewegungs-
energie, die einerseits
zur Aufheizung der
Fusionsmaterie (He)
und andererseits zur
elektrischen Energie-
produktion im
Kraftwerk (n) genutzt
werden kann.
2.2. Die Deuterium-Tritium-Reaktion (Grafik: FZJ)
Deuterium und Tritium sind Isotope Abbildung 4 zeigt die Deuterium-Tri- nig natürliches Tritium auf der Erde,
des Wasserstoffs: Sie haben als ge- tium-Reaktion im Detail. Man er- da es sehr schnell radioaktiv zerfällt.
meinsames Merkmal je ein Proton, kennt sofort zwei wesentliche Vor- Im Kraftwerk muss das benötigte
jedoch unterschiedlich viele Neutro- teile. Erstens: Beide Endprodukte der Tritium daher aus anderen Atomkernen
nen. Man bezeichnet Deuterium (D, Reaktion (Helium und Neutron) sind durch Umwandlungsreaktionen erst
ein Neutron) auch als „schweren nicht radioaktiv. Helium ist zudem erzeugt bzw. „erbrütet“ werden. Kon-
Wasserstoff“ und Tritium (T, zwei ein chemisch reaktionsarmes und kret lässt der Neutronenbeschuss des
Neutronen) als „überschweren Wasser- harmloses Edelgas. Und zweitens: Es Elements Lithium das gewünschte
stoff“. Der normale Wasserstoff be- kann grundsätzlich keine Kettenreak- Tritium – und zusätzlich einen weiteren
sitzt kein Neutron. Bei der Ver- tion geben, weil vier unterschiedliche Heliumkern – entstehen, siehe Bild 5.
schmelzung bilden die Reaktionspart- Arten von atomaren Teilchen an der Das Neutron kann dabei aus der
ner D und T für sehr kurze Zeit einen Reaktion beteiligt sind: Die End- Deuterium-Tritium-Fusionsreaktion
instabilen Zwischenkern, der unter produkte können die Reaktion nicht genommen werden, bevor seine kine-
Energiegewinn schließlich in einen wieder in Gang setzen. Schon durch tische Energie in Wärme umgewan-
Heliumkern (He) und in ein Neutron bloßes Abschalten der Gaszufuhr hat delt wird. Die eigentlichen Rohstoffe
(n) zerfällt. Die nutzbare Energie, die man die jederzeitige Kontrolle über der Kernfusion sind daher Deuterium
dieser Umwandlungsprozess hervor den Energieerzeugungsprozess: Ein und Lithium.
bringt, steckt in den Reaktionspro- „Durchgehen“ der Reaktion ist aus
dukten: Es ist deren Bewegungsener- physikalischen Gründen ausgeschlos- Der notwendige Tritium-Brutprozess
gie – auch kinetische Energie genannt. sen. In diesem Sinn ist die Kernfu- stellt einen weiteren Sicherheitsvor-
Der Heliumkern trägt 3,5 Millionen sion inhärent sicher. teil dar: Anstatt diesen radioaktiven
Elektronenvolt mit sich davon, das Brennstoff in großen Mengen für den
Neutron den Löwenanteil von 14 Der Brennstoff Tritium ist ein radio- Kraftwerksbetrieb vorhalten bzw. lagern
Millionen Elektronenvolt. Ihn gilt es, aktives Isotop des Wasserstoffs. Er ist zu müssen, wird er lediglich in derart
in die praktisch nutzbare Energie- ein Betastrahler – sendet also Elek- kleinen Mengen frisch erzeugt, die ge-
form der Elektrizität umzuwandeln. tronen aus – und hat eine relativ kurze rade verlangt werden. Auf diese Weise
Der Heliumkern wird dagegen zur Halbwertszeit von lediglich 12,3 Jahren. kann das radioaktive Inventar eines Fu-
Aufheizung bzw. zum Temperatur- Dies bedeutet: Es gibt nur extrem we- sionskraftwerks klein gehalten werden.
erhalt der Fusionsmaterie genutzt.
Ein Elektronenvolt ist diejenige Be-
wegungsenergie, die ein Elektron ge- Abb. 5:
winnt, wenn es in einem elektrischen Der Neutronenbeschuss Lithium 6 Helium
Feld mit einer Spannung von einem von Lithium erzeugt das
Volt beschleunigt wird. benötigte Tritium in
einem Brutprozess.
Reaktionen sind mit
beiden in der Natur vor-
kommenden Lithium-
Isotopen 6Li und 7Li
Neutron Tritium
möglich.
(Grafik: FZJ)
11
Gas Plasma
Abb. 6:
Übergang vom Gas
zum Plasmazustand.
(Grafik: FZJ)
Energiezufuhr
Atomkern
Elektron
100 Millionen Grad heiße Plasma- mateilchen sich ohne Magnetfeld un- die Wand des Experimentgefäßes
Materie muss man gut isolieren, da- geordnet und regellos in alle Rich- kann nur noch sehr schwer erreicht
mit sie nicht abkühlt und damit sie tungen – auch zerstörerisch auf die werden – nämlich nur durch Zusam-
keinen Schaden anrichtet. Dabei ist umgebenden Wände zu – bewegen, menstöße der Teilchen untereinander,
von Vorteil, dass Plasmen aus elek- führt bereits das Anlegen eines einfa- die dadurch abgelenkt werden, eine
trisch geladenen Partikeln bestehen: chen homogenen Magnetfelds dazu, andere Richtung einschlagen und
Sie lassen sich nämlich durch Mag- dass die Plasmateilchen auf Spiral- quasi von einer Magnetfeldlinie zur
netfelder beeinflussen bzw. ablenken. bahnen um die Magnetfeldlinien he- anderen springen. Ein unsichtbarer
Konkret erfahren geladene Teilchen rum gezwungen werden. Damit ist Magnetfeldkäfig führt in Folge zu ei-
eine Kraft senkrecht zum Magnetfeld ihre Bewegung fast nur noch parallel nem Einschluss des Plasmas und zu
und senkrecht zu ihrer momentanen zum Magnetfeld möglich; senkrecht einer Minimierung des Plasma-
Bewegungsrichtung. Während Plas- dazu ist sie sehr stark behindert und Wand-Kontakts, siehe Abb. 8.
Bild 8:
Grundprinzip des
magnetischen
Einschlusses.
(Grafik: FZJ)
13
Transformator- Transformator-
joch spulen
Toroidalfeld-
spulen
14
2.4.2. Der Stellarator
Der Stellarator (von „Stella“, lat. der im Plasma und damit auch ohne nik, den Maschinenbau und die Elek-
Stern) ist das älteste Konzept zur Er- Transformator aus. Er kann daher im trotechnik stellt. Durch die Aufgabe
forschung der Kernfusion und wurde Prinzip stationär arbeiten. Auch ein der Axialsymmetrie gewinnt man aber
bereits Mitte der 50er Jahre des letz- Vertikalfeld – wie beim Tokamak auch zusätzliche Freiheiten, das Mag-
ten Jahrhunderts von dem Astrophy- stets vorhanden – ist nicht nötig. netfeld zu formen und damit seine Ei-
siker Lyman Spitzer in Princeton/ genschaften einer Optimierung zu-
USA in seinen Grundzügen konzi- In einem Stellarator wird der magneti- gänglich zu machen. Für ein Fu-
piert. Er kann – im Gegensatz zu To- sche Käfig also allein durch ein Spu- sionskraftwerk könnten Stellaratoren
kamaks – von vornherein im Dauer- lensystem erzeugt, siehe Abb. 10. Der eventuell eine technisch einfachere
betrieb arbeiten: In einem Stellarator Verzicht auf den ringförmigen Plas- Lösung darstellen als Tokamaks.
wird die zum stabilen Plasmaein- mastrom bedeutet jedoch die Aufgabe
schluss auch hier notwendige schrau- der bei Tokamaks vorhandenen Axial- Stellarator-Forschung betreibt in der
benförmige Verdrillung der magneti- symmetrie. Plasma und Magnetspulen Helmholtz-Gemeinschaft das Max-
schen Feldlinien ausschließlich durch besitzen beim Stellarator eine sehr Planck-Institut für Plasmaphysik,
äußere Spulen erzeugt. Ein Stella- komplizierte geometrische Form, was Teilinstitut Greifswald (Experiment
rator kommt also ohne einen Strom erhöhte Anforderungen an die Mecha- Wendelstein 7-X).
Abb. 10: Das Stellarator-Prinzip: einschließendes Helikalfeld ohne Plasmastrom. (Grafik: IPP)
Magnetspule
Magnetfeldlinie
Plasma
15
2.5. Instabilitäten
16
Maximal zulssige
Verunreinigungskonzentration
2.6. Verunreinigungen
17
18
3. Technologie für das
Fusionskraftwerk
3.1. Plasmaheizung und Stromtrieb
In einem Tokamak wird durch einen aus, um die zur Zündung notwendigen ren. Daher kann ein Tokamak zu-
Transformator mit zeitlich veränder- Temperaturen zu erzielen. Zur weite- nächst mit reiner Stromheizung nur
lichem Fluss ein Strom im Plasma ren Heizung sind zusätzliche Heiz- gepulst betrieben werden. Für den
induziert (siehe Kapitel 2.4.1), der verfahren notwendig. stationären Betrieb eines Tokamaks
auf zweifache Art genutzt wird: Zum müssen andere Techniken zur Erzeu-
einen trägt das erzeugte Poloidalfeld Zur Erzeugung des Plasmastromes ist gung des Plasmastroms, der so ge-
zum Plasmaeinschluss bei, zum ande- eine zeitliche Veränderung des pri- nannte nicht induktive Stromtrieb,
ren wird das Plasma aufgrund seines mär-seitigen Stromes, d.h. des Stro- genutzt werden.
elektrischen Widerstandes aufge- mes in der Transformatorspule, erfor-
heizt. Bei höheren Temperaturen derlich. Bei Erreichen des magneti- Im Stellarator dagegen ist kein Plas-
sinkt jedoch der Widerstand im Plas- schen Maximalwertes kann der mastrom nötig und die Stromheizung
ma ab, bei etwa 15 Millionen Grad ist Transformator den Plasmastrom nicht daher nicht anwendbar, so dass ande-
er praktisch Null. Daher reicht diese mehr aufrechterhalten, er wird zu- re Heizsysteme herangezogen werden
Stromheizung allein bei weitem nicht rück- und erneut wieder hochgefah- müssen.
19
3.1.2. Die Neutralteilchenheizung
Mit der Neutralteilchenheizung wer- rate für Energien über rund 200 Kilo-
den schnelle Atome in das Plasma ge- elektronenvolt kaum von der Energie
schossen, die im Plasma ionisiert und ab und beträgt etwa 60 Prozent.
eingefangen werden. Die so entstan- Daher werden zur Erzeugung hoch-
denen hochenergetischen Ionen über- energetischer Neutralteilchenstrahlen
tragen ihre Energie durch Stöße mit negative Ionenquellen eingesetzt. Die
den Plasmateilchen auf das Plasma. heutige Entwicklung befasst sich da-
her vornehmlich mit negativen
Ein Neutralteilchenheizungssystem Ionenquellen sowie mit der Rück-
besteht aus einer Ionenquelle, einer wandlung der kinetischen Energie
Beschleunigungsstrecke, einem Neu- der nicht neutralisierten Ionen in
tralisator und einer großen Eingangs- elektrische Energie.
öffnung im Plasmagefäß. Damit sie
das Magnetfeld durchdringen kön- Ein Nachteil der Neutralteilchenhei-
nen, müssen die beschleunigten Ionen zung besteht darin, dass durch die
neutralisiert werden. Die nicht neu- zusätzlich eingeschossenen Teilchen
tralisierten Ionen werden durch Ab- die Plasmadichte am Einschussort
lenkmagnete oder ein elektrostati- steigt, und daher Teilchendichte und
sches Ablenksystem entfernt. Temperatur nicht unabhängig vonein-
ander sind. Zudem müssen sich die
Mit steigender Geschwindigkeit sinkt Ionenquellen in der Nähe des Plas-
für positiv geladene Ionen der Wir- magefäßes befinden. Durch diese ge-
kungsgrad für die Neutralisation rade Verbindung zum Plasma – ohne
stark ab, bei 300 Kiloelektronenvolt abdichtendes Fenster – sind die
auf etwa 16 Prozent, so dass eine Ionenquellen in einem Kraftwerk di-
effiziente Heizung immer schwieri- rekter Neutronenstrahlung ausge-
ger wird. Dagegen hängt bei negativ setzt, außerdem ist keine Barriere ge-
geladenen Ionen die Neutralisations- gen eindringendes Tritium möglich.
20
Hochfrequenzheizmethoden nutzen
resonante Wechselwirkungsmecha-
nismen zwischen der elektromagneti-
schen Welle und den geladenen Plas-
mateilchen aus. Die Welle überträgt
dabei Energie auf die Ionen bzw.
Elektronen: Die Temperatur des Plas-
mas wird erhöht. Es gibt drei ver-
schiedene Methoden zur hochfre-
quenten Plasmaheizung bzw. zum
Plasmastromtrieb, die sich jeweils in
der benutzten Frequenz und in der
3.1.3. Die Hochfrequenz-Heizung Art der Ankopplung an das Plasma
unterscheiden:
21
Abb. 2: Energieübertragung zwischen Surfer und Welle. (Grafik: S+D Hammer)
3.1.3.1. Ionenzyklotron-Resonanzheizung
Bei der Ionenzyklotron-Resonanzhei- geheizt wird. Als negative Folge füh- se wiederum heizen das eigentliche
zung wird Energie des elektromagne- ren Verunreinigungen aus dem An- Plasma durch Stöße. Man nennt die-
tischen Feldes einer Radiowelle auf tennenmaterial zu einer Verschlech- sen Vorgang „Minoritätenheizung“.
die Plasmaionen übertragen. Diese terung des Plasmaeinschlusses durch
Methode ist die zurzeit gebräuchlich- Energieverlust. Dieser Einfluss nimmt Ein weiterer Mechanismus zur An-
ste Art der Hochfrequenzheizung; ih- quadratisch – teils sogar noch inten- kopplung der elektromagnetischen
re Effektivität ist bereits in vielen siver – mit der Ordnungszahl der ver- Welle an das Plasma ist die Aufhei-
Tokamaks und neuerdings auch in unreinigenden Elemente zu. Durch zung über den Effekt der so genann-
Stellaratoren nachgewiesen worden. den Einsatz von Materialien niedriger ten Landau-Dämpfung. Diese Art der
Ordnungszahl – wie Beryllium, Bor Energieübertragung lässt sich in etwa
Die Erzeugung der für die Ionenzyk- und Kohlenstoff – bzw. durch Be- mit der Situation eines Surfers auf
lotron-Resonanzheizung notwendi- schichtung der Antennenoberfläche dem Meer vergleichen (siehe Abb. 2).
gen Senderleistungen von zwei bis mit diesen Materialien wird das Prob-
teils weit mehr als zehn Megawatt ist lem weitgehend reduziert. Um von der Welle mitgenommen zu
Stand der Technik. Tetroden, wie sie werden, muss er sein Brett annähernd
auch in Kurzwellenrundfunksendern Wählt man die Frequenz der Ionen- auf die Geschwindigkeit der Welle
eingesetzt werden, liefern heute ty- zyklotron-Resonanzheizung gleich bringen, andernfalls würde er nur auf
pisch zwei Megawatt pro Röhre. Die der Rotationsfrequenz der Plasmaio- und ab schaukeln. Ist er aber nur ein
Zuführung der Hochfrequenzleistung nen im einschließenden Magnetfeld – wenig langsamer als die Welle, so
zum Plasma erfolgt in koaxialen der so genannten Zyklotron- oder wird er mitgezogen – und die Welle
Rohrleitungen, die Antenne ragt zum Larmorfrequenz –, dann wird der überträgt Energie auf den Surfer. Ist
Beispiel in Form einer Schleife elektromagnetischen Welle Energie er jedoch ein wenig schneller als die
wandnah in die Plasmakammer. Zur entzogen und auf die Ionen übertra- Welle, dann gibt er Energie an die
Vermeidung von Kurzschlüssen durch gen. Der zugrunde liegende resonan- Welle ab.
das Randschichtplasma ist ein elek- te Mechanismus ist die nahezu syn-
trostatischer Schirm um die Anten- chrone Rotation von elektrischem In einem heißen und dichten Plasma
nenschleife erforderlich. Abgestrahl- Feldvektor und Plasmaionen. Dies wird die Landau-Dämpfung als einer
te Leistungsdichten liegen dabei in funktioniert ebenfalls bei ganzzahli- der wesentlichen Absorptionsmecha-
der Größenordnung von 0,5 Kilowatt gen Vielfachen der Larmorfrequenz, nismen elektromagnetischer Wellen
pro Quadratzentimeter. den so genannten Harmonischen; ins- angesehen. Da hierbei nicht nur
besondere bei dichten Plasmen ist Energie sondern auch Impuls übertra-
Im Vakuumbereich am Rand des diese Art der Heizung besonders effi- gen wird, eröffnet dies zudem die
Plasmas werden die elektromagneti- zient. In Plasmen mit niedriger Dichte Möglichkeit des nichtinduktiven
schen Wellen der Ionenzyklotron- kann die Hochfrequenzenergie auch Stromtriebes, der zum kontinuierli-
Resonanzheizung stark gedämpft. Die durch andere Ionen (zum Beispiel chen Betrieb eines Tokamaks notwen-
Antenne muss sich daher sehr nahe Wasserstoff oder Helium-3), die in ge- dig ist.
am Plasma befinden – mit dem Nach- ringen Konzentrationen beigefügt
teil, dass sie mit dem Randschicht- werden, bei deren jeweiliger Zyklo-
plasma in Berührung kommt und auf- tronfrequenz absorbiert werden. Die-
22
3.1.3.2. Heizung und Stromtrieb
bei der unteren Hybridfrequenz
Als Generatoren für die untere Hy- schwindigkeit der unteren Hybrid-
bridfrequenzheizung stehen so ge- welle synchron mit der entsprechen-
nannte Klystrons zur Verfügung: Sen- den Geschwindigkeitskomponente der
deröhren, die im Frequenzbereich 1 Elektronen laufen. Bei hoher Elektro-
bis 8 Gigahertz Leistungen bis zu nentemperatur ist die Dämpfung aller-
etwa einem Megawatt liefern. Die er- dings so stark, dass die Welle das Zen-
zeugte Hochfrequenzenergie wird trum des Plasmas nicht mehr erreicht.
mittels Rechteckhohlleitern zur An-
tenne am Plasmarand übertragen. Durch die Landau-Dämpfung der un-
teren Hybridwellen wird – stärker noch
Im Gegensatz zu den Einzelteilchen- als bei der Ionenzyklotron-Resonanz-
Heizmechanismen (ICRH und ECRH) heizung – ein kontinuierlicher Strom-
erfolgt die Wechselwirkung der unte- trieb erreicht. Dieser vom Transfor-
ren Hybridfrequenzheizung über kol- matorprinzip unabhängige Mecha-
lektive Plasmaschwingungen, die Ionen nismus für Stromtrieb stellt das zur-
und Elektronen ausführen. Die Reso- zeit effizienteste System für Toka-
nanzfrequenz dieser Schwingungen maks dar und ist auch für ITER vor-
ist in guter Näherung durch den geo- gesehen. Zusammen mit einem druck-
metrischen Mittelwert der Zyklotron- getriebenen Bootstrap-Strom soll auf
frequenzen von Elektronen und Ionen diese Weise der kontinuierliche Betrieb
gegeben. eines Tokamaks ermöglicht werden.
23
3.1.3.3. Elektronen-Zyklotron-Resonanzheizung
und -Stromtrieb
Elektronenkanone Magnetspule
Strahltunnel
Resonator Kollektor
Moden-Konverter
Diamantfenster Kollektormagnet
HF-Ausgangsstrahl
24
Umlauffrequenz durch die Größe des Millimeterwellenstrahl verlässt das ein quasi-stationäres Gyrotron mit
Magnetfeldes und die relativistische Gyrotron durch ein Vakuumfenster. einfachem zylindrischem Resonator
Masse bestimmt wird. Zugleich er- und 1 Megawatt Ausgangsleistung
fahren sie ein zunächst schwaches Die Elektronenzyklotron-Resonanz für Wendelstein 7-X, ein Gyrotron
Hochfrequenz-Feld, das durch das eignet sich nicht nur für die Heizung mit koaxialem Resonator und doppel-
Rauschen hervorgerufen wird. Je des Plasmas, sondern auch zum Trei- ter Ausgangsleistung für ITER sowie
nach Eintrittsphase in den Resonator ben eines Plasmastromes. Dies kann ein in der Frequenz durchstimmbares
werden die Elektronen daher in ihrer bei Tokamaks zur Stabilisierung lo- Gyrotron, das eine erste Anwendung
Transversalgeschwindigkeit beschleu- kaler Instabilitäten, zum Beispiel so zur Unterdrückung „Neoklassischer
nigt oder verzögert. Sie bilden Elek- genannter „Neoklassischer Tearing- Tearing-Moden“ in der Experimentier-
tronenpakete, die im Hochfrequenz- Moden“ benutzt werden (siehe Seite anlage ASDEX Upgrade finden wird
Feld abgebremst werden, wenn die 68 und folgende). (siehe Kapitel 7.1.1).
Eigenfrequenz des Resonators die
Elektronen-Umlauffrequenz gering- Ein wesentlicher Schritt in der Ent- Die Übertragungstechniken für Mikro-
fügig überschreitet. Die transversale wicklung von kontinuierlich arbei- wellen hoher Leistung für zukünftige
kinetische Energie der Elektronen tenden Hochleistungsgyrotrons war Fusionskraftwerke existieren bereits
wird dabei in Hochfrequenz-Energie die Entwicklung von synthetischen heute. Zur Übertragung zwischen
umgewandelt. Diamantfenstern (chemical vapor Gyrotron und Plasma können sowohl
deposited diamond: CVD Diamant), quasi-optische Übertragungsleitun-
Die komplizierte räumliche Struktur die zur Auskopplung der Hochfre- gen mit Spiegeln als auch metallische
der erzeugten Millimeterwellen wan- quenz-Leistung aus dem Gyrotron Wellenleiter verwendet werden. Der
delt der quasi-optische Wellentyp- und zum Einschuss in das Plasma Vorteil der Mikrowellenheizung liegt
wandler in eine einfache, gut zum notwendig sind. Durch die bei Raum- darin, dass keine Antennen im Plas-
Plasma übertragbare Welle um. Quasi- temparatur betriebenen Diamantfens- matorus erforderlich sind, die durch
optisch bedeutet, dass der Wandler ter kann eine Hochfrequenz-Leistung Freisetzen von Partikeln das Plasma
mit einer Abstrahlantenne und mit von über 2 Megawatt ausgekoppelt verunreinigen könnten. Zudem kön-
Spiegeln arbeitet, deren Dimensionen werden. Sie dienen zudem als Vaku- nen die Einstrahlöffnungen im Plas-
groß gegen die Wellenlänge (2,14 umbarriere. magefäß klein gehalten werden, da
Millimeter bei 140 Gigahertz) sind. Diamantfenster große Leistungsdich-
Die „abgearbeiteten“ Elektronen wer- Die im Forschungszentrum Karlsruhe ten mit mehr als 100 Megawatt pro
den im Kollektor aufgefangen. Der verfolgten Entwicklungslinien sind: Quadratmeter erlauben.
25
Abb. 4
Querschliff eines Nb3Sn-Standard-
Nb Sn-Filamente Tantalring
3
Einzelleiters mit Durchmesser von rund
1 Millimeter und mehr als
20 000 Nb3Sn-Filamenten CuSn-Matrix Kupferkern
(Bild: Fa. EAS GmbH, Hanau)
3.2. Supraleitung
26
Bi-Legierungen zu dünnen Bandlei-
tern geführt (Abb. 5), die in Kilome-
ter-Längen herstellbar und mit relativ
hohen Kosten für Anwendungen in
Stromzuführungen, Labormagneten
und Funktionsmodellen elektrischer
Betriebsmittel geeignet sind.
27
Abb. 6:
Aufbau des Leiters für die ITER-Toroidal-
feldmagnete. Auf einer Rohrspirale als zentra-
lem Helium-Strömungskanal ist ein mehrfach
verseiltes Rundkabel aufgebracht. Die Ein-
zeldrähte haben außen eine Chrom-Plattierung
zur Reduzierung von auftretenden Kopplungs-
strömen bei zeitlich veränderlichen Magnet-
feldern. Das Kabel ist in eine Hülle aus Incoloy
908 eingezogen (Außenmaße: 45 x 45 mm2)
(Foto: FZK)
28
3.3 Energieumwandlung im Blanket
29
Ein stabiles Gehäuse, die Blanket- Kühlkanäle der Ersten Wand, wo im kreislauf wird das Tritium in das
box, aus ferritisch-martensitischem Bereich der höchsten Leistungsdichte Extraktionssystem eingespeist, um es
Stahl bildet die äußere Struktur des etwa 30 Prozent der gesamten Blanket- als Brennstoff mit Deuterium ver-
Blanketmoduls. Das Innere der Blan- leistung anfallen. Das so vorgewärmte mischt in das Plasma einzuspeisen
ketbox ist durch ein Gitter aus waa- Helium wird dann den Platten des (siehe Kap. 3.5).
gerechten und senkrechten Stahl- Versteifungsgitters zugeführt und zir-
platten unterteilt, die die Box gegen kuliert schließlich durch die Kühl- Im Rahmen einer europäischen Re-
Überdruck des Kühlgases versteifen. platten der Bruteinheiten. Das nun- aktorstudie werden auch so genannte
In den Fächern des Versteifungsgit- mehr heiße Helium wird durch Ka- fortgeschrittene Blanket-Konzepte
ters werden Bruteinheiten platziert, näle mit großem Querschnitt in einen verfolgt, die durch Erhöhung der Be-
in denen sich zwischen Kühlplatten konventionellen Kreislauf geleitet. triebstemperaturen einen höheren
Kugelschüttungen aus einer Brut- Die Auslasstemperatur des Heliums Wirkungsgrad erreichen. Hierzu wer-
keramik (Li4SiO4 oder Li2TiO3) und beträgt ca. 500 Grad Celsius, der dar- den Technologien und Werkstoffe
dem Neutronenmultiplikator Berylli- aus resultierende thermische Wir- benötigt, die weiteren Entwicklungs-
um abwechseln. Die Partikel haben kungsgrad in einem angeschlossenen aufwand erfordern. Ein Beispiel ist
Durchmesser von 0,3 bis 0,6 Milli- konventionellen Dampf-Wasser-Kreis- das Dual-Coolant-Blanket-Konzept,
meter (Li4SiO4) bzw. 1 Millimeter lauf rund 40 Prozent. Ein separater bei dem die Erste Wand mit Helium
(Li2TiO3, Beryllium). Helium-Spülkreislauf (Systemdruck gekühlt wird, der Hauptteil der er-
0,1 Megapascal) führt das im Brut- zeugten Wärme jedoch direkt durch
Zur Wärmeabfuhr aus dem Blanket material und im Beryllium erzeugte Umwälzung des Blei-Lithium-Flüs-
sind alle Stahlstrukturen mit internen Tritium ab. Durch stetiges Ausspülen sigmetalls zum Wärmetauscher trans-
Kanälen durchzogen, durch die Heli- des erbrüteten Tritiums wird der portiert wird. Strömungseinsätze aus
um unter 8 Megapascal Druck strömt; Tritium-Partialdruck im Spülkreis- Siliziumkarbid in den Flüssigme-
dorthin muss die im Blanket entste- lauf und im Blanket niedrig gehalten tallkanälen dienen als elektrischer
hende Wärme durch Wärmeleitung und so verhindert, dass Tritium in und thermischer Isolator zwischen
gelangen. Mit einer Einlasstempera- nennenswerten Mengen durch Struk- Strukturmaterial und dem strömen-
tur von rund 300 Grad Celsius strömt turmaterialien hindurch dringt und in den Flüssigmetall.
„kaltes“ Helium zunächst durch die den Kühlkreislauf gelangt. Vom Spül-
30
Abb. 8:
Prinzipielles Design eines
mit Helium gekühlten Divertors
(Grafik: FZK)
31
3.5. Der Brennstoffkreislauf
32
Im äußeren Brennstoffkreislauf (blau) Evakuierung des Zwischenraums DTO, CO, CO2 aus chemisorbiertem
wird das Tritium, das im Blanket durch sorgt für eine gute thermische Isolie- Sauerstoff, der beim Konditionieren
Neutroneneinfang aus Lithium erbrü- rung der geheizten Komponente und nicht komplett aus der Wand ausge-
tet wurde, durch das Spülgas Helium erlaubt gleichzeitig die Rückgewin- trieben wurde. Die zunächst noch
extrahiert, abgetrennt und in den nung des permeierten Tritiums. Die ionisierten Teilchen des Plasmaab-
inneren Brennstoffkreislauf einge- Wand des äußeren Behälters bleibt auf gases werden durch geeignete Mag-
speist. niedriger Temperatur und verhindert netfelder aus dem Spalt zwischen
so wirksam die Permeation von Was- Plasmarand und erster Wand ausge-
Wegen der kurzen Halbwertszeit des serstoffisotopen nach außen. leitet und auf die Divertorplatten
Tritiums von nur etwa 12,3 Jahren ist geführt. Dort werden sie neutralisiert
seine Strahlung vergleichsweise in- Die Aufrechterhaltung einer Fusions- und zu Molekülen rekombiniert, die
tensiv, wenngleich Tritium der ener- reaktion hängt stark von der Reinheit in der Lage sind, das magnetische
getisch schwächste bekannte natürli- des Deuterium-Tritium-Plasmas im Einschlussfeld zu verlassen. Hinter
che Beta-Strahler mit einer maxima- Plasmabehälter ab. Jegliche Verun- den Divertoren befinden sich radial
len Energie von nur 18,6 Kilo- reinigung führt zu Strahlungsverlus- verlaufende Kanäle, an deren Ende
elektronenvolt ist. Dementsprechend ten durch Bremsstrahlung und damit die Vakuumpumpen installiert sind.
beträgt die größtmögliche Reichweite zum Erlöschen der Fusionsreaktion.
der Strahlung in atmosphärischer Dieser Effekt verstärkt sich deutlich Bei jeder Fusion eines Deuterium-
Luft nur 6 Millimeter, in Metallen mit steigender Ordnungszahl der auf- mit einem Tritiumkern entsteht ein
nur etwa 1 Mikrometer. Bauteile aus tretenden Teilchen. Deshalb muss das Helium-Atomkern. Der abzupumpen-
organischen Materialien wie zum Plasmagefäß zunächst evakuiert, auf de Massenstrom an Helium ist daher
Beispiel Dichtungen werden aller- Dichtheit geprüft und die Wände für proportional zur Leistung des Kraft-
dings innerhalb kurzer Zeit durch Ultrahochvakuumstandards konditio- werkes. ITER zum Beispiel mit einer
Tritium zersetzt. Grundsätzlich müs- niert werden. Leistung von 500 Megawatt ist auf
sen daher Tritium führende Systeme einen Gesamtabgasstrom von etwa 2
ganzmetallisch und ultrahochvaku- Wenn das Plasma brennt, besteht die Liter pro Sekunde bei Normaldruck
umdicht ausgelegt werden. Auch die Hauptaufgabe der Vakuumpumpen ausgelegt, der mit einem Druck von
Verwendung ölgeschmierter oder gar darin, das Fusionsprodukt Helium 0,1 bis 10 Pascal am Pumpeneinlass
ölgedichteter Pumpen in Tritium füh- durch kontinuierliches Absaugen des ansteht. Dafür ist ein extrem hohes
renden Systemen ist nicht möglich. Plasmaabgases auf einer Konzen- Saugvermögen des Vakuumsystems
Eine weitere Schwierigkeit im Um- tration von maximal 3 bis 5 Prozent nötig. Am Ort der Pumpen herrschen
gang mit Tritium ist seine Eigen- zu halten. Neben Helium besteht das hohe Magnetfelder, die in schnell
schaft, Metalle oberhalb einer be- Plasmaabgas zum überwiegenden laufenden Rotoren Wirbelströme er-
stimmten Temperatur (zum Beispiel Teil aus nicht verbrannten Wasser- zeugen. Zudem müssen die Pumpen
Edelstahl oberhalb 150 bis 200 Grad stoffisotopen sowie aus unerwünsch- auch unter mechanischen Erschütte-
Celsius) zu durchdringen, in der Fach- ten Verunreinigungen, die durch rungen störungsfrei arbeiten, die zum
sprache „Permeation“ genannt. Heiß- Wechselwirkung der Plasmapartikel Beispiel von Disruptionen ausgelöst
gehende Komponenten des Brenn- mit der ersten Wand entstehen. Bei werden. Für diese Anforderungen
stoffkreislaufs müssen daher zusätz- Verwendung von Graphitziegeln ent- sind keine handelsüblichen Vakuum-
lich mit einem äußeren Behälter stehen Kohlenwasserstoffverbindun- pumpen verfügbar, sondern es sind
umgeben werden. Die periodische gen. Zu erwarten sind auch Oxide wie spezielle Entwicklungen nötig.
33
3.6. Werkstoffe für die Fusion
Die Materialentwicklung für zukünf- Werkstoffeigenschaften wie Kriech- Ein besonderer Vorteil der Fusions-
tige Fusionskraftwerke umfasst eine und Ermüdungsbeständigkeit, Dukti- technologie ist das völlige Fehlen
Vielzahl von Werkstoffen. Schwer- lität, Versprödungsfestigkeit, Bruch- spaltbarer schwerer Elemente und die
punktmäßig befasst sich das For- zähigkeit oder Korrosionseigenschaf- damit einhergehende Bildung sehr
schungszentrum Karlsruhe mit der ten deutlich verschlechtern kann. Als langlebiger und zum Teil weiterhin
Entwicklung von Strukturwerkstof- ein Maß der Verlagerungsschädigung spaltbarer Radioisotope. Damit ver-
fen, die einen entscheidenden Einfluss gilt die Zahl der Verlagerungen pro bleibt im Fusionskraftwerk als we-
auf die Auslegung fast aller plasma- Gitteratom (displacement per atom, sentliche Quelle für die Bildung von
nahen Komponenten ausüben und dpa). Schließlich führen hohe Neu- Radioaktivität der Neutroneneinfang
somit für Langlebigkeit, Wirkungs- tronenenergien zu Kernumwand- in plasmanahen Strukturwerkstoffen.
grad, Wirtschaftlichkeit, Sicherheit lungsreaktionen, bei denen die ver- Da unter Neutronenbestrahlung un-
und Entsorgung von grundlegender sprödungswirksamen Elemente Was- terschiedliche Isotope auch um Grö-
Bedeutung sind. Langfristig gesehen serstoff und Helium in signifikanten ßenordnungen unterschiedliche Akti-
sind Strukturwerkstoffe zu entwi- Konzentrationen anfallen. Die neu- vierbarkeiten und Abklingzeiten
ckeln, die einer komplexen Überlage- tronen-induzierte Schädigung der (Halbwertzeiten) aufweisen, ist die
rung intensiver Neutronen- und Wär- Ersten Wand eines Leistungsreaktors Entwicklung darauf ausgerichtet, die
mestrahlung, Brut- und Kühlmittel- wird sich in metallischen Werkstof- Zusammensetzung der Werkstoffe so
einflüssen und thermisch-mechani- fen auf typischerweise 20 dpa, etwa zu gestalten, dass sie möglichst nur
scher Wechselverformung über viele 200 appm (atomic parts per million) aus Elementen mit geringer Langzeit-
Jahre hinweg standhalten und darü- Helium und 1000 appm Wasserstoff aktivierung bestehen. Probleme der
ber hinaus umweltschonende radiolo- pro Betriebsjahr belaufen, so dass Rezyklierung, Stilllegung und End-
gische Eigenschaften haben. allein schon aufgrund der Neutronen- lagerung werden damit von Anfang
bestrahlung hohe Anforderungen an an grundlegend entschärft.
Neben den klassischen Eigenschaften Strukturmaterialien eines Fusions-
eines Werkstoffes hinsichtlich Ther- kraftwerks zu stellen sind. Eine dem Die genannten Anforderungen haben
mophysik, Mechanik, Korrosion und entsprechende Werkstoffauswahl und zu einer weltweiten Konzentration
Kompatibilität mit anderen Materia- Entwicklung basiert derzeit auf der Werkstoffentwicklung auf im We-
lien, zum Beispiel Brutkeramik und Simulationsbestrahlungen in Spaltre- sentlichen drei Werkstoffklassen ge-
Beryllium, stellen die für einen Fu- aktoren und Leichtionenbeschleuni- führt:
sionsreaktor typische hochenergeti- gern sowie auf Modellrechnungen
sche Neutronen- und Gammastrah- und entsprechenden Extrapolationen. Reduziert aktivierbare ferritisch-mar-
lung sowie die Wärmebelastung be- Zur endgültigen Qualifizierung der tensitische Stähle (RAFM): Konven-
sondere Anforderungen. Werkstoffe für ein Fusionskraftwerk tionelle ferritisch-martensitische 9-
ist jedoch eine Neutronenquelle er- 12%CrMoV(Nb)-Stähle sind in der
Die hochenergetischen Fusionsneu- forderlich, die ein fusionstypisches Reaktortechnologie u.a. als Struktur-
tronen durchdringen Strukturmateri- Neutronenspektrum erzeugen kann. werkstoffe von Brennelementen in
alien und führen durch Wechsel- schnellen Brütern für einen Tempe-
wirkungen mit den Gitteratomen zur Ein wesentliches Entwicklungsziel raturbereich von etwa 400 bis 550
so genannten Verlagerungsschädigung, ist das schnelle Abklingen der be- Grad Celsius entwickelt worden.
welche ihrerseits makroskopische strahlungs-induzierten Aktivierung. Hochdosisbestrahlungen bis 145 dpa
34
Abb. 11: Atomare Gleitvorgänge in
einer Fe-Legierung während eines
Zugversuchs, simuliert mit einem
3.06 Å
molekulardynamischen Code
70.5° unter Verwendung fortgeschritte-
ner Atompotentiale
3.06 Å
Abb. 10: Am Forschungszentrum Karlsruhe
entwickelter oxiddispersionsgehärteter Stahl
„EUROFER-ODS“, in unterschiedlichen
Halbzeugen, mit ca. 10 Nanometer kleinen
Y2O3-Dispersoiden
zeigten unter typischen Brüterbedin- nannte oxiddispersionsgehärtete Schließlich hat in jüngster Zeit nicht
gungen im Gegensatz zu austeniti- (ODS) Eisenbasis-Legierungen mit zuletzt aufgrund der Verfügbarkeit
schen Stählen eine sehr gute Schwell- nanoskaligen Y2O3-Einschlüssen ent- leistungsfähiger Rechner die reali-
resistenz, eine kaum messbare Heli- wickelt. Der jüngst am FZK entwik- tätsnahe Simulation von Werkstoff-
um-Hochtemperaturversprödung so- kelte EUROFER-ODS Stahl hat eine eigenschaften weltweit sprunghaft
wie eine sehr gute Bruchzähigkeit. homogene Verteilung von 8-12 zugenommen. Ein maßgebliches Ziel
Unterhalb einer Bestrahlungstempe- Nanometer kleinen Y 2O 3 Teilchen, der fusionsorientierten multiskaligen
ratur von rund 400 Grad Celsius nei- kann schon in verschiedenen Halb- Werkstoffmodellierung ist ein ganz-
gen diese klassischen ferritisch-mar- zeugen hergestellt werden (Abbil- heitliches Verständnis von atomaren
tensitischen Stähle jedoch zu erheb- dung 10) und zeichnet sich neben der Verlagerungsvorgängen bis zum ma-
licher Bestrahlungsversprödung und erwarteten Hochtemperaturfestigkeit kroskopischen Bauteilverhalten. Ab-
einem damit verbundenen starken durch eine niedrige Aktivierbarkeit bildung 11 zeigt als Beispiel eine mo-
Anstieg der Sprödbruch-Übergangs- sowie durch sehr gute Duktilitäts- lekulardynamische Simulation eines
temperatur. Eine seit Beginn der 90er und Sprödbrucheigenschaften aus. Zugversuchs mit experimentell bestä-
Jahre am Forschungszentrum Karls- Des weiteren bestätigen erste Neu- tigten atomaren Gleitvorgängen. Die
ruhe betriebene Legierungsentwick- tronenbestrahlungen die Erwartung, quantitative Modellierung und Si-
lung in Richtung niedrige Aktivier- dass solche ODS-Legierungen mit mulation „vom Atom zum Bauteil“
barkeit brachte einen hochreinen homogen verteilten nanoskaligen dient auch einer effizienten Werk-
RAFM-Stahl der Zusammensetzung Dispersoiden eine bisher unerreichte stoffentwicklung und langfristig
9Cr-WVTa hervor, in welchem ins- Bestrahlungsresistenz aufweisen. einer wesentlich verlässlicheren
besondere die klassischen Haupt- Vorhersage von Bauteillebensdauern.
legierungselemente Nb und Mo durch Die Entwicklung von fusionstaug-
W und Ta ersetzt wurden. Diese lichen SiC/SiC-Faserverbundwerk-
Legierung ist unter dem Namen stoffen (SiC = Siliziumkarbid) ist
EUROFER zur europäischen Refe- sicherlich die größte Herausforde-
renz geworden und die vorliegenden rung der genannten Werkstoffklassen.
Daten zeigen, dass zumindest bis 40 Diese Verbundwerkstoffe zeichnen
dpa eine wesentliche Verbesserung sich durch geringe Aktivierbarkeit
der radiologischen Eigenschaften und Nachzerfallswärme aus sowie
auch mit einem deutlich verbesserten durch sehr hohe Einsatztemperatu-
Bestrahlungsverhalten einhergeht. ren. Die Wahrung der strukturellen
Integrität muss aber zunächst für
Signifikante Verbesserungen des hohe Neutronendosen noch grundle-
Wirkungsgrads von Leistungsreak- gend nachgewiesen werden. Außer-
toren sowie Einsätze in thermisch dem fehlen für große SiC/SiC-Kom-
höchstbelasteten Divertorstrukturen ponenten die Herstellungstechnolo-
setzen eine Erhöhung der oberen gie sowie ein geeignetes Auslegungs-
Einsatztemperatur von 550°C auf regelwerk.
mindestens 650 °C voraus. Dazu wer-
den in jüngster Zeit weltweit soge-
35
3.7. Fernhantierungstechniken
Zu den für ein künftiges Fusions- der JET-Anlage anpassen kann. Haupt- zeugen der Roboterarme kann der
kraftwerk wichtigen Technologien elemente sind zwei Roboterarme, die Operateur Gegenstände im Gefäß be-
zählt die Fernhantierungstechnik. von einem 10 Meter langen Gelenk- wegen, schrauben, schweißen und
Den ersten vollständig durch Robo- arm gehalten und im Plasmagefäß be- schneiden sowie mit Hilfe der zahl-
terarme ausgeführten Umbau in der wegt werden. Der Gelenkarm greift reichen Kameras auch inspizieren
Geschichte der Fusionsforschung hat durch eine Öffnung in das Gefäß hin- und messen.
1998 das Europäische Fusionsexpe- ein und kann alle Stellen auf der
riment JET unternommen. Als im An- Oberfläche erreichen. Für den Umbau wurden die 144 Mo-
schluss an die Experimente mit dule des alten Divertors ausgebaut
Deuterium-Tritium-Plasmen des Jahres Ein Techniker steuert die Greif- und und durch 192 neue Teile ersetzt.
1997 ein umfangreicher Umbau in Arbeitsarme über ein computerunter- Dazu mussten fernbedient etwa 1500
dem aktivierten Plasmagefäß vorge- stütztes Mensch-Maschine-Zwischen- Schrauben gelöst, elektrische Ver-
sehen war, geschah dies vollständig stück, das die menschlichen Arme bindungen getrennt, die alten Diver-
fernbedient. Dabei sollte der ursprün- quasi in die radioaktive Umgebung torteile abtransportiert, das Gefäß ge-
gliche Divertor durch eine weiterent- des Plasmagefäßes hinein „verlän- reinigt, einige kleinere Messgeräte
wickelte Version ersetzt werden. gert“. Es stattet den Operateur mit eingebaut, die Wände inspiziert und
einer Art Berührungsgefühl aus und schließlich auf engem Raum die
Der hierzu bei JET entwickelte Mani- gibt ihm mit Hilfe mehrerer Video- neuen Divertormodule exakt platziert
pulator ist ein variables System, das kameras den Eindruck von Anwe- und verschraubt werden, ohne dabei
sich den wechselnden Bedingungen senheit im Gefäß. Mit den Werk- die empfindlichen Graphit-Oberflä-
Abb 12:
Vom Kontrollraum aus
(Bild links) steuert der
Operateur die Bewe-
gungen des zweiarmi-
gen Roboters im
Plasmagefäß (Bild
rechts) und kontrolliert
den Effekt über Moni-
tore. Das System ver-
mittelt ihm den Ein-
druck von Berührung
und Anwesenheit im
Gefäß. (Fotos: JET)
36
habung“ war es, das schnelle fernbe-
diente Auswechseln und Reparieren
der Divertor-Kassetten vorzuführen.
Zu diesem Zweck simuliert eine Test-
anlage in Originalgröße den unteren
Teil des Plasmagefäß mit seinen Öff-
nungen. Auch die Vorrichtungen, mit
denen die Kassetten im Gefäß bewegt
werden, sowie mehrere Kassetten-
Dummies wurden angefertigt. Eine
zweite Plattform dient der fernbe-
dienten Reparatur der Divertor-Kas-
setten in einer Heißen Zelle, wo be-
schädigte Divertorplatten auf der
Abb. 13: Blanket-Testanlage in Naka, Japan: Sie simuliert die Innenregion des halben Plasmagefäßes. Kassette ausgewechselt werden. Bei-
Mit einem Greifarm ausgerüstete fahrbare Roboter handhaben die Blanket-Module. (Foto: ITER) de Testanlagen wurden in Brasimone
(Italien, Europa) aufgebaut.
chen der Abdeckplatten zu beschädi- In einer Testanlage in Naka/Japan Mit der Divertor-Testplattform können
gen. Mit dem Herausziehen des Ge- wurde dieses System mit Erfolg er- in Originalgröße alle Handhabungs-
lenkarmes und Schließen der Plas- probt. Hier wurde in Originalgröße schritte innerhalb des Gefäßes simu-
makammer war nach 17 Wochen am die komplette Innenregion des halben liert werden – wie das Entfernen und
28. Mai 1998 der Umbau planmäßig Plasmagefäßes simuliert. Dazu gehö- Wiedereinführen der Kassetten durch
und fehlerfrei beendet. ren auch die fernbedienbaren, mit die Gefäßöffnungen und ihre Verbin-
Sensoren ausgerüsteten Werkzeuge dung mit Stützstruktur, Kühlwasser-
Auch für den geplanten Testreaktor zum Handhaben der Module und leitungen und elektrischen Kontak-
ITER wurden Fernhantierungstechni- Gefäßöffnungen sowie Dummy- ten. Die Tests haben das Wartungs-
ken entwickelt: Um in der strahlen- Blanketmodule: Das Ein- und Aus- konzept inzwischen bestätigt.
den Umgebung beschädigte Blanket- bauen der schweren Module gelang
Module austauschen und – in einer mit großer Exaktheit. Mit einem aus-
späteren Experimentierphase – das gefeilten Testprogramm wurde auch
Tritium-Brutblanket in die ITER- die Behebung eingebauter Fehler
Anlage einbauen zu können, müssen trainiert. So konnte ein ursprüng-
die einzelnen Module fernbedient licher Positionierungsfehler von 30
auswechselbar sein. Beim Einbau Millimetern automatisch ausgegli-
werden die jeweils vier Tonnen chen und das Modul auf einen halben
schweren Module mit einem fernbe- Millimeter genau positioniert wer-
dienten Transporter im Plasmagefäß den.
durch eine der Öffnungen in das
Gefäß hineingehoben, dort an der Das zweite Fernhantierungsprojekt
Wand befestigt und mit der Wasser- von ITER betraf den Divertor: Er
kühlung verbunden. Dies geschieht führt die äußere und innere Heiz-
durch vier auf einer Schiene im Plas- leistung, Verunreinigungen sowie das
magefäß laufende Roboterfahrzeuge. Helium – die Asche des Fusionspro-
Vollständig fernbedient werden die zesses – aus dem Plasma ab. Dazu Abb. 14:
Schienenteile zunächst durch vier lenkt ein spezielles Magnetfeld die Die Divertor-Testplattform in Brasimone,
Öffnungen in das Plasmagefäß einge- äußere Randschicht des Plasmas auf Italien. (Foto: ITER)
führt, dort zusammengebaut und ver- hitzebeständige und wassergekühlte
ankert. Die Fahrzeuge, die jeweils Prallplatten am Boden des Plasma- Auch die Reparatur-Plattform ist in-
mit einem sechs Meter langen Greif- gefäßes. Um beschädigte Divertor- zwischen vollständig betriebsbereit.
arm ausgerüstet sind, handhaben die teile per Fernhantierung schnell und Hier werden die kritischen Arbeits-
schweren Blanket-Module mit hoher zuverlässig auswechseln zu können, schritte in der Heißen Zelle simuliert:
Genauigkeit. Der Greifer kann die wird der ITER-Divertor aus 54 ein- Mit Prototyp-Werkzeugen wird das
Module an der Stützwand befestigen zelnen, jeweils 12 Tonnen schweren Auswechseln der hoch-hitzebelaste-
und wieder lösen, Kühlwasserleitun- „Kassetten“ aufgebaut, deren Ge- ten Bauteile getestet. Die Montage
gen zusammenschweißen und tren- samtverband einer Dauerbelastung der Divertorplatten auf der Kassette
nen sowie mit einer Videokamera das bis zu 300 Megawatt standhalten soll. konnte mit der nötigen Genauigkeit
Gefäß inspizieren. Aufgabe des Projektes „Divertorhand- vorgeführt werden.
37
38
4. Sicherheits- und
Umwelteigenschaften der Fusion
1
Aussagen über Sicherheit und zu er- • Es werden bei der Energieerzeugung Tritium, die schwerste und einzige
wartende Umwelteinflüsse eines spä- keine Treibhausgase freigesetzt, eben- radioaktive Variante des Wasserstoffs,
teren Fusionskraftwerks werden sowenig Stick- oder Schwefeloxide. besitzt eine Halbwertszeit von 12,3
durch Kraftwerksentwürfe möglich, Jahren. Durch die Höhenstrahlung
die in den letzten Jahren nahe an die Weder die von außen zugeführten entstehen auf natürliche Weise stän-
Praxis herangerückt sind. Die Fu- Rohbrennstoffe – Deuterium und Li- dig geringe Mengen an Tritium; das
sionsanlagen der nächsten Genera- thium – noch ihr Reaktionsprodukt Inventar der Erdatmosphäre wird auf
tion – zum Beispiel der internationale Helium sind radioaktiv. Sicherheits- etwa sieben Kilogramm geschätzt.
Experimentalreaktor ITER – sollen überlegungen werden jedoch nötig im Eine europäische Richtlinie, die ra-
Fusionsleistungen von mehreren hun- Zusammenhang mit dem im Kraft- dioaktive Stoffe nach ihrer Scha-
dert Megawatt liefern und entspre- werk erzeugten radioaktiven Tritium. denswirkung in vier Klassen – sehr
chen insofern beinahe schon einem Hinzu kommt die Aktivierung der hohe Radiotoxizität, hohe, mäßige und
Leistungsreaktor. plasmanahen Bauteile – insbesondere niedrige – einteilt, ordnet Tritium in
das Blanket – durch die bei der Fu- Klasse vier ein: niedrige Radiotoxi-
Auf Grundlage dieser Arbeiten kann sion freigesetzten energiereichen zität. Seine radioaktive Strahlung –
man einem Fusionskraftwerk die fol- Neutronen. Wie intensiv diese Akti- Beta-Strahlung, das heißt Elektronen
genden günstigen Eigenschaften zu- vierung ausfällt, hängt sehr stark von – ist zu energieschwach, um mensch-
sprechen: den Materialien ab, auf die die Neu- liche Haut durchdringen zu können.
tronen auftreffen. Anstelle der heute Für Lebewesen wird sie schädlich,
• In einem Fusionskraftwerk ist ein einsetzbaren Stahlsorten werden für wenn das Tritium durch Einatmen,
Unfall mit katastrophalen Folgen die erste Wand und das Blanket spe- Essen, Trinken oder Diffusion durch
unmöglich. zielle Materialien mit niedrigem Ak- die Haut vom Körper aufgenommen
tivierungspotential entwickelt. Dabei wird. Im Ökosystem verdünnt sich
• Es gibt es keine Kettenreaktion arbeitet man an Stählen ohne stören- Tritium schnell und kann Landstriche
oder ähnliche Leistungsanstiege, de Beimengungen, wie zum Beispiel nicht für längere Zeit kontaminieren.
die zum „Durchgehen“ des Kraft- Nickel, Kobalt und Molybdän, an Ebensowenig gibt es Anzeichen für
werks führen könnten. Vanadiumlegierungen oder an nicht- eine Tritiumanreicherung in der Nah-
metallischen Materialien wie Sili- rungskette.
• Die auftretenden radioaktiven Sub- zium-Karbid. Durch die Entwicklung
stanzen – Tritium sowie aktivierte geeigneter Baumaterialien und die
Bauteile – haben ein relativ niedriges Verringerung der im Kraftwerk vor-
biologisches Gefährdungspotential. handenen Tritiummenge kann man
deshalb bei der Fusion die Belastung
• Langfristig sieht man die Möglich- durch radioaktive Stoffe beeinflussen
keit, Menge und Aktivität der ent- und ganz wesentlich reduzieren. Dies
stehenden radioaktiven Stoffe durch ist anders im Falle der Kernspaltung,
geeignete Materialentwicklung ganz wo die anfallende Radioaktivität
erheblich zu vermindern. Nahezu durch die Spaltprodukte naturgesetz-
vollständiges Rezyklieren des Ab- lich mit der erzeugten Energie ver-
falls könnte möglich werden. knüpft ist und zwangsläufig entsteht.
39
Radioaktive Belastung im Störfälle
Normalbetrieb
Zukünftige Fusionskraftwerke lassen
Da das sehr flüchtige Tritium erst an lastung führt zu einer Dosis von eine große Sicherheit vor Unfällen
Ort und Stelle im Brutmantel aus weniger als einem Prozent der natür- erwarten, die die Umgebung gravie-
Lithium-haltigen Materialien erzeugt lichen radioaktiven Belastung von rend belasten könnten:
wird, läuft der Brennstoff für die Fu- etwa zwei Millisievert pro Jahr in
sion nur im Inneren des Kraftwerks Deutschland. Sie liegt damit deutlich Die Brennstoffmenge in der Plasma-
um. Sicherheitstechnisch ist dies von unterhalb der Dosisschwankung der kammer ist – mit etwa einem Gramm
Vorteil. Insgesamt wird ein Fusions- natürlichen Radioaktivität von Ort zu – sehr klein und reicht nur für rund
kraftwerk einige Kilogramm Tritium Ort. Berechnet wurde dies für eine eine Minute Brenndauer aus. Ebenso
enthalten, wovon ein großer Teil fest Person, die sich ständig in einem sind die Leistungsdichten im Plasma
in metallischen Speichern gebunden Kilometer Entfernung vom Kraft- und Blanket mit etwa drei bzw. zwan-
ist. Sicherheit und Umwelteinflüsse werk aufhält und alle Nahrungsmittel zig Watt pro Kubikzentimeter gering.
hängen entscheidend von der Rück- aus unmittelbarer Kraftwerksumge- Sie entsprechen in etwa der Leis-
haltung des Tritiums im Kraftwerk bung bezieht. tungsdichte normaler Glühbirnen.
ab. Hierzu dient ein System von
mehrfach überwachten, ineinander Ein unkontrollierter starker Leis-
geschachtelten Umhüllungen. tungsanstieg ist nicht möglich, denn
Fusionskraftwerks
schen einigen Monaten und einigen
(aus niedrig aktivier-
Jahren. Sie sind alle als feste Metalle in
1000 barem Stahl).
die innere Kraftwerkskonstruktion ein-
Die Temperaturen
gebunden. Auch Korrosionsprodukte
bleiben stets weit
spielen hier keine große Rolle, so dass
unterhalb des
die aktivierten Bauteile im Normalbe-
500 Schmelzpunktes von
trieb wenig zur Freisetzung von Radio-
Stahl (etwa 1400 °C,
aktivität an die Umwelt beitragen.
siehe rote Linie).
1 Tag 1 Woche 1 Monat
(Grafik: IPP)
Die von allen Freisetzungen an Tri- 0
tium und aktiviertem Strukturmate- 1 2 3 4 5 6 7
10 10 10 10 10 10 10
rial hervorgerufene radioaktive Be-
Zeit nach dem Unfall (Sekunden)
40
jede Änderung der Betriebsbedin- des freigesetzt würden. Es ist heute durch Bestrahlung und Einatmen
gungen bringt über Plasmainstabili- noch nicht genau bekannt, wieviel während einer Woche am Ort der
täten den Brennvorgang sehr schnell festes Material auf diese Weise mobi- höchsten Belastung 100 Millisievert
zum Erlöschen. lisiert werden könnte. Grobe Ab- übersteigt.
schätzungen ergeben mehrere Kilo-
Bei einem eventuellen Ausfall der gramm Metallstaub. Genauere Daten Auch äußere Einwirkungen – zum
Kühlsysteme reicht die Nachwärme hierzu soll das ITER-Experiment lie- Beispiel Erdbeben oder Flugzeugab-
nicht aus, um ganze Bauteile zu fern. Die freisetzbare Tritiummenge sturz – werden durch die Sicherheits-
schmelzen (siehe Abb. 1). Das glei- will man vor allem durch die Re- hülle abgefangen. Es bleibt jedoch
che gilt für die restlichen in der duktion des insgesamt in der Anlage eine verschwindend kleine, aber den-
Anlage gespeicherten Energien. vorhandenen Tritiums begrenzen so- noch denkbare Wahrscheinlichkeit,
wie durch dessen Unterteilung in ge- dass eine äußere Katastrophe extre-
Die wichtigste Folgerung aus diesen trennte Teilinventare. mer Stärke eintritt, zum Beispiel ein
naturgesetzlich gegebenen Eigen- unvorhersehbar starkes Erdbeben,
schaften ist: Ein Fusionskraftwerk Da das Kraftwerk seine Sicherheits- das die Sicherheitshülle beschädigt.
kann so konstruiert werden, dass es hülle von innen nicht durchbrechen Auch für diesen äußersten, ausle-
keine Energiequellen enthält, die kann, hätten diese Unfälle geringe gungsübergreifenden Störfall wurden
seine Sicherheitshülle von innen zer- Auswirkungen nach außen. Für die Abschätzungen gemacht: Schadens-
stören könnten. Die Folgen eines schwersten denkbaren Unfälle in der obergrenze in diesem Fall wäre etwa
Störfalls lassen sich daher auf das Anlage ergeben detaillierte Abschät- ein Kilogramm Tritium, das in die
Innere der Anlage beschränken. zungen maximale Dosiswerte in der Umgebung freigesetzt würde. Bei
Höhe der natürlichen radioaktiven ungünstigen Wetterbedingungen –
In Studien zu möglichen Störfällen Belastung pro Jahr. Die in Deutsch- d.h. Wind, der konstant aus einer
und ihren Folgen werden diese land geltenden Richtwerte sowohl für Richtung bläst – könnte dann in
grundsätzlichen Eigenschaften ge- die Genehmigung der Anlage als einem in Windrichtung orientierten,
nauer untersucht, insbesondere auch auch für die Einleitung von Evakuie- etwa zwei Quadratkilometer großen
im Rahmen des internationalen ITER- rungsmaßnahmen nach einem Unfall Landsektor in der Nähe der Anlage
Projekts. Viele technische Details des würden also deutlich unterschritten. die Belastung bis zu 450 Millisievert
zukünftigen Kraftwerks sind heute Für die Anlagengenehmigung gilt in betragen (Gesamtdosis der am meis-
noch nicht festgelegt. Die Analysen, Deutschland ein Dosisgrenzwert von ten belasteten Person durch Bestrah-
deren Ergebnisse die Planung fort- 50 Millisievert für die sogenannten lung und Einatmen während einer
während beeinflussen, sollen zu- „Auslegungsstörfälle“. Dabei wird Woche). Jenseits dieses Bereiches
nächst dazu dienen, mögliche Stör- die sich in fünfzig Jahren ergebende liegt die Belastung wieder unter dem
fallursachen zu erkennen und durch Gesamtdosis der meistbelasteten Per- Evakuierungsrichtwert von 100
passive Mechanismen auszuschalten: son durch alle Einwirkungsmöglich- Millisievert. Angesichts dieser mode-
Eine Gefahrensituation wäre gegeben, keiten, d.h. Bestrahlung, Einatmen raten Werte ist davon auszugehen,
wenn durch einen Unfall Tritium und Nahrungsaufnahme, unter den dass die von der äußeren Einwirkung
oder auch aktiviertes Material der ungünstigsten Wetterbedingungen zu- in der Umgebung hervorgerufenen
Bauteile – als Metallstaub oder nach grunde gelegt. Eine Evakuierung ist Schäden die durch das Fusionskraft-
längerem Ausfall der Kühlung als zu erwägen, wenn die Gesamtdosis werk hinzugefügten Schäden um ein
flüchtige Oxide – innerhalb des Gebäu- der am meisten belasteten Person Vielfaches übertreffen würden.
41
Abfall gedeckt werden, weil sie sonst län-
gerfristig größere Mengen des radio-
Während der etwa 30jährigen Lebens- aktiven Gases Radon und radioaktive
zeit der Anlage werden der Divertor, Stäube freisetzen.)
die erste Wand und das Blanket auf-
grund der hohen Belastung und des Die Umwelteigenschaften von Fusi-
Abbrandes mehrfach ausgetauscht ons- und Spaltabfall sind jedoch sehr
werden. Zusammen mit den aktivier- verschieden: So sind die Halbwerts-
ten Bauteilen, die nach Betriebsende zeiten der wesentlichen Fusionsrück-
zurückbleiben, erzeugt ein Fusions- stände bedeutend kleiner – ein bis
kraftwerk je nach Bauart insgesamt fünf Jahre gegenüber 100 bis 10.000
zwischen 65.000 und 95.000 Tonnen Jahren im Falle der Kernspaltung.
radioaktiven Materials. Ein Fusions- Das biologische Gefährdungspoten-
kraftwerk würde damit etwa das glei- tial oder der radiotoxische Inhalt der
che bis doppelte Volumen an radioak- Fusionsabfälle klingt rasch ab und ist
tivem Abfall erzeugen wie Spaltreak- im Vergleich zu Spaltabfall nach hun-
toren vergleichbarer Energieerzeu- dert Jahren bereits mehr als tausend-
gung – je nachdem, ob der Spalt- fach geringer (Abb. 2). Nach hundert
abfall endgelagert oder wieder aufge- bis fünfhundert Jahren ist es ver-
arbeitet wird. (Keine Entsprechung gleichbar mit dem Gefährdungspo-
bei der Fusion gibt es für die pro tential der gesamten Kohleasche aus
Spaltkraftwerk anfallenden 1,5 Mil- einem Kohlekraftwerk gleicher Ener-
1
lionen Kubikmeter Erzreste aus dem gieerzeugung. (Kohleasche enthält
Uranabbau. Sie müssen sorgfältig ab- stets natürliche radioaktive Stoffe
0,1
Radiotoxizitt (relative Einheiten)
Druckwasserreaktor
0,01 Fusion (Vanadium)
Abb. 2:
Fusion (Stahl, He/Be)
Radiotoxischer Inhalt verschiedener Kraft-
0,001 Fusion (Stahl, H 2O/LiPb)
werkstypen gleicher elektrischer Energie-
abgabe, bezogen auf die Nahrungsaufnahme
0,0001
(Ingestion). Aufgetragen ist in relativen
Einheiten die zeitliche Entwicklung der Radio-
0,00001 toxizität nach Stillegung der Anlage summiert
über alle Bauteile einschließlich der ausge-
Kohleasche
0,000001 tauschten: Fusionskraftwerk (niedrig aktivier-
barer Stahl, wassergekühltes Blanket),
0,0000001 Fusionskraftwerk (niedrig aktivierbarer Stahl,
0 100 200 300 400 500 heliumgekühltes Blanket), Fusionskraftwerk
Zeit nach dem Abschalten (Jahre) (Vanadiumlegierung), Druckwasserreaktor
und Kohlekraftwerk. (Grafik: IPP)
42
160
Nicht-aktiver Abfall
140
43
44
5. Sozio-ökonomische
Aspekte der Fusion
Auch wenn es bis zur technischen Kosten der Fusion Die Stromgestehungskosten eines je-
und wirtschaftlichen Einsatzbereit- den Kraftwerks setzen sich zusam-
schaft von Fusionskraftwerken noch Die Stromgestehungskosten der Fu- men aus den Investitionskosten, den
einige Zeit dauern wird, ist schon sion lassen sich vorerst nur mit gro- Betriebs- und Brennstoffkosten so-
heute zu fragen, welche Eigenschaf- ßen Unsicherheiten angeben. Die wie den Kosten für den Abbau der
ten diese Anlagen besitzen und wie Grundlagen dafür liefern System- Anlage und die Lagerung der Abfälle.
sie sich im Vergleich zu anderen studien sowie die für den Testreaktor Eine Abschätzung der Investitions-
Energiewandlungstechniken darstel- ITER abgeschätzten Kosten. Letztere kosten für die wesentlichen Elemente
len werden. Dabei ist ganz allgemein sind besonders aussagekräftig, weil eines Fusionskraftwerks gibt Abb. 1.
zu berücksichtigen, dass Energie ei- sie in enger Zusammenarbeit mit der Zugrunde gelegt sind dabei Annahmen,
ner der zentralen Produktionsfak- Industrie erarbeitet wurden. Zudem die mit den heute erreichten Werten
toren der modernen Volkswirtschaf- werden die Kosten der Fusion stark gut in Einklang zu bringen sind. Zu-
ten ist und in ihrer guten oder man- von den physikalischen und techni- gleich sind die physikalischen Gren-
gelhaften Verfügbarkeit den Lebens- schen Fortschritten beeinflusst wer- zen bei weitem noch nicht ausge-
stil einer Gesellschaft grundlegend den, die in den nächsten Jahrzehnten schöpft, so dass für die Zukunft
prägen kann. erzielt werden können. Raum für Verbesserungen bleibt.
Analysen dieser Art sind die Aufgabe Abb. 1: Abschätzung der Investitionskosten für die wesentlichen Elemente eines Fusionskraftwerks.
der SERF-Aktivitäten (Socio-Econo- (Quelle: Hender T.C. et al., Fusion Technology, Vol. 30, 12/1996). (Grafik: IPP)
mic Research on Fusion), die 1998
im Rahmen des Europäischen Fusi-
Gebude usw.
onsprogramms ins Leben gerufen
wurden. Dazu muss zunächst ein rea- Vakuum-Systeme
listisches Bild eines Fusionskraft-
Stromversorgung
werks entwickelt werden. Sodann ist ITER
zu beschreiben, wie die zukünftige Wrmeabfuhr Fusionskraftwerk
Energiewirtschaft insgesamt ausse- Instrumentierung/
hen könnte und welche Rolle insbe- Kontrolle
sondere Umwelt- und Sicherheits- Fernkontrolle
eigenschaften darin spielen.
Heizung
46
stoß des Treibhausgases Kohlendioxid strationskraftwerk DEMO mit der indischen Wirtschaft zählen zu den
deutlich reduziert werden soll. Dann Stromerzeugung beginnen. höchsten weltweit: Von 1975 bis
könnte Fusion im Jahr 2100 etwa 20 2000 hat sich das Bruttosozialpro-
bis 30 Prozent des europäischen Fusion in Indien dukt verdreifacht, der Energiever-
Strombedarfes decken. Hauptkonkur- brauch – hauptsächlich Kohle – ver-
renten der Fusion sind dabei Kohle Entsprechend wurde untersucht, wel- vierfacht und die Stromnachfrage
und Kernspaltung. Während ein che Rolle Fusionskraftwerke für die verfünffacht. Ähnlich rasant wird es
starker Ausbau von Kohle- oder künftige Energieversorgung Indiens nach den Prognosen der indischen
Kernspaltenergie die Ausbreitung spielen könnten. Hierzu erschien Wirtschaftswissenschaftler weiterge-
der Fusion verhindern würde, entwik- 2002 die Studie „Long-term Energy hen: In den nächsten hundert Jahren
keln sich Fusion und Erneuerbare Scenarios for India“, die gemeinsam wird die Bevölkerung Indiens auf 1,6
Energien parallel, was sich durch die von dem Indischen Institut für Ma- Milliarden Menschen anwachsen, das
sehr unterschiedliche Charakteristik nagement (IIM) in Ahmedabad, dem Bruttosozialprodukt auf das 80fache
der Techniken erklärt: Fusion bedient Max-Planck-Institut für Plasmaphy- und die Energieerzeugung von jetzt
in erster Linie die Grundlast, wofür sik (IPP) in Garching und der Nether- 15 auf 110 Exajoule auf das sieben-
Wind- und Sonnenkraftwerke wegen lands Energy Research Foundation fache steigen.
ihrer intermitterenden Leistungsab- (ECN) erarbeitet wurde. Die für die
gabe nicht geeignet sind, solange Langzeitstudie benutzten Rechenver- Bleibt die Entwicklung der indischen
nicht Speicher mit großer Kapazität fahren modellieren die künftige Wirt- Energiewirtschaft den Marktkräften
zur Verfügung stehen. schaftsentwicklung Indiens und die alleine überlassen, so wird auch im
damit einhergehende Energienach- Jahr 2100 die im Lande reichlich vor-
Die ECN-Studie zeigt, dass Fusion frage bis zum Jahr 2100. Informatio- handene Kohle der wesentliche Ener-
dort die meisten Marktanteile gewin- nen über die Entwicklung der Ener- gielieferant sein, insbesondere in der
nen wird, wo die geforderte Reduk- gieressourcen, verschiedener Ener- Stromwirtschaft – mit fatalen Folgen
tion der Treibhausgase am striktesten gietechnologien sowie weiterer Fak- für die weltweiten Bemühungen um
ist. Zwar werden kurz- und mittel- toren, die den Energiemarkt beein- den Klimaschutz (Abb. 2, s. Seite
fristig Kohlendioxid-Einsparungen flussen, fließen aus gesonderten Stu- 48): Über 70 Prozent des Strombe-
möglich, indem Kohle durch Gas er- dien ein. Das Modell sucht dann – darfs wird durch das Verbrennen von
setzt wird. In der zweiten Jahrhun- unter jeweils vorgegebenen Randbe- Kohle gedeckt werden, 5 Prozent
derthälfte müssen die Gaskraftwerke dingungen wie freie Marktentwick- übernehmen Erdöl und Erdgas. Sie-
aber ersetzt werden, wofür sich die lung oder Kohlendioxidbegrenzung – ben Prozent wird die Kernspaltung
Fusion anbietet. Im globalen Blick- die Kombination von Energietechno- liefern; sechs Prozent werden Er-
winkel wird die Bedeutung der Op- logien heraus, bei denen die Ge- neuerbare Energien beitragen, vor
tion Fusion noch deutlicher: In Län- samtkosten des Systems am niedrig- allem Wind- und Wasserkraft. Fusion
dern wie Indien und China sind in sten sind. als neue und kapitalintensive Techno-
den nächsten Jahrzehnten fast nur logie kann unter diesen Bedingungen
Kohlekraftwerke geplant. Kraftwerke Die indische Bevölkerung – bereits nicht mit den anderen Grundlast-
und Infrastruktur sind auf Lebenszei- heute mehr als eine Milliarde Men- Energieerzeugern konkurrieren.
ten von 30 bis 40 Jahren ausgelegt – schen – wächst pro Jahr um etwa 15
zu dieser Zeit soll das Fusionsdemon- Millionen; die Wachstumsraten der
47
Diese überwiegend auf fossilen Brenn- Das prognostische Bild ändert sich, Fusion in einer nachhaltigen
stoffen beruhende Energiewirtschaft wenn zur Vermeidung von Klimaschä- Energiewirtschaft
wird starke Umweltbelastungen zur den der Ausstoß von Treibhausgasen
Folge haben. Die Kohlendioxid- eingeschränkt würde – zum Beispiel Wie lassen sich die Umwelt- und
Emissionen werden bis zum Ende des durch eine Kohlendioxid-Abgabe, die Sicherheitsaspekte eines Fusions-
Jahrhunderts auf das siebenfache an- die Kohleverbrennung verteuert. Um kraftwerks (siehe Kapitel 4, ab Seite
steigen, pro Kopf von jetzt 0,2 auf Kohlekraftwerke zu ersetzen, ge- 39) mit den Umwelt- und Sicher-
eine Tonne des im Kohlendioxid ge- wönnen emissionsfreie Technologien heitseigenschaften anderer Energie-
bundenen Kohlenstoffs. Dies liegt wie Erneuerbare und Kernfusion an wandlungstechniken vergleichen? Ei-
zwar immer noch deutlich unter den Boden. Je nach Höhe der Kohlen- nen möglichen Ansatz liefert das
gegenwärtigen Pro-Kopf-Werten ent- dioxid-Grenze könnte Fusion in der europäische „ExternE“-Projekt, das
wickelter Länder; zum Beispiel emit- zweiten Hälfte des Jahrhunderts bis zu mit der Bestimmung der sogenannten
tieren die USA bereits heute pro zehn Prozent der Energie erzeugen. „externen Kosten“ unterschiedlicher
Einwohner das fünffache. Angesichts Fusionskraftwerke mit einer Gesamt- Technologien eine erste Vergleichs-
der großen Bevölkerungszahl Indiens leistung bis zu 70 Gigawatt wären grundlage schafft. Dabei versteht
summieren sich die Pro-Kopf-Emis- dann am Netz. Die von ihnen erzeug- man unter externen Kosten all jene,
sionen jedoch auf 1700 Millionen ten rund 400 Terrawattstunden Strom die nicht von den eigentlichen Markt-
Tonnen Kohlenstoff – eine Katastro- entsprächen nahezu der gesamten heu- teilnehmern getragen werden. Zum
phe für den weltweiten Klimaschutz. tigen Stromerzeugung in Deutschland. Beispiel ist in dem Preis für ein Flug-
ticket, das ein Fluggast kauft, keine
Entschädigung für die Anwohner des
Flughafens wegen Lärmbelästigung
enthalten. Ebenso verursachen die
5000
Emissionen von Kraftwerken mögli-
Erzeugte Terrawattstunden (Twh)
2000
1000 Kohle
Abb. 2:
Entwicklung der indischen
0 Stromerzeugung von 1995
1995 2010 2025 2040 2055 2070 2085 2100 bis 2100, wenn der klima-
schädliche Kohlendioxid-
Jahr
ausstoß nicht beschränkt
wird: Die Dominanz der
Kohle Gas Wasser Spaltung Biomasse Erneuerbare
Kohle nimmt stetig zu.
(Grafik: IIM)
48
0,3
Wasserkhlung
0,2
Heliumkhlung
0,15
0,1
0,05
Bau
Betrieb
Abbau
Recycling
Wiederherstellung
der Landschaft
Endlager
Die ExternE-Methode versucht nun, lichen Unfalls herabzusetzen. Ebenso Abb. 3:
alle Nebenwirkungen einer Energie- untersucht man Gehaltsstrukturen Externe Kosten für die
wandlungstechnik aufzuspüren, ihre von Arbeitsplätzen mit erhöhtem Erzeugung von Fusions-
Auswirkungen zu beschreiben und Unfallrisiko um so herauszufinden, strom. Mit wenigen
schließlich monetär zu bewerten. Als wie viel Geld ein Arbeitnehmer als Tausendstel Euro pro
Beispiel können die Schwefelemis- Ausgleich für ein höheres Todes- erzeugter Kilowatt-
sionen eines Kohlekraftwerks dienen: risiko verlangt. stunde liegt die Fusion
Zuerst ist zu analysieren, wie viel im Bereich erneuer-
Schwefeldioxid den Schornstein des Um die verschiedenen Kraftwerksar- barer Energietechniken
Kraftwerkes verlässt, wie sich die ten – Kohle, Erdgas, Kernspaltung, wie Sonne und Wind.
Substanz ausbreitet und wo sie nie- Biomasse, Wasser-, Wind- und Solaren- (Quelle: Hamacher T.
dergeht. Sodann werden die Auswir- ergie sowie Fusion – zu vergleichen, et al., Fusion
kungen – Gesundheitsschädigung beim wurden alle Auswirkungen im Brenn- Engineering and Design
Menschen, Schäden an Fassaden, stoff- und Lebenszyklus der jeweiligen 56-57 (2001) 95-103).
Auswirkungen auf die Ernte oder ei- Anlagen untersucht. Für die Fusion (Grafik: IPP)
nen Wald, etc. – analysiert. Im letzten erstreckte sich diese Analyse von der
Schritt werden diese Schäden dann Gewinnung der Rohbrennstoffe Deu-
monetär bewertet. Für die Beein- terium und Lithium über die eigentli-
trächtigung der Ernte ist dies einfach: che Betriebsphase des Kraftwerks bis
der Geldwert des Ernteverlustes. zur Lagerung der radioaktiven Rest-
Schwieriger ist es, Auswirkungen auf stoffe. Die Ergebnisse für die Fusion
den Menschen oder ein Biosystem zu – externe Kosten im Bereich weniger
bewerten. In einem pragmatischen Zehntel Cent pro erzeugter Kilowatt-
Ansatz versucht man den „Wert“ ei- stunde – sind vielversprechend (siehe
nes menschlichen Lebens abzuschät- Abb. 3). Bezüglich der externen Kos-
zen, indem man untersucht, was ten kann die Fusion damit leicht mit
Menschen bereit sind auszugeben, erneuerbaren Energietechniken wie
um die Wahrscheinlichkeit eines töd- Sonne und Wind konkurrieren.
49
50
6. Experimentelle Fusionsanlagen
51
Abb. 2:
Fortschritte auf dem Weg zum
Fusionskraftwerk (2).
Vergleich der Entwicklung des
Fusionsprodukts (Wärmeisolation)
mit dem Anstieg der Taktfrequenz
bzw. der Packungsdichte von
Transistoren bei PC-Prozessoren
(Moore’s Gesetz): Beides wächst
über die Jahrzehnte exponentiell
und etwa gleich schnell an –
ca. alle zwei Jahre erfolgt eine
Verdoppelung. (Grafik: FZJ)
52
Abb. 4: Links:
Die Ergebnisse von
Tokamak-Experimenten
von vier Jahrzehnten
Mit dem weltweit führenden europäi- Ergebnisse von Tokamak-Experimen-
erlauben eine sichere
schen Tokamak JET (Joint European ten aus mittlerweile mehr als vier
Extrapolation auf einen
Torus) steht die Entwicklung der Jahrzehnten haben zum Verständnis
Betriebszustand mit
Kernfusion heute bereits kurz vor der physikalischen Prozesse im Fu-
hoher Netto-Energie-
dem Break-Even: 65% der zur Erzeu- sionsplasma beigetragen. Eine Viel-
erzeugung (ITER).
gung des JET-Plasmas aufgewende- zahl von Anlagen verschiedenster
Rechts: Entwicklung
ten Energie kann durch Fusion zu- Größenordnungen umfassend, konnte
der Größe von Fusions-
rück gewonnen werden (Q = 0,65, auf diese Weise eine weltweite Da-
experimenten über die
Abb. 3). JET erzeugte so erstmals tenbank aufgebaut werden, die eine
Jahrzehnte mit dem
1997 etwa 16 Millionen Watt durch Modellierung wichtiger Zustandsgrö-
Ergebnis, dass das
Fusion, kann den Break-Even selbst ßen erlaubt, so z.B. der kritischen Ei-
größere Plasmavolum-
zurzeit aber – genau wie die Zündung genschaft der Wärmeisolation (siehe
en die bessere Wärme-
– aus physikalischen Gründen nicht „vorhergesagte und gemessene Ein-
isolation besitzt. Das
erreichen. Dazu bedarf es eines näch- schlusszeit“ in Abb. 4). Unter der
im Bau befindliche
sten Schrittes – eines neuen und grö- Einschlusszeit versteht man diejenige
internationale Fusions-
ßeren Fusionsexperiments. Zeitspanne, die eine im Plasma ent-
experiment ITER wird
haltene Energiemenge festgehalten –
voraussichtlich 2016 in
also durch ein Magnetfeld einge-
Betrieb gehen und soll
schlossen – werden kann, bevor sie
eine Leistung von
JET durch Wärmeleitung an die Umge-
15 (1997) 500 Millionen Watt
bung verloren geht und die Tempera-
erzeugen. (Grafik: FZJ)
Fusionsleistung (Megawatt)
JET
5 (1997)
Q~0,2
JET
(1991)
0
0 1.0 2.0 3.0 4.0 5.0 6.0
Zeit (Sekunden)
Abb. 3:
Meilensteine der Fusionsforschung:
Der europäische Tokamak JET hält mit 65 %
Ausbeute und 16 Megawatt Fusionsleistung
den Weltrekord, gefolgt vom amerikanischen
Tokamak TFTR in Princeton, der bereits 1994
mehr als 10 Megawatt durch Fusion erzeugen
konnte, heute allerdings still gelegt ist.
(Grafik: FZJ)
53
Offensichtlichstes Ergebnis der Toka- nicht im Sinne eines unendlichen
makforschung ist dabei, dass ein grö- Energieverstärkungsfaktors realisie-
ßeres Plasmavolumen die bessere ren, sondern einen endlichen Faktor
Wärmeisolation bzw. die größere Q von mindestens 10 aufweisen.
Einschlusszeit besitzt. Dies lässt sich Gründe dafür sind die bessere Sta-
physikalisch relativ einfach erklären: bilität und die leichtere Handhabbar-
Der Energieverlust des Plasmas über keit eines derartigen Fusionsplasmas.
Wärmeleitung ist ein durch seine
Oberfläche bestimmter Prozess, wäh- Die Zeitskala auf dem Weg zu einer
rend die Energieerzeugung durch das wirtschaftlichen Nutzung der Kern-
Plasmavolumen geprägt wird. Wird fusion (siehe Abb. 5) sieht zunächst
ein Objekt größer, so spielt seine die Inbetriebnahme von ITER etwa
Oberfläche (sie ist proportional zur im Jahr 2016 vor. Nach zehn Jahren
zweiten Potenz des Durchmessers) Forschungsarbeit werden die bei
eine immer unwichtigere Rolle ge- ITER und anderen Experimenten –
genüber seinem Volumen, das pro- etwa bei Wendelstein 7-X – gewon-
portional zur dritten Potenz des nenen Erkenntnisse in das Design des
Durchmessers ist. ersten wirklichen Fusionskraftwerks
einfließen, das heute bereits den
Die umfangreiche Tokamak-Ergeb- Namen DEMO trägt. Sein Bau soll
nisdatenbank erlaubt zudem eine um 2025 beginnen. Parallel zum
sichere Extrapolation auf einen expe- ITER-Betrieb werden technologische
rimentell bisher nicht erreichten Studien, zum Beispiel Materialunter-
Betriebszustand, der die Zündung des suchungen mittels einer 14 MeV-
Plasmas und damit eine nennenswer- Neutronenquelle, maßgeblich zur
te Netto-Energieproduktion ermög- Auslegung dieses ersten Fusions-
licht. Der in internationaler Zusam- kraftwerks beitragen. DEMO soll
menarbeit geplante und im französi- etwa im Jahr 2035 den ersten Fusi-
schen Cadarache im Bau befindliche onsstrom in Netz einspeisen. Mit der
Fusionsreaktor ITER (lateinisch „der kommerziellen Verfügbarkeit von
Weg“) beruht darauf. Details zu wirtschaftlich arbeitenden Kern-
ITER sind in Kapitel 6.3 beschrieben. fusionskraftwerken wird aus heutiger
Allerdings wird ITER die Zündung Sicht nach dem Jahr 2045 gerechnet.
54
Plasmaphysik
Tokamak-Physik
Strom- Kommerzielle
Erzeugung Fusionskraftwerke
Konzeptverbesserungen, Stellarator
Entscheidung
Anlagen
ITER DEMO
14 MeV-Neutronenquelle
ITER-relevante Technologie
Technologie
DEMO-relevante Technologie
Abb. 5:
Die „Roadmap“ – Zeitskala des Wegs zur wirtschaftlichen Nutzung der
Kernfusion: Um 2025 wird, aufbauend auf den Ergebnissen von ITER und
anderen Experimenten, entschieden, wie das erste wirkliche Fusionskraft-
werk namens DEMO ausgelegt sein soll, das ab 2035 Strom ins Netz
speisen soll. Mit der kommerziellen Verfügbarkeit der Fusion wird nach
2045 gerechnet. (Grafik: IPP)
55
6.2. Internationale Zusammenarbeit
56
Abb. 5:
Fusionslaboratorien Helsinki
10
in Europa
Stockholm
(Grafik: IPP) 9
9 24
Riga
11
3
Dublin 12
3
2 1
1
6 13
6
21
Prag
1 Niederlande
14 4 5
• FOM-Instituut voor Plasmafysica „Rijn- 16 20
huizen“, Nieuwegein
12 Wien Budapest
16 16
• NRG (Energy Research Foundation ECN Bukarest
15
23 22
KEMA), Petten 8 Ljubljana
8
57
Experiment Typ Laboratorium Aufgabe Betriebsbeginn
58
6.3. Der nächste Schritt: ITER
59
Gesamtradius (über alles): 15 Meter
Höhe (über alles): 30 Meter
Gewicht: 15000 Tonnen
Plasmaradius: 6,2 Meter
Plasmahöhe: 7,4 Meter
Plasmabreite: 4,0 Meter
Plasmavolumen: 837 Kubikmeter
Magnetfeld: 5,3 Tesla
Maximaler Plasmastrom: 15 Megaampere
Heizleistung und Stromtrieb: 73 Megawatt
Wandbelastung durch Neutronen 0,57 Megawatt pro Quadratmeter
Tab. 3:
Fusionsleistung: 500 Megawatt
Wesentliche Daten des ITER-Experiments
(nach dem Abschlussbericht vom Juli 2001) Brenndauer: ≥ 300 Sekunden
blieben, konnte man dennoch – ange- Verkleinerung des Plasmavolumens wonnenen fertigungstechnischen Er-
sichts der Finanzschwierigkeiten in von ursprünglich 2000 auf 840 Ku- fahrungen sind Kosten sparend in den
den Partnerländern – nicht zu einer bikmeter ließen sich die Baukosten Neuentwurf eingeflossen.
Bauentscheidung kommen. Dies auf rund 4 Milliarden Euro ungefähr
führte zu einem Rückzug der USA halbieren. Die größten Einsparungen 2003 haben sich dem Projekt neue
aus den ITER-Aktivitäten. ergaben sich dabei durch die Grö- Partner – China und Südkorea – an-
ßenreduzierung bei den Gebäuden geschlossen, im gleichen Jahr sind
Die verbleibenden Partner Japan, Eu- und den supraleitenden Magnetspulen. auch die USA nach ihrem vorüberge-
ropa und Russland beschlossen, den Der von den Spulen erzeugte Mag- henden Rückzug dem Projekt wieder
ITER-Entwurf in einer dreijährigen netfeldkäfig schließt einen Plasma-
Planungsverlängerung Kosten spa- ring ein, dessen Radius von zuvor acht
rend zu überarbeiten. Dabei sollte das auf jetzt sechs Meter gekürzt wurde.
Ziel beibehalten werden, die Fusion Daraus folgt eine reduzierte Fusions- Abb. 1:
innerhalb nur einer weiteren Experi- leistung von 500 Megawatt (zuvor Prototyp der Hälfte eines Plasmagefäß-Sektors
mentgeneration bis zum Demonstra- 1500) und ein Energiegewinnungs- in Originalgröße – nach dem ITER-Entwurf von
tionskraftwerk zu bringen. Letzteres faktor von etwa 10: Das Zehnfache 1998 – hergestellt in Japan
erfordert, dass auch in einem verklei- der zur Plasmaheizung aufgewandten (Foto: ITER).
nerten ITER die Selbstheizung des Energie wird als Fusionsenergie ge-
Plasmas durch die bei der Fusion ent- wonnen.
stehenden Heliumteilchen jede Fremd-
heizung um einen Faktor zwei über- Neben der Verkleinerung der Anlage
trifft, dass ein echt stationärer Be- konnte man zur Kostensenkung eben-
trieb bei dominierender Fusionshei- so neue technologische Erkenntnisse
zung möglich ist und wesentliche nutzen. Zur Unterstützung der ITER-
Technologien eines Fusionskraftwerks Planung wurden nämlich 1995 sieben
wie supraleitende Spulen, Fernbedie- große Technologieprojekte begon-
nungstechnik für Service-, Repara- nen: Um die industrielle Machbarkeit
tur- und Umbauarbeiten sowie Brut- und Tauglichkeit der wesentlichen
module zum Erzeugen des Brenn- ITER-Bauteile zu zeigen, wurden
stoffbestandteils Tritium zum Einsatz zwei Magnetspulen-Modelle (Abb.
kommen. 2), ein Prototyp-Teil des Plasmagefä-
ßes (Abb. 1), Blanket-Bausteine, Di-
Der Prozess des Abwägens zwischen vertor-Komponenten sowie Fernbe-
angestrebter Kostensenkung einer- dienungs-Apparaturen zum Auswech-
seits und erreichbaren Betriebsbe- seln von Blanket- und Divertor-Teilen
dingungen und technischen Zielen gefertigt. Alle Prototypen und Mo-
andererseits wurde mit dem 2001 delle wurden unter den späteren Be-
vorgelegten, überarbeiteten Entwurf triebsbedingungen getestet. Auch die
für ITER abgeschlossen: Mit einer in diesem Technologieprogramm ge-
60
Abb. 2:
Das äußere Modul der
Model-Transformator-
spule, hergestellt in
Japan (Foto: ITER).
beigetreten. Gegenwärtig laufen die kosten belaufen sich auf rund 4,6
Verhandlungen über die rechtlichen Milliarden Euro, die Betriebskosten –
und organisatorischen Rahmenbedin- einschließlich Rücklagen für den spä-
gungen des Projekts. In Eingrenzung teren Abbau – werden auf jährlich
der ursprünglich diskutierten vier 265 Millionen Euro veranschlagt.
Standortangebote aus Kanada, Frank- Nach einer Bauzeit von etwa zehn
reich, Spanien und Japan konzen- Jahren könnte ITER das erste Plasma
trierten sich die Verhandlungen auf erzeugen. Dann werden rund 600
zwei Vorschläge: Cadarache in Süd- Wissenschaftler, Ingenieure und Tech-
frankreich und Rokkasho in Japan. niker rund zwanzig Jahre an der An-
Im Juni 2005 fiel die Entscheidung lage arbeiten.
für Cadarache. Ende 2005 schloss
sich Indien als siebter Partner der
ITER-Zusammenarbeit an. Die Bau-
Abb. 3:
Der Internationale Experimentalreaktor
ITER im Entwurf.
Von innen nach außen:
Transformatorspule (rosa),
Plasmaring (rot),
Blanket (grau),
Plasmagefäß mit den am Boden
angebrachten Divertorplatten (grau),
Magnete (gelb) und Kryostat.
(Grafik: ITER)
61
62
7. Forschungsaktivitäten der
Entwicklungsgemeinschaft
7.1. Max-Planck-Institut für Plasmaphysik
63
7.1.1. Der Tokamak ASDEX Upgrade
Mit der Erzeugung des ersten Plas- des internationalen Testreaktors ITER
mas begannen am 21. März 1991 im geeignet, der in weltweiter Zusammen-
IPP die Experimente an dem Toka- arbeit realisiert wird. Das Arbeits-
mak ASDEX Upgrade, der größten programm für ASDEX Upgrade wird
Fusionsanlage in Deutschland (Abb. durch ein europäisches Programmko-
Abb. 1: 1, 2). Aufbau und wesentliche Plasma- mitee aufgestellt, so dass Forscher
Der Tokamak eigenschaften der Anlage sind einem aus ganz Europa die Anlage für ihre
ASDEX Upgrade späteren Kraftwerk angepasst. Sie ist Experimente nutzen können.
(Foto: IPP) damit insbesondere zur Vorbereitung
64
Abb. 2:
Blick in das Plasmagefäß von ASDEX Upgrade
(Foto: IPP)
65
Abb. 5:
Im Kontrollraum
von ASDEX Upgrade.
Von hier aus wird der
Ablauf der Experi-
mente und Messungen
gesteuert. (Foto: IPP)
Ziel: Hohe Wärmeisolation des Diese bewährte Betriebsweise ist Plasmateilchen auf die Divertorplat-
Plasmas auch für ITER und ein späteres Kraft- ten einprasselt, wurden in die Rand-
werk vorgesehen. Wegen der hohen schicht des Plasmas Verunreinigun-
Dem „Divertor“ verdankt ASDEX Fusionsleistungen ist dies hier jedoch gen – Atome des Edelgases Neon –
Upgrade seinen Namen: „Axialsym- nicht mehr problemlos: Von der in ei- eingeblasen. Durch den Kontakt mit
metrisches Divertor-Experiment“. Um nem Kraftwerk zu erwartenden Leis- dem heißen Plasma werden sie zum
zu verhindern, dass das Plasma in tung von ein bis zwei Gigawatt wird Leuchten angeregt und schaffen so
Kontakt mit den umgebenden Wän- zwar der Hauptteil von den Fusions- die Energie auf sanfte Weise als Ul-
den gerät und dort Verunreinigungen neutronen großflächig auf den Wänden traviolett- oder Röntgenlicht aus dem
abschlägt, lenken die Divertormag- des Plasmagefäßes abgeladen. Die eng Plasma. Infolgedessen war trotz ho-
nete die äußere Randschicht des Plas- gebündelt in den Divertor strömen- her Heizleistung keine nennenswerte
mas auf Prallplatten am Boden des den Plasmateilchen bringen aber im- Erhitzung der Divertorplatten festzu-
Plasmagefäßes (Abb. 4). Die Plasma- mer noch ein Fünftel dieser Leistung stellen. Allerdings zeigten Versuche,
teilchen und Verunreinigungen – in auf die Divertorplatten. Im H-Regime dieses H-Regime mit „strahlender
einem brennenden Plasma auch die wird dieses Problem noch dadurch Randschicht“ auch am derzeit größ-
„Fusionsasche“ Helium – treffen dort verstärkt, dass Rand-Instabilitäten ten Fusionsexperiment JET in Cul-
abgekühlt auf, werden neutralisiert des Plasmas, sogenannte ELMs ham zu verwirklichen, dass sich die
und abgepumpt. So wird die Gefäß- (Edge Localized Modes), Plasma- günstigen Wärmeisolationseigen-
wand geschont und zugleich ein Plas- teilchen und -energien gebündelt und schaften nicht ohne weiteres übertra-
mazustand mit guter Wärmeisolation schlagartig auf die Platten werfen. gen lassen. Daher werden an ASDEX
am Plasmarand erreicht, das „High- Upgrade auch andere Wege zur sanf-
Confinement Regime“, kurz H-Re- Eine mögliche Lösung hat ASDEX ten Leistungsabfuhr untersucht: In-
gime. Es wurde 1982 am IPP-Expe- Upgrade 1994 – aufbauend auf Expe- zwischen ist es durch spezielle For-
riment ASDEX entdeckt. rimenten am Jülicher Tokamak TEX- mung des Plasmaquerschnitts, insbe-
TOR – vorgeführt: Damit nicht die sondere die „Dreieckigkeit“, gelun-
gesamte Energie in Form schneller gen, einen Plasmazustand mit hoher
Plasmadichte und kleinen, hochfre-
quenten ELMs zu erreichen, der in
seinen Einschlusseigenschaften dem
H-Regime mit strahlender Rand-
schicht überlegen ist. Zur Zeit ist je-
Abb. 4: Blick in das doch noch offen, ob ITER eine Kom-
Plasma von ASDEX bination beider Rezepte zur sanften
Upgrade. Man erkennt, Energieabfuhr einsetzen muss, um
wie das Divertor- die Divertorbelastung verträglich zu
magnetfeld die äußere halten.
Randschicht des
Plasmas auf Prall- Neben der Optimierung der Leis-
platten am Boden des tungsabfuhr wurden aber auch die
Plasmagefäßes lenkt. Einschlusseigenschaften des H-Re-
(Foto: IPP) gimes weiterentwickelt. Ein Beispiel
66
ist das „Verbesserte H-Regime“: Im vorgerufen werden – mit verbesser- den Profilen der Ionen- und der
Jahr 1997 fanden Wissenschaftler an tem Einschluss in inneren Plasma- Elektronentemperatur erreicht wer-
ASDEX Upgrade heraus, dass sich bereichen kombiniert, in denen die den können (Abb. 6). In diesem güns-
durch spezielle Formung des Strom- Wärmeisolation durch das Ausbilden tigen Plasmazustand steigt die Wär-
profils ein Zustand mit nochmals ver- einer Plasmaströmung stark verbes- meisolation nochmals um 30 Prozent.
besserten Energieeinschluss- und sert ist. Um eine interne Barriere auf-
Stabilitätseigenschaften erreichen zubauen, gibt man dem im Plasma Solche Ergebnisse dienen direkt der
lässt. Entsprechend fand der neue fließenden Strom – der einen Teil des Konzeptverbesserung des Tokamaks:
Plasmazustand großes Interesse: Je magnetischen Käfigs aufbaut – ein Für Fusionsanlagen vom Typ Toka-
höher man den Energieinhalt des optimiertes Profil. Während sich nor- mak ist es nämlich im Hinblick auf
Plasmas und damit die Fusions- malerweise die Stromstärke im hei- ein künftiges Kraftwerk wichtig, die
ausbeute treiben kann, desto kleiner ßen Plasmazentrum zuspitzt, wird Anlagen vom Puls- zum Dauerbetrieb
und damit kostengünstiger wird ein nun ein flacheres Stromprofil einge- zu bringen. Dazu muss der Plasma-
späteres Kraftwerk. stellt. Das veränderte Stromprofil ist strom von außen getrieben werden
Ursache für die Transportbarriere und und nicht mehr über den nur puls-
Ein stabiler Plasmazustand mit noch- soll durch äußeren Stromtrieb über weise arbeitenden Transformator: So
mals verbesserter Wärmeisolation die gesamte Entladung erhalten wer- wurde in den Entladungen mit ver-
lässt sich durch den Aufbau so den. bessertem H-Regime der Strom nur
genannter interner Transportbarrieren noch zu 50 Prozent per Transfor-
realisieren. Dabei wird das H-Regime ASDEX Upgrade konnte 1998 zum mator erzeugt; 15 Prozent trieb die
– dessen gute Werte durch eine ersten Mal zeigen, dass interne Neutralteilchenheizung und 35 Pro-
Transportbarriere am Plasmarand her- Transportbarrieren gleichzeitig in zent trug ein mit dem Plasmadruck
verbundener Strom bei, der Boot-
strap-Strom. Auf die beiden letzteren
150 setzt man bei allen Versuchen, den
Tokamak dauerbetriebsfähig zu ma-
ASDEX Upgrade #12229 chen. Wie sich dies mit anderen
Elektronentemperatur Erfordernissen – Stabilität, Verunrei-
Ionentemperatur
nigungskontrolle und Energieabfuhr
Temperatur (Millionen Grad)
Abb. 6:
50 Profile der Ionen- und Elektronentemperatur
in ASDEX Upgrade über dem Plasmaradius. Im
Bereich der internen Transportbarriere (blaues
Feld) werden die Profile deutlich steiler, so
dass hohe Zentraltemperaturen erreicht
0 werden. (Grafik: IPP)
0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0
normierter Plasmaradius
67
Abb. 7:
Messgerät zur
Bestimmung der
Elektronentemperatur
am Fusionsexperiment
ASDEX Upgrade. Die
Hohlleiter lenken die
Zyklotronstrahlung der
Elektronen zu
Detektoren. (Foto: IPP)
In den folgenden Jahren gelang es an Nach den Erfolgen an ASDEX Up- sichtlich, dass dies auch in dem noch-
ASDEX Upgrade, das „Verbesserte grade konnte auch das ähnlich aufge- mals größeren ITER gelingen wird.
H-Regime“ über einen immer breite- baute Fusionsexperiment DIII-D in Die zu erwartende Fusionsausbeute
ren Arbeitsbereich einzustellen. Dazu San Diego/USA das „Verbesserte H- würde sich damit mindestens verdop-
muss man dem Plasmastrom von An- Regime“ erreichen. Im Sommer 2003 peln. Statt der angestrebten 400
fang an den richtigen Weg im Plasma gelang es IPP-Wissenschaftlern Megawatt könnte ITER in dieser
bahnen. Für diesen „Stromtrieb“ kon- schließlich, den günstigen Plasma- Betriebsweise bei sonst gleichen Be-
nte man nun die umgebaute Neutral- zustand an der Großanlage JET in dingungen mehr als 800 Megawatt
teilchen-Heizung nutzen. Richtig Culham zu realisieren. 2004 stand er Fusionsleistung liefern.
begonnen, bleibt das beim Starten der dann erneut auf dem Garchinger
Entladung geformte Stromprofil durch Experimentierplan. Selbst nach ei- Bekämpfung von
komplexe Rückkopplungen zwischen nem alternativen, an DIII-D entwi- Plasmainstabilitäten
Plasma und Magnetfeld über die ckelten Verfahren stellte sich der
ganze Entladung stabil. Bis zu 50 gewünschte Plasmazustand auf An- Ein weiteres Arbeitsthema an ASDEX
Prozent des Plasmastroms werden hieb ein. Resultat war der bisherige Upgrade ist die Bekämpfung von
dann von der Heizung und dem druk- Anlagenrekord von ASDEX Upgrade Plasmainstabilitäten: Das komplexe
kgetriebenen Bootstrap-Stom getra- für den Energieinhalt im Plasma: 1,5 Wechselspiel zwischen Plasmateil-
gen, der Rest wird auf konventionel- Megajoule. Wesentlich wichtiger chen und magnetischem Käfig macht
le Weise per Transformator im noch: Nachdem sich das „Verbesserte nämlich eine ganze Reihe von Insta-
Plasma erzeugt. H-Regime“ auf verschiedenen Wegen bilitäten möglich, die den Einschluss
in drei unterschiedlich großen An- verschlechtern. Besonders uner-
lagen erreichen ließ, ist man zuver- wünscht sind so genannte „Neo-
68
klassische Tearing-Moden“. Sie tre- vermieden,
ten auf, wenn Temperatur und Druck die die Plas-
des Plasmas in die Nähe der Zünd- mateilchen
werte kommen. auf die Wän-
de führen wür-
Wie gefährlich diese Instabilitäten den. Die hohen
für die Leistungsfähigkeit von ITER Zündtemperaturen wä-
sein können, erkannten die Plas- ren dann unerreichbar. Auf den mag- Abb. 8:
matheoretiker des IPP bereits vor netischen Flächen sind Dichte und Eine Instabilität entsteht:
einigen Jahren: Die Obergrenze für Temperatur jeweils konstant, während Die zunächst sauber
den Plasmadruck liegt um so niedri- von Fläche zu Fläche – vom heißen ineinander geschachtelten
ger, je größer die Anlagen sind – bei Zentrum nach außen – Dichte, Tem- magnetischen Flächen
ITER zehn mal niedriger als bei dem peratur und Plasmadruck abnehmen. (links) verformen sich –
kleineren ASDEX Upgrade: also eine es bilden sich magneti-
erhebliche Schwierigkeit für ITER Instabilitäten jedoch können das ein- sche Inseln (rechts).
und ein ernst zu nehmendes Hinder- schließende Magnetfeld verformen. (Grafik: IPP)
nis auf dem Weg zu einem wirtschaft- Wie die genaue Analyse der „Neo-
lich arbeitenden Kraftwerk. Unter klassischen Tearing-Moden“ zeigt,
Leitung des IPP sollte daher eine bilden sich im vormals sym-
europäische Gruppe das Problem für metrischen Plasmaring blasenartige
ITER lösen. Beteiligt waren Wissen- Störungen mit eigener, in sich ge-
schaftler der Universität Stuttgart schlossener Magnetfeldstruktur:
sowie der Fusionszentren in England, magnetische „Inseln“ (Abb. 8). Aus-
den Niederlanden und Italien. löser ist das Ansteigen des Plasma-
drucks bei hoher Plasmatemperatur.
Um die Tearing-Moden bekämpfen Beim Entstehen der Inseln reißen die
zu können, muss man zuvor ergrün- magnetischen Feldlinien auf und ver-
den, warum sie entstehen: In einer binden sich mit den Feldlinien be-
Fusionsanlage werden die Plasma- nachbarter magnetischer Flächen. Es
teilchen von den Feldlinien des mag- kommt quasi zu einem magnetischen
netischen Käfigs wie auf Schienen Kurzschluss. Da nun ein schneller
geführt und können so von den Wän- Energieaustausch auch quer zu den
den des Plasmagefäßes ferngehalten Flächen möglich wird, sinken Plas-
werden. Für einen „dichten“ Käfig matemperatur und Plasmadruck über
müssen die Feldlinien innerhalb des die Breite der Insel stark ab. Damit
ringförmigen Plasmagefäßes ge- beschränken sie den erreichbaren
schlossene, ineinander geschachtelte Plasmadruck: Die Leistungsausbeute
Flächen aufspannen. So werden nach von ITER und einem späteren Kraft-
außen weisende Feldkomponenten werks würde sehr darunter leiden.
69
Radius der Anlage (über alles): 5 Meter
Höhe (über alles): 9 Meter
Gewicht: 800 Tonnen
Großer Plasmaradius: 1,65 Meter
Plasmahöhe: 1,60 Meter
Plasmabreite: 1,00 Meter
Plasmavolumen: 14 Kubikmeter
Plasmagewicht 0,003 Gramm
Anzahl der Toroidalfeldspulen: 16
Magnetfeld: 3,1 Tesla
Plasmastrom: max. 1,6 Megaampere
Heizleistung: max. 30 Megawatt
- Stromheizung 1 Megawatt
Tab. 1: - Neutral-Injektion 20 Megawatt
Charakteristische - Ionen-Zyklotronheizung 6 Megawatt
Daten des
- Mikrowellen-Heizung 4 Megawatt
Experimentes
ASDEX Upgrade Pulsdauer: 10 Sekunden
Da die Obergrenze für den Plasma- präzise in die richtige Stelle einge- stoff, der sich durch hervorragende
druck um so niedriger liegt, je größer strahlt – weniger als zehn Prozent der thermische und mechanische Ei-
die Anlagen sind, schienen in einem insgesamt aufgewandten Heizleis- genschaften auszeichnet, wurde an
Kraftwerk die Tearing-Moden zu- tung. Damit kann man sicher sein, ein ASDEX Upgrade sehr erfolgreich mit
nächst unvermeidlich. Um so größer Instrument zur Kontrolle der magne- einer Wolframbeschichtung des Di-
war das Aufsehen, als es an ASDEX tischen Inseln gefunden zu haben. Zu vertors und der inneren Wand experi-
Upgrade 1999 erstmals gelungen war, untersuchen ist nun, ob es für ITER mentiert (siehe auch Kap. 7.1.4).
die Bildung dieser magnetischen alltagstauglich ist. Um diesen Schritt Wolfram ist in seinen thermischen
Inseln zu behindern: Dazu hat man von der Physik zur Technik zu gehen, und mechanischen Eigenschaften
gezielt – auf Zentimeter genau – Mik- will man das Verfahren automatisie- dem Kohlenstoff noch überlegen und
rowellen in die Mitte einer entstehen- ren: Das Erkennen der Inseln und ihr kann darüber hinaus, im Gegensatz
den Insel eingestrahlt. So wurde lokal Anzielen per Mikrowelle soll in die zu Kohlenstoff, nur wenig Wasser-
ein elektrischer Strom erzeugt, der automatisierte Feed-Back-Steuerung stoff binden, was sich in einem Kraft-
die Insel auflöst. Die Magnetfeldstö- von ASDEX Upgrade aufgenommen werk günstig auf das Tritiuminventar
rung wird unterdrückt und der Plas- werden. Das System soll die Aus- auswirken würde.
madruck kann wieder ansteigen. bildung einer Insel selbständig regi-
Durchschlagenden Erfolg hatte man strieren, dann die Insel mit beweg- Wolframverunreinigungen können je-
dann ein Jahr später, als es gelang, lichen Spiegeln anvisieren und den doch in wesentlich geringerem Maße
eine Insel gänzlich wegzupusten. Be- Mikrowellenstrahl auslösen. In den als Kohlenstoff im Plasma geduldet
stätigt werden konnte die neue Me- ITER-Plänen ist für diesen Zweck werden, da Wolfram zu starken Ab-
thode kurz danach an Fusionsanlagen bereits eine steuerbare Einkopplung strahlungsverlusten führt. ASDEX
in den USA und in Japan. für Mikrowellen vorgesehen. Upgrade konnte jedoch zeigen, dass
in Verbindung mit der sanften Wär-
2004 ist es an ASDEX Upgrade nicht Studien zum Wandmaterial meabfuhr im Divertor nur wenige
nur gelungen, eine besonders stören- Wolframatome an den Prallplatten
de Tearing-Mode zu stabilisieren, die Zusätzlich untersucht man an ASDEX losgelöst werden und ins Plasma ein-
bis zum Abbruch der Entladung füh- Upgrade unterschiedliche Wandmate- dringen können. Wolfram steht damit
ren kann. Nach der Verbesserung des rialien, die den Leistungs- und Teil- als ernsthafter Kandidat zur Wand-
Zielverfahrens gelang dies auch noch chenflüssen in einem Kraftwerk stand- auskleidung in künftigen Fusions-
mit sehr geringer Mikrowellenleis- halten können. Neben dem an vielen anlagen zur Verfügung.
tung: Zur Stabilisierung genügten – Fusionsanlagen eingesetzten Kohlen-
70
7.1.2. Mitarbeit bei JET und ITER
JET-Mitarbeit
Abb. 9:
Das europäische
Gemeinschaftsexperiment JET
(Foto: JET-EFDA)
71
Abb. 10:
Die für ITER entwickelte
Hochfrequenz-Quelle des
IPP für negative Ionen.
(Foto: IPP)
Da das JET-Programm vor allem der ITER-Mitarbeit ven Ionen. Die Erzeugung, Beschleu-
Vorbereitung von ITER dient, ist der nigung und anschließende Neutrali-
Vergleich zwischen JET und dem Abgesehen von seiner Rolle als Gast- sation negativer Wasserstoff-Ionen,
Garchinger ASDEX Upgrade – den geber der EFDA- und ITER-Gruppe die im Unterschied zu positiven Ionen
beiden größten ITER-ähnlichen To- in Garching trägt das IPP mit dem sehr fragile Gebilde sind, ist in physi-
kamaks in Europa – besonders frucht- Forschungsprogramm seines Experi- kalischer und technischer Hinsicht
bar. Ein Highlight waren hier die ments ASDEX Upgrade mit einem allerdings eine große Herausforde-
Experimente zum „Verbesserten H- Großteil seiner Aktivitäten zur Vor- rung. Für ITER verlangt sind zudem
Regime“. Im Sommer 2003 gelang es bereitung des Testreaktors ITER bei. hohe Teilchenenergien nahezu im
IPP-Wissenschaftlern, diesen mit Hier sind vor allem die Untersu- Dauerbetrieb.
ASDEX Upgrade entdeckten günsti- chungen zur Divertorphysik, zur
gen Plasmazustand auch an JET zu magnetohydrodynamischen Stabilität Neutralteilcheninjektoren mit negati-
realisieren (siehe S. 68). Damit darf sowie der Konzeptverbesserung hin ven Ionen werden weltweit in mehre-
man zuversichtlich sein, dass dies zum „Advanced Tokamak“ zu nen- ren Laboratorien entwickelt, bisher
auch in dem nochmals größeren nen. Außerdem stehen die IPP- auf der Grundlage von Bogenquellen.
ITER gelingen wird. Die zu erwar- Wissenschaftler in allen physikorien- Da diese Quellen jedoch sehr repara-
tende Fusionsausbeute von ITER tierten Fragen in engem Kontakt mit turanfällig sind und solche Repara-
würde sich damit mindestens verdop- der ITER-Gruppe und haben darüber turen bei ITER nur per Fernbedie-
peln. Bei sonst gleichen Bedingungen hinaus in zahlreichen Vertragsstudien nung möglich wären, würden sie
könnte die Anlage in dieser Be- spezielle Probleme für ITER bearbeitet. erheblichen Aufwand und lange Aus-
triebsweise statt der angezielten 400 fallzeiten verursachen. Hochfre-
mehr als 800 Megawatt Fusionsleis- Schließlich übernimmt das IPP zu- quenz-Plasmaquellen, wie sie Mitte
tung liefern. nehmend Arbeiten, die auf den Ent- der 90er-Jahre erstmals am Gar-
wurf und Bau spezieller Komponen- chinger Tokamak ASDEX Upgrade
IPP-Physiker und -Ingenieure sind da- ten von ITER hinzielen. Hier sollen eingesetzt wurden, versprechen dage-
rüber hinaus auch an der Definition Beiträge zur Diagnostikentwicklung, gen eine erheblich längere Lebens-
und Realisation des Ausbaus der JET- zu Heiz- und Stromtriebmethoden so- dauer und sind zudem einfacher auf-
Maschine beteiligt, wiederum haupt- wie zur Experimentsteuerung und gebaut. Im Rahmen eines Entwick-
sächlich mit dem Ziel, das Verhalten -regelung erbracht werden. Zum Bei- lungsvertrag untersucht das IPP da-
von ITER besser vorauszusagen zu spiel läuft im Bereich Technologie in her die Eignung einer Hochfrequenz-
können. Garching zur Zeit ein Entwicklungs- Quelle für ITER genauer, wobei alle
programm für eine neuartige Ionen- für ITER erforderlichen Parameter
quelle zur Plasmaheizung von ITER nachzuweisen sind. Wie die bisheri-
mit energiereichen Neutralteilchen- gen Ergebnisse zeigen, ist die Hoch-
strahlen (Abb. 10). Ausgangspunkt frequenz-Ionenquelle des IPP auf
hierzu sind, anders als für bisherige dem besten Wege, als Kandidat für
Fusionsanlagen, Strahlen aus negati- ITER in Betracht gezogen zu werden.
72
7.1.3. Der Stellarator Wendelstein 7-X
73
Abb. 12:
Blick in das Wendelstein-Plasma.
(Foto: IPP)
74
Abb. 14:
Spulenfertigung:
Der supraleitende
Spulenkern einer
der 50 Stellarator-
Spulen wird in sein
stählernes Gehäuse
gebettet. (Foto: IPP)
Mit einem supraleitenden Magnet- ten Magnetfeld einschließen, ver-
spulensystem (Abb. 13) will Wendel- schiedene Heizmethoden anwenden,
stein 7-X die wesentliche Stellara- stabilen Plasmaeinschluss zeigen
toreigenschaft zeigen, den Dauerbe- sowie die Plasma-Wand-Wechsel-
trieb. Der Aufbau des magnetischen wirkung studieren und die Entste-
Käfigs greift das bereits beim Vor- hung und den Abtransport von Ver-
gänger Wendelstein 7-AS verwirk- unreinigungen über längere Zeit kon-
lichte modulare Spulenkonzept auf: trollieren. Nicht angestrebt wird, ein
Die Anlage wird ein Spulensystem aus bereits Energie lieferndes Plasma her-
50 nichtebenen Einzelspulen besitzen zustellen. Da sich die Eigenschaften
(Abb. 14). 20 zusätzliche ebene Spu- eines brennenden Plasmas vom Toka-
len dienen dazu, das Magnetfeld zu mak zum großen Teil auf Stellaratoren
variieren (Abb. 15). Der von ihnen er- übertragen lassen, wird man diese In-
zeugte Magnetfeldkäfig soll ein Plas- formationen von dem Tokamak ITER
ma einschließen, das sichere Rück- übernehmen. Wenn Wendelstein 7-X
schlüsse auf die Kraftwerkseigen- die Erwartungen erfüllen sollte, dann
schaften der Advanced Stellarators könnte der Demonstrationsreaktor,
ermöglicht: Dazu will man ein heißes der auf ITER folgen soll, auch ein
und dichtes Wasserstoffplasma mit Stellarator sein.
Temperaturen von ungefähr 100 Mil-
lionen Grad und Beta-Werten (die das Abb. 15:
Verhältnis von Plasmadruck zum Eine der 20 ebenen Magnet-
Druck des Magnetfeldes angeben) spulen während der Fertigung.
von fünf Prozent in einem optimier- (Foto: IPP)
75
Abb. 16:
Teilstück des
Plasmagefäßes Wegen der angestrebten langen Puls- – nahe dem absoluten Nullpunkt – ge-
(Foto: IPP) zeiten werden für die Stromleiter der kühlt. Wegen der tiefen Betriebstempe-
Magnete statt normalleitendem Kup- ratur werden die Spulen in einem Kryos-
fer – wie beim Vorgänger – verlustlo- taten angeordnet, wo sie ein Vakuum
se, d.h. supraleitende Stromleiter aus von der Umgebung wärmeisoliert. Das
Niob-Titan benutzt. Die Spulen wer- innerhalb der Spulen liegende Plasma-
den mit flüssigem Helium auf Supra- gefäß ist in seiner Form dem verwunde-
leitungstemperatur von etwa 4 Kelvin nen Plasmaverlauf angepasst (Abb. 16).
76
Zur Prüfung der Betriebseigenschaf- genannten Gyrotrons, erzeugt, über
ten werden alle Spulen nach der Fer- Metallspiegel umgelenkt und in das
tigstellung nach Saclay in Frankreich Plasma fokussiert, wo sie bevorzugt
zu einer Testanlage der CEA trans- die Elektronen aufheizen. Die Plas-
portiert und bei Tieftemperatur ge- maionen werden mit Radiowellen
prüft. Die erste nichtebene Spule wur- einer Leistung von 4 Megawatt
de hier im Juni 2003 getestet. weiter aufgeheizt. Durch bis zu 20
Megawatt Neutralteilcheninjektion –
Wendelstein 7-X wird als stationär den Einschuss von energiereichen
betreibbares Experiment ausgelegt. Wasserstoffatomen – können Tempe-
Ein wichtiges Thema ist daher die ratur und Dichte des Plasmas weiter
Plasma-Wand-Wechselwirkung und erhöht werden.
die Entwicklung eines Stellarator-
Divertors. Dabei besitzt die optimier- Abb. 17:
te magnetische Konfiguration – ähn- Die erste nicht-ebene Magnetspule wurde
lich wie der Vorgänger Wendelstein 2003 nach Greifswald geliefert. Eingehängt in
7-AS – Eigenschaften eines „natürli- ein bewegliches Gestell (gelb) wird sie über
chen“ Divertors: Eng begrenzte mag- das Plasmagefäß gefädelt. (Foto: IPP)
netische Flussbündel – die magneti-
schen Inseln – winden sich um das
Einschlussgebiet und laufen in Rich-
tung der Gefäßwand. Über Diffusi-
onsvorgänge dringen Teilchen und
Energie in diese Flussbündel und
strömen parallel zum Magnetfeld die-
ses „Inseldivertors“ auf die fern vom
heißen Plasmazentrum angebrachte
Prallflächen, wo die geladenen Teil-
chen neutralisiert und von Vakuum-
pumpen entfernt werden.
77
Abb. 18:
Querschnitt durch eine Wicklung aus dem
Supraleiterkabel für Wendelstein 7-X: Man er-
kennt die rechteckigen Kabel-Windungen, die
durch harzimprägnierte Glasfaser gegeneinan-
der elektrisch isoliert sind. Eine Aluminium-
Hülle umschließt das Seil aus supraleitenden
Standard-Drähten. Durch die Hohlräume zwi-
schen den Drähten fließt Helium zum Kühlen
auf Tieftemperaturen nahe dem absoluten
Nullpunkt. (Foto: IPP)
78
Abb. 19:
Der Testkryostat für Wendelstein 7-X
während der Montage.
(Foto: Balcke-Dürr AG)
Um Baubarkeit und Funktion der heizt werden – durch zehn Mikro- Karlsruhe gelieferte erste TED-
Komponenten bei Betriebsbedingun- wellensender mit je einem Megawatt Serienröhre wurde im dortigen Test-
gen nachzuweisen, wurden in Ori- Ausgangsleistung. Das gesamte Mik- stand in Betrieb genommen. Die ma-
ginalgröße eine supraleitende Proto- rowellensystem wird durch das For- ximale Betriebszeit (Teststand-Limit)
typspule hergestellt sowie ein Teil- schungszentrum Karlsruhe beigestellt betrug drei Minuten bei 950 Kilowatt
stück des Kryostaten (Abb. 19). Die (siehe auch Kap. 7.3.1). Das For- und 31,5 Minuten bei 540 Kilowatt.
Testspule wurde 1998 fertig gestellt schungszentrum koordiniert hierbei Die Spezifikationen waren damit er-
und anschließend im Forschungs- die Einzelarbeiten im IPP in Greifs- füllt und die Röhre wurde zur End-
zentrum Karlsruhe in der Testanlage wald, im Institut für Plasmaforschung prüfung an das IPP ausgeliefert. Mit
TOSKA geprüft. Um die elektromag- der Universität Stuttgart und in der Ausgangsleistungen von rund einem
netischen Belastungen während des europäischen Industrie. Megawatt sind beide Röhren die
späteren Betriebs zu simulieren, wurde stärksten im Dauerbetrieb laufenden
die Prototyp-Spule dort einem star- Hergestellt wurden bereits eine Mo- Mikrowellensender der Welt.
ken magnetischen Hintergrundfeld dell- und eine Prototyp-Mikrowellen-
ausgesetzt. Auch unter höchsten Be- röhre von der französischen Firma
lastungen bis zu 10,6 Meganewton Thales Electron Devices (TED) und
blieben die Verformungen der Spule ein Gyrotron von der Firma Commu-
– wie berechnet – im elastischen Be- nications & Power Industries Inc.
reich. (CPI) in den USA. Nach einer Aus-
schreibung wurden weitere sieben
Mit dem Bau des Testkryostaten, ei- Gyrotrons bei Thales Electron De-
nem Achtel des Stellarators in Origi- vices bestellt, deren erstes Anfang
nalgröße, sollte nachgewiesen wer- 2005 geliefert wurde.
den, dass das komplex geformte
Plasmagefäß entsprechend den engen Das ab Juni 2004 im IPP schrittweise
Maßtoleranzen gefertigt werden und in Betrieb genommene CPI-Gyrotron
der Kryostat die geforderte Wärme- (Abb. 20) konnte mit einer Senderleis-
isolation der kalten Teile erreichen tung von rund 0,9 Megawatt im kon-
kann. Beim Zusammenbau wurden tinuierlichen Betrieb Anfang 2005
wichtige Erkenntnisse für die Detail- die vorgegebenen Spezifikationen er-
konstruktion von Wendelstein 7-X füllen. Erstmals wurde die für Wen-
gewonnen. delstein 7-X verlangte Betriebsdauer
von 30 Minuten zuverlässig erreicht
Entwicklungsbedarf bestand ebenso und auch die Dauerbetriebsfähigkeit
bei den Mikrowellensendern für die der Übertragungsleitung nachgewie-
Plasmaheizung. Gyrotrons wurden sen. Die Mitte Februar 2005 nach
bisher industriell nur für Heizpulse
von wenigen Sekunden und Leis- Abb. 20:
tungen von einigen hundert Kilowatt Die erste vom Forschungszentrum
gebaut. Das Plasma in Wendelstein Karlsruhe an das IPP ausgelieferte
7-X soll jedoch kontinuierlich ge- Mikrowellenröhre. (Foto: IPP)
79
Abb. 22:
Montagebeginn:
Eingehängt in ein
drehbares Gestell
wird die erste von
50 Stellarator-
Magnetspulen auf
ein Segment des
Plasmagefäßes ge-
fädelt. (Foto: IPP)
Abb. 21:
Übertragungsleitungen: Die Mikrowellen wer-
Durchmesser der Anlage (über alles): 16 Meter
den quasi-optisch übertragen, umgelenkt wer- Höhe (über alles): 5 Meter
den sie durch spezielle Spiegel. (Foto: IPP) Gewicht: 725 Tonnen
Großer Plasmaradius: 5,5 Meter
Mittlerer kleiner Plasmaradius: 0,53 Meter
Plasmavolumen: 30 Kubikmeter
Plasmagewicht: 0,005 - 0,03 Gramm
Anzahl der modularen Spulen: 50
Anzahl der ebenen Zusatzspulen: 20
Magnetfeld (Achse): 3 Tesla
Heizleistung (erste Ausbaustufe): 15 Megawatt
Pulsdauer: 10 Sekunden, Dauerbetrieb
mit Mikrowellen-Heizung
80
7.1.4. Plasmabelastete Materialien und Komponenten
Plasma-Wand-Wechselwirkung
81
Abb. 25:
Wandverkleidung für Wendelstein
7-X mit Borkarbid-Beschichtung
(Prototyp) (Foto: IPP)
Plasmabelastete Materialien mit mit dem freien Kohlenstoff des Gra- Ein Wandmaterial mit hoher
niedriger Kernladungszahl phits zu Methan reagieren. Zusätzlich Kernladungszahl: Wolfram
können, je nach Karbid, chemische
In gegenwärtigen Fusionsanlagen wer- Oberflächenprozesse die Reaktivität Trotz seiner hohen Kernladungszahl
den vornehmlich Materialien mit des Graphits beeinträchtigen, so dass ist jedoch auch ein Material wie
niedriger Kernladungszahl wie Koh- bei erhöhten Temperaturen eine wei- Wolfram von großem Interesse für
lenstoff oder Beryllium als Wandma- tere Verringerung der chemischen die Anwendung in Fusionskraftwer-
terial eingesetzt. Tritt bei Plasmakon- Erosion erreicht wird. ken: Hier wird der in heutigen An-
takt an der Oberfläche der Materi- lagen überwiegend verwendete Koh-
alien Erosion auf, so können Atome lenstoff problematisch. Bei der Wie-
des Wandmaterials ins Plasma eindrin- derablagerung erodierter Kohlenstoff-
gen. Wegen der geringen Kernla- atome wird nämlich das radioaktive
dungszahl dieser Verunreinigungen Brennstoffisotop Tritium in größeren
sind bei den hohen Plasmatempera- Mengen fest gebunden. Am Tokamak
turen jedoch nur noch wenige bzw. ASDEX Upgrade wird aus diesem
keine Elektronen an die Atomrümpfe Grund – weltweit einmalig – Wolfram
gebunden. Entsprechend gering ist als alternatives Material für plasma-
deren Energieabstrahlung im heißen belastete Komponenten untersucht.
Plasmazentrum; der damit verbunde- Abb. 24: Das Element weist wesentlich niedri-
ne Leistungsverlust aus dem Plasma Erodierte Graphitoberfläche nach Belastung mit gere Abtragungsraten als Kohlenstoff
ist daher tolerierbar. Deuterium-Ionen. Man erkennt Titankarbidkörner auf. Durch seine hohe Kernladungs-
auf den Spitzen der Graphitnadeln. (Foto: IPP) zahl verursacht es jedoch wesentlich
Für Komponenten, deren Oberfläche stärkere Abstrahlungsverluste, so dass
hohen Wärmelasten ausgesetzt sind – Für die Erste Wand von Wendelstein die entsprechende tolerierbare Kon-
zum Beispiel die Divertorplatten – bie- 7-X werden daher Borkarbidschich- zentration um einen Faktor 200 bis
ten sich Graphite und kohlefaserver- ten entwickelt, die auf Wandbauteilen 300 unter der von Kohlenstoff liegt.
stärkte Kohlenstoffe an. Einen Weg, aus Edelstahl aufgebracht werden
die Vorteile des Graphits wie hohe können (Abb. 25). Für diese Anwen- Für den Divertorbereich konnte an
thermische Stabilität und gute Wär- dung wurden erstmalig plasmage- ASDEX Upgrade bereits 1996 die
meleitfähigkeit zu nutzen und chemi- spritzte Schichten mit einer Schicht- Verwendbarkeit von Wolfram unter
sche Erosion durch den Wasserstoff- stärke bis zu 0,5 Millimeter auf groß- ITER-ähnlichen Bedingungen erfolg-
angriff zu reduzieren, weisen dotierte flächige Wandbauteile aufgebracht. reich demonstriert werden. Wün-
Graphite auf. Karbiddotierungen bil- Unter zyklischen Wärmeflussbelas- schenswert wäre die Verwendung von
den durch ihre Anreicherung an der tungen in einer Testanlage des For- Wolfram jedoch auch für die Wand
belasteten Oberfläche einen wir- schungszentrums Karlsruhe zeigten der Plasmahauptkammer. Dazu wurde
kungsvollen Schutz des graphitischen die mit Borkarbid beschichteten Bau- an der Abdeckung der inneren Gefäß-
Matrixmaterials (Abb. 24). Der Was- teile keine Schädigung und erwiesen wand in den letzten Experimentier-
serstoff aus dem Plasma trifft vor- sich als resistent gegen den chemi- kampagnen Wolfram mit stetig zu-
nehmlich auf die an der Oberfläche schen Angriff durch das Wasser- nehmendem Flächenanteil eingesetzt.
befindlichen Karbide und kann nicht stoffplasma. Auf die verwendeten Graphitziegel
82
Abb. 26:
Dünne Wolframschichten, die durch unter-
schiedliche Verfahren abgeschieden wurden;
oben: Verdampfung in einem Lichtbogen,
unten: Magnetron-Zerstäubung. Die Mikro-
struktur der abgeschiedenen Schichten ist in
hohem Maße prozessabhängig. (Foto: IPP)
wurde dafür eine Wolframschicht mit tigt wurde dies bei Untersuchungen Abb. 27:
einer Dicke von einigen Mikrometern der räumlichen Verteilung der Wolf- Blick in das Plasmagefäß von ASDEX Upgrade.
aufdampft (siehe Abb. 26 und 27). ramerosion im Rasterelektronenmi- Die dunklen Graphitziegel sind mit Wolfram be-
kroskop. schichtet. (Foto: IPP)
Die bisherigen Experimente, an de-
nen alle an ASDEX Upgrade beschäf-
tigten Bereiche des IPP eng zusam-
menarbeiteten, haben gezeigt, dass
auch in diesem Bereich die Erosion
von Wolfram nicht zu Konzentra-
tionen über der Toleranzschwelle im
Plasma führt. Allerdings stellte sich
heraus, dass die gemessene Erosion
wesentlich stärker war als ursprüng-
lich angenommen. Dazu wurde im
Tandem-Beschleuniger die Wolfram-
schichtdicke der Ziegel vor und nach
der Experimentierkampagne mittels
Ionenstrahlanalyse bestimmt. Entspre-
chende Messungen wurden an einer
ganzen Reihe von Ziegeln ausge-
führt, um die räumliche Verteilung
der Erosionsrate zu bestimmen.
83
Ein weiterer wichtiger Parameter ist Insgesamt ergibt sich das ermutigen-
die zentrale Konzentration des Wolf- de Ergebnis, dass trotz mehr als 65
rams, wie sie sich in verschiedenen Ent- Prozent Wolfram-Oberfläche der Plas-
ladungsszenarien einstellt. Zu ihrer mabetrieb in ASDEX Upgrade nur
Bestimmung in ASDEX Upgrade gering beeinflusst wurde. Die Vor-
dienten spektroskopische Beobach- gänge, die zur Anhäufung des Wolf-
tungen der zahlreichen Ionisations- rams im Zentrum führen können,
stufen von Wolfram. Zusammen mit wurden aufgeklärt und Methoden ent-
theoretischen Beschreibungen des wickelt, dies aktiv zu verhindern. Die
Wolfram-Verhaltens gelang es erst- erarbeiteten Techniken scheinen auch
mals, die einzelnen Ionisationsstufen für ein Kraftwerk geeignet zu sein.
und damit die lokalen Wolframkon- Künftige Untersuchungen sollen dem
zentration und deren raum-zeitliches Verhalten einer gänzlich kohlenstoff-
Verhalten im Plasma zu bestimmen. freien Fusionsanlage gelten.
Es zeigte sich, dass in Entladungen,
die als ITER-Referenzszenario geplant Die Anwendung von Wolfram in
sind, sehr niedrige Konzentrationen ITER und in zukünftigen Fusions-
weit unter den für ITER erlaubten kraftwerken erfordert im Gegensatz
10-5 ohne zentrale Anhäufung erzielt zu ASDEX Upgrade dicke Wolfram-
werden. In Entladungen mit sehr gu- beschichtungen mit einer Stärke von
tem zentralen Einschluss können sich einigen Millimetern. Diese Schichten
allerdings sehr zugespitzte Konzen- wurden in Zusammenarbeit mit der
trationsprofile einstellen. Aufbauend Industrie mittels des so genannten
auf neueren Erkenntnissen über den Plasma-Spray-Verfahrens auf Edelstahl-
Teilchen- und Wärmetransport im wandbauteilen abgeschieden und op-
Hintergrundplasma ließ sich diese timiert. Belastungstests unter anderem
Akkumulation jedoch durch zentrale am Forschungszentrum Jülich zeig-
Wellenheizung vollständig unter- ten, dass diese Wandbeschichtungen
drücken. Die zusätzlich notwendige den Wärmeflussbelastungen in ITER
Heizleistung – rund 10 bis 20 Prozent und auch in Kraftwerken standhalten
der ursprünglichen Heizleistung – können.
und die resultierende Einschlussver-
schlechterung um rund 5 Prozent sind
äußerst moderat.
84
Abb. 28:
Galvanisch mit Kupfer
beschichtete Silizium-
karbid-Fasern bilden
nach der Konsoli-
dierung einen neuen
Metallmatrix-Verbund-
werkstoff (Foto: IPP)
85
erwarten. Wichtiges Hilfsmittel zur Abb. 29:
Prüfung hitzebeständiger Großkom- Der Wärmeteststand GLADIS
ponenten ist die Testanlage GLADIS (Garching Large Divertor
(Garching Large Divertor Sample Sample Test Facility)
Test Facility), die 2005 im IPP in Gar- (Foto: IPP)
ching in Betrieb genommen wurde
(Abb. 29).
Die Möglichkeit, aktiv gekühlte Bau- Messgeräte angeschlossen, die in bis die gesamte Herstellung begleiten.
teile bis zu zwei Metern Länge bei zu 40 Mess-Signalen die Reaktion Neben der Qualitätssicherung können
hoher zyklischer Belastung zu unter- der Bauteile auf die hohe Belastung so die Anforderungen an die Kühlung
suchen, macht GLADIS europaweit aufnehmen, darunter Temperaturpro- genau festgelegt werden. Für die
zu dem zur Zeit modernsten Wärme- file der Probe sowie Geschwindigkeit Tests wird ein Ionenstrahl mit Wär-
flussteststand seiner Art. Hier können und Temperatur des Kühlwassers. meleistungen von 5 bis 12 Megawatt
nicht nur kleine Proben, sondern Die mögliche Schädigung eines Bau- pro Quadratmeter ausreichen. Für die
große Bauteile mit eigener Wasser- teils lässt sich so bereits während des größeren ITER-Bauteile, die durch
kühlung untersucht werden. Die Entstehens beobachten und – ergänzt fernsteuerbare Manipulatoren im
Energie für die Wärmeflusstests lie- durch metallographische oder elek- Strahlgang verschoben werden kön-
fern zwei starke Teilchenstrahlen: tronenmikroskopische Untersuchun- nen, werden später beide Strahlen ge-
Schnelle Wasserstoff-Ionen laden pro gen im Labor – Strukturfestigkeit, nutzt.
Quadratmeter Leistungen bis 90 Materialermüdung und thermohydrau-
Megawatt in bis zu 30 Sekunden lan- lisches Verhalten exakt bestimmen.
gen Pulsen auf den Teststücken ab.
Hauptaufgabe in den nächsten Jahren
Eine Vakuumkammer umschließt die sind Wärmebelastungstests für das
Anordnung. Im vorderen Bereich des Fusionsexperiment Wendelstein 7-X,
teilbaren Stahlgefäßes ist die techni- das zur Zeit in Greifswald aufgebaut
sche Ausrüstung – Ionenquellen, Va- wird: Die Serienprüfung der Schutz-
kuumpumpen, Wasserkühlung, Infrarot- elemente für das Plasmagefäß – ein-
und Videokamera – untergebracht, im zelne Kacheln und komplette, wasser-
hinteren Bereich liegt die Proben- gekühlte Divertormodule – unter den
kammer. Über zahlreiche Fenster sind späteren Betriebsbedingungen soll
86
7.1.5. Plasmatheorie
87
Unterschieden verursacht wird. Da Aufgabe des Bereichs Stellarator- Kraftwerkseigenschaften rechnerisch
diese Art von Turbulenz erst beim theorie im IPP-Teilinstitut Greifs- optimiert und stellt damit einen we-
Überschreiten eines kritischen Tem- wald ist es, kraftwerkstaugliche Mag- sentlichen Schritt hin zu einem
peraturgradienten einsetzt, dann aber netfelder in der toroidalen dreidimen- Stellaratorkraftwerk dar. Diese Theo-
mit wachsendem Gradienten rasch sionalen Geometrie der Stellaratoren rien werden weiter vertieft, so dass
zunimmt, erwartete man, dass die ex- zu finden und das Verhalten des die für Wendelstein 7-X vorhergesag-
perimentellen Werte für den Tempe- Plasmas in ihnen zu beschreiben. Die ten Eigenschaften detailliert und
raturgradienten nahe an den von der Forschungen gehören zur Sparte der quantitativ beschrieben werden kön-
Theorie vorhergesagten kritischen Physik mit dem Computer, der
Werten liegen. Diese Vermutung „Computational Physics“, da eine
konnte in zahlreichen Experimenten realistische Beschreibung der dreidi- Abb. 30:
bestätigt werden. Eine Konsequenz mensionalen Stellaratorplasmen nur Turbulente Plasmaströmungen führen zu
dieses Verhaltens ist, dass der Tempe- nummerisch möglich ist. So wurde einem erhöhten Transport von Teilchen und
raturverlauf im Plasmazentrum we- das gegenwärtig in Greifswald ent- Energie. Das Bild ist Resultat einer Computer-
sentlich von der Temperatur am Plas- stehende Experiment Wendelstein 7- simulation für ein Tokamakplasma.
marand bestimmt wird (Abb. 30). X auf diese Weise hinsichtlich der (Foto/Grafik: IPP)
Plasmatemperatur
Plasmadichte
88
Abb. 31:
Berechneter Schnitt durch das Magnetfeld eines
Stellarators. Gezeigt sind die Durchstoßpunkte der mag-
netischen Feldlinien in einer Symmetrieebene des Feldes.
Die Feldlinien bilden in weiten Bereichen geschlossene
Feldflächen aus – die Voraussetzung für den Einschluss
des Plasmas. Dieser Einschlussbereich ist von fünf so
genannten „Inseln“ umgeben, welche die Wechsel-
wirkungszone zwischen Plasma und Gefäßwänden vom
heißen Plasmakern isolieren. (Grafik: IPP)
nen. Wesentlich für den Betrieb von Darüber hinaus trägt der Bereich zur
Wendelstein 7-X sind der nicht durch Fortentwicklung des Stellaratorkon-
die Stöße der Plasmateilchen be- zepts im allgemeinen bei.
stimmte, sondern turbulente bzw.
anomale Plasmatransport und die Zu den aktuellen Forschungsthemen
Eigenschaften der Plasmarandschicht, gehören die Weiterentwicklung der
in der ein Inseldivertor den Teilchen- Rechenverfahren für Gleichgewicht
und Energieflusses kontrollieren soll und Spulen, eines dreidimensionalen
(siehe Abb. 31). Entsprechend be- magnetohydrodynamischen Stabili-
schäftigt sich die aktuelle Forschung tätscodes für leitende, das Plasma
auch mit der Entwicklung stellarator- einschließende Wände oder die Ent-
spezifischer Theorien des turbulenten wicklung eines dreidimensionalen
Transports und der Plasmarandschicht. Codes für Turbulenz am Plasmarand.
89
7.2. Forschungszentrum Jülich
Schon Mitte der 50er Jahre gründete Euregio Clusters“ (TEC). Das Ziel
sich an der Rheinisch-Westfälischen ist, für ein gemeinsames Forschungs-
Technischen Hochschule Aachen programm Ressourcen zu bündeln
(RWTH) eine Arbeitsgruppe, deren und verschiedene Expertisen zusam-
Ziel die Nutzbarmachung der Ver- menzuführen. Diese enge Koopera-
schmelzung leichter Atomkerne zur tion im Dreiländereck Belgien – Nie-
Energieerzeugung war. Unter dem derlande – Nordrhein-Westfalen ist
Namen „Institut für Plasmaphysik“ beispielhaft für die Entwicklung von
wurde sie 1956 Teil der vom Land Zusammenarbeit im europäischen
Nordrhein-Westfalen gegründeten Forschungsraum. Dabei spielt auch
Kernforschungsanlage Jülich. Sie die Einbindung der zahlreichen Hoch-
zog als erstes Institut im Jahre 1960 schulen in der Euregio eine wichtige
auf das neue Campusgelände im Rolle. Sichtbare Organisationsformen
Stetternicher Staatsforst nahe der der Zusammenarbeit sind ein Virtuel-
Stadt Jülich. Heute organisiert sich die les Institut unter dem Impuls- und
Kernfusionsforschung im For- Vernetzungsfonds der Helmholtz-
schungszentrum Jülich über das Pro- Gemeinschaft sowie ein Graduierten-
jekt Kernfusion, zu dem im Wesent- kolleg und ein Sonderforschungsbe-
lichen das Institut für Plasmaphysik, reich der Deutschen Forschungsge-
das Institut für Werkstoffe und Ver- meinschaft (DFG).
fahren der Energietechnik und die
Zentralabteilung Technologie beitra- Für das Forschungsprogramm steht in
gen. Jülich der von den TEC-Partnern ge-
meinsam betriebene Tokamak TEX-
Die Kernfusionsforschung in Jülich TOR zur Verfügung, der sich insbe-
ist integraler Bestandteil des europäi- sondere für Spezialuntersuchungen
schen Fusionsforschungsprogramms. und Pionierexperimente anbietet, für
Grundlage ist der seit 1962 beste- die große Anlagen wie JET nicht ge-
hende Assoziationsvertrag zwischen eignet sind. Dazu gehören unter an-
dem Forschungszentrum Jülich und derem die Erforschung der Möglich-
EURATOM. Am 31. Mai 1996 unter- keiten, den Energie- und Teilchen-
zeichneten das Forschungszentrum transport sowie Plasmainstabilitäten
sowie die beiden ebenfalls mit mittels extern aufgeprägter Magnet-
EURATOM assoziierten Forschungs- felder zu beeinflussen, die detaillierte
einrichtungen Ecole Royale Militaire/ Erforschung der Plasma-Wand-Wech-
Koninklijke Militaire School (ERM/ selwirkung und die Entwicklung und
KMS, Brüssel, Belgien) und das Erprobung neuer Diagnostikverfah-
FOM-Institute for Plasma Physics ren, die auch bei der nächsten Gene-
(Nieuwegein, Niederlande) einen Ver- ration von Fusionsexperimenten Ver-
trag zur Gründung des „Trilateralen wendung finden werden.
90
Die intensive Mitarbeit an der wis- schlusskonzept in Gestalt des statio- Abb. 1:
senschaftlichen Nutzung des welt- när betreibbaren Stellarators Wendel- Das Forschungszentrum Jülich aus der Luft.
weit größten und erfolgreichsten stein 7-X am Max-Planck-Institut für (Foto: FZJ)
Tokamaks JET („Joint European Plasmaphysik in Greifswald eine be-
Torus“) im Rahmen des European deutende Rolle. Thematisch steht so- Untersuchung und Kontrolle von
Fusion Development Agreement wohl beim Tokamak als auch beim Plasmainstabilitäten mittels gezielter
(EFDA) stellt ein zweites wichtiges Stellarator neben der Energieein- lokaler Plasmaheizung durch Elek-
Standbein für die Jülicher Fusions- schlussfrage vor allem das Verständ- tron-Zyklotron-Wellen in Kombina-
forschung dar. Durch die Kombi- nis der die Lebensdauer der Wand- tion mit dem DED wird ein weiteres
nation der verschiedenen experimen- komponenten bestimmenden Prozes- Forschungsgebiet sein. Darüber hin-
tellen Möglichkeiten an TEXTOR se im Vordergrund. Beides wird ent- aus erlaubt die Grundkonzeption von
und JET gelingt es bei vielen Unter- scheidend vom Energie- und Teil- TEXTOR – mit ihren teilweise ein-
suchungen, zusätzlichen Erkenntnis- chentransport im Plasma bestimmt. zigartigen Experimentiermöglichkei-
gewinn zu erlangen. Je nach Frage- Die Erforschung neuartiger Methoden ten – die detaillierte Erforschung von
stellung wird die Zusammenarbeit zur Beeinflussung des Transports und grundlegenden Prozessen des Plas-
auch auf weitere Experimentierein- zur Kontrolle von Plasmainstabili- matransports, der Stabilität und der
richtungen ausgedehnt. Innerhalb der täten soll zu weiteren Verbesserungen Plasma-Wand-Wechselwirkung.
Helmholtz-Gemeinschaft ist dies ins- des Konzepts für ein Energie liefern-
besondere der Tokamak ASDEX des Fusionskraftwerk führen. Die neuen Vorhaben ITER und Wen-
Upgrade am Max-Planck-Institut für delstein 7-X werden mit der in Jülich
Plasmaphysik in Garching. TEXTOR wird in den kommenden und bei den TEC-Partnern vorhande-
Jahren mit dem Pionierexperiment nen Expertise unterstützt. Dies um-
Die in Jülich bzw. im TEC behandel- „Dynamischer Ergodischer Divertor“ fasst sowohl technologische Arbeiten
ten Forschungsschwerpunkte orien- (DED) dazu beitragen, die grundsätz- als auch die Entwicklung und Erpro-
tieren sich an den Notwendigkeiten, lichen Möglichkeiten zur Reduzie- bung von Diagnostikverfahren sowie
einen optimalen Betrieb von ITER rung der Wandbelastung durch Be- die Erstellung und Anwendung num-
vorzubereiten und Lösungen für ei- einflussung des Energie- und Teil- merischer Modelle zur Vorbereitung
nen späteren stationären und effizien- chentransports mit Hilfe von rotie- einer späteren gemeinsamen wissen-
ten Fusionsreaktorbetrieb zu finden. renden, extern aufgeprägten magneti- schaftlichen Nutzung der neuen Ex-
Dabei spielt das alternative Ein- schen Störfeldern zu erforschen. Die perimente.
91
7.2.1. Experimentelle Anlagen
92
TEXTOR wurde erstmals im Jahre die Inbetriebnahme des Dynamischen Wärmeenergie. Er kann auf diese Wei-
1982 in Betrieb genommen und seit- Ergodischen Divertors (DED). se den Einschluss der Fusionsmaterie
dem kontinuierlich ausgebaut und verändern und er kann die Entwick-
aktuellen Forschungsaufgaben ange- Seit 2003 verfügt TEXTOR damit lung von Instabilitäten im heißen Plas-
passt. Wesentliche Schritte waren im über ein zusätzliches Spulensystem, makern beeinflussen bzw. kontrollie-
Jahre 1994 die Flusshuberhöhung das die gezielte dynamische Verände- ren. Die wissenschaftlichen Ziele der
des Transformators und die damit rung und Beeinflussung der Magnet- Forschungsvorhaben mit dem DED
verbundene Pulsverlängerung auf feldtopologie am Plasmarand erlaubt. sind in Kapitel 7.2.2.1 beschrieben.
maximal 12 Sekunden sowie in den Der DED beeinflusst den Transport
Abb. 2: TEXTOR im Forschungszentrum Jülich
Jahren 2002 und 2003 der Einbau und von Teilchen, Verunreinigungen und
während der Umbauphase zur Integration des
Dynamischen Ergodischen Divertors (DED).
(Foto: FZJ)
93
Begrenzung des Plasmas Limiter und Dynamischer Ergodischer Divertor Abb. 5:
großer Plasmaradius 1,75 Meter Plasma- bzw. Vakuum-
gefäß von TEXTOR: Links
kleiner Plasmaradius 0,47 Meter
befindet sich der DED
Plasmaform kreisförmig unter einer Verkleidung
Plasmavolumen 7,6 Kubikmeter aus massiven Grafit-
Tab.: 1 Abb. 3:
Charakteristische Daten von TEXTOR. TEXTOR im poloidalen
Querschnitt:
(1) Plasma
(2) Vakuumgefäß
(3) Liner bzw. erste Wand
(4) Transformatorkern
Der Dynamische Ergodische Divertor (5) Primärspule
besteht aus insgesamt 18 helikal auf- (6) Korrekturfeldspule
gebauten Einzelspulen, die auf der (7) Vertikalfeldspule
Innenseite in das Vakuumgefäß von (8) Toroidal- bzw. Haupt-
TEXTOR integriert und mit Grafit- feldspule
kacheln vor dem Plasmakontakt ge- (9) Spulen zur Lage-
schützt sind, siehe Abb. 3 bis 7. regelung
Neben der Bereitstellung eines mag- (10) DED-Spulen
netischen Gleichfelds erlaubt es diese (11) Divertor-Prallplatten
Anordnung auch, vier Gruppen von aus Grafit
Einzelspulen mit einem Phasenver- (Grafik: FZJ)
satz von jeweils 90 Grad zu speisen
und damit ein rotierendes magneti-
sches Nahfeld am Plasmarand zu
erzeugen. Einmalig ist an TEXTOR
die Möglichkeit, das Feld mit einer
Frequenz von bis zu 10 Kilohertz
rotieren zu lassen.
Abb. 4:
3
Anordnung der DED-Spulen
an der Innen- bzw. Hoch-
feldseite des Vakuumgefäßes
von TEXTOR (links) und
1
poloidaler Schnitt (rechts):
(1) DED-Spulen, 2
4
(2) Divertor-Prallplatten,
(3) koaxiale Stromdurch-
führungen und
(4) Plasmabereich.
(Grafik: FZJ)
94
95
Abb. 6:
Schutz vor dem Plasma:
Verkleidung der DED-Spulen
mit Grafitkacheln, die als Abb. 7:
Divertor-Prallplatten dienen. Spulensysteme des DED
(Foto: FZJ) kurz nach dem Einbau und
vor der Verkleidung mit
Grafitkacheln.
(Foto: FZJ)
96
7.2.1.2. JET und andere Anlagen
Die Realisierung von ITER und suchung des Aufbaus von redeponier- Wolframerosion, insbesondere in ge-
Wendelstein 7-X sowie deren zu- ten Kohlenstoffschichten und der mischten Systemen mit Grafit, Wolf-
künftige erfolgreiche wissenschaftli- damit verbundenen Einlagerung von ram und anderen Elementen.
che Nutzung erfordert die Heran- Tritium sowie der Entwicklung von
ziehung aller vorhandenen Kompe- Konzepten, das Wachstum der Die Beherrschung von Plasmainsta-
tenz und Kapazität der Fusionsfor- Schichten zu kontrollieren oder das bilitäten mittels externer aufgepräg-
schungszentren. Für die Bearbeitung eingelagerte Tritium freizusetzen. ter magnetischer Störfelder – mit
übergeordneter Fragestellungen – Die Wirkung von redeponiertem oder ohne Einwirkung zusätzlicher
wie zum Beispiel Plasmaeinschluss Beryllium auf das Erosionsverhalten lokaler Plasmaheizung – definiert ein
oder Plasma-Wand-Wechselwirkung von Grafit ist ein weiteres wichtiges Forschungsfeld, in das man große
– sowie für die Bewältigung von Untersuchungsthema, da in ITER die Hoffnungen setzt bezüglich weiterer
Querschnittsaufgaben, wie sie die gesamte Innenwand – bis auf den Di- Verbesserungen beim Plasmaein-
Diagnostikentwicklung und die num- vertor – mit Beryllium ausgekleidet schluss und bei der Erweiterung der
merische Modellierung darstellen, ist werden soll. Für die nummerische Si- operativen Grenzen einer Fusions-
eine Koordination der Aktivitäten in mulation dieser Prozesse und deren anlage. Gemeint sind hiermit der
den verschiedenen Forschungsein- Extrapolation zu ITER werden sowohl maximal mögliche Plasmadruck, die
richtungen mit ihren jeweils speziel- experimentelle Daten von JET hinzu- Dichtegrenze und der stationäre
len experimentellen Möglichkeiten, gezogen als auch Messungen, die an Betrieb. Insbesondere Experimente
Expertisen und Besonderheiten erfor- der kleinen linearen Plasmaanlage am Tokamak DIII-D (General Ato-
derlich. In diesem Sinne nutzen Jü- PISCES in San Diego (University of mics, San Diego, USA) haben ge-
licher Forscher in weltweiter Koope- California, USA) gewonnen werden. zeigt, dass externe magnetische Stör-
ration unterschiedliche Apparaturen. Nummerische Modelle profitieren da- felder bestimmte kritische Wärme-
Dies reicht vom weltweit größten bei stark vom Vergleich mit experi- lastspitzen – so genannte ELMs –
Tokamak JET hinsichtlich der Unter- mentellen Daten unterschiedlicher unterdrücken können, und zwar
suchung der integralen Eigenschaften Anlagen, was insbesondere ihre durch die Wirkung einer „ergodi-
eines Tokamaks bis hin zur Be- Validierung und Anwendung für die schen“ Magnetfeldtopologie am Plas-
arbeitung detaillierter Fragestellun- Beschreibung von Plasmen in zukünf- marand (zur Erklärung siehe Kapitel
gen mit Hilfe von Laborplasma- und tigen Fusionsanlagen anbelangt. 7.2.2.1). Zum besseren Verständnis
Ionenstrahlanlagen. des Plasmatransports in ergodischen
Für das Material der ersten Wand Plasmen soll unter anderem ein
Am europäischen Experiment JET eines Fusionskraftwerks wird Wolf- gemeinsames Forschungsprogramm
beteiligen sich Jülich und das Tri- ram als Alternative zu Beryllium an- an TEXTOR und DIII-D beitragen.
laterale Euregio Cluster (TEC) an der gesehen. Der Nachweis für die groß- Ähnliche Untersuchungen zu anderen
Planung, Durchführung und Aus- flächige Anwendbarkeit von Wolfram Instabilitäten (so genannten Tearing-
wertung von Experimenten in den als Wandmaterial in einem Tokamak Moden) werden in Kooperation mit
Themenbereichen Einschluss und soll an ASDEX Upgrade (Max- ASDEX Upgrade durchgeführt.
Transport, Plasma-Wand-Wechsel- Planck-Institut für Plasmaphysik,
wirkung, Magnetohydrodynamik so- Garching) erbracht werden. Jülich Die Entwicklung von Verfahren zur
wie Heizung und Diagnostik. Eine beteiligt sich daran mit der Unter- Plasmadiagnostik erfordert vielfach
der Schlüsselfragen ist die Unter- suchung von speziellen Fragen zur solide und belastbare Materialdaten
97 97
Experiment JET ASDEX Upgrade DIII-D
großer Radius 2,96 Meter 1,6 Meter 1,67 Meter
kleiner Radius 2,10 Meter (vertikal) 1,25 Meter (horizontal) 0,8 Meter (vertikal)
0,5 Meter (horizontal) 0,67 Meter
Pulslänge 40 Sekunden 10 Sekunden 5 Sekunden
Plasmavolumen 90 Kubikmeter 14 Kubikmeter 25 Kubikmeter
magnetische Flussdichte 3,5 Tesla 3,3 Tesla 2,2 Tesla
Plasmastrom 4,8 Megaampere 2 Megaampere 1,6 Megaampere
Heizleistung 30 Megawatt 27 Megawatt 23 Megawatt
Tab.: 2
Daten von JET und
anderen experimentell
genutzten Anlagen.
aus der Atom- und Molekülphysik. Für den erfolgreichen Betrieb von
So werden zum Beispiel zur Gewin- ITER ist die Untersuchung der Plas-
nung fehlender spektroskopischer ma-Wand-Wechselwirkung von we-
Eigenschaften auch kleine lineare sentlicher Bedeutung und wird als
Plasmaanlagen eingesetzt. Hier sind Schwerpunkt in Jülich behandelt. Um
insbesondere die Anlage PSI-2 der die an den nordrhein-westfälischen
Humboldt-Universität zu Berlin und Universitäten vorhandene Expertise
der geplante lineare Hochfluss-Plas- einzubinden, um Studenten für das
magenerator MAGNUM beim TEC- Arbeitsgebiet der Kernfusion zu ge-
Partner FOM in Nieuwegein/Nieder- winnen und um Synergieeffekte zu
lande zu nennen. nutzen, wurde das virtuelle Institut
„ITER-relevant Plasma Boundary
Zur Qualifizierung thermomechani- Physics“ (IPBP) unter dem Schirm
scher Eigenschaften von Fusionsma- des Impuls- und Vernetzungsfonds
terialien benötigt man Testanlagen, der Helmholtz-Gemeinschaft gegrün-
die hohe Wärmeflüsse liefern kön- det. Zusammen mit dem federführen-
nen. In diesem Zusammenhang hat den Forschungszentrum Jülich wid-
die Elektronenstrahlanlage JUDITH men sich die Heinrich-Heine-Uni-
in Jülich eine besondere Bedeutung, versität Düsseldorf und die Ruhr-
weil nur in ihr auch Materialien un- Universität Bochum in Zukunft ver-
tersucht werden können, nachdem sie stärkt den Problemen der ersten Wand
durch Neutronenbestrahlung aktiviert und des Randschichtplasmas von
worden sind. ITER (http://www.iter-boundary.de).
98
7.2.2. Forschungsschwerpunkte
Künftige Fusionskraftwerke benöti- strahlmethoden, Atom- und Molekül- Das Forschungsprogramm des TEC
gen Lösungskonzepte, die einen Dau- spektroskopie, laserinduzierte Fluo- ist thematisch in die folgenden Berei-
erbetrieb mit hoher Verfügbarkeit reszenz im Vakuum-Ultraviolett und che gegliedert:
garantieren. Die Wandmaterialien bildgebende tomographische Spek-
sind Erosions- und Depositionspro- troskopie. Eine besondere Bedeutung • Plasma-Wand-Wechselwirkung
zessen ausgesetzt – sowie zusätzlich hat das Gebiet der nummerischen • Störfeldeffekte und Magnetohydro-
hohen thermischen Belastungen. Modellierung, insbesondere in den dynamik
Schlüsselthemen sind in diesem Bereichen Energie- und Teilchen- • Einschluss und Transport sowie
Zusammenhang transport in strahlungsgekühlten • Theorie und Modellierung.
Plasmen, Neutralteilchentransport
• die Erforschung der komplexen sowie Erosions- und Depositions- Diese thematischen Schwerpunkte
Transportprozesse in Wandnähe mit prozesse und Randschichtmodellie- sind durch den Einsatz bestimmter
teils turbulenten und stochastischen rung in komplexer bzw. ergodischer experimenteller Techniken und Diag-
Eigenschaften, Magnetfeldtopologie. nostikverfahren sowie durch die Un-
terscheidung verschiedener Plasma-
• das Verständnis von Freisetzung Darüber hinaus stützt sich das For- zonen – nämlich Randschicht und
und Wirkung von Verunreinigungen schungsprogramm auf Kooperationen Kernplasma – charakterisiert. Zum
im Plasma, mit den Hochschulen in der Euregio Verständnis eines Tokamaks oder
– zum Beispiel auf gemeinsame Son- Stellarators müssen jedoch alle As-
• die modellhafte bzw. theoretische derforschungsbereiche, Graduierten- pekte integral betrachtet werden, da
Beschreibung des Gesamtsystems kollegs und ein Virtuelles Institut, die in fast allen Fällen die Prozesse am
„Plasma/Wand“ zusammen mit der sich zusätzlich auch mit Themen jen- Rand und im Kernplasma eng mitein-
Optimierung der Werkstoffsysteme, seits fusionsspezifischer Fragen be- ander verkoppelt sind. Dies stellt ho-
sowie schäftigen. Beispiele dafür sind die he Ansprüche an die Koordination
Gebiete Atomphysik, Oberflächen- der Forschungsarbeiten.
• die Optimierung des Energieein- physik, nichtlineare Dynamik, Com-
schlusses und die Beherrschung von putational Physics, Astrophysik und Aus den Besonderheiten der experi-
Plasmainstabilitäten. Laserplasmen. Aus diesem Themen- mentellen und methodischen Mög-
spektrum ergeben sich vielfältige An- lichkeiten, mit denen sich das TEC-
Das Forschungsprogramm in Jülich wendungen für die Querschnittsauf- Forschungsprogramm in Jülich von
orientiert sich an diesen Schlüssel- gaben in der Fusionsforschung – vor anderen Forschungseinrichtungen
fragen – basierend auf der im Trila- allem für die Plasmadiagnostik und deutlich unterscheidet und abhebt,
teralen Euregio Cluster (TEC) vor- -modellierung. ergeben sich zwei charakteristische
handenen Expertise und dem Zugang Schwerpunktthemen, die im Folgen-
zu den in Kapitel 7.2.1.1 und 7.2.1.2 den näher beschrieben werden.
beschriebenen experimentellen Anla-
gen. Die Vielfalt der angewandten und
in Jülich neu entwickelten Messme-
thoden stellt eine besondere Kompe-
tenz dar: Laserstreuverfahren, Atom-
99
7.2.2.1. Dynamischer Ergodischer Divertor (DED)
Die heutige technische Auslegung einem gewissen Grad mit dem für
von ITER resultiert aus einem Ent- ITER vorgesehenen Divertor gelingt.
wicklungsprozess, der die Ergebnisse
von mehreren Jahrzehnten Tokamak- Das konventionelle Divertor-Design
forschung umfasst. ITER wird der beruht auf geordneten magnetischen
erste Tokamak sein, der 500 Mega- Flussflächen – auch am Plasmarand.
watt Fusionsleistung im Pulsbetrieb Ein alternatives Konzept – der „ergo-
liefern kann. Die weitere Entwick- dische Divertor“ – beinhaltet die
lung des Tokamak-Konzepts – insbe- Aufbrechung dieser intakten Feld-
sondere hin zum kontinuierlich arbei- linienstruktur durch Verwirbelung.
tenden Fusionskraftwerk – ist Gegen- Die auch bei diesem Verfahren immer
stand der laufenden Forschungspro- noch lokal auftretenden hohen
gramme. Wärmeflüsse auf die Divertorplatten
können durch eine Rotation der spe-
Innovationspotenzial steckt vor allem ziellen Magnetfeldstruktur zusätzlich
in der Entwicklung der für ein räumlich verschmiert werden. Dies
Kraftwerk erforderlichen Fusions- ist das Konzept des „Dynamischen
technologie. Aber auch die Physik Ergodischen Divertors“ (DED). Zur
des magnetischen Einschlusses ist praktischen Erzeugung der Magnet-
noch lange nicht ausgereizt, was zum feldverwirbelung werden geeignete
Beispiel die Verbesserung des inte- elektromagnetische Spulensysteme
gralen Plasmaverhaltens anbelangt. benötigt, die an TEXTOR realisiert
Will man die Abmessungen eines wurden und deren Technik in Kapitel
Fusionsreaktors bei gleich bleibender 7.2.1.1 beschrieben ist.
Leistung reduzieren, so muss der
Plasmaeinschluss – d.h. die Wärme- Das physikalische Prinzip des DED
isolation der 100 Millionen Grad
heißen Fusionsmaterie – weiter ver- Um magnetische Flussflächen mit
bessert werden. möglichst kleiner Störfeldamplitude
aufbrechen und verwirbeln zu kön-
Allerdings gilt die Forderung nach nen, muss man das Resonanzprinzip
einem optimalen Einschluss des hei- zur Hilfe nehmen. Dies kann erreicht
ßen Plasmakerns nicht am Plasma- werden, indem man die Störfeld-
rand. Hier führt ein zu guter magneti- spulen parallel zu den magnetischen
scher Einschluss zu räumlich extrem Feldlinien des ungestörten Tokamak-
konzentrierten und untolerierbar ho- Feldes anordnet. Für den bei TEX-
hen Wärmeflüssen auf Wandkompo- TOR installierten DED wurde ein
nenten. Daher wird die Verteilung der Spulensystem aus 16 einzelnen Win-
Wärmelast auf größere Wandflächen dungen gewählt, die auf der Innen-
angestrebt, wie dies bereits bis zu seite – der Hochfeldseite – des Torus
100
konventioneller Divertor
ergodischer Divertor
Abb. 8: Divertor-Konzepte: konventionelles
Plasmakern
Design im poloidalen Schnitt (links) und Plasmakern
Dynamischer Ergodischer Divertor (rechts),
dessen Magnetfeldstruktur sich mit einstell-
ergodisch
barer Geschwindigkeit bewegen kann, wie
hier in toroidaler Projektion gezeigt. Q|| und
laminar
°|| bezeichnen die Flüsse von Energie und
Teilchen auf die Divertorplatten.
(Grafik: FZJ) dynamisch (rotierendes Feld)
101
Abb. 9:
Divertorspulen Plasmarand
Darstellung der Ergodisierung des Rand-
schichtplasmas in Poincaré-Plots. Oben links
47
sind schematisch die DED-Spulen, die Diver- (a)
46
torplatten und die Randschicht dargestellt.
47 (b) 47 (c)
46 46
minor radius [cm]
102
4.0 161 4.0 202 4.0 174
150 188 162
139 174 150
128 160 138
3.5 116 3.5 146 3.5 126
105 132 114
[rad]
[rad]
[rad]
94 118 102
83 104 90
3.0 72 3.0 90 3.0 78
61 76 66
50 62 54
38 48 42
2.5 27 2.5 34 2.5 30
16 20 18
5 6 6
0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 1.2 1.4 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 1.2 1.4 0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.0 1.2 1.4
[rad] [rad] [rad]
Abb. 10:
Berechnete Verteilung des Wärmeflusses auf die Divertorplatten des DED. Der Ergodisierungsgrad nimmt von links
nach rechts ab. Man erkennt deutlich die durch den DED aufgeprägte Streifenstruktur der Wandbelastung und den
Winkel des Tokamak-Magnetfelds gegen die Horizontalebene, dem die DED-Spulenorientierung folgt. (Grafik: FZJ)
in Stellaratoren prinzipbedingt be- Schon die im Vergleich zum konven- Der DED erlaubt unterschiedliche
reits ergodische Zonen generiert. tionellen Divertor höhere Anzahl von Rotationsfrequenzen und – je nach
Belastungsstreifen („strike points“) Verschaltung der einzelnen Spulen –
Mit dem DED werden zunächst ein- verteilt die Wärme bereits auf eine eine Variation der Eindringtiefe des
mal die Magnetfeldtopologie selbst größere Fläche. Diese Fläche wird Störfeldes. Diese neuartigen experi-
und der damit verbundene Energie- noch einmal deutlich vergrößert, mentellen Möglichkeiten werden bei
und Teilchentransport erforscht. Für indem durch Rotation des DED- Untersuchungen zur Beeinflussung
den Divertorbereich des DED-Stör- Feldes die Verteilung der Wärme- der Rotation des Plasmas und deren
feldes wird ein dreidimensionaler belastung räumlich verschmiert wird. Wirkung auf die Einschlusseigen-
Modellierungscode entwickelt, der In Abb. 11 wird die durch den DED schaften sowie zur Beeinflussung
den Plasmatransport in der ergodi- aufgeprägte örtliche Verteilung der und Kontrolle von Plasmainstabili-
schen und der laminaren Zone be- Wärmebelastung der Divertorplatten täten zum Einsatz kommen.
rechnet. Der so gewonnene Wärme- experimentell bestätigt: Abgebildet
fluss auf die Divertorplatten ist in ist dort eine Momentaufnahme der
Abb. 10 dargestellt: Es bildet sich ein Lichtemission von neutralen Deute-
Belastungsmuster aus, dessen Streifen riumatomen. Die deutlich erkennbare Abb. 11:
parallel zu den DED-Spulen – d.h. pa- streifenförmige Struktur entspricht Experimentelle Bestimmung der räumlichen
rallel zum einschließenden Magnet- dem Teilchenfluss auf die Diver- Verteilung der Wandbelastung und der
feld des Tokamaks – ausgerichtet sind. torplatten. Magnetfeldstruktur beim Einsatz des DED.
Hier ist die Emission von neutralen Deuterium-
atomen gezeigt. Man erkennt deutlich am
rechten Bildrand die streifenförmige Struktur
des Wärmeflusses auf die Divertorplatten.
(Foto: FZJ)
103
7.2.2.2. Plasma-Wand-Wechselwirkung
104
lokalen Transport von Teilchen, die auch reflektiert werden. Im letzteren Eine ERO-Simulationsrechnung lie-
durch physikalische oder chemische Fall dringen sie unmittelbar erneut in fert als Ergebnis die ortsaufgelöste
Erosion von den Wänden freigesetzt das Plasma ein. Anderenfalls werden dreidimensionale Verteilung von ero-
werden. Beeinflusst durch die jewei- sie wieder an die Oberfläche gebun- dierten und redeponierten Teilchen
ligen Plasmabedingungen – wie etwa den und bilden dort neue Schichten. auf dem zu untersuchenden Wandele-
Temperatur, Dichte und Magnetfeld- Abb. 12 zeigt eine elektronenmikro- ment – sowie zusätzlich die Dichte-
topologie – kehren die Teilchen in skopische Aufnahme von auf diese verteilungen der erodierten Teilchen
unterschiedlicher Weise zur Ober- Weise neu gebildeten Kohlenstoff- und deren – durch Ionisation und
fläche der ersten Wand zurück, ent- schichten in TEXTOR, die aus zuvor Dissoziation entstehenden – Reak-
weder lokal in direkter Nähe ihres an anderer Stelle – zum Beispiel auf tionsprodukte im Plasma. Abb. 13 (s.
Freisetzungsortes – oder an entfern- Limiterkacheln aus Grafit – freige- S. 104) zeigt eine konkrete Anwen-
teren Orten. Die Teilchen können an setzten Kohlenstoffatomen besteht. dung des ERO-Codes: die Simulation
der Auftreffstelle redeponiert oder der Kohlenstoff-Erosion und Rede-
Abb. 12: position in JET anhand der berechne-
Nach der Erosion von Grafitkomponenten neu ten Dichten von neutralen und ein-
deponierte Kohlenstoffschichten in TEXTOR fach ionisierten Kohlenstoffver-
(elektronenmikroskopische Aufnahme). unreinigungen.
(Foto: FZJ)
Die Wechselwirkung von Atomen,
Ionen und Molekülen mit dem
Plasma führt zur Emission von cha-
rakteristischen Spektrallinien. An
TEXTOR werden verfeinerte spek-
troskopische Methoden entwickelt
und eingesetzt, die eine hochauflö-
sende Messung von mehreren rele-
vanten Spezies in der Plasmarand-
schicht am selben Ort zur gleichen
Zeit ermöglichen. Die Auswertung
erfolgt unter Einbeziehung sowohl
der ADAS-Struktur – einer Software
der Universität Strathclyde (bei
Glasgow, Großbritannien), zu deren
Entwicklung das Forschungszentrum
Jülich aktiv beiträgt – als auch der im
P.N. Lebedev-Institut (Moskau) erar-
beiteten Codes GKU und ATOM.
105
b) Abb. 13:
a)
Simulation der Kohlenstofferosion
in JET mit dem ERO-Code:
a) Plasmadichte im Divertor,
b) Dichte für neutrale Kohlenstoffatome (links)
und einfach ionisierten Kohlenstoff (rechts).
(Grafik: FZJ)
Die mit ERO erhaltenen Dichtever- Auf Grund der niedrigen Zerstäu- und Ionisation ab, die in ihrem Zu-
teilungen können in Lichtemissions- bungsraten von schweren Elementen sammenwirken die Plasmaeigenschaf-
profile umgerechnet werden, was gelten Materialien wie zum Beispiel ten innerhalb des Divertors und damit
einen direkten Vergleich mit experi- Wolfram als wichtigste Alternative dessen Verhalten bezüglich Energie-
mentellen Ergebnissen aus spektro- zu Grafit. Der Einsatz von Elementen und Teilchenabfuhr bestimmen. Dieser
skopischen Beobachtungen ermög- mit hoher Kernladungszahl als Wand- in Jülich entwickelte und an TEXTOR
licht – und damit auch eine belastba- material bringt jedoch besondere Pro- und anderen Anlagen gründlich gete-
re Code-Validierung bereit stellt. Zu- bleme mit sich. Diese Elemente sind stete Code stellt ein wichtiges Ele-
sätzlich können mittels gut beobacht- selbst im Plasmazentrum erst teil- ment bei der Auslegung des ITER-
barer Gaseinlasssysteme spektrosko- weise ionisiert, wodurch sie dort ei- Divertors dar. Die Weiterentwicklung
pische Eigenschaften ermittelt und in nen Energieverlust bedingt durch Li- des Codes ist erforderlich – dies spe-
diese atomaren Codes eingebracht nienstrahlung – und damit eine Ab- ziell, je mehr man die Plasmapara-
oder mit dort vorhandenen Daten ver- kühlung des Fusionsfeuers – herbei meter im Divertor in Richtung niedrige
glichen werden. führen können. Temperatur und hohe Dichte treibt und
auch, wenn die Zusammensetzung der
Der Vergleich unterschiedlicher Ma- Weiterhin muss die Frage geklärt Wandmaterialien geändert wird.
terialien steht im Vordergrund der werden, wie sich Systeme mit Wand-
Untersuchungen. Die Erosion von komponenten aus unterschiedlichen Wandkonditionierung, d.h. die gezielte
Kohlenstoff spielt dabei eine beson- Materialien verhalten. Für ITER sind großflächige Veränderung der dem
ders kritische Rolle. Die Untersu- zum Beispiel Grafit, Wolfram und Plasma direkt ausgesetzten Ober-
chung von gemessenen und berech- Beryllium vorgesehen. Das For- flächen, kann für den Betrieb eines
neten Erosions- und Redepositions- schungszentrum Jülich beteiligt sich Tokamaks sehr hilfreich sein. Die in
profilen in TEXTOR und JET hat an diesen Untersuchungen durch Ex- Jülich entwickelten In-Situ-Beschich-
zum Beispiel gezeigt, dass erodierte perimente an TEXTOR und durch tungsverfahren, bei denen durch
und dann wieder redeponierte Koh- Mitwirkung an anderen Maschinen, Glimmentladung in reaktiven Gasen
lenstoffteilchen eine deutlich erhöhte wie JET, ASDEX Upgrade und Tore ca. 100 Nanometer dicke amorphe
chemische Reerosionsrate aufweisen. Supra. Die Nutzung kontinuierlich wasserstoffhaltige Kohlenstoff-, Bor-
Dieses Resultat kann den langreich- betreibbarer Plasmen in linearen An- oder Silizium-Schichten mittels Kar-
weitigen Kohlenstofftransport in JET lagen, wie PISCES (University of bonisierung, Borierung bzw. Silizie-
erklären, der dort eine unerwünschte California, San Diego, USA) oder die rung erzeugt werden, stellen einen
Materialdeposition an unzugängli- geplante Anlage MAGNUM (FOM- wesentlichen Beitrag zur Erzeugung
chen Orten zur Folge hat. Institute for Plasma Physics, Nieuwe- von relativ sauberen metallfreien Plas-
gein, Niederlande) sind in diesem Zu- men dar und erleichtern dadurch den
Die Entwicklung von Messmethoden sammenhang ebenfalls von Bedeutung. Experimentierbetrieb. Das Forschungs-
zur Untersuchung von deponierten zentrum Jülich wird diese Verfahren
Schichten und deren Wasserstoff- Für die detaillierte Simulation des weiter entwickeln, insbesondere auch
bzw. Tritiumgehalt sowie die Entwick- Neutralteilchentransports im Rand- hinsichtlich Wandkonditionierungs-
lung von Methoden zum Abbau sol- schichtplasma wird der nummerische methoden in Gegenwart eines perma-
cher Schichten ist ein wichtiges Code EIRENE eingesetzt. Insbeson- nenten starken Magnetfelds, wie es in
Thema für das Jülicher Forschungs- dere im Divertor laufen komplexe ITER und Wendelstein 7-X vorhan-
programm. Prozesse der Dissoziation, Anregung den sein wird.
106
7.2.3. Diagnostik, Technologie und Modellierung
für ITER und Wendelstein 7-X
Die Verfügbarkeit geeigneter Diag- von 2,3 bis 160 Nanometer entwi- Ionentemperatur, der Plasmarotation,
nostikverfahren wird für das Ge- ckelt. Die neuen Spektrometer erlau- der relativen Dichten verschiedener
lingen der nächsten Generation inter- ben im ITER-Plasma die eindeutige hochionisierter Verunreinigungen und
national geplanter Kernfusionsexpe- Identifizierung aller relevanten Plas- der Elektronentemperatur bestimmt
rimente wesentlich sein. Aufbauend maverunreinigungen sowie ihrer werden können.
auf den langjährigen Erfahrungen des Ionen. Sie gestatten außerdem die
Forschungszentrums Jülich und des Bestimmung der relativen Dichten Das Forschungszentrum Jülich betei-
TEC auf diesem Gebiet wird an einer dieser Teilchen – und zwar mit der ligt sich ebenfalls an der Konzep-
Reihe wissenschaftlicher Projekte zur geforderten Genauigkeit von besser tion, der Konstruktion und dem Bau
Entwicklung von Diagnostiksyste- als 10 Prozent bei einer Zeitauf- von Diagnostiksystemen für Wen-
men für ITER und Wendelstein 7-X lösung von 10 Millisekunden. Zu- delstein 7-X. Beispiele sind die pas-
gearbeitet. TEXTOR dient dabei als sätzlich wird ein hochauflösendes sive Divertorspektroskopie, der ther-
Test- und Entwicklungsanlage. abbildendes Spektrometer für den mische Heliumstrahl im Divertor zur
Wellenlängenbereich von 21 bis 26 Bestimmung von Elektronendichte
Das TEC engagiert sich bei ITER Nanometer (extremes Ultraviolett, und -temperatur, die laserinduzierte
für die Ladungsaustausch-Spektro- XUV) projektiert, welches zur Mes- Fluoreszenz zur Teilchendichtebestim-
skopie basierend auf einem Diag- sung der Ionentemperatur und -rota- mung sowie spezielle optische Sys-
nostik-Atomstrahlinjektor. Hier wird tion in der Plasmarandschicht einge- teme, ein abbildendes Röntgenspek-
das optische Design des Beobach- setzt werden kann. Ergänzend dazu trometer und ein Targetmanipulator.
tungssystems optimiert, dessen tech- werden die Möglichkeiten der hoch- Weiterhin werden thermische Fens-
nische Machbarkeit demonstriert so- auflösenden abbildenden Röntgen- terbelastungen zur Konzeption der
wie grundlegende physikalische Sys- spektroskopie untersucht. Es zeigt Beobachtungssysteme sowie der Teil-
temstudien durchgeführt. Für die sich, dass durch Analyse dieser chen- und Strahlungstransport mo-
Spektroskopie des vakuum-ultavio- Spektren die radialen Profile der delliert.
letten Bereichs (VUV) wird ein neu-
es optisches Design für ein Spektro- Schließlich werden auch für Wendel-
metersystem mit sechs verschiede- stein 7-X einige Spektrometer für die
nen Wellenlängenkanälen im Bereich XUV- und VUV-Wellenlängenberei-
che (siehe Abb. 14) sowie ein Was-
serstoff-Diagnostikstrahl (siehe Abb.
15, S. 106) entwickelt.
Abb. 14:
Das für Wendelstein 7-X geplante
XUV-Doppelspektrometersystem.
(Grafik: FZJ)
107
Abb. 15:
Geplanter Injektortank
des Wasserstoff-
diagnostikstrahls an
Wendelstein 7-X.
(Grafik: FZJ)
108
Die einzelnen Supraleiter – bestehend Die Elektronenstrahlanlage JUDITH Neutroneninduzierte Verschlechte-
aus Spulen und Bussystem – werden im Forschungszentrum Jülich, die rung des thermischen Ausdehnungs-
elektrisch mit so genannten Joints thermische Belastungen von bis zu koeffizienten von Materialien zu be-
verbunden. Hier übernimmt das For- 20 Megawatt pro Quadratmeter er- stimmen.
schungszentrum Jülich die Konstruk- zeugen kann, wird zur Charakteri-
tion und Fertigung. Weitere Unter- sierung von Materialien für deren Wichtig für das Verständnis der Vor-
stützung aus Jülich gibt es im Techno- späteren Einsatz in ITER eingesetzt. gänge in der Plasmarandschicht zu-
logiebereich für Wendelstein 7-X auf Die Tests umfassen die Untersuchung künftiger Fusionsanlagen sind die
den Gebieten Schweißtechnik und des thermischen Ausdehnungsverhal- nummerische Modellierung und die
Festigkeitsrechnungen (FEM). tens zusammengesetzter Materialien theoretische Beschreibung der rele-
und der Stauberzeugung bei sehr vanten Prozesse. Nummerische Mo-
hohen transienten Wärmebelastun- delle und Rechnercodes sind das
gen. Da die Anlage innerhalb der unverzichtbare Bindeglied zwischen
„Heißen Zellen“ steht, bietet sie die dem Experiment an heutigen Ma-
einzigartige Möglichkeit, auch die schinen und der Extrapolation auf
geplante größere Reaktoren. Das For-
schungszentrum Jülich ist auf diesem
Abb. 17: Gebiet seit vielen Jahren mit ein-
Modell eines schlägiger Expertise vertreten.
Spulenmoduls von
Wendelstein 7-X im
Maßstab 1 zu 10 mit
den in Jülich gefertig-
ten supraleitenden
Verbindungsleitern
(„Bussystem“).
(Grafik: FZJ)
109
Abb. 18:
Kühlkörper-Modul aus Kupfer und Segmenten
aus Wolfram („Macrobrush“) für höchst-
belastete Wandkomponenten in ITER.
(Foto: FZJ)
Beispielhaft sei der in Jülich entwik- Aufbau befindlichen Fusionsexperi- gramme dar. Auch im Rahmen der
kelte EIRENE-Code (→ www. eire- ments Wendelstein 7-X. Der Code hat derzeit initiierten europaweiten „Inte-
ne.de) genannt, der das Verhalten von inzwischen eine gewisse Standardi- grated-Tokamak-Modelling“-Aktivi-
Atomen und Molekülen in den wand- sierung auf diesem Arbeitsgebiet in täten (ITM) ist der EIRENE-Code
nahen Bereichen von Fusionsanlagen der internationalen Fusionsforschung und dessen Verknüpfung mit mag-
– sowohl innerhalb als auch außer- bewirkt. Wichtige spezielle Anwen- netohydrodynamischen Modellen als
halb des eigentlichen Plasmas – dungsbereiche des EIRENE-Codes standardisiertes Modul für alle Fra-
detailliert dreidimensional model- stellen die mit entsprechenden Plas- gen der Wasserstoff-Plasmachemie
liert. Der Schutz der in Fusionsexpe- ma-Strömungsmodellen konsistent und des Wasserstoff-Transports vor-
rimenten besonders exponierten Bau- vernetzten Divertorsimulationspro- gesehen.
teile vor Erosion und Überlastung be-
Abb. 19:
ruht nach derzeitigen Konzepten zu-
Anwendungsbereiche des EIRENE-Codes zur Simulation des Neutralteilchentransports unter
nehmend auf der Ausbildung eines
Ähnlichkeitsbedingungen: (oben) Divertorsimulation mit „B2-EIRENE“ für ITER und (unten) Photo-
relativ kalten und dichten Plasmas in
nentransportsimulation in quecksilberfreien Hochdruck-Gasentladungslampen mit „FIDAP-EIRENE“.
der Randzone, wie es in einigen As-
(Grafik: FZJ)
pekten sonst eher typisch für Plasmen
in technischen Anwendungen ist. Der
B2-EIRENE-Simulation fr ITER
EIRENE-Code stellt somit auch eine
der Brücken zwischen fusionsorien-
tierter Forschung und Entwicklung
und der technischen Plasmaphysik
dar. Er wird von beiden Arbeitsgebie-
4m
110
7.3. Forschungszentrum Karlsruhe
Das Forschungszentrum Karlsruhe Die Aktivitäten im Hinblick auf das Entwicklung von kompletten nuklea-
entwickelt im Rahmen des europäi- Demonstrationsleistungskraftwerk ren Komponenten und Systemen
schen Fusionsprogramms Schlüssel- DEMO konzentrieren sich auf die führt. In einem späteren Schritt wird
technologien in den Bereichen Supra- Entwicklung von niedrigaktivieren- die Qualitätssicherung und Ausar-
leitende Magnete, Mikrowellen-Heiz- den Strukturmaterialien und auf beitung von Genehmigungsunterla-
systeme (Elektron-Zyklotron-Reso- Helium gekühlte Blanket- und Di- gen in Zusammenarbeit mit einem
nanzheizung) und Deuterium-Tritium- vertor-Konzepte. industriellen Partner erfolgen und
Brennstoffkreislauf. Die Erkenntnis- schließlich der Einbau dieser Bau-
se aus Entwicklungen und experi- Der Schwerpunkt der Aktivitäten teile in ITER durchgeführt. Zu die-
mentellen Untersuchungen wie der liegt auf dem ingenieurtechnischen sem Zweck wurden im Rahmen des
Test supraleitender Modell-Spulen in Entwurf von Bauteilen für ITER. Programms Kernfusion im For-
der Testanlage TOSKA, dem quasi- Derartige Aufgaben können nur über schungszentrum Karlsruhe verschie-
stationären Gyrotronbetrieb und dem einen projektorientierten Ansatz effi- dene Arbeitsgruppen, so genannte
Betrieb von Brennstoffkreislauf-Kom- zient bewältigt werden, der sicher- Task Forces, in den Bereichen
ponenten kamen bei der Planung des stellt, dass die Verknüpfung aus inge- Blanket/Divertor, Mikrowellen-Heiz-
Experimentalreaktors ITER bereits nieurtechnischem Entwurf, Analyse systeme, supraleitende Magnetsys-
zum Einsatz. und Forschung zur fertigungsreifen teme und Brennstoffkreislauf gebil-
det. Eine weitere Task Force beschäf-
tigt sich mit der geplanten beschleu-
niger-basierten Neutronen-Quelle
IFMIF (International Fusion Materi-
als Irradiation Facility) zur Qualifi-
zierung Plasma naher Werkstoffe. Ein
Team von Design-Ingenieuren bildet,
unterstützt von einer CAD-Gruppe,
den Kern jeder Task Force. For-
schungs- und Entwicklungs-Aktivi-
täten sowie analytische Untersuchun-
gen orientieren sich primär an inge-
nieur-technischen Anforderungen.
111
7.3.1. Mikrowellenheizung
112
der Diamantscheiben, Entwurf der
Fenstereinheit, Überwachung und
Betreuung der Fertigung sowie
Hochfrequenz-Messungen an den fer-
Abb. 2: tig gestellten Fenstereinheiten.
ITER-Torusfenstereinheit
(Foto: FZK) Eine Scheibe von 106 Millimeter
Durchmesser und 1,85 Millimeter
Dicke wurde als Demonstrator für ein
plasmanahes Hochleistungsfenster
bei HFR/Petten mit schnellen
Neutronen (E > 0,1 Megawatt) von
1021/m2 bestrahlt. Die anschließenden
Tests bei 145 Gigahertz ergaben
keine wesentlichen Änderungen in
den Hochfrequenz-Eigenschaften,
jedoch eine Halbierung der Wärme-
Entwicklung fortschrittlicher schiedenen Gyrotronkomponenten leitfähigkeit. Druck- und Hochleis-
Gyrotrons begleitet. tungstests an diesem Fenster wurden
in Zusammenarbeit mit JAERI (Ja-
Der Einsatz konventioneller Gyro- Entwicklung von Hochleistungs- pan) durchgeführt. Ergänzende Be-
trons (zylindrische Resonatoren) ist fenstern strahlungsexperimente mit kleineren
auf Ausgangsleistungen bis zu einem Testproben ergaben erst bei Neu-
Megawatt begrenzt. Koaxiale Reso- Mit der Einführung von CVD-Dia- tronenfluenzen von 1022/m2 deutliche
natoren versprechen eine Verdoppe- mantscheiben stand erstmals ein ge- Veränderungen auch in den dielektri-
lung der Ausgangsleistung, verbun- eignetes Material mit sehr guten ther- schen Eigenschaften. Die Material-
den mit einer Verringerung der Kos- mischen, elektrischen und mecha- entwicklung wird begleitet von spezi-
ten pro Leistungseinheit. Ziel einer nischen Eigenschaften bei Raum- fischen Studien der Bestrahlungs-
Entwicklung für ITER ist die Er- temperatur und bis zu Frequenzen effekte in Isolatormaterialien, mit
stellung eines Konzeptes eines indu- von mehr als 170 Gigahertz zur Aus- einem weiteren Schwerpunkt auf be-
striereifen koaxialen Gyrotrons bei kopplung der Hochfrequenz-Leistung strahlungsresistenten Quarzgläsern
170 Gigahertz mit zwei Megawatt zur Verfügung. Ein 118 Gigahertz- für die Plasmadiagnostik.
Ausgangsleistung für den Dauerbe- Diamantfenster wurde von Thales
trieb. Entsprechende Experimente bei Electron Devices gebaut und durch Entwicklung der Mikrowellen-
165 Gigahertz haben die Machbarkeit das Forschungszentrum Karlsruhe in Einspeisesysteme an den
eines solchen Gyrotrons demons- Zusammenarbeit mit CEA in Cada- oberen Ports von ITER
triert. In einem Kurzpulsexperiment rache erfolgreich getestet. Diamant-
konnte eine Ausgangsleistung von fenster kamen anschließend bei den Der Stromtrieb zur Plasmastabili-
2,2 Megawatt erreicht werden. Bei ersten beiden Testgyrotrons für sierung soll bei ITER durch eine fest-
den nominalen Betriebsparametern Wendelstein 7-X zum Einsatz. Deren frequente Mikrowelleneinkopplung
(90 Kilovolt, 56 Ampere) wurde eine Transmissionsverhalten war über den bei 170 Gigahertz erfolgen. Die vor-
Mikrowellenausgangsleistung von gesamten Bereich der betrachteten gesehene Mikrowellenleistung von
1,5 Megawatt bei einem Wirkungs- Pulslängen und Mikrowellenleis- 20 Megawatt wird über Einspeise-
grad von 48 Prozent erzielt. Die tungen (bis zu 939 Sekunden bei 0,54 systeme eingebracht, die in drei obe-
gemessenen Verlustleistungen auf Kilowatt und 180 Sekunden bei 0,89 ren Port-Positionen des Torus instal-
dem Innenleiter, dessen Stabilität und Megawatt) zuverlässig. Für den liert werden. Um ausgewählte Plas-
die Messungen der Streustrahlung Aufbau eines ECRH-Systems werden maflächen anvisieren und die sich
lassen erkennen, dass der Einsatz am Toruseingang Hochfrequenz- dort ausbildenden „magnetischen
eines stationär arbeitenden Gyrotrons Fenster benötigt, die auch den Inseln“ unterdrücken zu können, wird
bei Ausgangsleistungen von zwei Sicherheitsanforderungen bei Betrieb eine Steuerung der Strahlführung
Megawatt technisch realisierbar ist. mit Tritium entsprechen. Das For- über einen Winkelbereich von minde-
Eine industriell gefertigte Prototyp- schungszentrum hat die Aufgabe stens ± 12° in polodialer Richtung
röhre für stationären Betrieb konnte übernommen, eine solche Torusfens- gefordert. Die Designentwicklung für
auf Grund dieser in Kurzpulsbetrieb tereinheit, alternativ als Einscheiben- die Einspeisesysteme, die Vorbe-
gewonnenen Parameter in Auftrag bzw. Doppelscheibenfenster, zu ent- reitung und Begleitung ihrer indus-
gegeben werden. Die Tests an diesem wickeln und zu untersuchen (s. Abb. triellen Fertigung und ihre Ein-
Gyrotron werden durch Kurzpulsex- 2). Dies beinhaltet die Festlegung richtung an ITER bilden die langfris-
perimente zur Untersuchung der ver- und Überprüfung der Spezifikationen tige Aufgabenstellung eines Projek-
113
Torus-
Fenstereinheiten
Tragende Struktur
ãBlanketÒ
Abschirmmodule
Vordere (feste)
Spiegeleinheiten
ãRemote-SteeringÒ-
Ablenkspiegel
Abb. 3: korrugierte
Rechteck-
Querschnitt durch die tragende Struktur wellenleiter
für das Mikrowelleneinspeisesystem in der
Millimeterwellen-
oberen Port-Ebene von ITER. Die Mikrowellenstrahlführung zeigt die Anordnung strahlen
eines „Remote-Steering“ Systems mit 8 quadratischen Wellenleitern bei einem
Satz von plasmanahen festen Spiegeleinheiten.
tes, das Forschungszentrum Karls- die Mikrowellen-Strahlführungssys- normal leitenden und supraleitenden
ruhe zusammen mit mehreren euro- teme unter ITER relevanten Bedin- Spulen – entwickelt. Änderungen
päischen Partnerorganisationen (FOM gungen durchgeführt, für die vom zwischen den einzelnen Frequenzen
Rijnhuizen, Niederlande und CRPP Forschungszentrum die Hochleistungs- innerhalb einer Sekunde wurden
Lausanne, Schweiz) durchführt (siehe fenster und der Teststand mit einem erfolgreich durchgeführt.
Abb. 3). Hochleistungsgyrotron bei 170 Giga-
hertz bereitgestellt und betrieben Zur Unterdrückung von „Neoclassi-
Wichtige Aspekte sind hierbei die wurden. cal Tearing Modes“ am Tokamak
thermomechanische und neutronische ASDEX Upgrade wird ein im Fre-
Analyse. Die Quantifizierung des Optimierung des Tokamak- quenzbereich von 105-140 Gigahertz
Strömungseffektes der Neutronen betriebes durch geregelte stufenweise durchstimmbares Gyrotron
entlang der Mikrowellen-Hohlleiter- Mikrowellen-Deposition mit einem Doppelscheibenfenster aus
strukturen liefert die Entscheidungs- Diamant und vorgespanntem Kollek-
kriterien über einen möglichen Ver- Dauerbetrieb eines Tokamaks ist nur tor zur Energierückgewinnung in Zu-
zicht auf eine aufwändige und stark durch die Erzeugung eines Plas- sammenarbeit mit der Industrie ent-
Verlust-behaftete gewinkelte Strahl- mastroms ohne Transformator mög- wickelt und hergestellt. Untersuchun-
führung („dog-leg“-Struktur), insbe- lich, z. B. durch Plasmastromtrieb gen zur geeigneten Wahl einer Elek-
sondere bei der „Remote Steering“- mittels eingestrahlter Mikrowellen: tronenkanone und eines quasi-opti-
Anordnung. Neutronikrechnungen „Electron-Cyclotron Current Drive schen Modenwandlers für das Gyro-
zeigen, dass eine solche gewinkelte (ECCD)“. Mikrowellen können je- tron begleiten die industrielle Ferti-
Strahlführung nicht notwendig ist. doch auch strom- bzw. druckgetriebe- gung. Diamantfenster mit größerem
Die beengten Strahlführungswege im nen Instabilitäten durch die gezielte Durchmesser (120-140 Millimeter)
Einkoppelstutzen („Port Plug“) stel- Erzeugung von Strömen entgegen- erlauben die Entwicklung eines breit-
len besondere Designherausforde- wirken. Durch die Kontrolle solcher bandigen Brewsterfensters. Eine der-
rungen dar. So müssen möglichst Instabilitäten wird eine wesentliche artige Materialentwicklung wird in
geringe Wandstärken der tragenden Verbesserung in der Energieein- Zusammenarbeit mit dem Fraun-
Strukturen tolerierbare Auslenkungen schlusszeit erwartet. Durch eine Fre- hofer-Institut für Angewandte Fest-
des Plugs (max. 30 Millimeter) unter quenzvariation der Hochfrequenz- körperforschung (FhG-IAF) in Frei-
den elektromagnetischen Belastun- Welle und/oder Änderung des Ein- burg und der Fa. Element Six in
gen, die bei Plasmazusammenbrü- schusswinkels ist eine gezielte Ab- Ascot/GB verfolgt.
chen auftreten, sicherstellen. Gleich- sorption und damit ein gezielter
zeitig muss die Struktur auf eine ein- Stromtrieb machbar. Eine Frequenz-
fache Zerlegbarkeit optimiert wer- änderung der Gyrotronstrahlung über
den, da bereits im anfänglichen einen großen Frequenzbereich ist
Reaktorbetrieb die Komponenten jedoch nur durch Veränderung des
aktiviert und mit Beryllium kontami- Gyrotron-Magnetfeldes – und damit
niert werden und somit in den „Heißen bei supraleitenden Magnetsystemen
Zellen“ fernbedient getestet und bisher nur sehr langsam – möglich.
repariert werden müssen. Parallel zu Zur schnellen Änderung wurde am
den aktuellen Auslegungsarbeiten Forschungszentrum ein Hybridsys-
wurden erste experimentelle Tests für tem – eine Kombination zwischen
114
7.3.2. Supraleitende Magnete
Die Untersuchung supraleitender Feldstärke der LCT-Spule wurde Aufgrund dieser Voraussetzungen
Magnete hat im Forschungszentrum nach ihrem Einsatz im ORNL mittels wurde die Anlage im Rahmen des
Karlsruhe schon seit den Siebziger Zwangsdurchströmung mit superflui- ITER-EDA-Programms für den Test
Jahren einen hohen Stellenwert. Die dem Helium auf einen Spitzenwert der Toroidalfeld-Modellspule von
Aktivitäten begannen damals mit der für den NbTi-Supraleiter von 11 Tesla ITER ausgewählt und noch einmal
Beteiligung für EURATOM an einem erhöht. Weiterhin wurde eine Poloi- umfangreich erweitert. Für den Test
internationalen Spulentestprojekt, dalfeld-Modellspule von 3 Metern der Spule wurde die in Abb. 4 darge-
dem „IEA Large Coil Task“. Ziel war Durchmesser entwickelt und getestet, stellte Anordnung konzipiert mit dem
die Erprobung von großen supralei- mit der sehr hohe Feldänderungsge- Ziel, eine möglichst ITER-typische
tenden Magneten in einer Torus- schwindigkeiten bis zu 110 Tesla pro Belastung der Spule zu erzeugen.
anordnung. Zu diesem Zweck wurde Sekunde erreicht werden konnten.
im Oak Ridge National Laboratory
(ORNL) erstmals ein großer supralei-
tender Torus bestehend aus sechs D- Stromzufhrung Stromzufhrung
förmigen Spulen aufgebaut, wobei - Pol (80kA) + Pol (80kA)
Sicherheitsklappe (SV302)
jede dieser Spulen nach unterschied-
lichen Konstruktionsprinzipien von Krypostaterweiterung
den beteiligten Partnern entwickelt
und getestet wurde. Schon im Rah-
men dieses Projektes wurde im For- Stromschiene (BB2)
TF-Modellspule (TFMC)
Abb. 4 :
Testanordnung für die ITER-Toroidalfeld- Zwischenrahmen (ICS)
Modellspule für ihre Untersuchung in der
TOSKA-Anlage des FZK.
(Grafik: FZK)
115
Die Spule ist in einen Stützrahmen
eingespannt, als Nachbarspule dient
die LCT-Spule, um die Kraftbelas-
tung der Nachbarspulen zu simulie-
ren. Die daraus resultierenden Anfor-
derungen an die Testanlage führten zu
dem erwähnten Ausbau der TOSKA-
Anlage. Zwei Kälteanlagen mit einer
äquivalenten Leistung von 2 bzw. 0,5
Kilowatt bei 4,4 Kelvin, aber auch
der Möglichkeit im Unterdruckbe-
trieb tiefere Temperaturen zu erzeu-
gen, bilden die kryotechnische Grund-
versorgung. Leiter und Gehäuse der
Spulen selbst werden in einem ge-
schlossenen Sekundärkreis von über-
kritischem Helium durchströmt, die
Strömung wird durch kalte Helium-
pumpen erzeugt. Zur Stromversorgung
der Spulen dienen Niederspannungs-
Hochstrom-Netzgeräte, mit 20 Kilo-
ampere für die LCT-Spule und 80
Kiloampere für die ITER-Modell-
spule. Sehr wichtig sind Schnellent-
ladungskreise für die genannten Strö-
me mit entsprechenden Leistungs-
schaltern, um im Bedarfsfall und zu
Testzwecken die in den Spulen ge-
speicherte elektromagnetische Energie
von 100 bis 200 Megajoule in weni-
gen Sekunden in externe Widerstände
zu entladen. Kritische Komponenten
sind ferner die 80 Kiloampere-Strom-
zuführungen, die vom Forschungs-
zentrum Karlsruhe, basierend auf den
Erfahrungen mit früheren 30 Kiloam-
pere-Systemen, entwickelt wurden.
Abb. 5 zeigt die ITER-Testspule mit
der LCT-Spule als Nachbarspule zur
Erzeugung eines Hintergrundfeldes
mit Schieflastkräften beim Einbau in
die TOSKA-Anlage.
116
Abb. 6:
Die entwickelte 70 Kiloampere-
Stromzuführung mit Hochtemperatur-
Supraleiter zur Verlustreduzierung.
(Grafik: FZK)
Nicht weniger wichtig als die oben
skizzierten großen Experimente sind
spezifische Komponentenentwick-
lungen und Leiteruntersuchungen für
die beschriebenen Fusionsmagnete.
Für letztere wurden im Forschungs-
zentrum Karlsruhe Versuchsstände
zur Messung der Abhängigkeit der
kritischen Ströme von Magnetfeld
und mechanischer Dehnung bei
Nb 3 Sn-ITER-Subkabeln aufgebaut
und eingesetzt.
117
Abb. 7:
Lithium-Orthosilikatkügelchen mit
einem Durchmesser von 0,25 bis
0,63 Millimeter aus dem Schmelz-
Sprüh-Prozess der Fa. Schott AG.
(Foto: FZK)
7.3.3. Blanketentwicklung
Charakterisierung der
Brutkeramik
Lithium-Orthosilikatkügelchen wer-
den durch einen Schmelz-Sprüh-
00008643 5 IMF III / KER
Prozess mit einem Durchmesser von
0,25 bis 0,63 Millimetern hergestellt Abb. 8: Die Oberfläche eines Lithium-Orthosilikatkügelchens zeigt ein typisches, dendritisches
(Abb. 7). Die Qualitätskontrolle der Gefüge, das durch die rasche Abkühlung der Schmelztröpfchen entsteht. (Foto: FZK)
angelieferten Chargen umfasst eine
Reihe von Analysen und Messungen.
Sie dient dazu, einerseits den Her- Die mechanischen Eigenschaften der wird der Phasenbestand der Kügel-
stellungsprozess zu kontrollieren und Kügelchen werden im Wesentlichen chen durch Röntgenpulverdiffrakto-
andererseits den Ausgangszustand durch das Verhältnis von Lithium zu metrie dokumentiert.
der Proben zum Beginn von Bestrah- Silizium bestimmt. Die Bruchfestig-
lungsexperimenten zu definieren. keit der Kügelchen wird durch Druck- Die Dichte, die Porosität und deren
versuche ermittelt: die Kügelchen Verteilung werden mittels Queck-
Durch die chemische Analyse werden werden wachsendem Druck bis zum silber-Porosimetrie bestimmt. Dabei
die prozentualen Anteile der Elemen- Bruch ausgesetzt und die aufgebrach- ergibt sich die geometrische Dichte
te Lithium und Silizium sowie Verun- te Belastung gemessen. aus der von den Kügelchen verdräng-
reinigungen – zum Beispiel Alumini- ten Menge an Quecksilber. Die offe-
um, Eisen und Kohlenstoff – ermit- Mittels Licht- und Elektronenmikro- ne Porosität und die Porengröße kann
telt. Von besonderer Bedeutung ist skopie wird die Mikrostruktur unter- aus der Menge des Quecksilbers er-
die Aluminiumkonzentration, die 60 sucht (Abb. 8), um das Gefüge, Ris- mittelt werden, das bei steigendem
wppm (weight parts per million) se, Korngrößen sowie Porengröße Druck in zunehmend kleinere Poren
nicht überschreiten darf, da sonst und -verteilung festzustellen, die ih- eindringt.
eine zu starke Aktivierung die Ent- rerseits wieder die mechanischen
sorgung oder ein Recycling der Brut- Eigenschaften und die spätere Tri-
keramik erschweren würde. tiumfreisetzung beeinflussen. Zudem
118
10
Abb. 9: Gasblasen in bestrahltem Beryllium nach Aufheizung Abb. 10: Schliffbild eines Beryllium-Kügelchens. (Foto: FZK)
auf 1300 Kelvin. (Foto: FZK)
Charakterisierung des Der größte Teil des Helium- und Tri- Schüttbetten werden experimentelle
Berylliums und Optimierung tiuminventars ist in diesen Blasen Daten zum Spannungs-Dehnungsver-
hinsichtlich Tritiumfreisetzung eingeschlossen. Das Wachstum der halten, zum thermischem Kriechen
Korngrenzenblasen führt dazu, dass und zur Wärmeleitfähigkeit gewon-
Die in Japan hergestellten Beryllium- mit den freien Oberflächen verbunde- nen. Abb. 11 zeigt die Verformung ei-
kügelchen mit einem Durchmesser ne Porositäten entstehen, die das Gas ner Beryllium-Kugelschüttung bei
von rund einem Millimeter werden freisetzen. Der Vergleich der Blasen- 475 Grad Celsius in Abhängigkeit
denselben Qualitätsprüfungen unter- eigenschaften – ihr Durchmesser und des Druckes; eingetragen sind die
zogen wie die Orthosilikatkügelchen. ihre Konzentration – mit den Vorher- entsprechenden Werte der Wärme-
Von sicherheitstechnischer Bedeutung sagen des ANFIBE-Codes ermöglicht leitfähigkeit.
ist die Freisetzungsrate des im Beryl- erstmals eine Validierung des Codes
lium durch Neutronenstrahlung ge- aus mikroskopischer Sicht. Die theo-
6 p=const. for 1000min
bildeten Heliums und Tritiums. Dabei retische und experimentelle Unter- 11.3 14
soll das Tritiuminventar in einem suchung der Helium- und Tritium-
9.3 10.3
späteren Fusionskraftwerk möglichst freisetzung und der verbundenen
uniaxial pressure p (MPa)
119 119
Abb. 12:
Typische Diffusionsschweißproben: A: U-DW- C
Labor-Probe, nicht strukturierte Fügefläche
25 x 30 mm. B: CWS (Cat Walk Sample) Steg-
probe mit 8 mm breiten Stegen. C: Teile einer
D
Stegprobe (CWS) mit 4 mm breiten Stegen.
D: Stegprobe mit 2 mm breiten Stegen, ent- E
sprechend den zukünftigen Verhältnissen in
einer BU-CP. E: Compact Mock Up, dieses Teil
(60 x 70 mm) stellt bereits eine miniaturisierte
Kühlplatte mit Gasverteiler und Stegen dar.
Später werden Anschlüsse für den inzwischen
erfolgreichen Lecktest eingeschweißt.
Die Proben B, C, D und E sind Teil einer
Versuchsreihe zum Verfahrensübertrag von
Laborproben zu konkreten Kühlplatten.
(Foto: FZK) A
Fertigungstechnik
120
Beryllium Auslass Versteifungsgitter,
pol Splgas- Splgas- Einlass Bruteinheiten
sammler verteiler
tor Brutkeramik Austrittsammler
Splgas- Bruteinheiten
verteiler
Auslass Erste Wand,
l
00
l
20
l
l
l
l Khlgasverteiler
Erste Wand
Abb. 13:
l
Einblick in die HCPB-
Blanketbox. Links: 2000
plasmaseitige Ansicht;
rechts: mit zur
Veranschaulichung Konzentrischer
auseinander gezoge- Khlgasanschluss
l Blanketbox
ner Rückwand und
freiliegendem 800 Austrittssammler
Trennplatte A l
Khlgas
Versteifungsgitter. Trennplatte B
Trennplatte C
(Grafik: FZK) Trennplatte D
Abschlussplatte E
Splgas- zustzliche
eintritt Khlplatte
Heliumaustritt
Heliumeintritt Beryllium-
Schttbetten
Splgasaustrittslcher
Brutkeramik- 121
Schttbetten
Testmodule für ITER gramm sieht den sequentiellen Test Die Testblanketmodule werden in ho-
von vier HCPB-Testblanketmodulen rizontalen Ports des Vakuumgefäßes
Der Experimentalreaktor ITER bie- vor. Dabei ist jedes für eine der fol- eingebaut (siehe Abb. 15). Das ge-
tet die Möglichkeit, unterschiedliche genden Fragestellungen ausgelegt: samte System umfasst das Testblan-
Blanketkonzepte einer ersten Erpro- ketmodul, einen Heliumkreislauf zur
bung zu unterziehen. Zu diesem • Effekte elektromagnetischer Transi- Kühlung des Moduls sowie Kompo-
Zweck wurde ein internationales Pro- enten, die zum Beispiel bei Plasma- nenten zur Extraktion des im Modul
gramm zur Entwicklung von Test- abbruch auftreten erbrüteten Tritiums und zur Reini-
blanketmodulen zwischen den ITER- gung des Heliums. Die Konstruktion
• Neutronik und Tritiumbrutrate
Projektpartnern vereinbart. Die Ko- des Systems, die Erprobung in Test-
ordination des Programms erfolgt • Thermo-mechanisches Verhalten kreisläufen, die Qualifizierung für
durch die Test Blanket Working der Keramik- und Berylliumschütt- die Genehmigung und schließlich die
Group (TBWG), in der die sieben betten Integration in ITER werden die Auf-
Partner vertreten sind. Das For- gaben des Forschungszentrums Karls-
schungszentrum Karlsruhe ist feder- • Analyse synergetischer Effekte, d.h. ruhe zur Blanketentwicklung in den
führend für das europäische HCPB- Verhalten des integrierten Blanket- nächsten zehn Jahren sein. Die Test-
Blanketkonzept beteiligt. Das Pro- systems als Ganzes blanketmodule sollen in der ersten
ITER-Betriebsphase im Zeitraum zwi-
schen 2016 und 2021 getestet werden.
Abb. 15:
Links: HCPB-Test-
Blanketmodul für den
Einsatz in ITER. Rechts:
Testblanketmodul
eingebaut in ITER.
Vakuum Kessel
(Grafik: FZK)
Heliumversorgung
at
st
r yo Abschirmung
K
Flansch
Fahrbare Einheit
Tritiumleitung
Datenerfassung
122
7.3.3.2. MHD-Untersuchungen
zum Flüssigmetall-Blanket
Abb. 16:
Flüssigmetall-Kreislauf der
MEKKA Anlage. Das einge-
baute MHD-Experiment befin-
det sich hier außerhalb des
(grünen) Magnets. Links sind
Teile der Flüssigmetall-
versorgung zu erkennen,
in der Mitte arbeiten zwei
Personen an der Instrumen-
tierung des Experiments. Zur
Durchführung der Versuche
wird der gesamte Kreislauf
auf Schienen verschoben,
so dass sich das Experiment
dann in der Mitte des
Magnets befindet.
(Foto: FZK)
123
7.3.4. Entwicklung eines Helium-gekühlten Divertors
Der Divertor ist eines der am stärks- für den Divertor an. Helium hat darü-
ten belasteten Bauteile des Fusions- ber hinaus den Vorteil, chemisch und
kraftwerks (siehe Kapitel 3.4). Er ist neutronisch inert zu sein. Zudem
einem Teilchenhagel ausgesetzt, der können im Vergleich mit Wasser
durch Umwandlung von kinetischer höhere Temperaturen erreicht wer-
in thermische Energie eine Wärme- den, was den thermischen Wirkungs-
last von lokal etwa 15 Megawatt pro grad des Kraftwerks und damit die
Quadratmeter mit sich bringt. Der Wirtschaftlichkeit verbessert. Helium
Aufschlag der Teilchen auf die Prall- kann direkt auf die Gasturbine zur
platten führt darüber hinaus über Stromerzeugung geleitet werden. Vor
mechanische und thermische Effekte allem aber würde Wasser als Kühl-
zur Erosion der Platte, so dass man mittel im Falle entsprechender Stör-
eine Opferschicht von rund fünf Milli- fälle mit Beryllium unter Bildung
metern Stärke auf der Oberfläche von Wasserstoff reagieren. Daher
vorsieht. Dennoch müssen die Prall- sind aus Sicherheitsgründen wasser-
platten etwa alle ein bis zwei Jahre gekühlte Komponenten in Gegenwart
ausgewechselt werden. von Beryllium im Vakuumgefäß zu
vermeiden.
Für ITER wurde ein wassergekühlter
Divertor entwickelt. Dieses Konzept Prinzipiell wäre auch Flüssigmetall
wurde jedoch für relativ geringen als Kühlmittel für den Divertor denk-
Neutronenfluss und geringe Wasser- bar. Es ist jedoch chemisch aggressiv
temperaturen ausgelegt und ist für und benötigt wegen seiner magneto-
DEMO daher nicht geeignet. Außer- hydrodynamischen Effekte mehr
dem will man bei den am Forschungs- Pumpenleistung. Die Strömung des
zentrum Karlsruhe entwickelten Blan- Flüssigmetalls wirkt wie ein beweg-
ket-Konzepten Wasser als Kühlmittel ter Leiter im Magnetfeld: Strom wird
aus Sicherheitsgründen möglichst darin induziert und bewirkt Kräfte,
vermeiden. die die Bewegung des Flüssigmetalls
hemmen.
Wie im Abschnitt 7.3.3. über das
Blanket bereits dargestellt, entwickelt Gemeinsam, zum Teil auch im Wett-
das Forschungszentrum Karlsruhe bewerb mit europäischen Partnern,
das Helium-gekühlte Feststoffblanket entwickelt das Forschungszentrum
(HCPB) und trägt zum Helium-ge- Karlsruhe Konzepte für einen Helium-
kühlten Flüssigmetallblanket (HCLL) gekühlten Divertor und beschäftigt
bei, das federführend von CEA/ sich mit Materialfragen. Die Aufga-
Frankreich entwickelt wird. Helium ben gliedern sich in die folgenden
bietet sich daher auch als Kühlmittel Bereiche:
124
Abb. 17:
Schnitt durch eine 3D CAD-Darstellung einer
Gruppe von Kühlfingern (hier für das Prall-
Entwicklung von Kühlkonzepten strahlkühlungsverfahren). Maße in Millimeter.
für den Helium-gekühlten (Grafik: FZK)
Divertor
Die abzuführende Wärmelast beträgt • Reduzierung der Strecke, über die Zurzeit werden in Europa Konzepte
etwa 10 bis 15 Megawatt pro Qua- die Wärme im Divertor weitergelei- entwickelt, um diesen Anforderungen
dratmeter für Versuchsreaktoren der tet werden muss, um das Kühlmittel zu genügen. Um mit der hohen Wär-
Generation nach ITER und die erste möglichst dicht an die thermisch melast fertig zu werden, entwickelt
Generation kommerzieller Fusions- belastete Oberfläche der Prallplat- das Forschungszentrum Karlsruhe
kraftwerke. Da dieser Wert bisherige ten heranzuführen, ein modulares Divertorkonzept: Die
technische Anforderungen übersteigt, Prallplatte wird in Wolframziegel
sind konventionelle Kühlkonzepte, • Verbesserung des Wärmeübergangs aufgeteilt, darunter befindet sich je-
zum Beispiel einfache Kühlkanäle zum Kühlmittel, entweder durch eine weils ein Kühlfinger. Je neun Finger
auf der Rückseite der Prallplatten, Erhöhung der Strömungsgeschwin- werden zu einer Gruppe zusammen-
nicht geeignet. Vielmehr ist ein völlig digkeit und/oder durch eine Vergrö- gefasst. Abb. 17 zeigt einen Schnitt
neuer Aufbau des Kühlsystems erfor- ßerung der Kontaktfläche, durch solch eine Gruppe.
derlich. Die wesentlichen Anforde-
rungen sind: • gleichzeitig ist der energetische
Aufwand für die Kühlmittelpumpen
• eine Aufteilung der Prallplatten in möglichst klein zu halten ist, um
einzelne Module, um die thermi- mehr Energie für die Stromgewin-
schen Spannungen zu reduzieren nung bereit zu stellen und somit den
und das Kühlmittel über möglichst Wirkungsgrad der Gesamtanlage zu
kurze Wege zu transportieren, erhöhen.
125
Pin-Array Slot Array 1 Slot-Array 2
Abb. 18:
Mögliche Varianten zur Vergrößerung der Kontaktfläche
zwischen Kühlmittel und Prallplatte. (Fotos: FZK)
Für die eigentliche Kühlung werden tungsreaktoren gut geeignet ist. Theo- Da die Fertigung von feinen Wolf-
zwei alternative Verfahren entwi- retisch konnten bisher mittlere nor- ramstrukturen für Slot- und insbeson-
ckelt: Das erste ist gekennzeichnet mierte Wärmeübergangskoeffizien- dere für Pin-Anordnungen aufwändig
durch eine Vergrößerung der Ober- ten bis zu 45.000 W/m2K bei einem ist, wird am Forschungszentrum
fläche, um den konvektiven Wärme- vertretbaren Energieaufwand für die Karlsruhe ein weiteres Kühlkonzept
übergang zwischen Kühlmittel und Gebläse erzielt werden. An der Opti- entwickelt, das ganz ohne derartige
Prallplatte zu verbessern. Dafür wer- mierung der Form, Größe und Anord- Strukturen auskommt. Bei diesem al-
den verschiedene Varianten unter- nung der Pins bzw. Slots und der ternativen Kühlkonzept führen Heli-
sucht (siehe Abb. 18). Zuerst wurde Strömungsführung wird zurzeit gear- umstrahlen, die auf die zu kühlende
ein Pinplättchen mit zylinderförmi- beitet. Dabei werden auch kommer- Flächen gerichtet sind, die Wärme-
gen Stiften entwickelt, dieses wurde zielle Softwareprogramme eingesetzt, last des Divertors ab. Damit wird das
weiter optimiert zu Slots, d.h. Rippen mit denen das Strömungs- und Wär- vom Einsatz in Flugtriebwerken und
und Kanälen. Eine Reaktorstudie hat meübertragungsverhalten simuliert Gasturbinen her bekannte Mehr-
gezeigt, dass ein solches Divertor- werden kann. strahl-Prallkühlungsprinzip auf den
konzept für den Einsatz in Leis- Einsatz in Hochleistungs-Divertoren
adaptiert. Abb. 19 zeigt den Kopf mit
den Düsen.
126
Um die Simulationsrechnungen zu die den radiologischen Anforderun-
den Konzepten zu überprüfen, müssen gen entsprechen.
auch Experimente durchgeführt wer-
den. Dazu baut das Forschungszen- So kommt für die Oberfläche der Tar-
trum Karlsruhe in Kooperation mit getplatten nur Wolfram als thermi-
dem russischen EFREMOV-Institut in sches Schild in Frage, da nur Wolf-
St. Petersburg einen Helium-Kreis- ram wegen seines hohen Schmelz-
lauf, in dem anhand von Modellen punktes den hohen Temperaturen
zunächst Druckverlust- und Wärme- standhält und eine hohe Leitfähigkeit
übergangsmessungen und schließlich hat. Wolfram ist jedoch ein hartes
auch Integraltests bei realen Betriebs- Metall, d. h. es lässt sich spanabhe-
bedingungen durchgeführt werden. bend schwer bearbeiten. Es hat zu-
Parallel dazu finden in der FZK-eige- dem den Nachteil, dass sein Arbeits-
nen HEBLO-Anlage Versuche mit temperaturbereich am unteren Rand
Geometrien im Maßstab 10 zu 1 statt, von der Sprödbruchübergangstempe-
die Details des Strömungs- und ratur (rund 800 Grad Celsius) be-
Wärmeübergangsverhaltens klären grenzt wird, unterhalb derer das Ma-
sollen. Die rechnerisch erzielten terial seine Duktilität verliert. Nach
Ergebnisse sollen mit dieser Anlage oben wird das Temperaturfenster
überprüft und validiert werden. durch die Rekristallisationstempe-
ratur begrenzt. Oberhalb dieser wird
Material- und Fertigungstechnik Wolfram grobkristallin und verliert
dadurch mit zunehmender Einsatz-
Mit Ausnahme des Strahlkühlkonzep- dauer immer mehr an Festigkeit. Bei
tes ist allen vorgeschlagenen Kon- unserem Einsatzfall liegt diese obere
zepten gemeinsam, dass die vorgese- Schwelle für heute kommerziell ver-
henen kleinteiligen modularen Struk- fügbares Wolfram bei etwa 1100
turen schwer herzustellen sind. Neben Grad Celsius (Temperaturangaben
den daraus resultierenden fertigungs- jeweils für unbestrahltes Material).
technischen Anforderungen müssen Durch Bestrahlung verschiebt sich
die verwendeten Materialien noch die untere Grenze für die Spröd-
weiteren Erfordernissen genügen. bruch-Übergangstemperatur nach
Die Notwendigkeit, einer hohen Wär- oben auf mehr als 800 Grad Celsius.
melast Stand zu halten, erfordert den Damit wird der zulässige Bereich für
Einsatz von Materialien mit entspre- die Arbeitstemperatur immer enger.
chenden thermischen Eigenschaften Eine sorgfältige Auslegung der Kom-
bezüglich Wärmeleitfähigkeit, Wär- ponenten ist daher erforderlich.
meausdehungskoeffizient und me- Durch eine Dotierung etwa mit Lan-
chanischen Verhaltens. Darüber hin- tanoxid lässt sich das Temperatur-
aus sind Materialien zu verwenden, fenster von 1100 Grad Celsius auf
127
rund 1300 Grad Celsius für kommer- Gleichzeitig werden in Kooperation
zielles Wolfram vergrößern und die mit industriellen Partnern die ferti-
mechanische Bearbeitbarkeit des gungstechnischen Möglichkeiten für
Materials wird verbessert. die Produktion der Divertorkompo-
nenten untersucht. Beispielsweise eig-
Daher wird an der Entwicklung von nen sich einige Methoden zur Her-
Wolframlegierungen gearbeitet, de- stellung der Slots aufgrund der lan-
ren Arbeitstemperaturbereich unter gen Bearbeitungszeit – rund 24 Stun-
Bestrahlung etwa 600 bis 1300 Grad den für ein Plättchen aus Abb. 18 –
Celsius umfasst. Dazu gehören auch nicht für die Massenproduktion. Etwa
Bestrahlungsversuche, in weiterfüh- 300.000 dieser Plättchen werden am
renden Experimenten sollen dann Ende für das Kraftwerk notwendig
zyklische Tests unternommen wer- sein. Im Rahmen einer Studie werden
den. Insbesondere bei der Inbetrieb- zur Zeit alle in Frage kommenden
nahme müssen die Bauteile zyklische Herstellungsverfahren zusammenge-
Belastungen aushalten, ohne Schaden tragen, auf ihr Potential hin unter-
zu nehmen. Insgesamt ist beim Be- sucht und dann bewertet, sowie eige-
trieb des Versuchsreaktors, der nach ne Verfahren weiterentwickelt. Dies
ITER gebaut werden soll, mit etwa sind sowohl Verfahren, bei denen
1000 Zyklen zwischen Raumtempera- Material abgetragen wird, zum Bei-
tur und Arbeitstemperatur zu rechnen. spiel elektrochemisches Elysieren,
wie auch aufbauende Verfahren, etwa
Für das Strukturmaterial der Kassette das Pulverspritzgießen von Metall-
wäre im Prinzip ein ferritisch-marten- teilen.
sitischer niedrig-aktivierender Stahl
das Material der Wahl. Dazu müssen Insgesamt soll das Konzept für den
jedoch noch konstruktive Lösungen Divertor bis 2010 fixiert sein. Dann
für Übergangsstücke von den Wolf- werden Testmodule gebaut, die zu-
ram-Targetplatten zur Struktur gefun- nächst in einem eigenen Helium-
den werden, da die thermischen Aus- kreislauf, dann in ITER getestet wer-
dehnungskoeffizienten dieser beiden den sollen (2020 - 2023). Bis 2025
Materialen sehr unterschiedlich sind. soll das Design der Komponenten
Das gilt insbesondere auch bei dyna- endgültig abgeschlossen sein.
mischer Belastung beim An- und
Abfahren des Kraftwerks. Vorge-
schlagen wird eine Lösung mit kon-
ischer Verbindung und Kupferzwi-
schenschicht. Diese offenen Fra-
gen werden am Forschungszentrum
Karlsruhe untersucht.
128
7.3.5. Komponenten des Brennstoffkreislaufes
und Vakuumsysteme
129
Abb.21:
Prozessströme des
Tritiumlabors Karlsruhe.
(Grafik: FZK)
Das Tritiumlabor Karlsruhe hat einen umgebende Gebäude hat zumeist nur pumpen des Tokamaks und eine
geschlossenen Tritiumkreislauf. Kern- noch eine eingeschränkte Funktion Rückführung der gereinigten und
stück der Infrastruktursysteme ist das als Barriere, wird aber gezielt entlüf- vom Protium befreiten Brenngase in
zentrale Tritiumtransfersystem, wel- tet. Dementsprechend verfügt das den Reaktor bei dem geforderten Gas-
ches über Rohrleitungen mit dem Tritiumlabor Karlsruhe über eine fluss und mit der geforderten Tri-
Tritiumlager, der Isotopentrennung, Vielzahl von Handschuhkästen, die tiumkonzentration. Gleichzeitig darf
der Tritiummesstechnik und mit individuell mit Tritiumrückhaltesys- das dekontaminierte Abgas – im we-
Experimentiersystemen verbunden temen ausgerüstet sind und deren sentlichen Helium als „Asche“ der Fu-
ist. Die in Metallhydridspeichern aus Effizienz durch ein zentrales Rück- sionsreaktion – pro Stunde nicht mehr
Kanada jeweils angelieferte Menge haltesystem ergänzt wird. Das in den als 10-5 Gramm Tritium enthalten.
Tritium (dort wird es aus dem schwe- Rückhaltesystemen anfallende triti-
ren Wasser der CANDU-Reaktoren ierte Wasser wird gesammelt und zu- Der daraus resultierende Dekontami-
extrahiert) wird im Labor zunächst künftig in einer im Aufbau befind- nationsfaktor von 108 für die Plas-
über kalorimetrische Messungen lichen Wasserdetritiierung aufgearbei- maabgasreinigung von ITER kann
genau ermittelt und danach die tet. Auf diese Weise werden die Ab- nur über mehrstufige Prozesse er-
Reinheit analysiert. Über das Trans- fallmengen weiter reduziert und der reicht werden. Im Tritiumlabor
fersystem gelangt das Tritium dann in Tritiumkreislauf des Labors noch en- Karlsruhe wurde hierzu das Reini-
die Experimente. Aktuell für Tests ger geschlossen. gungsverfahren CAPER entwickelt
nicht mehr benötigtes oder nicht und experimentell getestet. In einer
mehr brauchbares Tritium wird zur Die Basis für das Design des inneren ersten Stufe des Prozesses wird das
weiter unten beschriebenen Anlage Brennstoffkreislaufs von ITER ist der unverbrannte und in molekularer
CAPER transferiert, dort gereinigt Pulsbetrieb des Tokamak mit einer Form vorliegende Deuterium und
und über das Transfersystem an die Pulslänge von 450 Sekunden. Wegen Tritium über Permeatoren mit Palla-
Isotopentrennung geleitet. Von dort einer ins Auge gefassten Pulslänge dium-Silber-Membranen abgetrennt.
wird reines Tritium dann entweder im bis zu 3000 Sekunden in späteren Experimentell wurden für diese Stufe
Tritiumlager zwischengespeichert Betriebsphasen sind die entsprechen- unter ITER-relevanten Bedingungen
oder unmittelbar wieder den Expe- den Konsequenzen für das Design Dekontaminationsfaktoren zwischen
rimenten zur Verfügung gestellt. jedoch in allen Abschnitten bereits 10 und 100 ermittelt. Damit kann
jetzt zu betrachten. Für den kurzen mehr als 90 Prozent des unverbrauch-
Prinzipiell gilt für den Umgang mit Puls muss die gesamte Brennstoff- ten Fusionsbrennstoffs unmittelbar in
Tritium das Konzept mehrerer Bar- menge von etwa 120 Gramm Tritium hochreiner Form zurück gewonnen
rieren. So wird ein Tritium führendes mit einem equimolaren Deuterium- und über die Isotopentrennung in den
System – auch Primärsystem genannt Tritium-Gemisch bei einem Fluss Reaktor rückgeführt werden.
– von einer äußeren Hülle oder einem von etwa 1000 Gramm pro Stunde
Sekundärsystem umgeben. Derartige aus dem Lager der Tritiumanlage von Durch Plasma-Wand-Wechselwirkun-
Sekundärsysteme sind in der Regel ITER zur Verfügung gestellt werden. gen im Tokamak werden mit Deute-
Handschuhkästen, deren Atmosphä- Dagegen fordert der lange Puls eine rium und Tritium versetzte Kohlen-
ren häufig inertisiert sind und die zumindest halbkontinuierliche Rück- wasserstoffe und Wasser gebildet,
ständig auf die Konzentration an gewinnung des Tritiums gemäß den welche in der zweiten Stufe des
Tritium hin überwacht werden. Das Regenerierungsschemata der Kryo- CAPER-Prozesses durch eine Kom-
130
bination von heterogen katalysierten ten Prozess- und Verfahrensfließbil- Abfällen. In letzterem Zusammen-
Reaktionen mit der Permeation von dern der einzelnen Systeme. hang wird auch geprüft, ob mit einem
Deuterium und Tritium durch Palla- hochempfindlichen Kalorimeter feste
dium-Silber-Membranen aufgearbei- Die aktuellen Schwerpunkte der For- Abfälle hinreichend charakterisierbar
tet werden. Der experimentell er- schung und Entwicklung im Tritium- sind.
mittelte Dekontaminationsfaktor die- labor Karlsruhe liegen insbesondere
ser Stufe ist typisch größer als 1000. in den Tests prototypischer Kompo- Letztlich deckt das Tritiumlabor
In einem letzten Schritt zur Fein- nenten. So werden PERMCAT’s nicht Karlsruhe mit seinen Experimenten
reinigung werden unter Verwendung nur in Karlsruhe, sondern auch in und seinen Infrastruktursystemen
einer PERMCAT genannten Kompo- Zusammenarbeit mit JET in Culham nahezu die gesamte Tritiumtechnolo-
nente, in welcher die Technologie der (England) im dortigen „Active Gas gie von ITER ab.
Wasserstoffpermeation durch Mem- Handling System“ getestet. Ein Me-
branen direkt mit heterogen kataly- tallhydridspeicher in der Original-
sierten Reaktionen kombiniert ist, größe für ITER wird derzeit im
über Isotopenaustausch mit Protium Hinblick auf die Lieferrate von gas-
im Gegenstrom auch geringste Rest- förmigem Tritium, aber auch bezüg-
mengen an Deuterium und Tritium lich der in-situ-Kalorimetrie experi-
zurück gewonnen. Der experimentell mentell charakterisiert. In Zusam-
mit Tritium für die dritte Stufe nach- menarbeit mit der Industrie werden
gewiesene Dekontaminationsfaktor tritiumkompatible Pumpen konzipiert
beträgt bis zu 200 000. Damit ist der und intensiv getestet.
Abgasreinigungsprozess als wesentli-
ches Teilsystem für die Tritiumanlage Ein jüngeres Arbeitsthema im Triti-
von ITER prinzipiell bereits in der umlabor Karlsruhe betrifft die Be-
Praxis im Tritiumlabor Karlsruhe stimmung von Tritium in Kohlen-
demonstriert und ein Dekontamina- stoff-Kacheln und in den beobachte-
tionsfaktor von 10 8 nachgewiesen. ten Flocken und im Staub aus den
Der innere Brennstoffkreislauf für Fusionsmaschinen JET und TFTR in
ITER konnte auf der Basis der expe- Princeton, USA. Dabei werden die
rimentellen Ergebnisse durch den Oberflächen- und Tiefenprofile des
Betrieb der Anlage CAPER, der Tests Tritiums mit diversen physikochemi-
verschiedener Verfahren zur Tritium- schen Methoden bestimmt, um diese
speicherung, Isotopentrennung und Materialen der „ersten Wand“ genau
Analytik sowie der Erfahrungen aus zu untersuchen. Letztlich zielen die
dem Betrieb der Infrastruktur des Arbeiten auf die Entwicklung von
Tritiumlabors Karlsruhe geplant wer- Methoden zur Detritiierung der ers-
den. Diese Arbeiten zum Design ten Wand, sowohl in-situ zur Redu-
mündeten neben einem allgemeinen zierung des Tritiuminventars im To-
Fließbild zum gesamten Brennstoff- kamak, als auch ex-situ zur Minimie-
kreislauf vor allem auch in detaillier- rung der Tritiummengen in festen
131
Entwicklung von
Primärvakuumpumpen für ITER
132
7.3.6. Materialentwicklung
Sprödbruchübergangs-
250
temperatur (DBTT) als
Funktion der Verlage- 200 MANET I [1993]
rungsschädigung (dpa) F82H, mod. [1998 - 2005]
150
DBTT in ¡C
nach Neutronen-
bestrahlung. Die reduziert 100
EUROFER 97 [1998 - 2005]
aktivierbaren ferritisch- 50
martensitischen Stähle
0 OPTIFER Ia - V [1996 - 2005]
OPTIFER, EUROFER 97 und
F82H sind der konventio- -50
nellen Variante MANET I
-100 T irr = 300¡C-330¡C
deutlich überlegen.
(Grafik: FZK) -150
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34
Damage dose in dpa
134
Hei§e
Zellen
40 m
Testzelle +
D -Beschleuniger
2 x 125 mA, 40 MeV
Abb. 25:
Designstudie der
beschleunigergetrie-
benen intensiven
Neutronenquelle
IFMIF zur Werkstoff-
entwicklung unter
fusionsspezifischen
Belastungen.
(Grafik: JAEA, Japan)
135
7.3.7. Sicherheit
10 bar - DET3D
- 2 ms
- pressure field > 6.5 bar
Abb. 26:
Dreidimensionale Simulation einer
7 bar postulierten Wasserstoff-Luft-Detonation
in ITER (5 Kilogramm H2, stöchiometrisches
H2-Luft-Gemisch, 2 Millisekunden nach
Zündung, Druckfeld größer als 6,5 bar).
(Grafik: FZK)
4 bar
1 bar
136
8
5
Abb. 27:
P m, bar
4 Gemessene maximale
Graphite dust
Particle size: Überdrücke für
3 4 um Abb. 28:
Graphitstaub-Luft-
25-32 um
Mischungen mit 4, Minimale Explosionskonzentration
2 40-45 um
25-32 und 40-45 Ìm von Graphitstaub als Funktion der
1 Partikelgröße (Ìm). (Grafik: FZK)
Teilchengröße.
0 (Grafik: FZK)
0 200 400 600 800
C, g/m 3
Die Angabe eines globalen Grenz- Es zeigt sich, dass die Lasten, die bei Im Bereich der Staubexplosionen
werts von 5 Kilogramm Wasserstoff der Verbrennung solcher Gemische werden Explosionsversuche in einer
ohne Berücksichtigung der tatsäch- auf die umgebenden Strukturen ent- 20 Liter-Kugel unter verschiedenen
lich ablaufenden Verteilungs- und stehen, entscheidend von dem auftre- Randbedingungen durchgeführt. Ers-
Verbrennungsprozesse reicht also tenden Verbrennungsregime abhän- te Versuche befassen sich mit Graphit-
nicht aus, um eine Beschädigung des gen. Dieses kann von langsamen Luft-Reaktionen. Versuchsparameter
Plasmagefäßes und Lufteinbruch aus- Deflagrationen bis zu stabilen Deto- waren die mittlere Partikelgröße, die
zuschließen. nationen reichen. Um die Bedingun- Staubdichte in Luft und die Zünd-
gen für schnelle Verbrennungsformen energie.
Im nächsten Schritt wurden die Un- bei ITER-typischen Mischungen zu
tersuchungen dahingehend verfei- klären, wurden Messungen zur Flam- Die Explosionskenngrößen dieser
nert, dass ein ex-vessel-loss-of coo- menbeschleunigung und zum Deto- Stäube wurden als Funktion der cha-
lant-accident (LOCA) ohne Plasma- nationsübergang bei Drücken von 0,1 rakteristischen Staubpartikelgröße
abschaltung, durchgehend und voll bis 1,0 bar durchgeführt. Zur Bewer- untersucht (4, 25-32 und 40-45 Mi-
mechanistisch simuliert wurde. Dazu tung des Detonationspotentials von krometer). Abb. 27 zeigt die gemes-
wurden dreidimensionale Wasser- ITER-relevanten Gasmischungen fehl- senen maximalen Überdrücke als
stoff-Luft-Dampf-Verteilungsrech- ten Daten zur Detonationszellgröße Funktion der Staubkonzentration. Es
nungen für das Gesamtsystem beste- dieser Gemische. Diese Werte wur- konnte gezeigt werden, dass die
hend aus Vakuumbehälter, Druck- den mit einem vorhandenen theoreti- Größe der Staubpartikel sehr wichtig
abbausystem und Ablauftank durch- schen Modell berechnet, wobei sich für die Explosionseigenschaften ist.
geführt. Als Eingabe für die Vertei- gezeigt hat, dass die Detonationszell- Der feinste Staub besitzt die gering-
lungsrechnung dienten verschiedene größe mit abnehmendem Ausgangs- ste minimale Explosionskonzentra-
Wasserstoff-, Dampf- und Luft- druck zunimmt, was gegenüber Nor- tion (Abb. 28) und ebenso die ge-
Quellterme aus anderen Berechnun- maldruckmischungen eine verringerte ringste minimale Zündungsenergie
gen (MELCOR, PAXITR, ATHENA Detonationsneigung der ITER-typi- von 1 Kilojoule.
Programme). Die Bandbreite der be- schen Gasgemische bedeutet.
rechneten Quelldaten war allerdings
sehr groß. Je nach Annahme der Die neuen experimentellen und theo-
Bruchstelle im Kühlkreislauf konnte retischen Ergebnisse zum Verbren-
Luft entweder sehr früh – nach 1.000 nungsverhalten von ITER-typischen
Sekunden – oder sehr spät – nach Mischungen wurden in dem interakti-
10.000 Sekunden – in den Vakuum- ven GP-Programm kondensiert und
behälter eindringen. Im ersten Fall dokumentiert. Das Programm erlaubt
ergaben sich hoch reaktive Mischun- die Berechnung aller wichtigen Ver-
gen im Vakuumbehälter, im zweiten brennungseigenschaften für ITER-
Fall im Druckabbausystem. relevante Wasserstoff-Luft-Dampf-
Mischungen und bietet ein wichtiges
Werkzeug zur weiteren Untersuchung
hypothetischer Störfälle.
137
7.3.7.2. Magnetsicherheit
Bei bestimmten Störfallszenarien sind und aufwändig zu ersetzenden Mag- rechnet und ausgewertet werden, um
erhebliche Energiemengen zu beherr- netspulen nicht beschädigt werden. zu entscheiden, wann und wo die
schen, die in den starken und ausge- Dazu ist unter anderem ein sofortiges Supraleitung zusammenbricht. An
dehnten Magnetfeldern enthalten sind. geregeltes Herunterfahren des Mag- diesen Stellen muss die ohmsche
Im Toroidalfeld des ITER-Magnet- netfeldes, d.h. eine „Schnellabschal- Leistung bestimmt werden, die zur
systems sind etwa 40 Gigajoule an tung“, mit Hilfe eines aufwändigen Temperaturerhöhung beiträgt. Der
Energie gespeichert. Würde diese Abschaltsystems vorgesehen. Sie lei- ohmsche Widerstand reduziert außer-
Energie auf eine Stelle konzentriert, tet die Magnetfeldenergie in Entlade- dem den Strom im Spulenkreis.
zum Beispiel durch einen Lichtbogen, widerstände außerhalb des Kryosta-
könnte man rund 4 Kubikmeter Stahl ten ab, bevor das Supraleiterkabel Starke Stromänderungen verursachen
– etwa 30 Tonnen – zum Schmelzen überhitzen und schmelzen kann. induktive Effekte, die nennenswerte
bringen. Wenn das Abschaltsystem versagt, Energiemengen in Spulenteile oder
kann die Energie innerhalb des Kryo- auch in Gehäuseteile leiten können.
Es muss daher sichergestellt sein, staten freigesetzt werden und zu er- Daher wird für eine transiente Rech-
dass diese Energie auch im ungüns- heblichen Schäden an Spulen und nung auch eine Stromkreisanalyse
tigsten Fall nicht an problematischen Strukturen führen. Daher stellt das benötigt. Als weiterer Faktor spielt
Stellen frei wird, zum Beispiel dort, Versagen der Abschaltsysteme bei die Heliumkühlung eine Rolle. Diese
wo Barrieren zur Umgebung durch- Verlust der Supraleitfähigkeit in Teil- ist im Supraleiterkabel als koaxialer
geschmolzen oder andere sicherheits- bereichen der Spulen einen wichtigen Kanal integriert. In der Regel wird
relevante Systemkomponenten be- Magnetstörfall dar. die Temperaturfront entlang des Lei-
schädigt werden könnten. Um das ters schneller durch expandierendes
thermische Verhalten supraleitender Ein zweiter Störfalltyp kann durch Helium verbreitet als durch Wärme-
heliumgekühlter Großmagnete unter Kurzschlüsse zwischen Spulenteilen leitung im Kabelmaterial. Das Ver-
Wechselwirkung verschiedener rele- während einer Schnellabschaltung teilersystem für das Helium direkt an
vanter Einflussgrößen auch unter entstehen. Solche Kurzschlüsse kön- der Spule bietet außerdem zusätzli-
Störfallbedingungen modellieren zu nen zusätzliche ungewollte Strom- che Pfade für die Ausbreitung der
können, wurde das Programmsystem schleifen bilden, in denen während Störung. Für eine genaue Betrachtung
MAGS (MAGnet System) entwickelt. der Schnellabschaltung starke induk- ist eine thermohydraulische Rech-
tive Kurzschlussströme auftreten. In nung notwendig. Eine Besonderheit
Supraleitende Spulen erfordern defi- der Schleife kann ein Mehrfaches des ergibt sich, wenn ein Kabel so stark
nierte Betriebsbedingungen hinsicht- normalen Betriebsstroms die Supra- beschädigt wird, dass es komplett
lich Temperatur, Magnetfeld, elektri- leitung zusammenbrechen lassen und ausfällt. Dann brennt an dieser Stelle
scher Stromdichte und mechanischer den Leiter zerstören. ein Lichtbogen, der eine sehr starke,
Spannungen. Werden bestimmte Grenz- lokale Wärmequelle darstellt und spe-
werte dieser Größen überschritten, Aus den obengenannten Störfallbe- zielle elektrische Eigenschaften hat.
verliert der Supraleiter seine supra- schreibungen lassen sich jetzt die An-
leitende Eigenschaft („Quench“). Der forderungen an ein Rechenprogramm Mit MAGS wurde ein Programmsys-
lokale, plötzliche Verlust der Supra- zusammenfassen: Temperatur, Mag- tem entwickelt, das eine Analyse un-
leitung während des Betriebs muss so netfeld, mechanische Spannung und ter Berücksichtigung der komplexen
beherrscht werden, dass die teuren elektrischer Strom müssen lokal be- Wechselwirkung der verschiedenen
138
HEAT3D:
Wrmeleitung in der Spule
EFFI:
LINKUP: Magnetfeld in der Spule
Helium-Analyse in den Zuleitungen
EDDY:
Wirbelstrme im Leiter
MAGS
GANDALF:
Heliumanalyse in der Spule SHORTARC:
Lichtbogen in der Spule
Abb. 29:
Schematische Darstellung
L2 RQ2
L1 RQ1
RBY
RSH
OHM: der wichtigsten Module im
supraleitenden Zustand prfen, MAGS-Programmsystem.
ohmsche Leistung bei Normalleitung RDUMP RIN
berechnen RJAK (Grafik: FZK)
MSCAP:
elektrischer Stromkreis,
induktive Effekte
Einflussgrößen durchführen kann. feldspule. Die Tauglichkeit der MAGS- hin, dass bei Magnetstörfällen der
Dabei greifen verschiedene Werk- Ergebnisse konnte bereits anhand des Schaden im wesentlichen auf den
zeuge abwechselnd auf eine gemein- QUELL-Experiments und an Expe- Bereich im Innern der Magnete
same Datenbasis zu. MAGS verfügt rimenten mit der Toroidalfeldmodell- beschränkt ist. Eine aktuelle Frage ist
weiter über Werkzeuge zur Modellie- spule von ITER belegt werden. Mit aber noch, ob ein Lichtbogen an den
rung von Randbedingungen, die sich MAGS kann als bisher einzigem Pro- Durchführungen der Zuleitungen der
durch die Spulengehäuse und den grammsystem eine transiente Analyse Spulen durch die Kryostatwand stabil
Kryostaten ergeben. Abb. 29 zeigt ei- von Fusionsmagneten unter Berück- brennen kann und welchen Schaden
ne schematische Übersicht der wich- sichtigung der Wechselwirkung aller er maximal anrichten könnte. Zur
tigsten MAGS-Module mit ihrem wesentlichen Größen durchführt wer- Unterstützung der Entwicklung eines
Aufgabenbereich. den. Es ist daher ein geeignetes Werk- entsprechenden Rechenmodells wer-
zeug zur Untersuchung von Geneh- den die Lichtbogenmodellexperi-
Abb. 30 zeigt eine Modellierung des migungsfragen für ITER. Die in die- mente MOVARC (MOVement of
Spulenkörpers und der Heliumzulei- sem Zusammenhang bereits durchge- ARCs) und VACARC (VACuum
tungen mit MAGS für eine Toroidal- führten Berechnungen weisen darauf ARC) durchgeführt.
8 6
radiale Platte teilen
7
und Seitenansicht ei- 6 8
ner Toroidalfeldspule, 4 9
10
12
MAGS-Modul GRID. 0
13
rechts: Heliumzu- und -2 14
Leiterisolation
radiale Platte
(Stahl)
Isolation zwischen radialen Platten
139
7.3.8. Plasmaphysik
7.3.8.1. Entwicklung eines globalen Plasma-Modells
Bis vor wenigen Jahren mussten Vor- den Maschinen besser verstehen kann
hersagen über das Plasmaverhalten in und mit dem man auch viel detaillier-
zukünftig zu bauenden Fusionsexpe- tere Voraussagen über das Plasma in
rimenten durch statistisches Skalie- zukünftigen Maschinen wie zum Bei-
ren experimenteller Daten gemacht spiel im ITER machen kann.
werden. Erst in letzter Zeit ist es ge-
lungen, das sehr komplexe und meist Als Beispiel für solche Vorhersagen
turbulente Verhalten des Plasmas mit sind in Abb. 31 die berechneten Q-
Modellen zu beschreiben. Allerdings Werte für ITER (Q = Verhältnis von
gilt das bis jetzt nur für den heißen Fusionsleistung zur von außen zu-
Plasmakern. Da aber dieser Plasma- geführten Plasmaheizung) in Abhän-
kern sehr stark vom Verhalten des gigkeit von der Plasmadichte und der
Plasmarandes, d.h. der äußeren 5 bis Leistung, die in den Divertor fließt,
10 Prozent des Plasmaradius, ab- zu sehen. Da die Wandbelastung ei-
hängt, hat eine kleine internationale nen Wert von 20 Megawatt pro Quad-
Gruppe unter Führung des For- ratmeter nicht überschreiten darf, ist
schungszentrums Karlsruhe ein ers- bei höherem Leistungsfluss in den
tes, noch vereinfachtes physikali- Divertor mehr Gaszufuhr nötig, um
sches Modell des Plasmarandes ent- mehr Leistung an andere Oberflächen
wickelt. Dieses Modell wurde dann in der Maschine abzustrahlen, was
mit den Modellen des heißen Plas- aber die Fusionsleistung beeinträch-
mazentrums und den Modellen für tigt (vergleiche blaue Linie – hohe
den Srape-off Layer und für den Di- Leistung zu grüner Linie – kleine
vertor kombiniert. Dadurch entstand Leistung). In Abb. 32 ist der berech-
ein globales Plasmamodell, das ein nete zeitliche Verlauf einiger wichti-
Tokamak-Plasma im H-Mode relativ ger Größen für ITER für einen be-
realistisch simulieren kann. Mit die- stimmten Parametersatz (z.B. Dichte
sem Modell hat man nun zum ersten usw.) dargestellt (Q, Alphaheizung,
Mal eine Art virtuellen Tokamak an Leistungsfluss in den Divertor, von
der Hand, mit dessen Hilfe man das außen zugeführte Heizleistung).
Verhalten des Plasmas in existieren-
140
3
S = 20 m /s
DT
Q
Da einige Teile dieses Modells bis Abb. 31:
dato auf einem vereinfachten physi- Vorhergesagte Q-Werte
kalischen Modell des Plasmarandes in ITER in Abhängig-
beruhen, ist noch viel Arbeit und keit von der Plasma-
Erfindungsreichtum nötig, um dieses dichte. Q ist ein Maß,
10
Modell auf dieselbe Stufe zu heben, 8
wie viel mehr Leistung
wie es derzeit bereits für die Modelle erzeugt als aufge-
6
des heißen Plasmakerns der Fall ist. wandt wird. Die ver-
Dazu wurde eine Europäische Task 4
schiedenen Kurven
Force gegründet, die die theoreti- stellen verschiedene
schen Arbeiten in Europa bündeln 0.6 1 1.4 Leistungen dar,
soll und daher zu einem schnelleren 20 -3 die in den Divertor
<n > [10 m ]
Fortschritt bei der Entwicklung glo- e abfließen.
baler Plasmamodelle führen wird. (Grafik: FZK)
P [MW] Q
120 100 Abb. 32:
100 Vorhergesagtes Plasma-
verhalten in ITER, ab-
80
hängig von der Zeit:
60 10 Q – rote Kurve,
Alpha-Teilchenheizung –
40
schwarze Kurve, Leis-
20 tung, die in den Divertor
fließt – grüne Kurve,
0 0
0 100 200 300 400 500 Plasmaheizung – blaue
Time [s] Kurve. (Grafik: FZK)
pro Pα P P Q
beam SOL
141
7.3.8.2. Wechselwirkungen an der Plasma wand
hei§es Plasma
Kohlenstoffplasma
Scrape-off Layer
142
Erosion der Beschichtung des Diver- Abb. 36:
tors und der Ersten Wand sowie zu a) Simulierte CFC-
Verunreinigungen durch, um die er- Faserstruktur ohne
warteten Schäden und den Strah- Matrix
lungsfluss zu quantifizieren. Material- b) Erosion der
ablösung, Bildung des Plasmaschil- Probe nach
des und Transport von Verunreini- Beaufschlagung
gungen werden nummerisch simu- mit 20 Mega-Joule/
liert, um die Energieschwelle des Quadratmeter.
Strahlungskollapses für einen Typ I- (Grafik: FZK)
ELM abzuschätzen. Um die Berech-
nungen zu validieren, werden Experi-
mente in so genannten Plasma-
kanonen und in Tokamaks durchge-
führt. Abb. 36 zeigt die simulierte
Erosion von CFC nach einer Wärme-
belastung von 20 Megajoule pro
Quadratmeter. a)
b)
143
8. Literaturhinweise
144
Zu technischen Fragen: Zu sozio-ökonomischen Fragen:
Kernforschungszentrum Karlsruhe (Hrsg.): Hörning, Georg; Keck, Gerhard; Lattewitz,
Nachrichten – Werkstoffe für hohe Belastun- Florian: Fusionsenergie – eine akzeptable
gen. 31. Jahrgang, 1/1999. Energiequelle der Zukunft? Eine sozialwissen-
schaftliche Untersuchung anhand von Fokus-
Kernforschungszentrum Karlsruhe (Hrsg.): gruppen. Akademie für Technikfolgenabschät-
Nachrichten – Technik für die Kernfusion, 29. zung in Baden-Württemberg, Arbeitsbericht
Jahrgang, 1/1997. Nr. 145, August 1999.
Raeder, Jürgen; Bünde, Rolf; Dänner, Wolf- Lako, P.; Ybema, J. R.; Seebregts, A. J.: Long-
gang; Klingelhöfer, Rolf; Lengyel, Lajos; term scenarios and the role of fusion power.
Leuterer, Fritz; Söll, Matthias: Kontrollierte Netherlands Energy Research Foundation
Kernfusion. Grundlagen ihrer Nutzung zur (ECN), ECN-C-98-095, Februar 1999.
Energieversorgung. Stuttgart 1981.
Hamacher, Thomas et al.: A comprehensive
Forschungszentrum Karlsruhe (Hrsg.): Nach- evaluation of the environmental external costs
richten – Technologien für die Kernfusion, 36. of a fusion power plant, in: Fusion Engineering
Jahrgang, 1/2004 and Design 56-57, 2001, Seite 95-103.
W. Bahm et.al., Entwicklung von Technolo- Hender, T. C.; Knight, P. J.; Cook, I.: Key issu-
gien für die Kernfusion im Forschungszentrum es for the economic viability of magnetic fusi-
Karlsruhe, atw, 47. Jg. (2002), Heft 2 (Teil I) on power, in: Fusion Technology, Band 30,
und Heft 3 (Teil II) Dezember 1996, Seite 1605-1612.